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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 3
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3062]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
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+
+Römische Geschichte
+
+Drittes Buch
+Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
+griechischen Staaten
+
+von Theodor Mommsen
+
+The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Contents
+
+ Drittes Buch—Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung
+ Karthagos und der griechischen Staaten
+ KAPITEL I. Karthago
+ KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago
+ KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen
+ KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal
+ KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae
+ KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama
+ KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode
+ KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg
+ KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien
+ KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg
+ KAPITEL XI. Regiment und Regierte
+ KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft
+ KAPITEL XIII. Glaube und Sitte
+ KAPITEL XIV. Literatur und Kunst
+
+
+
+
+Drittes Buch
+Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
+griechischen Staaten
+
+
+arduum res gestas scribere
+
+arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben
+
+Sallust
+
+
+
+
+KAPITEL I.
+Karthago
+
+
+Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der
+Voelker der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im
+Osten, fuer diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die
+Grenze verschoben und die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und
+scheidet ein tiefes Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen
+Voelker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies
+gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein
+anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre
+Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen
+Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit
+diesem Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der
+christlichen Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter;
+den Hellenen aber hiess Kanaan das “Purpurland” oder auch das “Land der
+roten Maenner”, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker,
+Phoeniker oder Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das
+Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die
+vortrefflichen Haefen und der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel
+guenstig, der hier, wo das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an
+die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische
+See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen
+aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben
+die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der
+Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben
+und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden
+wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika
+und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
+Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis
+oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und
+die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein,
+die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische
+Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle
+Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn,
+das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was
+es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum,
+um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz
+haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt
+zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
+an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das
+Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die
+grossartigen und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen
+Gebiete innerhalb des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren
+nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem
+Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen eigen und den
+Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch weder die
+phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst,
+soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen
+Rang eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind
+formlos und unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und
+Grausamkeit mehr zu naehren als zu baendigen bestimmt; von einer
+besonderen Einwirkung phoenikischer Religion auf andere Voelker wird
+wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen.
+Ebensowenig begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn
+derjenigen der Mutterlaender der Kunst vergleichbare phoenikische
+Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der wissenschaftlichen
+Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon oder doch das
+Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem Lauf der
+Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier
+begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur
+wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der
+Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die
+Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten
+babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der Sternbeobachtung
+fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der Ordnung der Masse
+fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen wichtigen Keim der
+Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das Alphabet oder
+irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes ihnen
+eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie
+von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das
+haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die
+Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie
+sich beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die
+Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern
+gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen
+Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die
+Berber Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der
+Hannos und der Barkiden. Aber vor allem mangelt den Phoenikern, wie
+allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der
+staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden
+Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros ist das
+phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil
+herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern
+untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte sich
+unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner,
+berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten oder
+der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der
+schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel
+nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders
+sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie
+die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie
+auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der
+kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre
+Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den
+Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in
+fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame
+Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten
+vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
+oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen
+und in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft
+im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537)
+und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die
+Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz
+einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen
+will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere
+oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker
+zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit
+offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen
+Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei
+Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
+gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem
+Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen
+des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der
+Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen
+lassen.
+
+Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und
+mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter
+den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch
+weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls;
+vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein
+indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald
+mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre Nationalitaet
+gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen alle
+Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den
+Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an
+staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei der
+treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der
+Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es geluestete
+sie nicht nach der Herrschaft; “ruhig lebten sie”, sagt das Buch der
+Richter, “nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und im
+Besitz von Reichtum”.
+
+Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und
+sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste
+Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden
+weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der
+griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen
+gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den Europaeern. Unter den
+zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten an diesen Gestaden
+ragte vor allem hervor die “Neustadt”, Karthada oder, wie die
+Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die frueheste
+Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
+vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten
+Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die
+Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege
+Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des
+Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas
+durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern
+besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung
+des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite
+als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von
+Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten
+Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
+Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und
+die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die
+tyrische Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward,
+sondern auch in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt,
+die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht
+guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten
+Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und
+gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in
+solcher Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber
+fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu
+einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere
+phoenikische Stadt besessen hat.
+
+Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in
+Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen.
+Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden,
+den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm
+der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste die Stadt
+hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen Maechte,
+scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch nur dem
+Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um sich die
+Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.
+
+Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten
+doch Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere
+Politik draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich
+unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem
+eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben
+sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das
+gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn
+sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit
+griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten,
+genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel
+und Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und
+Kyrene gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden
+der Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu
+ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und
+hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine
+Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste
+von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die
+phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der
+Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der
+maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins
+zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des
+Mittelmeers den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten
+hatte, von selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine
+veraenderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse
+Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen
+Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. Wesentlich trug
+wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Soeldnerei, die
+in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in
+Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit
+aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das
+auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen
+Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist.
+
+Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche
+die Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum
+Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450)
+scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu
+haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten muessen.
+Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher
+hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre Kapitalien
+auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen Massstab zu
+betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein grosser
+Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn
+dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen
+libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
+Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land
+- wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen.
+Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau
+scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der
+phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu
+sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen
+Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der
+Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen
+karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem
+unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (νομάδες) an
+den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
+verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene
+zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die
+karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu
+stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse
+Stadt Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den
+Karthagern erobert. Dies sind die “Staedte und Staemme (έθνη) der
+Untertanen”, die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen;
+jenes die unfreien libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden.
+
+Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen
+Phoeniker in Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu
+diesen teils die von Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und
+einen Teil der Nordwestkueste gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die
+nicht unbedeutend gewesen sein koennen, da allein am Atlantischen Meer
+auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die
+besonders an der Kueste der heutigen Provinz Constantine und des Beylik
+von Tunis zahlreichen altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel
+Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis
+(suedlich von Susa) - die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -,
+Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie
+es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter karthagische
+Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den
+Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr
+nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager
+selbst in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern
+hatten niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu
+leisten hatten. Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der
+Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft
+und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von
+465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit
+den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig
+Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der
+Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal
+entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt;
+wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von
+der griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht
+hegten. Selbst im auswaertigen Verkehr sind es stets “Karthago und
+Utica”, die zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht
+ausschliesst, dass die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber
+Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die
+Hauptstadt eines maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der
+tripolitanischen Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im
+westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher
+Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren
+oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das
+Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
+vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller
+bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische
+Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien
+die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit
+gleicher Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch
+gesprochen und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen
+Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie
+vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation
+noch in der Politik Karthagos.
+
+———————————————————————
+
+^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in
+dem karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz
+einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen
+heissen: οι Καρχ ηδονίων ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst
+heissen sie auch Bundes- συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder
+steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium
+mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium folgt aus
+den “gleichen Gesetzen”. Dass die altphoenikischen Kolonien zu den
+Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer
+libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es
+hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum
+Beispiel im Periplus des Hanno: “Es beschlossen die Karthager, dass
+Hanno jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der
+Libyphoeniker gruende”. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker
+bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche
+Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch
+die mit Libyern gemischten Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz
+zum Text des Polybios); wie denn in der Tat wenigstens bei der Anlage
+sehr exponierter Kolonien den Phoenikern haeufig Libyer beigegeben
+wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie im Namen und im
+Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den Libyphoenikern
+Karthagos ist unverkennbar.
+
+^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit
+die Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines
+der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint
+allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das
+phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer die
+Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern
+erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen
+Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr
+wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer
+Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der die
+auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben
+wurden.
+
+————————————————————————-
+
+Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von
+Libyen stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die
+Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte
+Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies
+derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er
+nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen
+Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms
+ausgefuellt hat.
+
+Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen
+phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros,
+dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die
+Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im
+ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert
+Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten
+Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der gesicherten
+und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre
+Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit Rom in
+Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
+kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.
+
+Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der
+karthagischen Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte
+gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt.
+
+In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische
+Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und
+oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das Gebiet der
+Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder
+doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland den
+einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht
+bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
+Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte
+Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es
+ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
+waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den
+tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen
+Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von
+Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und die
+Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades
+beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern
+selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als
+Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
+Kaempfe gefuehrt wurden.
+
+Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts
+Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen
+von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem
+gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen
+wie die Numidier in Afrika an dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis
+(Cagliari) und anderen wichtigen Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt
+und die fruchtbaren Kuestenlandschaften durch eingefuehrte libysche
+Ackerbauern verwertet.
+
+In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere
+oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende
+gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der
+Karthager teils die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite,
+Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich
+und bluehend war, teils die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie
+von Motye, spaeter von Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von
+Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der
+Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner,
+Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der
+Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher Zustand
+hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der
+Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480)
+nicht auf die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf
+die attische Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden
+rivalisierenden Nationen bequemten sich, einander zu dulden, und
+beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr Gebiet.
+
+Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug;
+allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler
+der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens,
+der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in
+Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an
+der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der Syrten
+machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer
+geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur das
+Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern
+Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die
+Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den
+ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar
+gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der
+etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen
+Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden
+bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe
+des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische
+Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus
+an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich
+ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden
+auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt.
+Das naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen
+ihnen und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios
+von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der
+sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und die
+Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die
+bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela,
+Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern
+von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das
+Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann,
+gestuetzt auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien
+angeworbenen Soeldner, die veroedeten oder mit Militaerkolonien
+belegten Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der
+nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383)
+abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Staedte Thermae
+(das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des
+Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um
+den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen;
+immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den
+Nebenbuhler ganz zu verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren
+Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles
+445 (309), in der pyrrhischen 476 (278) - waren die Karthager Herren
+von ganz Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen
+Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tuechtigen
+Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren,
+ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu
+verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die
+Seite der Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und
+die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten,
+doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und Energie den Angriff
+betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt
+die Verteidigung. Mit Recht durften die Phoeniker erwarten, dass nicht
+immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreissen
+wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf schon
+entschieden: Pyrrhos’ Versuch, die syrakusanische Flotte
+wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war,
+beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze
+westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu
+besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand
+damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl
+dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu monopolisieren;
+und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum Zwecke
+fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse der
+Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560
+275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach
+Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den
+Karthagern in die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und
+damit stimmt es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen
+Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch
+den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre
+448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich
+schloss.
+
+Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig
+Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als
+uebergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine
+zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt
+er sie. Die Leitung der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der
+Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden
+jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig
+Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der
+Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen
+die Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege
+trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt
+und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig
+die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
+adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist
+zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig
+scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben;
+hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten
+auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des
+Feldherrn; Isokrates, Aristoteles’ aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die
+Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten
+und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
+Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm
+beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht
+beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine
+den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine
+feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist
+derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden
+gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch
+war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern
+ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann
+zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.
+
+Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft
+der Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das
+Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen
+karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich
+dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen
+Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der
+Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten
+Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen
+hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die
+Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden
+zu vereinigen; dies fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu
+einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen
+Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab
+zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer
+Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende
+Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich
+vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere
+Zeit, ja lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern
+und Griechen gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das
+einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus
+aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine
+vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben
+dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren
+sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich
+die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten
+und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen
+und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit
+dem Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die
+Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft
+gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten
+auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils
+dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum
+Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und
+dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem
+Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
+den Feldherrn in Rat und Tat laehmte.
+
+Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta
+ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen
+beschraenkt, doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade
+von Einfluss gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein
+offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines
+Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch
+Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in
+anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer gut
+fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in
+Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward
+wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt;
+die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den
+spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch
+geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen
+“Stadtbuergern” und “Handarbeitern” wird erwaehnt, der auf eine sehr
+niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen
+laesst.
+
+Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die
+karthagische Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es
+begreiflich ist bei einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse
+und bestehend einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den
+Mund lebenden staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern,
+Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das System, die
+heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen
+zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die
+abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen
+einer verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago
+nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der
+erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen Verfassung. Bis auf seine
+Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten eine nennenswerte
+Revolution stattgefunden; die Menge blieb fuehrerlos infolge der
+materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen
+ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward
+abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst
+von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition
+konnte freilich bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit
+des Ersten Punischen Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin,
+zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr
+politischer Einfluss im Steigen und in weit rascherem, als gleichzeitig
+der der gleichartigen roemischen Partei: die Volksversammlungen
+begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu geben und
+brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des
+Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt,
+dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im
+Amte sein koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche
+allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte,
+wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte
+ein maechtiger patriotischer und reformierender Schwung; doch darf
+darueber nicht uebersehen werden, auf wie fauler und morscher Grundlage
+sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die von kundigen Griechen
+der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, dass sie
+insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte
+gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie
+in Karthago, die Buben sie machen halfen.
+
+In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter
+den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des
+Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis
+des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten
+finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs
+verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der
+Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und
+Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben und
+zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische
+Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen und
+roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
+Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt,
+sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und
+den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward.
+Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker-
+mit der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der
+phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als
+man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes
+an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
+Nomadenwirtschaft es nach Polybios’ Zeugnis vielleicht allen uebrigen
+Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in
+der Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer
+waren, wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese
+floss nach Karthago mittelbar die Grundrente “des besten Teils von
+Europa” und der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an
+der Kleinen Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen
+Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes
+Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und
+Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen
+Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher schon
+bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte
+Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland
+allen Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel
+zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu
+konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago,
+wie spaeterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss
+bestimmt, aber nicht vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine
+ansehnliche phoenikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden
+sich reiche, freilich nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den
+sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche
+Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des
+Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich
+die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte
+Werk des Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in
+einem der karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des
+Admirals Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste.
+Selbst die allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der
+Kunde fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit
+dem kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der
+durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in
+Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der
+Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des
+Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen
+Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
+kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert
+hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts
+dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben
+vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben
+wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht
+des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine
+jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne
+Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
+Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem
+Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen
+sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe
+der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen
+Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer
+spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter
+allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen
+Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und
+Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
+dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat
+eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe
+geloest als Karthago.
+
+——————————————————
+
+^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach
+der Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1,
+17), lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des
+Plautinischen ‘Poeners’ heisst es von dem Titelhelden:
+
+Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn’
+
+Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr?
+
+——————————————————-
+
+Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren
+Acker- und Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus
+untergeordnete und durchaus praktische Stellung von Kunst und
+Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, nur dass in dieser
+Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als Rom. Aber in Karthago
+hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals noch die
+Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die
+karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer
+waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der
+Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war
+in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und dem
+Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In
+Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene
+Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch
+altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die
+karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
+Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren
+zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes
+Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo
+man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist
+bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende.
+
+Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten
+die Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die
+strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde
+den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich
+des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit
+einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu
+verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische
+Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne
+streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung
+erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig.
+Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete
+und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
+brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen
+beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die
+Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein
+Wesen war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er
+weder sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch
+unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der
+roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die
+Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und
+Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte
+Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen
+nationalen Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau
+einstuerzen liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher
+ist der tuechtige Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit
+seiner Regierung, in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den
+Herren daheim und gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu
+widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche
+Sache zu machen.
+
+Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche
+stammfremde Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in
+sein Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst
+gesetzlich Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus
+aus sich ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die
+Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den
+stammverwandten Gemeinden Anteil an den Fruechten des Sieges,
+namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den uebrigen
+untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und
+Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen;
+Karthago behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten,
+sondern entriss sogar den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit.
+Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen Gemeinden die
+Selbstaendigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago
+sandte seine Voegte ueberall hin und belastete selbst die
+altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die unterworfenen
+Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im
+karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit
+Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und
+materiell sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen
+nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die
+materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die politische
+Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum Kampf
+herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als zu
+gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die
+phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
+Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
+karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen
+kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung
+bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren
+Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken,
+die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches
+Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen.
+von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem
+Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen
+Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege
+gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder
+aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben.
+Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im
+Handel mit dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von
+Anfang an und ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei
+weitem freier sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt
+ward. Waere Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich
+dies bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der
+wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen
+Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine
+ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach
+dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte
+des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
+ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen
+ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den
+Roemern die Samniten und Tarentiner.
+
+Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel
+um vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder
+dadurch aus, dass die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und
+Zoelle weit eher und eben, wenn man sie am noetigsten brauchte,
+versiegten als die roemischen, und dass die karthagische Kriegfuehrung
+bei weitem kostspieliger war als die roemische.
+
+Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr
+verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die
+karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000
+Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des
+fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte
+im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten
+auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer hatte Rom
+schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen Verhaeltnissen
+ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des Buergergebiets
+im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der waffenfaehigen
+Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als
+der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des
+Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es
+sich angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen,
+so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den
+kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen
+der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert
+focht in den sizilischen Heeren noch eine “heilige Schar” von 2500
+Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den
+karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit Ausnahme der
+Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die roemischen
+Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf den
+Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der
+beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere
+Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
+ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise
+noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den
+Heeren, indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit
+vermutlich mit Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer
+von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann
+und auch diese nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der
+karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren
+Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden
+liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu
+kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften
+Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den Balearen,
+deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die
+Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland
+angeworbene Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne
+Muehe fast auf jede beliebige Staerke gebracht werden und auch an
+Tuechtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem
+roemischen sich zu messen; allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner
+angenommen werden mussten, ehe dieselben bereit standen, eine
+gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden Augenblick
+auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend
+die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der
+Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an
+das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen
+Schlages galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern
+ungefaehr soviel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher
+Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der libyschen Truppen
+durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen gefaehrlichen
+Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort
+gewordene Ruf der “punischen Treue”, der den Karthagern nicht wenig
+geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere ueber
+einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und
+mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als
+seine Feinde.
+
+—————————————————————————-
+
+^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht
+auf den Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe
+berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen,
+namentlich in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist
+dagegen zu erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist,
+nicht staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass
+dabei also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder
+in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland
+sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl
+in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus
+gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
+als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
+
+———————————————————————
+
+Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht
+verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen.
+Man hielt auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit
+Soeldner ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was
+bei den Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in
+welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen
+finden, und die Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren
+Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten Karthagos befanden
+sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu
+befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen
+lassen, dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen
+Lande auch die Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu
+Italien, wo die meisten unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten
+hatten und eine Kette roemischer Festungen die ganze Halbinsel
+beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der Hauptstadt bot man auf,
+was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat
+nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch
+und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung
+niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die
+Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie
+in der Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen
+ueberlegen; in Karthago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei
+Ruderverdecken, und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit
+meistens Fuenfdecker, waren in der Regel bessere Segler als die
+griechischen, die Ruderer, saemtlich Staatssklaven, die nicht von den
+Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitaene gewandt und
+furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Roemern
+ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbuendeten Griechen und
+den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in der offenen See
+auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten das
+westliche Meer beherrschte.
+
+Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der
+beiden grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil
+eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom,
+da der Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen
+waren. Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass
+Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um
+kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen,
+aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden
+eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie
+in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
+Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich
+nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem
+solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit
+der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen,
+sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab;
+dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See
+schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in
+Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin
+gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und
+waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg
+begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich
+in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten,
+auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste.
+
+
+
+
+KAPITEL II.
+Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago
+
+
+Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den
+Karthagern und den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel.
+Von beiden Seiten ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem
+Propagandismus, indem Karthago Verbindungen unterhielt mit der
+aristokratisch-republikanischen Opposition in Syrakus, die
+syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago
+zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit
+Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre
+Schlachten schlugen wie die phoenikischen Feldherren. Und wie man auf
+beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten
+mit gleicher, in der okzidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und
+Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende Partei waren die
+Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich
+beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und
+Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber
+saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos’ Vertreibung aus
+Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem groessere Haelfte
+der Insel und vor allem das wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den
+Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der Suedosten der Insel.
+In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in Messana, hatte eine
+fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt und behauptete die
+Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Es waren
+kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das bei den in und um
+Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, 368) hatte
+im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was spaeter
+Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die
+soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen
+Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit
+des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen Staedten, die
+politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie verurteilte,
+ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung ueber sich
+selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die kampanische
+Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es
+versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf
+hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an
+Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
+Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer
+Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle,
+vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei,
+leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in
+Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre
+Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden
+die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in
+Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien
+gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in
+solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein
+kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach
+dessen Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb,
+sich fest in Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und
+dem Hauptsitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen
+beherrschten Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder
+vertrieben, die Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die
+Soldaten verteilt und die neuen Herren der Stadt, die “Marsmaenner”,
+wie sie sich nannten, oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht
+der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach
+Agathokles’ Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern
+diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer
+stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen
+Stadt einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten;
+mit karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos
+und der unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck.
+
+Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen,
+durch den sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen,
+dass der Gott, der die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied,
+nicht der Gott der Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden
+anderer zu richten, mag die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es
+heilbringend sein, dass hier eine streitkraeftige und der Insel eigene
+Macht sich zu bilden anfing, die schon bis achttausend Mann ins Feld zu
+stellen vermochte und die allmaehlich sich in den Stand setzte, den
+Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen
+entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit
+gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen.
+
+Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der
+durch seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen
+verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie
+durch die Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten
+hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen
+Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward
+durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den Buergern
+hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge Verwaltung,
+sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er schnell sich die
+Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs
+gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er
+entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen
+Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs
+mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen
+und frischen und lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische
+Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis
+mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der Insel vertrieben hatten,
+war damals Friede; die naechsten Feinde der Syrakusier waren die
+Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem ausgerotteten
+Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer des
+syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge
+kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um
+diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner,
+die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich
+gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig
+der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in
+ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem die Belagerung einige Jahre
+gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs aeusserste gebracht und
+ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit eigenen Kraeften zu
+behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht moeglich war und
+das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen hatte,
+ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die
+einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die
+Karthager oder an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein
+musste an der Eroberung des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen
+Bedenken hinwegzusehen. Ob es vorteilhafter sei, den Herren Afrikas
+oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach langem
+Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet der kampanischen
+Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den Roemern
+anzutragen.
+
+Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als
+die Boten der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles
+an dem ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand
+ahnen; aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz
+andere und wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen
+der bisher vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der
+ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche
+Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu
+ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit
+Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen Kampaner
+mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre
+nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und
+zur Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten
+Strafe zu entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den
+Gegnern Stoff zu Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter
+ernstlich empoeren musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem
+die politische Moral keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen,
+wie man roemische Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische
+Bundesgenossen hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit
+Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern,
+diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur
+darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana
+geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen.
+Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens;
+schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben
+darin lag es begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu
+haben und zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer
+Syrakus und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war,
+die Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie
+Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den
+Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu
+gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt
+in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in
+seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht
+erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward,
+sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es
+gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so
+nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen
+Italien und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus
+guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit
+dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass
+zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens
+aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
+Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
+Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago
+fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war,
+Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit
+dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen
+und rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches
+die Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen,
+dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der
+Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den
+eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die
+Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu
+folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber
+den Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu
+fuehren; er kam zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der
+Buergerschaft, an welche die Sache verwiesen ward, lebte das frische
+Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung
+Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den Makedoniern, wie
+die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische Bahn zu
+betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch
+die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die
+ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft
+aufgenommen ^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft
+beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 265).
+
+——————————————————————-
+
+^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die
+italischen Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic.
+Verr. 5, 19, 50) und besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der
+Silberpraegung nicht.
+
+——————————————————————-
+
+Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in
+die Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher
+dem Namen nach mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe
+aufnehmen wuerden. Hieron hatte Grund genug, die an ihn ergangene
+Aufforderung der Roemer, gegen ihre neuen Bundesgenossen in Messana die
+Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu behandeln, wie die Samniten
+und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von Capua und Thurii
+aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung zu
+antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit
+und von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man
+erwarten, dass er in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn
+Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien dies nicht. Eine
+roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben Jahre nach dem
+Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu bemaechtigen, nach
+Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu verlangen; die nicht
+unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten auf einmal
+wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen
+Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit
+Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie
+die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu
+reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass
+die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der
+Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der
+zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen
+Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des
+karthagischen Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht
+hatte, nebst den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen
+Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt
+gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens als
+Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die
+italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als
+innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann,
+und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische
+Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war. Als
+die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
+endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
+Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
+roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
+erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
+Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen
+Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und
+den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben
+sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg
+karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals
+Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische
+Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig
+gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass man
+sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte und
+verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
+nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen
+die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf;
+doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle,
+keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten
+Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als
+haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie
+die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken,
+und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt,
+berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch
+erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer
+waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der
+Versammlung selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und
+Hanno sowie die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der
+Burg waren kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum
+Abzug zu geben, diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen
+und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in
+den Haenden der Roemer.
+
+Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und
+Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den
+Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen Platz
+wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno,
+Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend sie selber
+die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte karthagische
+Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf das
+Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
+beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana
+und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt.
+
+Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius
+Caudex mit dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen
+Nacht gelang die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit
+und Glueck waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf
+einen Angriff des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt,
+wurden von den aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln
+geschlagen und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber
+behauptete das roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch
+auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch die
+Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und
+Karthago) mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das
+roemische Heer zurueck nach Messana und von da unter Zuruecklassung
+einer starken Besatzung nach Italien. Die Erfolge dieses ersten
+ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen daheim der Erwartung nicht
+ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht triumphierte; indes konnte
+das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht verfehlen, auf die
+Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden Jahre
+betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die
+Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem
+Feldzug “der von Messana” (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden
+Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach
+dieser Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das
+Feld zu halten wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und
+ueberhaupt die kleineren griechischen Staedte den Roemern zu, sondern
+Hieron selbst verliess die karthagische Partei und machte Frieden und
+Buendnis mit den Roemern (491 263). Er folgte einer richtigen Politik,
+indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es den Roemern mit dem
+Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen anschloss, als es
+noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu erkaufen. Die
+sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene Politik
+nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und
+karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die
+erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht
+die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht
+von Karthago erobern zu lassen, und auf alle Faelle anstatt des
+karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems von Rom eine
+leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu erwarten war.
+Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und geachtetste
+Bundesgenosse der Roemer auf der Insel.
+
+Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das
+Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen
+Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr
+schwierige Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher
+bedenkliche und unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines
+waglichen Charakters. Man machte denn auch fuer denselben nicht
+groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in Samnium und Etrurien;
+die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492 262) nach der
+Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den
+sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen
+zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons
+Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in Akragas, um diese
+wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste zu verteidigen.
+Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten die Roemer sie mit
+verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die Eingeschlossenen,
+die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am Notwendigen. Zum
+Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia und
+schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf
+beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer
+Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit
+herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische Reiterei
+ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen Infanterie
+das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg, allein die
+Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg der
+gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der
+Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der
+belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu
+erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in
+die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit
+Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar,
+Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und
+weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg spann
+von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus den
+sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen
+Kuesten.
+
+In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen
+Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie
+erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer
+warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen
+koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war
+diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne
+Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen
+Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern
+bedrohte auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort
+eine konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer
+groesseren Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere
+karthagische Abteilungen an den italischen Kuesten und brandschatzten
+die Bundesgenossen und, was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel
+Roms und seiner Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht
+lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus
+vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die
+Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden
+sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt,
+was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso
+leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie
+zu ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu
+schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert
+Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen
+Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende
+Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst die
+Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase;
+Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und
+auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren
+dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich
+gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von
+Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der
+Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die
+Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein
+Seestaat von Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von
+Linienschiffen; und eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein
+fremdes Linienschiff zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die
+Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere
+als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten,
+mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen
+koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien
+durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
+die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die
+Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen
+Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name
+(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den
+Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der
+Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere
+Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man
+teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des
+Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt,
+wird es begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon
+gescheitert ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln,
+innerhalb eines Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig
+Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam
+dieselbe der karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs
+gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik
+dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete
+und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen
+von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser
+Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf
+bestand im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die
+Vorderteile mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die
+kaempfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder
+dem andern der Stoss gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb
+befanden sich unter der Bemannung eines gewoehnlichen griechischen
+Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170
+Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa
+300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis.
+
+Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen
+bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an
+Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen,
+dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle
+zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende
+Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen
+werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren versehen und
+hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche Schiff zum
+Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss vermieden
+war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen Verdeck
+nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; wodurch
+nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen
+Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche
+Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen.
+Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis
+die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in
+einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte zugleich
+die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den einzelnen
+Schiffen fechten.
+
+So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen
+war. Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein
+Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss
+begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Roemer war eben gar
+nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch Einsicht in das
+Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch Energie in
+Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen ward,
+die uebler war, als sie zunaechst schien.
+
+Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral,
+der Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn
+segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260),
+meinte auf der Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu
+koennen. Allein eine Abteilung der bei Panormos stationierten
+karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in dem die roemischen
+Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem
+Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht
+ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana
+unter Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf
+sie auf ein schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem
+sie das Glueck hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden
+Verlust zuzufuegen, und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von
+Messana ein, wo der zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der
+Stelle seines gefangenen Kollegen uebernahm. An der Landspitze von
+Mylae, nordwestlich von Messana, traf die karthagische Flotte, die
+unter Hannibal von Panormos herankam, auf die roemische, welche hier
+ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in den schlecht
+segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte Beute
+erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber
+die neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die
+roemischen Schiffe fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie
+einzeln heransegelten; es war ihnen weder von vorn, noch von den Seiten
+beizukommen, ohne dass die gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf
+das feindliche Verdeck. Als die Schlacht zu Ende war, waren gegen
+fuenfzig karthagische Schiffe, fast die Haelfte der Flotte, von den
+Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren das Admiralsschiff
+Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch
+groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht
+geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich
+hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien,
+energisch zu Ende zu fuehren.
+
+Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
+italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
+Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
+kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
+durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung
+dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht
+genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder
+man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht
+auf Afrika werfen, nicht in Agathokles’ abenteuernder Art die Schiffe
+hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines
+verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die
+Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in
+diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach
+den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man
+wollte, mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung
+noetigen.
+
+Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der
+Schlacht von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den
+Hafen Aleria auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des
+Feldherrn, der dieser Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine
+Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser
+Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte an
+Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit
+besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste
+gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es
+nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte
+energisch und geschickt den Krieg nicht bloss mit Waffen zu Lande und
+zur See, sondern auch mit der politischen Propaganda; von den zahllosen
+kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von den Roemern ab und
+mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und in den
+Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten,
+namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen
+Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen
+Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites
+grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide
+Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge.
+In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem
+geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen
+liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer
+Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
+strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall
+nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den
+Angreifer ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im
+Anfang der wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig
+stellten. Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der
+italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht
+viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der
+Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss
+der Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im
+Fruehjahr 498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel
+nach der libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am
+suedlichen Ufer Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren
+vier Legionen unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius
+Regulus und Lucius Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der
+karthagische Admiral liess es geschehen, dass die feindlichen Truppen
+sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die
+Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in
+Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken.
+Nicht leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser
+Schlacht gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln
+zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa
+40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen
+trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass gegen
+dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, um
+zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die
+Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken
+Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins
+Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in
+schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite
+Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei
+gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck
+schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer
+folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige
+Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst
+angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die
+Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die
+Admirale mit den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem
+karthagischen Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden,
+schwenkte der linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager
+auf das dritte roemische Geschwader ein, welches durch die
+Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, und
+draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer;
+gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen
+Fluegel auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste
+dieser drei Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen
+Mitteltreffens, offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie
+fechtenden roemischen Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile
+hatten die beiden anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand
+gegen den ueberlegenen Feind; allein im Nahgefecht kamen die
+gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit deren Hilfe gelang
+es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit ihren Schiffen
+herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft, und
+die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der
+Uebermacht das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der
+Roemer entschieden, fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem
+hartnaeckig seinen Vorteil verfolgenden karthagischen linken Fluegel in
+den Ruecken, so dass dieser umzingelt und fast alle Schiffe desselben
+genommen wurden. Der uebrige Verlust war ungefaehr gleich. Von der
+roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von der karthagischen 30
+versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz des
+betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu
+diesem Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung
+erwartete und eine zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die
+Roemer landeten statt an der westlichen Seite der Halbinsel, die den
+Golf bilden hilft, vielmehr an der oestlichen, wo die Bai von Clupea
+ihnen einen fast bei allen Winden Schutz bietenden geraeumigen Hafen
+und die Stadt, hart am Meere auf einem schildfoermig aus der Ebene
+aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche Hafenfestung darbot.
+Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und setzten sich
+auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes Schiffslager
+errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die
+roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis
+20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten
+Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen
+Opfern gelungen; man schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer
+sich fuehlten, beweist der Beschluss des Senats, den groessten Teil der
+Flotte und die Haelfte der Armee nach Italien zurueckzuschicken; Marcus
+Regulus blieb allein in Afrika mit 40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und
+500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht nicht uebertrieben. Die
+karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene nicht wagte, erlitt
+erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen sie ihre
+beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden
+konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und
+ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den
+naechsten Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu
+welchem Ende er dicht bei derselben, in Tunes sein Winterlager
+aufschlug.
+
+Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die
+Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien
+und Sardinien, sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom,
+welches die Karthager verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine
+zu verzichten und zu den roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese
+Bedingungen, welche Karthago mit Neapel und Tarent gleichgestellt haben
+wuerden, konnten nicht angenommen werden, solange noch ein
+karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte auf der See, und
+die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie
+sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen, bei dem
+Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese
+Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man
+sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in
+Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt
+hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sizilischen Truppen, die
+fuer die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern abgab; die
+Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten ihnen ferner die
+trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso zahlreiche
+griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von
+Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen
+neuen Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des
+Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische
+Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich
+ueber seinem Haupt zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl
+ihm zu tun verbieten, was seine Lage erheischte - statt zu verzichten
+auf eine Belagerung, die er doch nicht imstande war, auch nur zu
+versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea, blieb er
+mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt
+stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern
+versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen
+fehlte und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der
+Numidier so leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei.
+Mutwillig brachte er sich und sein Heer also in dieselbe Lage, in der
+einst Agathokles auf seinem verzweifelten Abenteurerzug sich befunden
+hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), hatten sich die Dinge schon so
+veraendert, dass jetzt die Karthager es waren, die zuerst ins Feld
+rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; natuerlich, denn es lag
+alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, ehe von Italien
+Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die Roemer
+zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im
+offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren
+Staerke - denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten
+ungefaehr dieselbe war, gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und
+100 Elefanten ein entschiedenes Uebergewicht - und trotz des
+unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich auf einem weiten
+Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, der an
+diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei
+auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der
+Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu
+vor den feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah
+sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen,
+hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor gegen die
+feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben aufgestellte
+Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der Roemer hemmte,
+fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den Elefanten
+vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten feindlichen
+und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die
+roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den
+Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar
+ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden
+doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche
+linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo die
+libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der
+Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei
+ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte;
+nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang
+zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die
+roemischen Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit
+Not Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul
+selbst, der spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung,
+dass er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden
+sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste
+Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die
+Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3.
+
+—————————————————————
+
+^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos’ militaerisches Talent
+Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen
+Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu
+lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der
+Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen
+Wendungen, dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst
+Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern
+ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort,
+vielleicht in aegyptische Dienste.
+
+^3 Weiter ist ueber Regulus’ Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
+seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt
+wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem
+Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer
+Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen wie aus
+Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge obligat
+erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwaertige
+Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten
+Geschichte.
+
+—————————————————————————-
+
+Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge
+natuerlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen
+Mannschaft. Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und
+nach einem schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die
+Karthager 114 Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur
+rechten Zeit, um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee
+aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die
+Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg
+verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein
+Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer
+den Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea
+saemtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig
+den wichtigen und leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen
+die Moeglichkeit der Landung in Afrika sicherte, und der Rache der
+Karthager ihre zahlreichen afrikanischen Bundesgenossen schutzlos
+preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre
+leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue
+deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000
+Talenten Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben
+und in saemtlichen abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz
+geschlagen - es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses
+entsetzliche Wueten der karthagischen Beamten wesentlich den Grund
+gelegt haben zu der Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika
+ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das
+Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der
+Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe
+mit der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli
+499 255). Die Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die
+improvisierten roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen.
+
+Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange
+eingestellte Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn,
+landete in Lilybaeon mit einem starken Heer, das besonders durch die
+gewaltige Elefantenmasse - es waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt
+wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; die letzte Schlacht hatte
+gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten Fussvolks durch
+Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die Roemer
+nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des
+Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist,
+im roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die
+den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln
+allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer
+Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei
+Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine
+neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde auf einmal
+der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele zu bauen
+unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei Monaten
+standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) erschien die
+roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe zaehlend, an
+der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von der
+Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens,
+Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus,
+Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen
+noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb.
+Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer auf Sizilien.
+Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen standen vor
+Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen Befehlshaber,
+die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine Hauptschlacht zu
+erzwingen versucht haetten.
+
+Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die
+sicheren Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika
+zu machen, nicht um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu
+pluendern. Ungehindert kamen sie damit zustande; allein nachdem sie
+schon in den schwierigen und ihren Piloten unbekannten Gewaessern der
+Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit Muehe wieder
+losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien ein
+Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die
+Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der
+Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges
+durch das offene Meer nach Ostia zu steuern muessen.
+
+Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die
+Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die
+Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken.
+Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine
+guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte
+Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige
+Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im Jahre
+darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
+Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503
+251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im
+Stadtgraben aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und
+stuerzten teils in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen
+Leute, die in wilder Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum
+Strande draengten, um von den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu
+werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das karthagische Heer,
+dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum in die
+Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den
+Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den
+Karthagern nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum
+zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg des Metellus und die
+Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei im Senat die
+Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, die
+Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen und zu
+diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu lassen.
+Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die Rom
+unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt,
+wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer
+Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von
+der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren,
+vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden
+und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der
+Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige
+Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen
+Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem
+karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren,
+Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu
+werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher
+war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die
+Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien
+sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein
+der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff
+ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall
+erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis
+anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang
+den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall
+abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die
+roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
+Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser
+und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf
+Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen
+Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel
+leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der
+Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte
+Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen,
+die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen.
+Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um
+geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der
+Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
+Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu
+gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu
+aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die
+karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte
+unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das
+Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um
+Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
+Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit
+Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische
+Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht
+und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die
+roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden
+Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite
+seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb
+desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die
+vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und
+sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber
+dieser rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner
+Aufstellung und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils
+von der feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit
+gebrach, die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln,
+teils so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder
+zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu
+Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie
+begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass
+sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam,
+indem er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei
+Viertel der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an
+Bord, fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige
+grosse Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben.
+Lilybaeon war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch
+die Truemmer der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung
+zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie
+ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem
+Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den
+Beistand des Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen
+und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in
+dem langen und aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war;
+und was dessen Uebermut noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen
+hatte, ging kurz darauf durch den Unverstand seines Kollegen zugrunde.
+Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus, der den Auftrag erhalten
+hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten Zufuhren in Syrakus zu
+verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen Kueste der Insel
+mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten,
+beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten
+Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu
+folgen. Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit
+hundert auserlesenen Schiffen die roemische Flotte im Hafen von
+Lilybaeon blockierte, davon Nachricht erhielt, wandte er sich nach der
+Suedkueste der Insel, schnitt die beiden roemischen Geschwader, sich
+zwischen sie legend, voneinander ab und zwang sie, an den unwirtlichen
+Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die
+Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern tapfer
+zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon
+seit laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an
+Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken
+war, konnte Karthago die Vollendung seines Werkes den Elementen
+ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete denn auch beide
+roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden vollstaendig, waehrend
+der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen unbeschwerten und
+gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft und die
+Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249).
+
+Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte
+Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als
+im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde
+gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes
+ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet
+die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien
+die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert
+hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus
+zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um
+etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
+Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und
+daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer
+traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse
+ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der
+unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare durch
+die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein
+schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man
+den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit
+frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich
+gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
+unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden
+gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als
+je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt
+gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die
+Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel-
+und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als
+die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber
+ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu
+den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte die
+Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
+Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen
+bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung.
+Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht
+anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu
+beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch,
+seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst
+kostspielige Anstalten erforderte.
+
+Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen
+Gegner zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der
+Kraefte gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen,
+konnten die phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass
+die Karthager den Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete,
+nicht haetten offensiv und nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein
+die karthagische Regierung war eben nicht energisch, sondern schwach
+und laessig, wenn nicht ein leichter und sicherer Gewinn oder die
+aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte los zu sein,
+liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem
+Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in
+und um Sizilien zu beschraenken.
+
+So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die
+ruhmlosesten, welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts
+kennt, und ruhmlos auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von
+diesen dachte und handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt
+Barak oder Barkas, das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender
+Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es
+fehlte in seiner Armee wie in jeder karthagischen an einer
+zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die Regierung, obwohl
+sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden Fall es
+zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den
+Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans
+Kreuz heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er
+wusste es wohl, dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie
+Rom, und dass er von seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche
+Konskribierte, sondern im besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte,
+mit seinen Leuten das Vaterland auf eigene Faust zu retten,
+vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er kannte auch sich und die
+Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich nichts; aber der
+echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des Vaterlandes
+seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der junge
+General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und
+Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er
+auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer
+Festung das umliegende Land beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und
+liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen und Kindern sich einrichten
+und das platte Land durchstreifen, waehrend phoenikische Kaper die
+italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte er seine Leute
+reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und bedrohte, mit
+Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige Panormos in
+naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die Roemer
+nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der
+Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine
+zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben
+Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite
+trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus
+Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte das
+Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits
+blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels
+gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein
+schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
+pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
+Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht
+wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der
+Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der
+sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die
+Roemer zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und
+seine Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war
+schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war,
+und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner
+sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener
+zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte
+gegen eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor
+ausruecken muessen. Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus
+mit der Flotte, was spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn
+unternahm.
+
+Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei
+der Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen
+sich eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch
+ohne Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg
+ein Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht
+den Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die
+Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan,
+Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern vor
+Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch
+Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so
+grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
+patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer
+den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften
+abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als
+dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine
+Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges
+zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen
+freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in
+den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die
+Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand
+dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen
+Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht,
+und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon
+und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch
+begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die
+beiden Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr.
+Man ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das
+Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt
+haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften
+Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine
+Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker
+hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die
+fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen;
+allein die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie,
+da sie von der heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln
+wollten, bei der kleinen Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht
+anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der Ausgang war keinen Augenblick
+zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und bemannt und, da die
+vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das Lager
+fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto
+vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen,
+schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden
+versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein in den Hafen von
+Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen Patrioten hatte
+Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den Frieden.
+
+Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die
+Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen
+Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen.
+Hamilkar, der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler
+vernichtet sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne
+darum weder seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe
+aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die
+See beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere
+Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen
+versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die
+roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab
+also die Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet
+des karthagischen Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der
+ueblichen Form, dass Rom sich verpflichtete, nicht mit der
+karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen Bundesgenossenschaft,
+das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und abhaengigen
+Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder in
+diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4.
+Was die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche
+Rueckgabe der roemischen Gefangenen und die Zahlung einer
+Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung des Catulus, dass
+Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer ausliefern solle,
+wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit Erfolg. Catulus
+verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den Phoenikern freien
+Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 Denaren (4
+Taler) fuer den Mann.
+
+——————————————————————————-
+
+^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das
+Gebiet der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus,
+vielleicht selbst nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt
+glaublich genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb.
+3, 27).
+
+——————————————————————————-
+
+Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert
+erschien, so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu
+sein. Es kann sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit
+dem Triumph auch den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und
+den wechselvollen Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein
+patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte,
+sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht selbst
+Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu
+solcher Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit
+dem Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne
+Zweifel unter dem Einfluss der Patrioten, die die letzte
+Schiffsruestung durchgesetzt hatten, anfaenglich die Ratifikation
+verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen wir nicht und
+vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den Frieden nur
+verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen,
+oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf
+die politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren,
+den Krieg fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht
+mehr um Frieden handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die
+Weigerung in dem ersten Sinne, so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen
+den Gewinn Siziliens verschwand jedes andere Zugestaendnis, und es war
+bei Hamilkars Entschlossenheit und erfinderischem Geist sehr gewagt,
+die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen
+die gegen den Frieden opponierende Partei in der vollstaendigen
+politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische
+Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie
+politischen Takt und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms
+Kraefte noch ausreichten, um den Zug des Regulus zu erneuern und soviel
+nachzusetzen, als erforderlich war, um nicht bloss den Mut, sondern die
+Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu brechen, ist eine andere Frage,
+welche in dem einen oder dem andern Sinn zu beantworten jetzt niemand
+wagen kann.
+
+Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer
+Kommission, die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie
+bestaetigte im wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die
+Kriegskosten von Karthago zu zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente
+(5½ Mill. Taler), davon ein Drittel gleich, der Rest in zehn
+Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung von Sizilien
+auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den
+definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine
+redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es
+Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte besetzte
+Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich von selbst,
+und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika absichtlich eine
+zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, ist ein unwuerdiger
+und unwahrscheinlicher Verdacht.
+
+So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen
+Nation stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den
+neuen Herren der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens
+vierhundert Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von
+deren Mauern alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der
+Westen hatte Frieden (513 241).
+
+Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die
+roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel
+einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer
+gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende Schlacht
+schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht geboren.
+Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, die er
+darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer
+militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt
+haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines Wechsels
+der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
+italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der
+roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich
+organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese
+hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in
+der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten
+Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die
+Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und
+Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten;
+der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen
+kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
+nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen
+der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine
+Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben
+Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen
+Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus in
+unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils
+hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde
+eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die
+Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der
+die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
+jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem
+Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu
+schaffen und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die
+wahren Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu
+vereinigen und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu
+berechnen und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch
+der taktisch weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner
+besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments
+der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern
+entschluepften?
+
+Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst
+im Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen
+Systems eine nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das
+Fehlen einer festen militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der
+Feldherren, die vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil
+half man ihnen ab durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer
+Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger
+Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine
+roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach und
+behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering
+geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die
+Seeoffiziere waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung
+Untertanen oder gar Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und
+blieb wasserscheu; unter den drei Dingen, die Cato in seinem Leben
+bereute, war das eine, dass er einmal zu Schiff gefahren sei, wo er zu
+Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil wohl in der Natur der
+Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der Ruderdienst kaum
+geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens haette man
+bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes
+hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend,
+allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl,
+sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht
+herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten
+Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah
+nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen
+in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung
+dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag
+gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die
+sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der
+Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem
+System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler
+beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der
+Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte
+belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu
+zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu
+liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von
+Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne
+Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau
+einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den
+Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand
+noch in die neue Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die
+Feldherren. Regulus’ Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in
+dem Gedanken befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles
+entscheide. Es gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie
+ihm die Erfolge in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256)
+genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal
+und keine erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat
+zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen
+Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf
+diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und
+nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich
+ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in
+seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die
+Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war
+die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem
+Bereiche ganz richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General
+tauge, war irrig geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur
+Feldherren von militaerischer Schule und militaerischem Blicke
+brauchen, und das freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel
+aerger aber war es, dass man das Oberkommando der Flotte als eine
+Dependenz des Oberbefehls der Landarmee behandelte und der erste beste
+Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, sondern auch Admiral
+spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem
+Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch weniger die
+Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale.
+
+Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren
+Gewinn, als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die
+energische Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen
+sehr deutlich die Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie
+des Friedens; und wenn Rom gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar
+auch der Gunst der Goetter und der Energie seiner Buerger, aber mehr
+als beiden den die Maengel der roemischen Kriegfuehrung noch weit
+uebertreffenden Fehlern seiner Feinde.
+
+
+
+
+KAPITEL III.
+Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen
+
+
+Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften
+Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte
+unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis
+an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende
+ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin
+ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres
+italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im
+Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits im
+Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem
+grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen
+Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena
+namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde
+in Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national
+italischen Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen
+Rechten und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr
+die augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende
+politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber
+begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen
+Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine neue
+und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche
+Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch
+und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
+niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige
+Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der
+Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und
+Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung
+der Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten
+sich mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung
+des Werkes zu erleichtern.
+
+In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als
+das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse
+fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen
+Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer uebergegangen.
+Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten zweiundzwanzig
+Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis festgehalten
+hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch gehabt;
+allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss begonnen
+hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei
+Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz
+Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das
+heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von
+Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine
+Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung,
+ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang gelassen ward, und
+dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem voelligen Sturz
+der einen oder der anderen geendigt hatte und also fuer die sizilische
+Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des Bestehens blieb. In
+dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in Panormos,
+Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein.
+Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht
+ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu
+verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete
+sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch
+diese zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In
+Afrika hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die
+Soeldner und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich
+empoert. Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die
+karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren
+seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen
+Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
+erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach
+Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er
+sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise
+abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber
+hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht
+so sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang
+und dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer
+wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem
+versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter
+den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte
+den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren
+gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen
+Distrikten; sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung
+dekretierte Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der
+fuerchterliche Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und
+kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie
+wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten
+Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago
+sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht
+anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die
+Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen
+trugen ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen;
+eine Menge karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten
+Offiziere des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten
+Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der
+Stadt ausrueckende karthagische Heer durch die Verkehrtheit des
+ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen.
+
+Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin
+groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn
+gebracht hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513
+(241) zu bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt
+wenigstens allen voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft
+damals der eigene Staat gewesen war, wie maechtig der karthagische
+damals dagestanden hatte. Die Scham verbot zwar, mit den karthagischen
+Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man gestattete den
+Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien Werbungen zu
+veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den Libyern
+zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom
+mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als
+nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den
+roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr
+wieder an die Spitze der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte,
+eine Anzahl dabei betroffener italischer Kapitaene aufgriff und
+einsteckte, verwandte sich der Senat fuer dieselben bei der
+karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch die
+Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen
+Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich
+der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert
+hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die
+Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten,
+den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche
+Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an
+dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars aufs
+aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom
+zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
+Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische
+Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die
+Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen,
+was von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238).
+Mit schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft
+die Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft
+es nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu
+machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann, dem
+Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn
+nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
+Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig
+ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider
+Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars
+Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle
+Herrschaft eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom
+karthagische Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein
+die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten
+mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber
+allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt
+haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in
+der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner
+unverhuellten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die
+Karthager, den gebotenen Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre
+zuvor auf Sardiniens Abtretung bestanden, der Krieg wuerde
+wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein jetzt, wo beide
+Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den
+vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen
+entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man
+wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem
+die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die mutwillig veranlassten
+Kriegsruestungen eine Entschaedigung von 1200 Talenten (2 Mill. Taler)
+nach Rom zu zahlen, standen die Roemer widerwillig vom Kriege ab. So
+erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man Korsika fuegte, die alte
+etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom letzten Kriege her
+einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten die Roemer,
+eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr noch
+in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den
+Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr
+man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte
+die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche
+Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst willen hatte man die
+Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. Seit sie die drei
+grossen Eilande besass, konnte die Eidgenossenschaft das Tyrrhenische
+Meer das ihrige nennen.
+
+——————————————————————-
+
+^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden
+Inseln, die der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die
+Abtretung Sardiniens nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es
+ist aber auch schlecht beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der
+Insel drei Jahre nach dem Frieden damit motivierten. Haetten sie es
+getan, so wuerden sie bloss der politischen Schamlosigkeit eine
+diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben.
+
+——————————————————————-
+
+Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das
+roemische Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach
+aus blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig
+entstanden, aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der
+tiefsten Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und
+der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen
+Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen.
+Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die
+Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern
+ihr Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische
+Regiment; wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie
+faktisch sich in das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst
+versteht, dass sie in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die
+dafuer bestehenden Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die
+Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu
+ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen Gemeinden die
+bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch
+Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische
+Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in
+Rom lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet
+wurden. Man scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die
+Karthago abgenommenen Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien
+einige Jahre durch Quaestoren unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu
+haben; allein sehr bald wusste man sich praktisch von der
+Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die ueberseeischen
+Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der roemischen
+Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der
+Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke
+stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste
+jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration in
+der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen
+ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst
+Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang
+und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber,
+gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in
+seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war.
+Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den
+Konsuln, so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder
+mehrere Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet
+und in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch
+die Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres
+Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten.
+
+Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die
+ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die
+Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien
+organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf die ausseritalischen
+Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne Ausnahme die
+Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht sich von
+selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein
+Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
+Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen.
+Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen
+Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative
+Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit
+einem unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen
+war es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf
+den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs
+scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso,
+wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht,
+in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen
+blieb nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der
+Satz, dass das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu
+Privateigentum verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -,
+sondern es behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen
+Gemeinden die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich
+nicht in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern
+provisorisch zugelassen ward. Wenn die demokratischen
+Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in jeder Stadt die Macht in
+die Haende des die staedtische Aristokratie repraesentierenden
+Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die sizilischen
+Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen Zensus
+korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides
+nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat,
+welcher mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen
+und militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der
+Tat nicht regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war
+in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche geschehen.
+
+—————————————————————————-
+
+^2 Dahin fuehren teils das Auftretender “Siculer” gegen Marcellus (Liv.
+26, 26 f.), teils die “Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden”
+(Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte
+Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden
+commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des
+concilium noch keineswegs.
+
+^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den
+Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf
+roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch
+sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer-
+oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am
+besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die
+Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner,
+wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen.
+
+———————————————————————
+
+Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen
+den italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein
+folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen
+Staedten abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu
+dem Heer oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den
+ueberseeischen Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt
+nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie
+verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen
+Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden
+konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen
+in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der
+Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des
+Wertes aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden
+Handelsartikel nach Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben
+nichts Neues. Die Abgaben, welche die karthagische Republik und der
+persische Grosskoenig sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten
+wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland war eine solche
+Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der Tyrannis und
+oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten
+laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach
+Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer
+eigene Rechnung erhoben. “Wir haben”, sagt Cicero, “die sizilischen
+Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen,
+dass sie bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten,
+und unter denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten,
+wie sie bisher ihren eigenen Herren gehorcht hatten.” Es ist billig,
+dies nicht zu vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht
+tun. Nicht fuer die Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl
+fuer ihre neuen Herren war das Aufgeben des ebenso weisen wie
+grossherzigen Grundsatzes der roemischen Staatsordnung, von den
+Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben Geldentschaedigung
+anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle Milderungen
+in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im
+einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach
+gemacht. Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner
+ein und stellte wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent
+zu der roemischen Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht
+der Eintritt in die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen
+Beguenstigungen Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass
+ihre Stellung in finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als
+die der italischen Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche
+zuerst unter den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen
+Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das
+bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu
+ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien
+griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor
+allem Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und
+jetzt bestimmt, die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer
+Politik, die abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen
+verschiedenen Rechts zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf
+Sizilien an; aber durchschnittlich standen die sizilischen und
+sardinischen Gemeinden nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem
+offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit.
+
+—————————————————————————-
+
+^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt,
+dass die Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als
+roemischer oder latinischer bedienten und “Auslaender” nur hoechstens
+unter den Leichtbewaffneten verwendeten.
+
+^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die
+merkwuerdige Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise
+gestattet blieb, sich in ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als
+roemische Aufpasser der freiesten Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa
+auch unter den ersten zu Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein
+(Diod. 1, 23 p. 501).
+
+—————————————————————————
+
+Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und
+den steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit
+dem Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich
+notwendiger Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der
+italischen Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit
+den italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst
+der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und
+Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits
+des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts
+entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische
+Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich
+ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen
+die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie
+die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem
+hellenisch zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische
+Ansiedelungen roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der
+roemischen Regierung ohne Zweifel schon jetzt fest, das barbarische
+Land zwischen Apennin und Alpen nicht bloss sich zu unterwerfen,
+sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort neue Gemeinden
+italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. Also
+wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland,
+sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben;
+dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder,
+was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues
+und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen Meere
+reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich
+geographischer Begriff mit dem politischen der italischen
+Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, teils
+enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
+Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges
+Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika
+geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie
+mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch
+vorzuschieben ^6.
+
+—————————————————————-
+
+^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder
+dem konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder
+den Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten
+Jahrhundert in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass
+gewisse Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward
+dahin ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu
+ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil.
+11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert
+hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul
+nur “auf roemischem Boden” den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544
+vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz Italien in sich
+(Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen
+und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und
+einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert
+erst Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass
+schon im sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als
+“Amtsbezirk” (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird.
+Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter
+allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen
+Oberbeamten unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen
+Konsul zunaechst durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter
+Mitwirkung des Senats festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind
+haeufig einzelne norditalische Landschaften oder auch Norditalien
+ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden.
+
+——————————————————————
+
+Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst
+vorbereitete Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit
+Karthago gegruendet worden war (510 244), war Roms Suprematie von
+vornherein entschieden. In der Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen
+muessen; in der oestlichen sorgte schon die hellenische Zwietracht
+dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig
+blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der makedonische, war
+unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die
+Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und
+kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie
+sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen
+Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie
+sich anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik,
+beweist das merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges
+mit Karthago dem Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem
+Kriege zu unterstuetzen, den er wegen Berenikes Ermordung gegen
+Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und
+bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den letztern Partei genommen
+hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den hellenistischen
+Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und
+verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten
+Ilier.
+
+Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen
+Maechte bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft,
+die im Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des
+Aratos, die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene
+Makedonierreich hielten selber einer den andern nieder; und
+ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals eher in Rom, als dass
+man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie
+allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der
+Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die
+Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein
+da die Aetoler darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst
+unverschaemte Antwort erteilten, ging das antiquarische Interesse der
+roemischen Herren doch keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg
+anzufangen, durch den sie die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit
+haben wuerden (um 515 239).
+
+Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge
+begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen
+Kueste bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden
+hatte, liessen sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer
+gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlechten
+Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig gefallen. Allein
+endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung Makedoniens, das keine
+Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der Beschirmung des
+hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten seiner
+Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen
+Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und
+Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil
+vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker,
+der bekannten “liburnischen” Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg
+gegen jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen
+Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und
+Pharos (Lesina), die wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und
+Apollonia (noerdlich von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem
+zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber
+noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros,
+setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten
+die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine
+unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die
+Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was
+sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener
+Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren griechischen
+Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte endlich sogar
+die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. Die Klagen
+der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten
+Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten
+endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
+schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem
+Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur
+Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes
+Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei
+zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich
+angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht
+beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik
+wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der
+Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder
+verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
+525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit
+einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote,
+waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres
+Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes
+fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die
+Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden
+wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes
+Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte,
+sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die
+Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
+suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten
+kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte
+nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem
+Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur
+vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische
+Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte
+sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden
+tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
+wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
+getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse
+eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und
+die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der
+Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des
+Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen
+Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach
+anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt
+und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche
+Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten
+gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im
+Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es
+auch anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen
+Adriatischen Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer
+nicht gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen
+Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne
+Zweifel, was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu
+versichern; im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand
+imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen
+Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die
+Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen
+Eidgenossenschaft, der streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt
+zweihundert Segel der Barbaren in ihre Haefen einliefen und mit einem
+Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen zukam und an der diese so
+klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich schaemte, dass die
+Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen muessen,
+so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die
+Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen
+Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen.
+
+—————————————————————-
+
+^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb.
+22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher
+von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des
+Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des
+Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in
+der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren
+Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese
+“Stellvertreter” aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus,
+der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur
+die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen
+Makedonien und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen
+dieser beiden Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet,
+der Kern des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu
+Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte.
+
+————————————————————
+
+Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu
+protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand
+traf man nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die
+Schluessel zum Hause des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen
+Gegner geschaffen, von dem, wenn er wieder zu Kraeften oder eine
+guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich erwarten liess, dass er sein
+Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der kraeftige und besonnene
+Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl er schon den
+hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre spaeter
+der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog,
+im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und
+die von den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich
+unterwarf, machte Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios’ Truppen
+fochten mit in Antigonos’ Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222).
+Allein Antigonos starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger
+Philippos, noch ein Knabe, liess es geschehen, dass der Konsul Lucius
+Aemilius Paullus den Verbuendeten Makedoniens angriff, seine Hauptstadt
+zerstoerte und ihn landfluechtig aus seinem Reiche trieb (535 219).
+
+Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war
+tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit
+Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen
+Norden dehnte zwischen dem Gebiet der Eidgenossenschaft und der
+Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch eine weite Strecke sich aus,
+die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze Italiens galt an der
+adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb Ancona.
+Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich
+gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise
+wie das eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die
+Senonen, die hier ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72
+(283/82) ausgerottet und die einzelnen Ortschaften entweder als
+Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder als Bundesstaedte, sei es
+latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen, wie Ravenna, mit
+Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna bis zu
+der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po
+behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis
+Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von
+Parma) die Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier
+stehende keltische Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert,
+begannen die Ligurer, die mit einzelnen keltischen Staemmen gemischt
+auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und Pisa an sitzend, das
+Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts vom Po hatten
+die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl illyrischer
+Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im Besitz;
+zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um
+Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und
+wohl stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand),
+dieser der bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger
+Verbindung nicht bloss mit den kleineren, in den Alpentaelern
+zerstreuten Gemeinden teils keltischer, teils anderer Abkunft, sondern
+auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die Pforten der Alpen, der
+maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare Strom, die groesste
+und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas, waren nach
+wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl
+gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach
+abhaengig und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei
+verharrten und duenngesaet in den weiten Flaechen ihre Herden- und
+Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte erwarten, dass die Roemer
+eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu bemaechtigen; um so mehr als die
+Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen in den Feldzuegen von
+471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu regen, ja was
+noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue begannen,
+diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im Jahre
+516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und
+Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner
+aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich
+waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236) lagerte ein
+Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen hatte. Die
+Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht zu
+versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu gewinnen,
+Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von
+Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des
+Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem
+Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier,
+unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr
+eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern;
+es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und
+nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen
+waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern
+in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den
+Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein
+es ward vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der
+Friede gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben
+den Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem
+dieser durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es
+die richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die
+Alpen so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen.
+Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen
+Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer
+beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
+Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste
+(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt
+gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges
+mit Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht
+das Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder
+einmal des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten
+beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten
+und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische
+Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern
+Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals
+oder vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu
+Ross oder zu Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der
+Kelten auf den Apennin zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom
+sich des Angriffs nicht versehen und nicht erwartet, dass die Kelten
+mit Vernachlaessigung der roemischen Festungen an der Ostkueste und des
+Schutzes der eigenen Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt
+vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher
+Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die
+Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass
+Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom
+Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter
+der Menge so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht
+unter ihrer Wuerde hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch
+einen noch krasseren zu bannen und zur Erfuellung des Schicksalspruchs
+einen gallischen Mann und eine gallische Frau auf dem roemischen Markt
+lebendig begraben zu lassen. Daneben traf man ernstlichere Anstalten.
+Von den beiden konsularischen Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu
+Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter Gaius Atilius
+Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei
+Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem
+zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom
+verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der
+Heimat zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer
+angewiesen, von den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier
+einzuruecken und dem Feinde auf seinen eigenen Aeckern jeden
+erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr der Etrusker und Sabiner
+sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren, bis die regulaeren
+Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine Reserve von 50000
+Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer
+sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und
+Kriegsmaterial zusammengebracht.
+
+——————————————————————-
+
+^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als “die Kelten in den Alpen und
+an der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte)
+nenne”, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich
+ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten
+genannt und erst die historische Spekulation der caesarischen und
+augustischen Zeit die Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus
+“Germanen” zu machen. Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den
+Fasten auf gleichzeitige Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle
+dies die aelteste Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch
+nicht an die spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen,
+sondern an einen keltischen Schwarm.
+
+———————————————————————
+
+Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln
+lassen, und wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten
+fanden den Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die
+reichen Ebenen des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen.
+Schon standen sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer
+von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien,
+waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung
+des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch
+der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich
+gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische
+Fussvolk ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab
+auf der Strasse gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die
+Nacht hindurch die Vorposten und folgte am andern Morgen der
+Hauptmacht. Als die tuskische Landwehr, die dicht am Feinde lagerte,
+seines Abzugs inneward, meinte sie, dass der Schwarm anfange sich zu
+verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben darauf hatten die
+Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk empfing auf
+dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet und
+aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach
+heftigem Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf
+einem Huegel Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht
+rechtzeitig das konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die
+Gallier, sich nach der Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter
+Plan, die Vereinigung der beiden roemischen Heere zu hindern und das
+schwaechere einzeln zu vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt
+schien es ihnen geraten, zunaechst die betraechtliche Beute in
+Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus
+der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste und
+marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg
+verlegt fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae
+gelandet waren und, da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren,
+sich sofort auf demselben Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in
+der entgegengesetzten Richtung in Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon
+(an der Muendung des Ombrone) trafen sie auf den Feind. Waehrend das
+roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der grossen Strasse
+vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber
+gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und
+so bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von
+ihrem Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht,
+in dem mit vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht
+umsonst hatte er sein Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus
+gewahrte das Gefecht und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er
+seine Scharen und von beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf
+das Keltenheer ein. Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die
+Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen des Papus, die alpinischen
+Taurisker und die Boier gegen das sardinische Fussvolk; das
+Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang. Die
+Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die
+verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr.
+Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den
+Geschossen der roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere
+Staehlung der roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich
+entschied der Flankenangriff der siegreichen roemischen Reiterei den
+Tag. Die keltischen Berittenen entrannen; fuer das Fussvolk, das
+zwischen dem Meere und den drei roemischen Heeren eingekeilt war, gab
+es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig Concolitanus wurden
+gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld; Aneroestus und
+sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod gegeben.
+
+Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die
+Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der
+Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand
+ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier nebst den Lingonen,
+das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war das Flachland bis zum
+Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe kostete die Eroberung
+des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in dem
+neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531
+223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am
+anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im
+Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um
+freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise
+zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der
+Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
+Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es
+sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen
+Feldzeichen, “die unbeweglichen” genannt, und mit ihrem ganzen
+Aufgebot, 50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die
+Lage dieser war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss
+(vielleicht dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche
+Gebiet und fuer den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie
+angewiesen auf die unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab
+keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf
+das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber,
+stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den
+unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu
+werden.
+
+Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur
+Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der
+roemischen Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das
+Heer schlug sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die
+strategischen Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und
+Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des
+Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer
+Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit
+war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen
+Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern
+derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im
+folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das
+ihrige einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte
+Gefecht; bei einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische
+Festung Clastidium (Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer
+versuchten, fiel der gallische Koenig Virdumarus von der Hand des
+Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer halb von den Kelten schon
+gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht
+erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der Insubrer,
+Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der
+Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig
+besiegt, und wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg
+den Unterschied zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung
+gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens
+Pforten anders gegen den Landraub zu wahren wusste als Makedonien die
+Tore Griechenlands und dass trotz allen inneren Haders Italien dem
+Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie Griechenland zerrissen
+dastand.
+
+Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po
+entweder den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und
+venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es
+bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen
+und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei nicht in
+derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in den
+entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
+ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
+namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen
+mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und
+Taeler den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch
+hier kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221)
+scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten
+Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der
+Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem
+anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die
+Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung
+rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen
+Nation nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der
+italischen Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht
+bloss ihre Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres
+natuerlichen Erbes. Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte
+schon das gesamte Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen
+Kolonisten gefuellt, die ohne kommunale Organisation in Marktflecken
+und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter,
+und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur
+nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung,
+wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse
+Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber
+Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete
+Festung Spoletium (514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534
+220) unter dem Namen der Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten
+Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlopass an die
+Kueste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum
+gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den Apennin ueberschritt
+und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig beschaeftigt,
+das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu
+bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem
+rechten Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht
+weit davon am linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern
+abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit
+vorgeschritten; schon bereitete man weitere Landanweisungen und die
+Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches Ereignis die Roemer
+in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach.
+
+
+
+
+KAPITEL IV.
+Hamilkar und Hannibal
+
+
+Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um
+einen teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien
+jetzt in den Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische
+Staatskasse, war der geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass
+man nicht bloss die Hoffnung hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung
+so nahe geschienen, die saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in
+das westliche Mittelmeer zu monopolisieren, sondern dass das ganze
+handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschliesslich
+beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens Verlust
+fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem
+phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen
+sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen
+vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit
+den Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen
+muessen, was man frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch
+hatte, Afrika, Spanien, die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte
+aus, um maechtig und wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte
+dafuer, dass wenigstens dies blieb?
+
+Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er
+forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und
+wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg
+unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago,
+wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer Gluecksfall
+dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden;
+aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden die Ratifikation
+verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche Meinung in Rom
+diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass Rom an die
+Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm
+genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
+Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer,
+dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
+fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber
+doch zu vertilgen?
+
+Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen
+Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung
+fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene
+Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um das Verlorene
+zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem Gutfinden des
+Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein wenn einem
+schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach unbestimmter
+Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, entschlosseneren,
+hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich
+fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die
+politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken
+moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse
+der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur
+Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur den
+letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab es
+auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie
+natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen und
+den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand ihre
+Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der
+Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
+diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal,
+und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge
+unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren,
+doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der
+ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
+diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen
+sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden. Nachdem
+die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle
+Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
+angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen
+Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und
+endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers
+Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes
+gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in
+der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen
+ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und
+dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man
+ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben
+heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche
+Bitte der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und
+trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den
+Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs,
+sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich
+kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika
+zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237).
+
+Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt
+sprach sie um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die
+ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an
+den Tag gekommen, ihre Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre
+Hinneigung zu den Roemern; anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens
+und die drohende Stellung, welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem
+geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der roemischen
+Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago
+unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser
+notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur
+Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an
+der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den
+Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber
+edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die Nation sich selber zu bergen,
+und grosse Naturen geniessen das Vorrecht, aus dem, worueber die Menge
+der Guten verzweifelt, Begeisterung zu schoepfen. Man nahm die neuen
+Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es blieb nichts uebrig, als
+sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten schlagend ihn
+sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer
+gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen
+Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man
+sich hinreichend ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im
+letzten Krieg weder ihren Groll vergessen noch groessere Weisheit
+gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans Naive grenzende
+Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess machten als
+dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der
+Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe.
+Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle
+dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago
+selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf
+desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von Karthago
+schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten. Zu allen
+uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die Mittel
+zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass weder
+die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum
+gewahr wurden.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet,
+sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen
+Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in
+unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind
+Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen
+die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen
+Klatsch, mit dem die “revolutionaere Verbindung” (εταιρεία τών
+πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei
+Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch
+finden.
+
+——————————————————————————
+
+So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im
+vollen Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss
+beantragt und durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende
+des libyschen Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen,
+Hanno und Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum
+Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu
+ernennen, dass er eine von den Regierungskollegien unabhaengige
+Stellung - eine verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die
+Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er nur von der
+Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden durfte
+^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der
+Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als
+Gerusiasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei
+Vertraegen neben dem Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der
+Volksversammlung daheim das Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation
+sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die Kriegspartei das Heer
+als ihre Domaene ansah und behandelte.
+
+——————————————————————-
+
+^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die
+Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom
+protestiert bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der
+Barkas zu Karthago hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen
+die Generalstaaten.
+
+——————————————————————————
+
+Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich.
+Die Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor
+kurzem erst war im Binnenland die “Stadt der hundert Tore” Theveste
+(Tebessa) von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser
+Grenzfehden, die dem neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich
+nicht von solcher Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die
+man ja in ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von
+der Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen
+koennen, waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht
+einmal erkannten.
+
+So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und
+im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder
+keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm
+ist vielleicht niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das
+Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den Staat retten; aber was
+fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr hatte unter Hamilkars
+Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht geschlagen; allein er
+wusste wohl, dass es ein anderes ist, die Kaufleute und Fabrikanten
+einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt, einmal zum Kampf
+hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu bilden. Die
+karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, aber
+in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse
+vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige
+libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus
+den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie
+Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten
+puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die
+karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren
+Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere,
+hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich selber
+ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte
+Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war
+nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die
+unversoehnliche und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und
+geduldig harrende Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich
+stuetzen, und mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die
+Masse war tief verdorben und durch das unselige Korruptionssystem
+gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug
+wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall
+selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar
+fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren
+durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde
+dauernd sich sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch
+regelmaessige Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter
+Laune zu erhalten. So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die
+Erlaubnis, sie zu retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem
+Uebermut der Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten
+durch Demut und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist
+abzudingen; genoetigt, den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich
+die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu
+bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden
+zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von innen, auf die
+Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich beide
+taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und
+Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das
+Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu
+ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch ein junger Mann, wenig
+hinaus ueber die Dreissig; aber er schien zu ahnen, als er sich
+anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht vergoennt sein werde, das
+Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfuellung anders als
+von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal hiess er, da
+er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen
+Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne
+Hasdrubal und Mago, die “Loewenbrut”, wie er sie nannte, im Feldlager
+auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses.
+
+Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung
+des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er
+schien einen Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen;
+sein Heer, das besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin,
+neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen
+Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei bei den Saeulen des Herkules
+ueber das Meer gegangen und in Spanien gelandet, wo er Krieg fuehre mit
+den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts zuleide getan und ohne
+Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen Behoerden. Sie
+konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen
+Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal
+aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu
+Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher
+unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in
+Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten
+Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in Spanien die noch
+frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie trotz allem Poenerhass
+den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben Hamilkar Barkas genannt
+zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im allgemeinen
+noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den neun
+letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist,
+bis er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend
+den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen
+begannen, und was alsdann waehrend der naechsten acht Jahre (527-534
+227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene, sein Tochtermann
+Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des Meisters weiter
+geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den Handel, die nebst
+dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der spanischen Kueste
+allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte, ward ein
+karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst
+begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt.
+Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden
+phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an
+dem einzigen guten Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena)
+von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders praechtiger “Koenigsburg”;
+der Ackerbau bluehte auf und mehr noch die Grubenwirtschaft in den
+gluecklich aufgefundenen Silberminen von Cartagena, die ein Jahrhundert
+spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill. Sesterzen) jaehrlich eintrugen.
+Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden abhaengig von Karthago und
+zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die Haeuptlinge auf alle
+Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische Interesse zu
+ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine Fabriken
+eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht
+bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und
+fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte
+zugleich die Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden
+regelmaessige Aushebungen statt; die Kriegsgefangenen wurden
+untergesteckt in die karthagischen Korps; von den abhaengigen Gemeinden
+kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man begehrte. In dem langen
+Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat und als Ersatz
+fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte
+Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den
+tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen
+Reiterei ein brauchbares Fussvolk.
+
+Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft
+regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer
+sie noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in
+Sizilien und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das
+spanische Heer mit seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen
+bald so populaer, dass es sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum
+Beispiel nach Hamilkars Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer
+Truppen nach Spanien durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder
+uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen musste, unter sich und
+gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere und den Poebel
+zu schelten.
+
+Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten
+ernstlich eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste
+Ursache der Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre
+Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche
+sicher auch die Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur
+Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch
+moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen,
+mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um Erkundigungen
+an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien
+entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die
+roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im
+Senat unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von
+Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den
+Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt
+einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion
+Italiens von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die
+ganze Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass
+unter der Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht
+sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein,
+ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen
+Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde
+aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu
+beschleunigen; und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche
+Parteidenunziationen mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich
+allerdings musste die unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung
+der karthagischen Macht in Spanien die Aufmerksamkeit und die
+Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr denn auch in den letzten
+Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat Schranken zu setzen
+versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres jungen
+Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
+halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder
+Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis,
+und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis
+setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu
+ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um
+einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn,
+der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils
+um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich zu
+werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien
+Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
+seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall,
+dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte.
+Fuer den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen
+Unvermeidlichkeit der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von
+den spanischen Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man
+genoetigt werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und
+dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde,
+als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen,
+wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht
+anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu
+beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu
+kamen in den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die
+Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von
+dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm
+gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings
+zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des
+Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit
+den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung
+bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
+benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs
+neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
+Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
+Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
+versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die
+spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar.
+Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber
+ebensowenig laesst sich leugnen, dass der roemische Senat diese
+Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie
+seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch
+viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst
+mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als
+durch eine grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin
+ihr vielmehr die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft
+ueberlegen gewesen sind.
+
+So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel
+zum Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer
+und eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der
+rechte Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte
+der Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter
+einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war nicht
+mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger
+Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht
+gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der
+Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir
+nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von
+Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des
+spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den
+Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals
+im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt.
+Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande
+fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus,
+die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
+Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager
+gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter
+Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und
+einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn
+nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu
+entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die
+Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er,
+wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten
+Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache
+selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer
+seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
+tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte
+er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und
+durch glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent
+sich ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General,
+die Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun
+ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben.
+Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben
+auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den
+Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste
+er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein
+Feldherr, dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl
+suchen zu haben. Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine
+Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und grosse Bild nicht
+zu trueben vermocht. Von schlechten Erfindungen, die sich selber
+richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld seiner
+Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des
+Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber
+ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach
+dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie
+alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer Besonnenheit und
+Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu vereinigen
+verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische
+Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters
+bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und
+Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der
+Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage
+ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er
+von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man
+haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes
+auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der
+Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen
+Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der
+karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss
+bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der
+oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass,
+beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und
+vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn
+gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm
+die Blicke aller.
+
+Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den
+Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland
+noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der
+Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen,
+wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie es ihnen
+bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald
+marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
+gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als
+Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des
+patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen
+als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des
+Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der
+Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars Plaene
+beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint, den
+unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf
+Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal
+scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit
+gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die
+Saguntiner zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in
+Rom Klage zu fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission
+erschien, nun diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu
+treiben; allein die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie
+schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim
+zu berichten, dass Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der
+Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem
+Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal
+ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die Gruendung
+der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den
+Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom
+sich an, im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag
+war kostbar; Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach
+Karthago, dass die Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten,
+zu nahe traeten und er sie darum angreifen muesse; und ohne die Antwort
+abzuwarten, begann er im Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom
+verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago
+dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den
+Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle “angesehenen
+Maenner”, heisst es, missbilligten den “ohne Auftrag” geschehenen
+Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von Auslieferung des
+dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die naehere
+Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass
+man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan,
+zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein
+bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu
+nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch
+fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte
+sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen
+Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend
+der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden illyrischen
+Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der See und
+geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und nicht
+gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere
+Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
+erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte,
+ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon
+bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede
+Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine
+roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des
+Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als der
+roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die
+Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er
+darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da
+ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen
+lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm man
+ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
+Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den
+Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena,
+um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von
+Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den
+Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz
+der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner
+Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd;
+ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker
+ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit
+Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
+karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser
+einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst
+ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue
+der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen
+ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen
+Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen
+phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische
+Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden.
+Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition
+bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der
+Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an
+die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000
+Mann zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der
+Elefanten, ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und
+das Regiment uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das
+unmittelbar karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach
+besetzt, da die Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso
+genuegte in Spanien, wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit
+veranstalten liessen, fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten,
+waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich
+afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die
+Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien
+und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und
+Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die
+Treue der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten
+Geiseln der spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb
+ihrer Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend
+nach Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach
+Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was
+den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
+Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste
+segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich sich
+wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von
+Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit
+der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das
+ohne Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein
+entscheidender Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf
+Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem
+letzteren begann, so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von
+vornherein entweder auf ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum
+Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung beschraenken - die
+Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht
+aber der Sieg die gleiche Frucht.
+
+Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die
+Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug
+nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische
+Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren
+Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und
+eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das
+Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der
+italischen Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie
+zu ganz anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss
+des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das
+Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde;
+zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen
+Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt.
+Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer
+Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
+ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf
+gaerenden Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer
+Existenz bedroht, um die eben jetzt sich die ersten Ringe der
+roemischen Festungs- und Chausseenkette legten, mussten in dem
+phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen
+zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als
+Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche
+Vertraege mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich
+anheischig machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden,
+ihnen gute Aufnahme bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs
+auszuwirken und gegen die Roemer sich zu erheben, sowie das
+karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend
+fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch den
+Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte,
+stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der
+das roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von
+den Roemern vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am
+makedonischen Hof, und dieser hatte den Roemern die begehrte
+Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die Heere vom
+Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
+gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies
+alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet
+gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer
+grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.
+
+Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den
+Vorzug gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund
+mit Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und
+hat die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese
+Frage genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es
+ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen.
+Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten
+und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des
+Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein,
+lieber die unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier
+und Insubrer anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete
+Heer noch die Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er
+genau wissen, wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua
+darbietet als die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er
+einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme
+die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und Erretter des
+Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten.
+
+So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit
+dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann
+zu Fuss und 12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein
+Drittel Spanier - die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt
+sein, den Galliern zu imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals
+Fussvolk war nicht mehr wie das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt,
+sich hinter einen Vorhang von Elefanten zu verbergen, und der Feldherr
+einsichtig genug, um dieser zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die
+Niederlage des eigenen wie die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt
+hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere
+brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena auf gegen den Ebro.
+Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den Kelten
+angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges
+liess er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen
+militaerischen Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren
+Blick und die sichere Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen
+ihm in die unbekannte Weite folgte; und die feurige Rede, in der er die
+Lage des Vaterlandes und die Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte,
+die gewisse Knechtung der teuren Heimat, das schmachvolle Ansinnen der
+Auslieferung des geliebten Feldherrn und seines Stabes, entflammte den
+Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen aller.
+
+Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in
+festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man
+wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht
+noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit
+den Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene
+offen. Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen,
+wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das
+nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede
+ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos
+Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren.
+Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn
+hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die
+Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt
+haben; ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun
+begann der Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen
+lassen; und im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer
+Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten
+Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer
+Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und
+verhaeltnismaessig minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein
+Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der
+roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen
+Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte keiner der von diesem Kriege
+beruehrten Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die
+natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden Uebermacht
+ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg
+eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere
+Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige
+Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht
+die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem
+Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu
+Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor allen Dingen ein
+roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel; allein man
+versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht
+Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte
+Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das
+Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften
+nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern
+auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen
+schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu
+Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande;
+wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen Kriegserklaerung die
+Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, konnte Hannibal den
+roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.
+
+Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte
+fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul
+Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich
+Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur
+Einschiffung bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die
+spanische Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den
+heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward
+er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war
+als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee
+in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass
+durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal
+aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die
+Zoegerung selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere
+selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218)
+nicht geahnt haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in
+Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein
+spanisches “Koenigreich” aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach
+Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die
+Unterwerfung Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das
+er zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den
+Pyrenaeen zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches
+Heer ihm den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht
+begnuegt haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die
+Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um
+einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die
+Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische
+Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab.
+
+An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen
+in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den
+Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem
+Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von denen sei, von
+welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und
+9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg ohne
+Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber Narbonne
+und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils die
+frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils
+die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon
+gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher
+Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach
+Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet
+worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro,
+sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche
+zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert
+zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition
+vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
+keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
+Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an
+der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den
+Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand
+gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der
+keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von
+22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier
+Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen
+Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit
+der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
+bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass
+nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den
+zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem
+Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten
+Baeumen gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an
+einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine
+starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen
+stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon
+gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier
+ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den
+Fluss, um dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu
+fassen, die dem Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des
+fuenften Tages nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos
+Abmarsch, stiegen die Rauchsignale der entsandten Abteilung am
+gegenueberliegenden Ufer auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete
+Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier, sehend, dass die
+feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen eilten,
+loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht
+und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem
+Uebergang zu wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht.
+
+Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die
+geeignete Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal
+durch die dringenden Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch
+bestimmen. Er traute ihren Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine
+schwache roemische Reiterabteilung zur Rekognoszierung auf dem linken
+Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits die gesamte feindliche Armee
+auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die allein noch am
+rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem sie in
+der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu
+koennen, einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht
+geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem
+Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um
+im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf
+mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als er dort eintraf,
+war selbst die zur Deckung des Uebergangs der Elefanten
+zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen
+abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten
+Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die “feige
+Flucht” des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal
+durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
+Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten
+Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne
+irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer
+einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel,
+den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal
+diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern,
+dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste
+Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen
+war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die
+schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort
+dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss
+verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es
+fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei
+es die militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den
+Umstaenden gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter
+seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger
+Mannschaft zurueck nach Pisae.
+
+Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
+Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt
+und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch
+den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen
+ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben
+er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die
+Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit
+Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste er
+einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die
+Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende
+Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen
+konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel
+auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das
+immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch
+notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem
+Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn
+sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde,
+fuehrten in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte
+Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in
+das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
+der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach
+Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an,
+wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und
+unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen
+Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen
+mindestens sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat
+erst Pompeius hier angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen
+gallischen Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen.
+
+————————————————————————-
+
+^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine
+Heerstrasse geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber
+die Poeninische Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch
+erst durch Caesar und Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich
+hier nicht in Betracht.
+
+————————————————————————-
+
+Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein
+nachdem er die erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand
+ueberstiegen hat, haelt er sich in dem Tale der oberen Isère, das von
+Grenoble ueber Chambéry bis hart an den Fuss des Kleinen St. Bernhard,
+das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht und unter allen
+Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist. Es ist
+ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen
+Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste;
+obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch
+im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen.
+Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den
+aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das
+italische Land gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der Tat
+keine Wahl; es war ein glueckliches Zusammentreffen, aber kein
+bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm verbuendeten keltischen
+Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard wohnten, waehrend
+ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet der Tauriner
+gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in Fehde
+lagen.
+
+So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf
+gegen das Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf
+dem naechsten Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von
+Valence nach Grenoble, sondern durch die “Insel” der Allobrogen, die
+reiche und damals schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und
+westlich von der Rhone, suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen
+umfasst wird. Es geschah dies wieder deshalb, weil die naechste Strasse
+durch ein unwegsames und armes Bergland gefuehrt haette, waehrend die
+Insel eben und aeusserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand
+sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch an der Rhone in und
+quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in sechzehn
+Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst
+wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei
+allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der
+bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass derselbe den Karthagern
+nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern auch ihnen
+die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit Waffen, Kleidung und
+Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste Alpenkette,
+die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger
+gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt,
+waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte
+den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen
+Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang
+die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf
+er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf
+dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget
+hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die
+Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die
+marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das
+in Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als
+Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben herab auf die
+Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust
+den Berg hinuntergejagt, allein die Verwirrung, besonders in dem Train,
+ward noch erhoeht durch den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust
+in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt,
+um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen
+Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach
+einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee an der
+Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund
+durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am
+vierten Tage eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige
+Tarantaise), wo allmaehlich das Tal sich verengt, hatte man wiederum
+mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu sein. Die Ceutronen empfingen das
+Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) mit Zweigen und Kraenzen,
+stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie durch Freundesland
+zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar am Fuss
+der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch
+ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem
+Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der
+Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links
+den Pass einschliessenden Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und
+das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal, dessen sicherer Takt in all
+jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts gesehen hatte als die
+Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche Beute zu
+gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die
+Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten
+Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er
+nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des
+Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder herabgerollte Steine
+sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem “weissen Stein” (noch
+jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des Bernhard einzeln
+stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden Kreidefels,
+lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die ganze Nacht
+hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu decken, und
+erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am
+folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die
+sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung
+von etwa 2½ Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die
+Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu
+bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende
+gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen
+des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die
+hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der
+Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch
+erscheinende Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen
+Veteranen zu wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich
+immer gleich; zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die
+befreundeten Gallier waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem
+Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet;
+nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und
+schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward
+das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte
+Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem
+Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner
+bereitet hatten. Auf dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der
+Doria, wo der frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben
+hatte, verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die
+Abgruende; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an
+eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil
+darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen
+und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk
+kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
+Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees
+sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und
+den Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das
+Lager. Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen
+den Weg fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren
+dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten
+endlich die halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war
+nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach
+einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und
+fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die
+Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten
+und ihre Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des
+September in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den
+Doerfern einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine
+vierzehntaegige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen.
+Haetten die Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten
+und kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort
+erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan;
+zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten,
+und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so
+sehr bedurften ^4.
+
+—————————————————————-
+
+^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
+Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als
+geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren
+Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls
+Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen
+stehen.
+
+Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, “fingen die Spitzen
+schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken” (Polyb. 3, 54); auf dem
+Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht
+frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem
+Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September;
+als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden
+sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die
+Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September
+auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass er
+dort eintraf, “als schon der Winter herannahte” - denn mehr ist
+ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der
+Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C. L.
+Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241.
+
+Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so
+ist auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen
+Ende Dezember (περί χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen
+Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten
+Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in
+einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν (Polyb. 3, 34), also gegen
+Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch
+fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also
+Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
+der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August
+eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers
+(Polyb. 3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs
+sich sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere
+Zeit gesessen haben muss.
+
+——————————————————————
+
+Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss,
+den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
+Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der
+Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal
+zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss -
+davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil
+wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust
+nicht minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht
+wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese
+ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33
+maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen
+besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
+nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler
+des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer
+kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie
+einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist
+eine militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in
+Frage gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete.
+Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn
+knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten
+Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war,
+sie vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes
+Barbarenland -, und ob ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse
+einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschiffen, ihn
+geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde. Die umsichtige und
+meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf jeden Fall
+bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr durch
+die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des
+Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom
+aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen
+Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und
+grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat auch der sichere
+Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der grossen Kette von
+vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die Alpen, stets mit
+groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am Trasimenischen See
+und auf der Ebene von Cannae.
+
+
+
+
+KAPITEL V.
+Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae
+
+
+Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war
+mit einem Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische
+Kriegsplan gesprengt. Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die
+eine in Spanien gelandet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie
+zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich. Die zweite, die unter dem
+Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach Afrika bestimmt war,
+stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische Zauderei bewies
+sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach Italien
+und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm
+zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den
+syrakusanischen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich
+versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor
+diesem Hafen den kuerzeren gezogen. Doch war das Verweilen der
+feindlichen Geschwader in den italischen Gewaessern so unbequem, dass
+der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika ueberfuhr, die kleinen
+Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien operierende
+karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und dem
+Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen
+Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die
+brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines
+geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der
+Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie
+moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte
+noch in Lilybaeon.
+
+Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an
+Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal
+verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht
+gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter den
+Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen
+Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia
+und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die
+Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon
+im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die
+Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen.
+Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
+ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor
+Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig
+mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu
+entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem
+Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen
+und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine
+zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer
+und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer den
+Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
+einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte,
+Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache,
+dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand.
+Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine
+20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu
+halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren
+Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul Publius
+Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und
+vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen
+allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
+Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer
+Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die
+Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger
+Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden
+im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor
+Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg
+trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend
+geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen
+der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende
+keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
+ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen,
+waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts
+marschierte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene
+zwischen dem Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische
+Reiterei, die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten
+Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke
+ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in Person.
+Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes
+an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter
+aufgestellt war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei
+aus und waehrend diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte,
+nahm die leichte numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten
+Scharen des feindlichen Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die
+roemischen Reiter in die Flanken und den Ruecken. Dies entschied das
+Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr betraechtlich; der Konsul
+selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr gefehlt hatte,
+empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur der
+Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde
+hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater
+heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke
+des Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer
+schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss
+aufzustellen und entschloss sich, unter den Augen des Gegners auf das
+rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die Operationen sich auf einen
+engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der roemischen
+Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes
+militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit
+verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick
+paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht bereit
+machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher
+ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte
+Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei
+freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
+Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes
+konnte, da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es
+diesem nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf
+einer Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten
+Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene
+vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer
+keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue
+ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu
+raeumen und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was
+ohne namhaften Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden
+numidischen Reiter mit dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen
+Lagers die Zeit verdarben. In dieser starken Stellung, den linken
+Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den Po und die Festung
+Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit nicht
+unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von
+Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche
+Armee abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast
+aller gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen
+nicht abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und
+derselbe genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen;
+ferner hinderte die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung
+der insubrischen Grenzen durch die Cenomanen die Hauptmasse der
+gallischen Insurgenten, sich unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und
+gab dem zweiten roemischen Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in
+Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten durch das insurgierte
+Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen und mit der
+Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe
+vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an
+40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen,
+doch an Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu
+bleiben, wo es stand, um den Feind entweder zu noetigen, in der
+winterlichen Jahreszeit den Flussuebergang und den Angriff auf das
+roemische Lager zu versuchen oder sein Vorruecken einzustellen und den
+Wankelmut der Gallier durch die laestigen Winterquartiere auf die Probe
+zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war es nicht minder
+unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem Verfahren
+zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius
+Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein
+fuehrte und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte
+den Mann und versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den
+Roemern treugebliebenen keltischen Doerfer wurden grausam verheert und
+als darueber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete Hannibal den
+Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. Bald darauf, an einem rauhen
+regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, zu der
+Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten
+Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese
+wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die
+hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen.
+Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand sich auf dem
+von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten
+Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros der Armee
+schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und durchnaesst
+kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; die
+Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die
+leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen
+das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei
+sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die
+Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und die weit
+zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts ueberfluegelten.
+Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines Namens wert; es focht zu
+Anfang der Schlacht mit der entschiedensten Ueberlegenheit gegen die
+feindliche Infanterie, und selbst als die Zurueckdraengung der
+roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den Leichtbewaffneten
+gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu kehren, stand
+dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu
+bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar,
+1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago,
+Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der
+roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die
+Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen Zentrums
+wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. Das erste
+Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng zusammenschliessend,
+die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde sich
+seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den
+gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe
+gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse
+ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten,
+von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht;
+nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des Fussvolks
+vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die
+Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls Placentia
+^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre als
+diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
+gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht
+vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
+Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen
+sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg
+teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf
+die keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den
+infolge des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine
+Menge von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf
+einen einzigen.
+
+—————————————————————-
+
+^1 Polybios’ Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen
+klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung
+in den Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert
+ward, waehrend das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was
+beides wohl bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar
+ist -, so mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um
+Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein
+bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile
+der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg
+bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss
+ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia
+bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps
+mehrere Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer
+roemischen Festung angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich
+nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte
+und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der placentinischen Garnison
+besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die erste Passage ebenso
+schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, Militaer wie er
+war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, dass es
+in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6),
+ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken.
+
+Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische
+Lager auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia
+verlegt, ist neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch
+daran erinnert werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen
+Casteggio jetzt durch Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen
+5117).
+
+—————————————————————
+
+Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die
+nationale Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob
+und organisierte. Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in
+die Festungen Placentia und Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der
+Heimat, mussten sie ihre Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur
+wie durch ein Wunder entging der Konsul Tiberius Sempronius der
+Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen
+nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in der rauben
+Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte,
+bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein
+ernstlicher Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt
+haben wuerde, durch Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und
+andere kleinere roemische Positionen den Feind zu necken.
+Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den gallischen Aufstand zu
+organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 Berittene sollen von
+den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.
+
+Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine
+ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und
+nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch
+keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die
+nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach
+Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius
+und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die vier
+Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
+verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb
+an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und
+von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum
+endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier
+zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser,
+wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um in
+der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive
+uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich
+die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das
+Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer
+selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der
+Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der
+Trebia; er wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms,
+von dem zaehen roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch
+Ueberraschung zu erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche
+Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich
+ihm, dem von daheim nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung
+zukam und der in Italien zunaechst nur auf das schwankende und
+latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische
+Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen
+Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe
+der phoenikische Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte
+die Defensive Scipios und der glaenzende Rueckzug der geschlagenen
+Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. Aus dieser Einsicht
+flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals ganze Handlungsweise in
+Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel des
+Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu
+fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen
+Erfolgen, sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung
+und der endlichen Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu
+erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das einzige, was Hannibal
+gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu werfen hatte, sein
+militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins Gewicht fiel, wenn er
+seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen deroutierte, und er
+verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel war das von
+der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige
+Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale
+ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer
+den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen
+Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie
+hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine
+bewundertsten Schlachten.
+
+Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn
+nicht bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine
+neugewonnene Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess
+und den Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er
+alle Gefangenen sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit
+Sklavenfesseln belasten - dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die
+ihm hier und sonst in die Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist
+ohne Zweifel mindestens stark uebertrieben; dagegen wurden die
+saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um
+daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre,
+sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte
+Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den
+Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher.
+In der Tat bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um
+sich einen Weg durch die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen.
+Gaius Flaminius mit der etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei
+Arezzo, um von hier aus zur Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse
+etwa nach Lucca abzuruecken, sowie es die Jahreszeit erlaubte. Allein
+Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang ward in moeglichst
+westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse
+Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen
+dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die
+Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu
+marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen
+trockenen Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und
+die gefallenen Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich,
+namentlich das gallische Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den
+schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte laut und waere ohne
+Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die karthagische Reiterei
+unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht unmoeglich gemacht
+haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen
+haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal selbst
+verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward
+erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch
+bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren.
+Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der
+Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu
+verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen
+Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, bis das zweite, nun
+bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer herankam. Indes er
+selber urteilte anders. Er war ein politischer Parteifuehrer, durch
+seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu beschraenken, in die Hoehe
+gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner Konsulate gesponnenen
+aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, durch die wohl
+gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian
+fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte,
+berauscht zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso
+sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit
+der fixen Idee behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein
+Feldzug gegen die Insubrer von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler
+nur bewies, dass tuechtige Soldaten oefters gutmachen, was schlechte
+Generale verderben, galt ihm und seinen Anhaengern als der
+unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius Flaminius an die Spitze
+des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein schnelles Ende zu
+bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat verschafft, und
+solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von unbewaffneten
+Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der
+Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier
+ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit
+entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess durch
+die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die zahlreiche
+Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen und die
+Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter den
+Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen des
+Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, vor
+der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen solchen
+Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
+unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
+ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch
+des Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal
+gegen Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo
+Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit
+gehabt hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen
+zwei steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang
+der Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte
+er den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden
+Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen
+in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die
+Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
+Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich
+schloss die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des
+Passes und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden
+Nebel ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur
+eine Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von
+den Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast
+ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst,
+in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen
+Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche
+Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der
+Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer,
+marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf
+einem Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen
+Reiterkorps umzingelt und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug
+versprach, von Hannibal verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen
+behandelt. 15000 Roemer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das
+heisst das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500
+Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht
+genug, so ward gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die
+Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann
+stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig
+seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer
+umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
+verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort
+machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken
+ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern
+instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein
+Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt
+der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall
+einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.
+
+———————————————————————-
+
+^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender,
+muss nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius
+seine Diktatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22,
+31, 7; 32, 1) niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die
+Kalenderverwirrung war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.
+
+————————————————————————
+
+Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf
+Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr,
+seine Armee mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt
+unversehrt erhalten und vielleicht den Gegner sich gegenueber
+festgehalten haben wuerde. Es geschah wieder einmal etwas ganz
+Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren Ueberrumpelung
+fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte entsetzlich
+das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und
+machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde
+in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht
+verwunden; hier hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend
+und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein
+libysches Fussvolk in roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die
+Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier
+aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen Verbindungen mit der
+Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine Siegesbotschaften nach
+Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich
+wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war,
+brach er auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das
+suedliche Italien hinein.
+
+Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der
+Infanterie sich jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig
+eines Angriffs auf die Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm
+mindestens vier Wochen ungestoerter Musse zur Verwirklichung des
+beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des feindlichen Landes
+mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein
+militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu
+machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen
+gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft
+nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die
+Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise
+mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten
+an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer
+Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und
+mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine
+Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische
+Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer
+viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie
+unvorsichtig es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine
+solche Probe zu stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt.
+Der Diktator Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten
+Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an
+der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten
+sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr
+Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war
+ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die
+nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger
+Verehrer der guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und
+des Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst
+Opfern und Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer
+Gegner des Gaius Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen
+toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze der Geschaefte gerufen, ging er
+ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, um jeden Preis eine
+Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden Preis eine
+solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten
+Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange
+das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht
+schwer halten werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche
+Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern.
+Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen in Rom und im roemischen Heer,
+erfuhr den Stand der Dinge sofort und richtete wie immer seinen
+Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des feindlichen Anfuehrers.
+An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den Apennin in das
+Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an der
+Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua,
+das als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen
+Staedten und die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck
+des roemischen Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er
+hatte dort Verbindungen angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom
+roemischen Buendnis hoffen liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm
+fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend schlug er die Strasse nach
+Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses ganzen Zuges der
+karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte seine Soldaten zu
+der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand zuzusehen,
+wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen
+pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen.
+Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich
+herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den
+Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem
+heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des Volturnus diese Stadt
+stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden Hoehen mit seiner
+Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 Mann auf der am
+Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein Hannibal hiess
+seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der Strasse
+sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit
+angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es
+schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei
+Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich
+umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend,
+zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch
+freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab,
+ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und
+mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
+und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
+nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
+Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner
+ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute
+und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die
+Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen
+Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend,
+dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen
+Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den
+Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde
+einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische
+Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner
+ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er
+hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich
+von Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel
+des Heeres taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden,
+waehrend Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die
+ausgesendeten Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus
+Minucius, der im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den
+Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um
+naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen
+Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die
+Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres
+hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen
+gegen einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst
+bestanden, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte
+und sie noetigte, sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht
+von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht
+verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los.
+Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war, sich
+roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem
+Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es
+doch ein seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem
+Feind gestattete, unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen
+Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu verwuesten und durch eine
+geordnete Fouragierung im groessten Massstab sich fuer den Winter
+hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius Scipio, als er im
+Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, und der
+Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine
+Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff
+gab. Es war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht
+wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die
+Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat; allein wie lange
+konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich
+unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer eigenen Kontingente
+auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische Heer anlangte, so
+konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser Kriegfuehrung
+noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen Legionen von
+Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls
+dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten
+Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig
+ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, “Hannibals Lakai”, ihm zuwies,
+und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es
+kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den
+eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der
+gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten sich des Haders -
+wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator tatsaechlich vom
+Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium der
+konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen Soldaten
+und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
+sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war,
+in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu
+beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen
+bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die
+roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei
+abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht
+bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften
+Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte
+Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei
+seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen
+Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt
+und mit geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn
+nicht hier sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines
+frischen Korps groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte
+Wendung der Dinge gab dem System des passiven Widerstandes
+gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in diesem
+Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden
+konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der
+stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine
+Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im
+wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei
+Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht der Zauderer
+hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner Eidgenossenschaft
+und vielleicht nicht minder der Nationalhass der Okzidentalen gegen den
+phoenikischen Mann.
+
+————————————————————————
+
+^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei
+Gerunium dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei
+sacrom M. Minuci(us) C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei
+S. Lorenzo aufgefunden worden.
+
+————————————————————————
+
+Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht
+als die roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron
+von Syrakus und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten
+Feldzug anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die
+uebrigen italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer
+stellten -, wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen
+zeigte man an, dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des
+Tributs; ja man beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die
+Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war
+trotz der Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem
+Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von
+dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden
+Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner
+energischeren Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht
+mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man eine halbe Massregel
+getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. Diesen Fehler
+beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie Rom noch
+keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel ueber die
+Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl Bundesgenossen,
+genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken. Ausserdem
+ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal
+bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der
+Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur
+darauf an, auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das
+starre Auftreten des Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden
+demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und ueberhaupt den Senat
+unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl nicht ohne Schuld
+seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den Krieg
+absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
+Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
+angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst
+recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner
+Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219)
+den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure
+Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der
+Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur durch
+seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als
+Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war,
+und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine
+rohe Unverschaemtheit.
+
+Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen
+wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die
+Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach
+Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich
+nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an
+Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das Kastell von Cannae
+(zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische Ebene beherrschte
+und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient hatte. Die roemische
+Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des Herbstes
+verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus
+Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln
+kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden
+gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es
+immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht
+zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch
+die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des
+Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen und dem
+entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten, stieg
+die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb
+Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei
+Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000
+Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte
+nichts mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher
+eroerterten Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite
+apulische Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner
+Reiterei zu entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen
+Armee, hart an dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen
+gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald
+ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen
+Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen
+und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die
+einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten
+daher, zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um
+ihn zum Abzug und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder
+guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten
+Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses
+auf, so dass die Hauptmacht am linken Ufer zu stehen kam, ein starkes
+Korps aber am rechten unmittelbar dem Feind gegenueber Stellung nahm,
+um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht auch Cannae zu bedrohen.
+Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu kommen,
+ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem
+linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem
+demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es
+war so viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu
+stehen, sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den
+Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben fand. Nach der alten
+toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die entscheidende Stimme
+im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um Tag; man musste also am
+folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der Gasse seinen Willen
+tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der ueberlegenen
+Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch er
+nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen
+Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den
+karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses ernstlich
+bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 Mann blieb
+in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das karthagische
+waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen Heere den
+Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der roemischen Armee
+ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem
+unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser
+Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich
+hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager
+westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee folgte
+und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte roemische wie
+der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische Reiterei
+stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem rechten
+am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische auf
+dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen stand
+das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl des
+Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
+Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die
+keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die
+vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten
+die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die
+gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach
+der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem
+Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im
+Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
+Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier
+ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die
+Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
+vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren
+Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck
+sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel
+der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen
+regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und
+diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen
+Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt
+und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
+Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu
+teilen. Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche
+Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine
+Angriffskolonne verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche
+Zentrum. In dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links
+einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen
+und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die
+Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken
+kam und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse
+nun gar nicht mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte
+Hasdrubal, nachdem er mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine
+Reiter aufs neue gesammelt und geordnet und sie hinter dem feindlichen
+Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen
+italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend beschaeftigt,
+stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, die
+Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum
+drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den
+Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht
+moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein
+Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit so geringem Verlust des
+Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet worden wie das roemische
+bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei
+Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoss der Legionen traf.
+Dagegen von den 76000 Roemern, die in der Schlachtlinie gestanden
+hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul Lucius Paullus, der
+Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der Stabsoffiziere, achtzig
+Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus Varro rettete sein
+rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er ertrug es
+zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark,
+ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus
+diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als
+sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel
+noch vor Ablauf desselben die nach Gallien gesandte Legion in einen
+Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das
+naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern gaenzlich vernichtet.
+
+Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische
+Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen
+war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein
+in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in
+seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des Westens und
+Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen Stadt den
+Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die
+gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das
+kuehne und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn
+Gnaeus Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone
+war dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste
+zwischen den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch
+des Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537
+217) die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen,
+hatte, nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals,
+mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro
+ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar hatte
+Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika
+Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders
+gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen
+verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn
+vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae
+siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche
+andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt; diese
+beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
+zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von
+Spanien aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu
+erwarten.
+
+Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so
+viel geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader
+bedrohten die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten
+Afrika vor einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren
+Beistand verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu
+finden sei, und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die
+langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege,
+vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer
+die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des
+Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich
+leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen
+an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae
+selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische
+Senat beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld
+und Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000
+numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in
+Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben.
+
+Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien
+war anfangs durch Antigonos’ ploetzlichen Tod, dann durch seines
+Nachfolgers Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner
+hellenischen Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537
+220-217) verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen
+Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem
+Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie
+massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt
+schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es,
+eine Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm
+die Rueckgabe der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward.
+
+In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit
+es mit Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik
+eingehalten, und auch den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen
+nach dem Frieden mit Rom namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig
+erwiesen. Es ist kein Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen
+Karthago und Rom hoechst ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er
+nicht, und als er eintrat, hielt er mit wohlberechneter Treue fest an
+Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann
+nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger
+des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich
+mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
+machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische
+Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel
+vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess
+mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen,
+die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei
+Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln
+postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf
+einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung
+nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen
+Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden
+musste.
+
+Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude
+der roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es
+die Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden
+hatte. Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in
+Messapien, zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und
+Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der
+Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der
+Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner
+groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter;
+die Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und
+vornehmlich Capua, die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss
+und 4000 Berittene ins Feld zu stellen vermochte und deren Uebertritt
+den der Nachbarstaedte Atella und Calatia entschied. Freilich
+widersetzte sich die vielfach an das roemische Interesse gefesselte
+Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem Parteiwechsel sehr
+ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die hierueber
+entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von diesen
+Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen
+der Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem
+Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht,
+festnehmen und nach Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst
+sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was es auf sich habe mit der von
+dem karthagischen Feldherrn soeben den Kampanern feierlich
+zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen hielten die
+sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die
+roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch
+der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker
+selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und
+ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus
+zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine
+ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen
+Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe
+taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
+Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden
+von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur
+Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf
+brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die
+sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales,
+unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie
+doch die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem
+Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie
+zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen
+Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von
+ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
+latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als
+Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im
+karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht
+ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in
+die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte
+gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden.
+
+Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der
+Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der
+gesamten Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine
+grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen
+Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss einzelne toerichte oder
+elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft selbst hatte zu
+Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt zugeschnittene
+Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht
+moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen
+Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des
+Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine gruendliche
+Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war, jetzt
+wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der
+einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche
+Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung
+des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle
+Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
+auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem
+Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits
+an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der
+italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung,
+dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf
+das “Volk” Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen
+Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide “neue
+Maenner” und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur
+Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt
+entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden,
+und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei
+Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt
+besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika
+zurueckberief, die Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und
+jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er
+hatte, als die erste jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick
+das Ruder in die Hand gab, gleichfalls nicht unbefangen von
+Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus Fabius mit jenen
+roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch er den
+Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive
+vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und
+in der Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan,
+was an ihm lag, um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern.
+Die Folge war erstlich, dass das wichtigste Instrument, das eben fuer
+solche Faelle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben
+hatte, die Diktatur ihm unter den Haenden zerbrach; und zweitens
+mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. Den jaehen Sturz der
+roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius noch Gaius
+Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den Regierten,
+die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und
+Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit
+Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und,
+was schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller
+an sich gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und
+unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro - allein von
+allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten - nach Rom
+zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm
+entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes
+nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen
+Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
+Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den
+Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs
+verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur,
+wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen
+zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt
+hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren
+gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf
+sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und
+strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten,
+um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die
+Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu
+begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben
+und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an
+den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser
+gewiesen, die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage
+beschraenkt, damit der Dienst der freudigen Goetter, von dem das
+Trauergewand ausschloss, nicht allzulange unterbrochen werde - denn so
+gross war die Zahl der Gefallenen, dass fast in keiner Familie die
+Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes
+durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio
+den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch
+seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter
+seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken
+zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes
+ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer
+Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort
+etwa zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu
+schimpflichem und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der
+unfaehige Feldherr ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom
+zurueckberufen; der in den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus
+Claudius Marcellus, der bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia
+nach Sizilien abzugehen, uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten
+Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige Armee zu organisieren.
+Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr;
+Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die ganze Mannschaft
+bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und
+die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate angekaufte
+Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten
+Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall
+in Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche
+Patrioten forderten, aus den Latinern, sondern aus den
+naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot die Loesung der
+Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes an; man lehnte sie
+ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen angelangten
+karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht scheinen, als
+denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen sollten
+nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es
+musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer
+ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.
+
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+
+KAPITEL VI.
+Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama
+
+
+Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der
+italischen Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe
+erreicht, soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen
+und die latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie
+durch den Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht
+dem Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und
+der verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und
+rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen
+den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den
+Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem
+Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen,
+so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint,
+als habe auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften
+Resultate fuer Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen,
+dass Hannibal das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger
+zwangsweise unter die Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht
+vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten war, und meinten
+toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen
+Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht
+mehr, was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze
+der sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das
+roemische Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven,
+sondern es hatte auch die vieljaehrige roemische Herrschaft die
+Einwohner der Waffen entwoehnt - nur maessiger Zuzug kam von hier zu
+den roemischen Heeren -, den alten Hass beschwichtigt, ueberall eine
+Menge einzelner in das Interesse der herrschenden Gemeinde gezogen. Man
+schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem Roms Sache
+einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht
+mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des
+italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern
+Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter
+solchen Umstaenden stockte in Italien der Krieg. Hannibal, der den
+suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis hinauf zum Volturnus und
+zum Garganus und diese Landschaften nicht wie das Keltenland einfach
+wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls eine Grenze zu decken,
+die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die gewonnenen
+Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und die von
+Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die
+schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine
+Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen
+Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er
+andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt,
+gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der
+Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer
+Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere
+Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
+Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den
+Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen
+Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten
+Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da
+an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung
+fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius
+Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von
+Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die
+Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen.
+Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine
+Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein
+Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt.
+Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten
+Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den
+feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige
+roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den
+beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am
+Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn die
+Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
+einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und
+vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei
+dem gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus.
+
+Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte
+Rom besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint
+haben, dass er mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf
+haette beendigen koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den
+Krieg auf dem Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der
+Angriffskrieg gegen die Festungen weit minder entwickelt war als das
+Verteidigungssystem, ist unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im
+Feld an den Mauern der Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft
+in Karthago waren weitaus nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in
+Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus’ erstem Feldzug unendlich dringender
+als die Roms nach der Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte
+standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein konnte man
+meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder
+auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche
+leeren Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen
+oder die Zeit zu verlieren mit der Belagerung der paar tausend
+roemischer Fluechtlinge in den Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal
+sofort nach Capua begeben, bevor die Roemer Besatzung hineinwerfen
+konnten, und hatte durch sein Anruecken diese zweite Stadt Italiens
+nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte hoffen, von
+Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu koennen,
+um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine grossartigen
+Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer erfuhren,
+wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo nur
+eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen
+gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den
+zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum
+Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen
+an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus Junius mit der
+schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte, bis an den
+Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten. Dies zwar
+fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen Versuche
+auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert, und
+die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine
+Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen
+groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der
+Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an
+die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die
+Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an
+den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend,
+erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die
+inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal
+selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste
+Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer
+Bedeutung war als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in
+Kampanien Nuceria, Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins
+folgende Jahr (539 215) sich hinziehenden Belagerung auch der
+Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von Hannibal erobert und
+ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten hatten, die
+schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht schlechte
+Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer
+Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden.
+Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und
+Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit
+drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im
+naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen.
+Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus und Tiberius Sempronius
+Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als Reiterfuehrer des
+Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus Fabius Maximus
+traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln, an die
+Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und
+Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt,
+Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend,
+Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum
+Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien von Cumae,
+ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von Gracchus
+nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte auszuwetzen,
+vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht den kuerzeren,
+und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert ward,
+unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht
+bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und
+andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals
+oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem
+Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in
+Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen
+der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von
+Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen.
+Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen
+taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht unter den
+Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die phoenikische
+Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt zu haben,
+um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich zu
+steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
+Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere
+in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff
+auf Capua ueberzugehen.
+
+Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer
+deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche,
+jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen
+Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der
+Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die unumgaengliche
+Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich gemacht. An die
+Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war schwierig und
+drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht verleugnen,
+dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung der
+Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen
+Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung
+stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei
+den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien,
+Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen
+den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz
+ward fuer die Heere und Flotten von Westen, Sueden und Osten, so konnte
+er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, was die Vorhut unter seiner
+Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das Natuerlichste und Leichteste
+waere gewesen, ihm von daheim genuegende Unterstuetzung zuzusenden; und
+der karthagische Staat, der vom Kriege fast unberuehrt geblieben und
+von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden kleinen Zahl
+entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe
+gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich
+gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke
+bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen
+von Syrakus den Karthagern offenstand und durch Makedonien die
+brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die ungehinderte
+Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem Hannibal um diese
+Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr noch Hannibals
+ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen war.
+Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt
+hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit
+war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu
+erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der
+Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um
+nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb
+tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich
+Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom
+erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen
+Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette
+stuetzen koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel
+zur Rettung der Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im
+Ausland suchen.
+
+Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen
+auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus
+angeknuepften Verbindungen und auf Philippos’ Intervention. Es kam
+alles darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue
+Streitkraefte gegen Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und
+um dies zu erreichen oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien,
+Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum
+Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer
+die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe
+ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in
+Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung
+zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese
+Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich
+entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und
+zur Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos.
+Der italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und
+loest sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache
+nichts entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die
+Phoeniker ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der
+Operationen, und alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich
+daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder
+zu verewigen.
+
+Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht
+alle die Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung
+machen durfte, so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein
+in Spanien war Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so
+bedenklich, dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der
+cannensische Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte,
+groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage
+der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen
+verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro
+an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
+karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege.
+In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die
+Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen,
+die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit
+gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen
+Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische
+Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den
+unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien
+geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der
+Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos,
+welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch
+Moerderhand seinen Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die
+Ratifikation des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an
+Hannibal gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen
+Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die
+gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die
+wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit
+dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten
+Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen
+Einfall in Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien
+der Kampf zum Stehen und Stocken kam, war ausserhalb Italien
+karthagischerseits nichts geschehen, was neue Heere oder Flotten rasch
+nach Italien gefoerdert haette. Roemischerseits hatte man sich dagegen
+mit der groessten Energie ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und
+in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit
+Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den
+der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht
+unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte,
+waren, sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch
+ungeschickte Ausgleichung der verschiedenen, im Rat laut gewordenen
+Meinungen, so zersplittert worden, dass sie nirgend wesentlich
+foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen waeren, eben der
+kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch der
+besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr
+vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf
+saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um
+zum Ziel zu gelangen.
+
+Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst
+in Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen,
+sondern halb zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit
+des unverstaendigen Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen,
+dessen, ohne Zweifel eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit
+besonderem Eifer sich annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215)
+getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei
+der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt,
+so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager
+ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber
+ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von
+Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann
+glauben konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die
+drohenden Anstalten der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige
+Insel, die Bruecke zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in
+ihre Gewalt zu bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren
+besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten,
+zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch
+rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen
+zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo
+nach Hieronymos’ Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten
+Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf
+den erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der
+fremden Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren,
+fanden Hannibals gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes
+Gelegenheit, die Friedensversuche zu vereiteln. Durch den Namen der
+Freiheit regten sie die Masse auf; masslos uebertriebene Schilderungen
+von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben wieder unterworfenen
+Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte, erweckten auch
+in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet
+sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den
+Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer,
+meistens durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass
+der Friede der Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die
+Vorsteher der Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen
+und Hippokrates und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es
+blieb dem Konsul nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes
+die geschickte Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter
+Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur Archimedes sich
+besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher Belagerung,
+dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln.
+Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten
+die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der
+abermaligen Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes
+Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert
+bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige Stadt Akragas
+besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte der kuehne und
+faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; Marcellus’ Lage
+zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden feindlichen Heeren
+fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger Verstaerkungen,
+die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der Insel
+und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als
+die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer
+auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls
+verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung
+daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in
+die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern von Syrakus
+waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen verlassenen
+Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die Vorstaedte
+einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt am Strande
+(Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die Festung
+Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen,
+diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse
+deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so
+die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen
+begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und Hippokrates zum
+Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen, ueberdies noch mit
+einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und einem Ausfall der
+syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die roemischen
+Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die beiden
+Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
+aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im
+Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen
+erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die
+Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei
+phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern
+durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das
+Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus’
+Heer, in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die
+Fieber die phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb,
+desgleichen Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der
+beiden Heere, groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die
+benachbarten Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die
+Stadt von der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich,
+als die roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst
+Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann
+nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die
+Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten
+sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten
+wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener
+Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von
+den fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte
+Marcellus mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen
+der beiden noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte;
+worauf die Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina
+auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die
+offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die
+ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden
+Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen
+des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger
+Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke
+Marcellus seine Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen
+Pluenderung der reichen Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen
+Buergern auch Archimedes den Tod fand, sondern es hatte auch der
+roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten Beschwerden der
+Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den einzelnen
+die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die frueher
+von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern
+steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten
+das Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene
+und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem
+den Hafen beherrschenden Stadtteil, der “Insel”, durfte fortan kein
+syrakusanischer Buerger wohnen.
+
+Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals
+Genie war auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem
+karthagischen Heer, das unter Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei
+Akragas stand, einen libyschen Reiteroffizier, den Muttines, der den
+Befehl der numidischen Reiterei uebernahm und mit seinen fluechtigen
+Scharen den bitteren Hass, den die roemische Zwingherrschaft auf der
+ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend, einen
+Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten
+Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und
+roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck
+einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal
+und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen.
+Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit eifersuechtigem Neid den
+von Hannibal gesandten Offizier und bestand darauf, dem Prokonsul eine
+Schlacht zu liefern ohne Muttines und die Numidier. Hannos Wille
+geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines liess sich
+dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes, besetzte
+mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht
+unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen
+allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich
+der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte,
+ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte
+Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun
+seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte,
+fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter,
+die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in
+Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus
+und lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging
+nach Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen
+Offiziers den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der
+Stadt ward von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die
+Sklaverei verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen
+Ueberfaellen, wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die
+Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene
+Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also
+ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt,
+dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte.
+Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen
+und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
+Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
+Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der
+Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter
+die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu
+erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen.
+
+Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse
+eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick
+weder Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse,
+Philippos’ natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden
+Siege der Aegypter bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen
+muessen, von dem schlaffen Philopator Frieden auf Basis des Status quo
+ante zu erhalten; teils die Rivalitaet der Lagiden und der stets
+drohende Wiederausbruch des Krieges, teils Praetendentenaufstaende im
+Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien, Baktrien und den
+oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen antiroemische Allianz
+sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische
+Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544
+(210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu
+erwarten, dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde.
+In den grossen italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen,
+waren somit Makedonien und Griechenland durch nichts gehindert als
+durch die eigene Zwietracht; sie konnten den hellenischen Namen retten,
+wenn sie es ueber sich gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den
+gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl gingen solche
+Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos prophetisches
+Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt die
+Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste
+Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass
+eine staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des
+gleichen Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu
+beigetragen, den Frieden zwischen Philippos und den Aetolern
+herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz war es bezeichnend,
+dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu seinem Strategen
+ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in Griechenland wie in
+Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen hellenischen
+Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines solchen
+Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die
+Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg
+allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe
+nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands
+umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit
+Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen
+Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art
+der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu
+erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der
+cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia
+zu bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem
+Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete
+Geruecht, dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere.
+Dies geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser
+endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische
+Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine
+roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen;
+Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von
+leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein als
+es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
+Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen
+Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um
+doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die
+roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214).
+Im besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer,
+die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als die
+defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben
+mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte
+fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward dem
+Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das
+makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur
+voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem
+Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals,
+der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine
+Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann
+die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit
+Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die
+zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten,
+veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den
+Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen
+Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
+nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten
+Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
+Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen,
+fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien
+eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz
+zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf
+deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung
+des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen
+hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen
+auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so dass
+das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern
+gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die
+antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten
+an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber
+Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein
+dreister Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter
+dem Namen des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren
+und ein auf gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu
+begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die
+Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und
+endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden
+griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil
+mit Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich
+der roemischen Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme
+noch etwas wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den
+Wechselfaellen dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er
+jedem einzelnen seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin
+die Angriffe mit Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb
+sich dennoch auf in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich
+gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen
+Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris und
+Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die
+noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die
+aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos
+von Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren
+vereinigten Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land
+in Euboea. Der Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen
+seinen Bewegungen; es kam so weit, dass er von seinem Bundesgenossen
+Prusias in Bithymen, ja von Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen
+das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem, womit er haette
+anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen; Gebrauch ist
+indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der
+Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und
+ein Herz dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem
+Griechenlands letzte Kraefte sich selbst zerfleischten und der
+Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt hatten die
+Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja selbst
+Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe
+genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler,
+auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel
+unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der
+Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien
+den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen gingen
+allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und verderbliche
+Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es ging ein
+Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als die
+Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften,
+wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei
+verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten
+viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
+fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung
+der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den
+sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und
+Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese
+sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der
+Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede
+zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen
+uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt;
+indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des
+erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition
+aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
+ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der
+Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten
+fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu
+beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen
+wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen
+atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der
+epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos
+sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein
+es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen
+liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
+widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland
+gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und
+richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland
+einen Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war.
+
+In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der
+Kampf ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die
+eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie
+mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal
+und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen
+Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem
+wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm
+zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt
+nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
+gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
+Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle
+scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied
+gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder
+die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres
+oder kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen
+ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich
+spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie
+Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg
+wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder
+die Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich
+gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten
+festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall
+entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen
+Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder
+aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am
+Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht
+mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils
+weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes
+von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
+ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter
+zuverlaessiger Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und
+namentlich in der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht
+wohl moeglich, von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende
+Darstellung zu geben.
+
+Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius
+Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche
+Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht
+bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet und der
+Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen
+Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig
+zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende
+Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
+Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch
+die roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck
+gefochten. Der Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch
+groesserem Erfolg wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu
+den Saeulen des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien
+aus und sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und
+Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie
+vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation
+soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus
+Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika
+selbst einen gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen
+westafrikanischen Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und
+Algier, welcher mit den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere
+es moeglich gewesen, ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man
+auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben
+damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um
+sich zu teilen. Indes schon Syphax’ eigene Truppen, geschult und
+gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen
+Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende
+Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem
+Kern der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat
+dort eine Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz
+Constantine, seit langem der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer
+Karthago, und sein tapferer Sohn Massinissa schlug den Syphax und
+noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist uebrigens von diesem
+libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der grausamen Rache, die
+Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den Aufstaendischen
+nahm.
+
+Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den
+spanischen Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden
+(543 211), wohin bald betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa
+selbst ihm folgten. Die Scipionen, die waehrend der Abwesenheit des
+feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im karthagischen Gebiet
+Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen sich
+unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie
+entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten
+mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold,
+worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas,
+Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten
+und nicht einmal ihre roemischen Truppen zusammenhielten. Damit
+bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend Gnaeus mit seinem Korps,
+einem Drittel der roemischen und den saemtlichen spanischen Truppen,
+Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne Muehe durch
+eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen
+nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch
+erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen.
+Dem roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile
+seinen Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte.
+Mittlerweile sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den
+beiden anderen phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und
+Mago lebhaft angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten
+die Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager
+fast eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen
+spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig
+umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten
+Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke
+in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren
+wohl anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den
+Ausfallenden rasch waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und
+hemmten sowohl die Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als
+auch den Rueckmarsch, bis dass die phoenikische Infanterie herankam und
+endlich der Fall des Feldherrn die verlorene Schlacht in eine
+Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen war, fand Gnaeus,
+der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen Heeres muehsam
+erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen und durch
+die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen
+nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein
+Lager zu schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder
+kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde
+vernommen. Eine kleine Abteilung allein rettete ein trefflicher
+Offizier aus Gnaeus’ Schule, Gaius Marcius, hinueber auf das andere
+Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem Legaten Titus Fonteius, den
+von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil in Sicherheit zu
+bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten roemischen
+Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro
+herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick
+schien nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und
+die Verbindung mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not
+im roemischen Lager den rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der
+Soldaten berief mit Umgehung aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum
+Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und
+vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den drei karthagischen
+Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges.
+Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen
+und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues
+Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies
+die Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es
+kam eine starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius
+Claudius Nero, die das Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine
+Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544 210) hatte den besten
+Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und eingeschlossen und entrann
+der Kapitulation nur durch unfeine List und offenen Wortbruch. Allein
+Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war
+ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulaerer
+Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen und
+neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut,
+womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im
+Jenseitigen Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der
+Senat, der die Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen
+Krieges richtig beurteilte und durch die von der roemischen Flotte
+gefangen eingebrachten Uticenser von den grossen Anstrengungen erfahren
+hatte, die man in Karthago machte, um Hasdrubal und Massinissa mit
+einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden, beschloss, nach
+Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen ausserordentlichen
+Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke anheimzugeben
+fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich
+niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts,
+bis endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius
+Scipio, der Sohn des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals,
+gewesener Kriegstribun und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso
+unglaublich, dass der roemische Senat in diesen von ihm veranlassten
+Komitien eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben
+sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben
+gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich
+angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf
+den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen
+Tagen am Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem
+aber noch der erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von
+gewesenen Praetoren und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich,
+diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den
+einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und
+zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition
+bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich
+improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der
+Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor
+am Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann
+mit den langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines
+Besseren sich darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache
+Kriegstribun, den nun auf einmal die Stimmen der Zenturien zu der
+hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles machte auf die roemischen
+Buerger und Bauern einen wunderbaren und unausloeschlichen Eindruck.
+Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte und begeisternde
+Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen Willen die
+Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise
+zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen,
+bis die Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des
+Senats Schlachten gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner
+militaerischen Lorbeeren auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende
+Stellung eingenommen; aber es ist weit von da bis zu Alexander und
+Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande wenigstens nicht mehr
+gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn auch
+vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich
+deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet,
+als er ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein
+besonderer Zauber auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren
+und sicheren Begeisterung, die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor
+sich hertrug, ist sie durchaus wie von einer blendenden Aureole
+umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die Herzen zu erwaermen,
+und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall entscheiden und das
+Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug, um den
+Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch
+schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig
+ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem
+Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht
+minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts und koeniglichen
+Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels sich zu erniedrigen
+meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die Verfassung der
+Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass er nichts wusste
+von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte, fremde
+Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter
+Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs,
+hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen
+Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio
+die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute und der
+Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren
+karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der
+Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien.
+
+Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
+Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
+Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem
+Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit
+einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse.
+Gleich sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und
+gluecklichsten Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei
+karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen,
+Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen
+des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von
+der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545
+(209), ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach
+Scipio gegen diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen
+Tagen auf dem Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von
+ungefaehr 30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht
+ueber 1000 Mann starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten
+Angriff zu Wasser und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen
+hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei
+Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von den Legionen
+bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago
+wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da
+die Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein
+Ausfall versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen
+und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung
+sich die Zeit zu nehmen, den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig
+draengten die Stuermenden auf dem schmalen Landweg gegen die Stadt;
+immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten ab; die schwache Besatzung
+war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg hatten die Roemer
+nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm hatte
+bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er,
+unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken
+liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite
+der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das
+Watt, “wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige”, und sie hatte in der Tat
+das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden. So war am ersten
+Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg kapitulierte. Mit der
+karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn abgetakelte Kriegs- und 63
+Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende Getreidevorraete,
+die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler), zehntausend
+Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter, und
+die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die
+Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur
+Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten
+sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein
+Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu bringen, indem er die
+neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der Zahl, fuer das
+roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der Freiheit bei
+der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die faehigen
+Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger aber
+wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung
+gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
+wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen
+Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss
+durch eine Besatzung zu sichern.
+
+So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es
+Scipio nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung
+den Befehl erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen
+auszufuehren beschaeftigt war, und weil die schwache, am Ebro
+zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande war, ihm dies ernstlich
+zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur verzoegerte. Indes er
+war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro gezeigt hatte; das
+gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er seine
+naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich
+auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus
+und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme
+der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles,
+was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte,
+dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf
+unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf
+die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse
+zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss
+die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch
+jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel
+mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08)
+dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten
+sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und
+im Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne,
+und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf
+Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem
+Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur
+Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000
+Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit
+Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit
+seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen
+schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean
+hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten
+Pyrenaeenpaesse und stand noch vor dem Eintritt der schlechten
+Jahreszeit in Gallien, wo er Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass
+Scipios Entschluss, mit der ihm aufgetragenen Defensive die Offensive
+zu verbinden, unueberlegt und unweise gewesen war; der naechsten
+Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss Scipios Vater und Oheim,
+sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln
+geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze einer
+starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er
+verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207),
+als Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich
+dennoch sich realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres
+Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich
+vorueber; man liess sich das Bulletin des zweideutigen Sieges von
+Baecula gefallen und gedachte, als neue Siegesberichte aus Spanien
+einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den faehigsten
+Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien zu
+bekaempfen gehabt hatte.
+
+Nach Hasdrubal Barkas’ Entfernung beschlossen die beiden in Spanien
+zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal
+Gisgons Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue
+Verstaerkungen aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei
+in Spanien streifen zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit
+so grossem Erfolge getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt
+der Roemer. Im folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika
+Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich
+wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und
+Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen.
+Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und
+verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio
+in diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker
+schienen ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf
+(548 206) wieder ein gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten,
+4000 Mann zu Pferde, 70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil
+zusammengeraffte spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur
+Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des
+feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio
+stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass
+sie nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen
+zu verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst
+auf die Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten
+endlich die Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die
+Niederlage eines solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen
+Aufloesung desselben - einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach
+Gades. Die Roemer standen jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die
+wenigen nicht gutwillig sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen
+und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der
+afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja
+selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika
+Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen
+entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht
+davon den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades,
+wo Mago den Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick
+schien es, als ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft
+angetreten und die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach
+Beendigung des phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste
+loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend
+widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die
+Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms
+vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei
+eines seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren
+rueckstaendigen Sold, beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas
+schneller als man gemeint hatte und daempfte mit Gewandtheit den
+Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die bei der Nationalerhebung
+vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden, ehe die
+Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch
+auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung
+dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich
+vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung
+zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass
+er seine Flotte aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm
+anvertraute Beschirmung der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern
+anheimstellen. Unbehindert verliess der letzte von Hamilkars Soehnen
+die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab sich auch Gades, die aelteste
+und letzte Besitzung der Phoeniker auf spanischem Boden, unter
+guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war nach
+dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische
+Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets
+besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer
+fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern
+gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um
+sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von den
+erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten.
+
+Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland,
+Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen
+Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen,
+nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an
+Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des
+Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker
+folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach
+Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon
+zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum.
+Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
+Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der
+Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die
+Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im
+brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme
+geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das
+die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt
+worden waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne
+zunaechst einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische
+Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius
+und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu
+versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in
+der Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in
+Tarent und Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen
+Landung durch eine Legion verstaerkt worden war, endlich die starke,
+das Meer ohne Widerstreit beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die
+roemischen Heere in Sizilien, Sardinien und Spanien, so laesst sich die
+Gesamtzahl der roemischen Streitkraefte, auch abgesehen von dem
+Besatzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort
+angesiedelte Buergerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000 Mann
+anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr neu einberufene Leute
+und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf annehmen, dass die
+gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre unter den
+Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte,
+von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden.
+Dass unter solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten
+Verlegenheit waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man
+hauptsaechlich angewiesen war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig
+ein. Aber trotz dieser Not um Mannschaft und Geld vermochten die Roemer
+dennoch, das rasch Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller
+Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren,
+waehrend die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
+Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie
+die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von
+Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich
+Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
+begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
+Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu
+bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr
+auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der
+Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung
+ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden,
+und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich
+unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
+Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie
+kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es
+ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann
+die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in
+gleicher Vollkommenheit geloest hat.
+
+Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal
+erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er
+hinderte; allein weder vermochte er irgendeine der kampanischen
+Staedte, die die Roemer besassen, den starken roemischen Besatzungen zu
+entreissen, noch konnte er wehren, dass ausser einer Menge minder
+wichtiger Landstaedte auch Casilinum, das ihm den Uebergang ueber den
+Volturnus sicherte, von den beiden Konsularheeren nach hartnaeckiger
+Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Hannibals Tarent zu gewinnen,
+wobei es namentlich auf einen sicheren Landungsplatz fuer die
+makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer
+der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien mit der
+roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit
+Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit
+Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich
+ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen des Volks die
+Freiheit und das Buergerrecht.
+
+Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige
+Arpi zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten
+sich in die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die
+karthagische Besatzung gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt
+lockerten sich die Bande der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der
+vornehmsten Capuaner und mehrere brettische Staedte gingen ueber zu
+Rom; sogar eine spanische Abteilung des phoenikischen Heeres trat,
+durch spanische Emissaere von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in
+Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische Dienste.
+
+Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue
+politische und militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht
+unterliess. Die Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen
+Staedten unterhielt, hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt;
+nur die in Rom befindlichen tarentinischen und thurinischen Geiseln
+liessen sich durch seine Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch
+bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen Posten wieder
+aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der Roemer
+foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der
+saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren
+Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie
+Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward Tarent durch
+Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die Nachlaessigkeit des
+roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt; kaum dass die
+roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents
+folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung
+der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen.
+Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass
+Rom sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten
+griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen
+zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von Syrakus und der
+guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit gewaehrte. Auf
+dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr abwechselndem
+Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten Legionen
+hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch
+die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr
+gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend
+bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport
+zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu
+nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus und
+Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport
+deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und
+der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
+darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen
+Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber
+der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen
+Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein
+Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen
+Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So fand
+Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein
+unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
+Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen
+ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als
+Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen
+nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von
+Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig
+befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren in
+Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des
+nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in
+Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber
+das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden
+Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie
+Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben,
+zogen die roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli
+und Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus
+Fulvius, auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius
+Nero; die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander
+verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend
+verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht
+entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein
+Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch
+die Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande
+waren, durch die wohlbewachten roemischen Linien sich
+durchzuschleichen, begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit
+der Belagerung der Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen
+brach er mit 33 Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach
+Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein
+Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung,
+dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die
+Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten,
+ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich
+nicht und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen
+Seite die kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen
+Schwaerme an ihre Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte
+Hannibal nicht denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald
+die anderen roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn
+nicht schon frueher der Mangel an Futter in dem systematisch
+ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich
+nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der
+seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu
+retten. Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von
+seinem Vorhaben Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte,
+von Capua auf und schlug die Strasse nach Rom ein. Mit derselben
+gewandten Kuehnheit wie in seinen ersten italischen Feldzuegen warf er
+sich mit einem schwachen Heer zwischen die feindlichen Armeen und
+Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und auf der
+Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er
+passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile
+von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn
+ihnen erzaehlt ward von “Hannibal vor dem Tor”; eine ernstliche Gefahr
+war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt
+wurden von den Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die
+gegen sie ausrueckten, verhinderten die Berennung der Mauern. Durch
+einen Handstreich, wie ihn Scipio bald nachher gegen Neukarthago
+ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal uebrigens nie gemeint
+und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht; seine Hoffnung
+war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des
+Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also
+Gelegenheit geben werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach
+kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein
+Wunder der goettlichen Gnade, die durch Zeichen und Gesichte den argen
+Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die roemischen Legionen freilich
+zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo Hannibal der Stadt am
+naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem zweiten
+Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren
+Glaeubigen dem Gott “Rueckwender Beschuetzer” (Rediculus Tutanus) einen
+Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und
+schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren
+hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte;
+unbeweglich standen die Legionen in den Linien um Capua und nur ein
+schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals Marsch nach Rom
+detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er sich ploetzlich
+um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom her unbesonnen
+gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu schlagen,
+ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer
+Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die
+Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit
+bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom
+feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische
+Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die
+Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne
+Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod; die
+uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich
+erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich
+von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es
+klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des
+Hochverrats auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch
+rasche Exekution der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius
+Claudius und der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die
+weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere
+und Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl
+und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und
+enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil der
+Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
+Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella
+und Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das,
+was Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der
+Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte,
+sind sie begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in
+Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar
+nach dem uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil
+gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um
+die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten Staedten
+Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der
+kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin
+vollstaendig politisch zu vernichten.
+
+Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er
+nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen
+Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung
+herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der den
+Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor der
+Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war.
+Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf
+die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion
+oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
+ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war
+der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader
+den Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte
+jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das
+Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu
+ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger
+als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es
+gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager
+gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des
+Ansehens und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen
+Verbuendeten genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr
+kompromittierten Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische
+Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer
+Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die
+schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein
+schon zu schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen
+Truppen der Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab -
+so wurden ihm im Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500
+auserlesene numidische Reiter niedergemacht; oder die unsicheren
+Staedte zu schleifen und anzuzuenden, um sie dem Feind zu entziehen,
+was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Klientel nicht heben
+konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des endlichen Ausganges des
+Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten betraechtliche
+Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die
+Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum
+erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der
+Gesamtzahl der Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden
+Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis
+auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward denn auch im naechsten Jahr
+(544 210 ) der italische Krieg laessiger als bisher von den Roemern
+gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des sizilischen
+Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er
+betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den
+Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische
+Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal
+die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae.
+Das Jahr darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten
+Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich
+wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen
+Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in
+einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am
+zweiten einen schweren und blutigen Sieg; waehrend der Konsul Quintus
+Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner zum Wechsel der
+Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen bestimmte;
+waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten, den
+bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus
+Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den
+Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem
+nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung
+der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in der von den erbitterten
+Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der Besatzung oder von der
+Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht und die Haeuser
+gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven verkauft, 3000
+Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen sein. Es war die
+letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam zum
+Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont.
+
+Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst
+
+hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel
+beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr
+(546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem
+tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen
+entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten fochten
+seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte ihn der
+eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien. Allein das
+Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei einer
+unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von
+Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus
+focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar,
+vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde
+sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden
+(546 208).
+
+Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden,
+die einige Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur
+um so mehr fuehlte man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden
+Druck des endlosen Krieges. Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man
+hatte nach der Schlacht von Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission
+(tres viri mensarii) aus den angesehensten Maennern niedergesetzt, um
+fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren Zeiten eine dauernde
+und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben, was moeglich
+war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle Finanzweisheit
+daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die
+Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des
+Silberstueckes um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit
+ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man
+musste von den Lieferanten auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die
+Finger, weil man sie brauchte, bis der arge Unterschleif zuletzt die
+Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem Volk an einigen der
+schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den Patriotismus der
+Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten litten,
+oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren
+Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen,
+freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des
+Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach
+dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der
+Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende
+des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung
+der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein
+Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die
+diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben
+vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz
+wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe bei
+den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man
+verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der
+Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000
+Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen
+nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den
+entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis
+des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes.
+ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste,
+fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des
+Medimnos (1 preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3
+1/3 Taler), mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen
+Mittelpreises, und viele waeren geradezu Hungers gestorben, wenn nicht
+aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und nicht vor allem der in Sizilien
+wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not gesteuert haette. Wie aber
+solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer
+zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden Doerfer in
+Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus
+denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben.
+
+Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung
+der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut
+frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an.
+Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die
+latinische Nation zu Rom stand; an ihrer groesseren oder geringeren
+Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an
+zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen in Etrurien, Latium, dem
+Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, also eben in denjenigen
+latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von dem Kriege
+gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen Senat,
+dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und
+es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten
+Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein
+fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen.
+Zum Glueck handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die
+gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze
+das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass
+sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen - freilich war
+es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem gegenwaertigen
+Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele stand als die
+der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer Rom,
+sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens
+nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war
+sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und
+Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit
+den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es
+eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf
+die unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In
+Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im
+Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward
+entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen
+marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung
+zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
+Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
+schreckten.
+
+In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die
+Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die
+Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen
+muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen
+Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen schweren
+Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese
+Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte,
+das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst
+Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
+phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen;
+wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem
+Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen
+zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen;
+der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund
+gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und
+Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines
+Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von
+ihm und dem Lande abwandte.
+
+Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig
+Legionen auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich
+vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man
+ueberrascht. Freunden und Feinden ueber alle Erwartung frueh stand
+Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207); die Gallier, der Durchmaersche
+jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld willig ihre Paesse und
+lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom beabsichtigt hatte,
+die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit wieder zu
+spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die
+Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe,
+dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus
+Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien.
+Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort
+verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog aus
+Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem
+Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. Dieser
+sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der grossen,
+von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei
+Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in
+welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte
+wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen
+geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert
+Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei
+Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war,
+dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und
+nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint
+nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
+noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen
+Hannibals mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute,
+die wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig
+gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete
+Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass
+Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also
+zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den
+Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
+treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung
+der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische
+Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der
+Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt,
+dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde,
+ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis,
+mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in
+Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit
+dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn
+das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um
+Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten
+und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er
+abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
+erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
+beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal
+wuenschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu
+entziehen; allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich
+auf dem ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der
+roemischen Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das
+roemische Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward.
+Hasdrubal stellte die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn
+Elefanten, die Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte
+das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier
+befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation
+taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind
+stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern
+in die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr
+blutige Sieg war vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte,
+ward vernichtet, das Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich
+geleitete Schlacht verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater
+einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert,
+Hannibals Bruder zu sein.
+
+Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum
+vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber,
+den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die
+Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den
+der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also dem grossen
+Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung
+des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal erkannte, dass
+er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er gab Apulien und
+Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen zurueck in das
+brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug waren. Durch die
+Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine beispiellos
+glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Groesse
+Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der
+Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel
+in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in
+Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden
+sei.
+
+Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat
+und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und
+materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und
+der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen
+und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die
+Kasse durch den Verkauf eines Teils der kampanischen Domaene gefuellt.
+Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und die eingerissenen
+Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige Kriegsanlehen
+zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen latinischen
+Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu genuegen.
+
+Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von
+Hannibals strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit
+der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da
+an noch durch vier Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und
+von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in
+die Festungen einzuschliessen noch sich einzuschiffen. Freilich musste
+er immer weiter zurueckweichen, weniger in Folge der ihm von den
+Roemern gelieferten, nichts entscheidenden Gefechte, als weil seine
+brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden und er zuletzt nur
+auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So
+gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios
+Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten
+seine Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die
+sie ihm verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung
+erhalten, suchten diese in der Angst vor der erwarteten Landung der
+Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548, 549 206, 205) und
+sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien Verstaerkung und
+Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien aufs neue zu entflammen
+und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser und der
+karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine
+Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des
+Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein
+es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden
+geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm
+zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es
+ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika, das nach der
+Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte; begreiflich
+waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der spaetere Verlauf
+der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine makedonische
+Landung in Italien ward nicht gedacht.
+
+Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit
+den Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca
+gefuehrt hatte, landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die
+Stadt und rief die Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und
+die Neuheit des Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine
+Verbindungen gingen sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen
+Prozesse nicht ruhten. Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu
+wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das eigentliche Italien,
+und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein Einfluss in
+Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette
+vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der
+Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten,
+war sie nicht mehr moeglich.
+
+Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg
+Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms
+gegen Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische
+Expedition, so unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man
+bedurfte dazu vor allem eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man
+hatte keinen. Die besten Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld
+gefallen oder sie waren, wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer
+einen solchen ganz neuen und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt.
+Die Sieger von Sena, Gaius Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe
+schon gewachsen gewesen, allein sie waren beide im hoechsten Grade
+unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde,
+ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon, dass die
+Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -,
+und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem
+erschoepften Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius
+Scipio aus Spanien zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von
+ihr empfangene Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt
+zu haben schien, ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul
+gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die
+schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition jetzt zu
+verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der
+methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange
+nichts wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch
+die Majoritaet dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt.
+Seine griechische Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den
+strengen und etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und
+gegen seine Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken
+wie gegen seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er
+gegen seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald
+die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die
+Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der
+aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den
+Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs
+und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel
+Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen
+Privatabsichten in Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu
+schieben, und dass er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich
+aeussersten Falls der Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und
+seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat
+nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken,
+ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg
+und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm
+gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die
+eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu
+beschwichtigen geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten
+Einsicht genug, um es nicht zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der
+Senat konnte nicht verkennen, dass die afrikanische Expedition
+notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins Unbestimmte
+hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst faehiger
+Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet
+war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung
+seines Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten
+Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den
+gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der
+hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht wenigstens der Form
+nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des Senats unterworfen
+hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen, um den Bau der
+Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die Bildung der
+Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika
+landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene
+beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen -
+zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache
+Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm
+gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich,
+dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr
+geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man
+einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige
+Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
+behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der
+Majoritaet des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und
+Volontaers, deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte.
+
+Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die
+afrikanische Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht
+unternommen werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die
+Bedingungen ein, wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten
+Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das
+Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der Popularitaet der
+Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die
+betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine
+sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das
+heisst durch eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch
+gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die
+sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen war die Flotte
+segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige, deren bis
+siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten
+Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
+starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
+Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne
+den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der
+Naehe von Utica.
+
+Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die
+Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten
+Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein
+ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren,
+nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu
+bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer zu
+empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
+Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der
+Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von
+Oran), dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem
+maechtigeren und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und
+Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den
+alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen
+liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten
+Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem
+letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern
+in der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand
+ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140
+Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt
+worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des
+in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag
+eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine
+Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet.
+
+Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem
+Lager des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind
+gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte
+zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und
+die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten
+doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich
+sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug.
+Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war
+er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur
+Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich
+mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung
+aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen
+Utica und Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier
+verging dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der
+ziemlich unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er
+sich durch einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner,
+eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig als ehrlich
+angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und
+derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der
+Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu
+helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die
+Fluechtenden von den roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser
+naechtliche Ueberfall war verderblicher als manche Schlacht. Indes die
+Karthager liessen den Mut nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der
+Furchtsamen, oder vielmehr der Verstaendigen, Mago und Hannibal
+zurueckzurufen. Eben jetzt waren die erwarteten keltiberischen und
+makedonischen Hilfstruppen angelangt; man beschloss, auf den “grossen
+Feldern”, fuenf Tagemaersche von Utica, noch einmal die offene
+Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen; mit leichter
+Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die
+zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die
+Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach
+hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach
+dieser doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff
+auf das roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte,
+lieferte zwar kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes
+Resultat und ward weit aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax,
+die dem Scipio sein beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche
+Massinissa das fuer die Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern
+gewesen war.
+
+Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die
+seit sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt
+erheben und sich offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der
+Patrioten. Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum
+Tode verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand
+und Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen
+Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des
+Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig
+und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) -
+Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass
+die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in
+Roms Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen
+dieselben an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es
+ging eine karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die
+karthagische Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf
+den Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen
+auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte,
+feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede
+notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den
+Untergang bringen musste. In der Buergerschaft hatte die
+Patriotenpartei das Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber
+den Frieden verhandeln zu lassen und mittlerweile sich zu einer letzten
+und entscheidenden Anstrengung vorzubereiten. An Mago und an Hannibal
+erging der Befehl, schleunigst nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit
+drei Jahren (459-551 205-203) daran arbeitete, in Norditalien eine
+Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben damals im Gebiet der
+Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen Doppelheer
+unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk ins
+Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager
+zu erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die
+feindlichen Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des
+geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das
+phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste zurueckweichen. Hier
+erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog ihn; Mago aber starb
+waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal waere dem Befehl
+wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten Verhandlungen mit
+Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem Vaterland in
+Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in Kroton, wo
+er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er nicht,
+ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die
+italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen,
+und bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft
+stehenden Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der
+gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch
+niemand sich getraute, also freiwillig dem italischen Boden den Ruecken
+wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen ueberlebenden unter den
+roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit mit Ehren bestanden
+hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat und
+Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach
+roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter
+darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste
+Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und
+der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben
+Jahre aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne
+Zweifel nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein
+durch seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und
+betrat, der letzte von Hamilkars “Loewenbrut”, hier abermals nach
+sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er,
+fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch so
+durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts
+ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See
+einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er
+hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft,
+jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
+zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei
+offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue
+Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit
+angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in
+der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch
+die Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten
+roemischen Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines
+roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der
+Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus
+seinem Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des
+Bagradas (Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr
+gewaehrte, sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in
+Masse aufgreifen und verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland
+eingedrungen und stand bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef,
+an der Grenze von Tunis und Algier), als Hannibal, der ihm von
+Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm zusammentraf. Der
+karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer
+persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein
+Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse
+gegangen war, konnte nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich
+zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen, und es ist nicht glaublich,
+dass Hannibal bei diesem Schritt etwas anderes bezweckte, als der Menge
+zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs unbedingt gegen den Frieden
+seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und so kam es zu der
+Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei
+Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die
+karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und
+die phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das
+dritte die Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie
+standen die achtzig Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio
+stellte gleichfalls seine Legionen in drei Glieder, wie die Roemer
+pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten durch und neben der
+Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu sprengen. Dies gelang nicht
+bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts ausweichenden Elefanten
+brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in Unordnung, so dass
+gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das Eintreffen von
+Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes Spiel
+hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der
+Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den
+beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge
+gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten an den zweiten
+Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die karthagische
+Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass sich die
+Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der karthagischen
+Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was von den
+beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob
+seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte
+dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch
+kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und links
+an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben Walstatt
+ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte Soldaten
+wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei der
+Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen
+feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war
+nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer
+vernichtet; dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae
+gewichen waren, hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer
+Handvoll Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.
+
+———————————————————————————-
+
+^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der
+westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene,
+derjenige der Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit
+ist der Fruehling oder Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des
+Tages auf den 19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist
+nichtig.
+
+———————————————————————————
+
+Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur
+Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des
+roemischen Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen,
+die weder gedeckt noch verproviantiert war, und, wenn nicht
+unberechenbare Zwischenfaelle eintraten, das Schicksal, welches
+Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen, jetzt ueber Karthago walten zu
+lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte den Frieden (553 201),
+freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen. Ausser den
+Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie fuer
+Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig
+Jahre eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler)
+aufgelegt und mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder
+seine Verbuendeten und ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in
+Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis
+Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich darauf hinauslief, dass
+Karthago tributpflichtig ward und seine politische Selbstaendigkeit
+verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden
+verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen.
+
+Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des
+schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an
+einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige
+Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein, wenn der
+erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten scheint sie
+nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse so, dass
+der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung
+ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege ein
+Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser
+entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen
+selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also
+die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt
+war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie
+zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste
+ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte Krieg
+viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago und dass
+der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht erneuern
+liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken, dass nur
+die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten
+und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
+Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der
+vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das
+Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte,
+gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen
+Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen
+Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen,
+die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen
+Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings
+nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges
+haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles
+unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der
+ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem
+Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon
+vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden
+grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung
+stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der
+ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
+Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu
+setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen
+Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das
+Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem
+Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der
+hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es
+denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der
+Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und
+Ackerbaus voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen
+Zivilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht
+gekommen, wo die ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der
+Zivilisation der Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig
+glaubten von sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen.
+
+So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger
+nennen, der Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom
+Hellespont bis zu den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften
+verheert hatte. Vor diesem Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht
+hoeher gesteckt als bis zu der Beherrschung des Festlandes der
+italischen Halbinsel innerhalb ihrer natuerlichen Grenzen und der
+italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg auch beendigte mit dem
+Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am Mittelmeer oder die
+sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen gefaehrlichen
+Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn gegeben
+zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss
+deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des
+Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig
+entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche
+Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die Roemer in der
+Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft ueber Italien
+haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt haben; die Hegemonie
+und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das Mittelmeergebiet ist
+ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die Verhaeltnisse
+zugeworfen worden.
+
+Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die
+Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung
+begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen
+syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die
+Begruendung des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die
+bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung
+Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt;
+mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den Westen des
+Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige
+Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das
+im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
+demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte
+der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das
+Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang
+bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution
+vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft war
+die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden
+latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner
+Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr
+geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht
+latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker
+und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder
+vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und
+letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft
+der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
+der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar
+die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen.
+Den gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen
+Auswaertiger oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur
+oeffentlichen Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute
+parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die Picenter am Silarus
+behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die Bewohner zerstreut
+in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch haerter; sie
+wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht und
+fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die
+uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen
+Staedte mit Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten
+hatten, wie die kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel
+weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer apulischer,
+lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils Stuecke ihrer
+Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker wurden neue
+Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
+Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen
+Sipontum (bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum
+in dem ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur
+Zwingburg bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der
+vornehmen Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels
+ward. Ferner ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia
+(560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen
+Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien
+wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln
+angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der
+vornehmen Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der
+Bauern. Es versteht sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der
+Halbinsel die namhaften, nicht gut roemisch gesinnten Leute soweit
+beseitigt wurden, als dies durch politische Prozesse und
+Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien fuehlten
+die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie
+fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine
+zweite Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller
+Uebermut des Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen
+Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte
+roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon die Spuren; wenn die
+niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem zuegellosen Witz der
+roemischen Posse polizeilich freigegeben und die letztere geradezu
+deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter darueber spassten,
+dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste Rasse der
+Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon
+gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen
+Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der
+zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt die
+aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen
+Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die
+Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200),
+Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom
+aus zugesandt wurden.
+
+Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen
+Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen
+Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um den vierten Teil
+geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg
+gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint danach durchaus nicht
+uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust vorwiegend auf den Kern
+der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse der Streiter
+stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt die
+Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123
+Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine
+ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen
+Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der
+zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier
+Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im
+tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur
+Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der
+Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische
+Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen;
+allein durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich
+der Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten
+gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge
+bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und
+verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung
+durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition
+buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das
+letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in
+Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff
+gibt, dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000
+Menschen wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich
+ausdehnenden Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten
+diese heillose Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich
+in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege
+aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst
+geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt
+werden koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden
+hatten, das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die
+Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Es war viel
+verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk, dessen gesamte
+dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch Schild und Schwert nicht
+abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes wenn auch durch
+wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen friedliche und
+freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel
+der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum
+fremd: damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf
+der Sieger war der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde
+ihn zu benutzen, die latinische Nation immer fester an Rom zu ketten,
+Italien allmaehlich zu latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen
+als Untertanen zu beherrschen, nicht als Knechte auszunutzen, die
+Verfassung zu reformieren, den schwankenden Mittelstand neu zu
+befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen; wenn man es
+verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in denen
+der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete
+Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die
+damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein
+gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent
+eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn nicht, nicht.
+Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen Stimmen und die
+trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die Krieger und Sieger in
+ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke
+an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die geloesten
+Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und
+endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die
+geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus
+des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen
+zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen
+hatte.
+
+
+
+
+KAPITEL VII.
+Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode
+
+
+In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder,
+wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der
+Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den
+Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst,
+dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die
+Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses mit
+Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier die
+Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den
+eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden eines
+karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in
+Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554
+200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
+bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
+naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische
+Jugend hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen
+Behoerden als auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von “den
+beiden Riegeln gegen die gallischen Zuege”, Placentia und Cremona, ward
+der erste niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft
+retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig
+marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war.
+Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und
+kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers
+vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen;
+dem Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den
+Toten, welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der
+karthagische Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort;
+dasselbe roemische Heer, welches bei Cremona gesiegt, wurde das
+naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch die Schuld des sorglosen
+Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und erst 556 (198) konnte
+Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der Bund der zu
+dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die
+Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten
+nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch
+Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute,
+indem sie waehrend einer Schlacht, die die Insubrer den Roemern am
+Mincius lieferten, ihre Bundes- und Kampfgenossen von hinten angriffen
+und aufreiben halfen (557 197). So gedemuetigt und im Stich gelassen,
+bequemten sich die Insubrer nach dem Fall von Comum gleichfalls zu
+einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche Rom den
+Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie
+den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden
+pflegten; namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen
+Italikern und Kelten gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass
+nie ein Buerger dieser beiden Keltenstaemme das roemische Buergerrecht
+solle gewinnen koennen. Indes liess man diesen transpadanischen
+Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale Verfassung, so dass
+sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und legte ihnen
+auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen
+Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden
+Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige
+Razzias in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien
+abhalten. Uebrigens griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung
+mit grosser Schnelligkeit um sich; die keltische Nationalitaet
+vermochte offenbar bei weitem nicht den Widerstand zu leisten wie die
+der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der gefeierte lateinische
+Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586 (168) starb, war
+ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang des
+sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht
+nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer
+unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen
+ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben.
+
+Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
+begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der
+transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der
+Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze zu
+machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den
+naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war,
+zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der
+Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen,
+sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung,
+welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die
+Helvetier (zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder
+Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die
+beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die
+Versuche einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in
+friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in
+welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat
+um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot,
+ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f.,
+575 186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia
+schon angelegt hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge
+gestattete der Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die
+Alpentore fuer die keltische Nation fortan geschlossen seien, und
+schritt mit schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen
+ein, die solche Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst
+hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern
+wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres
+stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von
+Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in
+Italien einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem
+aeussersten nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen
+Kolonie Aquileia (571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den
+Fremden fuer immer zu verlegen, sondern auch die fuer die dortige
+Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene Meeresbucht zu sichern und der
+immer noch nicht ganz ausgerotteten Piraterie in diesen Gewaessern zu
+steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias veranlasste einen Krieg
+gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der Erstuermung einiger
+Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt war und durch
+nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die Kunde
+von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll
+Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief.
+
+Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der
+roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier,
+die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter
+Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und
+ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen
+(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und
+wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die
+ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward
+die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer
+siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern
+eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald
+das roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der
+Bevoelkerung sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom
+berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier
+nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie
+sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer
+forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht
+verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den
+Boiern blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren
+Besiegern ^1.
+
+———————————————————-
+
+^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern
+ueber die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung
+im heutigen Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche
+in der augustischen Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten
+angegriffen und vernichtet wurde, dieser Landschaft aber den Namen der
+boischen Einoede hinterliess. Dieser Bericht passt sehr wenig zu der
+wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen Jahrbuecher, nach der man
+sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des halben Gebietes;
+und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in
+der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden
+doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und
+Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger
+rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen.
+Anderseits fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am
+Neusiedler See herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals
+in Bayern und Boehmen sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts
+draengten. Ueberall aber ist es sehr zweifelhaft, ob die Boier, die man
+bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet, wirklich auseinandergesprengte
+Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine Namensgleichheit
+obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen als auf
+einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den
+Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten.
+
+————————————————————
+
+Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
+Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen
+Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert
+und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei
+dem ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona;
+570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen
+boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183)
+und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem
+Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch
+diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage
+der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische
+Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
+Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die
+Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon
+laengst Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583
+(171) von der roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon
+567 (187) aber die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia
+bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine
+kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch
+diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des
+keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und
+ersetzt durch den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die
+italische Stadt-, jenseits desselben wesentlich die keltische
+Gauverfassung, und es war ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das
+Gebiet zwischen Apennin und Po zur keltischen Landschaft gerechnet
+ward.
+
+In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel
+hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen
+waren, verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst
+nordwaerts vom Arno wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich
+die Apuaner, die, auf dem Apennin zwischen dem Arno und der Magra
+wohnend, einerseits das Gebiet von Pisae, anderseits das von Bononia
+und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was hier nicht dem Schwert der
+Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend von Benevent
+uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die
+ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr
+eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das
+Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577
+(177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit
+Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen
+die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen vortrefflichen
+Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia und nach Spanien
+die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der Kuesten- oder
+Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber Florenz
+nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und
+Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.
+
+Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen
+Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren
+unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die
+Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren
+Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden
+indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht
+bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen
+Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
+Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von
+Luna ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen
+freizumachen - jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den
+roemischen Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die
+Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen
+Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und
+verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als
+Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere.
+
+Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die
+Korsen und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche
+die gegen sie gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der
+Kuestenstriche vergalten. Im Andenken geblieben ist die Expedition des
+Tiberius Gracchus gegen die Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der
+Provinz den “Frieden” gab, sondern weil er bis 80000 der Insulaner
+erschlagen oder gefangen zu haben behauptete und Sklaven von dort in
+solcher Masse nach Rom schleppte, dass es Sprichwort ward:
+“spottwohlfeil wie ein Sarde”.
+
+In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen,
+ebenso kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der
+karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt
+bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer
+roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des
+Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert
+bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen
+garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der
+karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere
+sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
+erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat
+den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische
+Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags
+sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen
+Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen
+und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse
+ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie
+ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter
+und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit
+war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago
+sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
+seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von
+den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So
+gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die
+Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in
+den groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren,
+erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig
+Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging
+nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder
+zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein
+Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu
+regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel
+sie einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen
+Untertanen zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern.
+Aber die roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten
+geradezu Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in
+Aussicht gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm
+bestimmte Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das
+allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das
+Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser
+Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt
+worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass
+entweder roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach
+gruendlicher Untersuchung zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den
+Verhandlungen in Rom Massinissas Beauftragte Mangel an Instruktionen
+vorschuetzten und die Sache vertagt ward. Nur phoenikische Geduld war
+imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu schicken, ja dabei
+den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie begehrten und
+nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen und
+namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen.
+
+Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und
+Ergebung. Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer
+Spitze stand der Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den
+Roemern furchtbar blieb. Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung
+der leicht vorauszusehenden Verwicklungen zwischen Rom und den
+oestlichen Maechten noch einmal den Kampf aufzunehmen und, nachdem der
+grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne wesentlich an der
+karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen Kampf vor
+allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der Not
+und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen
+maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die
+Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den
+grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener Einnahme Roms und
+Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer verbrecherischen
+Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte Oligarchie wurde auf
+Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein demokratisches
+Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der Buergerschaft
+angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch Beitreibung der
+rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch Einfuehrung einer
+besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die roemische
+Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit
+ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben
+damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien
+zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es
+war keine eingebildete Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien
+landen und ein zweiter Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen
+koenne, waehrend die roemischen Legionen in Kleinasien fochten. Man
+kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach
+Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt war, Hannibals
+Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen Oligarchen, die
+Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie gestuerzt,
+wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten dem
+Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen
+waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener
+Gesandtschaft ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des
+maechtigen Volkes vor dem einfachen Schofeten von Karthago lag, so
+begreiflich und ehrenwert es ist, dass der stolze Sieger von Zama im
+Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden Schritt, so war doch
+jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte Wahrheit,
+und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische
+Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats
+dulden konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der
+feindlichen Regierung fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend.
+Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg gefuehrt hatte, so
+hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Besiegten trifft. Die
+Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem Stern danken,
+dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient
+die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die
+mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat
+verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben.
+Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter
+sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz
+verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt.
+
+Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich
+verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht
+aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort
+die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des
+ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet
+haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als
+in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
+damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an
+Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der
+Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch
+gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb
+das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie
+nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig die
+Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit
+Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom
+wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die
+regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der
+gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die
+roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch
+jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten
+Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu
+erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die
+karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201)
+stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer,
+denen an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an
+den Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die
+Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die
+Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen
+Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald
+hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago
+blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen
+Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer
+nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
+Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte,
+die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171).
+Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als
+hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber
+waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von
+roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die
+Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in
+ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht
+fertig zu werden sei.
+
+Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso
+dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben
+ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage
+ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich
+selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die Griechen und Roemer
+die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, die Araber Berber
+nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als “Hirten” (Schâwie)
+bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt sind.
+Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner
+anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
+diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar
+an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet,
+aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die
+Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das
+phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation
+ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs
+ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen
+Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte
+unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen
+Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz
+entbehren zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem
+dieselbe auf Afrika beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der
+gequaelten Stadt jede freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man
+suchte, fand man bei den eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des
+Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen Eingeborenen unter
+drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge Fuersten
+gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom
+Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der
+marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler,
+Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge
+(Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran
+und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der von dem
+Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der heutigen
+Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der Koenig von
+Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und Karthago
+ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in der
+Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der
+Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den
+Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte
+(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht
+um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen.
+Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft hat
+Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt.
+Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter,
+maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
+ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
+vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
+Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als
+Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der
+schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande
+Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer
+ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar
+ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den
+Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern
+aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch
+bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, ward
+dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es
+schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in
+ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie
+in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er
+starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im
+sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz
+seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen
+einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und
+gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt
+worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
+Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer
+Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende
+Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und
+stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem
+einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere
+Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem
+Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte
+er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass
+sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze
+erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste
+und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet
+keinen Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die
+libysche Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die
+Schmaelerung des Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden
+Hirten wurden durch ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem
+Beispiel des Koenigs, der weithin die Felder urbar machte und jedem
+seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess, fingen auch seine
+Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie
+seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in
+Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden,
+und hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer,
+ein wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz
+Cirta (Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen
+Staates und ein Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem
+Hofe des Berberkoenigs eifrige und wohl auch auf das kuenftige
+karthagisch-numidische Reich berechnete Pflege fand. Die bisher
+unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch in ihren eigenen
+Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie Gross-Leptis,
+drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an, unter der
+Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die
+karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika
+Fremdlinge seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der
+nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende
+phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger
+das Werk der Karthager als das des Massinissa.
+
+In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der
+Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so
+bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber
+ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen
+zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem
+bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte,
+durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als
+Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde,
+sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen
+machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
+an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
+Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine
+deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine
+weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des
+Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in
+mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe
+Zeit hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das
+phoenikische Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um
+Sevilla) ist sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein
+metrisches Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche
+Aufzeichnungen besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die
+zivilisierteste unter allen spanischen genannt und zugleich die am
+wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit
+fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl auch
+Polybios’ Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand des
+Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an
+Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war,
+und von den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen
+Kruegen voll “Gerstenwein”. Auch die Kulturelemente, die die Roemer
+mitbrachten, fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass
+frueher als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in
+Spanien die Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in
+dieser Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei
+den Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach
+weit frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht
+bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen
+Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das
+sogenannte “Silber von Osca” (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst
+spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195)
+erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
+nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen
+Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und
+oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen
+Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben,
+dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war
+dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von
+zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei
+Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um 600
+(154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und sich
+ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
+Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der
+Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn
+in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von
+den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste
+Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren
+gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von
+Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern
+wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein
+bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner
+bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
+und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig
+Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine
+keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem
+roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen
+Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde
+es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig es
+nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die
+Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden
+Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der
+Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, im
+Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte:
+entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische
+Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte
+sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu
+Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu
+brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz
+in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon
+zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei
+den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen
+aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens
+Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der
+seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae
+an der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren
+spanischen Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der
+Spitze der Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer
+getrennt wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer
+Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten
+bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische
+Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur
+zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll
+Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote
+sollten denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt
+werden. Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die
+Spanier nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter
+Hannibals Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht
+sich als nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen
+Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren
+gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die
+roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich
+militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so
+haetten sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich
+entledigen koennen; aber ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als
+des Soldaten und es mangelte ihr voellig der politische Verstand. So
+kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem
+ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz
+richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer
+erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen
+fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein
+geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und
+zu zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich
+genuegende, eine umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen
+Ziel der roemischen Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit
+Palliativen verfahren.
+
+Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in
+Spanien erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals
+karthagische Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften
+Andalusien, Granada, Murcia und Valencia umfasste, und die
+Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und Katalonien, das
+Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten Krieges; aus
+welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und
+Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den
+beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen
+Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische
+Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen
+Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und dem
+spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet
+abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den
+Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich
+beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war
+indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem
+Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der
+Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner
+jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein
+roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr aus
+Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur
+Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der
+Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
+grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem
+Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend und
+infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte
+roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche
+Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen
+Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu
+halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der
+unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war
+schlechterdings unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr
+gefaehrlich, sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische
+Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein
+fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch
+fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen
+Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich
+weigerten, die Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten,
+meuterten diese und drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe,
+ihn sich selber zu nehmen.
+
+Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden,
+kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit
+Scipios Abreise und waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte.
+Nach dem Frieden mit Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel
+die Waffen, jedoch nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in
+beiden Provinzen eine allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der
+Jenseitigen ward hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig
+ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst
+anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor Quintus
+Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der
+Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu
+senden. Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze
+Diesseitige Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese
+Hafenstadt und im inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet
+wurden. Es kam zur offenen Feldschlacht zwischen den Insurgenten und
+dem konsularischen Heer, in der nach hartem Kampf Mann gegen Mann
+endlich die roemische Kriegskunst mit der gesparten Reserve den Tag
+entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte darauf seine
+Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich
+gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom
+sofort der Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch,
+und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt
+hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei verkauft hatte,
+ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in der diesseitigen
+Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der Eingeborenen von
+den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre Mauern an einem und
+demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie weit das Gebot sich
+erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen; die meisten
+Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen wagten es
+nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern
+erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen.
+
+Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen
+Erfolg. Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der
+“friedlichen Provinz” ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam
+zu bringen, und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige
+Provinz fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum
+Beispiel 563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager
+im Stich lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften
+zurueckkehren musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius
+Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der
+tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die
+Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen
+Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber
+die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus
+Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181)
+wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und
+besonders durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179,
+178), welcher mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert
+spanische Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen
+auf die Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge
+erreichte. Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer
+Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den
+schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die
+spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem
+Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der
+einzelnen Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise
+Vertraege regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger
+Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken,
+und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches
+Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein.
+
+————————————————————-
+
+^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer
+in der Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum
+aufbewahrten Kupfertafel zum Vorschein gekommen: “L. Aimilius, des
+Lucius Sohn, Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta
+[durch Muenzen und Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage]
+wohnhaften Sklaven der Hastenser [Hasta regia, unweit Jerez de la
+Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die Ortschaft, die sie zur
+Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und haben, so lange es
+dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im Lager am
+12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. “ (L. Aimilius L. f. inpeirator
+decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana habitarent,
+leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent,
+item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet.
+Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische
+Urkunde, die wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als
+der bekannte Erlass der Konsuln des Jahres 568 (186) in der
+Bacchanalienangelegenheit.
+
+———————————————————-
+
+Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem
+sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung
+ward wie hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die
+zuerst im Jahr 557 (197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die
+Grenzregulierung und die definitive Organisierung der neuen Provinzen
+faellt. Die verstaendige Anordnung des Baebischen Gesetzes (573 181),
+dass die spanischen Praetoren immer auf zwei Jahre ernannt werden
+sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den hoechsten
+Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung
+der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und
+es blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen
+eintraten, auch hier bei dem fuer diese entfernten und schwer
+kennenzulernenden Provinzen besonders unvernuenftigen jaehrlichen
+Wechsel der roemischen Statthalter. Die abhaengigen Gemeinden wurden
+durchgaengig zinspflichtig; allein statt der sizilischen und
+sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von den
+Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen
+Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen
+auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat
+infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr 583
+(171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als
+gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter
+nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der
+eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht
+einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen
+Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz
+andere Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es
+ward dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das
+Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den
+spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier
+keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch
+genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr der
+Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst
+schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von
+Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen
+Kuestenplaetze griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung,
+wie Saguntum, Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der
+roemischen Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen
+wurden. Im ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch
+sowohl wie finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage
+liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik
+der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser
+beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
+Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren,
+selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3,
+welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung
+namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel
+mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die
+Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an
+Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in
+Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht
+loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs der
+Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.
+
+————————————————————————-
+
+^3 1. Makk. 8, 3: “Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im
+Lande Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben
+daselbst.”
+
+
+
+
+KAPITEL VIII.
+Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg
+
+
+Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein
+Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt,
+den ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der
+Zeit, bei wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den
+Orient zu hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau
+eines hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander-
+und Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute
+nach Massalia und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt
+hatte, hielt jetzt fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in
+dem alten Reich der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen
+griechische Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den
+grossen Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander
+und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen
+selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten
+ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und
+Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534
+(220) dort den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens,
+was es gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders:
+ein gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der
+Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt,
+nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die
+Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen
+Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss
+ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil
+desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum
+Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel
+Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika
+und im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge
+Sunion, Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle
+diese Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und
+empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen
+Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, “die
+drei Fesseln der Hellenen”. Die Macht des Staates aber lag vor allem in
+dem Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung
+dieses weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller
+Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als
+ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es
+ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von
+der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall
+hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im
+eigentlichen Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation
+zerruettet war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben
+kaum mehr der Muehe wert schien, selbst von den Besseren der eine ueber
+dem Becher, der andere mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe
+den Tag verdarb, waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen
+unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente
+aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft
+und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum
+genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die
+Schulmeister zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand
+rein griechischen Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand
+dagegen im noerdlichen Griechenland noch ein guter Teil der alten
+kernigen Nationalitaet, aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen
+waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die Makedonier, die
+Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als ein
+besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene
+Rolle, welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia
+spielen. Die Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der
+laengere Zeit in Makedonien gelebt und dort Landessitte und
+Landestracht angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt
+heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Sklaven
+achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte Nationalsinn
+kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und geordnetsten
+der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier der
+Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische
+Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
+keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt
+sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind,
+wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und
+die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten
+Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines
+dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare
+grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion
+gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu
+unvergaenglicher Ehre.
+
+Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das
+oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des
+“Koenigs der Koenige”, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine
+Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben
+Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und mit
+derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder
+abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien
+griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum
+Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze
+Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den
+Haenden einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen
+Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von
+Pergamon, und die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils
+frei, so dass dem Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere
+Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu
+realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und
+gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem
+Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen
+Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in
+dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern,
+in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig
+gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den
+Emanzipationsversuchen der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen
+Griechen zu steuern, und in den Familienzwisten und
+Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem der
+Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die
+absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein
+die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil
+sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung
+einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren
+pflegten.
+
+Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein
+festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst
+der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen und
+religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft
+begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder
+Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte.
+Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf
+ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in
+Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und
+diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in
+Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den
+Staat laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der
+erste Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich
+aeusserst brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens
+vor den beiden grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik
+nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke
+verfolgte. Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem
+Alexander seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als
+unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten
+und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht
+her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine
+Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung
+getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und
+dem Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und
+machten Aegypten zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und
+zum Herrn des oestlichen Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es
+ist bezeichnend, dass Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen
+freiwillig an Seleukos Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von
+Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch die guenstige geographische
+Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine
+vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff.
+Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande
+war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich
+zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene
+sich festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
+phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von
+Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch
+die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren
+Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen
+ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie
+einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner
+auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente
+Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster
+Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
+diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen
+und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte
+nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den
+Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten,
+sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und
+grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen
+Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur
+Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes.
+Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische Kunst
+und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu
+fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr
+der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet
+Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen
+unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister
+Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten.
+
+Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem
+Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer
+monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen
+Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter
+hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes
+und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten,
+waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander
+rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren
+gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten
+oder doch haetten zusammenhalten sollen.
+
+Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens
+mit dem Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe,
+welche vom suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich
+hinziehend das Innere und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt:
+Atropatene (im heutigen Aserbeidschan suedwestlich vom Kaspischen
+Meer), daneben Armenien, Kappadokien im kleinasiatischen Binnenland,
+Pontos am suedoestlichen, Bithynien am suedwestlichen Ufer des
+Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen Perserreiches und
+beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen Dynastien, die
+entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte
+Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug
+spurlos voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen
+und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die
+in Asien an die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte.
+
+Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der
+Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne
+zwischen Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei
+keltische Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich
+ansaessig gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und
+Sitte noch von ihrer Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen.
+Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem der vier Kantone eines der drei
+Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem Rate von dreihundert Maennern
+die hoechste Autoritaet der Nation und traten auf der “heiligen
+Staette” (Drunemetum) namentlich zur Faellung von Bluturteilen
+zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den Asiaten
+erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die
+Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
+unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils
+die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder
+brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der
+allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der
+asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische
+Heer von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I.
+Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261)
+zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden.
+
+Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden
+verdankte es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von
+seiner Vaterstadt den Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen
+vererbte. Dieser neue Hof war im kleinen was der alexandrinische im
+grossen; auch hier war die Foerderung der materiellen Interessen, die
+Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung und das Regiment
+eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren wesentlicher
+Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen festlaendischen
+Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen Griechenstaat im
+westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz trug viel
+zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den
+syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter
+unter den roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst
+Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina,
+das die verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den
+Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen hatten, von den
+Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente (51000 Taler)
+an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und des
+Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom
+staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich
+mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de’
+Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, und
+das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
+Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach
+sehr ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien.
+
+In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen
+Besitzungen an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich
+in Kerkyra roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem
+unmittelbar makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine
+eigene Politik zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im
+noerdlichen, die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die
+Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen
+waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher
+Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie
+der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch
+makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine
+von ihnen. Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum
+Teil aussah, dafuer mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo
+es freilich am aergsten zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen,
+das nicht in gerader Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu
+vermachen, und es fuer die Bewerber um die Staatsaemter manches
+Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich verpflichteten,
+keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die Ausklagung seiner
+Schuldner zu gestatten.
+
+Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt
+zu werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes
+waren voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und
+Poesie hob diese unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter
+einer Reihe von Kleinstaedten gleichen Schlages hervor.
+
+Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das
+kraeftige Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich
+ausgeartet in wueste Zucht- und Regimentlosigkeit - es war
+Staatsgesetz, dass der aetolische Mann gegen jeden, selbst gegen den
+mit den Aetolern verbuendeten Staat als Reislaeufer dienen koenne, und
+auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen, dies Unwesen
+abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man
+Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem
+Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem
+Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte
+Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der
+achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen
+den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten.
+
+Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des
+eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung,
+Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten
+Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit
+derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch
+Aratos’ diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch die
+leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung
+makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie
+so vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der
+Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort
+jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die
+schwaecheren Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden
+durch ihre alte, namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte
+Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft in ihrer Politik
+bestimmt und waren aetolisch und antimakedonisch gesinnt, weil die
+Achaeer es mit Philippos hielten. Einige Bedeutung unter diesen Staaten
+hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des
+Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer
+dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen er nicht
+bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der
+Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss
+geradezu eine Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung
+mit der grossen Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er
+auch einige Ortschaften besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine
+Piratenschiffe am Vorgebirge Malea waren weit und breit gefuerchtet, er
+selbst als niedrig und grausam verhasst; aber seine Herrschaft breitete
+sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama war es ihm sogar
+gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen.
+
+Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die
+freien griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis
+sowie auf der ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des
+Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich die lichteste Seite in dieser
+trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen Staatensystems, namentlich
+drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode wieder volle Freiheit
+genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu einer achtbaren
+politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt waren:
+Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die
+Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer;
+Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin
+Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich
+und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die
+makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren durch ihre glueckliche
+Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des Verkehrs in dem ganzen
+oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige Flotte wie der in der
+beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der Buerger setzten
+sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle
+vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und
+wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit
+den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu
+gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze
+Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen
+womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen Kueste
+nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten ihn,
+wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten hin,
+mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten standen
+sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung bei
+den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten ihre
+Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich der
+griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
+Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den
+Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige
+gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos,
+Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr.
+Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren
+nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu
+erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten; gegen
+etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald
+energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren die
+Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
+nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben
+durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen
+Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre
+nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit der
+Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die
+Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten oder
+nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser
+eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa,
+sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen
+verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen
+die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern
+herum die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe
+Buergersinn und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier
+Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten
+oder von der Hofluft korrumpiert zu werden.
+
+Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand
+zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte,
+zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst wurden, in die
+Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah und wie der
+Erste Makedonische Krieg (540-549 214-205) verlief, ist zum Teil schon
+erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im Hannibalischen Kriege
+haette tun koennen und wie wenig von dem geschah, was Hannibal hatte
+erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder einmal sich gezeigt,
+dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist als die
+absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien
+damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein
+rechter Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das
+lebhafte Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug
+seines Wesens; er war stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf
+ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit
+des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch einen hohen Sinn
+in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten, wo immer sein
+makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz gewann
+er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und
+gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein
+guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang
+gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und
+frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er
+pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die Goetter; aber es
+schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen sein
+Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die
+Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben
+seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
+verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos
+durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu
+befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den
+Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass
+ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes
+Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den
+Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
+und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein
+Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur
+Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten
+Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann
+niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei
+und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich
+erklaert, dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher
+berufen ward und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch
+Widerreden und Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle
+selbstaendigen Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele
+mitgewirkt haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des
+Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen -
+vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die
+nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
+Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und
+Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass
+sein spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an
+dessen Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte.
+
+Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49
+(206/05) in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu
+machen und sich kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens
+zu widmen. Es leidet keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche
+Ueberwaeltigung ungern sah; es kann auch sein, dass Hannibal auf eine
+zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im
+stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein
+sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich
+einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das
+voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie
+doch nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass
+Philippos keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn
+Jahre zuvor haette tun sollen.
+
+Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos
+Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen
+Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die
+Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich
+vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen den
+Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte
+aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und
+die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos’ Art, der ueber
+solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss
+ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, “eben wie die grossen Fische
+die kleinen auffressen”. Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig
+gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
+naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
+Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf
+diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo
+Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine
+von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord
+nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward
+Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu
+Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit
+den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit
+Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert.
+Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig
+Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half
+Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen.
+Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und dem
+Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
+Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu
+besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische
+Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals
+die Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier,
+deren Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig
+vereitelt worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen
+die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich
+konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische
+Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit
+dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
+nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte,
+dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen
+Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle.
+Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios; man
+musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos,
+ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr
+zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln
+einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und
+erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
+hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos’ persoenlicher und
+politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der
+aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der
+seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst
+vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich
+begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit
+zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit
+zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um
+sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein
+die rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht
+in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war
+geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus
+und Philippos’ Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er
+endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel,
+wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000
+Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden
+gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann
+und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von
+seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff
+bei Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von
+Rhodos, dessen Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht
+entschieden hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So
+konnte, waehrend Attalos’ Flotte in die Heimat ging und die rhodische
+vorlaeufig bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg
+zuschrieb, seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um
+die karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten
+die Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen
+Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel Lade
+vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich
+zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
+waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen,
+besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos
+die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland
+die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen
+Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht
+vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken,
+so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken
+koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und
+Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; aber
+jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der
+Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu
+geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte
+den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in
+der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und
+die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder
+Zwang. Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger;
+Philippos musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig
+gegeben hatte, und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu
+bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der
+Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des
+Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden
+ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den
+Rueckzug abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu
+nehmen, waehrend doch die Angelegenheiten daheim, namentlich die
+drohende Intervention der Aetoler und der Roemer, seine Rueckkehr
+dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr; er liess Besatzungen,
+zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in Schach zu
+halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia,
+Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in
+Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der
+Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten,
+gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor dem Winter
+553/54 (201/00) zu Hause zu sein.
+
+In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen,
+welches ihm nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen
+Aegyptens fortzusetzen. Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den
+Frieden mit Karthago auf ihre Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen
+an, sich ernstlich um diese Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es
+ist oft gesagt worden, dass sie nach der Eroberung des Westens sofort
+daran gegangen seien, den Osten sich zu unterwerfen; eine ernstliche
+Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil fuehren. Nur die stumpfe
+Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser Zeit noch keineswegs
+nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts
+weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland ungefaehrliche
+Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war Makedonien
+nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist
+augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49
+(206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern
+gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien
+in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe und doch
+nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom
+den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl eine
+Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in
+Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm zu
+teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
+freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch
+nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen
+Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer
+Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der
+gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der
+Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen,
+der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber
+jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
+549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
+unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des
+kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
+neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte.
+Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
+Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel
+tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig
+zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen
+Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen
+Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies
+die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn
+schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und
+Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm
+ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die
+Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen,
+dass dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es,
+dass in dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede
+andere Nation und wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es
+ist seltsam, den Roemern das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte
+Behandlung der Kianer und Thasier in ihren menschlichen wie in ihren
+hellenischen Sympathien sich empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in
+der Tat alle politischen, kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom
+zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen, einem der
+gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur
+hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die
+Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen
+Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553
+(201) erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der
+sizilischen Flotte von 38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die
+Regierung in Verlegenheit, einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu
+machen, dessen sie dem Volk gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn
+sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen waere, um die
+rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos’ Art gering zu
+schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom
+den Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich.
+Die roemischen Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten
+sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe.
+Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter an der Spitze des
+illyrischen Aufgebots Philippos’ Scharen aus dem illyrischen Gebiet
+hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten des Koenigs 552
+(202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn frueher finden, als
+ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts als die
+gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte;
+eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur
+Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den
+saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische
+Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen
+den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und Pergamon, die
+begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe zu erbitten,
+waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn auch alexandrinische
+Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft ueber das
+koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich
+beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention
+zwar die augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der
+grossen westlichen Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber
+haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden
+muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit Asien und Makedonien zugleich
+verwickelt haben, was man natuerlich um so mehr zu vermeiden wuenschte,
+als man fest entschlossen war, wenigstens in die asiatischen
+Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig, als
+vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von
+Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es
+die Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten
+geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem
+man ihm Syrien preisgab, teils endlich den Bruch mit Philippos
+moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der
+griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553
+201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der
+Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus
+aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als “Vormund des Koenigs”
+dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche
+Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit
+Philipp nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten
+Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus
+Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien
+nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und
+liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen.
+
+Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte
+aufs neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien,
+wo er die saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos,
+Elaeos, Sestos besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor
+einer roemischen Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der
+asiatischen Kueste Abydos an, an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste,
+da er durch den Besitz von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen
+Antiochos in festere Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten
+brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus
+Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das
+schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte;
+Philippos beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen,
+Andros, Kythnos und Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe
+auszuruesten. Die Rhodier gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo
+Attalos, der den Winter ueber bei Aegina gestanden und mit den
+Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben hatte, mit seinem
+Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen, den
+Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen;
+allein die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich
+die Stadt, nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und
+nach der Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand
+gefallen waren, der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den
+Abydenern drei Tage Frist gegeben wurden, um freiwillig zu sterben.
+Hier im Lager von Abydos traf die roemische Gesandtschaft, die nach
+Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und Aegypten die griechischen
+Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem Koenig zusammen und
+entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der Koenig solle
+gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die dem
+Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den
+Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein
+Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur
+foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der
+roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die
+feine Antwort, dass er dem jungen schoenen roemischen Mann wegen dieser
+seiner drei Eigenschaften das Gesagte zugute halten wolle.
+
+Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer
+anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und
+grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen,
+weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die
+Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von Philippos begehrten, dass er
+ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner
+treuesten Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen, in
+Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren eigenen Leuten
+ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika einzufallen. Zwar war dies
+nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es liess auch der Fuehrer
+der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden Worte der gerade in
+Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen den
+Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine
+athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps
+auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie
+der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand;
+weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen
+Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische
+Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen.
+
+Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200)
+die Kriegserklaerung “wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten
+Staat” vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast
+einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen
+querulierten ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle;
+aber der Krieg war einmal notwendig und genau genommen schon begonnen,
+so dass der Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft
+ward durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist
+bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der
+Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen
+Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen -
+die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien,
+zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
+Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber
+entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg
+aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher
+fand, meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im
+Herbst 555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von
+Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen
+gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei
+in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem
+Konsul Publius Sulpicius Galba.
+
+So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die
+weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine
+Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren
+kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen schlechterdings
+nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen in die
+Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch
+notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der
+latinischen Bundesgenossen fuehrte.
+
+Philippos’ Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede
+Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen
+Umstaenden auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren
+hauptsaechlich durch seine Schuld so untereinander verhetzt, dass sie
+die roemische Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu foerdern
+geneigt waren. Asien, Philipps natuerlicher und wichtiger
+Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden und ueberdies
+zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen Krieg an
+taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse
+daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt
+noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu
+verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den Roemern die
+Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der zwischen Asien
+und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber Aegypten warf
+diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme und erzwang die
+Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in die
+Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
+Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter
+gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos,
+Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das
+Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber
+Philippos’ grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu
+einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung
+wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln.
+Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort
+eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren,
+gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der
+antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und
+Aetolern, haette Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht,
+da der Friede von 548 (206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen
+tiefen und keineswegs aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen
+von den alten Differenzen, die wegen der von Makedonien der aetolischen
+Eidgenossenschaft entzogenen thessalischen Staedte Echinos, Larissa
+Kremaste, Pharsalos und des phthiotischen Thebae zwischen den beiden
+Staaten bestanden, hatte die Vertreibung der aetolischen Besatzungen
+aus Lysimacheia und Kios bei den Aetolern neue Erbitterung gegen
+Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten, sich der Ligue gegen ihn
+anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich in der
+fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern.
+
+Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das
+makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten,
+Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter
+unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die
+roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig der
+Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den
+Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils viele
+verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
+Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens
+(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen
+regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich
+selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos’ Zeit, blind
+der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische
+Eidgenossenschaft, die von Philippos’ Vergroesserungssucht weder Nutzen
+noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom
+unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff,
+was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit
+den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und
+begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern zu
+vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
+einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
+Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen;
+die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste
+Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen -
+es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht
+aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral.
+
+Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius
+Galba mit seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar
+mit Elefanten, die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei
+Apollonia; auf welche Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach
+Thessalien zurueckkehrte. Indes teils die schon weit vorgerueckte
+Jahreszeit, teils die Erkrankung des roemischen Feldherrn bewirkten,
+dass zu Lande dies Jahr nichts weiter vorgenommen ward als eine starke
+Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden Ortschaften, namentlich
+die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden.
+Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren, namentlich
+mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten
+Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen,
+ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet.
+
+Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck-
+und 80 leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei
+Kerkyra fuer den Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius
+Claudius Cento nach dem Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand
+zu leisten. Da Cento indes die attische Landschaft gegen die
+Streifereien der korinthischen Besatzung und die makedonischen Korsaren
+schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und erschien
+ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in
+Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen
+aufbewahrt wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen
+roemischen Angriff erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen,
+die Besatzung niedergemacht, die Gefangenen befreit und die Vorraete
+verbrannt; leider fehlte es an Truppen, um die wichtige Position zu
+halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach Philippos in
+ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf nach
+Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die
+Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
+Allein die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich,
+so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius
+Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum
+Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in Griechenland; aber
+politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich gering. Umsonst
+versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen; und ebenso
+vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus sowie ein
+zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als seine
+begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der
+Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und
+nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem
+Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem
+Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der
+kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen
+Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen:
+in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in
+oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der
+Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
+sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme
+am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge,
+die der Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und
+durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an
+die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat,
+diese uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war
+ihm entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach
+bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige
+Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer
+fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen
+Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die
+Lager schlugen. Philippos’ Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung
+der noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa
+20000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso
+stark. Indes die Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in
+der Heimat fechtend und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe
+den Proviant zugefuehrt erhielten, waehrend sie sich so dicht an die
+Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht wagen konnten, zu
+ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot die
+Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und
+die Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin
+einige Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba
+war genoetigt, sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei
+Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von wo er leichter sich
+verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier wurden die
+ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der Reiterei
+der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen und
+trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen
+war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst
+das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner
+Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die
+Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten Nebenangriffe der
+Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der makedonischen
+Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet moeglichst starke
+Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere Soeldner
+hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den
+Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er
+selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und
+ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der
+pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der
+Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete
+Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen
+Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von
+Thasos und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias
+aufgestellte Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als
+zweifelhafte Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten
+diese ploetzlich dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit
+den Athamanen vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die
+Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und
+die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in
+den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der
+Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten.
+
+Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in
+oestlicher Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich
+unvermuteten Einfall der Aetoler zurueckzuschlagen oder um das
+roemische Heer sich nach und ins Verderben zu ziehen oder um je nach
+den Umstaenden das eine oder das andere zu tun, ist nicht wohl zu
+entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so geschickt, dass
+Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen, seine Spur
+verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die
+Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu
+erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen
+einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten
+Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich
+unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier
+wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute.
+Indes wenn auch Philippos’ Heer nach diesem ungluecklichen Treffen
+nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu
+wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und
+feindlichen Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und
+kehrten zurueck nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren
+Landschaften Hochmakedoniens Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und
+die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer
+Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war
+die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im
+illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen
+Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem
+aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen.
+
+Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht,
+sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen,
+die in der Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das
+reiche Tal des Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug
+sie vollstaendig und noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den
+wohlbekannten Bergpfaden zu, retten. Durch diese Niederlage und ebenso
+sehr durch die starken Werbungen, die in Aetolien fuer aegyptische
+Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der Eidgenossenschaft
+nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der leichten
+Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber
+die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel
+aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea
+und Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische
+Halbinsel, die aber die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig
+zurueckwies. Der Rest des Sommers verging mit der Einnahme von Oreos
+auf Euboea, welche durch die entschlossene Verteidigung der
+makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache
+makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und
+wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen
+diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und
+Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat.
+
+Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich
+Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst
+beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling
+aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der
+Aetoler und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea
+haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet
+wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck
+verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet
+vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich
+vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze
+gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den
+Aetolern zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos
+vergeblich zu den Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm
+vereinigte, so durfte er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen
+Augenblick, als schicke dieser sich dazu an; sein Heer erschien in
+Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von
+den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich
+nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten
+Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos’ Gebiet geraeumt
+ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen.
+
+Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut
+oder Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer
+und der Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen
+Plaetze und des verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert
+hatte, im naechsten Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive
+ergriff und in die atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen
+Pass, wo sich der Aoos (Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos
+durchwindet, ein wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber
+lagerte das durch neue Truppensendungen verstaerkte roemische Heer,
+ueber das zuerst der Konsul des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann
+seit dem Sommer 556 (198) der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius
+Flamininus den Oberbefehl fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst
+dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der juengeren Generation, welche
+mit dem altvaeterischen Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von
+sich abzutun anfing und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an
+sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und
+besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der
+schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch
+waere es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn
+die Wahl auf einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann
+gefallen und ein Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine
+Schmeichelei bestochen noch beissende Spottrede verletzt haette, der
+die Erbaermlichkeit der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber
+literarischen und kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der
+Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern aber es erspart haette,
+unausfuehrbaren Idealen nachzustreben.
+
+Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine
+Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich
+gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich,
+alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen
+Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu
+unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
+namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen.
+Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne
+dass Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder
+den Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige
+Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die
+Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten
+Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten
+auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300
+Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie
+alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
+Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen
+herabsteigenden roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor
+Lager und Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis
+an den Pass Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen
+anderen Besitz gab er auf bis auf die Festungen; die thessalischen
+Staedte, die er nicht verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur
+Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils
+durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch Flamininus’
+geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom
+makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht
+vom Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen,
+und die Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt,
+allein die festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von
+Philippos Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand
+oder widerstanden sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am
+linken Ufer des Peneios, wo in der Bresche die Phalanx statt der Mauer
+stand. Bis auf diese thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen
+Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition.
+
+Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die
+durch das Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die
+Verbindung unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch
+immer wesentlich in makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss
+sich, da es doch zu spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien
+einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte gegen Korinth und die
+Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen und
+pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit
+beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und
+Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes
+ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem makedonischen
+Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt wurden. Die
+vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem oestlichen
+Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der anderen
+Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in
+der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend,
+namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier
+ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen
+Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte schon an
+ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte,
+aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am
+engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme, Megalopolis und Argos
+die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss dieselbe den Beitritt zu der
+Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere Fuehrer der
+makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer
+vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth
+zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen
+die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde
+zugesichert worden war. Die makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann
+stark war und grossenteils aus italischen Ueberlaeufern bestand,
+verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam
+von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung von 1500 Mann, die
+nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das Gebiet der Achaeer
+eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch gesinnten
+Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung
+war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des
+Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der
+Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen
+Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur
+deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den
+Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich
+befand. Allein Philippos’ Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als
+dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu schlagen Lust
+verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, allein er
+verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus, welcher in
+der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg begriffenen
+Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und
+Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte.
+
+So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich
+einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea
+am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich
+und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen,
+indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und
+Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die Roemer als
+die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche
+Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um durch
+die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen die
+Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten
+gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht
+ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen
+Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen
+Waffenstillstand zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung.
+Im roemischen Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle
+seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos’
+Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie
+Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth,
+Chalkis und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach
+man sofort die Unterhandlungen ab und beschloss die energische
+Fortsetzung des Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem
+Senat, den so nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und
+Flamininus das Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende
+Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba
+und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu
+stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu
+wagen. Um Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme
+der Akarnanen und Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die
+Besatzung von Korinth bis auf 6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst,
+die letzten Kraefte des erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder
+und Greise in die Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann,
+darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So
+begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der
+Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im
+eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der
+boeotischen Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen
+sahen, dem Buendnis gegen Makedonien wenigstens dem Namen nach
+beizutreten. Zufrieden, hierdurch die Verbindung zwischen Korinth und
+Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach Norden, wo allein die
+Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten der Verpflegung
+des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die schon
+oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen,
+indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika,
+Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die
+Entscheidung kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos,
+ungeduldig und zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten,
+den Feind an der makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion
+sein Heer gesammelt hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien
+ein und traf mit dem ihm entgegenrueckenden feindlichen Heer in der
+Gegend von Skotussa zusammen. Beide Heere, das makedonische und das
+roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten und Athamanen und die von
+Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen ansehnlichen
+aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr gleich
+viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei
+dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des
+Karadagh, traf waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab
+unvermutet auf den feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern
+gelegenen, hohen und steilen Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt
+hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung
+aus dem Lager von den leichten Truppen und dem trefflichen Korps der
+aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits den makedonischen
+Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden wiederum die
+Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem groessten
+Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich
+vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager
+zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht
+die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten
+haetten, bis Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte.
+Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes
+fordernden Truppen gab der Koenig nach und ordnete auch seine
+Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder Feldherr noch
+Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu
+besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der
+rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh
+genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu
+stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten
+Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel
+heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der
+Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem
+linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte der
+Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten
+Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und
+gleichzeitig die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und
+ihnen in die Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche
+Angriff der Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke
+Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel
+liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der
+Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und
+waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen
+rechten Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in
+Unordnung kamen, gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der
+rechte Fluegel der Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem
+feindlichen linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel
+standen, vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend
+hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener
+roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen
+auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken
+verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
+Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und
+mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen
+Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000
+teils gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens
+gefallene, weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der
+Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der
+Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle
+seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte
+er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck.
+
+Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch
+andere Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in
+Karien schlugen die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische
+Korps und zwangen dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die
+korinthische Besatzung ward von Nikostratos und seinen Achaeern mit
+starkem Verlust geschlagen, das akarnanische Leukas nach heldenmuetiger
+Gegenwehr erstuermt. Philippos war vollstaendig ueberwunden; seine
+letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben sich auf die Nachricht von
+der Schlacht bei Kynoskephalae.
+
+Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren:
+sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich
+Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies
+Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess
+das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten
+niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das
+bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern
+gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft.
+Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der
+griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu bieten,
+dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen
+Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
+hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso
+sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl
+verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der “Sieger von
+Kynoskephalae”, wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass
+es nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien
+sie ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein
+Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen
+Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf
+die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus
+gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter seines
+Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den
+Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
+hinauszuschlagen.
+
+Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen
+Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn Personen
+uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. Philippos
+erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago gestellt worden
+waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in Kleinasien, Thrakien,
+Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; dagegen blieb
+das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige unbedeutende
+Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward -
+eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die
+die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem
+Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von
+ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner
+verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms
+abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner
+nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt
+gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber
+5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu
+unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat
+Philippos mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf
+Verlangen Zuzug zu senden, wie denn gleich nachher die makedonischen
+Truppen mit den Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine
+Kontribution von 1000 Talenten (1700000 Taler).
+
+Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet
+herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte,
+um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man
+dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die
+Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass ueberseeische
+Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die ueberhaupt
+keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen
+nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre
+Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
+Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren;
+und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den
+Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196).
+Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein
+verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der
+Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die
+Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der
+Inschrift “T. Quincti(us)”, unter dem Regiment des Befreiers der
+Hellenen in Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen
+Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit.
+
+——————————————————————————
+
+Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen
+Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra,
+Pleuratos, fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern
+gedemuetigten Land- und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten
+unter all den kleinen Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner
+einige Ortschaften im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt
+hatte und die man ihm liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und
+Imbros, welche Athen fuer seine vielen Drangsale und seine noch
+zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk
+erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und
+Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den
+Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu
+befreiten Staedte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten
+wurden die Achaeer bedacht, die doch am spaetesten der Koalition gegen
+Philippos beigetreten waren; wie es scheint, aus dem ehrenwerten
+Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen griechischen der
+geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen Philipps auf
+dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden ihrem
+Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende;
+sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie
+aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und
+Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils
+in die Ferne geschoben, und die thessalischen Staedte vielmehr in vier
+kleine selbstaendige Eidgenossenschaften geordnet. Dem Rhodischen
+Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos, der thrakischen
+und kleinasiatischen Staedte zugute.
+
+Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse
+Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten
+in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern
+und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den
+Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis zum
+Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm
+ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb
+Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
+Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer
+und auf Antiochos’ Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung
+von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf
+einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit
+der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch
+einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung
+lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta,
+Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner
+durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden
+nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit
+Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst
+umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht.
+Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000
+Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein
+vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der ihm
+verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
+befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen
+Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus
+ihm gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen
+anzunehmen, verwarf “das Volk”, das heisst das von Nabis in Sparta
+angesiedelte Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem
+Siege fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die
+Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler
+und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden,
+und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern
+und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern
+erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden
+wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige
+Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward
+weder gezwungen, die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem
+Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische
+Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis
+seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte
+und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder
+auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine
+anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut
+wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine
+Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die
+Staedte an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde,
+die im Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der
+“freien Lakonen” nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund
+einzutreten. Ihr Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck,
+indem die ihnen angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen
+ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider
+deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer,
+obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen
+erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung
+des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der
+Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen
+Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass
+Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht
+regelte, wie es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und
+ungerechte politische Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und
+tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern waere die
+Einverleibung Spartas in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung
+Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht
+minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten
+und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren
+beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle
+eines anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war
+eben darum der rechte, weil er beide extreme Parteien nicht
+befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich gesorgt, dass es mit dem
+spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte und das Regiment
+daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde unbequem fallen
+konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte und
+wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war,
+davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch
+unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner
+Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein
+Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen Eidgenossenschaft im
+Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste Vorwurf trifft einen
+Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig wahrscheinlich, dass
+die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten.
+
+Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen
+Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der
+einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die
+Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung selbst noch nach der
+Verdraengung der Makedonier aus Griechenland offen zur Schau; nachdem
+Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos’ Diensten gestandenen
+Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward der entschiedenste der
+makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum Vorstand der Boeotischen
+Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf alle Weise
+gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch
+gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer
+warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen
+Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens
+nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf die Boeoter sich
+nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern auch den einzeln
+durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten auflauerten und deren
+an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; Flamininus legte ihnen
+eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und da sie diese
+nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und
+belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der
+Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen
+eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die
+makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder
+blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts entgegen
+als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland begnuegte
+sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging, auf die
+inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden
+einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren und
+die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
+staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde
+nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der
+betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu
+knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus
+versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen
+griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem
+Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige
+Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die
+waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden
+waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
+Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis
+nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und
+Akrokorinth, also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln
+Griechenlands von Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und
+zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen
+in die Heimat.
+
+Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
+Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
+Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache,
+weshalb der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude
+lieferte, einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und
+staatlichen Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes,
+dass eine maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte,
+als ihre Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren
+Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur
+vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von
+fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte
+Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts
+als politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern
+die Befreiung Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch
+die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst
+unbeschreiblich maechtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf
+die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle und vor allem den
+Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats ueberwand, der
+Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des
+damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu
+erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und
+gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch
+sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten.
+Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig, dieser ebenso
+kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort und Stelle
+dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu machen; die
+schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren Humanitaet
+weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In
+Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht
+veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte,
+die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den
+roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher
+Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen
+dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne
+den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere
+ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den
+Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen.
+Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten
+Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut.
+
+
+
+
+KAPITEL IX.
+Der Krieg gegen Antiochos von Asien
+
+
+In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531
+(223) der Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der
+Dynastie. Auch er war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur
+Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug
+namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten entwickelt, um ohne
+allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu heissen. Mehr indes
+durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des aegyptischen
+Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm gelungen,
+die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und
+zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von
+Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat
+wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich
+entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im
+Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig
+zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit
+Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn
+auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549
+205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu
+machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte
+sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen
+Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen
+Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos
+gemeinschaftliche Sache machen, wie die Lage der Dinge und der
+Buendnisvertrag es mit sich brachten. Allein nicht weitsichtig genug,
+um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die Angelegenheiten des
+Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte Antiochos
+seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos’ leicht
+vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das
+Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer
+sich allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem
+alexandrinischen Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat
+keineswegs die Absicht, wirklich, wie er sich nannte, dessen
+“Beschuetzer” zu sein; fest entschlossen, sich um die asiatischen
+Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall zu bekuemmern
+und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des Herakles und dem
+Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig machen. Mit der
+Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als getan war,
+mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen ging
+er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern
+zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen
+und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198)
+am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn
+Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses
+Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte
+die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass dieselben,
+um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich zum Frieden
+bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der Tochter des
+Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also das
+naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem
+der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck-
+und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen
+Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen
+- wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese Distrikte, die
+faktisch in Philippos’ Haenden waren, im Frieden an Antiochos
+abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen Besitzungen
+zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die kleinasiatischen
+Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich sammelte sich ein
+starkes syrisches Landheer in Sardes.
+
+Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von
+Anfang an Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen
+aus Kleinasien wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet,
+den Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und
+nun an Philippos’ Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen
+mussten. Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von
+Antiochos durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre
+zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich
+suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben
+beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den
+Roemern militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet
+besetzt habe, waehrend Attalos’ Truppen in dem roemischen Kriege
+beschaeftigt seien. Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem
+Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der
+kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass sie die Ueberschreitung
+der Chelidonischen Inseln (an der lykischen Kueste) als
+Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich hieran
+nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende Kunde
+von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die
+wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die
+Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den
+halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt,
+allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna,
+Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der
+Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu
+widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen der
+Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
+ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten,
+schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die
+aegyptischen Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in
+Europa fuer sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht
+zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten
+insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu
+willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie
+bezeigten sich dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange
+der Makedonische Krieg waehrte, und gab dem Attalos nichts als den
+Schutz diplomatischer Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam
+erwies; sondern auch nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die
+Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden gehabt, nicht von
+Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit der
+asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in
+den roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um
+sie durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die
+gute Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben
+benutzte, um die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich
+selbst dessen Landung in Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein
+Einruecken in den Thrakischen Chersonesos gefallen zu lassen, wo er
+Sestos und Madytos in Besitz nahm und laengere Zeit verwandte auf die
+Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die Wiederherstellung des
+zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem Hauptwaffenplatz und zur
+Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien ausersehen hatte.
+Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser Angelegenheiten sich
+befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig Gesandte, die von
+der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit der
+saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der
+Koenig redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das
+alte, von seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos,
+setzte auseinander, dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern,
+sondern einzig die Integritaet seines angestammten Gebiets zu wahren,
+und lehnte die roemische Vermittlung in seinen Streitigkeiten mit den
+ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit Recht konnte er
+hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei und es
+den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren
+^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch
+die falsche Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und
+die dadurch hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar
+in Alexandreia, beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu
+einem Abschluss, geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das
+folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit
+verstaerkter Flotte und Armee und beschaeftigte sich mit der
+Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne Seleukos bestimmte;
+in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte landfluechtig
+werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm zuteil
+ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom.
+Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus
+saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies
+unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit,
+wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen;
+denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur
+den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas
+ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
+Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten.
+Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden
+Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu
+bringen und jede Intervention der Roemer in die asiatischen
+Angelegenheiten fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die
+gaerende Opposition in Griechenland, der schwaechliche Uebermut des
+Asiaten, das Verweilen des erbitterten Roemerfeindes, der schon den
+Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier,
+alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens einer neuen
+Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein
+musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der
+antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht
+worden waere, sofort sich weiter gesteckt haben wuerde. Es ist
+einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen konnte. Indem
+Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend, aus
+Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den
+Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
+nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und
+vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen
+Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen
+die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte.
+
+———————————————————————————
+
+^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6,
+1891, S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps
+Gesandte an den roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den
+zwischen Rom und dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit
+einbezogen werden moege (όπως συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς
+γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν [βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens
+nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im
+uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten
+dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die
+Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber den
+Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
+Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
+Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und
+positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so
+ausfuehrlich bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die
+unterwegs um Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen
+Befehlshaber den Gesandten erteilten.
+
+Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische
+Legende zurueckgehende “Bruederschaft” der Lampsakener und der Roemer
+und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen
+und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch
+die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren.
+
+^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der
+syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198)
+setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian
+(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561
+(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die
+aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene
+war.
+
+——————————————————————————-
+
+Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen
+Nachbarn die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen
+wuerde, zu dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward,
+je mehr der Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem
+jungen Koenig von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra;
+dass er zugleich seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen
+Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits
+behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb
+faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der
+im Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon
+gefolgt war, die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und
+gleichfalls eine seiner Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem
+roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem
+Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die Galater durch
+Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und andere
+kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden
+ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen
+Staedte erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten
+Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der
+uebrigen sich begnuegen wolle mit einer bloss formellen Anerkennung
+seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar zu verstehen, dass er
+bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu unterwerfen. Im
+europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und hoffte auch
+Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein Plan
+Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine
+Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000
+Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und
+sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte;
+tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst
+einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der spanischen
+Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf ihrem
+Hoehepunkt stand.
+
+—————————————————————
+
+^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
+Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai)
+irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden
+wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach
+Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel
+geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil
+die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war; und
+eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit.
+
+—————————————————————-
+
+Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen
+Rom vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung
+verwickelten Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten
+und ungeduldigsten taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler
+fingen nachgerade selber an zu glauben, dass Philippos von ihnen und
+nicht von den Roemern ueberwunden worden sei, und konnten es gar nicht
+erwarten, dass Antiochos in Griechenland einruecke. Ihre Politik ist
+charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem
+Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen
+Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische
+Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger
+des syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile,
+indem sie dem Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach
+ihm als ihrem rechten Erloeser, ausstreckten, und denen, die in
+Griechenland auf sie hoeren wollten, dass die Landung des Koenigs
+naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es ihnen in der Tat, den
+einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu bestimmen und damit
+in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach Flamininus’ Entfernung,
+im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein sie verfehlten damit
+ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch den letzten
+Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und nahm
+sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen,
+schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil
+seines Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in
+der Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht
+genuegte, um Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler,
+sich selber in den Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen
+und durch den Gewinn dieser wichtigen Staedte den Koenig zur
+Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte man sich Spartas dadurch
+zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter dem Vorgeben,
+bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt
+einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und
+die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau
+erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern,
+sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und
+machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt liess darauf von
+Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen Bund einzutreten.
+Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also verdientermassen nicht
+bloss gescheitert war, sondern gerade den entgegengesetzten Erfolg
+gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den Haenden der Gegenpartei
+zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser, indem die
+roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen
+Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und
+Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die
+Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen
+war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem
+Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei; es
+kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem
+Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
+gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen
+wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die
+Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden
+geltend zu machen.
+
+Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht
+war, ihn durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften
+hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden. Schon im
+Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat in den
+oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen die
+Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum
+ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem
+Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
+der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen
+zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz
+und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192)
+noch einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius
+Sulpicius und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten
+hatte man sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche
+Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg
+beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte
+von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus
+vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den
+Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische
+Ostkueste wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche
+gesichert zu sein; fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer
+erwartet. Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr
+562 (192) Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu
+hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands
+wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass
+die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang
+es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine
+Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte
+ferner einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten
+schwankten. Wenn auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor
+dem Beginn des grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch
+widerstanden, er durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern,
+wofern er nicht die Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen
+wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland
+zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und
+Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40
+Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs
+Elefanten - und brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland
+auf, wo er im Herbst 562 (192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen
+an das Land stieg und sofort das nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um
+dieselbe Zeit landete auch ein roemisches Heer von etwa 25000 Mann
+unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also war von beiden
+Seiten der Krieg begonnen.
+
+Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen
+Rom, als deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was
+zunaechst den Plan betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde
+zu erwecken, so traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos
+das Los, seine grossartigen und hochherzigen Plaene fuer
+kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu
+ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige karthagische
+Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als
+sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte
+eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross,
+und nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum
+Beispiel den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder
+schreckten, des Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu
+bezichtigen, gelang es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle
+unbedeutenden Monarchen auf seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat
+und mit nichts so leicht zu beherrschen war wie mit der Furcht,
+beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu bringen, dass er sich
+nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln lassen; worauf
+denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur fuer
+untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich
+natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem
+Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte.
+
+In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von
+Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes
+blieb der alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die
+rechte Frucht tragen sollte. Er hatte Antiochos’ Anerbietungen nicht
+bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu
+einem Kriege gedraengt, von dem er die Vergroesserung seines Reiches
+erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier und die Byzantier sich ihren
+alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat auf die Seite Roms und bot
+Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, welche man indes
+roemischerseits nicht annahm.
+
+In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von
+Makedonien einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik
+fuer ihn gewesen, sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen
+ungeachtet, mit Antiochos zu vereinigen; allein Philippos ward in der
+Regel nicht durch solche Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung
+und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den
+treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im
+Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute
+einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als
+seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es
+kam hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter
+Praetendenten auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle
+Bestattung der bei Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den
+leidenschaftlichen Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze
+Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso
+entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die zweite, die
+Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den
+kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die
+Athener, bei welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte
+achaeische Besatzung die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft
+brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen
+recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos’ Seite ausser den Aetolern
+und den Magneten, denen ein Teil der benachbarten Perrhaeber sich
+anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen, Amynander, der sich
+durch toerichte Aussichten auf die makedonische Koenigskrone blenden
+liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom noch immer am
+Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt, mit den
+Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein
+erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter
+Gewalt, den die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem
+Schaden der Spott. Man hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits
+belogen: statt der unzaehlbaren Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine
+Armee heran, kaum halb so stark wie ein gewoehnliches konsularisches
+Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche Hellenen ihrem
+Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen ein paar
+Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig
+Waffenbruederschaft an.
+
+Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
+Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den
+griechischen Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung
+zurueck; allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen
+Macht davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um
+sie zu besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea
+also war fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter
+Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch,
+Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und
+andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von
+Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos,
+des Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach
+Chalkis zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz
+seiner fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer
+huebschen Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63
+(192/91), ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in
+Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und
+Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563
+(191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr
+Manius Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein
+tuechtiger, von den Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter
+Feldherr, der Admiral Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus
+Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus,
+die nach altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene
+Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit
+sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter
+numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und
+die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu
+5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der
+roemischen Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im
+Anfang des Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine
+zwecklose Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die
+Nachricht von Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in
+allem Ernst den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner
+Stellvertreter in Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm
+alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das
+schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den liederlichen
+Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres
+bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen
+hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem
+Oberfeldherrn nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen
+hatten bereits die Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in
+Verbindung mit dem makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus
+den thessalischen Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen
+besetzte. Der Konsul mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht
+der Roemer sammelte sich in Larisa. Statt eilig nach Asien
+zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht ueberlegenen Feind das
+Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von ihm besetzten
+Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen Heeres aus
+Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und
+befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst
+Xerxes gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte
+des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn
+nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt
+Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern Teil nahmen, als dass
+sie versuchten, waehrend derselben das roemische Lager zu ueberfallen
+und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten Aetoler betrieben
+den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten auf dem Kallidromos
+liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische Phalanx, die der
+Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob auseinander, als
+ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da Antiochos
+fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward
+das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet;
+kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500
+Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa
+war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal
+die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer,
+Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung fuer die fast schon von
+ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls aufgegebene Eroberung
+der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis ward, sich der
+saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im eigentlichen
+Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der dolopischen und
+aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in Griechenland
+fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu machen:
+die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges
+Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und
+Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den
+Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt
+hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen
+wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die Aetoler
+versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach
+hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den
+schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen
+Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
+einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch
+einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in
+Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und
+die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus,
+fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen
+ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen
+zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen
+Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland,
+vorlaeufig wenigstens, die Waffen.
+
+Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind,
+als die weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in
+sehr bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei
+Antiochos’ kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als
+durch einen Angriff im eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte.
+Es galt zunaechst, sich der See zu versichern. Die roemische Flotte,
+die waehrend des Feldzugs in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die
+Verbindung zwischen Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und
+der es auch gelungen war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen
+einen starken asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war
+seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das
+naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus dem
+Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf
+dem suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens;
+dort suchte die roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23
+pergamenischen und sechs karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung
+des Gaius Livius. Der syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer
+Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die
+roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas
+auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und
+sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang
+zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu
+versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische
+Tapferkeit und nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten
+es die Gegner, dass sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch
+waehrend des Nachsetzens stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische
+Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun
+zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig
+im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten
+Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte
+fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem
+Hafen von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend
+des Winters fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen
+bemueht. Die Roemer suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre
+Seite zu bringen: Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich
+zu bemaechtigen, beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit
+offenen Armen auf und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae,
+Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische Partei die Oberhand.
+Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den Uebergang nach
+Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils durch
+Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und
+vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine
+neue Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer
+aus allen Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien
+zusammentrieb. Frueh im naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische
+Flotte ihre Operationen wieder auf. Gaius Livius liess durch die
+rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel stark, rechtzeitig erschienen
+war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos beobachten und ging mit
+dem groessten Teil der roemischen und den pergamenischen Schiffen nach
+dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch die Wegnahme der
+Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten. Schon
+war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die
+Kunde von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der
+rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert durch die
+Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu wollen,
+hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst war
+gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und zwei
+troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese
+Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
+Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte
+teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit
+zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten,
+ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos
+einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei
+der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der
+Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts
+uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung
+ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den
+Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten
+Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche
+Flotte, die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer
+abzusperren. Als dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete,
+erzuernte der neue Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20
+Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei Samos den Gaius Livius
+abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte
+dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs
+begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von
+Patara ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres,
+und ihn zur Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen
+Festland hatte mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon
+begonnen, waehrend Antiochos mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet
+und die Besitzungen der Mytilenaeer auf dem Festland verwuestete; man
+hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig zu werden, bevor die
+roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach Elaea und dem
+Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da es
+dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien
+verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung
+gestattete dem Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die
+Stadt zu werfen, deren kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der
+Belagerung beauftragten gallischen Soeldner des Antiochos dieselbe
+aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen Gewaessern wurden die
+Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal geruestete und
+gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die stehenden
+Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer zu
+gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in
+Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in
+der Schlacht, die die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber
+Hannibals Taktik und ueber die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit
+der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies
+die erste Seeschlacht und die letzte Schlacht gegen Rom, die der grosse
+Karthager schlug. Die siegreiche rhodische Flotte stellte darauf sich
+bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte Vereinigung der beiden
+asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die roemisch-rhodische
+Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der pergamenischen
+Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben anlangenden
+Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des
+Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der
+Gegner. Am 23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem
+berichtigten etwa Ende August 564 (190), kam es zur Schlacht am
+Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und Kolophon; die Roemer durchbrachen
+die feindliche Schlachtlinie und umzingelten den linken Fluegel
+gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder sanken.
+Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in
+saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken
+dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des
+Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten
+geschlagen worden und die Roemer also “den grossen Zwist schlichteten
+und die Koenige bezwangen”. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe
+nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen und versuchten nicht
+weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu erschweren.
+
+Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der
+Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl
+fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig
+unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die
+bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das
+Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe
+befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem
+Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu
+fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden
+die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu
+beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen
+sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
+verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus’ grenzenlose Ruecksichten
+gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl
+gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen
+Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter
+die Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser
+Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das
+unbequeme Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen
+Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die
+eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und
+die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer
+Fernhaltung beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte,
+schien es ratsam, den Landweg durch Makedonien und Thrakien
+einzuschlagen und ueber den Hellespont zu gehen; hier waren keine
+wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig Philippos von
+Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von Bithynien
+mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich in
+der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg
+laengs der makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen
+Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer
+freundliche Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils
+mit den Aetolern, teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das
+Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht von Myonnesos an dem
+Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios wunderbares Glueck
+raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in Asien alle
+Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht
+bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in
+Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von
+der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen
+Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen
+aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen
+Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer
+nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend
+derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu
+schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht
+mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein
+grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt
+worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
+einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage.
+
+Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
+stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
+zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte
+des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos
+bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen
+Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen
+griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die
+Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren
+annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch
+diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo das
+Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des
+Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art
+den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
+Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche
+Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze
+Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung
+Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig
+sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das
+innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein
+guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos,
+gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer
+jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
+ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto
+lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des
+Hermos bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564
+(190) die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000
+Mann, darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern
+und makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei
+weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass
+sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen
+Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando
+uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen,
+bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten
+Truppen, die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen
+Schuetzen der Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren
+Dromedaren und die Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden
+Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art
+Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und
+kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete
+Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen
+Raum nicht Platz fand und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief
+aufstellen musste. In dem Zwischenraum der beiden Treffen standen 54
+Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und der schweren Reiterei
+verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo der Fluss
+Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die
+saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes
+fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die
+Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen die
+Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten; in
+kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die
+naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im
+zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren
+Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen
+Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im
+zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der
+schweren Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in
+Unordnung geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten
+Truppen durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die
+roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in
+der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden
+Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten
+kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette
+die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel
+war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte,
+die kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich
+hertreibend, das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit
+grosser Muehe erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im
+entscheidenden Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl,
+die Phalanx mit den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die
+Schuetzen und Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein
+Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und
+geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten
+scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer
+sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang
+und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des
+Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen
+Verwirrung nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum
+Schlagen gekommen waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten
+Weltteil ueberlieferte, 24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien
+unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig
+fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um
+Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten Bedingungen,
+die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht
+gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu
+deren Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs,
+was ihm auf nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen
+kam. Antiochos selber nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald
+den Verlust der Haelfte seines Reiches; es sieht ihm gleich, dass er
+den Roemern fuer die Abnahme der Muehe, ein allzugrosses Reich zu
+regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war mit dem Tage. von
+Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl niemals
+ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde
+gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er
+selbst ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen
+Meerbusens bei der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er
+seine leeren Kassen zu fuellen gekommen war, von den erbitterten
+Einwohnern erschlagen.
+
+Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die
+Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier
+die roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so
+genuegte dazu keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in
+Vorderasien entsagt hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind
+oben dargelegt worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen
+und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige
+pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen Traeger der
+neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als
+Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren
+Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den
+Koenigen von Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der
+Vertrag mit Antiochos allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das
+Binnenland. Es war unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen,
+innerhalb deren der roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte.
+Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen
+Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten.
+Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich
+verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem
+Brandschatzungsgebiet die festgesetzten Tribute. Wohl hatte die
+Buergerschaft von Pergamon unter der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch
+zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher sich des unwuerdigen
+Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der hellenischen Kunst,
+welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist erwachsen aus
+diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen hellenischen
+Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein entscheidender
+Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren staedtischen
+Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen
+Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl
+der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten
+Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die
+Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so musste dieser
+Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt werden; und
+da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit verknuepfte
+stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel mehr als auf
+der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in der Tat
+nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet
+gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den
+Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue
+Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen.
+
+—————————————————
+
+^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher
+Sicherheit hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss
+Verwendung in Rom erbaten, sondern auch Verwendung bei den
+Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger genannten Kelten in
+dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift CIG 3536, den
+aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind wahrscheinlich
+die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges diesem Gau
+zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).
+
+————————————————-
+
+Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan,
+der den Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum
+schweren Vorwurf gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik
+abgeneigten Maenner im Senat vermissten bei dem Kriege den Zweck wie
+den Grund. Den ersteren Tadel gegen diesen Zug insbesondere zu erheben,
+ist nicht gerechtfertigt; derselbe war vielmehr, nachdem der roemische
+Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war,
+eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das
+hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in
+Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den
+Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen
+hatten, war die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der
+Klugheit wie der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur
+Zeit an einem rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn
+eigentlich im Bunde mit Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern
+ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen.
+Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer
+roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur
+unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte
+und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer
+sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen
+Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des
+Flamininus und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565
+(189) der Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul
+brach von Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen
+Maeander und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts
+gegen die Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager,
+hatte sich auf den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den
+Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie
+sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum
+Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und
+Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag
+gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden
+Voelker, erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener
+Schlachten, wie sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine
+geliefert worden sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze
+Auftreten des nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen
+Nationen. Die Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen
+war an beiden Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber
+den Halys zu dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul
+nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen
+Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten.
+Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die
+weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber.
+
+Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch
+den Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen
+einer roemischen Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der
+Stellung von Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes,
+und einer nach dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen
+Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten (25½ Mill. Taler),
+davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf Jahreszielern zu
+entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines gesamten
+europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner
+Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und
+westlich von der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in
+Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien nichts blieb als das oestliche
+Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat ueber die vorderasiatischen
+Koenigreiche und Herrschaften war es natuerlich vorbei. Asien oder, wie
+das Reich der Seleukiden von da an gewoehnlich und angemessener genannt
+wird, Syrien verlor das Recht, gegen die westlichen Staaten
+Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines Verteidigungskrieges von
+ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das Meer westlich von
+der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu befahren,
+ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt
+Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines
+Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das
+Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder
+politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die
+Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten
+und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden,
+lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel
+eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war
+hiermit zu Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen
+verdraengt und fuer immer; es ist bezeichnend fuer die kraft- und
+zusammenhanglose Organisation des Seleukidenreichs, dass dasselbe
+allein unter allen von Rom ueberwundenen Grossstaaten nach der ersten
+Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung durch die Waffen begehrt
+hat.
+
+Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische
+Satrapien, verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des
+roemischen Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in
+selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias und Zariadris
+wurden Gruender neuer Dynastien.
+
+Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von
+den Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse
+von 600 Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte
+seines Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward.
+
+Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso
+die Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen
+ueber die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der
+kleinasiatischen Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen
+ermangelten nicht, diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene
+Wohltat mit goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu
+vergelten.
+
+In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit,
+zumal da hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der
+griechischen Hansa kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender
+Art zu verstaendigen. Allen griechischen Staedten, die am Tage der
+Schlacht von Magnesia frei und den Roemern beigetreten waren, wurde
+ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit Ausnahme der bisher dem
+Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten
+fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die Staedte
+Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von Aeneas’
+Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon,
+Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die
+Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war,
+erhielt zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag
+bezeichnete Kategorie fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark
+zurueck und die Freiheit. Den meisten Staedten der
+griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies Gebietserweiterungen und
+andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich Rhodos bedacht, das
+Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil von Karien
+suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in
+seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die
+bisher genossene Zollfreiheit.
+
+Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die
+Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem
+Kriege bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den
+Ausfall der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie
+ein Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa
+den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon
+besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und
+Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles
+und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von
+Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und als
+Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber
+Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten,
+inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also
+jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft
+und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht
+unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt,
+dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht
+werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350
+Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war,
+dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler)
+fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen. Endlich
+erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos
+abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
+wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war
+das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was
+Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit
+absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien
+in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen
+roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische
+Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und
+nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen
+Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren
+Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich
+nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des
+Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung
+des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie
+erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem
+festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen
+Besitzungen zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine
+Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die
+Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und
+Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder
+durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs
+von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer
+brachten nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser
+Zeit sich schon beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem
+goldenen Kranze, zusammenzufinden pflegten.
+
+Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg
+erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer
+noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten
+nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen
+Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren den
+Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher
+gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes,
+getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in
+Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen
+athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem
+besetzten aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich
+herumzuschlagen, wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht
+sich, dass hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des
+Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565
+(189) bei den Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung
+durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia,
+waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die
+Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von eigentlichem
+Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten
+Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab
+und gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und
+tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden muessen. Die
+Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den Haenden ihrer
+Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge einer gegen Marcus
+Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und selbstaendig ward,
+ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten sie
+Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen
+und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms
+abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia
+setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst,
+als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner von Same,
+die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch eine roemische
+Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten Unterwerfung
+wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus, worauf die
+Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in die Sklaverei
+verkauft wurden.
+
+Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die
+italischen Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer
+sich als die beiden Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz
+von Kerkyra und anderen Seestationen am Adriatischen Meer
+wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb kam an die
+Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben, Philippos
+und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen an der
+Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
+verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
+Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und
+der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen
+loyalen Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an,
+indem er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln
+ihm zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft,
+empfing er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das
+er den Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in
+seinen Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil
+von Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben
+worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer
+Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und
+Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt,
+der Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war
+nicht schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in
+Europa empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im
+Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler
+Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht
+Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche
+politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal
+eine Macht ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss
+Krieg gefuehrt hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund
+als gegen Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht
+wiederkehre.
+
+Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen
+Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz
+in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach
+der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene
+mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die Roemer hatten dies
+geschehen lassen und es sogar geduldet, dass man dabei mit
+absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr. Flamininus hatte,
+als Messene erklaerte, sich den Roemern zu unterwerfen, aber nicht in
+die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese darauf Gewalt
+brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu fuehren,
+dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich
+unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als
+unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen
+Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren
+Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von
+ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt
+Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten, nicht
+fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer
+Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des
+letzten Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt.
+Nur widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr
+unmutig Flamininus’ guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu
+begnuegen. Sie glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit
+ihres Staates um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man
+sprach von Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den
+Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der
+achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia
+ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also
+gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher.
+Das alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es
+nicht noch viel laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe
+Gerechtigkeit und ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so
+ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu gruenden und den Dank der
+Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen nichts gab als die
+Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch den
+hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle
+Gefuehle zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner
+tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser
+achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine wahre
+historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen
+Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten
+Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
+Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem
+Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der
+Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig
+nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss
+womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, “um die Formen
+zu retten”; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn
+das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem
+patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht
+auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf
+entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der
+Knechtschaft vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas
+dachten an einen solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich
+frei sein, aber denn doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es
+niemals die Roemer, die die gefuerchtete roemische Intervention in die
+inneren Angelegenheiten Griechenlands hervorrufen, sondern stets die
+Griechen selbst, die wie die Knaben den Stock, den sie fuerchten,
+selber einer ueber den andern bringen. Der von dem gelehrten Poebel
+hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel wiederholte
+Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in
+Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten,
+welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die
+Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen
+-, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die
+Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen,
+wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus die
+aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt
+hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren
+Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden in
+Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter
+charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
+Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen
+Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die
+wuetendsten Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der
+Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die
+Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum
+Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis
+mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft
+verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt
+Megalopolis gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta
+wiederhergestellt, die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen
+ersetzt, die Mauern niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese
+Wirtschaft ward dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum
+Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe
+fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel
+in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die
+Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter
+Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher
+Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als
+nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat
+darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die
+Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert
+ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig
+bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die
+Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren
+Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen
+Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut
+in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber
+die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
+Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier
+Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam
+der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen
+Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf,
+als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn
+von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat
+zuletzt die Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin
+beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen
+koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht
+recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und
+politische Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen
+leidlichen Zustand herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im
+Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn ueber die Zustaende im
+Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und gehaltene Intervention
+zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein
+Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich begruendet
+hat; aber er hatte recht.
+
+So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen
+Staaten von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres;
+nirgend bestand ein Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu
+fuerchten. Aber noch lebte ein Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies:
+der heimatlose Karthager, der erst den ganzen Westen, alsdann den
+ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und der vielleicht nur
+gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an der
+kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten
+muessen, den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach
+Kreta, dann nach Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des
+Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes
+zu unterstuetzen und wie immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es
+wird behauptet, dass er auch den Prusias zum Kriege gegen Rom habe
+reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie erzaehlt wird, sehr wenig
+glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der roemische Senat es
+unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl aufjagen zu
+lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt,
+scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in
+seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte,
+auf seine eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten,
+so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner
+Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber
+ihn zu schleifen und zu richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den
+Jammerprinzen Asiens, machte sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen
+Gesandten die kleine Gefaelligkeit zu erweisen, die derselbe mit halben
+Worten erbat, und da Hannibal sein Haus von Moerdern umstellt sah, nahm
+er Gift. Er war seit langem gefasst darauf, fuegt ein Roemer hinzu,
+denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige. Sein Todesjahr ist
+nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte des Jahres
+571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt Rom
+mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade
+genug gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch
+selber seine letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch
+gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie
+Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der Sturm das fuehrerlose
+Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande war, es zu lenken. Es
+konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, als er starb; aber
+redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den Knabenschwur gehalten.
+
+————————————————————————-
+
+^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs
+Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528;
+Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie
+Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen
+ist.
+
+————————————————————————-
+
+Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der
+Mann, den die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius
+Scipio. Ihn hatte das Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die
+seinem Gegner versagt blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und
+nicht gehoerten. Spanien, Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht
+und Rom, das er als die erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei
+seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt. Er selbst hatte der
+Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen Bruder und
+seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten Jahre
+bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in
+freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche
+nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in
+der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der
+Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener
+Gelder, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius
+gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige Verleumdungen, die solche
+Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; obwohl es charakteristisch
+fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher, statt sich einfach
+aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der Anklaeger
+zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu
+begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk
+liess den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber
+es war dies der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn,
+seine Meinung, ein anderer und besserer zu sein als die uebrigen
+Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik, die namentlich in
+seinem Bruder Lucius den widerwaertigen Strohmann eines Helden
+grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz
+das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem
+Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn.
+Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold
+und schimmerndem Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine
+war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der Jugend beduerfen, um
+ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber zu schwinden
+anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht.
+
+—————————————————————————-
+
+^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.
+
+
+
+
+KAPITEL X.
+Der Dritte Makedonische Krieg
+
+
+Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die
+Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern
+erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge war nicht geeignet,
+seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in Griechenland und
+Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem makedonischen Namen
+nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem roemischen, machten es
+sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht all die Tritte
+zurueckzugeben, die sie seit Philippos’ des Zweiten Zeiten von
+Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile
+antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft
+auf den Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in
+unaufhoerlichen Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von
+den Roemern zugestanden worden, was er den Aetolern abgenommen habe;
+allein foermlich an die Aetoler angeschlossen hatte sich in Thessalien
+nur die Eidgenossenschaft der Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die
+Philippos in zwei anderen der thessalischen Eidgenossenschaften, der
+thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen, den Aetolern
+entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem
+Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe.
+Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch
+Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien
+besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden
+mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos ausdruecklich zugesprochen
+war. All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner saemtlichen
+Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber
+Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes Vieh
+stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von
+Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht
+nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil
+stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste,
+aus den thessalischen und perrhaebischen Staedten die Besatzungen
+wegziehen und die roemischen Kommissare hoeflich empfangen, welche
+nachzusehen kamen, ob auch alles vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei.
+Man war in Rom nicht so erbittert gegen Philippos wie gegen Karthago,
+ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man
+verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber
+im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von
+Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit
+phoenikischer Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie
+er war, hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen
+Bundesgenossen gezuernt als dem ehrenwerten Gegner, und seit langem
+gewohnt, nicht makedonische, sondern persoenliche Politik zu treiben,
+hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts gesehen als eine
+vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn schmaehlich
+im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen. Dies
+Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass
+den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft
+gegen Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen
+Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten,
+hatten sich wohl gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos’
+Gunsten zu tun, und hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten
+Erhebung an mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig
+Philippos politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die
+Attaliden, die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu
+beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die
+roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem
+letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit Rom gehalten,
+um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten muessen,
+hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des
+Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg
+der makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien
+einen Staat an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht
+ebenbuertig und Roms Klient war.
+
+Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein
+weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich
+entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen;
+allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das
+Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war
+taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und
+naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen.
+Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den
+thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten,
+antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne
+nicht untergegangen sei ^1.
+
+————————————————————————-
+
+^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102).
+
+————————————————————————-
+
+Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner
+Entschluesse eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er
+in besseren Zeiten sie bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der
+Welt eine andere Richtung gegeben haben wuerden. Namentlich die
+Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er sich die unentbehrliche Frist
+erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann eine schwere Pruefung,
+die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und die
+unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia,
+buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien
+der Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos’ Geheiss bewirkte
+sein juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo
+er einige Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der
+Senat, namentlich Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten
+leitete, suchte in Makedonien eine roemische Partei zu bilden, die
+Philippos’ natuerlich den Roemern nicht unbekannte Bestrebungen zu
+paralysieren imstande waere, und hatte zu deren Haupt, ja vielleicht
+zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren, leidenschaftlich an
+Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit absichtlicher
+Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes
+willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen
+Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs
+aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher
+Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler
+zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass Demetrios sich in die
+roemischen Intrigen einliess; erst der falsche Verdacht des Verbrechens
+zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da beabsichtigte er, wie es
+scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes Perseus sorgte
+dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein
+untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige und
+lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu
+spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der
+Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von
+der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in
+Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er
+zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er
+sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel vergeblich
+gewesen waren.
+
+Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder
+bei dem roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher
+Mann, in allen Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und
+des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater herrisch und nicht
+bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn reizten nicht der Wein und
+die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments nur zu oft vergass; er
+war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig und
+leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten
+zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom
+Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in
+seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen
+worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen
+war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen
+Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit dem Reich
+seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. In der Tat
+griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des vaeterlichen
+Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum
+Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht
+die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit
+Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an
+der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine
+Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten in ihm den rechten
+Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war
+nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet und Philipps
+Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die das Glueck
+verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der Not wieder zu
+Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge gehen; aber
+wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und ernstlichem
+Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit
+unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was
+er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit
+entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es
+beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er
+haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer
+im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu
+trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst
+eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu vernichten,
+der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In
+gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut
+und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht
+geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war,
+wenn nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte.
+
+Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen
+das Haus der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier
+allein nicht durch den Hader politischer Parteien paralysiert. Den
+grossen Vorteil der monarchischen Verfassung, dass jeder
+Regierungswechsel den alten Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera
+anderer Menschen und frischer Hoffnungen herauffuehrt, hatte der Koenig
+verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen mit allgemeiner
+Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer und Erlass
+der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters brachte
+also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig
+Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung
+teils von selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer
+als fuer den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge
+zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe und
+Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen er die
+Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von
+zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden
+Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine
+Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
+das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in
+den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer
+Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal
+gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und
+die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den
+bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es,
+dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu
+organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was den
+Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer
+unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen,
+die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte,
+und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
+die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
+makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und
+fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und
+fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso
+lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen
+fuer ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der
+Tat war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den
+Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des
+Reiches war in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in
+jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in
+seine Grundfesten zu erschuettern.
+
+Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der
+Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von
+Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze
+einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu
+stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen
+Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der Italiker
+schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder Freund noch
+Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der Samnitenkriege
+nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen
+makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa
+in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige
+Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich
+ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien
+suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das makedonische
+Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts heraus, als dass
+die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender mit Liebschaften
+erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den Eumenes, den
+gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten Perseus’ Agenten
+gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo er gegen
+Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der
+saubere Plan misslang.
+
+Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen
+Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den
+Plan entworfen, die alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem
+heutigen Serbien, zu erdruecken durch einen anderen, vom linken Ufer
+der Donau herbeigezogenen, noch wilderen Schwarm deutscher Abstammung,
+den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen dadurch in Bewegung
+gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem Landweg zu ziehen
+und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse bereits
+erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen
+auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es
+ist mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen
+Festung Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos’ letzte Zeit
+faellt (573 181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren
+italischen Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes
+an dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen
+naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen
+und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden
+Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen
+des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen
+Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus’ Vorwissen
+kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch
+Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe
+des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in
+Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt
+auf einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig
+Perseus mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in
+heimlichem Einverstaendnis stehe und Genthios’ Gesandte in Rom dem
+Perseus als Spione dienten.
+
+In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu
+stand der maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst
+der Orysen und Herr des ganzen oestlichen Thrakiens von der
+makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den mit griechischen
+Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere Kotys, mit
+Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren Haeuptlingen,
+die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer,
+Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten
+Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von
+hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen
+Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot.
+
+Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und
+Perseus lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher
+Propagandakrieg lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils
+- man gestatte den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite
+Makedoniens zu bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter
+den asiatischen wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen
+makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner
+Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung
+der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in
+sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es
+begriff, dass die abscheulichste makedonische Regierung minder
+unheilvoll fuer Griechenland war als die aus den edelsten Absichten
+ehrenhafter Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die
+tuechtigsten und rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom
+Partei ergriffen, war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die
+feile Aristokratie und hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der
+ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht
+taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der
+Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich
+behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art;
+vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen
+mit wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste
+vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines
+schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle
+frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln
+eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus’ Name auf allen Lippen
+war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch
+gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen
+Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl
+innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes,
+sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und
+empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier
+anschloss; waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig
+Perseus seine syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im
+Aegaeischen Meer sich nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen
+praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt
+und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum Schiffbau, wieder
+heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte, also der
+Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten
+geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte
+schien wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der
+Koenig Perseus unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei
+Delphi den Hellenen sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass
+der Koenig sich auf diese nationale Propaganda bei dem bevorstehenden
+Kriege zu stuetzen gedachte, war in der Ordnung. Arg aber war es, dass
+er die fuerchterliche oekonomische Zerruettung Griechenlands benutzte,
+um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der Eigentums- und
+Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der
+beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im
+europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas
+besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden
+Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und
+auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum Beispiel die Athener
+Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern, den Thessalern lieferten
+die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich foermliche Schlachten.
+Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen Zustaenden von
+selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung
+verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine
+Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer
+versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter
+Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die
+Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes
+mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der sentimentale
+Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er von Anfang an
+laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte sich dieser
+Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts, am
+wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess nicht
+bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern
+liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche
+saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer
+Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach
+Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und
+Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso
+dass in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in
+offene Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um
+Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit
+solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer
+Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des
+Preises wert sei.
+
+Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es
+Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des
+thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis
+stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und
+einem Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des
+Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle
+Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im
+Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu
+verwandeln und Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen.
+Schon 581 (173) sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen
+Tagsatzung es ziemlich unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus
+mit dem Abfall von dem roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582
+(172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom mit einem langen
+Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im Senat auf,
+worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die
+Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit
+Besatzungen versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach
+Makedonien, deren Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend,
+dass er nicht zurueck koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues
+wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag
+von 557 (197) sehe er als aufgehoben an, und die Gesandten anwies,
+binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit war der Krieg
+tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus wollte,
+konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei
+ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende
+roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und
+den Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon
+vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem
+Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus, ueber die
+Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und
+sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch einmal
+einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, der Senat
+nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus Italien
+und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren der
+aelteren Schule die “neue Weisheit” ihres Kollegen und die unroemische
+List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss, ohne dass
+Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen Diplomaten
+die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu
+berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei
+daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war
+noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer
+weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen;
+und ueberdies war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei
+ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische
+Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten;
+aber der unter den Augen der roemischen Gesandten gewaehlte neue
+Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer selbst. Auch bei
+den Thessalern behielt die roemische Partei die Oberhand. Sogar die von
+Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs tiefste
+zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer
+Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae,
+Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die
+Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen
+Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener,
+dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und
+welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und
+daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu auseinander.
+Es ist nicht wahr, dass Epaminondas’ grosser Bau von den Roemern
+zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie daran
+ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung der
+uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2. Mit
+der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte der
+roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe die roemische
+Flotte im Aegaeischen Meer erschien.
+
+———————————————————-
+
+^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte
+uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung
+Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)
+
+———————————————————-
+
+Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit
+epeirotischer Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle
+an der makedonischen Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius
+besetzt, und sowie die Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine
+Besatzung von 2000 Mann. Perseus sah dem allem untaetig zu und hatte
+keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines eigenen Gebietes inne, als im
+Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im Juni 583 (171) die
+roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist zweifelhaft, ob
+Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch wenn er
+soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen
+Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen
+Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts.
+Karthago, Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen
+Freistaedte, selbst das mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz,
+boten den Roemern Kriegsschiffe an, welche diese indes ablehnten.
+Eumenes machte sein Landheer und seine Schiffe mobil. Koenig Ariarathes
+von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln nach Rom. Perseus’
+Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb neutral. In ganz
+Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von Syrien, im
+Kurialstil “der Gott, der glaenzende Siegbringer” genannt zur
+Unterscheidung von seinem Vater, dem “Grossen”, ruehrte sich zwar, aber
+nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges das
+syrische Kuestenland zu entreissen.
+
+Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht
+veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000
+Phalangiten und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest
+groesstenteils Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland
+betrug zwischen 30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber
+10000 Mann numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und
+besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40
+Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus,
+dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete
+erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann
+Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen
+mitzuwirken bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das
+Landheer der Konsul Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine
+starke Abteilung in Illyrien, um von Westen aus Makedonien zu
+beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie gewoehnlich von
+Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran, den
+schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien
+einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete
+er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den
+beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden
+entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte die
+italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen und
+zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an Toten,
+600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich
+schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus
+benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
+hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er
+bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden
+nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings
+folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes
+anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man zog
+hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah.
+Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht
+gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch
+Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
+glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen
+Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines
+Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein
+guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf
+einen Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders
+gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die
+Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er
+zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen
+Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu
+raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer
+hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen
+lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von
+beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus
+ueberwand den Koenig Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch
+Kotys die roemisch gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus
+Thrakien hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige
+illyrische Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien
+von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen
+Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am
+schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen
+boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von
+Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral
+Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die
+Tore schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die
+Sklaverei verkauft, Koroneia von dem Konsul Crassus gar der
+Kapitulation zuwider ebenso behandelt. Noch nie hatte ein roemisches
+Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter diesen Befehlshabern.
+Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584
+(170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen
+nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich
+ebenso unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte
+lief ohne allen Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die
+Westarmee unter Appius Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im
+dassaretischen Gebiet war, erlitt eine Schlappe ueber die andere;
+nachdem eine Expedition nach Makedonien hinein voellig verunglueckt
+war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit den an der
+Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich
+gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche
+Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit
+dem Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien
+einzufallen, waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer
+Festung, die er vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess.
+Die roemische Hauptarmee machte ein paar Versuche, erst ueber die
+Kambunischen Berge, dann durch die thessalischen Paesse in Makedonien
+einzudringen, aber sie wurden schlaff angestellt und beide von Perseus
+zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte der Konsul sich mit der
+Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen Dingen noetig
+war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier
+erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die
+Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer
+einquartiert, und wie die Offiziere im grossen Stil, stahlen die
+Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften wurden in
+schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der
+schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der
+aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
+Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros.
+durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte
+wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und
+wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger
+hingerichtet oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in
+Chalkis. Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die
+Befreiung der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den
+roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den
+Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft
+einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das
+Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch
+ein Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten
+nicht zum wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen
+Suendenwirtschaft gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten.
+Haette an Perseus’ Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg
+vermutlich mit der Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der
+meisten Hellenen begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den
+Fehlern stets von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus
+begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre
+Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu
+verschanzen.
+
+—————————————————————————-
+
+^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170),
+der die Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S.
+278 f.; AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese
+Verhaeltnisse.
+
+——————————————————————————
+
+Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte,
+Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund
+des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht
+gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter
+Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe
+den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen
+die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der
+Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
+bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss
+konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann
+an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand
+er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark
+befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine
+schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu
+fouragieren, in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in
+seinem ersten Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem
+seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein
+wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus’ Unfaehigkeit. Als
+ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als
+durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich
+seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben
+erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu
+verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser
+freiwillige Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch
+nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste
+aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder
+rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur Besinnung kam und
+schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position wieder
+einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr geraten,
+wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe kapituliert und
+seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die Verbindung
+mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert;
+aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten
+Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert
+und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das
+roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter eingeklemmt in den
+aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die Ueberschreitung der Paesse
+allerdings ein Erfolg und der erste wesentliche in diesem Krieg war, so
+verdankte man ihn doch nicht der Tuechtigkeit des roemischen, sondern
+der Verkehrtheit des feindlichen Feldherrn. Die roemische Flotte
+versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete ueberhaupt gar
+nichts aus. Perseus’ leichte Schiffe streiften kuehn zwischen den
+Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten Kornschiffe und
+griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand es noch
+weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung
+nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch
+die Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass
+Genthios sich von Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme
+hatte erkaufen lassen, mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten
+einkerkern liess; worauf uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig
+fand, die zugesicherten Gelder zu zahlen, da Genthios nun allerdings
+ohnehin gezwungen war, statt der bisherigen zweideutigen eine
+entschieden feindliche Stellung gegen Rom einzunehmen. So hatte man
+also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der nun schon drei
+Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu trennen
+vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken
+koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und
+ebenso viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste
+zu nehmen; allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in
+Hellas gaerte es so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger
+Geschicklichkeit und einer vollen Kasse leicht haette entzuenden
+lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu geben und die Griechen
+nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.
+
+Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland
+zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen
+Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem
+Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem
+Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich
+ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168)
+zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon
+eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein
+vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und
+seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig,
+ein unbestechlicher Beamter - “einer der wenigen Roemer jener Zeit,
+denen man kein Geld bieten konnte”, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und
+ein Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die
+Gelegenheit benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen.
+
+Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess
+er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
+beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius
+Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach
+Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder
+am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein
+kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses
+Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue
+Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig
+die Vorposten handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die
+eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu
+liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der
+greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so
+stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der
+doch manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er
+gezittert habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte
+ward niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen
+eilig zurueck, bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das
+roemische Lager. Hier wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und
+die eilige Verfolgung hatte die Glieder der Phalanx geloest; in
+einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede Luecke ein, griffen von
+der Seite und von hinten an, und da die makedonische Reiterei, die
+allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald sich in
+Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in
+weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000
+erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten
+Mann; es war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht
+bei Pydna schlug, hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar;
+20000 Makedonier lagen auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der
+Krieg war zu Ende, am fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl
+uebernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der
+Koenig fluechtete mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente
+(10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von
+wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch einen ermordete,
+den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten
+Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die
+koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte
+er, dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff,
+dass er sich an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu
+fluechten, misslang. So schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward
+nicht angenommen, da er sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte
+sein Schicksal und lieferte auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus
+mit seinen Kindern und seinen Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den
+Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit
+der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der
+Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr
+heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als
+Staatsgefangener in Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in
+spaeteren Jahren in derselben italischen Landstadt als Schreiber.
+
+————————————————————————
+
+^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein
+Leben verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des
+Schlafs getoetet, ist sicher eine Fabel.
+
+———————————————————————-
+
+So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
+hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde.
+
+Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig
+auch der Krieg gegen den “Koenig” Genthios von Illyrien von dem Praetor
+Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die
+Piratenflotte genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden
+Koenige, der Erbe des grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen
+nebeneinander gefangen in Rom ein.
+
+Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren
+duerfe, die Flamininus’ unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte.
+Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon
+verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des
+festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates in
+vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
+zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von
+Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der
+chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und
+den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den
+Angehoerigen der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und
+keiner durfte in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle
+koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land
+verlassen und sich nach Italien begeben, bei Todesstrafe - man
+fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten
+Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens
+bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt
+und innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der
+Vornehmen gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den
+Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und
+Silbergruben, ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt;
+doch ward 596 (138) wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder
+gestattet ^5. Die Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz
+wurden verboten. Die bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel
+weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den Gemeinden
+ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte
+der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten
+Satz, zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu
+entrichten ^6. Das ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die
+Festung Demetrias geschleift; nur an der Nordgrenze sollte eine
+Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren bestehen bleiben. Von den
+abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der
+Rest verbrannt.
+
+—————————————————————
+
+^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen
+Bergwerke wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung
+durch die Muenzen. Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht
+vorhanden; die Goldgruben also blieben entweder geschlossen oder es
+wurde das gewonnene Gold als Barren verwertet. Dagegen finden sich
+allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens (Amphipolis), in
+welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze Zeit in
+der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl
+derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr
+energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des
+alten Koeniggeldes.
+
+^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der
+“herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward” (Polyb. 37, 4),
+so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser
+Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios’
+Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der
+Fortbestand der der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung
+bis wenigstens in die augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2)
+wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der Steuer vereinigen lassen.
+
+————————————————————
+
+Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf
+den Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen
+gegriffen, und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag
+ohne Geschichte geblieben.
+
+Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei
+kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die
+Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme
+der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten und dafuer
+Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen Makedonien
+keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward konfisziert
+und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser Kueste
+geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den Nachbarn
+namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens auf
+lange hinaus ein Ende.
+
+Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen
+Eumenes zu brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn
+zurueck.
+
+So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien
+endlich von dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland
+war freier als je, ein Koenig nirgend mehr vorhanden.
+
+Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven
+zu zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen
+hellenischen Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich
+zu machen und sie miteinander in dieselbe demuetige Klientel
+hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich rechtfertigen lassen; allein
+die Art der Ausfuehrung namentlich gegen die maechtigeren unter den
+griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht nicht wuerdig und
+zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist. Am
+schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom
+geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und
+dessen man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr
+bedurfte, das Reich der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den
+klugen und besonnenen Eumenes einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um
+ihn aus seiner bevorzugten Stellung zu verdraengen und ihn in Ungnade
+fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die Zeit, da die Roemer im Lager
+bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber ihn in Umlauf; er
+stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte
+wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm
+500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und
+nur an Perseus’ Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die
+pergamenische Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die
+roemische sich ins Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er
+dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte
+ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine heutige Zeitungsente;
+denn dass der reiche, schlaue und konsequente Attalide, der den Bruch
+zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172) zunaechst
+veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus’ Banditen ermordet
+worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten
+eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er
+ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil
+an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft und das Werk
+langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist
+denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. Dass kein
+Beweis weder in Perseus’ Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher
+genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen laut
+auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt das
+Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes’ Bruder, der die
+pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit
+offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
+aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten -
+gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat
+nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine
+vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er
+aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der
+Senat zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter
+sich nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht
+war, wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen
+Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute;
+hatte man nach Antiochos’ Besiegung Philippos gegenueber noch die
+Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese
+Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und
+Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger
+war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des
+Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus
+Galatien vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte,
+mit den galatischen Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu
+wollen, jetzt, ohne Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den
+Roemern eingetretene Spannung, wenn nicht geradezu von diesen
+veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich ueberschwemmten und
+ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische Vermittlung;
+der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der
+das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden
+nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus,
+ja er erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden
+erst recht erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die
+Unabhaengigkeit der Galater von dem Senat ausdruecklich anerkannt und
+gewaehrleistet. Eumenes entschloss sich, persoenlich nach Rom zu gehen
+und im Senat seine Sache zu fuehren. Da beschloss dieser ploetzlich,
+wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige kuenftig nicht mehr nach
+Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach Brundisium einen
+Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu
+fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige
+Abreise gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte
+er endlich, weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es
+stand: die Epoche der halbmaechtigen und halbfreien
+Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann die der ohnmaechtigen
+Untertaenigkeit.
+
+Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt;
+sie standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem
+gleichen Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse
+jeder Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen
+Zuzug zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb
+ihr Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die
+ersten Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des
+Aufstandes der nach Antiochos’ Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier
+gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in
+grausamer Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen,
+sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im
+roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den
+zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte
+indes ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl
+das meiste getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man
+liess diesen wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit
+Perseus ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen
+verstaendigen Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter
+desselben war uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei
+der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie
+nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die es wie
+allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch
+585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren,
+beweist die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich
+erschienen kurz vor der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im
+roemischen Hauptquartier und im roemischen Senat mit der Erklaerung,
+dass die Rhodier nicht laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf
+ihren makedonischen Handel und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass
+sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu schliessen, selbst den
+Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende bereits mit
+Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen
+haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich;
+aber diese wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst
+beschlossen sein kann, als man in Rhodos den Fall des Tempepasses
+kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl
+beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus Marcius, jener Meister
+der “neumodischen Diplomatie”, im Lager bei Herakleion, also nach
+Besetzung des Tempepasses, den rhodischen Gesandten Agepolis mit
+Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht hatte, den
+Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit taten
+das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette
+gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt -
+Verbindungen mit Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von
+makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie sagen sollten; und man war
+gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel groesstenteils selbst von jenen
+Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame Botschaft mit
+begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute Gelegenheit
+zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger Praetor
+ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu
+beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber
+das andere kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen
+Freundschaft mehr als des einen Verstosses zu gedenken; umsonst
+schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei auf das Schafott
+oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren Goldkranz zum Dank
+fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche Cato bewies zwar,
+dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen haetten und fragte,
+ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und ob man den
+Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles
+erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine
+Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre
+Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120
+Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege
+gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr nach und
+der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen Rhodos
+gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die Errichtung
+des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis dahin
+jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank in
+kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber
+waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
+kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen.
+Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590
+(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber
+machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon.
+
+Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen
+beiden war Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und
+Palaestina. Nach der Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei
+der Vermaehlung der syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden;
+was der Hof von Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in
+Abrede stellte. Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die
+Steuern der koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und
+war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste
+der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die
+Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu
+sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit
+gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung
+Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch
+einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien
+ihm guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI.
+Philometor, der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter
+ueberschritten und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der
+syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in
+welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet
+seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt.
+Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen,
+sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
+deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner
+Stelle den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum
+Koenig. Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus
+Aegypten ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die
+Brueder sich miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den
+Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der
+Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius
+Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl
+des Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer
+bestimmten Frist zu raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der
+Konsular zog mit dem Stabe einen Kreis um ihn und hiess ihn sich
+erklaeren, bevor er den Kreis ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass
+er gehorche und zog ab nach seiner Residenz, um dort als der Gott, der
+glaenzende Siegbringer, der er war, die Bezwingung Aegyptens nach
+roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des Paullus zu parodieren.
+
+Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch
+die Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch,
+ihre Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg
+des Perseus, so machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen
+und gleich letzten Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen;
+aber es ist bezeichnend fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass
+dort die Legionen, hier das barsche Wort eines Diplomaten entschied.
+
+In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die
+boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die
+Molotter zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an
+einem Tage siebzig Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und
+verkaufte die Einwohner, 150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die
+Aetoler verloren Amphipolis, die Akarnanen Leukas wegen ihres
+zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die fortfuhren, den
+bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss Delos und
+Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um die
+oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil
+ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer
+die Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also
+begannen durch ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in
+Perseus’ Heer gedient hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward
+beschieden, wen die Papiere des Koenigs oder die Angabe der zum
+Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner konpromittierten - der
+Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos zeichneten sich aus in
+diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten unter den
+Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der Heimat
+entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so
+sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die
+kindische Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die
+wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten,
+die sie ahnten, erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten
+um Einleitung der Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter
+die Leute in Italien bleiben wuerden. Sie wurden hier in den
+Landstaedten interniert und leidlich gehalten, Fluchtversuche indes mit
+dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der aus Makedonien
+weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge einmal
+standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der
+ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig
+zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es
+deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500
+der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen
+zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess
+es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen
+Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber
+man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden,
+jenes italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im
+eigentlichen Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von
+Rhodos oder Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung
+weiter nicht, sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit,
+freilich im roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten
+Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen.
+
+Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen
+Klientel vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich
+Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe
+geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten
+stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck zu
+wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt
+wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf
+ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen,
+liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den
+Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches
+betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm
+uebrig lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias
+von Bithynien aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die
+Palme in diesem Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als
+er in den Senat gefuehrt ward, und huldigte den “rettenden Goettern”.
+Da er so sehr veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige
+Antwort und schenkte ihm die Flotte des Perseus.
+
+Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von
+der Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen
+Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein
+zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt
+gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder
+Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der
+roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren.
+Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen Senat den
+obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz zwischen
+Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und Sitte sich
+anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom verweilen.
+Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu
+entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem
+grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
+auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
+Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
+Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene
+zahllosen Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in
+Ordnung zu halten. Dieselben durften also weder sich in voellige
+Schwaeche und Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland
+geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen
+Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien
+versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich
+auf eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die
+gleiche, oft eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte
+als der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet,
+aber wer selber sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler,
+Makedonien nach dem Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die
+Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren
+ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es erwies sich auch das
+roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von vorn wieder
+beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines
+Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur
+Mittelstaaten in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu
+dulden, zeigen sich schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der
+Vernichtung der makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer
+unvermeidlichere Intervention in die inneren Angelegenheiten der
+griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen
+wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die
+Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte,
+endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien
+und Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der
+Klientelstaaten in Untertanen Roms.
+
+Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der
+Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen
+Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von
+unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter Riesenplan,
+sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung sich ohne, ja
+wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene Auffassung
+nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates sagen, dass
+die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen aus einer
+und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden Begierde nach
+Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht hat man
+dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine
+geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede
+nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung
+waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die
+Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht
+uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus
+Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl,
+den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich
+ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich
+Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die
+Umstaende jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder
+wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben
+stets behauptet, dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die
+Angegriffenen gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine
+Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um
+Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als
+zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch
+einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der
+bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der
+Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg
+sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse
+Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung
+Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der
+halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen,
+schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug.
+Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago,
+teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel;
+Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen,
+dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen.
+Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen
+gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter
+vererbt, sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas
+beschraenkten Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder
+Napoleons Sinn zu entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig
+und des richtigen Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens
+viel zu viel gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem
+letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Altertums
+ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht
+und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt hatte, ihre
+Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die
+hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was
+denn freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief.
+Aegypten ist vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die
+ernstlich ein System des Gleichgewichts verfolgt hat; in dem
+entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio
+zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, dass all die andern
+reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums haben
+vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am
+letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens
+Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die
+geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die
+militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern die
+notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums
+ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden,
+sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich
+erfuellt hat.
+
+
+
+
+KAPITEL XI.
+Regiment und Regierte
+
+
+Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen
+aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf
+hingewiesen worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben
+gleichfalls, ja in gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als
+das Patriziat; denn wenn innerhalb des alten Buergertums die unbedingte
+Gleichberechtigung gegolten hatte, so ging die neue Verfassung von
+Anfang an aus von dem Gegensatz der in den buergerlichen Rechten wie in
+den buergerlichen Nutzungen bevorzugten senatorischen Haeuser zu der
+Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der Beseitigung des
+Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen
+Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben
+entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie
+jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum
+auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den
+letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge
+dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte
+Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese
+innere Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege
+und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr
+Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte
+dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und
+unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue
+roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
+Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden
+und langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer
+sich geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung,
+deren historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen
+Katastrophe tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen
+geschichtlichen Anschauung zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der
+Untergang der bisherigen Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den
+kuenftigen Revolutionen fallen in diese Epoche; und die Schilderung
+derselben sowie der Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig,
+wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die
+Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem
+furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen
+zu lassen.
+
+Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der
+Zeit des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen
+ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie
+selbstverstaendlich, von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es
+knuepften sich daran schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste
+derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward,
+im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die
+Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben
+aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im
+Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die
+Verehrung des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als
+unrepublikanisch galt, und die roemische Staatspolizei darum die
+Ausstellung der Bilder von Lebenden ueberall nicht duldete und die der
+Bilder Verstorbener streng ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei
+aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen durch Gesetz oder
+Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene Fingerring der
+Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der
+Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben
+^1 - geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die
+buergerliche Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng
+festgehalten und noch waehrend des Hannibalischen Krieges ein Buerger
+eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis gehalten ward, weil er
+unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte oeffentlich
+erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in der
+Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des
+Patriziats noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den
+ersteren als aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit
+erhielten sie sicher erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387
+(367), wo durch zu den jetzt wohl schon durchgaengig Ahnenbilder
+fuehrenden patrizischen die zum Konsulat gelangenden plebejischen
+Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten. Jetzt stellte
+ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese erblichen
+Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die
+ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern
+lediglich das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an
+der gemeinen Rechtspflege, also an der Ausuebung der
+Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl
+diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes sich erst hat
+bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den Plebejern
+geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen von
+vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil
+laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche
+Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze
+kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen
+Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen Ahnen
+geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich
+koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und
+ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem
+Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
+eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in
+der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und
+musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden
+Geschlechtern und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen
+abermals beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet
+begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern
+rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die
+wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft,
+aus Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu
+verwandeln.
+
+———————————————————————-
+
+^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst
+wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen
+Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher
+Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt
+worden sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen
+Fingerring, den im fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat.
+33, 1, 18), im sechsten schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26,
+36), im siebenten jeder von Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder
+Freigeborene traegt; ferner von dem silbernen Pferdeschmuck, der noch
+im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von
+dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den Soehnen der
+kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin denen
+aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des
+Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet
+ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen
+der Senatorenkinder in der Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat.
+a.a.O.; Liv. 26, 36), in der ciceronischen der Kinder von Ritterzensus
+(Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die Geringeren das Lederamulett
+(lorum) tragen.
+
+Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und
+der Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese
+schmal trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen.
+
+^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen,
+ward durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10,
+41), das unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie
+wenn heute jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden
+anlegen wuerde.
+
+^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer
+Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere
+mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen
+Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches
+Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der
+Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die
+plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den
+kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein,
+dass sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.
+
+———————————————————————-
+
+Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik,
+namentlich des weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur,
+hatte sich rasch gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch
+die Revolution von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der
+Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in
+den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor allem die
+gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten auf
+Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten
+berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft
+in ein so gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber
+ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege,
+durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen
+Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der Sache nach beide
+bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser Epoche die
+Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus dem Senat
+vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft noch zu
+verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
+aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
+Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei
+Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch
+namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten
+und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die
+Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen,
+zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in
+demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der
+Nobilitaet.
+
+Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen
+Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt.
+Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte, sich des
+Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade
+wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der
+Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu
+jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der
+Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die
+achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden
+verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten
+diese die Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den
+Musterungen alle durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt
+unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die
+Ritterpferde vorzugsweise den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen
+der Einrichtung selbst, und ueberall war den Zensoren nicht leicht zu
+wehren, dass sie mehr auf vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit
+und den einmal aufgenommenen ansehnlichen Leuten, namentlich den
+Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen. Vielleicht ist es
+sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator dasselbe
+behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens
+tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien
+stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen
+Maenner der Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter,
+weniger noch durch die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz
+geringen Teils der Legionarreiterei, als durch die dadurch
+herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen Gleichheit, indem die
+vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk mehr und mehr
+zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen Ritterschaft
+wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und Vermoegen
+hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man wird es
+danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des
+Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit
+den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und
+weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei
+eine ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese
+Umwandlung der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte
+dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der
+Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss ein
+gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.
+
+————————————————————————————————-
+
+^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200
+die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht
+haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten
+aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler;
+jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu
+erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst
+von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle
+Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den
+Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme
+einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die
+Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die
+Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs, endlich
+seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die
+Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich
+zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S.
+243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen,
+sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser
+sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und
+durchaus nicht nach Livius’ Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung)
+und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung
+MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero
+deutet zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige
+Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll.
+Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil
+uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu
+nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden
+ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der
+Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O.,
+S. 238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der
+Ritterpferde auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung
+der oben vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht.
+Die geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden
+bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage
+derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der
+zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch
+Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes
+neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico,
+stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem
+Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste
+Zensusklasse; sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten
+sonst als Ritter und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls
+in Anspruch.
+
+In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das
+erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des
+Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte
+Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als solche
+die Ritterbenennung weg.
+
+————————————————————————————————-
+
+Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des
+senatorischen Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge
+den Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem
+zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine
+Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien;
+und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin liegende
+offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und
+Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch
+auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und
+nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der
+Aristokratie ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen
+Gleichheit zu verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus
+erklaert es sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren
+republikanischen Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs
+in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich
+durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz
+einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der
+Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen
+Laufbahn erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition,
+ihre Maenner in dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder
+nach seiner Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur
+Verantwortung zu ziehen, als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und
+gegen jedes derartige Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es
+genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung
+Catos um die Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich
+ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die
+gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550
+(204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
+sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
+wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus
+notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren-
+und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem
+Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt
+werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat zu
+beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig
+vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren,
+ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
+Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der
+blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab.
+Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die
+Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf
+Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem
+Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers
+gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu,
+indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur
+Pflicht machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe
+schriftlicher Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein
+gleichsam gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen.
+
+In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
+gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das
+Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in
+ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die
+Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig wie
+irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die
+Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert
+haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
+abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor
+verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der
+eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen
+unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm,
+im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer
+die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und
+Korsika (527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die
+allzu summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der
+steigende Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil
+zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der roemischen
+Magistratur.
+
+Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil
+sie fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der
+bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten
+am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der
+Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe
+der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich von
+Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt und
+Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der
+Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache
+nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es
+weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen
+jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier
+ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden.
+Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den
+Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom
+Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung
+von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen
+dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen
+wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der
+Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl von
+Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das
+Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den jungen
+Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn
+hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig eludiert
+und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des
+demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen
+Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen
+Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) es
+notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu
+suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu
+ueberlassen.
+
+Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die
+Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies
+allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name
+werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl
+zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur
+Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser
+Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin,
+dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre
+537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher
+aber davon nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses
+Zeitabschnitts die Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter
+erging gegen das Ende dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss,
+der die Bewerber um Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer
+festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten
+und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst
+vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der
+Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben
+und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen
+Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den
+Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit
+der Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren
+und geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die
+regierenden Behoerden sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht
+zu der erblichen Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht
+gerade aus der Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten
+Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten
+wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der
+sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und
+wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen.
+Aber auch die Zahl der Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom
+Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des Perseischen Krieges zum
+ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten erscheinen, ist
+aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten derselben, wie zum
+Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, Laelier lassen
+sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf
+besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius
+Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die
+Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch die
+Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein
+aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht
+laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die Spitze
+der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht
+wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
+kurulischen Haeuser sich bewegten und ein “neuer Mensch” nur durch eine
+Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine
+gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen
+Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der
+Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt,
+insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von
+dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der
+Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust
+rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die
+roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in
+der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm
+und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem
+konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des
+Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre
+Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der
+aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem
+gewissen Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt
+gewesen war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst
+kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller
+Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
+gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich
+mit reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges,
+von ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat
+und Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge
+sich ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so
+weit war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen
+Uebel der Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt
+durch einzelne Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen
+Hauspolitik des Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen
+Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und
+Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und
+der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter und
+aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit
+gereichte in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der
+Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren
+Konsul geworden war, war ohne Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen;
+aber wenn jetzt Scipio mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit
+dreissig zum Konsulat gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig
+Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine
+ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon dahin gelangt, den
+einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre
+Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen;
+und das ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der
+Oligarchie opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand
+bot.
+
+———————————————————————————
+
+5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die
+patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen
+Fasten deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581
+(366-173) (mit Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in
+denen beide Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer
+das Konsulat bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen
+Aedilen in den varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang
+des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt
+worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553,
+555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese
+patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach
+den Geschlechtern:
+
+
+Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener
+
+ (366-254): (253-173): 16 patrizische
+ Kollegien
+
+
+Cornelier 15 15 14
+
+Valerier 10 8 4
+
+Claudier 4 8 2
+
+Aemilier 9 6 2
+
+Fabier 6 6 1
+
+Manlier 4 6 1
+
+Postumier 2 6 2
+
+Servilier 3 4 2
+
+Quinctier 2 3 1
+
+Furier 2 3 -
+
+Sulpicier 6 2 2
+
+Veturier - 2 -
+
+Papirier 3 1 -
+
+Nautier 2 - -
+
+Julier 1 - 1
+
+Foslier 1 - -
+
+—————————————————————————
+
+ 70 70 32
+
+Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit
+der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne
+wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch
+Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum
+Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen
+Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes
+auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier,
+Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in der
+entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
+
+———————————————————————————
+
+Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den
+Stempel das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren
+Angelegenheiten ueberwog in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit
+und Energie, durch welche die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber
+Italien gegruendet worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um
+Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die
+Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen
+lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung
+geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so
+legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale,
+aber klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen
+Sturmes und der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und
+bewies es der Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen
+Staaten zu beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in
+vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit
+den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden
+roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht
+uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit
+wichtigeren und weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten
+des Staates sowohl die Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die
+neuen Einrichtungen einen fast entgegengesetzten Geist offenbaren,
+oder, richtiger gesagt, die entgegengesetzte Richtung hier bereits das
+Uebergewicht gewonnen hat.
+
+Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr,
+was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern;
+und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr
+eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich
+nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie
+in dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der
+Standesgenossen und die Gunst der Menge durch strenge Worte und
+ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit
+altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie
+zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des
+Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass
+Paullus, als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war,
+statt nach beliebter Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken,
+derselben erklaerte, er setze voraus, dass sie ihn zum Feldherrn
+gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den faehigsten zum Kommando
+gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht kommandieren zu
+helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms Suprematie und
+Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der Strenge
+seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch,
+im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten
+hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen
+Beziehungen damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge
+Dinge auch in Rom vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und
+zwar nicht etwa von der Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius
+Flaminius und Gaius Varro, sondern gut aristokratischer Maenner,
+bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl des Staates auf das
+Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in welcher Art
+die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt der
+Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia
+(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten
+Fechterspiele in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr
+einen in das roemische Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen
+lassen und ihn mit eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer
+als der Vorgang selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen
+liesse, war es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht
+gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste
+der Senatoren strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im
+Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich
+war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten
+Koteriehaeupter des Senats.
+
+Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher
+zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im
+Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen
+infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es
+zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der
+kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra
+(Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der
+neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen Distrikten Italiens
+abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es nicht laenger
+moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten roemischen
+Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes die
+roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum
+Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese
+Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die
+Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von
+dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von
+Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert
+noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern
+es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen
+Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das
+von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und
+an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation
+von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten;
+wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle
+entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen
+spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den
+Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
+Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende
+Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem
+Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210
+Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die
+je auf einmal in die roemische Kasse gelangt ist.
+
+Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben
+groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme
+Siziliens, kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die
+Ausgaben fuer Wege- und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der
+Ausdehnung des Gebiets; auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen
+Buergern waehrend der schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse
+(tributa) lastete noch manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar.
+Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die schlaffe
+Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr
+namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von
+ihrer ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen
+namentlich am Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und
+Erpressungssystem wird unten noch die Rede sein. Wie der Staat bei den
+Verpachtungen seiner Gefaelle und den Akkorden ueber Lieferungen und
+Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr danach ermessen, dass
+der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb der an Rom
+gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die Grubenpaechter
+doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen wuerden
+- freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde
+sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward,
+die Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen,
+sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und
+sonst auf oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser
+aus den oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es
+machte sehr boeses Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche
+Kontravenienten ernstlich einschritt und sie zwang, entweder auf die
+Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten oder dafuer das
+gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde gegenueber
+bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine
+merkwuerdige Weite. “Wer einen Buerger bestiehlt”, sagt Cato,
+“beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber,
+wer die Gemeinde bestiehlt.” Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche
+Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und
+Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten
+in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und
+da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; wie der
+roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort hin
+ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland der
+kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
+aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur,
+dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch
+viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch
+nicht wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte.
+Das allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am
+deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem
+Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen
+finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel
+der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade
+reichlich gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie
+mit den nicht in die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern
+wohl manches fuer die Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt,
+fuer die Chaussierung der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage
+oeffentlicher Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser
+Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im
+Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des
+hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24
+Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache
+nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber
+allem Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen
+von den schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten
+Abschnitt der vorigen zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist
+in Rom keine neue Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm
+freilich zu: die letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich
+genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2,
+171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe
+an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren.
+Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem
+Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen
+Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre
+Niedrigkeit als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als
+duerftigen Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen,
+zeigen die roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der
+Einnahme ueber die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein
+glaenzendes Gesamtergebnis.
+
+————————————————————-
+
+^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger
+geworfen worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht
+abgeschafft; es muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den
+Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden
+(Cato agr. 2).
+
+————————————————————-
+
+Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in
+der Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der
+roemischen Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die
+gewoehnlichen und die latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die
+roemischen Passiv- und die roemischen Vollbuerger. Von diesen vier
+Klassen wurde die dritte im Laufe dieser Periode so gut wie
+vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon fuer die
+Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, jetzt
+auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und
+diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi
+und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua
+nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines
+Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige
+wenige Gemeinden, wie Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in
+Kampanien, in dem frueheren Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen,
+so darf doch, im grossen und ganzen betrachtet, dies Buergerrecht
+zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten.
+
+Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der
+Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den
+Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu
+namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet
+gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen
+Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen
+geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen
+Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch
+die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner
+aus diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen
+duerfen, hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird.
+
+Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon
+frueher angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu
+ihrem Nachteil veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie
+zum Beispiel Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller
+Wechselfaelle dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden
+und darum ihr bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem
+die meisten mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige
+Revision der bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten
+Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus
+ihren Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten
+und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen,
+wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000
+samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie
+Fregellae uebergesiedelt seien.
+
+Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des
+roemischen Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur
+und Praeneste, die ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie
+namentlich einzelne der Herniker, und die durch ganz Italien
+zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt noch besser gestellt waren,
+ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im Verhaeltnis kaum weniger
+sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten wurden unbillig
+gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von der
+Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen
+gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel
+Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des
+Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen
+verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und
+den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk
+577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit
+den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des
+ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten
+Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
+Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je
+drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den
+latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die
+Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche
+Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde
+zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache
+Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der
+Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer
+Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die
+Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu
+leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche
+Ausweisungen aus der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567,
+577 187, 177). Die Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum
+nicht weniger schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen
+Binnenland angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt
+des latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur
+hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast
+regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende
+Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183)
+begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche
+mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig
+ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577
+184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
+offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
+Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten
+wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen
+Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren
+Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit
+Erwerbung bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen
+latinisches Recht zu vertauschen.
+
+Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt
+in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere
+Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben,
+hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch uebermaessige
+Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr zu
+dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet.
+Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die
+Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche
+entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf das
+aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden
+gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
+Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das
+bundesgenoessische mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette,
+laesst sich nicht nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem
+keine mehr dieses erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in
+das roemische Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die
+latinischen Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer
+einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen
+Nichtbuerger ^7.
+
+———————————————————————
+
+^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der
+Gruendung der Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der
+Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut.
+20, 79); worauf er denn auch nach bekannter Sitte dessen Vornamen
+annahm. Von Rechts wegen erwarben, wenigstens in dieser Epoche, die in
+die Buergerkolonie mit deduzierten Nichtbuerger dadurch die roemische
+Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig dieselbe sich anmassten
+(Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung einer Kolonie
+beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen
+Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte
+Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
+
+———————————————————————
+
+Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse
+der italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und
+Folgerichtigkeit nicht abgesprochen wer den. Die Lage der
+Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung
+durchgaengig verschlechtert und, waehrend die Regierung sonst die
+Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln bemueht
+gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die
+verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen
+Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den
+oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog und die Ehren und
+Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die Buergerschaft
+ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber und schloss
+diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus, waehrend sie
+an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil ueberkam. Wie
+die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die Buergerschaft
+gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des
+verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner
+Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die
+starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der
+Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert
+auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu
+eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes
+Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden
+des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
+Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte
+Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den
+Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die
+bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten
+Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu
+empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden
+begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig
+wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten,
+zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten,
+ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass
+ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen
+eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der
+Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den
+Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung
+innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den
+frueheren Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden
+italischen Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe
+Verstimmung bemaechtigte sich der gesamten italischen
+Eidgenossenschaft, und nur die Furcht hielt sie ab, laut sich zu
+aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei Cannae im Senat
+gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das
+roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur
+Unzeit gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit
+welcher Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das
+Verhaeltnis zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter
+Hannibal den Krieg nach Italien getragen haette, so durfte man
+zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten Widerstand des latinischen
+Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein wuerde.
+
+Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das
+roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche
+am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen
+Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht
+kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen
+Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft oder in der
+roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis zugelassen, das
+ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit
+sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen in Sizilien, Sardinien
+und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren frueheren Herren gesteuert
+und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal behalten wollte, war es
+nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste und unzweifelhaft
+das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den bisherigen Normen
+zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische
+Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch
+diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den
+Barbaren entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte.
+Ohne Zweifel war es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung,
+durch die Abgaben der Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern,
+sondern nur die Kosten der Verwaltung und Verteidigung damit zu decken;
+doch wich man auch hiervon schon ab, als man Makedonien und Illyrien
+tributpflichtig machte, ohne daselbst die Regierung und die
+Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit weniger
+darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass
+man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer
+den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich
+den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das
+neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren
+Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit
+der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die
+roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des frueheren
+Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt; wie denn
+auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen Palast zu
+Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der Vogt
+nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
+Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in
+den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener
+begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als
+er von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er
+vorher sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die
+Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist
+auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich
+nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die
+Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil
+durch ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten
+herrschende ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene
+Amts- und Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die
+schlimmsten unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen
+Steuerpaechter und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde
+ihres Auftretens den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und
+haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten. Auch die
+Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man
+war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht
+verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den
+nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu
+erinnern; es ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste
+Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit der Provinzialherrschaft
+erschien. Aber es war auf die Laenge nicht durchfuehrbar, zugleich
+Republikaner und Koenig zu sein. Das Landvogtspielen demoralisierte mit
+furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen Herrenstand. Hoffart und
+Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der Rolle, dass daraus
+dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon
+war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem
+alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass
+der Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass
+Paullus, der Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas
+Besonderes angemerkt. Die ueble Sitte, dem Amtmann “Ehrenwein” und
+andere “freiwillige” Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die
+Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches
+Erbstueck sein; schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556
+(198) sich begnuegen, diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen.
+Das Recht der Beamten und ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden
+auf freies Quartier und freie Befoerderung ward schon als Vorwand zu
+Erpressungen benutzt. Das wichtigere Recht des Beamten,
+Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute Unterhalt (in
+cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei anderen
+besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz
+auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen
+der Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des
+Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich
+veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei
+den Untertanen requiriert zu werden; die masslosen Tribulationen, die
+der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus fuer die von ihm auszurichtende
+Festlichkeit ueber italische wie ausseritalische Gemeinden ergehen
+liess, veranlassten den Senat, offiziell dagegen einzuschreiten (572
+182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am Schlusse dieser
+Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst
+gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das
+zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die
+heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus.
+Die Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es
+an jeder ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses
+militaerischen Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche
+Kontrolle mangelte nicht ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem
+allgemeinen und mehr als bedenklichen Grundsatz: gegen den
+Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu
+gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn
+das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine Kriminal- als
+eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste
+ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die
+Sache in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die
+Zivilklage wurde von dem Senator, der die betreffende Praetur
+verwaltete, an eine nach der damaligen Gerichtsverfassung aus dem
+Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen. Dort wie hier lag also die
+Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes, und obwohl dieser noch
+rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete Beschwerden nicht
+unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar verschiedene Male auf
+Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines Zivilverfahrens selber
+zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen von Niedrigen
+und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie vor
+weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch
+mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen
+von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und
+schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben.
+Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten freilich in den
+erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und Landschaften
+der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher getretenen
+Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden es, dass an
+Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; und dass die
+Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der Spanier,
+Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum
+Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen
+Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen
+Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber
+wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige
+Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der
+Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und
+gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten,
+sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von
+Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen
+Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite.
+Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten
+die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen
+meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft,
+wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich
+fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der
+roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts
+wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten;
+woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen
+nicht unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng
+gewesen, wie sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche
+Rechenschaft nur den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre
+Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in der strengen und
+gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und
+hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten
+machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments
+sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit strengeren
+und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die
+italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt,
+wo das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten
+gesteigert werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber
+das Ganze bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte
+herrschten so gut wie souveraen, und das wichtigste der fuer den
+letzteren Zweck dienenden Institute, die Reichsschatzung, wurde noch
+auf Sizilien, aber auf keine der spaeter erworbenen Provinzen mehr
+erstreckt. Diese Emanzipation der obersten Verwaltungsbeamten von der
+Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische Vogt, an der
+Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender Finanzmittel,
+dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von der
+Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen
+Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse
+von dem der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen,
+glich weit mehr einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des
+roemischen Senats in der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte
+der Mann, der eben im Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis
+gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck in die buergerliche
+Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht
+Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass die
+beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie
+und die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr
+hier unter den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der
+Regierung gegen Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze
+Vogteiwesen, der Einrichtung der Provinzialquaesturen, die wenigstens
+die Finanzgewalt den Voegten aus den Haenden zu nehmen bestimmt waren,
+der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen Einrichtung laengerer
+Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis hervor, welche
+die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier gesaeten
+Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment
+der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen
+Richtung, und der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die
+Vorbereitung kuenftiger Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn
+nicht unbemerkten, doch ungehemmten stetigen Fortgang.
+
+Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte
+Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene
+nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss der politischen
+Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite Zuruecksetzung
+nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als die erste. An
+Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die Opposition
+ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf dem Senat; um
+jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische Buergerschaft
+nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern.
+
+Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem
+bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert
+werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine
+einsichtige Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes
+Herz in guten und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit
+des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das
+Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem
+Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede
+Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der
+gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze
+Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber
+beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige
+Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste,
+auch in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl
+oft geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in
+buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde
+die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der
+oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und
+wuchsen ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse
+vollstaendig ueber den Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die
+meisten bisherigen Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche
+Anzahl neuangelegter Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht
+empfingen, ist schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die
+roemische Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im
+weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an
+der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte;
+innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur,
+Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die
+Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das
+roemische Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und
+transapenninischen Kolonien der juengsten Zeit, denen das Buergerrecht
+hatte eingeraeumt werden muessen, und eine sehr betraechtliche Anzahl
+roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, gesonderte Gemeinwesen zu
+bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et conciliabula) durch ganz
+Italien zerstreut lebten. Wenn man der Unbehilflichkeit einer also
+beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der Rechtspflege ^8 und
+der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten
+stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch
+schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen und
+transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer
+staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde
+wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen
+politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz
+allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer
+Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was
+sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche
+Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen
+weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
+hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser
+Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den
+Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in
+neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass
+allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische
+Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie
+diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr,
+die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen
+Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung
+und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst
+werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte
+voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
+hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
+geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche
+die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber
+zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das
+entscheidende Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und
+Staatsvertraege in letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder
+die Gruende noch die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber
+eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die
+roemischen Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle
+gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen
+Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie
+zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so
+machte sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und
+kuemmerlich auslaufende Opposition.
+
+————————————————————————-
+
+^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von
+Venafrum sich beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die
+rechtliche Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen
+bestimmten Fall nach Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die
+Winterweide an den Besitzer einer Schafherde verpachtet, also mit einem
+in der Regel nicht in der Gegend domizilierten Paechter zu tun hat
+(agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen
+Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward,
+die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom,
+sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden.
+
+————————————————————————-
+
+Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel
+formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur
+Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit
+unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine
+Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von
+denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen,
+wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder
+verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, und
+sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
+Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht
+bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus
+den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der
+Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die
+Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete
+finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten
+Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen
+Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten,
+jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
+Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
+ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu
+erheben. Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich
+beschraenkt (550 204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen
+von ihren Klienten regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen
+Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu
+beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche
+maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem
+selbstaendigen Mittelstand machte.
+
+Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der
+Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst
+nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen
+beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem
+sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in
+den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges
+vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen
+Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und
+den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern
+der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser
+als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom
+uebersiedelnden Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale
+Servilitaet ebenso unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete.
+
+Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem
+Aufkommen eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder
+die Nobilitaet noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen
+werden, systematisch denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei
+und noch schlimmere Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war,
+unterwuehlt zu haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu
+achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette
+zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die
+Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der
+Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und
+die Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus
+endlich die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels
+hervorging: Brot umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen,
+welche entweder die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen
+Marktbehoerde stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei
+einzelnen roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom
+lieferten, machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den
+Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das
+Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte
+Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch
+habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender
+Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem
+Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste
+roemische Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites
+Volksfest und einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich
+mit diesen Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen
+Festes: “plebejische Spiele” hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis
+erkauft haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch
+ging man weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der
+Ceres, der Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch
+nur wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung
+der Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein
+viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren
+der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter
+hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen
+Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft
+von dem Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich
+italische Deisidaemonie war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht
+an solchen, welche sie nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in
+Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und Vertretung sich der Menge
+zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die Regierung, welche der
+Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in solchen Dingen
+nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in
+ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres Volksfest,
+die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen
+Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste
+beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen
+zu dem alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der
+Flora, die plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der
+staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die
+neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen,
+sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat waere es weit
+weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer Anzahl
+unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die Ausrichtung
+einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die
+Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen
+Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele
+einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche
+steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in
+Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige
+“Leistung” (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab.
+Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die
+Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die
+Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges
+Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte
+gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
+verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt,
+sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr
+hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die
+Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe
+heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus,
+warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie aus
+- es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen
+Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten
+Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
+durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an,
+auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der
+Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein
+unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner
+mit Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass
+auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu
+geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben
+verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die
+durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten
+Freiwilligen, nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre
+des Triumphes aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von
+drei ligurischen Doerfern wegwarf.
+
+————————————————————————-
+
+^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der
+plebejischen Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der
+falsche Asconius (p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem
+Flaminischen Circus gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst
+sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen
+(Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.
+
+————————————————————————-
+
+Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft
+unter diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man
+an den Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise
+offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg
+(576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft
+vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer,
+ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten
+ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand.
+Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des
+Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst,
+gegen die Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit
+ernsten Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ?
+180) stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn
+Dienstjahren als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden
+Gemeindeamtes fest, um die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt
+in das Heer zu noetigen.
+
+Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten
+Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen
+nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen
+gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des
+Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel
+aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in offener
+Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten
+verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben
+die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man
+musste es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren,
+welche vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom
+Senat oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens
+auf dem Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon
+war kein Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu
+unbedeutend, um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den
+friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570
+(184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des
+Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens
+5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter
+durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den
+vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs
+vom Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen
+Jahres es sich zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab
+seines Nachfolgers einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration
+gegen die neumodische Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius
+Sempronius Longus (560 194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als
+Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen
+Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien
+jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der
+Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass
+ihm, wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging,
+ausnahmsweise ein Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und
+Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des Geehrten errichtet, wurden so
+gemein, dass man es spoettisch fuer eine Auszeichnung erklaeren konnte,
+ihrer zu entbehren. Aber nicht lange genuegten derartige bloss
+persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen Siegen dem Sieger
+und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen; welchen
+Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich
+selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter
+den von Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die
+Niederen nach. Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die
+Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und dem gewesenen Zensor
+ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte man es den
+Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten, wenigstens
+ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken zu duerfen.
+Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht bloss den
+Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, sondern auch
+den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener von
+dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem
+gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem
+gemeinen Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was
+gut und gross, das Werk der buergerlichen Gleichheit war!
+
+———————————————————————————-
+
+^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das
+des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von
+Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in
+aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen
+Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus
+gleichartig.
+
+———————————————————————————-
+
+Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der
+Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den
+lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge
+beginnt die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht
+voellig trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es
+doch notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern.
+
+Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person
+des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte
+Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem
+Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster
+des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird
+man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen
+Mittelstandes gegen die neue hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet.
+Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der
+wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in
+die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem
+rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich
+entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter
+Flaccus’ Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den
+Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
+Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten
+Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen
+Hannibalischen Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der
+bei Zama durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und
+Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien,
+Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich
+tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz.
+Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender
+Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen
+Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper
+machten ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem
+er auf dem Markt und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren
+Schauplatz getreten war, zu dem einflussreichsten Sachwalter und
+Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius
+Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen
+hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem einreissenden
+Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen,
+und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem
+neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen
+- gruene Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und
+kein grosser Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann.
+Politisch und sittlich gruendlich borniert und stets das Ideal der
+guten alten Zeit vor den Augen und auf den Lippen, verachtete er
+eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen sich vor sich selber
+legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen alles und alle,
+rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der
+polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden
+Pflicht, ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und
+Genialitaet und vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie
+einen Versuch gemacht, die Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein
+Leben lang gegen nichts gefochten als gegen Symptome und namentlich
+gegen Personen. Die regierenden Herren sahen zwar auf den ahnenlosen
+Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, ihn weit zu
+uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat
+zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer
+republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem
+Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem
+Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner
+vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor,
+allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und
+allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich
+gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er
+oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und
+jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose
+Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich den
+Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener
+unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt
+worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie
+maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige
+Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den
+ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen niemals
+fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen
+Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im
+voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende
+Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen
+beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der
+Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und
+derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest
+stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der
+Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
+gestrichen wurden.
+
+Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz
+und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die
+Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den
+Strom der Korruption auf eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es
+bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz oder vielmehr dadurch seine
+politische Rolle zu spielen vermocht hat, so ist es ebenso bezeichnend,
+dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der Gegenpartei wie diesen
+ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem Gesinnungsgenossen vor
+der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse wenigstens in den
+politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso erfolglos
+geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr
+als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich
+zur Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und
+ordentlichen Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen
+wurden und die zum Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu
+beruehren sein werden.
+
+Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem
+einreissenden Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die
+Ausweisungen von neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel
+den ersten Platz einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem
+ersten und zweiten Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des
+letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl
+und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind
+die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im
+Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560
+(194) und vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen
+dem Apennin und dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte
+Placentia, Cremona, Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien
+Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und
+565-577 (189-177). Bei weitem die meisten dieser segensreichen
+Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden. Hinweisend
+einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen Krieg
+und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der
+freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten,
+neben und gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im
+Cisalpinischen Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen
+Landschaft haben Cato und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und
+obwohl die roemische Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht
+in dem Massstab nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so
+blieb sie doch nicht taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen
+Mannes.
+
+Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem
+Verfall der Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen
+Reiterstellen Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der
+Staatskasse nicht gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem
+exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die
+nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu
+verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die schweren
+Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem
+gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach
+orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der
+fuer den Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des
+Minimalzensus von 11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit.
+Abgesehen davon, dass man die zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen
+(43 Taler) geschaetzten Freigeborenen und saemtliche Freigelassene zum
+Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus fuer den Legionaer auf
+4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall auch sowohl die
+Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375
+Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk
+miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang
+dieser Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig
+wie die servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen
+hervorgegangen; allein sie taten doch der demokratischen Partei
+insofern wesentlichen Vorschub, als mit den buergerlichen Belastungen
+zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann auch die buergerlichen
+Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die Armen und
+Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit sie
+ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten
+Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der
+Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre
+erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende ging (513 241).
+
+Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn
+auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die
+Ansaessigen gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten
+zuerst die Ritter gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel,
+sodann die Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen
+von mindestens 100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten
+^11; und diese beiden Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten,
+jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der
+vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen,
+deren Schaetzung unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300
+Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen
+Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen
+behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der
+ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die
+Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug
+angeschlagen werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der
+Einfluss des Adels auf die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war.
+War doch selbst der eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit
+maechtig genug, um die gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern
+offenstehende zweite Konsul- und zweite Zensorstelle, jene bis an den
+Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch ein Menschenalter
+darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu besetzen,
+ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt
+hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen
+gesetzlich erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers,
+des Plebejers Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod
+erledigten Konsulstelle einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig
+zu machen. Dabei ist es freilich charakteristisch fuer das Wesen auch
+dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den
+Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den Ritterzenturien entzogene
+Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus der ganzen
+Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die
+erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben
+wie sie waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der
+Weise verschoben, dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der
+Legion so auch fuer das Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000
+Asse herabgesetzt ward. Ueberdies lag schon in der formeller
+Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem allgemeinen Steigen des
+Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des Stimmrechts im
+demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb gleichfalls
+unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn
+Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien
+allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten
+Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch
+bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur
+Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche Schwerpunkt der
+Reform war die Verbindung, in welche die neuen Stimmabteilungen mit der
+Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die Zenturien aus den
+Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus angehoerte,
+von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste.
+Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben
+worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend
+sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen
+Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der Zenturien mit
+den ansaessigen Buergern formell das gleiche Recht, wenngleich
+wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der Zusammensetzung der
+Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus eingeschriebenen
+Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung gewaehrte.
+Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in
+der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse
+jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen
+Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den
+vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern das Uebergewicht
+eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die bisherige
+Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im Stimmrecht
+in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen Freigelassenen
+in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im Jahre 534
+(220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei, den Zensor
+Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius Sempronius
+Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen Revolution,
+fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese
+Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von
+Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung,
+die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der
+eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der
+Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in der
+Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits der
+Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung der
+Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden
+Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen,
+Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung
+der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die
+Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht
+leicht anders zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig
+notwendig oder doch ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren
+zu waehlen und um einen Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also
+durch diese Reform nicht ein neues Prinzip in die Verfassung hinein,
+sondern ein laengst in der praktisch haeufigeren und wichtigeren
+Kategorie der Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner
+Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische
+Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen
+Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der
+Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung
+dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden
+Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz
+hat die gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten
+Standes nicht verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich
+erschwert. Es ist sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften
+Ueberlieferung, dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der
+vielbesprochenen Reform auf den politischen Verlauf der Dinge
+nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform
+noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht
+stimmberechtigten roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches
+Aufgehen in die Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem
+nivellierenden Geiste der Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb
+des Mittelstandes zu beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern
+und Nichtbuergern sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.
+
+———————————————————————-
+
+^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig,
+etwas Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als
+Minimalzensus der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier
+uebrigen Klassen in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½,
+¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und
+verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10
+Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch
+in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere
+Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen
+Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442
+(312) die Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann
+sich dabei nicht des leichten As bedient haben, der erst 485 (269)
+aufkam. Entweder also hat er dieselben Betraege in schweren Assen
+ausgedrueckt und sind diese bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt
+worden, oder er stellte die spaeteren Ziffern auf, und es blieben
+dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine
+Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben
+wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben;
+doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter
+Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des
+fuenften Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss
+administrativen Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz
+aus der Ueberlieferung verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder
+40000 Sesterzen koennen uebrigens fueglich als Aequivalent der
+urspruenglichen roemischen Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen
+werden; so dass danach die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck,
+nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden.
+
+———————————————————————-
+
+Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und
+erreicht ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem
+Einschwinden des Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen
+und sparsamen Sitte, aber auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss
+der neuen Nobilitaet unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern
+sich bemueht und bis zu einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man
+vermisst ein hoeheres politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der
+sittliche Unwille der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren
+angemessenen und kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine
+deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im
+grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht
+hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die
+rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den
+Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden
+konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser
+Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu
+sein und den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen
+Kosmopolitismus auf ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und
+spiessbuergerlich gefuehrt zu haben.
+
+Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so
+trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die
+volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute,
+die an der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der
+Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig
+einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu
+hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen
+anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem
+Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen und
+witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; zu
+nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
+Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer
+ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der
+Tat, diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese
+vor allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung
+drang, so hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der
+Regierungs- und Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer
+Beziehung ist die wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der
+Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537
+(217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren
+Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538
+216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit
+aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie
+dies doch in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein
+paar Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der
+zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer
+staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne
+foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit
+ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem
+ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr
+wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der
+das Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln,
+durchaus und in der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden
+Diktators abgehangen hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur
+unvollkommen ward dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in
+Anspruch genommene Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich
+bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen
+hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die
+Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen,
+und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand
+herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in
+der Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen
+in bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die
+politisch wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich
+nach altem Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit
+diese Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war
+fuer diese zur Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von
+Geschlecht zu Geschlecht bestimmten Institute die einzige ihrem Geist
+entsprechende Wahlform die Kooptation. Es ist darum zwar nicht von
+grossem politischen Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende
+Desorganisation der republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit
+(vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber
+wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus
+dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde
+ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler
+Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der
+Bezirke, also nicht das “Volk” den Wahlakt vollzog. Von groesserer
+Bedeutung war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in
+persoenliche und sachliche Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung
+und der aeusseren Politik. Hierher gehoert der Uebergang der Ernennung
+der ordentlichen Stabsoffiziere vom Feldherrn auf die Buergerschaft,
+dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen der Fuehrer der
+Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der verfassungs-
+und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch das
+hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem
+populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn
+geteilt ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der
+Buergerschaft verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger
+und unredlicher Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon
+noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen
+seiner militaerischen Befaehigung vor dem Publikum der Hauptstadt
+auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren Versuche, dem Sieger von
+Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph abzuerkennen; hierher
+die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung eines Privatmanns
+mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); hierher die
+bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat
+ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu
+lassen (549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb
+naerrischen Menschen, der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine
+in jeder Hinsicht ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier
+zu entreissen (587 167); hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass
+jeder Staatsvertrag erst durch Ratifikation der Gemeinde vollgueltig
+werde. Dieses Mitregieren und Mitkommandieren der Buergerschaft war in
+hohem Grade bedenklich, aber weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in
+das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss, weil die Macht des Senats in
+der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf das aelteste und
+wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche Verwaltung des
+Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der wichtigsten
+hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der Gemeindedomaenen,
+unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit der
+Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut
+unbeschraenkt in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist
+reicht bloss verkehrt, sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert
+die bestgesinnte Buergerschaft und gibt dem Antragsteller eine mit
+keinem freien Gemeinwesen vertraegliche Macht. Wie heilsam auch die
+Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen Tadels darum der Senat
+wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige Aufteilung des
+okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel
+abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf
+Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die
+Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr
+geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte
+zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt;
+aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach
+zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als
+Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber
+regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung
+eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa
+bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische,
+administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats
+und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in
+unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu
+machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der
+beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige
+Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke
+zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu
+bedauern, aber bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach
+der Ansicht der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und
+seine Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht,
+welche in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von
+ihnen gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum
+Beispiel die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen,
+mittelbar oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat
+abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die
+Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine
+boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines
+angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not
+in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten
+Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der
+Marcellus sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich
+durchfallen und waehlte den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende
+Jahr; auch von der Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die
+Versammlung sich ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die
+Wahl des Paullus und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber
+zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines
+besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem
+naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden.
+
+Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr
+wirkt, schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen
+Volksversammlung schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im
+Senat konnte der Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die
+Komitien appellieren. Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst
+besass, unmuendigen Ohren zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen,
+war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu verschaffen oder einen
+Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und Regierung formell
+gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt,
+im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres
+angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst
+herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem
+hauptstaedtischen Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst
+galt, vor allen Dingen in Masse verabschiedet werden mussten - und
+daher die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae und die
+schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward
+die Regierung durch jene unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse
+gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie
+am meisten in ihrem guten Recht war.
+
+Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch
+die geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden
+Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der
+verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der
+einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten
+Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als
+das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus
+einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und
+Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das
+gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer
+abhingen? Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und
+dichter ballten die Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege
+rollten bereits durch die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach
+bedenklicher Weise die scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in
+ihren aeussersten Spitzen sowohl hinsichtlich der Zwecke wie
+hinsichtlich der Mittel zusammen. In der Poebelklientel und dem
+Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich eine
+gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt
+den Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner
+derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir
+hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution hervorging.
+Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, der
+Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in seiner
+persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf die
+Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet
+bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die
+Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb,
+und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und
+niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der
+Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht,
+liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als der
+erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen.
+
+Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen
+sein, wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des
+Staats an Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von
+keiner Seite dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss.
+Zwar im einzelnen geschah von seiten des Senats wie von seiten der
+buergerschaftlichen Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die
+Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die
+Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die
+schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht
+verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis
+auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen
+und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten
+und selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung
+der Justiz und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und
+umfaenglich genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine
+boese Zukunft zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen
+waehrend es Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den
+spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten,
+erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms
+und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die
+Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen
+Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in
+England; und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern
+der Nation wieder in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick
+hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; man sieht die
+Arbeiter geschaeftig, bald sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern;
+von Vorbereitungen aber zu einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt
+man nirgend eine Spur, und es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur
+noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die
+roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom
+Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein
+Menschenalter darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war
+hier wie ueberall nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern
+der beginnenden Erkrankung und der Vorbote der Revolution.
+
+
+
+
+KAPITEL XII.
+Boden- und Geldwirtschaft
+
+
+Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen
+pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so
+treten auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit
+groesserer Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die
+Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise
+und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden
+liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden-
+und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich der
+Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende
+Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die
+innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen
+Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern.
+
+Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder
+Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato entworfenen
+Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt.
+
+————————————————————————
+
+^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen,
+ist es notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch
+hier durch die neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten
+ward im Altertum Roggen nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten
+Hafers sah man in der Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich
+zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien zuerst am Ende des
+fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des siebzehnten
+Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus
+Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur
+entstandene Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in
+ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen
+oder die “griechische Nuss”, der Pfirsich oder die “persische”, auch
+die “weiche Nuss” (nux mollusca) sind zwar Italien urspruenglich fremd,
+aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor Christus. Die
+Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus dem
+Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten
+kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward
+in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47;
+Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13,
+4, 26), sondern eben wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der
+Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist
+die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in
+der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt zu werden anfing, obwohl
+der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist; noch juenger vielleicht
+die Aprikose oder die “armenische Pflaume”. Der Zitronenbaum ward erst
+in der spaeteren Kaiserzeit in Italien kultiviert; die Orange kam gar
+erst durch die Mauren im zwoelften oder dreizehnten Jahrhundert dahin,
+ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe (Agave americana). Die
+Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut worden. Auch der
+Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten Italien
+eigen.
+
+Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen
+Produkte, die uns recht “italienisch” scheinen; und wenn das heutige
+Deutschland, verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein
+suedliches Land genannt werden kann, so ist auch Italien in nicht
+minderem Grade seitdem “suedlicher” geworden.
+
+Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
+durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte
+ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die
+sogenannte Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht
+betrieben ward, wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato
+setzt fuer diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer
+mehr Kapital in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht
+sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der
+Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von
+zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist.
+
+————————————————————————
+
+Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen
+Gemeindewirtschaft fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie
+vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme
+als auch in der Art, dass der Paechter alle Betriebskosten trug und
+dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte der Fruechte,
+empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein
+eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3.
+Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner
+Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern
+erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan
+festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und seinen Leuten die
+Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward, teils eine Anzahl
+Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach Umstaenden den
+Staatsgeschaeften zu widmen.
+
+——————————————————————-
+
+^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der
+Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten
+Futters, zwischen Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den
+zwischen ihnen ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel
+gleich waren, laesst die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und
+der aehnlichen italienischen Pachtung auf halb und halb sowie die
+Abwesenheit jeder Spur anderer Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig
+hat man den politor, der das fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen
+geteilt wird, den sechsten bis neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr.
+136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht Teilpaechter, sondern ein
+in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen
+Gesellschaftsvertrag erhaelt.
+
+^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die
+roemischen Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem
+Umfang zu erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine
+Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
+
+———————————————————————————-
+
+Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse
+gebaut; daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum
+Viehfutter, Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter.
+In der Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet.
+Fuer die Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum
+Beispiel die Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch
+Wiesen zur Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden
+sie haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer
+wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und der
+Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf
+eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und
+andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag,
+teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen,
+Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den
+Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur
+ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch
+kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der
+heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des
+Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der
+Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung
+von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur
+gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
+nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens
+auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide
+Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet;
+haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen
+grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde
+einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von
+Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen.
+Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -,
+Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
+gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und
+ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so
+unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
+
+——————————————————————————-
+
+^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern
+hoechstens leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus
+Cato (agr. 33, vgl. 137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3,
+3) bei dem Weinberg keinen anderen Nebengewinn als den Ertrag der
+verkauften Ableger. Dagegen die Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes
+Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen
+Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen diesen Getreide.
+
+——————————————————————————-
+
+Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln,
+die besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt
+wurden; auch ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd
+gehalten. Man zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie;
+durchgaengig waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das
+Gut von 100 Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen,
+ein juengerer Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden
+nach Catos Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das
+groessere vier erfordert.
+
+Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der
+Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter
+(vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die
+Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit
+anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin (vilica), die
+Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag besorgt;
+eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein Eseltreiber,
+ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, ein Schafhirt. Die Zahl
+schwankte natuerlich je nach der Bewirtschaftungsweise. Auf ein
+Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und
+sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und
+neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit Olivenpflanzungen und
+Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten gerechnet. Fuer
+den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut
+von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und
+zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen
+Knechte; die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und
+eigene Kasse zu gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu
+verheiraten; er allein wird auch Aussicht gehabt haben, im Fall des
+Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu erlangen. Im uebrigen
+bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. Die Knechte wurden
+eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, sondern in
+arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn sie
+durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem
+Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude
+(villa rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die
+Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer
+den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana)
+eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der Wirtschafter selbst,
+erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des Herrn in gewissen Fristen
+nach festen Saetzen geliefert, womit er dann auszukommen hatte; so
+Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden und von denen
+die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so monatlich
+eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner Salz,
+Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete
+sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der
+leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing.
+Alles Backen und Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen
+gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu
+fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder einen Entweichungsversuch
+befuerchten liess, ward angeschlossen auf die Arbeit geschickt und des
+Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. Regelmaessig reichten diese
+Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von selbst versteht, die
+Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern aus. Fremde
+Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in
+besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den
+Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden,
+und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte
+nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm man gedungene
+Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem Eingebrachten die
+sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, das fuenfte Korn
+empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische Arbeiter in
+grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte einbringen zu
+helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem
+Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften,
+gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht
+einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen
+besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig
+verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig und
+liess den Kaeufer die Einbringung besorgen.
+
+——————————————————————-
+
+^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die
+Sklaven nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als
+zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und ein aehnliches Verfahren muss auch
+Cato im Sinn gehabt haben, wie der Personalbestand seiner
+Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht geradezu sagt.
+Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2)
+ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8)
+beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der
+Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden,
+ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil des
+regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst
+betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf
+aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte
+charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
+Dienerschaft (familia urbana).
+
+^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der
+Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen
+auch bei Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst
+mahlen koennen, statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56).
+Sogar in der Kaiserzeit tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig
+noch auf als eine definitiv von dem Herrn, provisorisch von dem
+Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13;
+Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder durch
+gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem
+vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit
+vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu
+erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck
+des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass
+die Lage der Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und
+darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich
+vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens
+auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten liessen, soll damit
+nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin angedeutet, dass die
+Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden Nachteile nicht
+ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber Gefesselten
+verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte
+eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde
+gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht.
+Berlin 1856, S. XXXI).
+
+^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro
+(rust. 1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch
+fehlerhaft gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der
+Erntearbeiten einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es
+dennoch geschehen waere, die Trauben auf dem Stock verkauft haben, was
+doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).
+
+—————————————————————————-
+
+Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten
+Ruecksichtslosigkeit der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer
+Linie; ein guter Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt,
+muss nicht zu freundlich gegen seine “Mitsklaven” sein. Man naehrt
+gehoerig den Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil
+es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft
+sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden
+sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu
+behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier
+mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den
+gebotenen Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist
+bezeichnender fuer den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als
+die Art, wie sie die Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach
+einschaerften und der Sache nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug
+an jenen Tagen allerdings ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht
+ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen Tagen die
+Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr
+keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos
+Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch
+menschliche Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu
+knuepfen, ward nicht einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in
+unverhuellter Scheusslichkeit, und man machte sich keine Illusionen
+ueber die Folgen. “Soviel Sklaven, soviel Feinde”, sagt ein roemisches
+Sprichwort. Es war ein oekonomischer Grundsatz, Spaltungen innerhalb
+der Sklavenschaft eher zu hegen als zu unterdruecken; in demselben
+Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und nicht minder das Orakel
+der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven gleicher
+Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche
+Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie
+schon gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert,
+wie die roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den
+“Landguetern des roemischen Volkes”, den Provinzen; und die Welt hat es
+empfunden, dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem
+Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig
+beneidenswerten Hoehe des Denkens emporgeschwungen hat, wo in der
+Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital, so
+kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der Folgerichtigkeit,
+Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht versagen.
+Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen
+Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf
+und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine
+Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber
+auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl
+versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie
+ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist, nicht borgt noch
+verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen Gottesdienst als um
+den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als rechter
+Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn
+anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden
+begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und
+ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein
+schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er auf
+seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei Tage
+vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass das
+Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag tut,
+was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber der,
+welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst. Auch
+die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl sind
+es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum
+Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor
+Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu
+frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse
+Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der
+rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig
+die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar
+bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte
+anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
+griechische, afrikanische und spanische erscheinen.
+
+———————————————————————
+
+^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen-
+und Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol.
+14) die Zahl der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der
+christlichen Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt
+dann die Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche
+Columella auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel
+durchgaengig das wandelbare “Saatfest” (feriae sementivae; vgl. 1, 201
+und Ov. fast. 1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin.
+epist. 8, 21, 2 und sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht
+verwechselt werden.
+
+———————————————————————
+
+Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur
+verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und
+seine Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt.
+Der Viehstand zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die
+Kosten des Pfluges und seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke
+ein. Oel- und Weinbau traten zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe
+Roms oder eines anderen groesseren Absatzplatzes bestanden auch
+sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie
+man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen Ertrag.
+
+Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der
+Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich
+mehr Flaechenraum haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800
+Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche
+ausgedehnt werden. Nach den klimatischen Verhaeltnissen Italiens
+ergaenzen sich daselbst gegenseitig die Sommerweide in den Bergen und
+die Winterweide in den Ebenen; schon in jener Zeit wurden, eben wie
+jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden, die Herden im
+Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck von da
+nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt
+ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum
+Teil Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel,
+hauptsaechlich um den Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so
+weiter die benoetigten Tiere zu liefern; auch Schweine- und
+Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber und weit hoeher
+entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von Wollstoffen
+die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im
+ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister
+pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen
+die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft
+meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter Schuppen und
+Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten
+Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und ihnen eine bei
+weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei der Gutsmannschaft
+geschah.
+
+Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu
+wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise
+dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum
+Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld der roemischen
+Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre
+Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche Beguenstigung des
+hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der italischen Bauernschaft,
+zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist. Es handelt sich
+hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des italischen
+Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich,
+teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung
+geliefert ward, wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur
+Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und der roemischen Heere
+verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art abgetreten, dass diese
+dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch es uebernahmen, gewisse
+Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst erforderlich war zu
+liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die roemischen
+Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn dies
+auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss
+sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen
+Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, welche laengst
+wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt hatte und bei
+drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im Ausland
+eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der
+Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich
+groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten,
+und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
+Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu
+erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu
+ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich
+oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon in
+den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf
+Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs
+Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die
+Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre
+nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu
+dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst
+eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
+mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr
+haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die
+Regierung oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren
+Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht
+auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte,
+drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die
+Getreidemassen, die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne
+Zweifel in der Regel von diesen so billig erworben, dass sie beim
+Wiederverkauf unter dem Produktionspreis weggegeben werden konnten;
+sondern wahrscheinlich war auch in den. Provinzen, namentlich in
+Sizilien, teils infolge der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der
+ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der
+Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der
+Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium
+wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin
+aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im
+natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel
+stroemen und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen
+durch die leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen
+Verhaeltnissen waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten
+des italischen Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu
+legen; aber es scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten
+der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein
+Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr
+einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere
+Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die
+Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und
+also das ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden
+sein. Die Wirkungen dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr
+ausserordentlicher Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der
+Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht
+mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180
+roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel,
+72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft
+wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in
+Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos
+Zeit heisst Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde
+in den italischen Haefen das sizilische und sardinische Korn um die
+Fracht losgeschlagen. In den reichsten Kornlandschaften der Halbinsel,
+in der heutigen Romagna und Lombardei zahlte man zu Polybios’ Zeit fuer
+Kost und Nachtquartier im Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen
+halben As (1/3 Groschen); der preussische Scheffel Weizen galt hier
+einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere Durchschnittspreis, etwa
+der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9, zeigt mit
+unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen
+Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen
+das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war.
+
+—————————————————————
+
+^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer
+das siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer
+den roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel
+Weizen, wofuer heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den
+Provinzen Brandenburg und Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24
+Silbergroschen gezahlt wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz
+der roemischen und der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder
+dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden.
+
+Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und
+der spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben,
+als dies heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben
+angefuehrten von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen
+der aergsten Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im
+Hannibalischen Kriege der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15
+Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare:
+Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf
+218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.)
+stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme
+sind wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen
+Bedingungen auch heute noch sich wiederholen.
+
+——————————————————————-
+
+In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht
+zu ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder
+doch nicht unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land
+wie Italien, wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus
+Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den
+Interessen der wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung,
+der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des
+Ganzen auf die schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt
+es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie
+unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik
+war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu
+ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels
+gefuehrt; aber in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles
+andere eher sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden
+Patrioten. Jede Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von
+selber eingeschritten sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in
+gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des
+Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine hatten ja
+wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die
+republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff
+ungehindert in die Brandung hinein.
+
+Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr
+lieferte, war die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr,
+als allmaehlich auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen
+Staenden, die sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren
+republikanischen Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie
+rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den
+groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden.
+
+Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten.
+Derselbe produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein
+Land nicht nach dem aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab,
+sondern es nach dem neueren durch seine Knechte bewirtschaften liess;
+wo dies also nicht schon frueher geschehen war, zwang die Konkurrenz
+des sizilischen Sklavenkorns den italischen Gutsherrn, zu folgen und
+anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne Weib und Kind zu
+wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher durch
+Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten
+gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich
+begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der
+nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der
+roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten des Getreidebaus, der
+vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das Arbeiterpersonal
+erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint ^10, und die
+Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. Diese
+hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens die
+auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
+italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
+Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein
+Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit
+Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die
+oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird.
+Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in
+Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen
+schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren
+durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht
+lieferte im ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser
+rentierte am besten der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die
+Olivenpflanzung, am wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird
+die Betreibung einer jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr
+angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem naturgemaessen Boden
+vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon aus, um
+allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die
+Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen
+entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das
+spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die
+senatorischen Haeuser von der Spekulation ausschloss und dadurch deren
+ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden
+sich anzulegen, das heisst die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und
+Viehweiden zu ersetzen. Es kamen ferner der dem Staat weit
+nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem Gutsbetrieb, noch
+besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als die einzige
+Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen
+erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem
+Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht
+die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein
+haeufiges Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter
+nicht wohl und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten
+Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den
+Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon
+an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu
+verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann,
+vielleicht um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu
+kamen die Folgen der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden
+nicht bloss, da regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward,
+ausschliesslich grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die
+Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich
+immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken,
+namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war,
+dass man diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
+
+————————————————————————-
+
+^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg
+Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf
+keineswegs bloss Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr
+gebaut ward. Waeren freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des
+Weinbergs angewiesen wird, sich mit Faessern zu versehen (11), das
+Maximum einer Jahresernte, so muessten alle 100 Morgen mit Reben
+bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei fuer den Morgen schon
+ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro (rust. 1, 22)
+verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der Weinbergbesitzer
+in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen, bevor die
+alte verkauft ist.
+
+^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich
+sechs Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen
+genaueren Anschlag fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den
+Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen folgende Kostenberechnung
+aufstellt:
+
+Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
+
+Kaufpreis der Arbeitssklaven
+
+auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
+
+Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen
+
+Verlorene Zinsen waehrend
+
+der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen
+
+Zusammen 4640 Sesterzen
+
+ = 336 Taler.
+
+Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900
+Sesterzen (65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent
+darstellen wuerde. Indes ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch
+von Missernten abgesehen, die Kosten der Einbringung und die fuer
+Instandhaltung der Reben, Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen
+worden sind.
+
+Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt
+auf hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher
+auf weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von
+25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem
+hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht
+mehr als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der
+Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als
+gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen
+vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht
+ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten
+machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst.
+
+Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach
+Catos Tod. Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich
+Viehwirtschaft besser rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89;
+Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai.
+21); was natuerlich nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist,
+Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist
+dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst
+geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem in die
+Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen
+trage. Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass
+die mangelnde Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland
+weniger nachteilig wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und
+Olivenkultur. Innerhalb des Ackergutes stellt sich nach Cato die
+Bodenrente folgendermassen in absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2.
+Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der Rebenkultur hohen Ertrag
+abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7.
+Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun
+Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter
+saemtlich wiederkehren.
+
+Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt
+auch, dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den
+ihr zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von
+dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins
+empfaengt.
+
+———————————————————————-
+
+Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine
+zusammenfassende Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von
+Fachschriften aus dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre
+Natur selbst, die bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als
+die Bodennutzung. Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen
+nach vielleicht weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern
+eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken
+Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die
+heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das
+kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von
+den Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe
+der Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so
+eigentuemlich roemisch, dass der Geist der roemischen Oekonomie und
+ihre Grossartigkeit im Guten wie im Schlimmen vor allem in der
+Geldwirtschaft sich offenbart.
+
+Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
+Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den
+Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen
+Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers
+(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der
+Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten
+auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt
+und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland ihre
+Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit
+vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
+Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die
+kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und
+Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing
+schon im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu
+werden.
+
+Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das
+System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen
+roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine
+komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen
+eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder
+Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig
+in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die
+Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und der
+Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die
+saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva
+vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
+nach Umstaenden noch daraufzuzahlen.
+
+Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der
+ueberseeische Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit
+gezeigt worden; von dem weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser
+Periode nahm, zeugt die steigende Bedeutung der italischen Hafenzoelle
+in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser den keiner weiteren
+Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die Bedeutung des
+ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich gesteigert
+durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische Nation
+in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen
+Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende
+Zollfreiheit.
+
+Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke
+waren freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass
+sie bis zu einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn
+Cato dem kampanischen Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung
+und Schuhzeug, an Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen.
+Auch kann bei dem starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und
+Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch
+zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in
+Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur
+sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in
+Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere
+Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall
+ueberwog hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und
+milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.
+
+————————————————————————————————-
+
+^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich
+schon aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen
+Komoedie spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato
+(bei Plut. Cato mai. 21).
+
+————————————————————————————————-
+
+Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
+ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst
+den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge
+dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden
+Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in
+diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten
+Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren, doch
+wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
+Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die
+Haende zu geben.
+
+Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte
+durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier
+richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und
+Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die
+Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte fuer
+das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven und
+Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte sich
+Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
+Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte
+oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum
+Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine
+Waren auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder
+Freigelassenen kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im
+Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der
+Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt
+zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht
+beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen;
+dennoch befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die
+Industriesklaven sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie
+hatten haeufiger Familie und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die
+Moeglichkeit, Freiheit und eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen
+nicht fern. Daher waren diese Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der
+Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand, welche durch Bediententugend und
+oft durch Bedientenlaster in die Reihen der roemischen Buerger und
+nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch
+und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des
+roemischen Gemeinwesens beigetragen haben.
+
+Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen
+politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art
+nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der
+Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht
+nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen,
+in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne
+gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen
+Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die
+Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
+Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt
+voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen
+Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge
+der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze
+beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens
+neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald
+ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso
+rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in
+Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
+Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die
+spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen.
+Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte,
+ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im
+westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und
+etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und
+Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im
+Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art
+unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
+durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre
+Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren,
+den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der
+Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen
+begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte
+nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische Gebiet,
+sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
+Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die
+Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis
+hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des
+Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare
+roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht;
+dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des
+internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die
+roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen
+von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des
+Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran
+fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber zu
+schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse
+angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht
+auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in
+der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder
+ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne
+Zweifel fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen
+Kapitalisten die edlen Metalle wesentlich in dem gleichen
+Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das Gold im Grossverkehr die
+erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter geschlossen werden
+darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und namentlich
+mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant
+uebergegangenen Osten.
+
+—————————————————————-
+
+^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund
+ungepraegten, 18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des
+Goldes zum Silber war 1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
+
+———————————————————————
+
+Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen
+Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel
+dieselben auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht
+leicht dauernd an, sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach
+Rom, indem sie ihr gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in
+Italien anlegten oder auch mit den erworbenen Kapitalien und
+Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die
+Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch
+vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische.
+Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber
+wie heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem
+juengeren Scipio Africanus sagt, dass er “fuer einen Roemer” nicht
+reich gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum
+verstand, kann man ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei
+einem Vermoegen von 100000 Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen
+Senator galt, und dass eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren
+Scipio Africanus sie erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als
+angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens angesehen ward,
+waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr als eine
+halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte.
+
+Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der
+Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -,
+dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und
+Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie
+das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu werden. Die
+Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein Teil der
+oeffentlichen und der Privatmoral. “Einer Witwe Habe mag sich mindern”,
+schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten Lebenskatechismus,
+“der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige ist ruhmwuerdig und
+goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei seinem Tode
+nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat”. Wo darum
+Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne
+irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und
+wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und
+Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht
+zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in
+der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt Polybios,
+schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt einen
+Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht. Sogar
+die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in allem
+Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von
+Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden
+in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die
+Erbschaften, wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen,
+wenigstens besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die
+kaufmaennische Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das
+ganze roemische Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu
+fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn
+auch in jedem wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer
+(tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten
+Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato
+in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne
+Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir
+sie den kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach
+roemischer Uebung jenen Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des
+unbescholtenen Mannes galt nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu
+seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter rechtschaffenen Leuten
+war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der einen Partei
+geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, womit
+sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb
+eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst
+fuer den unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei
+gleicher Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu
+sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in
+der scharfen und immer schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass
+kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen
+lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht bloss Beamte, Offiziere,
+Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit oeffentlichen
+Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere Verguetung
+fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen,
+sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich
+untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung
+(depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten
+Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und
+Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass es
+unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage
+selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der
+Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des
+Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch
+die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche
+Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem
+Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden
+Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die
+Tatfrage in aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die
+Annahme einer solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger
+angebotenen Wette war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum
+Zweikampf rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu
+vermeiden.
+
+———————————————————————-
+
+^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-,
+Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht
+formalen klagbaren Vertraegen.
+
+^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2.
+Auch fuer den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die
+Eintragung des Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers
+basierte Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der
+persoenlichen Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr
+Zeugnis in eigener Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch,
+als spaeter diese kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen
+Leben entwich, der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden,
+aber von selber verschwunden.
+
+———————————————————————
+
+Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann
+schwer fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die
+ungemeine Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe
+noch besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der
+Regierung, ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen;
+denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl
+auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben,
+dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften
+diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser
+Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden
+sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
+Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur
+gemeinschaftlichen Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern
+vorgekommen ist ^16. Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit
+bedeutendem Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen
+eine solche Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem
+Altertum unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als
+das sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch
+Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer
+von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt
+kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber
+ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen
+Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu
+spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit
+seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern
+Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum
+fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte
+groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische
+Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
+Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
+vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
+kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie
+eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios’ Zeugnis kaum
+einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller
+Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um
+soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil
+seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken
+gehabt haben.
+
+———————————————————————
+
+^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen
+der Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender
+Paragraph: “Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen]
+niemand zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse
+teurer verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter]
+sofort als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein
+scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm
+bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit
+welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu
+jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den Eid
+nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.” Dass der
+Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird
+stillschweigend vorausgesetzt.
+
+——————————————————————-
+
+Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die
+vielleicht noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher
+hervorgehobene, in dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der
+Bestand der grossen Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast
+gleich bleibt, findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden
+Grundsaetzen der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung.
+
+Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen
+Oekonomie konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft
+unzertrennlichen Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche
+Gleichheit, welche bereits durch das Emporkommen des regierenden
+Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich
+schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende
+soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach
+unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte,
+anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von
+Kapitalistenuebermut und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz,
+dass es schimpflich sei, fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich
+damit die Scheidewand nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und
+Handwerker und dem respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern
+ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und dem
+Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach
+oben hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius
+veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und
+Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum Transport des
+Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich auch sich bei
+den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt ihnen alles
+das zu betreiben verbot, was die Roemer unter “Spekulation” (quaestus)
+verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den Senatoren
+hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen Opposition,
+welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte, dass
+Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es
+kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft,
+mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die
+Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die
+Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr
+unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege
+genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat
+dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder
+doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen
+gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an
+die Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen
+Rivalitaeten mit dem Herrenstand die Geschichte des folgenden
+Jahrhunderts erfuellen.
+
+——————————————————————————-
+
+^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der
+Verordnung ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen
+(redemptiones) dem Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius
+(tog. cand. p. 94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach
+Livius “jede Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward”,
+so hat das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.
+
+——————————————————————————
+
+Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das
+unverhaeltnismaessige Hervortreten eben der sterilsten und fuer die
+Volkswirtschaft im ganzen und grossen am wenigsten produktiven
+Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster Stelle haette erscheinen
+sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel bluehte; aber er war
+durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze scheint man
+imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den keltischen
+und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den
+anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben;
+wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das
+Keltenland von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun
+gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die
+Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die
+Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden;
+mehr wollte man eben auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie
+jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt,
+mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen - besass man doch Geld
+genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte und nicht brauchte.
+Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der Geldhandel und das
+Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der roemischen
+Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung
+eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten
+war, verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im
+besten Fall zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei.
+
+Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen
+Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des
+Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch
+den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr
+lebendig, welche Saat des Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag;
+und vor allem richteten sich der instinktmaessige Hass des grossen
+Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit
+langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach
+immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem
+Lustspiel dieser Zeit:
+
+Wahrhaftig gleich eracht’ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer;
+
+Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte.
+
+Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut’ ihr beide.
+
+Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen;
+
+Ihr bracht’ sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden.
+
+Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr.
+
+Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der
+Reformpartei Cato sich aus. “Es hat manches fuer sich”, heisst es in
+der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, “Geld auf Zinsen zu leihen;
+aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und
+in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer
+vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann,
+ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen
+erachtet ward”. Der Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem
+Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man muss es ihm
+lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen Reden
+zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine strenge
+Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
+hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt
+seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten
+mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich
+rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute,
+sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel
+der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer
+Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die
+Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer war,
+dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
+ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung
+zu geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato
+war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. “Wenn unsere
+Vorfahren”, faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, “einem
+tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen
+tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward,
+schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich fuer
+wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und
+Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die
+tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie
+dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
+abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken”. Von sich selber
+pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei
+Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und
+wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit
+gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen
+wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers
+gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche
+Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene
+Heilmittel der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
+Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der
+Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei
+der Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber
+wie war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis
+zum fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der
+Art gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den
+arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die
+Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die
+Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in
+Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet
+taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
+Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und
+eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die
+senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem
+Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise
+das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der
+zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im
+Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war
+der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde
+und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf
+Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen
+Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht
+radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und
+verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft.
+Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die
+Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte.
+Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und
+vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die
+er schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht
+selten gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato
+beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit
+der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien
+ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig
+groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um
+die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit
+selber bis zum Verwechseln aehnlich.
+
+——————————————————————-
+
+^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer
+in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht
+seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in
+Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch
+Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter
+Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das
+Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein
+verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu
+den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.
+
+————————————————————————-
+
+Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten
+Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der
+Zustand der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar
+gut. Die bei der Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und
+dem Po in grosser Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen
+verschwanden nicht so schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende
+dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und
+kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es
+wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur
+Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der
+sogenannte “gallische Acker” durch die Aufteilungen des Domaniallandes
+in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche
+Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
+mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die
+inneren Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines
+freien Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die
+Vorteile des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden
+konnten und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte,
+sowie in den abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller.
+Sueditalien dagegen hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht
+und ausser einer Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten
+Staedte, Capua und Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann
+ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren
+Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung
+von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als
+die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem
+roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel.
+Allein der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und
+die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres,
+obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch
+uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis
+dahin wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet
+worden. In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein
+die hier angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb
+die schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der
+anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz
+und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern
+kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen
+Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne
+Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran
+sich reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah
+nicht viel, um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit
+Ausnahme etwa von Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort
+angelegten Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der
+politischen und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen
+Landschaften und dem verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner
+derselben ist im ganzen doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird
+durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand
+Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin ueberein, dass
+Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende
+des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen
+aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende
+Schwierigkeit der Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum
+Dienst in den Legionen herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen
+ueber die Hoehe der von ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen
+diese Angaben; und was die roemische Buergerschaft anlangt, so reden
+die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus’ Zug nach
+Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor
+dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000
+Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem
+Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel
+gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine
+ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage
+besonders der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen
+fuehlbaren ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum
+die Ziffer wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser
+Periode gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die
+italische Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel
+ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das
+Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von
+landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
+aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben
+wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien
+und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den
+Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier
+recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so
+unsicher gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste;
+im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte,
+auch mit dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung
+entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in
+Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren
+(558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und
+Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte
+ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen
+und loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren-
+und Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen
+Kriege mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die
+Bundesgenossenschaft dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken
+der italischen Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten
+ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann
+niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber
+erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils
+wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie
+nicht einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die
+Ahnung von der ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine
+roemische Dame vom hohen Adel, die Schwester eines der zahlreichen
+Buergeradmirale, die im Ersten Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde
+zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem roemischen Markt ins
+Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden aus, dass es
+hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu
+stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte
+Luft zu machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die
+wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch nichts als der
+schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die
+gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und Bauernschaft
+herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man liess es
+geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger und
+verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
+bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung.
+
+
+
+
+KAPITEL XIII.
+Glaube und Sitte
+
+
+In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer
+er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte
+bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und
+ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen,
+traurig und schwer gelebt zu haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr
+und keiner weniger zu tun, als sein Haus in guter Zucht zu halten und
+in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem
+aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der
+Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem
+einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging zugleich
+mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein
+Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes
+folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das
+Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien zu jenem gewaltigen
+Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat
+und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns
+gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. Zwar gehoerte zu
+dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes auch dies,
+dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit
+waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in
+die schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode
+sich aeussern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis
+des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die
+mehr als jede andere Erscheinung im roemischen Leben geeignet ist, uns
+Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es
+war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Buergerschaft geladen ward
+durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener Wehrmann ist Todes
+verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das Geleite zu
+geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten ihn die
+Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen
+letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei
+erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann
+noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der
+grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, die
+Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, dass
+wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, die
+Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher
+gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet
+oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
+getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
+gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der
+Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in
+hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der
+hoechste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie
+eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden
+Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das
+Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei
+Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im
+goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten
+Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes,
+alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren
+purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern
+ueberspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen
+Schmuck des hoechsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den
+Ruestungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm
+gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in
+schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit
+verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die Verwandter. und
+Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. So ging
+der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet;
+die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen
+Stuehlen sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste
+Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbuehne, um in schlichter
+Aufzaehlung die Namen und Taten eines jeden der im Kreise
+herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst Verstorbenen der
+versammelten Menge zu verlautbaren.
+
+Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende
+Nation haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter,
+sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation
+hinein ertragen; aber selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig
+geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die
+grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten
+Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit
+des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die
+abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem
+gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und
+der Ehren satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst
+auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.
+
+Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht
+sich nicht mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten
+und Westen uebergriff, war es auch mit der alten italischen
+Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende
+Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluss hatte Italien gestanden,
+seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es ist frueher dargestellt
+worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien,
+beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, geistige
+Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr
+aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der
+Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der
+Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie
+in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis
+nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen
+geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst
+kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in
+den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht haben, sich der
+armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu bedienen, so
+kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit brennendem
+Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der
+geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas
+Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den
+hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte
+wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr
+humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete
+vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem
+geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu
+gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom
+ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des
+Grossen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss
+Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark
+der italischen Nation. Natuerlich straeubte die lebenskraeftige
+italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem
+heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer dem weltbuergerlichen
+Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische Frack den
+germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der
+Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in
+einer den frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem
+griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig
+in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel.
+
+Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser
+Kampf der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst
+die politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche
+Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter
+Schiffbruch frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls
+hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen
+gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische
+Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit
+massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben
+wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die
+letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem
+Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so
+zum Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich
+in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten,
+sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen,
+den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und
+beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere
+Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum
+war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den
+Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien,
+soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien,
+um das die Roemer sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in
+dieser Epoche der Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und
+die dortige lokale Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich
+ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon;
+aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer Aufschrift
+versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft
+und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter
+Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig
+eingegangen in griechische Art und griechische Kunst.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia
+und seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften
+festgestellt; wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so
+stellt sich dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht
+gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener Beiname nichts sein als eine
+Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer
+schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den
+geborenen Asiaten.
+
+——————————————————————————
+
+Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
+Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens
+und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht
+unterlassen werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen
+zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung
+zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine Darstellung zu
+versuchen.
+
+Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war,
+zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies
+Problem der italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen
+erregte. Bei dem Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische
+Oberfeldherr zu hoeren, dass er waehrend der Schlacht nichts getan habe
+als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas
+platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit
+dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat
+nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und
+dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien.
+
+Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine
+Antiquitaet war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon
+sichtlich an, sich zur Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht
+tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in
+den veraenderten oekonomischen Verhaeltnissen des Gottesdienstes und
+der Priesterschaft. Der oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss
+immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger.
+Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse
+zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien
+der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei
+Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht
+bloss die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes
+bedurfte es hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner
+Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliss. Neben den
+klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunitaet nicht. Die
+Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedraengnis es als ihr Recht
+in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht beizutragen und liessen
+erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der
+rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die Gemeinde wurde
+auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein
+kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der
+Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken
+war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den
+katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie
+von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet
+der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben und sonstigen
+Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast betrachtet
+wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast zu werden -
+“Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern sprichwoertlich
+gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das Geluebde des Zehnten
+der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male infolgedessen
+auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit
+dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem
+gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden,
+von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom.
+Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig
+nichts fuer nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen,
+wenn auf der roemischen Buehne in der ehelichen Gardinenkonversation
+neben der Kuechen-, Hebammen- und Praesentenrechnung auch das fromme
+Konto mit erscheint:
+
+Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag
+
+Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge
+Frau;
+
+Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, schick’ ich
+nichts.
+
+Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich.
+
+Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so
+jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den
+hoechsten wie in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der
+alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer
+oekonomischen Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber
+gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind
+von Vernunft und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die
+ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche
+Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist
+damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des
+Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit
+der natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese
+Pflicht den Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass
+ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis
+dreissigmal hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja
+auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder
+vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte,
+als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben
+Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In dieser
+Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
+Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der
+Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen
+Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu
+befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb -
+freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der
+Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser
+Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt
+werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und
+Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit
+geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine
+Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene
+Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener
+und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen
+Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios’
+Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren
+Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die
+hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
+Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der
+Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu
+schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende
+Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was
+geradezu durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum
+Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem
+roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch
+hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen
+war die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in
+Rom. Die poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus
+den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von
+Megara (um 280 470) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens
+groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen
+Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein
+Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie,
+aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren
+allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war
+sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der Landesreligion
+einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die
+“heiligen Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form
+von Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland
+getanen Reisen die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten
+gruendlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf
+hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch gebe. Zur
+Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die Geschichte
+von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der in aeltester Zeit
+bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften Menschenfresserei.
+Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das
+Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in
+Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion
+begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und
+wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen
+Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven
+Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische
+uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit
+gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
+und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war
+ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese
+Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm
+eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen
+Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen.
+
+So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und
+wie man die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der
+Boden mit wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem
+Unkraut. Inlaendischer Aberglaube und auslaendische Afterweisheit
+gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer
+Stamm blieb frei von der Umwandlung alten Glaubens in neuen
+Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und Blitzweisheit, so
+stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des
+Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei der
+latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier
+verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so
+die praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die
+merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des
+Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst
+vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und dass die Buecher sehr
+neu ausgesehen haetten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem
+Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und liess
+die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische Fabrikation
+reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden
+Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran
+genuegen zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von
+orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den
+Unglauben so auch den Aberglauben in seinen aergerlichsten und
+gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben als auslaendischer
+hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die
+chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren schon im
+sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
+bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme
+der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter
+der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten
+bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen
+muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus,
+einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein,
+den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den
+Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der
+Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das
+froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit
+umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das
+beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit
+der Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der
+Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch
+streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter
+Kelten (Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer
+Buerger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch
+der wueste Apparat der “Grossen Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an
+der Spitze unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in
+orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus
+zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische
+Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des
+Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu
+schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft
+der scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine
+geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen
+griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein
+Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz
+Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten
+Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde
+hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell,
+grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die
+Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu
+werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende
+Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende
+sich absehen lasse.
+
+Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie
+gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich
+einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen
+Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte
+seinem Wirtschafter in die Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und
+Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich darbringen
+lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar,
+und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei einem
+Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
+Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange,
+das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein
+Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen
+Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt
+Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren
+Anhang:
+
+Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
+
+Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein,
+
+Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,
+
+Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.
+
+Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die
+Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die
+frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede
+auslaendische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung
+untersagt, selbst die Befragung des verhaeltnismaessig unschuldigen
+Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von Amts wegen verhindert
+und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn
+die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch der hoehere
+Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch
+nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem
+Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in
+vorkommenden Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf
+die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen
+etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die
+Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschraenkten
+Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, unschuldigen
+und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer
+Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des
+Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem
+neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht
+auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist
+es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch
+Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren,
+erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den
+Behoerden eingeschritten ward.
+
+Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das
+roemische Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im
+wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato
+ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter,
+Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das
+Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein guter
+Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht
+war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus
+verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen.
+Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer
+gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf
+es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven
+wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren
+gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum
+Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der
+Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig
+mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und
+Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder
+und an die Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer
+suendhaft. Bei der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und
+empfahl, auf gute Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im
+Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit
+der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall
+in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als
+ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden
+gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene
+Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” - meinte
+der alte Herr - und “waeren die Menschen der Weiber los, so moechte
+unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung der
+ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen
+Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel
+selbst, und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen
+liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst deren Kinder an die eigene
+Brust - einer der wenigen Zuege, worin das Bestreben hervortritt, durch
+menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die
+Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der
+Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend moeglich, selber zugegen. Mit
+Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der
+vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner
+Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu nehmen und
+nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn diese
+bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes
+ist wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach
+ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige
+Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben
+selbst zu allen Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten,
+schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand
+auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, wo der Roemer damit
+auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den
+nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben musste,
+wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
+Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum
+lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen
+und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten
+Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass
+er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete,
+seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze
+Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein
+Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben
+eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge
+Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn
+mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30
+Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den
+Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe
+Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse
+(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der
+Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder
+nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind
+von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als
+auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei
+Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger
+Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er
+auch weder die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem
+Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit
+fuer den Fall, dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen
+allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf
+war Taetigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und
+jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber
+gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen
+Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder
+fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden
+abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als
+die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten.
+
+So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der
+rechte roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem
+griechischen Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die
+roemische, allerdings etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit
+gleichsam verkoerpert erschienen - wie denn ein spaeter roemischer
+Dichter sagt:
+
+Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei;
+
+Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt;
+
+Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.
+
+Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber
+wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus
+dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt
+sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen als zu
+mildern.
+
+Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit.
+Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und
+wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich
+dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als
+Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven
+legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein paar Jahre
+darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich ein. Die
+Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) schwere
+Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im
+Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
+Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von
+seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl
+zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt
+zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die
+Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau
+von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen
+gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft
+ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig
+nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose
+Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt
+fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu
+streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch
+Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die
+Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der
+Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des
+Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von
+Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den
+Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten
+Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen
+gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst
+willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden
+Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso
+wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche
+und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur
+Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon
+an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, “die
+Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der Buergerschaftsversammlung
+war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den
+Provinzen Statuen roemischer Damen.
+
+Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und
+in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre
+564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und
+Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag-
+und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren
+die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch,
+dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) gefasste
+Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die bunten
+Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559
+195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig,
+als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse
+neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes
+Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten
+attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt
+ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue
+Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage
+warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck (prandium)
+nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die Hauptmahlzeit
+reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten die
+Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur
+bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen,
+der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen
+begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein
+eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem
+Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um
+583 (171) entstanden die ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber
+die Kunst, gut zu essen, mit langen Verzeichnissen der essenswertesten
+Seefische und Meerfruechte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei
+der Theorie. Auslaendische Delikatessen, pontische Sardellen,
+griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, und Catos
+Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des
+koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich
+erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der
+Gaeste und ihrer Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen
+Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer
+getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das
+foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder gar nicht
+gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit
+obligater Nachfolge regierte, das “griechisch Trinken” (Graeco more
+bibere) oder “griechen” (pergraecari, congraecare), wie die Roemer es
+nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Wuerfelspiel, das
+freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche Verhaeltnisse an,
+dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. Die
+Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato
+schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den
+Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam
+der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der
+erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche
+wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, abgesehen von einigen
+unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien beizuzaehlenden
+Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein einziges
+allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
+bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
+Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies
+daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten
+megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das
+Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese
+bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen,
+bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand
+diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter
+denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2.,
+391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor
+allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines
+der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten
+Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249),
+gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des
+Zweiten Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon
+erwaehnten Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit
+550 204), unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit
+537 217); beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten
+des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem
+idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben
+konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie
+fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige
+Geniefeen von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei
+machten innerhalb dieser Festlichkeiten die schlechten und
+demoralisierenden Elemente mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und
+Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich nach wie vor noch die
+Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr anschaulich die
+Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn er den
+Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die
+bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte
+nach neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und
+Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf.
+Von den dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war
+wohl auch ein Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall
+der beste bei dieser Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische
+Komoedie und Tragoedie nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und
+Fuechse vor dem Publikum laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon
+lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden
+foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und
+Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach
+Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen
+Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren
+Fechterspiele, wie sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden
+jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem
+roemischen Markt Menschenblut zum Spasse vergossen. Natuerlich trafen
+diese entsittlichenden Belustigungen auch auf strengen Tadel; der
+Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, sandte seiner
+Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt hatte;
+die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der
+auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward
+und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten keine
+Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei es die
+rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie es scheint,
+die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von Fechterpaaren bei
+Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht unterdrueckt.
+Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem Tragoeden den
+Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer den
+Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze
+des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den
+szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein
+preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht
+darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn
+auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten zu
+erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder
+einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere
+Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
+waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die
+ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien
+durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren
+miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
+
+————————————————————
+
+^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das
+derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig
+Witz, aber mit grosser Anschaulichkeit:
+
+Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt,
+
+Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht
+
+Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
+
+Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich.
+
+Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin.
+
+[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar;
+
+Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.]
+
+Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf.
+
+Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt,
+
+In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind.
+
+Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin;
+
+Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus
+
+Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag.
+
+Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn;
+
+Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt;
+
+Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil;
+
+Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
+
+Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
+
+Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia.
+
+Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des
+ersten roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz.
+
+Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in
+dieser Zeit Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest.
+v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin.
+407). Dasselbe gilt von den Fleischern. Leucadia Oppia mag ein
+schlechtes Haus gehalten haben.
+
+———————————————————————————-
+
+Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die
+roemischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die
+Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland
+unbekannt waren, fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164),
+der Roemeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl
+sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum
+anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort
+ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch.
+
+Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine
+oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der
+Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten
+stiegen zu unerhoerter Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit
+Schwindelpreisen bezahlt; das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen
+Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein
+huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher
+Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung fuer hoch und
+niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die
+Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem
+Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser
+Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen
+Notstuetzen versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den
+Sachwaltern untersagt werden, fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine
+schoene Ausnahme machten nur die Rechtsverstaendigen, die bei ihrer
+ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, nicht durch
+Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womoeglich
+nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu
+gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug
+und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische
+Ausnutzung rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der
+Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der
+Spekulation; Geldheiraten waren gewoehnlich und es zeigte sich noetig,
+den Schenkungen, welche die Ehegatten sich untereinander machten, die
+rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser
+Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen Ecken
+anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr
+in der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum
+Genuss zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher
+wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das
+Schicksal ueber die Roemer mit voller Hand ausgeschuettet; aber
+wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert.
+
+
+
+
+KAPITEL XIV.
+Literatur und Kunst
+
+
+Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art
+kaum bei einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie
+richtig zu wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht
+und die Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen.
+
+Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor
+allem fuer Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel
+bedeutete, wo der Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen
+Begriffen noch Knabe ist, bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter
+Verwaltung ueberkam und in den Fall kommen konnte, vor der versammelten
+Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat man nicht bloss auf den
+freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher grossen Wert
+gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den Knabenjahren
+sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der
+hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren
+Kreisen war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten
+Zivilisation laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die
+veraenderte Weltstellung ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit
+Auslaendern und im Auslande, dem Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht
+notwendig, doch vermutlich schon sehr wesentlich. Durch die italische
+Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu einem sehr grossen Teil
+aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang griechische
+Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein auch in
+die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung.
+Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben
+der nicht vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war,
+welches zum rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig
+voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische
+^1. Die Maenner der senatorischen Familien aber redeten nicht bloss
+griechisch vor einem griechischen Publikum, sondern machten auch diese
+Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von
+ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben in der hannibalischen Zeit
+ihre Chroniken griechisch, von welcher Schriftstellerei spaeter noch zu
+sprechen sein wird. Einzelne gingen noch weiter. Den Flamininus ehrten
+die Griechen durch Huldigungen in roemischer Sprache; aber auch er
+erwiderte das Kompliment: der “grosse Feldherr der Aeneiaden” brachte
+den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit griechischen
+Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator rueckte
+Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische
+Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht
+geschaemt habe.
+
+—————————————————————————————
+
+^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus,
+machaera, nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus,
+malacus, morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert
+durchaus zum Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden
+selten dazu gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene
+Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im
+‘Wilden’ (1, 1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter
+eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia [Edelmut ist
+Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der
+‘Casina’ (3, 6, 9):
+
+πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor;
+
+ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‘Die beiden Bacchis’
+(240):
+
+opus est chryso Chrysalo;
+
+wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros,
+Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82).
+Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax,
+plagipatida, pugilice oder im ‘Bramarbas’ (213):
+
+euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice!
+
+Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur!
+
+^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet
+also: Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse!
+
+Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn!
+
+Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe,
+
+Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.
+
+—————————————————————————————
+
+Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische
+Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung
+der elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
+zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven
+wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem
+Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die
+Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht
+sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in
+sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche aber
+gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss
+aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher
+hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und
+geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in
+einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn
+gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter
+den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der
+Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach
+Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem
+Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als
+Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar
+nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder
+Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche
+Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich
+in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der
+Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien
+unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten
+Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische
+Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei
+die klassische Literatur, namentlich die ‘Ilias’ und mehr noch die
+‘Odyssee’ zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze
+hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet
+vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung
+des Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen
+Sprach- ein hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die
+Literatur sich knuepfende allgemeine Bildung den Schuelern in
+gesteigertem Mass ueberliefert, dass die erlangte Kunde von diesen
+benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der Zeit beherrschende
+griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die Lustspiele
+Menanders.
+
+In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein
+groesseres Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft
+Roms das Beduerfnis zu empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der
+griechischen zu vertauschen, doch wenigstens zu veredeln und dem
+veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch hierfuer sah man in
+jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die oekonomische
+Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere geringe
+und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in
+der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen
+oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3;
+es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet
+dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig
+verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit tiefer griff die
+formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den lateinischen
+ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer die hoehere
+geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete Formen zu
+finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal gefundenen
+Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem
+Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu
+genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems,
+welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf
+den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage
+in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die
+lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor.
+
+——————————————————————-
+
+^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon,
+der als Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai.
+20).
+
+——————————————————————-
+
+Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten.
+Lateinisch lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln
+lernen; aber eine lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und
+eine solche war in Rom nicht vorhanden.
+
+Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit
+ist frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die
+Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die
+eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal,
+am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem
+Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden diese
+Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel; die
+improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, waren
+ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich nach
+einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten
+standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent des
+Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
+Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in
+Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater;
+dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres
+Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen
+Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim;
+allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom
+Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den
+Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war;
+und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem
+Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe
+und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches
+Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man
+wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke.
+
+Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre
+Mangelhaftigkeit war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle
+wirkliche Kunst beruht auf der individuellen Freiheit und dem
+froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu einer solchen hatten in
+Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische Entwicklung die
+Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das
+Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und
+musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der
+roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. Erst als die
+roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die
+hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
+stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum
+steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf
+griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch
+roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst
+gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den
+aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher,
+und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide
+Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch
+antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem
+Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein
+Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem
+roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen
+Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und
+keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche
+Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die
+notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer
+das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden
+die wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr,
+weil sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen
+und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber
+gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze
+innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der
+erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen
+Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich
+belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar
+politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie
+der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im
+engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.
+
+Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die
+spaetere Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor
+482 bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4
+Livius Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272)
+unter den anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des
+Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207).
+Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei,
+teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache,
+welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben
+vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete
+sich dabei so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde,
+die sich seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der
+gluecklichen Wendung des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die
+Verfertigung des Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn
+der Poeten- und Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen
+Gottesdienst im Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine
+Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als
+Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den
+lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen
+bei seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat
+dieses aelteste roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch
+Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie
+jeder andere sich die Texte selbst, sondern er machte sie auch als
+Buecher bekannt, das heisst, er las sie oeffentlich vor und verbreitete
+sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger war, er setzte an die
+Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das griechische
+Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten
+Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne
+aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer
+Komoedie in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als
+Grieche war, war geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen
+Wert der Arbeiten kann nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden
+Anspruch an Originalitaet; als Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie
+von einer Barbarei, die nur um so empfindlicher ist, als diese Poesie
+nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung
+des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken
+Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der
+Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt,
+bald schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne
+Muehe, was die alten Kunstrichter versichern, dass, von den
+Zwangslesern in der Schule abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum
+zweiten Male in die Hand nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in
+mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die
+roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten die griechischen
+Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen geschah
+und die Livische ‘Odyssee’ vielmehr in dem nationalen saturnischen
+Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben und
+Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen
+nachbilden liessen als die epischen Daktylen.
+
+————————————————————————————
+
+^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen
+des Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht.
+
+^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es:
+
+quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem.
+
+Milchfuell’ ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt’ ich ihn.
+
+Die Homerischen Verse (Od. 12, 16)
+
+Ούδ' άρα Κίρκην
+
+εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα
+
+ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή
+
+σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον.
+
+aber verborgen
+
+Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig
+
+Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
+
+Brot ihr und Fleisch in Fuell’ und den tiefrot funkelnden Wein her.
+
+werden also verdolmetscht:
+
+tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae:
+
+simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis.
+
+mília ália in ísdem - ínserínúntur.
+
+In Eil’ geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause.
+
+Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen
+
+Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge.
+
+Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die
+Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus
+vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch
+laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von αιδοίοιςιν έδωκα
+(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist auch
+geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der
+Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden
+Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er
+gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich
+Muttersprache gewesen sein kann.
+
+———————————————————————
+
+Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald
+ueberschritten. Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und
+ohne Zweifel mit gutem Recht, gleich den daedalischen Statuen von
+bewegungs- und ausdrucksloser Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als
+Kunstwerke. In der folgenden Generation aber baute auf den einmal
+festgestellten Grundlagen eine lyrische, epische und dramatische Kunst
+sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher Wichtigkeit, dieser
+poetischen Entwicklung zu folgen.
+
+Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das
+Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein
+stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in
+Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der
+jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen
+Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit
+Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte
+oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die
+Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt
+dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer
+die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund
+(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der
+Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss
+abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich
+mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen
+frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze
+beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht
+geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward,
+den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.
+
+——————————————————————-
+
+^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen
+Spiele am Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker,
+Topographie der Stadt Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf
+wieder niedergerissen.
+
+^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl,
+Parerga zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX,
+214; vgl. O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der
+Republik. Leipzig 1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser
+der plautinischen Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf
+ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a.
+E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle
+mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben.
+
+——————————————————————-
+
+Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die
+besseren Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten
+zurueck; die Vaeter der Stadt scheinen sogar anstandshalber
+verpflichtet gewesen zu sein, sich bei denselben zu zeigen. Aber wie es
+im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden zwar Sklaven und wohl auch
+Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit Frau und Kindern der
+Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die
+Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie
+heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht.
+Natuerlich ging es denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder
+schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier und da machte eine
+Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die Gerichtsdiener
+hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag und Gelegenheit
+genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute zu wirken.
+
+———————————————————————
+
+^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater
+zugelassen worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14;
+Cic. har. resp. 12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber
+Sklaven waren von Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26;
+Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den
+Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die
+unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5,
+10; Suet. Aug. 44).
+
+———————————————————————
+
+Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
+Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten
+kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal
+in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden.
+Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts;
+der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der “Schreiber”, der
+Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu
+der an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden
+auch vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste
+Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich
+hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der
+Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der
+Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener,
+ihre Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns
+genannt werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering
+- ein Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz
+nach dem Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -,
+sondern ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn
+das Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von
+Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in
+Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie bei
+uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein
+einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen
+Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
+Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
+Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich
+entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die
+attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im
+ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man
+nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu
+entfalten vermocht hat.
+
+———————————————————————
+
+^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
+Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
+229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original,
+nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der
+Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber
+Preisgerichte und Preise ist entscheidend.
+
+Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die
+Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach
+dem Ende nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man
+kam, wie dieselben Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins
+Theater und war zur Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das
+Schauspiel also nach unserer Rechnung etwa von Mittag bis halb drei
+Uhr, und so lange mag ein Plautinisches Stueck mit der Musik in den
+Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn
+Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer “ganze Tage” im Theater zubringen
+laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren Zeit.
+
+———————————————————————
+
+In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
+ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des
+gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass
+diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius,
+aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter
+den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein
+Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen
+I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den
+Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und
+damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der
+neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter
+Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von
+Athen (412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die
+roemische Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so
+wichtig geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu
+verweilen.
+
+—————————————————————
+
+^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der
+Attiker kommt geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als
+das minder entwickelte menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der
+aelteren Komoedie mangelt jede Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die
+Gattung des Plautinischen Amphitryon, heisst zwar den roemischen
+Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die neueren Attiker
+dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen, warum die
+Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden
+Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben
+sollten.
+
+—————————————————————
+
+Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme
+drehen sie sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines
+Vaters oder auch des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von
+unzweifelhafter Anmut und sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen.
+Der Weg zum Liebesglueck geht regelmaessig durch irgendeine
+Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der die benoetigte Summe
+und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der Liebhaber ueber
+seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad des
+Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude
+und Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern,
+die vor Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder
+vielmehr die Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der
+eigentliche Lebenshauch der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die
+wenigstens bei Menander unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer
+Erbauung und Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich
+herauszustellen pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie
+unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden gekommene
+Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute
+Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn
+zum Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der ‘Strick’ sich um
+Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das ‘Dreitalerstueck’ und ‘Die
+Gefangenen’ gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die
+edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer
+den Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei
+wie auf einer Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht
+herauskommt aus den Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an
+die Haustueren, aus den mit irgendeinem Gewerbe durch die Strassen
+fegenden Sklaven; die stehenden Masken, deren es eine gewisse feste
+Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben Bedientenmasken gab, aus
+denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur auszuwaehlen hatte,
+beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine solche
+Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor,
+wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation
+beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element,
+sondern ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung.
+Auf eine grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die
+Stuecke auch verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand
+zunaechst in der Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei
+die neuere Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die
+groessere innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche
+Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders durch die
+Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte
+Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums
+war. Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in
+den tollen, oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum
+Beispiel die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als
+Braut aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze,
+Schnurren und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser
+Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden
+Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien
+aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes
+fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie
+andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende
+Zirkel, in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie
+geben darum auch kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen
+und geistigen Bewegung derselben ist in diesen Komoedien nichts zu
+spueren, und man muss erst daran erinnert werden, dass Philemon und
+Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander und Aristoteles gewesen
+sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild der gebildeten
+attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals
+heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir
+sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig
+verwischt und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter
+diesen Dichtern, dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der
+Dichter leben sah und selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen
+und Verzerrungen, als in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig
+widergespiegelt. Die freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen
+Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und Diener, mit ihren
+Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so allgemeingueltig
+abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht verfehlen; der
+Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der ‘Stichus’ schliesst, ist in
+der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht der beiden
+Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von
+unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten
+Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im
+bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf
+der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die
+Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie
+deren eine im ‘Curculio’ auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter
+Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen
+Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig
+besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge und
+geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige
+gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
+Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen
+den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen
+zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und da
+begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die
+Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister,
+der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das
+impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr
+zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der
+Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des
+Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu
+belustigen, auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen
+zu lassen hat - es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe,
+und sicher ist es auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher
+Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich
+eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der Koch, der nicht
+bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern auch wie
+ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit
+Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im ‘Luegenbold’ ein
+Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die
+Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der
+gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige
+Wechsler, der feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer
+und dergleichen mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen
+Charakterrollen, wie der Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der
+Plautinischen Topfkomoedie. Die nationalhellenische Poesie hat auch in
+dieser ihrer letzten Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft
+noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier doch schon mehr
+aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr, je mehr
+die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend,
+dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische
+Wahrheit grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten
+wird, der Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene
+Traene als verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer
+Charakteristik und ueberhaupt die ganze poetische und sittliche
+Hohlheit dieser neueren Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern
+zur Last als der gesamten Nation. Das spezifische Griechentum war im
+Verscheiden; Vaterland, Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und
+Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und Philosophie innerlich
+erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als die Schule, der
+Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein Tadel,
+wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt
+ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das
+Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie
+die Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben
+einigermassen den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in.
+schulmaessige Nachdichtung zu verfallen, sofort sich am Ideal staerkt
+und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest des parodisch-heroischen
+Lustspiels dieser Zeit, in Plautus’ ‘Amphitryon’ weht durchaus eine
+reinere und poetischere Luft als in allen uebrigen Truemmern der
+gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen
+Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die possierlich feigen
+Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und nach dem
+drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter
+Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe
+der Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und
+poetisch, verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der
+Zeit schildernden Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom
+geschichtlich-sittlichen Standpunkt aus gegen die Poeten keineswegs
+erhoben und dem einzelnen Dichter kein individueller Vorwurf daraus
+gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche steht; die Komoedie war
+nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben waltenden
+Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser
+Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen,
+notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit
+und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar
+Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen Poeten
+kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die grauenvolle
+Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der Rausch sind,
+die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie Enthusiasmus
+aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene
+Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer
+gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche
+Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke
+staffiert sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und
+etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit
+zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische ‘Dreitalerkomoedie’
+und mehrere Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven
+hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von
+ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend
+womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden
+Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte
+Sittensprueche sind gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden
+Finale, wie das in ‘Die beiden Bacchis’ ist, wo die prellenden Soehne
+und die geprellten Vaeter zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell
+kneipen gehen, steckt eine voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis.
+
+Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische
+Lustspiel. Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch
+aesthetische, sondern wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche
+Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der betraechtlichen Masse der
+lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns bekannt sind, findet
+sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung eines
+bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen
+Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit
+genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die “Neuheit” eines
+Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon
+frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss
+haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die
+ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach benannt, dass der
+Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist und dass die
+handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. Selbst im
+einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der
+ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische
+Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer
+vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch
+“Auslaender” (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male
+vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal
+die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten
+Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung,
+wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse
+und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne
+Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die
+Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die
+neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der
+hannibalischen Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen
+buergerliche Ordnung und Sitte gewesen sein. Da aber die Schauspiele in
+dieser Zeit regelmaessig von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden,
+die gaenzlich vom Senat abhingen, und selbst die ausserordentlichen
+Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele, nicht ohne
+Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei
+ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu
+machen gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese
+Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten
+aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte
+und gleichsam in das Ausland verbannt blieb.
+
+Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden
+lobend oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf
+die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und
+nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht
+zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei
+dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen
+Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen
+Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende
+Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und
+merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber
+das schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in
+den Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und
+Verhaeltnisse der Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die
+Kriegfuehrung ^12 oder zu den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle
+gegen Korn- und Zinswucher, gegen Verschwendung, gegen
+Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe, gegen die
+gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende
+Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges
+Mal - im ‘Curculio’ - eine an die Parabasen der aelteren attischen
+Komoedie erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe
+ueber das Treiben auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen
+hoechst polizeilich normal patriotischen Bestrebungen unterbricht sich
+wohl der Dichter:
+
+Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat,
+
+Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum?
+
+und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu
+denken, als das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13.
+Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische
+Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische
+Originallustspiele schrieb, so sind doch noch die wenigen Truemmer, die
+wir von ihm besitzen, voll von Beziehungen auf roemische Zustaende und
+Personen. Er nahm es unter anderm sich heraus, nicht bloss einen
+gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen, sondern selbst an den
+Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren Aristophanes sich
+nicht haette schaemen duerfen:
+
+Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte,
+
+Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt,
+
+Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.
+
+Wie in den Worten:
+
+Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest,
+
+so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan
+haben, wie zum Beispiel:
+
+Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert?
+
+worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum
+Beispiel:
+
+Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf.
+
+————————————————————————————————-
+
+^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
+ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner
+(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern
+tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der
+pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher
+damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881
+passierten natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment
+fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1).
+
+^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten,
+die hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des
+Hannibalischen Krieges in der auf uns gekommenen Literatur:
+
+Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt
+
+Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan.
+
+Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds,
+
+Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess,
+
+Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob,
+
+Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen.
+
+Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die
+den saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten
+Nachleistungen (Liv. 29, 15; oben 2, 175).
+
+^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von
+Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen
+verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung
+beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien,
+welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
+192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus
+den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der ‘Casina’ und einigen anderen
+Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
+besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
+geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien
+zu reden.
+
+————————————————————————-
+
+Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen
+die Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder
+auch nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle
+in den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien
+oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel,
+wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch
+sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich
+an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius
+der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt,
+was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung
+Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung eine
+volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
+Farblosigkeit entstand.
+
+Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen
+Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte
+Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und
+Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert
+nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich bestimmt durch die
+Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und das Talent des
+einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen
+Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
+Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele
+denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst
+wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im
+hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die
+Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten,
+und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische
+Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene
+auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von
+dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut
+und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere.
+Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein
+Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen,
+oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern
+die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in
+Athen gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter
+Lustspiele in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle
+des pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische
+Publikum solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht
+vertrug. Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber
+und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die
+Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische
+Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
+originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
+Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und
+sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit
+welchen der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische
+Tafelluxus sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler
+und der Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender
+Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel
+dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem
+roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen
+Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu
+setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der
+eleganten attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen
+Teil nicht brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft
+Athens stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der
+deutsche Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die
+eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die
+Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr
+zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei
+und die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische
+Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der
+griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so
+grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine
+verlorene Spur.
+
+—————————————————————-
+
+^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem ‘Maedel von
+Tarent’ nicht bedeuten:
+
+Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand,
+
+Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt -
+
+Wie viel besser als hier der Freie hat’s darin der Knecht!
+
+^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum
+Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen:
+
+Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur:
+
+Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als
+
+Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt.
+
+————————————————————-
+
+Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht
+auf ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren,
+draengte sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und
+Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition
+sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des
+Originals herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen
+Lustspielen desselben oder auch eines anderen Dichters wieder
+einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition
+der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so
+arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der
+aelteren Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die
+seltsamsten Lizenzen. Die Handlung des sonst so vortrefflichen
+‘Stichus’ (aufgefuehrt 554 200) besteht darin, dass zwei Schwestern,
+welche der Vater veranlassen moechte, sich von ihren abwesenden
+Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis die Maenner mit
+reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den Schwiegervater mit
+einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der ‘Casina’, die
+bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt die Braut, von der
+das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum Vorschein,
+und die Aufloesung wird ganz naiv als “spaeter drinnen vor sich gehend”
+vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die Verwicklung ueber das
+Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen und was
+dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache
+hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der
+roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des
+roemischen Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes
+bildete sich der Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus
+offenbar mehr Sorgfalt auf die Komposition gewendet und ‘Die
+Gefangenen’ zum Beispiel, der ‘Luegenbold’, ‘Die beiden Bacchis’ sind
+in ihrer Art meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem
+wir keine Stuecke mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich
+vorzugsweise durch die kunstmaessigere Behandlung des Sujets
+auszeichnete.
+
+In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten,
+seinen roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu
+bringen, und die Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu
+halten, die wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter,
+die sakralen, militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer,
+nehmen sich seltsam aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander
+gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und
+Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den
+Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine
+solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den
+griechischen Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven
+Art oft sehr spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als
+die durchgaengige Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der
+keineswegs attischen Bildung des Publikums den Bearbeitern notwendig
+schien. Freilich mochten schon von den neuattischen Poeten manche in
+der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen; Stuecke wie die
+Plautinische ‘Eselskomoedie’ werden ihre unuebertreffliche Plattheit
+und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer verdanken. Aber es walten
+doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in einer Weise vor,
+dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder mindestens sehr
+einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen Pruegelfuelle
+und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche
+erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische
+Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der
+Weiber. Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die
+roemischen Bearbeiter die elegante attische Konversation zu wuerzen
+fuer gut befunden haben, finden sich manche von einer kaum glaublichen
+Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.
+
+——————————————————————————
+
+^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem
+Plautinischen ‘Stichus’ der Vater mit seinen Toechtern ueber die
+Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage
+eingelegt, ob es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten,
+bloss um darauf mit einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der
+Sprecherin geradezu unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu
+antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In
+Menanders ‘Halsband’ klagt ein Ehemann dem Freunde seine Not:
+
+A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst
+
+Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert
+
+Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt,
+
+Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns;
+
+Zur Last ist sie all’ und jedem, nicht bloss mir allein,
+
+Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss,
+
+So ist es.
+
+In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner
+grossen Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog
+geworden:
+
+B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! -
+
+B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm’ ich etwa dir
+
+Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir
+
+Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie’s schon;
+
+Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.
+
+————————————————————————-
+
+Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der
+geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die
+jambischen Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem
+maessigen Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen
+Bearbeitung sehr haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter
+ersetzt worden sind, so wird auch hiervon die Ursache weniger in der
+Ungeschicklichkeit der Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar
+wohl zu handhaben wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des
+roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang der Langverse auch
+da gefiel, wo er nicht hingehoerte.
+
+Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel
+der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die
+aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon
+wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage auf ein
+eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern
+besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des
+Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in
+akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und
+Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den
+Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert.
+Dennoch wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in
+Rom auffuehren sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel
+viel kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern
+abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung
+der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme ueber
+die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst
+unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke
+durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen
+und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes
+Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
+ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in
+wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte
+regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte
+keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem
+mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere,
+das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene
+hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen,
+und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles,
+sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.
+
+——————————————————————————
+
+^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die
+Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler
+unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8).
+
+——————————————————————————
+
+So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen.
+Die Art und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom
+uebertrug, gewaehrt von dem verschiedenartigen Kulturstand ein
+geschichtlich unschaetzbares Bild; in aesthetischer wie in sittlicher
+Hinsicht aber stand das Original nicht hoch und das Nachbild noch
+tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch die roemischen
+Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten, erschien doch
+in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik gleichsam
+weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der
+Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein
+Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein
+Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion,
+die imstande war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel,
+Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen und schliesslich
+denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem Publikum, welches,
+wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem Schauspiel weglief,
+wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar Fechter zu sehen gab,
+mussten Dichter, wie die roemischen waren, Lohnarbeiter von
+gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die eigene
+bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der
+herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist
+alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische
+Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in
+der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen
+Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen
+vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der
+es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn
+erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein
+Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und
+bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war
+des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit
+begann bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem
+Hannibalischen Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er
+war, wie das in gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von
+seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und
+Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an
+ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine
+ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und
+kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber
+unbescholtener Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden
+Kampaniens, und Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im
+Gegensatz zu Livius ist Naevius’ Sprache bequem und klar, frei von
+aller Steifheit und von aller Affektion und scheint selbst im
+Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu gehen; die
+Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen, spaeterhin
+beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die
+Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein
+aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der
+Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und
+traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus
+denen allein in Italien eine volkstuemliche Dichtung entspringen
+konnte: die Nationalgeschichte und die Komik. Die epische Dichtung
+lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein Lesebuch, sondern wandte
+sich selbstaendig an das hoerende und lesende Publikum. Die
+Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein
+Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben
+gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der
+Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet
+seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es tritt am
+bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und in seinem
+Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch in den
+Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die seinem
+Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein
+scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
+Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den
+griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert,
+in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine
+Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter
+sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des
+Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und
+in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen
+ist:
+
+Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte,
+
+Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen;
+
+Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied,
+
+Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede.
+
+————————————————————————-
+
+^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im
+Ersten Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren
+sein. 519 (235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm
+gegeben (Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie
+gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60)
+gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des
+Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die
+Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
+geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194)
+setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen
+Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und
+vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische
+Herkunft deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer
+der Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht
+roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen
+latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass
+ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler
+war er auf keinen Fall, da er im Heere diente.
+
+^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck
+aus Naevius’ Trauerspiel ‘Lycurgus’:
+
+Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht,
+
+Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf,
+
+Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch.
+
+Oder die beruehmten Worte, die in ‘Hektors Abschied’ Hektor zu Priamos
+sagt:
+
+Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann.
+
+und den reizenden Vers aus dem ‘Maedel von Tarent’:
+
+Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet.
+
+Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im
+Arm.
+
+———————————————————————
+
+Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die
+Kaempfe gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils
+selber mitfocht, und der fuer die tief bewegte und in gewaltigem
+Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade den poetisch hoechsten, aber
+wohl einen tuechtigen, gewandten und volkstuemlichen dichterischen
+Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in welche Haendel mit den
+Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich dadurch von Rom
+vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das
+individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem
+Nuetzlichen zugrunde.
+
+In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs
+scheint ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? -
+570 254-184). weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen,
+urspruenglich umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten
+Staedtchen Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er
+den damit gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder
+eingebuesst hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer
+Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein
+und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu
+machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in
+Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen
+sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten
+^20, so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich
+erhielt, ging spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen,
+des Plautus. Die Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis
+hundertunddreissig solcher “plautinischer Stuecke”, von denen indes auf
+jeden Fall ein grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz
+fremd war; der Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes
+Urteil ueber die poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu
+faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale
+uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie
+schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem Publikum
+gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die
+aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr
+Publikum und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine
+umstimmte, sind Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik
+als gegen den einzelnen Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem
+Plautus eigentuemlich gelten die meisterliche Behandlung der Sprache
+und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation
+buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und
+oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische
+Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen
+Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft
+mimischen Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt -
+Vorzuege, in denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint.
+Ohne Zweifel hat der Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der
+Originale festgehalten als selbstaendig geschaffen - was in den
+Stuecken sicher auf den Uebersetzer zurueckgefuehrt werden kann, ist
+milde gesagt mittelmaessig; allein es wird dadurch begreiflich, warum
+Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der rechte Mittelpunkt
+der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach dem
+Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn
+zurueckgekommen ist.
+
+————————————————————————
+
+^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich
+in der Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit
+der Plautinischen Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem
+eigentlichen Schriftsteller des roemischen Altertums begegnet eine auch
+nur annaehernd aehnliche Ungewissheit ueber das literarische Eigentum.
+Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen
+besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare.
+
+————————————————————————-
+
+Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den
+dritten und letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus
+ohne Erfolg - namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius
+Caecilius, zu gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand
+er mit Plautus gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von
+Mediolanum kam er unter den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und
+lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung
+griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich
+fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei
+seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt
+ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine
+Stuecke nur schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen
+Plautus und Terenz den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der
+eigentlichen Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen
+Epoche, unter den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem
+Caecilius die erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu
+beruhen, dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der
+geistesverwandten poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den
+Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur
+deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus
+und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit
+geringer als beide gewesen sein kann.
+
+Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr
+achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen
+Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine
+kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das
+geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem
+haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde
+liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau
+der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber
+war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis
+schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des
+Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
+wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
+usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen
+und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen
+Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit
+und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt
+roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche
+empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen
+‘Gefangenen’:
+
+Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar:
+
+Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht,
+
+Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung;
+
+Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei.
+
+Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien,
+
+Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel,
+
+Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein:
+
+Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel.
+
+Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das
+griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden,
+dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die
+Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld
+gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele
+der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander
+an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen
+Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm
+sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen,
+muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens
+wegen Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein
+Handwerk; wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen
+griechischen Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis
+es geschah. Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht,
+dass sie fuer diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe
+ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber
+damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu
+errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung,
+dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung
+der Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die
+Komoedie wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier
+haette walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine
+einigermassen selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen;
+denn die Poesie ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe
+Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah
+auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die
+politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei
+hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation das
+Ihrige beigetragen.
+
+Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht
+gestattete, die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine
+Mitbuerger auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die
+Entstehung eines lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt
+abgeschnitten; denn die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch
+nicht mit der latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem
+Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in
+den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der
+Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula
+togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke,
+Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch
+diese Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen
+Intrigenstuecks; aber sie war nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung:
+der Schauplatz des Stuecks war in Italien und die Schauspieler
+erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga. Hier waltet das
+latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die Stuecke
+bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie
+schon die Titel zeigen: ‘Die Harfenistin oder das Maedchen von
+Ferentinum’, ‘Die Floetenblaeserin’, ‘Die Juristin’, ‘Die Walker’, und
+manche einzelne Situationen noch weiter bestaetigen, wie zum Beispiel
+ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe nach dem Muster der
+albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender Weise treten
+die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt nationalem
+Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges und
+sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,
+
+Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.
+
+—————————————————————
+
+^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der
+technischen Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem
+Auslaender, sondern auch zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen
+Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21; 50) das Verzeichnis
+derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die nicht in den Legionen
+dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder Diesseitigen
+Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und nicht
+lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet,
+bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung,
+insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die
+grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen.
+1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern
+nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben.
+
+Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu
+erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in
+Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das
+Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die
+Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt.
+Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts
+spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres
+Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum,
+Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
+latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die
+Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den
+Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das
+Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen
+Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu
+fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat
+verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen
+Gemeinden Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und
+insofern ist die fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der
+togata.
+
+^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser
+dass, nach einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als
+Terenz (558-595 196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd.
+1, S. 194) - denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht
+entnommen werden koennen und, wenn auch von den beiden hier
+verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen
+aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht
+gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als
+der juengste der aelteren.
+
+^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs
+nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus,
+varus), neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?,
+privigna, psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna,
+Ulubrana ?), von denen zwei, die ‘Juristin’ und die ‘Floetenblaeserin’
+offenbar Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet
+die Frauenwelt vor.
+
+————————————————————
+
+Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
+griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
+Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht
+haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro
+hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher
+Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von der
+attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das
+Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit
+gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht
+mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische
+Nationallustspiel.
+
+Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im
+Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in
+gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die
+Grundlage des Trauerspiels, das griechische, namentlich das Homerische
+Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits mit ihrer eigenen
+Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der empfaengliche Fremde
+weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen Mythen als
+auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur
+minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende
+Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war,
+dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von
+Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen
+Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt
+erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber die geistige
+Bewegung der spaeteren griechischen und der griechisch-roemischen
+Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es unerlaesslich ist, sein
+Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren. Euripides gehoert zu
+denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine hoehere Stufe
+heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige Gefuehl
+dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu
+erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe
+aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer
+die antike Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber
+eigentliche Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene
+Grossheit, womit der Kampf des Menschen und des Schicksals bei
+Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf, dass jede der
+ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das wesenhafte
+Menschliche ist im ‘Prometheus’ und ‘Agamemnon’ nur leicht angehaucht
+von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl die
+Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den Greis,
+die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner
+Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten zu
+Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
+hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die
+Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer
+hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind,
+gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene
+Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen
+darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem
+Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat die
+antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen
+vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch
+welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins
+Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des
+Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel
+unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert
+feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das
+frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt,
+sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt
+der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen
+gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging
+mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab
+und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren
+Auffuehrungen sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke
+wegliess - aber doch hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden
+der Wirklichkeit gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen.
+Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit
+einerseits der grossartigsten geschichtlichen und philosophischen
+Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen
+und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit
+der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des
+Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes
+der aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht
+uebt, so erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der
+Spekulation so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe
+Leidenschaften zucken wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der
+alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum
+regiert als aeusserlich despotische Macht, und knirschend tragen die
+Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde
+Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt.
+Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber
+ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft
+poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die
+Komposition seiner Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten,
+ja hierin nicht selten geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in
+einer Handlung noch in einer Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben
+hat - die liederliche Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen
+und durch eine Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu
+loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt
+bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von
+allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer
+Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten
+Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und
+oft noch durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung
+von Liebesstoffen mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die
+Schilderungen der willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem
+Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch
+verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit;
+aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes’
+Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern vermoege,
+vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen
+Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten
+Heroen, wie der Menelaos in der ‘Helena’, die Andromache, die Elektra
+als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos,
+widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so
+machen dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der
+gemeinen Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das
+ruehrende Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie
+uebergehen, wie die ‘Iphigenie in Aulis’, der ‘Ion’, die ‘Alkestis’
+vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste
+Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter
+das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die
+verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die
+aeltere Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde
+zu spannen; dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener
+oft geradezu unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die
+Blumen im Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind;
+dahin vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf
+unmittelbar menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller
+Erwaegung beruht. Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben
+geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen
+wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der
+unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist
+in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch
+die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen
+einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen
+ins Auge fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen
+Konsequenzen zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und
+philosophischen Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der
+neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit aufloesenden
+kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition, auf die
+der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess,
+so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere
+Generation und das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der
+Sentenz und der Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich
+hingab. Das griechische Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich
+selber hinaus und brach also zusammen; aber des weltbuergerlichen
+Dichters Erfolg ward dadurch nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die
+Nation ueber sich hinausschritt und gleichfalls zusammenbrach. Die
+Aristophanische Kritik mochte sittlich wie poetisch vollkommen das
+Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal geschichtlich
+nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse, wie
+sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist
+Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn
+fleissig las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im
+Hinblick auf ihn entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende
+Kunst in Attika aus ihm gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel
+nichts tat, als den Euripides ins Komische uebertragen, und die in den
+spaeteren Vasenbildern uns entgegentretende Malerschule ihre Stoffe
+nicht mehr den alten Epen, sondern der Euripideischen Tragoedie
+entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem neuen Hellenismus
+wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und das
+Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder
+mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt ward.
+
+Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten
+Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer
+mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die
+tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden
+als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten der
+tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des
+Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist,
+als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
+Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien
+nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art
+moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig
+erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus
+juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke
+schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den
+Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden.
+
+Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als
+die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen,
+die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire
+ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke
+hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den
+unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil
+dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den
+Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die
+sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den
+‘Eumeniden’, im ‘Alkmaeon’, im ‘Kresphontes’, in der ‘Melanippe’, in
+der ‘Medeia’, die Jungfrauenopfer in der ‘Polyxena’, den ‘Erechthiden’,
+der ‘Andromeda’, der ‘Iphigeneia’ - man kann nicht umhin, sich dabei zu
+erinnern, dass das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen
+zuzuschauen gewohnt war. Frauen- und Geisterrollen scheinen den
+tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die bemerkenswerteste Abweichung
+der roemischen Bearbeitung von dem Original betrifft ausser dem Wegfall
+der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische
+chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz
+(orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor
+sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine
+Art Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit
+der Musik und der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen
+sein, und wenn der Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten.
+Im einzelnen fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an
+Verkuerzungen und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen
+Bearbeitung der Euripideischen ‘Iphigeneia’ zum Beispiel ist, sei es
+nach dem Muster einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung
+des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute
+Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des
+sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden ^24, doch gab
+wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen
+Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches
+Lustspiel von dem des Menander.
+
+Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels
+in Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig
+gleichartig; und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit
+sich bringt, in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger
+und reinlicher auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser
+Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener
+die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur
+Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der
+einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener
+Latiner, sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und
+hellenischer Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre
+nach Rom ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als
+Buerger in beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im
+Lateinischen und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke,
+teils von den Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie
+Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt
+waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen,
+der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von
+ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden
+Grosstaten bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das
+Klientennaturell, das fuer einen solchen Beruf erforderlich war, hat er
+selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus aus und seiner ganzen
+Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, die Nationalitaeten,
+unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar die oskische
+sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben; und
+wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr
+folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr
+deutliches Ziel gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder
+wenigstens versucht hatten, sich auf einen volkstuemlichen Boden zu
+stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner revolutionaeren Tendenz mit
+merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet sichtlich darauf hin, die
+neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern energisch zur Geltung
+zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die Tragoedie. Die Truemmer
+seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte tragische Repertoire
+der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles sehr wohl
+bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die
+meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides
+nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn
+freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann
+es veranlasst sein, dass er so entschieden den Euripides im Euripides
+hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte als sein Original, die
+sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche akzentuierte, dass er
+Stuecke aufgriff wie den ‘Thyestes’ und den aus Aristophanes’
+unsterblichem Spott so wohlbekannten ‘Telephos’ und deren Prinzenjammer
+und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie ‘Menalippe die Philosophin’,
+wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht
+und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu
+befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen
+ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten Stellen ^26, die
+schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende ist:
+
+Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch;
+
+Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los,
+
+Sonst ging’s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.
+
+wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten.
+Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet
+wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm
+mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die
+hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition ^27,
+die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die
+Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie,
+des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen
+Hexameter. Dass der “vielgestaltige” Poet alle diese Aufgaben mit
+gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch
+angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss
+der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten
+Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr
+griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst,
+verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische
+Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
+Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die
+freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu
+fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift
+den Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen
+herabsieht, “in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen”,
+und die Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert:
+
+Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen
+
+Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust.
+
+————————————————————————————————————
+
+^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der
+Ennianischen ‘Medeia’:
+
+Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος
+
+Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας
+
+
+Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Utinam ne in nemore Pelio
+securibus
+
+Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας Caesa accidisset abiegna ad
+terram
+
+ trabes,
+
+ Neve inde navis inchoandae
+ exordium
+
+ Coepisset, quae nunc nominatur
+
+ nomine
+
+Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος Argo, quia Argivi in ea dilecti
+
+ viri
+
+ Vecti petebant pellem inauratam
+
+ arietis
+
+Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή Colchis, imperio regis Peliae,
+per
+
+ dolum.
+
+Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας Nam nunquam era errans mea domo
+
+ efferret pedem
+
+Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος. Medea, animo aegra, amore saevo
+
+saucia.
+
+
+Nie durch die schwarzen Symplegaden
+
+haette hin
+
+Fliegen gesollt ins Kolcherland der
+
+Argo Schiff,
+
+Noch stuerzen in des Pelion O waer’ im Pelionhaine von den
+
+Waldesschlucht jemals Beilen nie
+
+Gefaellt die Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt
+
+sie die Hand der Tannenstamm
+
+ Und haette damit der Angriff
+
+ angefangen nie
+
+ Zum Beginn des Schiffes, das
+
+ man jetzt mit Namen nennt
+
+
+Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos
+
+dem Pelias auserlesne Schar,
+
+ Von Kolchi nach Gebot des
+
+ Koenigs Pelias
+
+Zu holen gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes
+
+waere mir Widdervliess!
+
+Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den Fuss mir
+
+dann Herrin setzte nie,
+
+Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, krank im Herzen, wund
+von
+
+hinweggeschifft. Liebespein.
+
+Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht
+bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung
+oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der
+Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche
+Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten.
+
+^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des
+Dichters die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den
+Vertrauten zu sich ruft,
+
+mit welchem er gern und
+
+Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung
+
+Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen,
+
+Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch
+
+Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat;
+
+Welchem das Gross’ und das Klein’ und den Scherz auch er mitteilen
+
+Durft’ und alles zugleich, was gut und was uebel man redet,
+
+Schuetten ihm aus, wenn er mocht’, und anvertrauen ihm sorglos;
+
+Welcher geteilt mit ihm viel Freud’ im Hause und draussen;
+
+Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit
+
+Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
+
+Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens,
+
+Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich,
+
+Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge,
+
+Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit,
+
+Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch,
+
+Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen.
+
+In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges
+divumque hominumque.
+
+^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph.
+Aul. 956), dass er ein Mann sei,
+
+Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt
+
+Im besten Fall; und trifft er’s nicht, es geht ihm hin.
+
+hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die
+Horoskopsteller gemacht:
+
+Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo
+
+Jovis Zieg’ oder Krebs ihm aufgeh’ oder einer Bestie Licht.
+
+Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum.
+
+^27 Im ‘Telephus’ heisst es:
+
+Palam mutire plebeis piaculum est.
+
+Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
+
+^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der
+Bearbeitung des Euripideischen ‘Phoenix’ an:
+
+Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt’s zu wirken in der Welt
+
+Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl.
+
+Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz;
+
+Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat.
+
+In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte
+einverleibten ‘Scipio’ standen die malerischen Zeilen:
+
+— munduscaeli vastus constitit silentio;
+
+Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit,
+
+Sol equis iter repressit ungulis volantibus,
+
+Constitere amnes perennes, arbores vento vacant.
+
+[Iovis winkt’;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum.
+
+Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun,
+
+Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott,
+
+Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind.
+
+Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter
+seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung
+der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie
+‘Hektors Loesung’ ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander
+Zuschauender spricht:
+
+Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant.
+
+Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind.
+
+und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her.
+
+^29 So heisst es im ‘Phoenix’:
+
+- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit.
+
+Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt,
+
+und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch
+akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
+
+——————————————————————————
+
+Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu
+fahren; das griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum
+der launischen Nation.
+
+Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer
+Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss
+gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische
+Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein
+ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu
+schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er
+brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der
+gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart
+sind seine ‘Erziehung des Romulus und Remus’ oder der ‘Wolf’, worin der
+Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein ‘Clastidium’, worin der Sieg
+des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem
+Vorgang hat auch Ennius in der ‘Ambrakia’ die Belagerung der Stadt
+durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung
+geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und
+die Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und
+die farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis
+nicht auf die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der
+Stuecke haben wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention
+im ganzen in Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen
+Literatur wenige Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung
+eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur die griechischen
+Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher fuehlenden
+Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt,
+die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen
+der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns
+lebendig entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie
+wirkten; so ist es hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die
+Schlachten, die er sang, selber geschlagen, die Koenige und Konsuln
+Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der man bis dahin einzig Goetter
+und Heroen zu sehen gewohnt war.
+
+Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius
+buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation
+vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom
+wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da
+die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward
+dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst
+der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind
+auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art als
+Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
+rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der
+szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der
+Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch
+ein eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in
+sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach
+vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie. Die
+religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit
+allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
+halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche
+das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der
+eigentlichen Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere
+Poesie erscheint, tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter
+dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem
+alten, seit Livius durch das griechische Drama von der Buehne
+verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der
+rezitativen Poesie einigermassen unseren “vermischten Gedichten”
+entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive
+Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht
+epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem, meist subjektivem
+Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter noch zu erwaehnendem
+‘Gedicht von den Sitten’, welches vermutlich, anknuepfend an die
+aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie, in saturnischen
+Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die kleineren
+Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare
+Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert
+veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen
+Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen
+Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden
+naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von
+Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen
+dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von
+Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe
+Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
+didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete,
+wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.
+
+————————————————————
+
+^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei “Konsulare und Poeten”
+genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und
+Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob
+sie ihre Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres
+zweifelhaft sein.
+
+————————————————————
+
+Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche
+in Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es
+Naevius, der dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der
+gleichzeitigen Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig
+war und namentlich den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so
+schlecht und recht, wie die Dinge waren, ohne irgend etwas als
+unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie, namentlich in der
+Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung oder gar
+Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit
+berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass
+heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe,
+was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die
+epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und
+wesentlich in der heroischen Zeit; es war ein durchaus neuer und
+wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert grossartiger Gedanke, mit
+dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu durchleuchten. Mag immerhin in
+der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel mehr gewesen sein als
+die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen Reimchroniken, so
+hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz besonderes
+Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer
+Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen
+Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber
+die Taten der Zeit und der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht
+gedichtet und daneben die grossartigsten Momente daraus ihnen
+dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben.
+
+———————————————————————————-
+
+^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der
+Dido:
+
+Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas
+
+Von Troia schied.
+
+spaeter:
+
+Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig
+
+Amulius, dankt den Goettern -
+
+aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
+
+Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner,
+
+Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte.
+
+bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256):
+
+Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel
+
+Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.
+
+endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte:
+
+Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius
+
+Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne
+
+Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben.
+
+————————————————————————————
+
+Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die
+Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen
+Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so
+greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine neue
+Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des
+hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, die
+aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende
+Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend
+angeht, wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die
+Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung
+des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern
+fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als
+der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse
+wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im
+Gange; nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in
+vollem Goetterrat den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach
+erlangter ehefraeulicher Einwilligung den endlichen Sieg ueber die
+Karthager. Auch die neologische und hellenistische Tendenz ihres
+Verfassers verleugnen die ‘Jahrbuecher’ keineswegs. Schon die bloss
+dekorative Verwendung der Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem
+merkwuerdigen Traumgesicht, womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf
+gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte
+Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem Pfau sesshaft
+gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der Dinge
+und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst
+die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die
+hellenischen Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe
+fuer ihre griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der
+Zurechtmachung der roemischen Geschichte gefunden. Ennius betont es,
+dass man die Roemer
+
+Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen.
+
+Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den
+frueheren Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im
+allgemeinen leicht abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die
+grosse Zeit der Punischen Kriege dem italischen Volksgefuehl gab, auch
+dieser lebhaft mitempfindende Poet sich gehoben fuehlte und er nicht
+bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich traf, sondern auch noch
+oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit aus seinen
+Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die
+Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und
+gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war,
+einem sonst verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch
+nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren die ‘Jahrbuecher’ ohne
+Frage Ennius’ verfehltestes Werk. Der Plan, eine ‘Ilias’ zu machen,
+kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem
+Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die
+Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als
+Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht.
+Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich
+mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer als
+Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr
+noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der
+roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den Ennius,
+sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
+altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen
+mehr ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte,
+der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der
+Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische
+Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle
+Parallelisierung der Homerischen ‘Ilias’ und der Ennianischen
+‘Jahrbuecher’ so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin
+und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht
+stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders
+fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des
+Dichters blieben die ‘Jahrbuecher’ das aelteste roemische
+Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen
+lesenswert und lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise
+gekommen, dass in diesem durchaus antinationalen Epos eines
+halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit das rechte roemische
+Mustergedicht verehrt hat.
+
+Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener
+Weise entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser
+sowohl die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die
+Buehne vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die
+kuenstliche Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der
+strengen und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese
+schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem “Baenkelsaenger”
+anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann
+getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei
+weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige
+poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie
+fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
+vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint,
+so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht
+senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten
+Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen,
+die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative
+und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei
+vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier, und
+namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der
+Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form
+maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt.
+
+Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine
+Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs
+gehoerten zu den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von
+Haus aus auf jede Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist
+bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass
+trotz der weit ueber die Grenzen Italiens ausgedehnten Macht der
+roemischen Gemeinde und trotz der stetigen Beruehrung der vornehmen
+roemischen Gesellschaft mit den literarisch so fruchtbaren Griechen
+dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das Beduerfnis
+sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf
+schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen.
+Als nun aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die
+roemische Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an
+einem fertigen Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren
+erforderlich, um beide zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese
+Schwierigkeiten gewissermassen umgangen dadurch, dass man die
+Landesgeschichte entweder in der Muttersprache, aber in Versen, oder in
+Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen Chroniken des
+Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581 173)
+ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten
+historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das
+ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden.
+Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen Geschichtsbuecher
+des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines waehrend des
+Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes aus
+vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius
+Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
+gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das
+nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die
+fertigen griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie
+schon das weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende
+stoffliche Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete
+Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die
+vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des
+Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und
+Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in
+franzoesischer Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche
+Kriegslieder, die Koenige und Feldherren franzoesische
+Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen Chroniken, noch die
+griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche lateinische
+Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor dem
+Schluss dieser Epoche publizierte ‘Ursprungsgeschichten’ zugleich das
+aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste bedeutende
+prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33.
+
+———————————————————————-
+
+^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
+Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43)
+ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen
+von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen
+Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass
+unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des
+pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes
+die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der
+roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus
+der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch
+lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es
+dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren
+Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142)
+obwaltet, oder ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen
+des Acilius und des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung
+existiert, oder ob es zwei Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben
+hat.
+
+Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius,
+beigelegte, ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben
+und ein Machwerk aus augustischer Zeit.
+
+^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein
+Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der
+frueheren Buecher der ‘Ursprungsgeschichten’ faellt nicht vor, aber
+wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114).
+
+———————————————————————-
+
+Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl
+aber im Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs
+pragmatische Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr
+oder minder geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen
+saemtlich, die Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit
+des Schreibers, obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den
+ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten
+betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der
+Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer
+die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
+Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu
+ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
+unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in
+den Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert
+war, und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen
+Chronikschreibern nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom
+an Alba, diese Rom an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem
+albanischen Koenigssohn Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas
+erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius
+oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der
+albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird
+zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber
+dafuer die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze
+Lavinium, sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte
+Metropole Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und
+ungeschickt erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie
+man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in
+dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein,
+und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter
+erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes
+die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen
+Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden
+Tendenz Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit
+bereits stark im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und
+so wurde dies die stereotype und bald die offizielle
+Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde.
+
+———————————————————————-
+
+^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es
+hervor, dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine
+Geschichte pragmatisch zu schreiben.
+
+———————————————————————-
+
+Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen
+Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht
+gekuemmert, so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte
+vorwiegend aus einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in
+der uns zugekommenen duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander
+traete, welcherlei Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten
+Chronisten zu Gebote gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen
+hinzugetan haben. Die aus Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen
+aeltesten Annalisten wohl noch fremd gewesen und eine unmittelbare
+Entlehnung griechischen Stoffes in diesem Abschnitt nicht nachweisbar.
+Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei dem Griechenfeind
+Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom
+an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein
+urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus
+Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach
+Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger.
+
+—————————————————————————-
+
+^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen
+Anekdoten von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben,
+eine Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten
+der Herodotischen Erzaehlung von Kyros’ Jugend geschlagen.
+
+————————————————-
+
+Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und
+lose geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die
+Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber
+versiegte die Sage ganz, und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl
+geradezu unmoeglich, aus den Beamtenverzeichnissen und den ihnen
+angehaengten duerftigen Vermerken eine irgendwie zusammenhaengende und
+lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten empfanden dies die Dichter.
+Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit sogleich auf den Krieg um
+Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im dritten seiner achtzehn
+Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos
+beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in
+den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch
+schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen
+eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie
+er selber sagt, “zu berichten, was auf der Tafel im Hause des
+Oberpriesters steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und
+Sonne sich verfinstert haetten”; und so bestimmte er denn das zweite
+und dritte Buch seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die
+Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden und deren Eintritt in die
+roemische Eidgenossenschaft. Er machte sich also los aus den Fesseln
+der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach Voranstellung der jedesmaligen
+Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich hierher wird die Angabe
+gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge “abschnittsweise”
+erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke auffallende
+Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in die
+oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das
+hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien
+stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde
+Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den
+Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung
+Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte.
+
+Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und
+eingehend behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten,
+Fabius den zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens
+dreizehn von den achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von
+Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und
+fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen
+bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten, wahrscheinlich
+anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den letzten
+zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag
+Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im
+ganzen aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder
+Mitteilungen von Augenzeugen, teils einer auf dem andern.
+
+Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang
+dazu begann die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato
+eroeffnet - denn aus der frueheren Zeit besass man nichts als einige,
+meistenteils wohl erst in spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an
+das Licht gezogene Leichenreden, wie zum Beispiel diejenige, die der
+alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als Greis seinem im besten
+Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete
+von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und taetigen
+oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem
+Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils
+in seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige
+Nachtraege dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon
+gegeben.
+
+Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als
+eine gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln
+durfte; schon von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die
+roemischen, sondern auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und
+dass Cato den Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt
+fleissig las, ist bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten-
+und Spruchsammlung absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere
+fuer sich zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen
+Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen.
+
+Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine
+harmlose Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder
+Schriftsteller noch Leser nahmen an inneren oder aeusseren
+Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius der Zweite, obwohl bei
+dem Tode seines Vaters schon erwachsen und neununddreissig Jahre nach
+demselben zur Regierung gelangend, besteigt nichtsdestoweniger noch als
+Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein Menschenalter vor
+Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen
+Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre
+262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln
+dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348
+406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in
+der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich
+in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche festgestellten -
+roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre vor die Einweihung
+des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den gallischen Brand und das
+letztere, auch in griechischen Geschichtswerken erwaehnte Ereignis nach
+diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion 388 v. Chr. (Ol.
+98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol. 8, 1.
+Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden
+Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436;
+nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms
+der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann
+hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch
+aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu
+haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der
+albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her.
+
+Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem
+gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte
+trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen
+welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit
+Karthago von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit
+durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als
+der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen
+Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu
+verlangen; eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der
+naive Patriotismus nicht von selber eine solche einschliesst, ist den
+Vaetern der roemischen Geschichte doch nicht nachgewiesen worden.
+
+Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender
+Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige
+Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die
+Kenntnis des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den
+Roemern in der innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer
+allgemeineren Bildung auf und regte sich das Bestreben, nicht gerade
+diese griechische Bildung unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber
+doch nach ihr die roemische einigermassen zu modifizieren.
+
+—————————————————————-
+
+^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder “lesen
+und die Rechte und Gesetze kennen lehren”; und dasselbe zeigt Plut.
+Cato mai. 20.
+
+—————————————————————-
+
+Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur
+lateinischen Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft
+uebertrug sich auf das verwandte italische Idiom. Die grammatische
+Taetigkeit begann ungefaehr gleichzeitig mit der roemischen
+Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint ein Schreiblehrer Spurius
+Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem ausserhalb
+desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich
+gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen
+okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der
+Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend
+gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben ihre
+schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten neben
+der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius hat, auch
+hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende Etymologienspiel
+schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch fuer die
+bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die
+genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und
+Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen
+Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so
+gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
+
+———————————————————-
+
+^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod
+invat, Ceres davon quod gerit fruges.
+
+————————————————————
+
+Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die
+Rede stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen
+Lebens, als dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen;
+der echte Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische “ewig reden
+lernen und niemals reden koennen” die ganze Schale seines zornigen
+Spottes aus. Die griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung
+der lehrhaften und vor allem der tragischen Poesie einen gewissen
+Einfluss auf die Roemer gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer
+Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt gemischten Apprehension betrachtet.
+Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen Schwaetzer und einen als
+Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat mit Recht
+hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie
+geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius
+aussprechen:
+
+Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie;
+
+Gut ist’s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm.
+
+Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur
+Redekunst, die sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen
+werden als die roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das
+roemische Caput mortuum der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die
+naechsten Quellen Catos waren fuer das Sittengedicht neben der
+selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen Vaetersitte vermutlich
+die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch die
+Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle
+Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man
+ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den
+Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, “an
+die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen” ^38.
+
+——————————————————————————-
+
+^38 Rem tene, verba sequentur.
+
+——————————————————————————-
+
+Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch
+fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
+Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder
+unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und
+Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden
+Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in
+Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219)
+der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich
+niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
+Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen
+und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen
+scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden
+Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache
+wuerdig war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung
+und daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen
+zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte
+wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war. Die
+Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um dieses
+eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
+eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und
+Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben.
+
+Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die
+Zeitmessung behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck.
+Mit der Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im
+Jahre 491 (263) fing die griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den
+Roemern an gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man
+in Rom eine fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane
+gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach
+richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme
+Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius
+Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch
+ein Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach
+Ermessen Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen
+Zweck verfehlte, ja uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl
+weniger in dem Unverstand als in der Gewissenlosigkeit der roemischen
+Theologen. Auch der griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior
+(Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung
+des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der
+nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch
+ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der
+selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint,
+wurde deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und
+des Scharfsinnes angestaunt.
+
+Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte
+und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und
+spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur
+Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich
+aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in den
+hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der
+lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann
+schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
+unberuecksichtigt geblieben sein.
+
+Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der
+Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging
+noch wesentlich auf in der Bescheidung der anfragenden Parteien und in
+der Belehrung der juengeren Zuhoerer; doch bildete in dieser
+muendlichen Unterweisung schon sich ein traditioneller Regelstamm und
+auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht ganz. Wichtiger als
+Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das von Sextus
+Aelius Paetus, genannt der “Schlaue” (catus), welcher der erste
+praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner
+gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560
+194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte “dreiteilige Buch”, das
+heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze
+derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und
+unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular
+hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der
+griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte
+die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und
+die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an.
+
+Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
+Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
+aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen
+Saetzen darlegen sollten, was ein “tuechtiger Mann” (vir bonus) als
+Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein
+Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch
+nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig
+und nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert.
+Ausgeschlossen ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also
+damals noch nicht diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann,
+welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt,
+teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und physischen
+Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar
+Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und
+schlicht zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei
+wohl benutzt, aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne
+brauchbare Erfahrungssaetze zu gewinnen - “die griechischen Buecher
+muss man einsehen, aber nicht durchstudieren”, lautet einer von Catos
+Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher,
+die freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch
+den griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch
+fuer die Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer
+alle Zeiten massgebend geworden sind.
+
+So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom
+ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden:
+
+Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
+
+Der Quiriten hartem Volke sich die Mus’ im Kriegsgewand.
+
+Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es
+gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn
+Trauerspiele in etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse
+mit oskischen Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der
+griechischen Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht
+gleichzeitig mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine
+gleich der roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung
+begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und
+die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen.
+
+Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch
+verstattet ist, wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker
+erscheinen mag, bleibt dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms
+erkennen will, von einzigem Wert als das Spiegelbild des inneren
+Geisteslebens Italiens in dem waffenklirrenden und zukunftsvollen
+sechsten Jahrhundert, in welchem die italische Entwicklung abschloss
+und das Land anfing einzutreten in die allgemeinere der antiken
+Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige Zwiespaeltigkeit, die
+ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation durchdringt und
+die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit der
+hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den
+ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen.
+Die roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche
+Orangerie neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich
+erfreuen, aber nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an.
+Womoeglich noch entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei
+in der fremden Sprache gilt dies von derjenigen in der Muttersprache
+der Latiner; zu einem sehr grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk
+von Roemern, sondern von Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald
+auch Afrikanern, die das Latein sich erst aeusserlich angeeignet hatten
+- unter denen, die in dieser Zeit als Dichter vor das Publikum traten,
+ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein nachweislich vornehmer Mann,
+sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das eigentliche Latium
+waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch; schon Ennius
+nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht
+bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln
+behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern
+und der grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie
+die Komoedie durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch
+vergroebert wurde, ja in poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner
+gezeigt worden, dass zwei der einflussreichsten roemischen
+Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst folgeweise Poeten waren,
+und dass, waehrend die griechische erst nach dem Abbluehen der
+volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten Koerper
+experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung
+der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus
+Hand in Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische
+Literatur des sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene
+handwerksmaessige, jeder eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene
+durchgaengige Nachahmung eben der flachsten Kunstgattungen des
+Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen Wechselbalg von Epos,
+so fuehlt man sich versucht sie rein zu den Krankheitssymptomen dieser
+Epoche zu rechnen.
+
+———————————————————-
+
+^39 Vgl. 2, 445:
+
+Enni poeta salve, qui mortalibus
+
+Versus propinas flammeos medullitus.
+
+Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt
+ποιητής - wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist
+charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den
+Verfasser epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter,
+welcher in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333
+M.).
+
+————————————————————-
+
+Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr
+einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass
+diese gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss
+keine volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer
+solchen gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie
+des Individuums fremd ist, faellt die schoepferisch poetische
+Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche Zeit des Werdebangens und
+der Werdelust der Nation; unbeschadet der Groesse der griechischen
+Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass ihr Dichten
+wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von
+menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der
+antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt
+gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel
+der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und
+Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die aeusserliche
+staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf einem Punkte
+angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem Ausschluss
+aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende roemische
+Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren.
+Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und
+denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung
+der Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien
+beruht die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der
+roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht
+ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat
+den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein
+aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine
+gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige
+Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten
+Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert,
+ist der antiken Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht
+bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den
+Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem
+roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele
+zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen
+gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen
+bekannt waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch
+die Buehne ins Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der
+hellenischen Dichtung wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit
+tiefer noch wirkte, worauf schon die geistreichsten Literatoren des
+Altertums mit Recht den Ton gelegt haben, die Einbuergerung
+griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium. Wenn “das
+besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst ueberwand”, so
+geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen lateinischen Idiom
+eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward, dass
+anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der
+Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden
+Anapaeste, die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das
+lateinische Ohr in der Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der
+Schluessel zu der idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel
+zu der poetischen Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das
+lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben
+nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst
+gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl
+sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von
+der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen
+sie guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig
+angeregten latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege.
+Man sage auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der
+griechischen Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische
+Publikum ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache
+ueber den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur
+Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern
+einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die
+hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser
+Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den
+Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter
+entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen,
+ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium
+an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten
+Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen
+Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder
+widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre
+historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus
+laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar
+nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit
+gewissermassen sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein
+Missverhaeltnis zwischen dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt
+und der verhaeltnismaessig vollendeten Form, aber die eigentliche
+Bedeutung dieser Poesie war auch eben formeller und vor allen Dingen
+sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht schoen, dass die Poesie
+in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und Auslaendern und
+vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die Poesie
+zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so
+waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in
+Rom und die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es
+war noch weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe
+auf die verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in
+diesem Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie
+der Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich
+betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des
+kosmopolitischen Hellenismus wie die ‘Ilias’ und die ‘Odyssee’
+diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die
+Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen
+Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige
+Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter
+bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten
+und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen;
+denn waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen
+ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die
+Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer
+verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des
+sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den
+sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in der
+aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren
+reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt,
+wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe man
+auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
+Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als
+reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und
+sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen
+aufgewogen durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen
+Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius
+getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was,
+als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen Dichtern des
+sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden.
+Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen
+Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde
+Land zu verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten
+Jahrhunderts und flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem
+durchaus gehobenen Geiste dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte
+Hellenismus sah auf die poetischen Leistungen derselben mit einer
+gewissen Verachtung herab; eher vielleicht haette er zu den Dichtern
+hinaufsehen moegen, die bei aller Unvollkommenheit doch in einem
+innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen Poesie standen und der
+echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher gebildeten Nachfahren.
+In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden Rhythmen, selbst in
+dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr als in
+irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende
+Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich
+nicht taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie
+selber sich gefeiert hat, dass sie den Sterblichen
+
+das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
+
+——————————————————————————-
+
+^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst
+untergeordnete Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305),
+Autolykos (Bacch. 275), Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten
+Umrissen muessen ferner zum Beispiel die thebanische und die
+Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus
+(Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil.
+1247) bekannt gewesen sein.
+
+——————————————————————————-
+
+Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich
+tendenzioes ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die
+gleichzeitige nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und
+nichts weniger wollte, als die latinische Nationalitaet durch
+Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in Form und Geist
+hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und reinste
+Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die
+entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und
+Bann tun. Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur
+gegenueber ungefaehr wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum:
+Freigelassene und Fremde bildeten den Kern der poetischen wie spaeter
+den Kern der christlichen Gemeinde; der Adel der Nation und vor allem
+die Regierung sahen in der Poesie wie im Christentum lediglich
+feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind Plautus und
+Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und die
+Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden.
+Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die
+Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte
+sind ihm der gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks
+^41, und mit unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen
+Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man hat ihn und seine
+Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt und allerdings sind
+die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten bezeichnet von der ihm
+eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung indes wird man
+nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern auch
+anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr
+als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden
+Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus
+Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den
+Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon
+griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der Vorrede zu
+seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit
+verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht
+voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei,
+Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe
+des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und
+Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter,
+als sie es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior
+vorzuruecken, dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen
+die roemischen Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und
+auch den Cato selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner
+kuenftigen Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache
+die Griechen, die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich
+elendes Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der
+Zeit und den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition
+aber gegen die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato
+keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der
+Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit
+begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die
+Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer
+Absicht nach die lateinische Schriftstellerei nicht nach der
+griechischen abgeklatscht und der roemischen Volkstuemlichkeit
+aufgezwaengt, sondern unter griechischer Befruchtung der italischen
+Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem genialen Instinkt,
+der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem Schwung der
+Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem
+gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur
+Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom
+war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen
+Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte,
+mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und einem roemischen
+Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der lateinischen Prosa
+durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und Heroen der Sage
+durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem Unterfangen der
+Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu stuermen;
+ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes Drama,
+und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger
+ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der
+Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren
+roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine
+didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem
+Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen
+guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch die
+ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine
+prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
+Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein
+Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in
+seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine
+‘Ursprungsgeschichten’, seine aufgezeichneten Staatsreden, seine
+fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste
+getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts
+weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich
+in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem
+Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes
+ist den griechischen “Gruendungsgeschichten” (κτίσεις) entlehnt.
+Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
+verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht.
+Seine ‘Enzyklopaedie’ ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
+griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische
+Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem
+Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl
+verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er
+fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der
+wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen, in
+ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren
+‘Ursprungsgeschichten’ auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so
+ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische
+Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der
+Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
+sei.
+
+————————————————————————
+
+^41 “Von diesen Griechen”, heisst es bei ihm, “werde ich an seinem Orte
+sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung
+gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre
+Schriften einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine
+grundverdorbene und unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie
+ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles
+verderben und ganz besonders, wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie
+haben sich verschworen, alle Barbaren umzubringen mit Arzeneiung, aber
+sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit man ihnen vertraue und sie
+uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen sie Barbaren, ja
+schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf die
+Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.”
+
+Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im
+Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz
+unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste Weise
+dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen.
+
+———————————————————————-
+
+Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und
+bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende
+Luxus sich weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen
+bemerklich. Erst gegen den Schluss dieser Periode, namentlich mit der
+Catonischen Zensur (570 184) faengt man in jenem an, neben der gemeinen
+Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus
+den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen
+(570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem
+die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken
+nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren
+entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde
+von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann
+rasch andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des
+Marktes die Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen
+Hallen ersetzt waren. Tiefer aber griff in das taegliche Leben die
+Umwandlung des Hausbaues ein, welche spaetestens in diese Epoche
+gesetzt werden muss: es schieden sich allmaehlich Wohnsaal (atrium),
+Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen (peristylium), der Raum zur
+Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und
+in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im
+Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen
+verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert
+oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; “unsere
+Vorfahren”, sagt Varro, “wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten
+nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament”.
+
+Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die
+Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und
+Malern die Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und
+Hieron, den er im Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der
+Seitenwand des Rathauses abschildern - die ersten historischen Fresken
+in Rom, denn viele gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden
+Kunst das sind, was nicht viel spaeter das Nationalepos und das
+Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es werden als Maler
+genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete,
+
+verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum
+
+die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
+
+Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
+Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter
+griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate
+Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel
+zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt
+doch eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht
+bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern
+dass sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie,
+den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
+
+———————————————————————————
+
+^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode,
+da die Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als
+hexametrisch nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die
+Schenkung des ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem
+Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine
+Selbstaendigkeit verlor.
+
+———————————————————————————-
+
+Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des
+spaeteren dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon
+die Pracht der korinthischen und athenischen Tempel und sah die
+altmodischen Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit
+Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos
+Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des
+Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den
+eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den
+ersten Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212);
+und obwohl dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und
+zum Beispiel der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von
+Tarent (545 209) die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern
+den Tarentinern ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch
+dergleichen Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus
+Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei
+Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus
+(587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den
+Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die
+Ahnung auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen
+wesentlichen Teil der hellenischen Bildung, das heisst der modernen
+Zivilisation ausmache; allein waehrend die Aneignung der griechischen
+Poesie ohne eine gewisse poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien
+hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen auszureichen, und darum
+ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur
+Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch gemacht
+worden.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
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+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
+be renamed.
+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+States without permission and without paying copyright
+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
+of this license, apply to copying and distributing Project
+Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
+concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
+specific permission. If you do not charge anything for copies of this
+eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given
+away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
+not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
+trademark license, especially commercial redistribution.
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+by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
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+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
+United States and you are located in the United States, we do not
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+that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
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+posted with the permission of the copyright holder found at the
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
+OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
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+limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
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+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
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+Defect you cause.
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+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
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+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
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+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen
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+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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+Title: Römische Geschichte Book 3
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+Author: Theodor Mommsen
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+Release Date: February, 2002 [Etext #3062]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
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+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Drittes Buch<br/>
+Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
+griechischen Staaten
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#part03"><b>Drittes Buch&mdash;Von der Einigung Italiens bis auf
+die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten</b></a></td>
+</tr>
+
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">KAPITEL I. Karthago</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap10">KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap11">KAPITEL XI. Regiment und Regierte</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap12">KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap13">KAPITEL XIII. Glaube und Sitte</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap14">KAPITEL XIV. Literatur und Kunst</a></td>
+</tr>
+
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part03"></a>Drittes Buch<br/>
+Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
+griechischen Staaten
+</h2>
+
+<p>
+arduum res gestas scribere
+</p>
+
+<p>
+arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben
+</p>
+
+<p class="right">
+Sallust
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Karthago</h2>
+
+<p>
+Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der
+alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese
+am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die
+Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefuehl der
+Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den syrischen, israelitischen,
+arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr
+als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern.
+Ihre Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen
+Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem
+Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte
+der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hiess Kanaan
+das &ldquo;Purpurland&rdquo; oder auch das &ldquo;Land der roten
+Maenner&rdquo;, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder
+Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet
+zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und der
+Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo das ueberreiche
+oestliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und
+hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen
+Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und
+Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was
+aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle
+Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher
+Zeit finden wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in
+Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
+Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis oestlich zur
+malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und die Perlen des
+Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Loewen- und
+Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen
+Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das
+spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen
+die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und
+ueberall kommen sie herum, um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat,
+an der ihr Herz haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte
+genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
+an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das Altertum
+die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen und dauernden
+Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramaeischen
+Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn
+Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen
+eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch
+weder die phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst,
+soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen Rang
+eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und
+unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu
+naehren als zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung
+phoenikischer Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich
+klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der
+italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst
+vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der
+wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon
+oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem
+Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier
+begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur wirkenden
+Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der Astronomie und
+Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl
+von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre
+Industrie, von der Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift
+und der Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen
+wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das
+Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes
+ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie
+von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben
+sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat
+ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich
+beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und
+selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im
+Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und
+die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch
+dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem
+mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den
+indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich
+selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros
+ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil
+herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern untertan. Mit
+der halben Macht haetten hellenische Staedte sich unabhaengig gemacht; aber die
+vorsichtigen sidonischen Maenner, berechnend, dass die Sperrung der
+Karawanenstrassen nach dem Osten oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher
+zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre
+Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es
+nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit.
+Und wie die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie
+auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmaennischen
+mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind
+Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und
+zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Laendern zu erwerben und daselbst die
+schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren
+Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
+oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und in den
+grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im westlichen
+Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind
+es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die Schwere des Kampfes gegen die
+Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man
+sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch
+gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind
+die Phoeniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der
+aelteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen
+sizilischen Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage
+bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
+gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen
+die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens
+ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr
+sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen lassen.
+</p>
+
+<p>
+Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und mit
+bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den
+Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel
+an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; vielmehr haben die
+Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je
+erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich
+zu sein duenkt, ihre Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen
+Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und
+okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute
+verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten
+Stammgefuehl, bei der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das
+eigenste Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es
+geluestete sie nicht nach der Herrschaft; &ldquo;ruhig lebten sie&rdquo;, sagt
+das Buch der Richter, &ldquo;nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut
+und im Besitz von Reichtum&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer
+als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste Spaniens und an der
+nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden weder der Arm des
+Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der griechischen Seefahrer
+reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika
+die Indianer den Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen
+Staedten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die &ldquo;Neustadt&rdquo;,
+Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht
+die frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
+vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten Phoenikerstadt
+in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch
+die unvergleichlich guenstige Lage und die rege Taetigkeit ihrer Bewohner.
+Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des Bagradas (Medscherda), der die
+reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchstroemt, auf einer fruchtbaren
+noch heute mit Landhaeusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern
+bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und
+an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen
+Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den
+besten Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
+Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und die
+Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische Ansiedlung
+daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch in der roemischen
+Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde
+und noch heute unter nicht guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger
+gut gewaehlten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und
+gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher
+Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die
+Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen
+Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt besessen
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in Karthago nicht
+verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis
+in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, den die Stadt einnahm,
+Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und
+obwohl das Meer und die Wueste die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem
+Angriff der oestlichen Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des
+Grosskoenigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich
+gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu
+sichern.
+</p>
+
+<p>
+Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch
+Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik draengten.
+Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen
+ergoss, der die Phoeniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von
+Italien verdraengt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja
+in Libyen selbst das gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo
+standhalten, wenn sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo
+sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten,
+genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und
+Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene
+gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der Griechen; es
+war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die
+Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem
+Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich
+westwaerts der Wueste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe
+erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze
+Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die
+Klientel der maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins
+zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers
+den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst
+die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische Stellung.
+Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft
+ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil sie es musste.
+Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der
+Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der
+Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit
+aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das
+auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen Geldspekulation,
+die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist.
+</p>
+
+<p>
+Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche die
+Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur
+Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen
+Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den
+Einheimischen hatten entrichten muessen. Dadurch ward eine eigene
+Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher hatten die Phoeniker es sich
+angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den
+Feldbau im grossen Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter;
+wie denn ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um
+Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen
+libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
+Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - wir
+finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging
+weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau scheint bei den
+Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung,
+vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu sein - wurden mit Waffengewalt
+unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren
+Herren den vierten Teil der Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur
+Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmaessigen
+Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen
+(νομάδες) an den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
+verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene
+zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die karthagische
+Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit
+des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den
+Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die
+&ldquo;Staedte und Staemme (έθνη) der Untertanen&rdquo;, die in den
+karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien libyschen
+Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in
+Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von
+Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste
+gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein koennen,
+da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft
+gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste der heutigen Provinz
+Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphoenikischen
+Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona),
+Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - die zweite Stadt der
+afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich
+von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter
+karthagische Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen
+vor den Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr
+nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst
+in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten
+niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten.
+Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen,
+sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum
+Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner
+lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in
+gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als
+durch die Pietaet der Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen
+Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt;
+wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der
+griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst
+im auswaertigen Verkehr sind es stets &ldquo;Karthago und Utica&rdquo;, die
+zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass
+die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie
+behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines maechtigen
+nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wueste sich erstreckte
+bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum
+Teil oberflaechlicher Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem
+reicheren oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch
+das Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
+vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend
+sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische Zivilisation herrschte in
+Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zuegen
+Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Hoefen der
+Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen und geschrieben und die
+zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische
+Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste
+der Nation noch in der Politik Karthagos.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem
+karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu
+den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heissen: οι Καρχ ηδονίων
+ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst heissen sie auch Bundes-
+συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62;
+Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das
+Commercium folgt aus den &ldquo;gleichen Gesetzen&rdquo;. Dass die
+altphoenikischen Kolonien zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die
+Bezeichnung Hippos als einer libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits
+heisst es hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum
+Beispiel im Periplus des Hanno: &ldquo;Es beschlossen die Karthager, dass Hanno
+jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker
+gruende&rdquo;. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern
+nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es
+recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten
+Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in
+der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den Phoenikern
+haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie
+im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den
+Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar.
+</p>
+
+<p>
+^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die
+Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der
+zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings
+diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das phoenikische; aber es folgt
+daraus noch keineswegs, dass die Libyer die Schrift nicht von den Phoenikern,
+sondern von aelteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise
+aelteren Formen der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten
+verbieten. Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem
+phoenikischen einer Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als
+die, in der die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache
+geschrieben wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen
+stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die Veraenderung
+ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte Schriftsteller nennt
+als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit
+des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen
+Systems angesehen werden, dessen Durchfuehrung vermutlich das vierte und
+fuenfte Jahrhundert Roms ausgefuellt hat.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen
+phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen
+Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von aussen,
+namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im
+zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die
+edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils
+ueber nach der gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin
+ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit
+Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
+kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen
+Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder
+gewaltig sich entwickelt.
+</p>
+
+<p>
+In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische Ansiedlung in
+Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und oestlich davon eine Kette
+von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das
+heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Kueste davon
+innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen
+abzugewinnen war man nicht bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der
+Bergwerke und der Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang
+und hatte Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten.
+Es ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
+waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den tributpflichtigen
+Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoeniker tatsaechlich
+unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die
+Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer
+Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen
+wurden dagegen von den Karthagern selbst in frueher Zeit besetzt, teils der
+Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von
+hier aus die heftigsten Kaempfe gefuehrt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich
+fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen
+ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der
+Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an
+dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen
+Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften
+durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet.
+</p>
+
+<p>
+In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere
+oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende
+gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils
+die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter
+denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils die
+West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von Lilybaeon aus
+die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien
+unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der
+Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere
+Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher
+Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der
+Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf
+die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische
+Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen
+bequemten sich, einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede
+auf ihr Gebiet.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein
+noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der
+karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, der
+Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der
+Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostkueste als
+auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der
+nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten
+die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die
+Phoeniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen,
+solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit
+den ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar
+gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen
+Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbuendnissen, Karthago wohl
+schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der
+Vereitelung der grossen Entwuerfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand
+als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die
+Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und
+zugleich ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden
+auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das
+naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen und ihrem
+ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389
+406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der sizilischen Mittelstaaten,
+die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den
+Syrakusanern und den Karthagern. Die bluehendsten Staedte der Insel: Selinus,
+Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von
+den Karthagern von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das
+Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt
+auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, die
+veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu
+beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei
+Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen
+Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen
+Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um
+den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer
+von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu
+verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der
+Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476
+(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und
+scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner
+unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos
+waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu
+verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die Seite der
+Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und die, wenn sie auch
+nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer
+Planmaessigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien
+zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die
+Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die
+Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf
+schon entschieden: Pyrrhos&rsquo; Versuch, die syrakusanische Flotte
+wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte
+die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und
+ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte
+und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel
+dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen
+gegenueber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor
+irgendeiner zum Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein
+Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes
+(479-560 275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach
+Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in
+die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt es voellig
+ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die spanischen,
+sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348)
+freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des
+eigenen karthagischen saemtlich schloss.
+</p>
+
+<p>
+Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor
+dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der
+monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende
+Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte
+stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia
+bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und
+achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der
+Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die
+Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die
+Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl
+Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber
+genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem
+kleinen Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er
+viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss
+zugestanden zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie
+sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt
+des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles&rsquo; aelterer Zeitgenosse, sagt, dass
+die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und
+so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
+Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen
+Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und
+ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche
+Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des
+Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig
+unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich
+unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den
+Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann
+zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.
+</p>
+
+<p>
+Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der
+Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der
+karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand
+sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen
+aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben.
+Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten
+Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen
+hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung
+in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies
+fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung
+und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der
+Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch
+der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende
+Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich
+von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja
+lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen
+gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar
+erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation
+hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische
+Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad
+bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene,
+die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die
+Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen
+und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode
+bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden
+unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt
+der Macht ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es
+begreift sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung
+eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den
+Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig
+nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
+den Feldherrn in Rat und Tat laehmte.
+</p>
+
+<p>
+Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta
+ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt,
+doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen
+zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem
+Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl
+erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt
+war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer
+gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago
+nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich
+durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen
+Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien
+verglichen werden, moegen oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar
+ein Gegensatz zwischen &ldquo;Stadtbuergern&rdquo; und
+&ldquo;Handarbeitern&rdquo; wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige,
+vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische
+Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer
+Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus
+einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden staedtischen Menge,
+anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das
+System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu
+Vermoegen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die
+abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer
+verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles
+bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der
+karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben
+noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb
+fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie
+allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward
+abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem
+Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich
+bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen
+Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss
+der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und
+in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei:
+die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung
+zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung
+des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt,
+dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein
+koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der
+Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt
+noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und
+reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, auf wie
+fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die
+von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos,
+dass sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte
+gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in
+Karthago, die Buben sie machen halfen.
+</p>
+
+<p>
+In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den
+Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges
+war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers
+der Griechen allen griechischen Staaten finanziell ueberlegen und werden ihre
+Einkuenfte denen des Grosskoenigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste
+Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche
+Feldherren und Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu
+betreiben und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die
+agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen
+und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
+Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, sondern
+auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen
+Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge
+Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als
+eine Hauptmaxime der phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu
+erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des
+Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
+Nomadenwirtschaft es nach Polybios&rsquo; Zeugnis vielleicht allen uebrigen
+Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der
+Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, wurden
+sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss nach Karthago
+mittelbar die Grundrente &ldquo;des besten Teils von Europa&rdquo; und der
+reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte,
+ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in
+Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels
+aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der
+Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher
+schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte
+Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen
+Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem
+Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren
+verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom,
+zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht
+vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische Literatur
+und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago
+geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und
+betraechtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des
+Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die
+agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des
+Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der
+karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von
+seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die allgemeine
+Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen ^3,
+worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem kaiserlichen Rom auf einer
+Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche
+der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings
+unmoeglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in
+diesem London des Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den
+oeffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
+kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte,
+und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die
+Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben vollstaendig
+deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch
+nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen
+war, die laufenden Ausgaben und eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von
+340000 Talern ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
+Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der
+Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen sechsunddreissig Termine sich
+erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe der Einkuenfte, in der sich die
+Ueberlegenheit der karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die
+oekonomischen Grundsaetze einer spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden
+wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von
+auslaendischen Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben
+Gold- und Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
+dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine
+Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe geloest als
+Karthago.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der
+Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen
+koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen
+&lsquo;Poeners&rsquo; heisst es von dem Titelhelden:
+</p>
+
+<p>
+Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn&rsquo;
+</p>
+
+<p>
+Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr?
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und
+Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus
+praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich
+dieselbe, nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als
+Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals
+noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die
+karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer waren,
+bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der Buergerschaft noch selber
+das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war in Rom besitzend, das ist
+konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf
+der Demokraten zugaenglich. In Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen
+Handelsstaedten eigene Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens
+aeusserlich noch altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als
+die karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
+Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren zueinander alle
+Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus fuer
+den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder
+begegnet. Der Spott ist bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen
+Zustaende.
+</p>
+
+<p>
+Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die
+Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge
+Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde den einzelnen
+Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich des Erlernens der
+griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur
+vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben
+Geiste geflossen wie das roemische Regierungssystem; aber gegen die grausame
+Haerte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen
+Staatsbevormundung erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und
+verstaendig. Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich
+oeffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
+brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte
+auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und
+vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Misstrauen
+noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, dass das Volk
+ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten.
+Daher der feste Gang der roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt
+zurueckwich und die Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit
+und Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte
+Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen
+Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen
+liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige
+Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, in Karthago
+haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedraengt, sich ihnen
+verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei
+gemeinschaftliche Sache zu machen.
+</p>
+
+<p>
+Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde
+Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Buergerrecht
+aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugaenge zu
+demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich ab und liess den
+abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige
+Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den
+Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den
+uebrigen untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und
+Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago
+behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar
+den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht
+einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner
+eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin und belastete
+selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die
+unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im
+karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit
+Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell
+sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen nicht eine einzige,
+die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen
+sorgfaeltig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch
+aeusserste Massregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren
+gehabt haette als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten,
+die phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
+Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische
+Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen kaufmaennischen Kalkuel
+dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung bewies, dass die roemische
+Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie
+eine Mauer aus Felsenstuecken, die karthagische dagegen wie Spinneweben
+zerriss, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah
+es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im
+Soeldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel,
+dass die libyschen Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum
+Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder
+aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie
+gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit
+dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und
+ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier sich
+bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere Syrakus in ihre
+Haende gefallen, so haette sich freilich dies bald geaendert; indes dazu kam es
+nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen
+Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in
+Sizilien in der Tat eine ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum
+Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die
+Geschichte des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
+ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren
+phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Roemern die
+Samniten und Tarentiner.
+</p>
+
+<p>
+Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um
+vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass
+die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben,
+wenn man sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass
+die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die roemische.
+</p>
+
+<p>
+Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr verschieden,
+jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische
+Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Koepfe mit Einschluss
+der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des fuenften Jahrhunderts
+wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fuenften Jahrhundert im
+Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein
+ebenso starkes Buergerheer hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts
+unter gleichen Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen
+Erweiterungen des Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die
+Zahl der waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit
+mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des
+Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich
+angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie
+doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des
+Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem
+Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren
+noch eine &ldquo;heilige Schar&rdquo; von 2500 Karthagern als Garde des
+Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in
+dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager.
+Dagegen standen die roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen,
+sondern auch auf den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den
+Stammverwandten der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht
+mindere Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
+ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit
+weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die
+zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften.
+In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine
+einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus
+Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher.
+Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes
+Fussvolk bilden liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen
+war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen
+Voelkerschaften Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den
+Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die
+Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene
+Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede
+beliebige Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an
+Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; allein
+nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, ehe dieselben
+bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden
+Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend
+die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der
+Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an das
+gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages
+galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie
+heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der
+Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen
+gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum
+Sprichwort gewordene Ruf der &ldquo;punischen Treue&rdquo;, der den Karthagern
+nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere
+ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und
+mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als seine
+Feinde.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den
+Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet.
+Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer
+Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu erinnern, dass die
+Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht staedtisch, ebenso wie die
+roemischen Zensuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezaehlt sind,
+mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen
+Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich
+eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in
+Gades aus gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
+als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen
+und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf
+gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner ausstatten zu
+koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige
+Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den
+Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die Elefanten, seit diese im
+Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten
+Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte
+zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen,
+dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die
+Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten
+unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette roemischer
+Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der
+Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete
+den Staat nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom
+politisch und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung
+niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die
+Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der
+Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago
+zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die
+karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in
+der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich
+Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und
+die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago
+entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der
+verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in
+der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten
+das westliche Meer beherrschte.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden
+grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen
+und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen
+begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir koennen nicht
+unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und
+Reichtum vermochten, um kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung
+sich zu erschaffen, aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel
+des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden
+Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
+Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich nicht
+verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff
+nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der
+Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich
+herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; dass selbst maechtige
+Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwaecheren Feinden die Landung
+zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit
+Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn
+finden, und waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der
+Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in
+eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, auch der
+hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</h2>
+
+<p>
+Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und
+den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten ward
+der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Karthago
+Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen Opposition in
+Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago
+zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit
+welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die
+phoenikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln
+focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen
+Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende
+Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich
+beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und Himera
+und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber saemtliche oestliche
+Staedte anerkannt. Pyrrhos&rsquo; Vertreibung aus Sizilien und Italien (479
+275) liess die bei weitem groessere Haelfte der Insel und vor allem das
+wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als
+Tauromenion und der Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der
+Ostkueste, in Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich
+festgesetzt und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von
+den Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das
+bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I,
+368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was
+spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die
+soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen Griechen dort
+ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua
+und den uebrigen kampanischen Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die
+roemische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes
+Regiment die Verfuegung ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles
+dies trieb die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der
+Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose
+Selbstverkauf hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung
+an Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
+Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer Hut
+anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, vorausgesetzt
+nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, leuchtete diesen Kampanern
+nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer
+Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise
+begruendet. Nirgend luden die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen
+Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen
+Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und
+Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein
+kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen
+Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in
+Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz der
+antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Teile der
+Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und
+die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt und die neuen Herren der
+Stadt, die &ldquo;Marsmaenner&rdquo;, wie sie sich nannten, oder die Mamertiner
+wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den
+wuesten Zeiten nach Agathokles&rsquo; Tode sich unterwarfen. Die Karthager
+sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer
+stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt
+einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten; mit
+karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der
+unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck.
+</p>
+
+<p>
+Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den
+sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der
+die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der
+Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag
+die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier
+eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die
+schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmaehlich
+sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich
+immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu
+rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der durch
+seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen
+verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie durch die
+Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke
+seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt
+hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die
+Spitze des mit den Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch
+seine kluge Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er
+schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs
+gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte
+sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen Soeldnerheeres,
+regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als
+Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen und frischen und
+lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen.
+Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos
+von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der
+Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem
+ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer
+des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge
+kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um diese
+Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner
+in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch
+einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen
+ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und
+nachdem die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich
+aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit
+eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht
+moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen
+hatte, ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die
+einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder
+an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung
+des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es
+vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben,
+war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet
+der kampanischen Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den
+Roemern anzutragen.
+</p>
+
+<p>
+Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten
+der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem
+ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; aber
+dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere
+Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher vom Senat gefassten
+Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein.
+Streng rechtliche Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei,
+ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das
+Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen
+Kampaner mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre
+nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur
+Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu
+entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu
+Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren
+musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral
+keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische Buerger, die
+den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen hinterlistig gemordet
+hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten,
+wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe.
+Haette es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in
+Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen.
+Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens;
+schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es
+begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten
+wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus und Messana - und dass
+sie, als dies unmoeglich geworden war, die Grenzplaetze lieber sich goennten
+als der anderen Grossmacht. Wie Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion
+und Tarent von den Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte
+fuer sich zu gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot
+jetzt in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine
+Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die
+Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward, sondern man warf sie selbst
+den Phoenikern in die Arme. War es gerechtfertigt, die Gelegenheit
+entschluepfen zu lassen, die sicher so nicht wiederkehrte, sich des
+natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien und Sizilien zu bemaechtigen und
+ihn durch eine tapfere und aus guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu
+sichern? gerechtfertigt, mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den
+letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit
+Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
+Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
+Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago fuehren
+musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn
+nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueberschreiten der
+See abwich von der bisherigen rein italischen und rein kontinentalen Politik;
+man gab das System auf, durch welches die Vaeter Roms Groesse gegruendet
+hatten, um ein anderes zu erwaehlen, dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand
+vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der
+Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut
+gibt, die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu
+folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den
+Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam zu
+keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche die Sache
+verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten
+Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den
+Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische
+Bahn zu betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch
+die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die
+ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen
+^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu
+senden (489 265).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen
+Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und
+besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in die
+Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach
+mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron
+hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen ihre
+neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu
+behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von
+Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung
+zu antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit und
+von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er
+in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt.
+Unmoeglich schien dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489
+265), sieben Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu
+bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu
+verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten
+auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen
+Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit Kriegsgruenden zu
+fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie die Roemer es pflegten, die
+Rolle des angegriffenen Teils zu reservieren. Wenigstens das konnte man mit
+vollem Rechte sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf
+Messana der Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur
+der zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen
+Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen
+Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst den
+erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen Gegenbeschuldigungen, die
+natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt gehalten und unterliessen es, die
+beabsichtigte Invasion Siziliens als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es
+indes; denn wie Rom die italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen
+Angelegenheiten als innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff
+gestatten kann, und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die
+phoenikische Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung
+war. Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
+endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
+Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
+roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
+erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
+Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen Partei
+in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den
+Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben sei und
+dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische
+Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals Hanno. Die jetzt vom
+karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische Buergerschaft liess, unter
+verbindlichem Dank fuer die schleunig gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen
+Befehlshabern anzeigen, dass man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen.
+Der gewandte und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
+nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen die
+roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; doch sandte
+der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, keine Veranlassung
+zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten Freunden jenseits der
+Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als haetten die Roemer vor Messana
+sich ebenso nutzlos kompromittiert wie die Karthager vor Tarent. Aber Claudius
+liess sich nicht abschrecken, und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung.
+Kaum angelangt, berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen
+Wunsch erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer
+waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung
+selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie die
+schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren kleinmuetig
+genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese, dem Befehl
+des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war
+der Brueckenkopf der Insel in den Haenden der Roemer.
+</p>
+
+<p>
+Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und Schwaeche
+ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den Roemern den Krieg.
+Vor allem galt es, den verlorenen Platz wiederzugewinnen. Eine starke
+karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe
+von Messana. Waehrend sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans
+Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der
+nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
+beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana und
+uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt.
+</p>
+
+<p>
+Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit
+dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang die
+Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck waren mit den
+Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesamten
+roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt
+ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen und damit die Belagerung
+aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das roemische Heer das Feld und machte
+sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch
+die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago)
+mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck
+nach Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach
+Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen
+daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht
+triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht
+verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden
+Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die
+Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug
+&ldquo;der von Messana&rdquo; (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden
+Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach dieser
+Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten
+wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren
+griechischen Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die
+karthagische Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263).
+Er folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es
+den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen
+anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu
+erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene
+Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und
+karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die erstere
+vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer
+sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu
+lassen, und auf alle Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und
+Monopolisiersystems von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der
+Handelsfreiheit zu erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste,
+standhafteste und geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel.
+</p>
+
+<p>
+Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das
+Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen
+Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige
+Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher bedenkliche und
+unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte
+denn auch fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in
+Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492
+262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den
+sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen zurueckzutreiben.
+Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern
+seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs
+aeusserste zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten
+die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die
+Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am
+Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia
+und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf
+beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht,
+um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte
+sich die numidische Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der
+phoenikischen Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den
+Sieg, allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg
+der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der
+Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der belagerten
+Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen; dennoch
+war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in die Haende der Roemer und
+damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in
+denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich
+bis an die Zaehne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu
+vertreiben war. Der Krieg spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der
+Karthager aus den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den
+italischen Kuesten.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen Schwierigkeiten des
+Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie erzaehlt wird, vor dem Ausbruch
+der Feindseligkeiten die Roemer warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben,
+denn wider ihren Willen koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer
+waschen, so war diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte
+beherrschte ohne Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen
+Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte
+auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine
+konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren
+Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen
+an den italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, was
+schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war
+voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia,
+Neapel, Tarent, Syrakus vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die
+Karthager ueber die Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die
+ausbleibenden sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren
+jetzt, was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso
+leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu
+ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu schaffen
+und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert Fuenfdeckern
+herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen Beschlusses war nicht
+leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende Darstellung, die glauben
+machen moechte, als haetten damals zuerst die Roemer die Ruder ins Wasser
+getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens Handelsmarine musste um diese
+Zeit sehr ausgedehnt sein, und auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es
+keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in
+frueherer Zeit ueblich gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren,
+besonders von Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich
+in der Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die
+Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von
+Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und eben
+wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff zum Muster
+nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine
+gestrandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer,
+wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller
+zum Ziele gelangen koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um
+Italien durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
+die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die Schiffsoffiziere,
+die man groesstenteils aus der italischen Handelsmarine genommen haben wird,
+als fuer die Matrosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine
+Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden
+spaeter Sklaven, die der Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald
+auch die aermere Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und
+wenn man teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des
+Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es
+begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert ist, eine
+Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines Jahres loesten und
+ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom
+Stapel lief. Freilich kam dieselbe der karthagischen an Zahl und
+Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht,
+als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass
+Schwergeruestete und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass
+Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht
+dieser Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand
+im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile mit
+schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe pflegten
+einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss gelang, der
+gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der Bemannung eines
+gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn
+Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers
+zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis.
+</p>
+
+<p>
+Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen bei
+ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an
+Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man
+den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zuteilte. Man
+brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende Bruecke an, welche nach
+vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden
+Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front.
+Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder,
+nachdem der Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke
+auf dessen Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein;
+wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen
+Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche Verdeck
+hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. Eine eigene
+Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis die Landtruppen zu
+diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht,
+wo freilich die roemische Flotte zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis
+120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten.
+</p>
+
+<p>
+So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war.
+Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen,
+und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der
+Flottenbau der Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo
+durch Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch
+Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen
+ward, die uebler war, als sie zunaechst schien.
+</p>
+
+<p>
+Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der
+Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen
+Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der Fahrt
+Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine Abteilung der
+bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in
+dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre
+mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht
+ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter
+Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein
+schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck
+hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen,
+und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der zweite
+Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen Kollegen
+uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von Messana, traf die
+karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos herankam, auf die
+roemische, welche hier ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in
+den schlecht segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte
+Beute erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber die
+neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe
+fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war
+ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die
+gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als die
+Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, fast die
+Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren
+das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war
+gross; noch groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht
+geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich
+hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, energisch
+zu Ende zu fuehren.
+</p>
+
+<p>
+Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
+italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
+Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
+kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
+durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung dieser
+Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht genuegte, der
+zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder man konnte die Inseln
+vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in
+Agathokles&rsquo; abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbrennend und
+alles setzend auf den Sieg eines verzweifelten Haufens, sondern durch eine
+starke Flotte die Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien
+deckend; in diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde
+nach den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte,
+mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen.
+</p>
+
+<p>
+Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht von
+Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria auf
+Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser Tat gedenkt
+- und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf
+der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte
+an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit
+besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste gepluendert;
+aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam
+man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg
+nicht bloss mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen
+Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von
+den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und
+in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten,
+namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffenplatz
+Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen Hamilkar die Bewohner des
+Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am Tyndarischen
+Vorgebirg (497 257), in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte
+nichts an der Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte
+die Schuld nun an dem geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der
+roemischen Truppen liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe
+kleinerer Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
+strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall nach dem
+damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer ueberhaupt (I,
+426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der wissenschaftlichen
+Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. Mittlerweile litt, wenn auch
+die Brandschatzung der italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische
+Handel nicht viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges
+der Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der
+Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr
+498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der
+libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer
+Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der
+Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Volso,
+beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess es geschehen, dass die
+feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika
+fanden die Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in
+Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. Nicht
+leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht
+gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens
+100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa 40000 Mann starken
+Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens
+die gleiche Zahl, so dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage
+aufgeboten waren, um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu
+entscheiden. Die Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem
+linken Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins
+Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in schraeger
+Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das
+dritte mit den zum Transport der Reiterei gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in
+der Linie, die das Dreieck schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den
+Feind. Langsamer folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der
+keilfoermige Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das
+zunaechst angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die
+Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit
+den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Zentrum
+nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der linke, an der Kueste
+aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte roemische Geschwader ein,
+welches durch die Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen,
+und draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer;
+gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel
+auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei
+Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens,
+offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen
+Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden anderen
+Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen Feind; allein
+im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit
+deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit
+ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft,
+und die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht
+das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden,
+fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil
+verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser
+umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige Verlust
+war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von
+der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz
+des betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu diesem
+Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine
+zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der
+westlichen Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der
+oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden Schutz
+bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf einem
+schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche
+Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und
+setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes
+Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die
+roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis 20000
+Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle
+war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man
+schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der
+Beschluss des Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee
+nach Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit 40
+Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht
+nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene
+nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen
+sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden
+konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und
+ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten
+Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht
+bei derselben, in Tunes sein Winterlager aufschlug.
+</p>
+
+<p>
+Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die Bedingungen,
+die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien,
+sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager
+verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den
+roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit
+Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen
+werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte
+auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige
+Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen,
+bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese
+Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den
+Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen
+Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit
+der Elite der sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen
+trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten
+ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso
+zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos
+von Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen neuen
+Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des Winters die
+Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei
+Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt
+zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was
+seine Lage erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch
+nicht imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg
+von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen
+Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern
+versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte
+und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der Numidier so
+leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich
+und sein Heer also in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem
+verzweifelten Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499
+255), hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager es
+waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten;
+natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden,
+ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die
+Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im
+offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke
+- denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war,
+gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes
+Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich
+auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos,
+der an diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei
+auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der
+Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu vor den
+feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah sich von demselben
+ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert,
+gingen zum Angriff vor gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung
+vor derselben aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum
+der Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den
+Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten
+feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die
+roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den Seiten und im
+Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar ins Viereck und
+verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden doch die geschlossenen
+Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke Fluegel traf auf das
+noch frische karthagische Zentrum, wo die libysche Infanterie ihm gleiches
+Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der
+feindlichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen
+gefochten hatte; nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang
+zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen
+Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu
+erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der spaeter in
+Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von den Karthagern nicht
+nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen
+Gefangenen die empoerendste Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf
+deren Anzeige die Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos&rsquo; militaerisches Talent Karthago
+gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen Offiziere werden
+schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu lernen, dass die leichte
+afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der Ebene verwandt werde als in
+Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen
+Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem
+Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging
+freiwillig fort, vielleicht in aegyptische Dienste.
+</p>
+
+<p>
+^3 Weiter ist ueber Regulus&rsquo; Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
+seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt wird, ist
+sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der
+Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp
+des ungluecklichen wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine
+Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt;
+widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten
+Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich
+gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine
+roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem schoenen Sieg
+am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbuessten,
+gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, um die dort verschanzten
+Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie
+gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in
+einen Sieg verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein
+Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den
+Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche
+Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und
+leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der Landung
+in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen afrikanischen
+Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit
+nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue
+deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten
+Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen
+abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer
+dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der karthagischen
+Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der Revolution, welche einige
+Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck,
+so jetzt das Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt
+der Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit
+der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die
+Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten
+roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen.
+</p>
+
+<p>
+Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte
+Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit
+einem starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es waren
+ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten;
+die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten
+Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die
+Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des
+Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, im
+roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den
+afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln allmaehlich zu
+unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige
+zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen
+Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen
+Kriegsschiffen wurde auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher
+gleichzeitig so viele zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen
+Zeit von drei Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254)
+erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe
+zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von
+der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, Panormos,
+erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, Kephaloedion,
+Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen noerdlichen Gestade der
+Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der
+Hauptstationen der Roemer auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes;
+die beiden Armeen standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die
+roemischen Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine
+Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten.
+</p>
+
+<p>
+Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren
+Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht
+um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie
+damit zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten
+unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit
+Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien
+ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die
+Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der Kueste zu
+waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges durch das offene
+Meer nach Ostia zu steuern muessen.
+</p>
+
+<p>
+Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die Kriegsflotte
+abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Kuestenverteidigung und
+die Geleitung der Transporte zu beschraenken. Zum Glueck nahm eben jetzt der
+stockende Landkrieg auf Sizilien eine guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502
+(252) Thermae, der letzte Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen,
+und die wichtige Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht
+im Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
+Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 251). Die
+unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten
+leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils in den Graben hinab,
+teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den
+Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von den phoenikischen
+Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das
+karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum
+in die Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den
+Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den Karthagern
+nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden
+an; allein der Sieg des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der
+energischeren Partei im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und
+beschlossen, die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft
+anzugreifen und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen
+zu lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die
+Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, wurde
+von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer Flotte gelang es,
+sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von der Seeseite zu
+blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, vermochten die Belagerer
+nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden und trotz der sorgfaeltigsten
+Bewachung unterhielten gewandte und der Untiefen und Fahrwaesser genau kundige
+Schnellsegler eine regelmaessige Verbindung zwischen den Belagerten in der
+Stadt und der karthagischen Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit
+glueckte es einem karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen
+einzufahren, Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt
+zu werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher war
+die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die Maschinen
+wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien sechs Mauertuerme
+eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein der tuechtige karthagische
+Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff ab, indem auf seine Anordnung hinter
+der Bresche sich ein zweiter Wall erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der
+Besatzung ein Einverstaendnis anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit
+vereitelt. Ja es gelang den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke
+gemachter Ausfall abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht
+die roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
+Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser und zu
+Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf Erfolg sehr fern,
+solange man nicht imstande war, den feindlichen Schiffen den Zugang gaenzlich
+zu verlegen; und einen nicht viel leichteren Stand als in der Stadt die
+Belagerten hatte das Landheer der Belagerer, welchem die Zufuhren durch die
+starke und verwegene leichte Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden
+und das die Seuchen, die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu
+dezimieren begannen. Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig
+genug, um geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit
+der Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
+Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu gering;
+es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu aendern und mit
+seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die karthagische in dem nahen Hafen
+von Drepana verweilende Flotte unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen
+Blockadegeschwader, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte,
+fuhr er um Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
+Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit Sonnenaufgang den
+Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische Admiral Atarbas. Obwohl
+ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht und liess sich nicht in den Hafen
+einschliessen, sondern wie die roemischen Schiffe in den nach Sueden
+sichelfoermig sich oeffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der
+noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich
+ausserhalb desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als
+die vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und
+sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser
+rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und musste
+die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der feindlichen um fuenf
+Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, die Schiffe wieder aus dem
+Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils so dicht an die Kueste gedraengt war,
+dass seine Fahrzeuge weder zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich
+untereinander zu Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren,
+ehe sie begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass
+sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem er
+zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel der
+Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, fielen den
+Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse Seesieg, den die
+Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon war der Tat nach von der
+Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer der roemischen Flotte in ihre
+fruehere Stellung zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um
+den nie ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem
+Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des
+Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft
+leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und
+aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut
+noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den
+Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus,
+der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten
+Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen
+Kueste der Insel mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu
+geleiten, beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten
+Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen.
+Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen
+Schiffen die roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon
+Nachricht erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die
+beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab und
+zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen
+sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern
+tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon seit
+laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an Vereinigung und
+Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die
+Vollendung seines Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm
+vernichtete denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden
+vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen
+unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft
+und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249).
+</p>
+
+<p>
+Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte Jahr, und
+von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als im ersten. Vier
+grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde gegangen, drei davon mit
+roemischen Heeren an Bord; ein viertes ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in
+Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte
+zur See, die in Sizilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die
+Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte,
+ist daraus zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247)
+um etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
+Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und daneben
+der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer traf, noch
+nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse ist es nicht
+moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der unmittelbare Schaden
+an Schiffen und Material als der mittelbare durch die Laehmung des Handels
+muessen ungeheuer gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die
+Abnutzung aller Mittel, durch die man den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte
+eine Landung in Afrika mit frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und
+war gaenzlich gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
+unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen
+Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als je zuvor. Was
+sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt gewissermassen Recht. Die
+Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die Sachen eben gehen, wie sie gehen
+mochten, wohl wissend, dass ein ziel- und endlos sich hinspinnender Krieg fuer
+Italien verderblicher war als die Anstrengung des letzten Mannes und des
+letzten Silberstuecks, aber ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu
+dem Glueck, um zu den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man
+schaffte die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
+Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen bereit
+waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. Der Landkrieg
+ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht anders konnte; allein man
+begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu beobachten, und was man besass,
+notduerftig zu behaupten, was dennoch, seit die Flotte fehlte, ein sehr
+zahlreiches Heer und aeusserst kostspielige Anstalten erforderte.
+</p>
+
+<p>
+Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner
+zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte
+gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, konnten die
+phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den
+Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und
+nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung war eben
+nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein leichter und
+sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte
+los zu sein, liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem
+Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in und um
+Sizilien zu beschraenken.
+</p>
+
+<p>
+So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten,
+welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos auch
+fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und handelte
+anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, das ist der
+Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247)
+den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee wie in jeder
+karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die
+Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden
+Fall es zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den
+Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans Kreuz
+heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl,
+dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von
+seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im
+besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das Vaterland
+auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er
+kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich
+nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des
+Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der
+junge General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon
+gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte
+(Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land
+beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren
+Frauen und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend
+phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte
+er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und
+bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige
+Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die
+Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der
+Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine zweite
+aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben Hoehe die
+gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite trug, hatten bis
+dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar
+nahm die Stadt weg und belagerte das Heiligtum, waehrend die Roemer von der
+Ebene her ihn ihrerseits blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen
+Posten des Tempels gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen
+Heer, ein schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
+pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
+Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht wieder
+aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der Besatzung von
+Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der sizilische Krieg schien
+eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer zu nehmen. Der roemische Staat
+kam in demselben um sein Geld und seine Soldaten und die roemischen Feldherren
+um ihr Ansehen: es war schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General
+gewachsen war, und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische
+Soeldner sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener
+zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen
+eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen.
+Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was spaeter
+auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm.
+</p>
+
+<p>
+Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der
+Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine
+Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne
+Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein Ende zu
+machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den Mut der Nation
+gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man
+hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, Hippo an der afrikanischen Kueste
+niedergebrannt, den Karthagern vor Panormos ein glueckliches Seegefecht
+geliefert. Durch Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in
+so grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
+patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer den
+Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften abgaben und
+die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als dies bisher bei dem
+Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine Anzahl Buerger im
+dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit
+einer Bemannung von 60000 Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht
+vielleicht ohne Beispiel da in den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius
+Lutatius Catulus, dem die Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See
+zu fuehren, fand dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit
+denen Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht,
+und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon und
+Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch begonnen ward.
+Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden Festungen, schwach
+verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man ruestete daheim an einer
+Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien
+karthagische Segel sich gezeigt haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241)
+die zusammengerafften Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch
+mehr eine Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die
+Phoeniker hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die
+fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein
+die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der
+heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen
+Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der
+Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und
+bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das
+Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto vortrefflich
+gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen, schlecht und schwach
+bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten
+fuhren die Sieger ein in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung
+der roemischen Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit
+ihm den Frieden.
+</p>
+
+<p>
+Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die Sache
+nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen Feldherrn
+unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der, seine
+siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, fuegte
+hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder seine Soldatenehre noch
+sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu
+halten, seit die Roemer die See beherrschten, und dass die karthagische
+Regierung, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten
+zu fuellen versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die
+roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die
+Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen
+Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass Rom sich
+verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen
+Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und
+abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder
+in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was
+die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der
+roemischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst;
+dagegen die Forderung des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen
+Ueberlaeufer ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit
+Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den
+Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18
+Denaren (4 Taler) fuer den Mann.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet
+der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst
+nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich genug; allein
+der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien,
+so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann sein,
+dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch den Frieden
+zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen Gang des Krieges,
+die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg
+entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht
+selbst Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher
+Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem
+Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter
+dem Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt hatten,
+anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen
+wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den
+Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen,
+oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf die
+politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, den Krieg
+fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden
+handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne,
+so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes
+andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und
+erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke
+zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende Partei in der
+vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische
+Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie politischen Takt
+und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um
+den Zug des Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war,
+um nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu
+brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn zu
+beantworten jetzt niemand wagen kann.
+</p>
+
+<p>
+Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission,
+die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im
+wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu
+zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente (5½ Mill. Taler), davon ein Drittel
+gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung
+von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den
+definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redaktionelle
+Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es Sizilien hingab, sich
+die laengst von der roemischen Flotte besetzte Insel Lipara nicht konnte
+vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf
+Sardinien und Korsika absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag
+gesetzt habe, ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht.
+</p>
+
+<p>
+So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation
+stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren
+der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert Jahren
+in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern alle Stuerme der
+Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513 241).
+</p>
+
+<p>
+Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die roemische
+Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel einfasst. Es ist
+einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer gefuehrt haben; die
+Soldaten, welche die entscheidende Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum
+guten Teil noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich
+grossartigen Momente, die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen,
+den die Roemer militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher
+gefuehrt haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines
+Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
+italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der roemische
+Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich organisiert fuer die
+rein italische Politik. Die Kriege, welche diese hervorrief, waren reine
+Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen
+Hauptstadt als der letzten Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen
+Festungskette. Die Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch;
+Maersche und Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die
+Schlachten; der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg
+kamen kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
+nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen der
+blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine Ratsversammlung
+diese Operationen zu dirigieren und wer eben Buergermeister war, die Truppen zu
+befehligen imstande war. Auf einen Schlag war das alles umgewandelt. Das
+Schlachtfeld dehnte sich aus in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche
+eines andern Erdteils hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle
+war dem Feinde eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch
+erwarten. Die Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen,
+an der die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
+jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und
+mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen und, was
+schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren Angriffs- und
+Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf
+lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen und ineinanderzupassen;
+geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch weit schwaechere Feind leicht
+den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines
+solchen Regiments der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern
+entschluepften?
+</p>
+
+<p>
+Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im
+Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine
+nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen
+militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die vollstaendige
+Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab durch Energie und
+durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung
+war ein grossartiger Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man
+bildete eine roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach
+und behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering
+geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere
+waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar
+Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den
+drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal zu
+Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil
+wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der
+Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens
+haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes
+hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend, allmaehlich
+darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch
+Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem
+waehrend des langen Krieges entwickelten Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon
+gemacht war; allein es geschah nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das
+roemische Flottenwesen in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die
+genialste Schoepfung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom
+den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen
+Maengel, die sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass
+der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System
+der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging, wie
+die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der Flotte waren; dass
+der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte belagerte und sein Nachfolger,
+statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte
+oder ein Seetreffen zu liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl
+jaehrlich von Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen,
+ohne Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau
+einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines
+solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue
+Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren.
+Regulus&rsquo; Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken
+befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es gibt nicht
+leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge in den Schoss
+geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter
+Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee
+gegenueberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich
+von der taktischen Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden
+Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um
+strategisch, und nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch
+taktisch sich ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als
+Regulus in seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die
+Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die
+Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz
+richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig
+geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von
+militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das freilich war
+nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, dass man das
+Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls der Landarmee
+behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General,
+sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die
+Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch
+weniger die Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner
+Buergeradmirale.
+</p>
+
+<p>
+Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn,
+als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische
+Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die
+Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom
+gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter und der
+Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel der roemischen
+Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner Feinde.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</h2>
+
+<p>
+Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften
+Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter
+roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das
+Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende ging, waren
+diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin ueberschritten, waren jenseits des
+Apennin wie jenseits des Meeres italische, der Eidgenossenschaft angehoerige
+Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu
+raechen, bereits im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im
+Sueden in dem grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der
+sizilischen Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena
+namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in
+Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen
+Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und
+Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich
+draengenden Ereignisse als eine umfassende politische Berechnung diese
+Erweiterungen hervorgerufen haben; aber begreiflicherweise brach wenigstens
+jetzt, nach den grossen, gegen Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der
+roemischen Regierung eine neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche
+die natuerliche Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte.
+Politisch und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
+niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige Scheidewand
+Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der Herrschaft ueber
+Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und Osten der Halbinsel zu
+vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der Phoeniker aus Sizilien der
+schwerste Teil getan war, vereinigten sich mancherlei Umstaende, um der
+roemischen Regierung die Vollendung des Werkes zu erleichtern.
+</p>
+
+<p>
+In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das
+Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse fruchtbare und
+hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen Frieden zum groesseren Teil
+in den Besitz der Roemer uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den
+letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen
+Buendnis festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen
+Anspruch gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss
+begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei
+Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz
+Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das heisst
+ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton,
+Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine Selbstaendigkeit gegen das
+Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im
+bisherigen Umfang gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte
+nicht mit dem voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und
+also fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des
+Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in
+Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein.
+Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht
+ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu verwandeln,
+solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete sich bald nach dem
+Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese zweite Insel des
+Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika hatten unmittelbar nach
+dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner und die Untertanen
+gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. Die Schuld der gefaehrlichen
+Insurrektion trug wesentlich die karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den
+letzten Kriegsjahren seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher
+aus eigenen Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
+erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach Afrika
+senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig
+in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise abloehnen oder
+mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber hierauf den Oberbefehl
+nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so sehr an den leeren Kassen als
+an dem kollegialischen Geschaeftsgang und dem Unverstand der Buerokratie. Man
+wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte
+dann, den Leuten an dem versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand
+eine Meuterei unter den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der
+Behoerden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen
+waren gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten;
+sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte
+Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche Steuerdruck dort
+ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort
+hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem
+meuterisch erpressten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man
+in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die
+nicht anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die
+Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen
+ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge
+karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des
+sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago
+von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende karthagische Heer
+durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin
+groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn gebracht
+hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu
+bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen
+voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat
+gewesen war, wie maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham
+verbot zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja
+man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien
+Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den
+Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom
+mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als
+nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den roemischen
+Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze
+der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener
+italischer Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer
+dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch
+die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen Bundesgenossen
+zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich der uebrigen
+karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert hatten, boten, als
+sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen
+Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, den Besitz derselben den Roemern an
+(um 515 239); und aehnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica,
+welche ebenfalls an dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen
+Hamilkars aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in
+Rom zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
+Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische
+Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der
+sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was von Sardinien in den
+Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit schwererem Gewicht als in der
+Angelegenheit der Mamertiner trifft die Roemer hier der Tadel, dass die grosse
+und siegreiche Buergerschaft es nicht verschmaehte, mit dem feilen
+Soeldnergesindel Bruederschaft zu machen und den Raub zu teilen, und es nicht
+ueber sich gewann, dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen
+Gewinn nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
+Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig ueber
+die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider Erwarten und
+wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars Genie abgewendet und
+Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt worden war (517
+237), erschienen sofort in Rom karthagische Gesandte, um die Rueckgabe
+Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder
+herauszugeben, antworteten mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden
+Beschwerden ueber allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten
+zugefuegt haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass
+in der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten
+Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen
+Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung
+bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein
+jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den
+vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen entsetzlichen
+Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man wohl sich fuegen. Nur
+auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet
+hatten, fuer die mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung
+von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer
+widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man
+Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom
+letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten
+die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr
+noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den Eingeborenen
+im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr man trieb dort die
+Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den
+Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um
+ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung
+Italiens. Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die
+Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die
+der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens
+nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht
+beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden
+damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie bloss der politischen
+Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische
+Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus blossen
+Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, aber darum nicht
+minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten Bedeutung geworden ist; den
+Gegensatz der festlaendischen und der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um
+die spaeter gelaeufigen Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und
+der Provinzen. Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die
+Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr
+Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; wobei
+es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in das
+Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie in jedem
+einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden Bestimmungen
+gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger
+ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen
+Gemeinden die bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267)
+durch Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische
+Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom
+lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man
+scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen
+Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren
+unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man
+sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die
+ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der
+roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der
+Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke stellvertretende
+Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste jetzt (527 227) auch die
+administrativ-militaerische Konzentration in der Person der Konsuln aufgegeben
+werden. Fuer jedes der neuen ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie
+fuer Sardinien nebst Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt,
+welcher an Rang und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand,
+uebrigens aber, gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur,
+in seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. Nur
+die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln, so auch
+diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere Quaestoren
+zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und in der Rechtspflege
+wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die Kassenverwaltung zu fuehren
+und darueber nach Niederlegung ihres Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die
+ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach
+denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden
+grossenteils auch auf die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die
+Gemeinden ohne Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren,
+versteht sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan
+kein Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
+Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. Dagegen
+gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen Staedten, die man
+nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative Organisation und wohl selbst
+allgemeine sikeliotische Landtage mit einem unschaedlichen Petitions- und
+Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war es zwar nicht wohl moeglich, das
+roemische Courant sofort auch auf den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren;
+aber gesetzlichen Kurs scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben
+und ebenso, wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das
+Recht, in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb
+nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass
+das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum
+verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es behielten
+auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden die
+Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht in
+rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch zugelassen
+ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in
+jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische Aristokratie
+repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die
+sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen
+Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides
+nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat, welcher
+mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen und
+militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht
+regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war in dieser wie in
+jener Hinsicht das gleiche geschehen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Dahin fuehren teils das Auftretender &ldquo;Siculer&rdquo; gegen Marcellus
+(Liv. 26, 26 f.), teils die &ldquo;Gesamteingaben aller sizilischen
+Gemeinden&rdquo; (Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils
+bekannte Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden
+commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium noch
+keineswegs.
+</p>
+
+<p>
+^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den
+Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf
+roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch sind
+unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer- oder
+hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am besten
+gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die Mamertiner, die
+Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, wesentlich auch die Panormitaner
+haben nur Kupfer geschlagen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den
+italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein
+folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten
+abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer oder der
+Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen Gemeinden, mit denen
+eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug
+nicht auferlegt, sondern sie verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach
+Aufgebot des roemischen Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat
+verwendet werden konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische
+Truppen in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der
+Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes
+aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach Rom
+entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die Abgaben,
+welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig sich zahlen
+liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland
+war eine solche Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der
+Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer
+hatten laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach
+Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene
+Rechnung erhoben. &ldquo;Wir haben&rdquo;, sagt Cicero, &ldquo;die sizilischen
+Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie
+bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten, und unter
+denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher
+ihren eigenen Herren gehorcht hatten.&rdquo; Es ist billig, dies nicht zu
+vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die
+Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war
+das Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen
+Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben
+Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle
+Milderungen in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im
+einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht.
+Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte
+wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen
+Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in die
+italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen Freiheit von
+Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in finanzieller Hinsicht
+selbst noch guenstiger war als die der italischen Gemeinden. Es waren dies
+Egesta und Halikyae, welche zuerst unter den Staedten des karthagischen
+Sizilien zum roemischen Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen
+Binnenland, das bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu
+ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien
+griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem
+Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt,
+die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die
+abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts zu
+gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber durchschnittlich
+standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden nicht im
+bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger
+Untertaenigkeit.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die
+Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder
+latinischer bedienten und &ldquo;Auslaender&rdquo; nur hoechstens unter den
+Leichtbewaffneten verwendeten.
+</p>
+
+<p>
+^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die merkwuerdige
+Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in
+ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten
+Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu Rom
+uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den
+steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz
+zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger Weise
+zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen
+Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den italischen
+Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst der Neugruendung von
+Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und Sardinien rechtlich so wenig
+etwas im Wege wie in dem Lande jenseits des Apennin. Es konnten auch
+festlaendische Gemeinden des Waffenrechts entbehren und tributaer sein, wie
+dies fuer einzelne keltische Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter
+in ziemlich ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach
+ueberwogen die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande
+wie die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch
+zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen
+roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne
+Zweifel schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht
+bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort
+neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren.
+Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland, sondern
+sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben; dagegen der neu
+abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder, was dasselbe ist, das
+festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues und weiteres Italien werden,
+das von den Alpen bis zum Ionischen Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies
+Italien als wesentlich geographischer Begriff mit dem politischen der
+italischen Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter,
+teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
+Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges Gebiet
+der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika geschah und
+geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie mit der weiter
+vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch vorzuschieben ^6.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem
+konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den
+Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert in
+mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse Priester Rom
+nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin ausgelegt, dass es
+ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51;
+Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59).
+Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift,
+dass der Konsul nur &ldquo;auf roemischem Boden&rdquo; den Diktator ernennen
+duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz
+Italien in sich (Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen
+den Alpen und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen
+und einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst
+Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im
+sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als
+&ldquo;Amtsbezirk&rdquo; (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt
+wird. Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter
+allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten
+unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst durch
+Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats festgestellte
+Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne norditalische Landschaften
+oder auch Norditalien ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen
+worden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete
+Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet
+worden war (510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der
+Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen sorgte
+schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen
+Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der
+makedonische, war unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer
+durch die Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden
+und kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie
+sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen
+Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich
+anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das
+merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem
+Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen,
+den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg.
+507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den
+letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den
+hellenistischen Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und
+verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier.
+</p>
+
+<p>
+Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte
+bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im
+Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die
+aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich hielten selber
+einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals
+eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend,
+dass sie allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der
+Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler,
+versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler
+darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort
+erteilten, ging das antiquarische Interesse der roemischen Herren doch
+keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die
+Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239).
+</p>
+
+<p>
+Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge
+begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste
+bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen
+sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen
+den Seekrieg und ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als
+billig gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung
+Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der
+Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten
+seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen
+Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und Nordalbanesen,
+zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil vereinigt; mit ganzen
+Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten
+&ldquo;liburnischen&rdquo; Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen
+jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen
+Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen
+Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich von Avlona am
+Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den
+Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten
+Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb
+freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine
+unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die Kuesten
+unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen
+hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den
+Seeraeubern und deren griechischen Bundesgenossen geschlagen; die
+Korsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra
+(Korfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der
+altverbuendeten Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer
+noetigten endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
+schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem Koenig
+Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur Antwort, dass nach
+illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die Regierung
+nicht das Recht habe, der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius Coruncanius
+erwiderte, dass dann Rom es sich angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein
+besseres Landrecht beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr
+diplomatischen Replik wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des
+Koenigs, einer der Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der
+Moerder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
+525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit einer
+Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, waehrend diese
+die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die
+Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes fuehrte, musste, in ihrem letzten
+Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren
+von Skodra wurden wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches
+engbegrenztes Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen
+Staedte, sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos,
+die Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
+suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten kuenftig
+illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte nicht ueber zwei
+zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem Adriatischen Meer war in
+der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch
+die rasche und energische Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging
+weiter und setzte sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra
+wurden tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
+wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
+getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse eingesetzt;
+die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der
+Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknuepft.
+Diese Erwerbungen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres waren nicht
+ausgedehnt genug, um einen eigenen Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach
+Kerkyra und vielleicht auch nach anderen Plaetzen scheinen Statthalter
+untergeordneten Ranges gesandt und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den
+Oberbeamten, welche Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7.
+Also traten gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im
+Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch
+anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen
+Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht gewaehrten;
+die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen Handelsstaedte, sahen in
+den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel, was sie konnten, sich des
+maechtigen Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Griechenland, war
+nicht bloss niemand imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf
+allen Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die
+Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der
+streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre
+Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen
+zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich
+schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen
+muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die
+Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen
+Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. 22,15, 6
+(falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher von Issa bei Liv.
+43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des Praefectus pro legato insularem
+Baliarum (Orelli 732) und des Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es
+scheint danach ueberhaupt in der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein,
+fuer die entfernteren Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese
+&ldquo;Stellvertreter&rdquo; aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten
+voraus, der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur
+die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien
+und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden
+Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern des spaeteren
+roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu Caesars Verwaltungssprengel mit
+gehoerte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu
+protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man
+nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause
+des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem,
+wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich
+erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der
+kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl
+er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre
+spaeter der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog,
+im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von
+den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte
+Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios&rsquo; Truppen fochten mit in
+Antigonos&rsquo; Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos
+starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess
+es geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten
+Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig aus
+seinem Reiche trieb (535 219).
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war tiefer
+Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241)
+ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem
+Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch
+eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze
+Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb
+Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich
+gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise wie das
+eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier
+ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und
+die einzelnen Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder
+als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen,
+wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna
+bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po
+behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis
+Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die
+Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische
+Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit
+einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und
+Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts
+vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl
+illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im
+Besitz; zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um
+Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und wohl
+stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der
+bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss
+mit den kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer,
+teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die
+Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare
+Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas,
+waren nach wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die,
+wohl gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig
+und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet
+in den weiten Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man
+durfte erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu
+bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen
+in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu
+regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue
+begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im
+Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und Galatas,
+freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner aufgefordert, mit
+ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt
+und im Jahre 518 (236) lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es
+lange nicht gesehen hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um
+die Schlacht zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu
+gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von
+Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des Brennus
+wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem Krieg ein Ende,
+bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, unzufrieden mit den ungebetenen
+Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel
+mit den Transalpinern; es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener
+Feldschlacht, und nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten
+erschlagen waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den
+Roemern in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den
+Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward
+vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede gewaehrt
+(518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den Wiederausbruch des
+Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser durch die Abtretung
+Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die richtige Politik der
+roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen so rasch und so vollstaendig
+wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor
+einer solchen roemischen Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes
+die Roemer beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
+Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste (522
+232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt gemacht hatten,
+sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Rom um den Besitz der
+Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das Wahrscheinlichste ist, dass das
+ungeduldige Kelterwolk wieder einmal des Sitzens muede war und eine neue
+Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den
+Venetern hielten und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche
+italische Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern
+Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder
+vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu
+Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin zu
+(529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht versehen
+und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung der roemischen
+Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen Stammesgenossen
+geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange
+vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland
+ueberschwemmt; die Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der
+Glaube, dass Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom
+Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge
+so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde
+hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen
+und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine
+gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen. Daneben
+traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen Heeren, deren
+jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter
+Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei
+Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem
+zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom
+verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat
+zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von
+den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde
+auf seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr
+der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren,
+bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine
+Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten
+Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und
+Kriegsmaterial zusammengebracht.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als &ldquo;die Kelten in den Alpen und an
+der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte)
+nenne&rdquo;, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich
+ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und
+erst die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die
+Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus &ldquo;Germanen&rdquo; zu machen.
+Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige
+Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste Erwaehnung
+dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die spaeter so genannten
+deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen keltischen Schwarm.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und
+wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den Apennin
+kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen des tuskischen
+Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen sie bei Clusium, drei
+Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in
+der Flanke erschien, waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der
+Ueberschreitung des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem
+Marsch der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich
+gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk
+ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse
+gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die
+Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische
+Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte sie, dass
+der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben
+darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk
+empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet
+und aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem
+Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel
+Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das
+konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der
+Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der
+beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu vernichten,
+war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, zunaechst die
+betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen
+zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste
+und marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt
+fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und,
+da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben
+Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in
+Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) trafen sie
+auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der
+grossen Strasse vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus
+selber gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so
+bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem
+Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit
+vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein
+Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und
+ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von beiden
+Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. Mutig stellte
+dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen
+des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier gegen das sardinische
+Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang.
+Die Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die verzweifelte
+Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die
+Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den Geschossen der
+roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere Staehlung der
+roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff
+der siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen
+entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei roemischen
+Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig
+Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld;
+Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod
+gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die Wiederholung
+solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der
+Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224)
+sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit
+war das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe
+kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in
+dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531 223);
+allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am anderen Ufer
+erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im Ruecken, in einer so
+gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um freien Abzug kapitulierte, den die
+Insubrer toerichterweise zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom
+Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
+Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es sich
+jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen Feldzeichen,
+&ldquo;die unbeweglichen&rdquo; genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, 50000
+Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser war
+gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht dem Oglio),
+von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer den Beistand im
+Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die unsichere Freundschaft der
+Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen
+fechtenden Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den
+Insubrern gegenueber, stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab,
+um von den unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur Heimat
+durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen Waffen und
+der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch;
+wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen Fehler gutgemacht.
+Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen
+den gerechten Beschluss des Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern
+haetten die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte
+Unterwerfung, und so weit war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe
+der noerdlichen Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen
+Soeldnern derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im
+folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige
+einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei
+einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium
+(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der gallische
+Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer
+halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer
+entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der
+Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der
+Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig besiegt, und
+wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied
+zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie
+jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub
+zu wahren wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen
+inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie
+Griechenland zerrissen dastand.
+</p>
+
+<p>
+Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po entweder
+den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von
+abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die
+Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man
+verfuhr dabei nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens
+und in den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
+ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
+namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen mehr
+Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler den Roemern
+sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier kaum mehr als ein
+Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) scheint nicht viel mehr
+bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu
+vernichten und laengs der Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den
+Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen.
+Dagegen die Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung
+rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation
+nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen
+Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre
+Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. Die
+ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte Gebiet
+zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt, die ohne
+kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf
+diesem Wege ging man weiter, und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem
+Ackerbau nur nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende
+Bevoelkerung, wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse
+Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli
+nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium
+(514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der
+Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei
+Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von Fanum
+(Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den
+Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig
+beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu
+bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem rechten
+Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am
+linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der
+Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere
+Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches
+Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Hamilkar und Hannibal</h2>
+
+<p>
+Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen
+teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den
+Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der
+geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung
+hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die saemtlichen
+Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer zu monopolisieren,
+sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher
+ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens
+Verlust fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem
+phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen
+sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen
+vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den
+Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man
+frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien,
+die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und wohlgemut zu
+leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens dies blieb?
+</p>
+
+<p>
+Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er forderte,
+zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den
+Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte, jetzt
+von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des
+Feindes oder ein besonderer Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft
+verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen,
+dass dem Frieden die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die
+oeffentliche Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein,
+dass Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm
+genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
+Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, dass die
+Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden, den
+afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber doch zu vertilgen?
+</p>
+
+<p>
+Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen Waffenstillstand
+betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung fuer die unvermeidliche
+Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht
+einmal zunaechst, um das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine
+nicht von dem Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten.
+Allein wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach
+unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren,
+entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich
+sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die
+politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken moechten,
+ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse der Geldesknechte,
+der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur Zeit zu gewinnen, nur in
+Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis
+hinauszuschieben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und
+eine Kriegspartei, die beide wie natuerlich sich anschlossen an den schon
+zwischen den Konservativen und den Reformisten bestehenden politischen
+Gegensatz: jene fand ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten
+und der Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
+diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, und in
+den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars
+Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten
+einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen
+schien. Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als
+der libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon
+erzaehlt worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige,
+alle Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
+angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems
+diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und endlich durch ihre und
+namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers Hanno militaerische Unfaehigkeit
+das Land an den Rand des Abgrundes gebracht worden war, ward der Held von der
+Eirkte, Hamilkar Barkas, in der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht,
+sie von den Folgen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando
+an und dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm
+den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimschickte,
+vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte der Regierung zum
+zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und trotz der Feinde wie trotz des
+Kollegen durch seinen Einfluss bei den Aufstaendischen, seine geschickte
+Behandlung der numidischen Scheichs, sein unvergleichliches Organisatoren- und
+Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen
+und das empoerte Afrika zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237).
+</p>
+
+<p>
+Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie
+um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und
+Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre
+Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; anderseits
+zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom dabei
+einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der
+roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago
+unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser
+notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur Folge haben
+muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an der Zukunft des
+Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen
+Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es,
+ohne die Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das
+Vorrecht, aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung zu
+schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es
+blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten
+schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer
+gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen Reform ^1.
+Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man sich hinreichend
+ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll
+vergessen noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans
+Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess
+machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der
+Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. Wenn der
+Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle dieses Missregiments
+haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago selbst schwerlich auf grosse
+Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf desto groessere in Rom, mit dem die
+regierenden Herren von Karthago schon in Verbindungen standen, die an
+Landesverrat grenzten. Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die
+hinzu, dass die Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten,
+ohne dass weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht
+darum gewahr wurden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, sondern
+auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen Friedenspartei die
+der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in unsern zertruemmerten und
+getruebten Berichten - die wichtigsten sind Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp.
+4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen die Verhaeltnisse der Parteien deutlich
+genug. Von dem gemeinen Klatsch, mit dem die &ldquo;revolutionaere
+Verbindung&rdquo; (εταιρεία τών πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern
+beschmutzt ward, kann man bei Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen
+suchen, vielleicht auch finden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen
+Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und
+durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen Krieges
+an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und Hamilkar, den
+ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf
+unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass er eine von den
+Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine verfassungswidrige
+monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er
+nur von der Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden
+durfte ^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der
+Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten
+oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem
+Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das
+Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet
+deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und behandelte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die
+Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert
+bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago
+hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die
+Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst
+war im Binnenland die &ldquo;Stadt der hundert Tore&rdquo; Theveste (Tebessa)
+von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem
+neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher Bedeutung,
+dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in ihrem naechsten Kreise
+gewaehren liess, zu den darueber von der Volksversammlung getroffenen
+Beliebungen haette stillschweigen koennen, waehrend die Roemer die Tragweite
+derselben vielleicht nicht einmal erkannten.
+</p>
+
+<p>
+So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und im
+libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder keinen zum
+Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm ist vielleicht
+niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden.
+Das Heer sollte den Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische
+Buergerwehr hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht
+schlecht geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die
+Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt,
+einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu
+bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere,
+aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse vertreten
+- Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige libyphoenikische
+Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus den libyschen
+Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar moeglich
+war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten puenktlich und reichlich den
+Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkuenfte in
+Karthago selbst zu viel noetigeren Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen
+den Feind fechtenden Heere, hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also
+dieser Krieg sich selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf
+dem Monte Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar
+war nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche
+und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende
+Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und mochten
+deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und
+durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In
+einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie
+das ueberall selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber
+Hamilkar fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren
+durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich
+sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige
+Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten. So
+genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu retten, zu
+erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der Verhassten seines
+Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und Schweigsamkeit die
+unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, den verachteten
+Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen
+Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen
+gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von
+innen, auf die Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich
+beide taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten
+zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig
+dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich
+schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er
+schien zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht
+vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der
+Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal
+hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen
+Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne Hasdrubal und
+Mago, die &ldquo;Loewenbrut&rdquo;, wie er sie nannte, im Feldlager auf als die
+Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses.
+</p>
+
+<p>
+Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung des
+Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er schien einen
+Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das
+besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die
+Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm
+man, er sei bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien
+gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts
+zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen
+Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen
+Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal aufstanden,
+trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu Paaren, dass auf
+lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher unabhaengige Staemme sich
+bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im
+einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach
+Hamilkars Tode in Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen
+sie trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben
+Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im
+allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den
+neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist, bis
+er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand,
+wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann
+waehrend der naechsten acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und
+seiner Plaene, sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne
+des Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den
+Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der
+spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte,
+ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst
+begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt. Die
+schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden phoenikisches
+Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an dem einzigen guten
+Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit
+des Gruenders praechtiger &ldquo;Koenigsburg&rdquo;; der Ackerbau bluehte auf
+und mehr noch die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen
+von Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill.
+Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden
+abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die
+Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische
+Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine
+Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht
+bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und fuer die
+Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte zugleich die
+Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen
+statt; die Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps;
+von den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man
+begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat
+und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte
+Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den tapferen
+Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen Reiterei ein
+brauchbares Fussvolk.
+</p>
+
+<p>
+Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft
+regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie
+noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien
+und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit
+seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es
+sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars Fall,
+bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien durchzusetzen, und
+die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen
+musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere
+und den Poebel zu schelten.
+</p>
+
+<p>
+Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich
+eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der Untaetigkeit
+der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen
+der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die Hauptursache gewesen ist,
+weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst
+wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die
+Erklaerungen, mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um
+Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien
+entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die
+roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat
+unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von Hamilkars
+Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den Handel der verlorenen
+Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt einen Angriffskrieg der
+Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens von Spanien aus, wie das
+sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze Lage der Sache bezeugen, fuer
+schlechterdings unmoeglich. Dass unter der Friedenspartei in Karthago manche
+weiter sahen, versteht sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich
+sehr geneigt sein, ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die
+karthagischen Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde
+aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen;
+und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen
+mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die
+unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in
+Spanien die Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr
+denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat
+Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres
+jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
+halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder Saguntum
+(Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, und indem sie den
+karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis setzten, wiesen sie ihn
+zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu ueberschreiten, was auch zugesagt ward.
+Es geschah dies keineswegs, um einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu
+hindern - den Feldherrn, der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln
+-, sondern teils um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die
+gefaehrlich zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den
+freien Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
+seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, dass eine
+Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer den
+bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit der Senat
+sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen Ereignissen schwerlich
+groessere Nachteile, als dass man genoetigt werden koenne, einige Legionen nach
+Spanien zu senden, und dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser
+versehen sein werde, als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest
+entschlossen, wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar
+nicht anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu
+beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in den
+ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die Kriegserklaerung
+abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von dem Freunde und Feinde
+urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm gestorben seien, endlich in den
+letzten Jahren, wo der Senat allerdings zu begreifen anfing, dass es nicht
+weise sei, mit der Erneuerung des Krieges noch lange zu zoegern, der sehr
+erklaerliche Wunsch, zuvor mit den Galliern im Potal fertig zu werden, da
+diese, mit der Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den
+Rom unternahm, benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften
+aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
+Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
+Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
+versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die spanischen
+Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich ist das Verhalten
+Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich leugnen, dass der
+roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat -
+Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen
+Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst
+mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine
+grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die
+Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind.
+</p>
+
+<p>
+So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum
+Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine
+stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte Augenblick, die
+rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der Fuehrer. Der Mann, dessen
+Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg
+zur Rettung gebahnt hatte, war nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu
+betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der
+Zeitpunkt noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr,
+sich der Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir
+nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von Moerderhand
+gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heeres an
+seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger
+Mann - geboren 505 (249), also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er
+hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im
+entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des
+Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
+Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager gefolgt;
+bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Koerper machte aus
+ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter;
+sich den Schlaf zu versagen, griff ihn nicht an und Speise wusste er nach
+Soldatenart zu geniessen und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen
+Jugend besass er die Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im
+Griechischen brachte er, wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung
+seines Vertrauten Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in
+dieser Sprache selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das
+Heer seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
+tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er unter
+seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch glaenzende
+persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich ausgezeichnet. Jetzt
+rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an
+ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager
+gelebt und gestorben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine
+Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen
+versucht: den Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich
+hasste er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr,
+dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben.
+Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben,
+sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von schlechten
+Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld
+seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des
+Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber ihn
+nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach dem damaligen
+Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass
+er wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft
+miteinander zu vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die
+erfinderische Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen
+Charakters bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte
+und Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der Gegner
+studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage ohnegleichen - er
+hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er von den Vornahmen des
+Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man haeufig in Verkleidungen und mit
+falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie
+zeugt jedes Blatt der Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner
+staatsmaennischen Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine
+Reform der karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss
+bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der
+oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, beweist
+seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und vielsprachiges Heer,
+das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein
+grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller.
+</p>
+
+<p>
+Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den Beginn
+des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland noch in Gaerung
+war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der Tuer schien, ungesaeumt
+loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die
+Roemer ihn begannen, wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein
+Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
+gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als Lust, die
+Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des patriotischer
+Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen als der Platz des
+Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des Friedens hatte jetzt daheim die
+Oberhand und verfolgte die Fuehrer der Kriegspartei mit politischen Prozessen.
+Sie, die schon Hamilkars Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war
+keineswegs gemeint, den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien
+befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und
+Hannibal scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit
+gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner
+zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu
+fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun diese
+durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein die
+Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien, um in
+Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass Hannibal
+schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon
+traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig
+mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die
+Gruendung der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den
+Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom sich an,
+im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar;
+Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die
+Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie
+darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im Fruehjahr
+535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg
+gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen
+nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle
+&ldquo;angesehenen Maenner&rdquo;, heisst es, missbilligten den &ldquo;ohne
+Auftrag&rdquo; geschehenen Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von
+Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die
+naehere Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass
+man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan,
+zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein bestimmtes
+Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu nichts zu
+entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch fuehren zu lassen.
+Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte sich zu verteidigen
+verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen Teil der Energie ihrer
+Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung
+Sagunts mit dem elenden illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten
+sie, Herren der See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des
+zugesagten und nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine
+andere Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
+erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, ward der
+Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon bisher nichts
+gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede Versoehnung mit Rom ab. Als
+daher nach der Zerstoerung Sagunts eine roemische Gesandtschaft in Karthago
+erschien und die Auslieferung des Feldherrn und der im Lager anwesenden
+Gerusiasten forderte, und als der roemische Sprecher, die versuchte
+Rechtfertigung unterbrechend, die Diskussion abschnitt und, sein Gewand
+zusammenfassend, sprach, dass er darin Frieden und Krieg halte und dass die
+Gerusia waehlen moege, da ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass
+man es ankommen lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot,
+nahm man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
+Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den Winter
+535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, um alles teils
+zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von Spanien und Afrika; denn
+da er wie sein Vater und sein Schwager den Oberbefehl in beiden Gebieten
+fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen.
+Die gesamte Masse seiner Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss,
+16000 zu Pferd; ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte
+Fuenfdecker ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen.
+Mit Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
+karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser einigen
+phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst ausgehobenen
+karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue der letzteren sich zu
+versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen ein Zeichen des Vertrauens,
+allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen Winters; den Libyern versprach der
+Feldherr, der den engherzigen phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte,
+eidlich das karthagische Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika
+zurueckkehren wuerden. Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die
+italische Expedition bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere
+Teil nach der Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere
+an die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann
+zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten,
+ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment
+uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar
+karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die Hauptstadt
+im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien, wo neue
+Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, fuer jetzt eine
+maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker
+Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort
+zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen
+zwischen Spanien und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und
+Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue
+der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der
+spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer
+Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach Spanien,
+die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach Karthago kamen. So war
+fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff anlangt, so sollte
+von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord
+nach der italischen Westkueste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25
+Segeln womoeglich sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass
+von Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit der
+Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne Zweifel
+schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender Angriff auf Rom
+war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom
+seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann, so gewiss durfte auch
+Karthago sich nicht von vornherein entweder auf ein sekundaeres
+Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung
+beschraenken - die Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche
+Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die Halbinsel
+zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein
+verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische Expedition mit
+strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren Operationsbasis, als
+Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte
+Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer beherrschte. Aber
+ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgendein
+haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der
+hellenischen Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu
+erwarten, dass sie jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin
+zusammenbrechen werde; zwischen dem roemischen Festungsnetz und der
+festgeschlossenen Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel
+erdrueckt. Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was
+fuer Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
+ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden
+Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, um die
+eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs- und Chausseenkette
+legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in
+seinen Reihen zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als
+Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege
+mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig
+machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme
+bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Roemer
+sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben
+in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das
+durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte,
+stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das
+roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern
+vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser
+hatte den Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war,
+die Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
+gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles nach
+Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet gewesen, zeigt die
+karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer grossen Verwunderung im
+Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.
+</p>
+
+<p>
+Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab;
+denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit Massalia eine
+Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat die Folge bewiesen. In
+unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage genuegend zu entscheiden, nicht
+wenige Faktoren, auf die es ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung
+ergaenzen lassen. Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm
+unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des
+Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die
+unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer
+anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die Berge
+haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen, wie viel
+geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette
+der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf
+der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und
+Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten.
+</p>
+
+<p>
+So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit dem
+Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und
+12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier -
+die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu
+imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie
+das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von
+Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser
+zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie die des
+feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu
+bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena
+auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den
+Kelten angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges liess
+er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen militaerischen
+Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere
+Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite
+folgte; und die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die
+Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren
+Heimat, das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn und
+seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen
+aller.
+</p>
+
+<p>
+Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in festgegruendeten
+und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man wollte, wusste man wohl;
+es geschah auch manches, aber nichts recht noch zur rechten Zeit. Laengst
+haette man Herr der Alpentore und mit den Kelten fertig sein koennen; noch
+waren diese furchtbar und jene offen. Man haette mit Karthago entweder
+Freundschaft haben koennen, wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich
+einhielt, oder, wenn man das nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen
+sein; jener Friede ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen
+und Karthagos Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert
+regenerieren. Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen
+Gewinn hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die
+Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben;
+ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der Krieg, zu
+dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und im wohlbegruendeten
+Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang
+der naechsten Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer
+Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig
+minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel
+der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220
+Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr,
+hatte keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende
+entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden
+Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg
+eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere Wendung der
+Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige Landung in Spanien in
+den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den
+Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch
+Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war,
+vor allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel;
+allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht
+Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte Rom zur
+Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das Land zwischen dem
+Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften nicht bloss die
+natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern auch von roemischen
+Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen schleunigen Beistandes
+empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel
+weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten
+foermlichen Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen,
+konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.
+</p>
+
+<p>
+Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte fuer
+den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul Publius Cornelius
+Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, und als am Po ein
+Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung bereitstehende Heer dort
+verwenden und bildete fuer die spanische Expedition neue Legionen. So fand
+Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen;
+mit diesen ward er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch
+kostbarer war als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner
+Armee in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass
+durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal
+aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung
+selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug
+nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt haben
+muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet worden.
+Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches
+&ldquo;Koenigreich&rdquo; aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu
+werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung
+Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur Besetzung des
+neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen zurueckliess,
+beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm den Besitz Spaniens
+streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt haben wuerde, sich demselben zu
+entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus
+Spanien auch nur um einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der
+Winter die Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische
+Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab.
+</p>
+
+<p>
+An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen in die
+Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den
+Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefuehl steuern sollte,
+dass sein Unternehmen eines von denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit
+einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten,
+ward das Gebirg ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg
+ueber Narbonne und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils
+die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils die
+Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon gegenueber an die
+Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher Widerstand zu warten. Der
+Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte
+(etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spaet komme und
+Hannibal schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenaeen passiert habe.
+Auf diese Nachrichten, welche zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel
+Hannibals aufgeklaert zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische
+Expedition vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
+keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
+Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an der
+Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den Einmarsch in
+Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand gegenueber dem Punkte, wo
+er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der keltische Landsturm, waehrend der
+Konsul selbst mit seinem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in
+Massalia selbst vier Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten
+des gallischen Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das
+Heer mit der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
+bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass nicht
+einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den zahlreichen
+Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem Preise aufgekauft und
+was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen gezimmert; und in der Tat
+konnte die ganze zahlreiche Armee an einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend
+dies geschah, marschierte eine starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in
+Gewaltmaerschen stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb
+Avignon gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier
+ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um
+dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem
+Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages nach der
+Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen die
+Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer auf, fuer
+Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier,
+sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen
+eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht
+und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu
+wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht.
+</p>
+
+<p>
+Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die geeignete
+Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal durch die dringenden
+Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren
+Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung
+zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits
+die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die
+allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem
+sie in der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu koennen,
+einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das
+erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -,
+machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu
+erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen
+Avignon auf; allein als er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des
+Uebergangs der Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit
+drei Tagen abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit
+ermuedeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die
+&ldquo;feige Flucht&rdquo; des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum
+drittenmal durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
+Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten Fehler
+vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne irgendeine
+Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer einige Tage zuvor
+geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, den Fehler
+wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal diesseits der Rhone
+im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, dass er an die Alpen
+gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin mit seinem ganzen
+Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen war ueber Genua der Po zu erreichen
+- und mit seinem Korps die schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte
+er wenigstens dort dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht
+bloss verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es
+fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die
+militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden gemaess zu
+veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder Gnaeus nach
+Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach Pisae.
+</p>
+
+<p>
+Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
+Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt und den
+aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch den Dolmetsch
+hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen ungehindert seinen Marsch
+nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben er waehlte, darueber konnte weder
+die Kuerze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden,
+wenngleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den
+Weg musste er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die
+Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel,
+sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen konnte - denn obwohl Hannibal
+Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel auf Saumtieren sich nachzufuehren, so
+konnten bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann
+zaehlte, diese doch notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von
+dem Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn
+sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten
+in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenuebergaenge:
+der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in das Gebiet der Tauriner
+(ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und der ueber die Graische (Kleiner
+St. Bernhard) in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist
+der kuerzere; allein von da an, wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den
+unwegsamen und unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen
+Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens
+sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier
+angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen Provinz eine
+kuerzere Verbindung herzustellen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse
+geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische
+Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und
+Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die
+erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er
+sich in dem Tale der oberen Isère, das von Grenoble ueber Chambéry bis hart an
+den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht
+und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist.
+Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen
+Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; obwohl
+dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815
+ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss
+ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die
+grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die
+karthagische Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches
+Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm
+verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard
+wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet
+der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in
+Fehde lagen.
+</p>
+
+<p>
+So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf gegen das
+Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf dem naechsten
+Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von Valence nach Grenoble,
+sondern durch die &ldquo;Insel&rdquo; der Allobrogen, die reiche und damals
+schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone,
+suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies
+wieder deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes
+Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst fruchtbar ist
+und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch
+an der Rhone in und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in
+sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst
+wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen
+Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu
+verpflichten, dass derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene
+das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit
+Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste
+Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger
+gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt, waere fast
+der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte den Pass stark
+besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen Ueberfall zu vermeiden, und
+lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Haeuser der
+naechsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass einnahm. So war
+die Hoehe gewonnen; allein auf dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe
+nach dem See von Bourget hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und
+die Pferde. Die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die
+marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in
+Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit
+seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese
+zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, allein die
+Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch den Laerm des
+Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal
+sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und
+zugleich seinen Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu
+ersetzen. Nach einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee
+an der Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund
+durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage
+eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich
+das Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu
+sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans)
+mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie
+durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar
+am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch
+ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel
+des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils
+im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links den Pass einschliessenden
+Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein
+Hannibal, dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts
+gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche
+Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die
+Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten Fussvolk; die
+Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er nicht verhindern konnte,
+dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch
+geschleuderte oder herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten.
+An dem &ldquo;weissen Stein&rdquo; (noch jetzt la roche blanche), einem hohen,
+am Fusse des Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben
+beherrschenden Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der
+die ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu
+decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am
+folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die sich um
+einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung von etwa 2½
+Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die Entmutigung hatte
+angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu bemaechtigen. Die immer
+schwieriger werdenden Wege, die zu Ende gehenden Vorraete, die Defileenmaersche
+unter bestaendigen Angriffen des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten
+Reihen, die hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der
+Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende
+Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu wirken.
+Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich; zahlreiche
+Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier waren nah, die
+Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den
+absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu
+dem letzten und schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden
+ward das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte
+Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das
+Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf
+dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der frischgefallene
+Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen
+und Tiere und stuerzten in die Abgruende; ja gegen das Ende des ersten
+Tagemarsches gelangte man an eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf
+welche von den steil darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen
+hinabstuerzen und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das
+Fussvolk kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
+Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees sich
+hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den Elefanten
+nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag
+bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg fuer Pferde und
+Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger
+Abloesung der Haende konnten endlich die halbverhungerten Elefanten
+hinuebergefuehrt werden. So war nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee
+wieder vereinigt und nach einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer
+breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die
+Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre
+Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September in die
+Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern einquartiert
+wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige Rast von den
+beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die Roemer, wie sie es
+konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei
+Turin gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so haette es misslich
+ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glueck fuer ihn waren sie wieder
+einmal nicht, wo sie sein sollten, und stoerten die feindlichen Truppen nicht
+in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften ^4.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
+Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als geloest
+gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren Wickham und
+Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten,
+moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen.
+</p>
+
+<p>
+Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, &ldquo;fingen die Spitzen
+schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken&rdquo; (Polyb. 3, 54); auf dem Wege
+lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht frisch
+gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem Bernhard
+beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August
+die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden sie fast gar keinen
+Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Bergabhaenge davon bedeckt.
+Hiernach scheint Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein;
+womit auch wohl vereinbar ist, dass er dort eintraf, &ldquo;als schon der
+Winter herannahte&rdquo; - denn mehr ist ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν
+(Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden
+(etwa 26. Oktober); vgl. C. L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831.
+Bd. 1, S. 241.
+</p>
+
+<p>
+Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist auch
+Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende Dezember (περί
+χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die
+Translokation des nach Afrika bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia.
+Es passt dazu ferner, dass in einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν
+(Polyb. 3, 34), also gegen Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht
+ward und der Marsch fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte.
+Wenn also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
+der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August eingetroffen,
+wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. 3, 41), also
+spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich sehr verweilt oder in
+Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit gesessen haben muss.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den
+9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
+Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der Gefechte,
+der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal zaehlte nach seiner
+eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss - davon drei Fuenftel Libyer,
+zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil wohl demontierte Reiter, deren
+verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht minder fuer die Trefflichkeit der
+numidischen Kavallerie spricht wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der
+der Feldherr diese ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien
+oder etwa 33 maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch
+keinen besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
+nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler des
+Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer kostete, sondern
+die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie einer laengeren Rast
+bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine militaerische Operation von
+zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage gestellt werden, ob Hannibal sie
+selber als gelungen betrachtete. Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen
+Tadel des Feldherrn knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten
+Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie
+vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob
+ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena oder
+Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde.
+Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf
+jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr
+durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn,
+Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt
+zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und
+Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und grossartiger war als die von York und
+Bluecher, so hat auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte
+Glied der grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die
+Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am
+Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</h2>
+
+<p>
+Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem
+Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt.
+Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort
+schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich.
+Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach
+Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische
+Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach
+Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm
+zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen
+aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu
+ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren
+gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen
+Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika
+ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien
+operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und
+dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen Inseln
+vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische Kueste
+brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes an
+der afrikanischen Kueste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl
+des Senats, so schleunig wie moeglich zur Verteidigung der Heimat
+zurueckzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybaeon.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an Zahl
+gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war man
+hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein
+roemisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der
+karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gruendung der beiden
+roemischen Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten
+erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen
+Lande hatten schon im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten
+Zeit, die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort
+anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
+ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius
+Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig mit seiner
+einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in
+den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes uebrig,
+als sich auf einem Huegel festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls
+belagern zu lassen, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor
+Lucius Atilius Heer und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand
+fuer den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
+einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, Hannibals
+Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, dass er das Potal
+nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. Allein das roemische Korps,
+dessen zwei stark dezimierte Legionen keine 20000 Soldaten zaehlten, hatte
+genug zu tun, die Kelten im Zaum zu halten, und dachte nicht daran, die
+Alpenpaesse zu besetzen, deren Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im
+August der Konsul Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien
+zurueckkam, und vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne
+Beginnen allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
+Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer Vorposten;
+Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner,
+die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger Belagerung zu erstuermen und
+alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen Potal zum Buendnis zu
+bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen
+hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit
+einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das
+Vordringen der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich
+regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
+ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, waehrend
+Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, um den
+Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der
+Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, die mit dem leichten
+Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu
+gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in
+Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes
+an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt
+war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend
+diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte
+numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen
+Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken und
+den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr
+betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr
+gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur
+der Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde
+hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater heraushieb.
+Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff
+den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der
+Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter
+den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die
+Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der
+roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes
+militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan
+seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Waehrend
+Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch
+entworfenen und sicher ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit
+verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab,
+wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
+Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der
+obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem nicht verwehrt
+werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer Schiffbruecke uebersetzte
+und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat.
+Dies hatte in der Ebene vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die
+Meuterei einer keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs
+neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen
+und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften
+Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem
+Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser
+starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den
+Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit
+nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von
+Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee
+abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller
+gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen nicht
+abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe
+genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte
+die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen
+durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar
+dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen Heer, das
+mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten
+durch das insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen
+und mit der Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige
+Aufgabe vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an
+40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an
+Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand,
+um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den
+Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder sein
+Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die laestigen
+Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war
+es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem
+Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius
+Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte
+und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und
+versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen
+keltischen Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht
+sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen.
+Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet,
+zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten
+Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese wich
+langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die hochangeschwollene
+Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die
+roemische Vorhut fand sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner
+zur Schlacht geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das
+Gros der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und
+durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen;
+die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die
+leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen das
+Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei sich
+verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die Reiterei, welche die
+Elefanten von vorn bedraengten und die weit zahlreicheren karthagischen Reiter
+links und rechts ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich
+seines Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten
+Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die
+Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den
+Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu
+kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu
+bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, 1000 Mann
+zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago, Hannibals
+juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der roemischen Armee und
+hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Fluegel der Armee und die
+letzten Glieder des roemischen Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest
+und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng
+zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde
+sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den
+gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe gelangte also,
+nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse ward zum groessten Teil
+bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, von den Elefanten und den
+leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und
+einige Abteilungen des Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu
+gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da
+gleichfalls Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr
+Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
+gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht
+vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
+Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen sich
+einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg teuer zu
+stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die keltischen
+Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge des rauhen und
+nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten
+Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen einzigen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Polybios&rsquo; Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen
+klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den
+Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend das
+roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl bestritten
+worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so mussten allerdings die
+roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die
+Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die
+aufgeloesten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps
+sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss
+ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia
+bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere
+Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung
+angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass
+hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer
+von der placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die
+erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also,
+Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt,
+dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6),
+ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken.
+</p>
+
+<p>
+Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische Lager
+auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist
+neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert
+werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch
+Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale
+Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte.
+Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und
+Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre Zufuhren
+auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul
+Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp
+der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in
+der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte,
+bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher
+Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch
+Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische
+Positionen den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den
+gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000
+Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.
+</p>
+
+<p>
+Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine ausserordentlichen
+Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit Unrecht, trotz der
+verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser
+den Kuestenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den
+Verstaerkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln
+Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um
+die vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
+verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb an den
+beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und von denen die
+westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum endigte; jene
+besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die Truppen
+aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und erwarteten
+den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die Apenninpaesse zu
+besetzen und, zur Offensive uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa
+bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die
+Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die
+Roemer selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der
+Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er
+wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen
+roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu erreichen sei,
+sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag
+klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und
+unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in Italien zunaechst nur auf das
+schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische
+Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln
+ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische
+Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und
+der glaenzende Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen
+erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals
+ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel
+des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu
+fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen Erfolgen,
+sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung und der endlichen
+Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war
+notwendig, weil das einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die
+Waagschale zu werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins
+Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen
+deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel
+war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige
+Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale ueberwand
+und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer den Karthagern
+ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen Feldherren. Dass Hannibal
+selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie hierueber getaeuscht hat, ist
+bewunderungswuerdiger als seine bewundertsten Schlachten.
+</p>
+
+<p>
+Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn nicht
+bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene
+Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und den
+Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen
+sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten
+- dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die
+Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark
+uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne
+Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien
+Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte
+Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten
+der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. In der Tat
+bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch
+die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der
+etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur
+Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie
+es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang
+ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde,
+ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen
+zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die
+Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu
+marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen trockenen
+Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen
+Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische
+Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen
+marschierte; es murrte laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn
+nicht die karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die
+Flucht unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche
+ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal
+selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward
+erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch bei
+Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren. Nachdem die
+roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Konsul, der
+vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu verteidigen, aber
+sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts
+Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig
+gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein
+politischer Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu
+beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner
+Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert,
+durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian
+fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte, berauscht
+zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem
+bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit der fixen Idee
+behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer
+von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige
+Soldaten oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und
+seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius
+Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein
+schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat
+verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von
+unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der
+Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier ueberstieg. Zum
+Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen,
+marschierte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten, die das Pluendern
+gruendlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher
+brandschatzen. Die Klagen und die Erbitterung der Menge, die sich musste
+auspluendern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu bereichern
+versprochen; das Bezeigen des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den
+Entschluss zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen,
+mussten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln
+und dem unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
+ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des
+Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen
+Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau
+unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte, sein
+Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen Bergwaenden,
+das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der Trasimenische See schloss. Mit
+dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Truppen und die
+Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die
+roemischen Kolonnen in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg
+ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
+Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss die
+Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes und auf den
+Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel ueberall phoenikische
+Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine Niederlage. Was ausserhalb des
+Defilees geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt, der
+Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten,
+darunter der Konsul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der
+roemischen Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das
+feindliche Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der
+Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer,
+marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem
+Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt
+und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal
+verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer waren
+gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war vernichtet; der
+geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier
+^2. Und als waere dies nicht genug, so ward gleich nach der Schlacht am
+Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius
+Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend,
+vorlaeufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen
+Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
+verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort machte man
+sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken ab und ernannte
+den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu setzen und
+die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein Reserveheer gebildet ward. Zugleich
+wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und
+die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand
+gesetzt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach
+dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur
+nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1)
+niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon
+in dieser Zeit in Rom sehr arg.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom;
+auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee
+mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten und
+vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es geschah
+wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren
+Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte
+entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und
+machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem
+Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier
+hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schoenen
+Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in
+roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen
+Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange
+unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine
+Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich
+wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, brach er
+auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das suedliche Italien
+hinein.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich
+jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die
+Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter
+Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des
+feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein
+militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu machen, den
+unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenueberzustellen. Allein
+seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern,
+erfuellte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten
+Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten,
+kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in
+militaerischer Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen
+Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert.
+Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige
+italische Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer
+viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig
+es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen,
+ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog
+die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen,
+und als Hannibal an der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi
+marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen
+Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus
+Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die
+nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der
+guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des
+Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und
+Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius
+Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die
+Spitze der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen,
+um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden
+Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten
+Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange das
+roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht schwer halten
+werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht
+zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen
+Spionen in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und
+richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des
+feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den
+Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an
+der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das
+als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen Staedten und
+die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck des roemischen
+Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen
+angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen
+liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich
+wendend schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend
+dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte
+seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand
+zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen
+pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. Endlich
+eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich herbeigewuenschte
+Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten,
+sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem
+linken Ufer des Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die
+kroenenden Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von
+4000 Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein
+Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der
+Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit
+angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es schien, als
+zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei Fackelschein ab.
+Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere
+Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben
+Anhoehen; auf der dadurch freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros
+seiner Armee ab, ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne
+Muehe und mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
+und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
+nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
+Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne
+Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller
+Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen
+sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen Widerstand, aber
+nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, dass ihm nichts uebrig
+blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er
+die schwierige Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von
+den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache
+nordapulische Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von
+seiner ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er
+hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von
+Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres
+taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend Hannibal mit
+dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu
+decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der im roemischen Lager in
+Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die
+Gelegenheit geeignet, um naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager
+im larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die
+Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres
+hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen
+einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden,
+die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte,
+sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die
+begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der
+Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es
+war, sich roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem
+Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein
+seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete,
+unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien
+ungehindert zu verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten
+Massstab sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius
+Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden,
+und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine
+Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff gab. Es
+war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht wankten, als ihnen
+Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe
+so fuehlbar dartat; allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache
+Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und
+ihrer eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische
+Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser
+Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen
+Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls
+dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten Niederlagen
+entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig ehrenvolle Aufgabe, die
+sein Feldherr, &ldquo;Hannibals Lakai&rdquo;, ihm zuwies, und verlangte mit
+lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es kam zu den heftigsten
+Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann;
+seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius
+Varro, bemaechtigten sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der
+Diktator tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das
+Palladium der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen
+Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
+sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, in
+Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu beseitigen, in
+gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn
+Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die roemische Armee, nachdem ihre
+gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig
+beseitigt worden war, nicht bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze
+der beiden Haelften Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu
+entgegengesetzte Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr
+als je bei seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen
+Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit
+geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier sein
+Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps groesseres
+Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab dem System des
+passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in
+diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden
+konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der stuermische
+noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine Verproviantierung war,
+wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im wesentlichen so vollstaendig
+gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde
+vorueberging. Nicht der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege
+seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass der
+Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium
+dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us)
+C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden
+worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die
+roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus und
+die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug anboten - die
+letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen italischen
+Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, wurden mit Dank
+abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, dass sie nicht saeumen
+moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den Koenig von
+Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die
+Majoritaet des Senats war trotz der Quasilegitimation, welche die letzten
+Ereignisse dem Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen,
+von dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden
+Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner energischeren
+Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache
+darauf, dass man eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen
+gegeben habe. Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer
+aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein
+Fuenftel ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl
+Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken.
+Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal
+bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimat
+zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur darauf an,
+auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des
+Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten
+die Diktatur und ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke
+ging, wohl nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat
+den Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
+Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
+angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst recht rege
+machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner Kandidaten durch, den
+Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) den Illyrischen Krieg
+verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure Majoritaet der Buerger gab ihm zum
+Kollegen den Kandidaten der Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen
+Mann, der nur durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich
+als Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, und
+den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe
+Unverschaemtheit.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen wurden,
+hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es
+gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den
+Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der
+Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den
+Aufidus und nahm das Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die
+canusinische Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin
+gedient hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des
+Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus
+Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln
+kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden gewusst;
+aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es immer notwendiger,
+den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem
+bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch die beiden neuen
+Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien
+ein. Mit den vier neuen Legionen und dem entsprechenden Kontingent der
+Italiker, die sie heranfuehrten, stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu
+Fuss, halb Buerger, halb Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel
+Buerger, zwei Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000
+Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts
+mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten
+Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische Blachfeld
+ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu entwickeln und weil
+die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an dem doppelt so starken und
+auf eine Reihe von Festungen gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen
+Reiterei sehr bald ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der
+roemischen Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu
+schlagen und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die
+einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten daher,
+zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug
+und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu
+noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus
+schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am
+linken Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem
+Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht
+auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu
+kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem
+linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem
+demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es war so
+viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu stehen,
+sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo
+und wie man ihn eben fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte
+wechselte die entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag
+um Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der
+Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der
+ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch
+er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen Streitkraefte auf
+dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den karthagischen Lager und Cannae
+Stellung nehmend und dieses ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine
+Abteilung von 10000 Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem
+Auftrag, das karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem
+feindlichen Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der
+roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem
+unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser
+Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich hindernden
+Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager westlich von Cannae sich
+in Linie auf. Die karthagische Armee folgte und ueberschritt gleichfalls den
+Strom, an den der rechte roemische wie der linke karthagische Fluegel sich
+lehnten. Die roemische Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der
+Buergerwehr auf dem rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere
+bundesgenoessische auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im
+Mitteltreffen stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem
+Befehl des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
+Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die keltischen
+und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die vorgeschobene Mitte,
+die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten die zurueckgenommenen Fluegel
+bildeten. An der Flussseite stellte die gesamte schwere Reiterei unter
+Hasdrubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten numidischen
+Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze
+Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
+Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne
+Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen
+zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollstaendig; eilig
+draengten die Sieger nach und verfolgten ihren Vorteil. Allein mittlerweile
+hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck sich gegen die Roemer gewandt.
+Hannibal hatte den linken Reiterfluegel der Feinde bloss beschaeftigen lassen,
+um Hasdrubal mit der ganzen regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten
+zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die
+roemischen Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss
+hinaufgejagt und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
+Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. Diese
+hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu
+verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne verwandelt, die
+keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In dieser Stellung wurden sie
+von dem rechts und links einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten
+heftig angegriffen und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen
+die Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam
+und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht
+mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit
+dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt und
+geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des
+Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend
+beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal,
+die Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum
+drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu
+fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier
+ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so
+vollstaendig und mit so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld
+selbst vernichtet worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht
+ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der
+erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in der
+Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul
+Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der
+Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus
+Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er
+ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark,
+ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus diesen
+Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem
+Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben
+die nach Gallien gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem
+Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von
+den Galliern gaenzlich vernichtet.
+</p>
+
+<p>
+Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische Kombination
+zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen
+Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der
+ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit
+der die Kraefte des Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um
+der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die
+die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne
+und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus Scipio
+ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war dieser nach
+Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen den Pyrenaeen und
+dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemaechtigt (536
+218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) die karthagische Flotte an der
+Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der
+tapfere Verteidiger des Potals, mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen
+war, sogar den Ebro ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar
+hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika Verstaerkungen
+erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders gemaess eine Armee
+ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen verlegten ihm den
+Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit,
+wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die maechtige Voelkerschaft der
+Keltiberer und zahlreiche andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich
+zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
+zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien aus
+fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten.
+</p>
+
+<p>
+Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel
+geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten die
+Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor einer
+roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte
+nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, und der Mangel eines
+Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische
+Heer sich selbst genuege, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal
+empfand schwer die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen
+Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen
+allmaehlich leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen
+fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae
+selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat
+beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und Mannschaft,
+teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 numidische Reiter und 40
+Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in Spanien wie in Italien den Krieg
+energisch zu betreiben.
+</p>
+
+<p>
+Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war
+anfangs durch Antigonos&rsquo; ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers
+Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen
+unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) verzoegert worden. Erst
+jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei
+Philippos mit dem Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien
+abzutreten - sie massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst
+jetzt schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine
+Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe
+der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward.
+</p>
+
+<p>
+In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit
+Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch
+den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom
+namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein Zweifel,
+dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst ungern sah;
+aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, hielt er mit
+wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der
+Tod den alten Mann nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und
+Nachfolger des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich
+sogleich mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
+machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische Grenze,
+dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel vertragsmaessig
+zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess mit der karthagischen
+Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, die syrakusanische sich
+vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei Lilybaeon, die schon mit dem
+zweiten, bei den aegatischen Inseln postierten karthagischen Geschwader zu tun
+gehabt hatte, ward auf einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur
+Einschiffung nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen
+Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste.
+</p>
+
+<p>
+Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der
+roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stoesse
+zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. Es traten auf
+Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte, durch die
+roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die
+saemtlichen Staedte der Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der
+Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner
+groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die
+Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua,
+die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld
+zu stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella und
+Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das roemische
+Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem
+Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die
+hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von
+diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen der
+Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einruecken der
+Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach
+Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu
+liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben
+den Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen
+hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die
+roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch der sehr
+entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker selbst und deren neue
+lucanische und brettische Bundesgenossen, und ihre Anhaenglichkeit an Rom, das
+jede Gelegenheit, seinen Hellenismus zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen
+die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden
+die kampanischen Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff;
+dasselbe taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
+Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den
+vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur Kapitulation
+gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf brettische Kolonisten
+jene wichtige Seestation besetzten. Dass die sueditalischen Latiner, wie
+Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, unerschuettert mit Rom hielten,
+versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Eroberer im
+fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn
+verfehdet; traf es doch sie zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und
+jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt
+dies von ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
+latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als Genosse der
+Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im karthagischen Senat
+unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht ein roemischer Buerger, nicht
+eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses
+Grundwerk der roemischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein
+um Stein zertruemmert werden.
+</p>
+
+<p>
+Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der Soldaten und
+Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten Zahl der
+kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte
+Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss
+einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft
+selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt
+zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht
+moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege
+fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden
+zu lassen. Da eine gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt
+ausfuehrbar war, jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette
+zunaechst der einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die
+tatsaechliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und
+Verlaengerung des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die
+formelle Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
+auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem Wege
+sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits an dem
+aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der italischen
+Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, dass die Vornehmen
+mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf das &ldquo;Volk&rdquo;
+Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen Koehlerglaubens, die Gaius
+Flaminius und Gaius Varro, beide &ldquo;neue Maenner&rdquo; und Volksfreunde
+vom reinsten Wasser, waren demnach zur Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der
+Menge auf dem Markt entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge
+beauftragt worden, und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen
+See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt
+besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die
+Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich
+widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste jener
+beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand gab,
+gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus
+Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch
+er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive
+vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und in der
+Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag,
+um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich,
+dass das wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der
+Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter den
+Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht.
+Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius
+noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den
+Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und
+Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit
+Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was
+schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller an sich
+gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und unvergaengliche Ehre des
+roemischen Senats. Als Varro - allein von allen Generalen, die in der Schlacht
+kommandiert hatten - nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis
+an das Tor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des
+Vaterlandes nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit
+grossen Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
+Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten.
+Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs verstummte das
+demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, wie man gemeinsam die
+Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen zaeher Mut in diesem
+entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt hat als all seine
+Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren gingen dabei in allem voran
+und gaben den Buergern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurueck. Der
+Senat bewahrte seine feste und strenge Haltung, waehrend die Boten von allen
+Seiten nach Rom eilten, um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der
+Bundesgenossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um
+Verstaerkung zu begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien
+preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge
+an den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen,
+die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit der
+Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, nicht
+allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der Gefallenen, dass
+fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich
+gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius
+und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere
+verstand es, durch seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen
+Schwerter seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere
+Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des
+Vaterlandes ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit
+einer Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa
+zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem
+und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr
+ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in den
+gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt
+gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, uebernahm den
+Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige
+Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der
+gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die
+ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die
+Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate
+angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten
+Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in
+Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten
+forderten, aus den Latinern, sondern aus den naechstberechtigten roemischen
+Buergern. Hannibal bot die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen
+Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der
+Gefangenen angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht
+scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen
+sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es
+musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer ihn wie
+fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</h2>
+
+<p>
+Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen
+Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht, soweit
+es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die latinischen oder
+latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den Tag von Cannae nicht
+irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem Schreck, sondern nur der Gewalt
+weichen wuerden, lag am Tage, und der verzweifelte Mut, mit dem selbst in
+Sueditalien einzelne kleine und rettungslos verlorene Landstaedte, wie das
+brettische Petelia, gegen den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was
+seiner bei den Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf
+diesem Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen,
+so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe
+auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer
+Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal das
+Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die Waffen zu
+rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten
+war, und meinten toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen
+Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht mehr,
+was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der
+sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische
+Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch
+die vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt - nur
+maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten Hass
+beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der herrschenden
+Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem
+Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht
+mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des italischen
+mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern Kleinmut warf die
+sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte
+in Italien der Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel
+beherrschte bis hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften
+nicht wie das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt
+gleichfalls eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und,
+um die gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und
+die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die
+schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine
+Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen Zuzuege zu
+rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er andere Gegner sich
+gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt, gingen die Roemer ueber zu
+einem verstaendigeren System der Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere
+an die Spitze ihrer Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf
+laengere Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
+Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den Gegner, wo
+sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen Zauderei und
+Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten Lagern, unter den Mauern
+der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da an, wo der Sieg zu Resultaten,
+die Niederlage nicht zur Vernichtung fuehrte. Die Seele dieser neuen
+Kriegfuehrung war Marcus Claudius Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach
+dem unheilvollen Tag von Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und
+krieggewohnten Mann die Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen
+Oberbefehl uebertragen. Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen
+Hamilkar seine Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten
+sein Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. Obwohl
+ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten Soldatenfeuer und
+hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den feindlichen Feldherrn vom Pferde
+gehauen - der erste und einzige roemische Konsul, dem eine solche Waffentat
+gelang. Sein Leben war den beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden
+Doppeltempel am Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und
+wenn die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
+einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und vorzugsweise
+dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem gemeinsamen Bau
+mehr geschafft als Marcus Marcellus.
+</p>
+
+<p>
+Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom
+besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er
+mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen
+koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem
+Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die
+Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist
+unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der
+Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus nicht
+zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus&rsquo;
+erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der Schlacht bei Cannae;
+und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein
+konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder
+auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche leeren
+Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu
+verlieren mit der Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den
+Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die
+Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken diese
+zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte
+hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu
+koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine
+grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer
+erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo
+nur eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen gebliebenen
+Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den zwei cannensischen
+Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und
+Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der
+Diktator Marcus Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam
+nachfolgte, bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu
+retten. Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen
+Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert,
+und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine
+Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen groesseren
+Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der Kampf zwischen der
+Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an die Karthager oder an die
+Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die Oberhand gewinne, ging Marcellus
+bei Caiatia ueber den Fluss und, an den Hoehen von Suessula hin um die
+feindliche Armee herum marschierend, erreichte er Nola frueh genug, um es gegen
+die aeusseren und die inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug
+er Hannibal selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste
+Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war
+als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria,
+Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich
+hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von
+Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten
+hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht
+schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer
+Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden. Der
+Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und Hannibal in
+Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter
+Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215)
+erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus
+Marcellus und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug
+als Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus
+Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln,
+an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und
+Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt, Maximus am
+rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend, Gracchus an der Kueste,
+wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche
+nach Hamae, drei Miglien von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu
+ueberrumpeln, wurden von Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um
+die Scharte auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht
+den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert
+ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht
+bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und andere
+kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals oestlichen
+Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem Praetor Marcus
+Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in Gemeinschaft mit der
+roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen der Makedonier zu
+beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufstaendigen
+Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen. Um diesen Luft zu machen,
+wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus;
+allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden
+Sieg ueber die phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder
+ausgewetzt zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien
+endlich zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
+Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere in
+Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff auf Capua
+ueberzugehen.
+</p>
+
+<p>
+Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer
+deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche, jenes fast
+abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im wesentlichen
+seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere
+Unternehmungen durch die unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast
+unmoeglich gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war
+schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht
+verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung
+der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen
+Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei
+dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Hoefen von
+Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle
+Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind;
+wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von
+Westen, Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren,
+was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das
+Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende
+Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege fast
+unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden
+kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so
+nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich gewesen
+waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke bei Lokri oder
+Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen von Syrakus den
+Karthagern offenstand und durch Makedonien die brundisinische Flotte in Schach
+gehalten ward, beweist die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die
+Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr
+noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen
+war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt
+hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war,
+den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen, und die
+in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der Buergerschaft treue Verbuendete
+fand, die Bitten des Feldherrn um nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der
+halb einfaeltigen, halb tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche,
+wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische
+Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen
+Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen
+koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der
+Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen.
+</p>
+
+<p>
+Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die
+Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus angeknuepften
+Verbindungen und auf Philippos&rsquo; Intervention. Es kam alles darauf an, von
+Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen Rom auf den
+italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen oder zu hindern,
+sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind
+alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher
+angeschlagen. Fuer die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren
+eigentliche Aufgabe ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische
+Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung
+zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese
+Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich
+entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur
+Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der italische
+Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest sich auf in
+Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts entscheiden. Allein
+Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker ueberhaupt die Offensive
+festhalten, stets das Ziel der Operationen, und alle Anstrengung wie alles
+Interesse knuepft sich daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien
+aufzuheben oder zu verewigen.
+</p>
+
+<p>
+Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die
+Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, so
+konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war Hasdrubals
+Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, dass die Leistungen
+von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische Sieg die karthagische
+Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden,
+ohne dass doch die Lage der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die
+Scipionen verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom
+Ebro an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
+karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. In
+Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die Karthager
+hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, die als
+Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit gewesen waere.
+Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen Heer nach Sardinien
+gesendet ward, vernichtete die karthagische Landungsarmee vollstaendig und
+sicherte den Roemern aufs neue den unbestrittenen Besitz der Insel (539 215).
+Die nach Sizilien geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und
+Osten der Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos,
+welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen
+Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation des
+Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal gesendeten Boten
+auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So
+unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer
+gewannen Zeit, die wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann
+auch mit dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten
+Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in
+Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen
+und Stocken kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen,
+was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette.
+Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie ueberall in
+Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie
+fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige
+Patriotismus, den der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht
+unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte, waren,
+sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung
+der verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden,
+dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen
+waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch
+der besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr
+vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf saemtlichen
+Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen.
+</p>
+
+<p>
+Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in
+Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb
+zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen
+Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel eben aus
+diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich annahm. Nachdem
+Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob
+die Buergerschaft bei der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn
+irgend eine Stadt, so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg
+der Karthager ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft
+ueber ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von
+Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben
+konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten
+der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke zwischen
+Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu bringen, und jetzt
+fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach
+Sizilien gesandt hatten, zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt,
+durch rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen
+zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach
+Hieronymos&rsquo; Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten
+Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den
+erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden
+Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals
+gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche
+zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; masslos
+uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben
+wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte,
+erweckten auch in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht
+zu spaet sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den
+Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens
+durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der
+Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der
+Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates und
+Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul nichts uebrig,
+als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte Leitung der Verteidigung,
+wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur
+Archimedes sich besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher
+Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln.
+Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten die
+Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der abermaligen
+Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes Landheer unter Himilko
+nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und
+sofort die wichtige Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen,
+rueckte der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus;
+Marcellus&rsquo; Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden
+feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger
+Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der
+Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als die
+feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer auf der Insel
+verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls verdaechtigen
+Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung daselbst, den groessten
+Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212)
+gelang es den Belagerern von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen
+von den Wachen verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen
+und in die Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen
+Stadt am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die
+Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen,
+diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse deckte, war
+hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so die Belagerung der
+Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden
+Heere unter Himilko und Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen
+gleichzeitigen, ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen
+Flotte und einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf
+die roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die
+beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
+aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im Hochsommer und
+im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen erzeugen. Oft hatten diese
+die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des
+ersten Dionys waren zwei phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter
+ihren Mauern durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das
+Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus&rsquo; Heer,
+in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die
+phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen
+Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere,
+groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten Staedte.
+Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von der Seeseite zu retten;
+allein der Admiral Bomilkar entwich, als die roemische Flotte ihm die Schlacht
+anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe
+verloren und entrann nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern
+ergeben; die Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal
+scheiterten sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der
+Soldaten wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener
+Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den
+fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus mit einem
+von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden noch freien
+Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die Buergerschaft ihm
+freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo,
+haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen
+war und mehrfach die ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei
+des fremden Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen
+Grundsaetzen des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger
+Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine
+Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen
+Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den Tod
+fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten
+Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den
+einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die
+frueher von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern
+steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten das
+Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene und die
+bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem den Hafen
+beherrschenden Stadtteil, der &ldquo;Insel&rdquo;, durfte fortan kein
+syrakusanischer Buerger wohnen.
+</p>
+
+<p>
+Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war
+auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter
+Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen
+Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei uebernahm
+und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die roemische
+Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend,
+einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten
+Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und roemische
+Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck einige Gefechte
+bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat
+obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr
+verfolgte mit eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und
+bestand darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die
+Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines
+liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes,
+besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht
+unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen allmaehlich
+ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich der Oberfeldherr, da
+er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, ihn zu verdunkeln, demselben
+kurzweg das Kommando ueber die leichte Reiterei abnahm und es seinem Sohn
+uebertrug. Der Numidier, der nun seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren
+die Insel erhalten hatte, fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er
+und seine Reiter, die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in
+Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und
+lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach
+Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers
+den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward von den
+Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei verkauft (544
+210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen, wie die Landung von
+540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten
+Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war
+gewesen. Nachdem also ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits
+dafuer gesorgt, dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel
+zurueckkehrte. Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse
+zusammen und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
+Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
+Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der Insel
+in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter die Rede
+davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu erneuern; allein es
+blieb bei Entwuerfen.
+</p>
+
+<p>
+Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse
+eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder
+Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos&rsquo;
+natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter
+bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen
+Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils die
+Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des Krieges, teils
+Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien,
+Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen
+antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der
+aegyptische Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis
+544 (210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten,
+dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen
+italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien
+und Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie
+konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich gewannen, nur
+fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl
+gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos
+prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt
+die Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste
+Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass eine
+staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des gleichen
+Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden
+zwischen Philippos und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen
+Tendenz war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu
+seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in
+Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen
+hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines
+solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die
+Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg allein
+gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe nicht, sich aus dem
+Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands umzuwandeln. Schon sein Zaudern
+bei dem Abschluss des Buendnisses mit Hannibal verdarb den ersten und besten
+Eifer der griechischen Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom
+eintrat, war die Art der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und
+Zuversicht zu erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der
+cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu
+bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem Philippos
+schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht, dass eine
+roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies geschah, noch ehe es zum
+foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser endlich erfolgt war, erwarteten
+Freund und Feind eine makedonische Landung in Unteritalien. Seit 539 (215)
+standen bei Brundisium eine roemische Flotte und ein roemisches Heer, um
+derselben zu begegnen; Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer
+Flottille von leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren.
+Allein als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
+Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen Hannibal
+gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um doch etwas zu
+tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die roemischen Besitzungen
+in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im besten Falle waere dabei
+nichts herausgekommen; allein die Roemer, die wohl wussten, dass die offensive
+Deckung vorzueglicher ist als die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie
+Philippos gehofft haben mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die
+roemische Flotte fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon
+ward dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das
+makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur voelligen
+Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem Kriegszustand
+verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, der umsonst solcher
+Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine Klarheit einzuhauchen
+versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann die Feindseligkeiten
+erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit Hannibal einen vortrefflichen
+Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die zunaechst sich zur Landung eines
+makedonischen Heeres eigneten, veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu
+parieren und den Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an
+einen Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
+nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten
+Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
+Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, fiel es
+dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien eine Koalition
+der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz zustande zu bringen. An
+der Spitze derselben standen die Aetoler, auf deren Landtag Laevinus selber
+erschienen war und sie durch Zusicherung des seit langem von ihnen begehrten
+akarnanischen Gebiets gewonnen hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren
+Vertrag die uebrigen Hellenen auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten
+zu pluendern, so dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe
+den Roemern gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland
+die antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten an:
+in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber Sparta, dessen
+altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister Soldat Machanidas
+ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen des unmuendigen Koenigs
+Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf gedungene Soeldnerscharen
+gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen
+Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen
+Staemme und endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden
+griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit
+Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen
+Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas wert war. Es
+ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen dieses ziellosen
+Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen seiner Gegner
+ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit Energie und
+persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf in dieser heillosen
+Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft
+mit der roemischen Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris
+und Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die
+noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die
+aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von
+Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten
+Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der
+Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam
+so weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von Hannibal
+Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem,
+womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen;
+Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der
+Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und ein Herz
+dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte
+Kraefte sich selbst zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging;
+wiederholt hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja
+selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe
+genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler, auf die
+es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel unter dem Krieg
+zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der Athamanen von Philippos
+gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien den makedonischen Einfaellen
+geoeffnet war. Auch von ihnen gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber
+die ehrlose und verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis
+verurteilte; es ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische
+Nation, als die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische
+Buergerschaften, wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die
+Sklaverei verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie
+wagten viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
+fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung der
+Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den sie
+ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und Nachteil
+wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese sich doch, den
+vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der Gegenbestrebungen der Roemer
+kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede zwischen den griechischen Maechten
+zustande. Aetolien hatte einen uebermaechtigen Bundesgenossen in einen
+gefaehrlichen Feind verwandelt; indes es schien dem roemischen Senat, der eben
+damals die Kraefte des erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen
+Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
+ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der Aetoler die
+Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten fuehren koennen,
+erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu beendigen, durch den der
+Zustand vor dem Kriege im wesentlichen wiederhergestellt ward und namentlich
+Rom mit Ausnahme des wertlosen atintanischen Gebiets seine saemtlichen
+Besitzungen an der epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste
+Philippos sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten;
+allein es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen
+liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
+widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland gebracht
+hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und richtige Kombination,
+die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen Augenblick geteilt hatte,
+unwiederbringlich gescheitert war.
+</p>
+
+<p>
+In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf
+ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die eigentuemliche
+Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die
+Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal und dem ueppig fruchtbaren
+Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen Waldgebirgen durchschnittenen
+Hochland zwischen jenem und diesem wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter
+Landsturm zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und
+ueberhaupt nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
+gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
+Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle scheinen
+zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob
+die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder die, welche am Guadalquivir
+sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder kleineres Stueck der Halbinsel
+besassen, mag den Eingeborenen ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von
+der eigentuemlich spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen
+Ausnahmen, wie Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem
+Krieg wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die
+Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich gefuehrt
+hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten festgegruendete
+Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall entschied, und der, wenn
+er zu Ende schien, sich in einen endlosen Festungs- und Guerillakrieg
+aufloeste, um bald aus der Asche wieder aufzulodern. Die Armeen erscheinen und
+verschwinden wie die Duenen am Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man
+heute seine Spur nicht mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der
+Roemer, teils weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des
+Landes von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
+ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger
+Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in der
+Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich, von einem
+also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu geben.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius Scipio,
+beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche Verwalter, vollzogen
+ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der
+Pyrenaeen durchstehend behauptet und der Versuch, die gesprengte Landverbindung
+zwischen dem feindlichen Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier
+wiederherzustellen, blutig zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch
+umfassende Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
+Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die
+roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der Zug
+dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg wiederholt;
+die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen des Herakles, breiteten
+ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und sicherten endlich durch die
+Wiedergewinnung und Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf
+der Linie vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der
+Nation soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus
+Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen
+gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen Fuersten
+Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit den Roemern in
+Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen, ein roemisches Heer
+ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in
+Italien konnte man eben damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war
+zu schwach, um sich zu teilen. Indes schon Syphax&rsquo; eigene Truppen,
+geschult und gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen
+Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende
+Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern
+der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine
+Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem
+der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn
+Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist
+uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der
+grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den
+Aufstaendischen nahm.
+</p>
+
+<p>
+Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den spanischen
+Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald
+betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen,
+die waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im
+karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen
+sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie
+entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten mussten. Sie
+waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um
+den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und
+Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen
+Truppen zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend
+Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den saemtlichen
+spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne
+Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was
+ihnen nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch
+erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem
+roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen
+Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile
+sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen
+phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft angegriffen,
+und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die Karthager in entschiedenen
+Vorteil. Schon war das roemische Lager fast eingeschlossen; wenn noch die
+bereits im Anzuge begriffenen spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die
+Roemer vollstaendig umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen
+besten Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke
+in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl
+anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch
+waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die Verfolgung
+des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch, bis dass die
+phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des Feldherrn die
+verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen
+war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen
+Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen
+und durch die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen
+nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu
+schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem
+Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung
+allein rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus&rsquo; Schule, Gaius
+Marcius, hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem
+Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil
+in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten
+roemischen Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro
+herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick schien
+nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung
+mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den
+rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung aelterer,
+nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und
+seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den
+drei karthagischen Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des
+wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde
+zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein
+neues Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies die
+Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine
+starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das
+Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im
+folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward
+umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch unfeine List
+und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den
+Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender
+unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen
+und neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut,
+womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen
+Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die
+Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte
+und durch die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von
+den grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um
+Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden,
+beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen
+ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke
+anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich
+niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts, bis
+endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn
+des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und
+Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der roemische
+Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von solchem Belang dem
+Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom
+so ausgestorben gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter
+Offizier sich angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten
+auf den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am
+Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der
+erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren und
+Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg einzuschlagen, der
+das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden
+Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere
+spanische Expedition bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser
+angeblich improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der
+Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am
+Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den
+langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich
+darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf
+einmal die Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das
+alles machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und
+unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte
+und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen
+Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise
+zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen, bis die
+Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten
+gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren
+auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist
+weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande
+wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn
+auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich
+deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet, als er
+ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber
+auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung,
+die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie
+von einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die
+Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall
+entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug,
+um den Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch
+schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig ueberzeugt, ein
+Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem Wort eine echte
+Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein
+Mann felsenfesten Worts und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen
+Koenigtitels sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte,
+dass die Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass
+er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte,
+fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter
+Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs,
+hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen Nationalgefuehl,
+redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio die Herzen der Soldaten
+und der Frauen, seiner Landsleute und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat
+und seines groesseren karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen
+Lippen und er der Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt
+schien.
+</p>
+
+<p>
+Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
+Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
+Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem Flottenfuehrer
+und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit einer ueberzaehlig
+starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich sein erstes Auftreten
+bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten Handstreiche, die die
+Geschichte kennt. Die drei karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas
+an den Quellen, Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den
+Saeulen des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von
+der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209),
+ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen
+diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem
+Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr 30000 Mann
+und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann starke
+phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser und zu Lande.
+Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah
+sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von
+den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago
+wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da die
+Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall
+versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits,
+ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen,
+den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem
+schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten
+ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg
+hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm
+hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er,
+unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen
+zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite der Sturm tobte,
+sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das Watt, &ldquo;wo Neptun ihnen
+selbst den Weg zeige&rdquo;, und sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern
+hier unverteidigt zu finden. So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf
+Mago in der Burg kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn
+abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende
+Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler),
+zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter,
+und die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die
+Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr,
+sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und
+nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und
+in besseren Stand zu bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker,
+zweitausend an der Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das
+Versprechen der Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen
+Menge die faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die
+Stadtbuerger aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige
+Stellung gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
+wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen Hafen an
+der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss durch eine Besatzung
+zu sichern.
+</p>
+
+<p>
+So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio
+nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl
+erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt
+war, und weil die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich
+imstande war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch
+nur verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro
+gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er
+seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich auszufuehren,
+ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus und Scipio
+gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme der phoenikischen
+Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, was man daheim von dem
+wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, dass jedes andere Urteil
+verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf unbestimmte Zeit verlaengert; er
+selber beschloss, sich nicht mehr auf die duerftige Aufgabe zu beschraenken,
+der Hueter der Pyrenaeenpaesse zu sein. Schon hatten infolge des Falles von
+Neukarthago nicht bloss die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen,
+sondern auch jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische
+Klientel mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46
+(209/08) dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten
+sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im
+Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, und
+marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf Hasdrubal
+Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem Bruder zu Hilfe zu
+kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur Schlacht, in der sich die Roemer
+den Sieg zuschrieben und 10000 Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal
+erreichte, wenn auch mit Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen
+seinen Zweck. Mit seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner
+Truppen schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean
+hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und
+stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er
+Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der ihm
+aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und unweise
+gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss
+Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel
+geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze
+einer starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er
+verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207), als
+Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich
+realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren
+zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin
+des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue
+Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den
+faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien
+zu bekaempfen gehabt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Nach Hasdrubal Barkas&rsquo; Entfernung beschlossen die beiden in Spanien
+zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons
+Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen
+aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen zu
+lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge getan. So
+geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im folgenden Jahre (547
+207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch
+Mago und Hasdrubal sich wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus
+schlug Magos und Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst
+gefangen. Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und
+verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in
+diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen
+ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein
+gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde, 70000 zu
+Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte spanische Landwehr.
+Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr
+als die Haelfte des feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier.
+Scipio stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie
+nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu
+verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die
+Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die
+Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines solchen
+Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben - einzeln
+retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen jetzt ohne
+Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig sich fuegenden
+Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft.
+Scipio konnte sogar auf der afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch
+abstatten und mit ihm, ja selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition
+nach Afrika Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch
+keinen entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon
+den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den
+Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als ob,
+nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und die hier und da in
+Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des phoenikischen Regiments auch der
+roemischen Gaeste loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen,
+hinreichend widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die
+Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms
+vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines
+seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold,
+beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte
+und daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die
+bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden,
+ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch
+auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung dem Mago
+zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich vorfinde, und
+damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio
+konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte
+aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung
+der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert
+verliess der letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug
+ergab sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf
+spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war
+nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische Provinz
+verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets besiegte und nie
+ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer fortfuehrte, aber doch im
+Augenblick kein Feind den Roemern gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten
+Moment der Scheinruhe, um sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom
+persoenlich von den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu
+berichten.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, Scipio
+in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen Halbinsel der
+gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, nachdem die Cannensische
+Schlacht geschlagen war und deren Folgen an Verlust und Gewinn sich allmaehlich
+uebersehen liessen, im Anfang des Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres,
+die Roemer und Phoeniker folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten
+die Roemer nach Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei
+Legionen, wovon zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in
+Picenum. Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
+Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der
+Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die Festungen
+Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im brettischen
+Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme geworfen hatten und
+wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das die Roemer von Messana aus
+schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden waren, stand ein zweites
+karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst einen Feind sich gegenueber zu
+sehen. Die roemische Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln
+Quintus Fabius und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas
+zu versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der
+Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und
+Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion
+verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit
+beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien,
+Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den
+unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu versehen
+hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr
+neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf
+annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre
+unter den Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte,
+von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter
+solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit
+waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen
+war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um
+Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch Verlorene zwar
+langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre
+Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend die phoenikischen zusammenschwanden;
+gegen Hannibals italische Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten,
+Brettier, die weder wie die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber
+genuegten noch von Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten,
+jaehrlich Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
+begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
+Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu bringen.
+Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr auf Siege wie am
+Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der Buergergenerale waren vorbei.
+Es blieb ihm nichts uebrig, als abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst
+versprochene Landung ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand
+reichen wuerden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit
+moeglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
+Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie kaum ein
+anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es ist
+psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann die beiden
+ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in gleicher Vollkommenheit
+geloest hat.
+</p>
+
+<p>
+Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien
+rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein
+weder vermochte er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer
+besassen, den starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er
+wehren, dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum,
+das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden
+Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch
+Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren
+Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das
+brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien
+mit der roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit
+Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei
+dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den
+Sklavensoldaten im Namen des Volks die Freiheit und das Buergerrecht.
+</p>
+
+<p>
+Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi
+zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die
+Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung
+gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der
+Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere
+brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische Abteilung des
+phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere von dem Gang der
+Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische
+Dienste.
+</p>
+
+<p>
+Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue politische und
+militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die
+Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt,
+hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen
+tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine Emissaere zu
+einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen
+Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der
+Roemer foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der
+saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes, und
+die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen
+moechten. Wirklich ward Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und
+durch die Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern
+besetzt; kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem
+Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur
+Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen.
+Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass Rom
+sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg
+neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise
+die Einnahme von Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die
+Moeglichkeit gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit
+sehr abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten
+Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch
+die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, dass
+die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal brachte
+also einen betraechtlichen Getreidetransport zusammen und wies die Kampaner an,
+ihn bei Benevent in Empfang zu nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den
+Konsuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der
+den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines
+Lagers und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
+darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen Strasse
+aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber der tapfere Mann
+fiel durch die schaendliche List eines treulosen Lucaners, und sein Tod kam
+einer voelligen Niederlage gleich, da sein Heer, groesstenteils bestehend aus
+jenen von ihm freigesprochenen Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers
+auseinanderlief. So fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte
+durch sein unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
+Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen ihre
+Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als Besatzung in
+Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen nachdruecklich geschlagen
+worden war. Die totale Vernichtung der von Marcus Centenius, einem vom
+Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig befoerderten Mann, angefuehrten
+regulaeren Truppen und Freischaren in Lucanien, und die nicht viel weniger
+vollstaendige Niederlage des nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus
+Fulvius Flaccus in Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses
+Jahres. Aber das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem
+entscheidenden Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie
+Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die
+roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und Volturnum
+unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius, auf der Nolanischen
+Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero; die drei wohlverschanzten und
+durch befestigte Linien miteinander verbundenen Lager sperrten jeden Zugang,
+und die grosse, ungenuegend verproviantierte Stadt musste durch blosse
+Umstellung in nicht entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn
+kein Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die
+Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren, durch
+die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen, begehrten
+schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der Burg beschaeftigt,
+in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33 Elefanten und seinen besten
+Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf
+und nahm sein Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren
+Erwartung, dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin
+die Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten,
+ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht
+und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die
+kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre Linien
+anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht denken; er konnte
+voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen roemischen Heere nach
+Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon frueher der Mangel an Futter in
+dem systematisch ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen
+liess sich nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten,
+der seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten.
+Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben
+Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug
+die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in seinen
+ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen Heer zwischen die
+feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und
+auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er
+passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile von der
+Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward
+von &ldquo;Hannibal vor dem Tor&rdquo;; eine ernstliche Gefahr war nicht
+vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt wurden von den
+Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten,
+verhinderten die Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio
+bald nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal
+uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht;
+seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des
+Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also Gelegenheit geben
+werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder
+auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die
+durch Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die
+roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo
+Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem
+zweiten Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren
+Glaeubigen dem Gott &ldquo;Rueckwender Beschuetzer&rdquo; (Rediculus Tutanus)
+einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und
+schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren hatten den
+Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen
+die Legionen in den Linien um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die
+Kunde von Hannibals Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies
+erfuhr, wandte er sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm
+von Rom her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu
+schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer
+Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die
+Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit bangen
+Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom feindlichen
+Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische Verwaltung fast
+ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die Verzweiflung Vornehme und
+Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat
+waehlten den freiwilligen Tod; die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden
+eines unversoehnlich erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten,
+verstand sich von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob
+es klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats
+auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution der
+Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und der roemische
+Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger unmenschliche, siegte ob.
+Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplaetzen
+von Cales und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Prokonsuls Quintus
+Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein
+zahlreicher Teil der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
+Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und
+Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was Capuas
+Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn
+nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht
+durch den Mord der saemtlichen in Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden
+roemischen Buerger unmittelbar nach dem uebertritt die Buergerschaft sich
+selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit
+benutzte, um die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten
+Staedten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der
+kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin
+vollstaendig politisch zu vernichten.
+</p>
+
+<p>
+Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er nicht
+durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen Anstrengungen
+Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er
+war ebenso sehr das Signal der den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in
+Italien, wie sechs Jahre zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der
+verlorenen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser
+Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von
+Rhegion oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
+ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der Mangel
+zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den Hafen sperrte,
+aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem Geschwader selbst die
+Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum
+genuegte, sein Heer zu ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite
+nicht viel weniger als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den
+Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager
+gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens
+und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten genossen,
+und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten Gemeinde, auf leidliche
+Bedingungen in die roemische Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit
+empfindlicher fuer Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in
+die schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu
+schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der
+Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im
+Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische
+Reiter niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden,
+um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner
+italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des
+endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten
+betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden
+Scipionen die Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum
+erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der
+Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung
+jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum
+ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg laessiger als
+bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des
+sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er
+betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den
+Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische
+Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal die
+Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr
+darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu
+Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen.
+Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter
+Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er,
+am ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg;
+waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner
+zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen
+bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten,
+den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus Fabius,
+der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den Auftrag, Tarent
+wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem nahen messapischen
+Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte
+ihm die Stadt, in der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward.
+Was von der Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde
+niedergemacht und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als
+Sklaven verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen
+sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam
+zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst
+</p>
+
+<p>
+hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel
+beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr (546 208)
+zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem tuechtigen Kollegen
+Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen entscheidenden Angriff ein Ende
+zu machen. Den alten Soldaten fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und
+traeumend verfolgte ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu
+befreien. Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt.
+Bei einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von
+Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus focht
+den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar, vor vierzehn
+bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde sank; Crispinus
+entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden (546 208).
+</p>
+
+<p>
+Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden, die einige
+Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte
+man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges.
+Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von Cannae
+(538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den angesehensten
+Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren
+Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben,
+was moeglich war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle
+Finanzweisheit daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man
+die Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des Silberstueckes
+um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert
+ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten
+auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis
+der arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem
+Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den
+Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten
+litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren
+Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, freiwillig oder
+durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des Soldes aus. Die
+Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach dem Treffen bei Benevent
+freigesprochenen Sklaven erwiderten der Bankkommission, die ihnen Zahlung
+anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende des Krieges anstehen lassen wollten (540
+214). Als fuer die Ausrichtung der Volksfeste und die Instandhaltung der
+oeffentlichen Gebaeude kein Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die
+Gesellschaften, die diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich
+bereit, dieselben vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward
+sogar, ganz wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe
+bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man verbrauchte
+die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der Eroberung von Tarent den
+letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 Taler) an. Dennoch genuegte der
+Staat seinen notwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte
+namentlich in den entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die
+Bedraengnis des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen
+Notstandes. ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste,
+fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1
+preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler),
+mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren
+geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und
+nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not
+gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften
+zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden
+Doerfer in Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege,
+aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben.
+</p>
+
+<p>
+Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung der
+Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut frass. Zwar
+auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an. Der Krieg selber
+bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die latinische Nation zu Rom
+stand; an ihrer groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel
+gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen
+Kommunen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien,
+also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten
+von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen
+Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und
+es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten Krieg
+selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein fuer den
+Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck
+handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und
+sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze das maechtige und patriotische
+Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom
+sich anschloessen - freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass
+bei dem gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele
+stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer
+Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens
+nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war sicherlich
+nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und Erschoepfung; ohne Zweifel
+wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit den Phoenikern mit Abscheu
+zurueckgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Roemern und
+Latinern, und der Rueckschlag auf die unterworfene Bevoelkerung der
+Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche
+Gaerung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete
+Verschwoerung ward entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen
+roemische Truppen marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese
+Bewegung zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
+Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
+schreckten.
+</p>
+
+<p>
+In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die
+Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die Pyrenaeen
+ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen muesse, im naechsten
+Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht
+umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten
+ausgeharrt; was die faktioese Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos
+ihm versagt hatte, das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm
+selbst Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
+phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er
+die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem Bruder die Gallier,
+vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien war aber
+nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; der Staat und die einzelnen waren
+erschoepft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem
+Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte
+die Gunst seines Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen
+Fehlers von ihm und dem Lande abwandte.
+</p>
+
+<p>
+Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen
+auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst
+Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und
+Feinden ueber alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547
+207); die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld
+willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom
+beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit
+wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die
+Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, dass
+Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus Livius sich zu der
+Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien. Etrurien und Umbrien waren
+in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort verstaerkten das phoenikische Heer.
+Sein Kollege Gaius Nero zog aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an
+sich und eilte mit einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu
+verlegen. Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der
+grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei
+Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in welchem
+Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens, wenn auch
+mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen geschickten Seitenmaersche sich
+dem Feinde zu entziehen und ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er
+stehen und lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf
+dem Fuss gefolgt war, dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig
+stehenblieb und nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward,
+scheint nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
+noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals mit
+Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die wir nicht kennen.
+Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig gegenueberstanden, ward die
+im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdrubals von Neros Posten
+aufgefangen; sie ergab, dass Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse
+einzuschlagen, also zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum
+ueber den Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
+treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung der
+beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische Reserve
+vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der Hauptstadt kam und
+dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, dass Hannibal die Absicht des
+Bruders nicht kenne und fortfahren werde, ihn in Apulien zu erwarten,
+entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis, mit einem kleinen, aber
+auserlesenen Korps von 7000 Mann in Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und
+womoeglich in Gemeinschaft mit dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu
+zwingen; er konnte es, denn das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb
+immer stark genug, um Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder
+ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen,
+wenn er abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
+erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
+beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte die
+Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen; allein
+seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden
+Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen Reiterei
+angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische Fussvolk eintraf
+und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte die Spanier auf den
+rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die Gallier auf den linken, den er
+versagte. Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul
+Livius, der hier befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische
+Operation taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind
+stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die
+Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war
+vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das Lager
+erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah,
+suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und
+als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum
+vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber, den keine
+Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die Botschaft brachte ihm
+der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Roemer den feindlichen
+Posten hinwerfen liess, also dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten
+verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus
+vergeltend. Hannibal erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles
+vorbei war. Er gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen
+Truppen zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug
+waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine
+beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren
+Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der
+Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel in Rom
+war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in Friedenszeit; jeder
+fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden sei.
+</p>
+
+<p>
+Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat und die
+Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und materielle
+Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin.
+Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen und latinischen Bauern auf
+ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils
+der kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und
+die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige
+Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen
+latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu
+genuegen.
+</p>
+
+<p>
+Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von Hannibals
+strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm
+gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da an noch durch vier
+Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen
+Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen
+noch sich einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen,
+weniger in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden
+Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden
+und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt
+hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios
+Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten seine
+Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die sie ihm
+verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese
+in der Angst vor der erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst
+wieder hervor (548, 549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago
+nach Spanien Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien
+aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser
+und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine
+Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des Buendnisses und
+zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein es war zu spaet.
+Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden geschlossen; die
+bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er
+tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches
+Korps nach Afrika, das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner
+Tasche bezahlte; begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie
+der spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine
+makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht.
+</p>
+
+<p>
+Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den
+Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte,
+landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die
+Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des
+Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen sogar
+durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten. Allein was er an
+Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das
+eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein
+Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette
+vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der Heimat nicht
+gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten, war sie nicht mehr
+moeglich.
+</p>
+
+<p>
+Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg
+Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen
+Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so
+unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem
+eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten
+Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie
+Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen und
+wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius Nero und
+Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen, allein sie waren
+beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es
+gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon,
+dass die Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied
+-, und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften
+Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien
+zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene Aufgabe so
+glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien, ward sogleich fuer
+das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem
+festen Entschluss, die schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition
+jetzt zu verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der
+methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange nichts
+wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet
+dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische
+Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und etwas
+baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegfuehrung in
+Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine Soldatenzucht. Wie
+begruendet der Vorwurf war, dass er gegen seine Korpschefs allzugrosse
+Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius
+in Lokri veruebte, und die Scipio allerdings durch seine fahrlaessige
+Beaufsichtigung in der aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte.
+Dass bei den Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen
+Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel
+Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in
+Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass er sehr
+deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der Regierungsbehoerde
+gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen
+gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche
+Besorgnis erwecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden
+Entscheidungskrieg und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an
+die ihm gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die
+eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen
+geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht
+zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, dass
+die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins
+Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst
+faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet
+war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung seines
+Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten Kraefte zu
+erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag
+nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde
+schuldige Ruecksicht wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem
+Beschluss des Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien
+gehen, um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die
+Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika
+landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene beiden aus
+den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen - zur Disposition
+gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache Besatzung und die Flotte
+vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm gestattet, in Italien Freiwillige
+aufzubieten. Es war augenscheinlich, dass der Senat die Expedition nicht
+anordnete, sondern vielmehr geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte
+der Mittel, die man einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben
+dasjenige Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
+behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet des
+Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers, deren Untergang
+der Staat allenfalls verschmerzen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische
+Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen werden
+muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein, wie sie immer
+waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied
+er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der
+Popularitaet der Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die
+betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine
+sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das heisst durch
+eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur
+Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in
+vierzig Tagen war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten
+Freiwillige, deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des
+geliebten Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
+starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
+Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne den
+geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der Naehe von Utica.
+</p>
+
+<p>
+Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die Pluenderungszuege,
+welche die roemischen Geschwader in den letzten Jahren haeufig nach der
+afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein ernstlicher Einfall folgen werde,
+hatten, um dessen sich zu erwehren, nicht bloss den italisch-makedonischen
+Krieg aufs neue in Gang zu bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um
+die Roemer zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
+Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der Massyler, und
+Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran), dem Herrn der
+Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren und bisher den Roemern
+befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen,
+indem man den anderen, den alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der
+Karthager, fallen liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der
+vereinigten Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender
+dem letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in
+der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand ein
+karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 Elefanten -
+Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt worden - schlagfertig
+zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des in Spanien erprobten
+Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag eine starke Flotte. Ein
+makedonisches Korps unter Sopater und eine Sendung keltiberischer Soeldner
+wurden demnaechst erwartet.
+</p>
+
+<p>
+Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager des
+Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind gegenuebergestanden
+hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte zunaechst den Roemern nichts als
+seine persoenliche Tuechtigkeit, und die Libyer, obwohl der Aushebungen und
+Steuern herzlich muede, hatten doch in aehnlichen Faellen zu bittere
+Erfahrungen gemacht, um sich sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann
+Scipio den Feldzug. Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen
+sich hatte, war er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen
+Reitergefechten zur Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf,
+angeblich mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung
+aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und
+Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging dem
+roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich unbequemen
+Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch einen gluecklichen
+Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig
+als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und
+derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der
+Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu helfen, traf
+ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den
+roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war
+verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut nicht
+sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr der
+Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren die
+erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt; man
+beschloss, auf den &ldquo;grossen Feldern&rdquo;, fuenf Tagemaersche von Utica,
+noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen;
+mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die
+zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die
+Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach
+hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach dieser
+doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff auf das
+roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar
+kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit
+aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein
+beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die
+Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war.
+</p>
+
+<p>
+Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit
+sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich
+offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. Hasdrubal,
+Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode verurteilt und ein
+Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und Frieden zu erlangen. Er
+forderte Abtretung der spanischen Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres,
+Uebergabe des Reiches des Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe
+bis auf zwanzig und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill.
+Taler) - Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen,
+dass die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms
+Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben an unter
+Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine karthagische
+Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische Patriotenpartei war
+nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu verzichten; der Glaube an die
+edle Sache, das Vertrauen auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das
+Rom gegeben hatte, feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der
+Friede notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang
+bringen musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das
+Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu
+lassen und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung
+vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst nach
+Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203) daran
+arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben
+damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen
+Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk
+ins Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager zu
+erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die feindlichen
+Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und faehigen
+Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die
+ligurische Kueste zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung
+und vollzog ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde.
+Hannibal waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten
+Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem
+Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in
+Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er
+nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die
+italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen, und
+bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft stehenden
+Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche
+Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also
+freiwillig dem italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem
+einzigen ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit
+mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat
+und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach roemischer
+Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter darbrachte, von der
+ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste Auszeichnung, die einem
+roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und der letzte Ehrenschmuck des
+alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre aus dem Leben schied (551 203).
+Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des
+Waffenstillstandes, sondern allein durch seine Schnelligkeit und sein Glueck,
+ungehindert nach Leptis und betrat, der letzte von Hamilkars
+&ldquo;Loewenbrut&rdquo;, hier abermals nach sechsunddreissigjaehriger
+Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, fast noch ein Knabe, verlassen hatte,
+um seine grossartige und doch so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu
+beginnen und westwaerts ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die
+karthagische See einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen
+war, was er hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er
+gedurft, jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
+zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei offen
+auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue Verbindungen
+mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit angeknuepft und nicht
+bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in der Volksversammlung die
+Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die Pluenderung einer an der
+afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen Transportflotte, ja sogar durch
+den ueberfall eines roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der
+Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem
+Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas
+(Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte,
+sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und
+verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand bei
+Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis und
+Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm
+zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer
+persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein Scipio, der
+schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse gegangen war, konnte
+nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit
+sich verstehen, und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt
+etwas anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs
+unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und
+so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1.
+In drei Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die
+karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und die
+phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das dritte die
+Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig
+Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine
+Legionen in drei Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die
+Elefanten durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu
+sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts
+ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in
+Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das
+Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes
+Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der Kampf
+des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den beiderseitigen ersten
+Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge gerieten endlich beide Teile in
+Verwirrung und mussten an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer
+fanden ihn; die karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend,
+dass sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der
+karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was
+von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob
+seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte dagegen
+in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch kampffaehig war und liess
+das zweite und dritte Glied rechts und links an das erste sich anschliessen.
+Abermals begann auf derselben Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres
+Gemetzel; Hannibals alte Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde,
+bis die Reiterei der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der
+geschlagenen feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit
+war nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet;
+dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren, hatten
+ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll Leute gelangte
+Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der
+westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der
+Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder
+Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den 19. Oktober wegen
+der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur
+Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen
+Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt
+noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle
+eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen,
+jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte
+den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen.
+Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie
+fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig Jahre
+eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und
+mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und
+ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen
+Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich
+darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine politische
+Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden
+verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen.
+</p>
+
+<p>
+Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des schwersten
+Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger
+abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage
+moechte gegruendet sein, wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen
+den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die
+Verhaeltnisse so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die
+Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege
+ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser
+entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen selbst
+diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also die Haende
+gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt war, nie auch nur
+einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie zu entziehen, geschweige
+denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte,
+dass der soeben beendigte Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war
+als von Karthago und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich
+schlechterdings nicht erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern
+wenig duenken, dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in
+Flammen aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
+Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der vernichtete
+Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das Verbrechen, die Roemer
+zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, gruendlicher zu bestrafen. Scipio
+dachte anders und wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen, dass
+in diesem Fall die gemeinen Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen
+und hochsinnigen, die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der
+etwaigen Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings
+nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges haben
+den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich
+gelungen war, abgehalten, die Exekution an der ungluecklichen Stadt zu
+vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem Adoptivenkel aufgetragen wurde
+und die freilich wohl jetzt gleich schon vollzogen werde konnte. Es ist viel
+wahrscheinlicher, dass die beiden grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die
+politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um
+dort der ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
+Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu setzen; der
+Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht
+minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das Unvermeidliche als in Scipios
+weisem Zuruecktreten von dem Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges.
+Sollte er, der hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben,
+was es denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der
+Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus
+voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation
+frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten
+Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der Nachbarn und die
+ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von sich mit einer muessigen
+Traene abzuwaschen.
+</p>
+
+<p>
+So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der
+Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu
+den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem
+Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu der
+Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer
+natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg
+auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am
+Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen
+gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn
+gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss
+deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des Krieges,
+namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig entsprachen; aber
+die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche Absicht hinaus, und zu dem
+Besitz von Spanien sind die Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig
+gelangt. Die Herrschaft ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie
+erstrebt haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das
+Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die
+Verhaeltnisse zugeworfen worden.
+</p>
+
+<p>
+Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die
+Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung
+begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen
+syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die Begruendung
+des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die bedeutendsten
+numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen
+Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene
+Hegemonie ueber den Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das
+notwendige Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems,
+das im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
+demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte der
+alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das Keltenvolk,
+wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang bestimmt, und es war
+nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution vollzogen werden wuerde. Innerhalb
+der roemischen Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schaerfere
+Hervortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang
+die trotz einzelner Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft
+ueberstandene Gefahr geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende
+Unterdrueckung der nicht latinischen oder nicht latinisierten Italiker,
+namentlich der Etrusker und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf
+die Strafe oder vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich
+ersten und letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die
+Landschaft der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua
+aus der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar die
+Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den gesamten
+Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger oder roemisch
+gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen Domaene und gab ihn
+seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die
+Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die
+Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch
+haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht
+und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen
+Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen Staedte mit
+Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die
+kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner
+und eine Menge anderer apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die
+grossenteils Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen
+Aecker wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
+Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum (bei
+Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem ehemaligen
+Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg bestimmt, vor allem
+aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen Villeggiatur und des
+asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner ward Thurii latinische Festung
+unter dem neuen Namen Copia (560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo
+unter dem Namen Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und
+Apulien wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln
+angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen
+Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht
+sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht gut
+roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch politische
+Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien
+fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie
+fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine zweite
+Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller Uebermut des
+Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen
+ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser
+Zeit traegt davon die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und
+Atella dem zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und
+die letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter
+darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste
+Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon
+gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen Spoettereien der
+Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder.
+Wie die Dinge standen, zeigt die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des
+folgenden Makedonischen Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben
+ward, und die Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554
+(200), Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom aus
+zugesandt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen Bevoelkerung
+gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen Buergerschaft, deren Zahl
+waehrend des Krieges fast um den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der
+Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe
+scheint danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust
+vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse
+der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt
+die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123
+Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine ausserordentliche
+Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen Normalstand gebracht ward. Dass
+endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der zugleich in allen Landschaften Italiens
+und nach allen vier Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die
+Volkswirtschaft im tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen
+klar; zur Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar
+der Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische
+Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein
+durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der
+Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten gewonnen hatte
+durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge bluehender Ortschaften
+- man rechnet vierhundert - war vernichtet und verderbt, das muehsam gesparte
+Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung durch das Lagerleben demoralisiert, die
+alte gute Tradition buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an
+bis in das letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich
+in Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt,
+dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen wegen
+Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden Weiden mit den
+halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose Verwilderung des Landes.
+Der italische Ackerbau sah sich in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in
+diesem Kriege aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst
+geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden
+koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende
+dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich
+in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet
+worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch
+Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes
+wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen
+friedliche und freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das
+Ziel der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum fremd:
+damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war
+der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die
+latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu
+latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen,
+nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden
+Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen;
+wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in
+denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete
+Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die damalige
+zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl,
+jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben
+wuerden. Freilich wenn nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die
+bedenklichen Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die
+Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und
+Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die
+geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und
+endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die geschmueckten
+Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus des Gottes
+niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen zufluesterten, er zu Rat und
+Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen hatte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</h2>
+
+<p>
+In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, wie man
+jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der Ordnung und
+Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den Hannibalischen
+Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, dass man jetzt da
+fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die Kelten begriffen es wohl.
+Schon im Jahre des Friedensschlusses mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet
+der zunaechst bedrohten Boier die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster
+Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang,
+sowie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos
+Expedition her in Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden
+Jahr (554 200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
+bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
+naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend hoerte
+diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als auf den Notruf
+der bedrohten Stammgenossen. Von &ldquo;den beiden Riegeln gegen die gallischen
+Zuege&rdquo;, Placentia und Cremona, ward der erste niedergeworfen - von der
+placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der
+zweite berannt. Eilig marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch
+zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und
+kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers
+vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem
+Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten,
+welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische
+Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer,
+welches bei Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich
+durch die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und
+erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der
+Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die
+Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten nicht bloss
+zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch Verzeihung von den
+Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer
+Schlacht, die die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und
+Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So
+gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach dem Fall
+von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche
+Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie
+den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten;
+namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten
+gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden
+Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes liess
+man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale
+Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und
+legte ihnen auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen
+Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden
+Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias
+in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens
+griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit
+um sich; die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den
+Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der
+gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586
+(168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang
+des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht nicht
+ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer unter den
+Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet
+laenger behauptet zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
+begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der transalpinischen
+Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der Halbinsel und des inneren
+Kontinents auch zur politischen Grenze zu machen. Dass die Furcht vor dem
+roemischen Namen schon zu den naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der
+Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der
+dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute
+zusahen, sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung,
+welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier
+(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder Taurisker (in
+Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die beschwerdefuehrenden
+roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche einzelner keltischer
+Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder
+die demuetige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem
+roemischen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen
+Gebot, ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575
+186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt
+hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat
+keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer die keltische
+Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen
+diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche Uebersiedlungsversuche von
+Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis
+dahin den Roemern wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen
+Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von
+Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien
+einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem aeussersten
+nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia
+(571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu
+verlegen, sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem
+gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten
+Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias
+veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der
+Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt
+war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die
+Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren
+bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief.
+</p>
+
+<p>
+Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der roemische
+Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, die dies zunaechst
+traf, wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus
+von ihnen ueberschritten und ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die
+Waffen zu bringen (560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen
+blockiert und wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam
+gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward
+die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer siegten
+(561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern eine
+Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das roemische
+Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung sich zu fluechten
+begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass
+von der Nation der Boier nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So
+freilich musste sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die
+Roemer forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht
+verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern
+blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern ueber
+die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen
+Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen
+Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde,
+dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess. Dieser
+Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen
+Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des
+halben Gebietes; und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren,
+bedarf es in der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht -
+verschwinden doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von
+Krieg und Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger
+rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits
+fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See
+herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen
+sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr
+zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet,
+wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine
+Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen
+als auf einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den
+Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
+Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen Jahre
+grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert und neue
+Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem ehemaligen
+senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; 570 184) und Pisaurum
+(Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen boischen Landschaft die
+Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) und Parma (571 183), von denen die
+Kolonie Mutina schon vor dem Hannibalischen Krieg angelegt und nur der
+Abschluss der Gruendung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband
+sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die
+Flaminische Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
+Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die Strasse von
+Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst Munizipalchaussee
+gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der roemischen Gemeinde
+uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber die Strecke von Arretium
+ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt,
+wodurch man eine kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt.
+Durch diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des
+keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch
+den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-,
+jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war ein
+leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und Po zur
+keltischen Landschaft gerechnet ward.
+</p>
+
+<p>
+In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel
+hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren,
+verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno
+wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem
+Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von
+Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was
+hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend
+von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die
+ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr eroberte
+Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das Potal von dem des
+Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals
+apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze
+gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich
+den Roemern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach
+Massalia und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der
+Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber
+Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und
+Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.
+</p>
+
+<p>
+Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen Apenninen und
+die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren unbequeme Nachbarn,
+die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die Pisaner und die Massalioten
+hatten von ihren Einfaellen und ihren Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden.
+Bleibende Ergebnisse wurden indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen,
+vielleicht auch nicht bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem
+transalpinischen Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
+Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna ueber
+Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen - jenseits der
+Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen Schiffen die Kuestenfahrt
+und den Landreisenden die Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit
+seinen unwegsamen Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber
+gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als
+Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere.
+</p>
+
+<p>
+Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen
+und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie
+gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten. Im
+Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden
+577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den &ldquo;Frieden&rdquo; gab,
+sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen zu haben
+behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, dass es
+Sprichwort ward: &ldquo;spottwohlfeil wie ein Sarde&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso
+kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der karthagischen
+Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt bestaendig unter dem
+Druck und unter dem Damoklesschwert einer roemischen Kriegserklaerung zu
+erhalten. Schon die Bestimmung des Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar
+ihr Gebiet ungeschmaelert bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle
+diejenigen Besitzungen garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser
+innerhalb der karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als
+waere sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
+erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat den
+Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische Bundesgenossen
+Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags sie nicht einmal
+befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen Gebiet den numidischen
+Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen und bei der Unsicherheit der
+afrikanischen Grenzverhaeltnisse ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber
+einem ebenso maechtigen wie ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der
+zugleich Schiedsrichter und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber
+die Wirklichkeit war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah
+Karthago sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
+seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von den
+Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So gingen die
+Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die Haende der Numidier,
+und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den groesseren Ortschaften.
+Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172),
+seien ihnen wieder siebzig Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft
+ueber Botschaft ging nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat,
+ihnen entweder zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein
+Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu
+regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie
+einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen
+zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die roemische
+Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu Gebietserweiterungen,
+natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht gestellt hatte, schien wenig
+dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte Beute sich selber nahm; sie
+maessigte wohl zuweilen das allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten
+Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben
+dieser Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt
+worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder
+roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung
+zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas
+Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt ward.
+Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu
+schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie
+begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen
+und namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen.
+</p>
+
+<p>
+Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und Ergebung.
+Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der
+Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb.
+Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden
+Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den Kampf
+aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne
+wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen
+Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der
+Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen maechtiger
+Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch
+Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich
+unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass
+ihrer verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte
+Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein
+demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der
+Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch
+Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch
+Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die
+roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit
+ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben damals im
+Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien zu beginnen,
+folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete
+Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter
+Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen
+Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie
+eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt
+war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen
+Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie
+gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten
+dem Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen waren
+wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft
+ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem
+einfachen Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, dass
+der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden
+Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte
+Wahrheit, und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische
+Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden
+konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung
+fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago
+den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den
+Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem
+Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem
+Orient die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die
+mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat
+verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das
+tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter sind, denen
+sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also
+an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt.
+</p>
+
+<p>
+Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich verantworten, dass
+die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht aufhoerte, die Stadt zu
+beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort die Parteien nach wie vor; allein
+nach der Entfernung des ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der
+Welt gewendet haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago
+als in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
+damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an
+Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der Phoeniker zu
+machen. Allein weder die nationale noch die libysch gesinnte Faktion der
+Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb das Regiment bei den roemisch
+gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie nicht ueberhaupt aller Gedanken an die
+Zukunft sich begaben, einzig die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und
+die Kommunalfreiheit Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette
+man in Rom wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die
+regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der gruendlichen
+Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die roemischen Kaufleute
+aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch jetzt, wo ihre politische Macht
+dahin war, im Besitz einer ausgedehnten Handelsklientel und eines
+festgegruendeten, durch nichts zu erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567
+(187) erbot sich die karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553
+(201) stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen
+an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den
+Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die Ueberzeugung
+gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die Stadt nicht ruiniert und
+nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen Geruechte ueber die Umtriebe der
+treulosen Phoeniker durch Rom. Bald hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von
+Tyros, sich in Karthago blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung
+einer asiatischen Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in
+geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
+Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, die in
+Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). Es ist nicht
+wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als hoechstens die
+Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber waren sie das Signal zu
+neuen diplomatischen Misshandlungen von roemischer, zu neuen Uebergriffen von
+Massinissas Seite, und die Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger
+Sinn und Verstand in ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit
+Karthago nicht fertig zu werden sei.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank
+wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben ihnen ein neuer
+Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage ist das nordafrikanische
+Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst
+und welches die Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das
+Weidevolk, die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als
+&ldquo;Hirten&rdquo; (Schâwie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu
+nennen gewohnt sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht
+ist, keiner anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
+diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar an der
+Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, aber auch bei
+ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die Bewohner des Atlas
+fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das phoenikische Alphabet und
+ueberhaupt die phoenikische Zivilisation ihnen nicht fremd blieb und es wohl
+vorkam, dass die Berberscheichs ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und
+mit phoenikischen Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik
+wollte unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen
+Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren
+zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika
+beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede freie
+Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den eingeborenen
+Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen
+Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge
+Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom
+Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der
+marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler, Syphax, der
+von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge (Siebenkap zwischen
+Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig
+der Massyler, Massinissa, der von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die
+karthagische Grenze in der heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste
+von diesen, der Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom
+und Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in
+der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der Sohn
+des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den Roemern einen
+kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte (554 200), vermochte
+doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht um die Stellung des
+bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. Massinissa ward der Gruender des
+Numidischen Reiches; und nicht oft hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an
+die rechte Stelle gesetzt. Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste
+Greisenalter, maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
+ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
+vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
+Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als Soldat
+und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der schwereren Kunst,
+in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande Ordnung zu erhalten,
+gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer ruecksichtslos zu Fuessen zu
+werfen wie den schwaecheren Nachbar ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten
+und zu alledem mit den Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den
+vornehmsten Haeusern aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von
+afrikanisch bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt,
+ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es schien,
+im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in ihm gleichsam
+verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie in allem so auch darin,
+dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er starb im neunzigsten Jahr seines
+Lebens (516-605 238-149), im sechzigsten seiner Regierung, bis an sein
+Lebensende im vollen Besitz seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und
+hinterliess einen einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der
+beste und gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon
+erzaehlt worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
+Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer Massinissa
+hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende Erlaubnis, auf Kosten
+Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und stetig benutzte. Das ganze
+Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem einheimischen Herrscher gleichsam
+von selber zu, und selbst das obere Tal des Bagradas (Medscherda) mit der
+reichen Stadt Vaga ward dem Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich
+von Karthago besetzte er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere
+Strecken, so dass sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen
+Grenze erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste
+und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen
+Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche
+Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des
+Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch ihren
+grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs, der weithin die
+Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess,
+fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu
+treiben. Wie seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in
+Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und
+hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein
+wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta
+(Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein
+Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs
+eifrige und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete
+Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch
+in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie
+Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an,
+unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die
+karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge
+seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der nivellierenden
+Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale
+Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das
+des Massinissa.
+</p>
+
+<p>
+In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der Kueste,
+wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so bereitwilliger
+der roemischen Herrschaft, als sie sich selber ueberlassen, kaum imstande
+gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen zu schuetzen; wie aus gleichen
+Gruenden Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene
+Staedte, es doch nicht versaeumte, durch engen Anschluss an die Roemer, denen
+Massalia wieder als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach
+nuetzlich wurde, sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen
+dagegen machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
+an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
+Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine deutliche
+Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weitverbreitete
+nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrotals und die
+andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in mannigfache
+Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit hinaufzureichen
+und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische Alphabet
+zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar
+ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von
+6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen besassen; allerdings
+wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter allen spanischen genannt und
+zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege
+regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl
+auch Polybios&rsquo; Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand
+des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an
+Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von
+den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll
+&ldquo;Gerstenwein&rdquo;. Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten,
+fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher als irgendwo
+sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die Latinisierung
+vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der
+warmen Baeder nach italischer Weise bei den Eingeborenen auf. Auch das
+roemische Geld ist allem Anschein nach weit frueher als irgendwo sonst
+ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt
+worden; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermassen
+begreiflich wird. Das sogenannte &ldquo;Silber von Osca&rdquo; (jetzt Huesca in
+Aragonien), das heisst spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon
+559 (195) erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
+nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen Denare
+nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und oestlichen
+Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen Zivilisation und der
+roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, dass diese dort nirgend auf
+ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war dagegen der Westen und Norden und
+das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen, mehr oder minder rohen
+Voelkerschaften, die von keinerlei Zivilisation viel wussten - in Intercatia
+zum Beispiel war noch um 600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers
+unbekannt - und sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
+Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der Maenner
+und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn in die Schlacht
+entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von den Taten seiner Ahnen,
+und dem tapfersten Mann reichte die schoenste Jungfrau unaufgefordert als Braut
+die Hand. Zweikaempfe waren gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie
+zur Ausmachung von Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen
+fuerstlichen Vettern wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten
+vor, dass ein bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen
+Gegner bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
+und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig Jahre
+nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine keltiberische
+Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem roemischen Feldherrn
+Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen Mann ein Pferd, einen Mantel
+und ein Schwert senden moege, sonst werde es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre
+Waffenehre, so dass sie haeufig es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung
+zu ueberleben, waren die Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und
+fuer jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft,
+die ein der Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen,
+im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: entweder
+nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische Dienste zu treten,
+oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so
+trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaren zusammen, um die
+friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen
+und zu besetzen, ganz in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das
+Binnenland war, davon zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von
+Cartagena bei den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen
+aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens
+Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der
+seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der
+oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen Nachbarn
+pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der Halbinsel, von dem
+spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt wohnten, liessen diese jede
+Nacht durch den dritten Teil ihrer Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor
+einen hoeheren Beamten bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die
+griechische Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren
+nur zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll
+Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten
+denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden.
+Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier nicht
+bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals Fuehrung, sondern
+selbst allein und in offener Feldschlacht sich als nicht veraechtliche Gegner;
+mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen
+annahmen, und ihren gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten
+selbst die roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich
+militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so haetten
+sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber
+ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte ihr
+voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg,
+aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie
+Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im
+Kriege tapfer erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den
+Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein
+geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und zu
+zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich genuegende, eine
+umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen
+Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren.
+</p>
+
+<p>
+Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien
+erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische
+Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia
+und Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und
+Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten
+Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und
+Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den beiden
+Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen Keltiberien
+zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische Botmaessigkeit zu
+bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die
+Lusitaner im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfaellen
+in das roemische Gebiet abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der
+Nordkueste, den Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht
+sich beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war indes
+nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des
+diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der Keltiberer und dem des
+jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner jaehrlich zu schaffen machten. Es
+ward somit noetig, in Spanien ein roemisches Heer von vier starken Legionen
+oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch
+sehr haeufig zur Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften
+der Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
+grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem Umfang,
+die militaerische Besetzung des Landes bleibend und infolgedessen auch der
+Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte roemische Weise, nur dahin Truppen
+zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in
+sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr
+bei der Fahne zu halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der
+unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings
+unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich, sie auch nur
+in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die
+Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist,
+sondern auch fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen
+Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die
+Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und
+drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur
+eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und
+waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit
+Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch nur auf
+kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine allgemeine
+Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward hart gedraengt, der der
+Diesseitigen voellig ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den
+Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor
+Quintus Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der
+Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden.
+Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige
+Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im
+inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen
+Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in der nach
+hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst mit der
+gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte
+darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich
+gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom sofort der
+Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch, und nachdem Cato die
+Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in
+Masse in die Sklaverei verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung
+der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen
+Staedte der Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl,
+ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie
+weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen;
+die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen
+wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern
+erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg.
+Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der &ldquo;friedlichen
+Provinz&rdquo; ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, und
+die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz fuehrten
+gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel 563 (191) ein
+roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in
+Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren musste. Erst ein Sieg,
+den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch
+bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569
+(185) ueber die Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im
+diesseitigen Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer
+ueber die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus
+Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181)
+wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders
+durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher mehr
+noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich
+unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die Weise der schlichten und
+stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. Indem er angesehene Keltiberer
+bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel;
+indem er den schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog -
+die spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem
+Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen
+Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege regelte,
+verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger Empoerungen. Sein Name
+blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande
+seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches Mal unter dem Joch zuckten, doch
+vergleichungsweise Ruhe ein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der
+Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten
+Kupfertafel zum Vorschein gekommen: &ldquo;L. Aimilius, des Lucius Sohn,
+Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und
+Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser
+[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die
+Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und
+haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im
+Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. &ldquo; (L. Aimilius L. f.
+inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana
+habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent,
+item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet. Act. in
+castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische Urkunde, die
+wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass
+der Konsuln des Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem
+sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie
+hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557
+(197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die
+definitive Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung
+des Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf zwei
+Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den
+hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung
+der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es
+blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch
+hier bei dem fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen
+besonders unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die
+abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt der
+sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von
+den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen Staedten
+und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen auferlegt, welche
+auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat infolge der Beschwerdefuehrung
+der spanischen Gemeinden im Jahr 583 (171) untersagte. Getreidelieferungen
+wurden hier nicht anders als gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei
+durfte der Statthalter nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies
+gemaess der eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht
+einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen
+Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere
+Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward dieselbe
+auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das Recht der Praegung
+von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den spanischen Staedten sehr
+haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier keineswegs so wie in Sizilien von
+der roemischen Regierung in Anspruch genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte
+man in Spanien zu sehr der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung
+in moeglichst schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders
+von Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze
+griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum, Gades,
+Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen Herrschaft auf der
+Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im ganzen war Spanien fuer
+die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie finanziell mehr eine Last als
+ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren
+damaliger Politik der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich
+dieser beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
+Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, selbst im
+fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, welche Rom wie
+Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung namentlich Marcus Cato
+regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel mitbestimmend gewesen sein;
+allein die Hauptursache, weshalb man die Halbinsel in unmittelbarem Besitz
+behielt, war die, dass es dort an Staaten mangelte, wie im Keltenland die
+massaliotische Republik, in Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass
+man Spanien nicht loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen
+Koenigreichs der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 1. Makk. 8, 3: &ldquo;Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande
+Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst.&rdquo;
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</h2>
+
+<p>
+Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein
+Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den
+ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei
+wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu
+hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines
+hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und
+Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia
+und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt
+fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich der
+Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische Zivilisation sich
+friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen Feldherrn beerbten, vertrugen
+allmaehlich sich untereinander und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich
+her, dessen Schwankungen selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den
+drei Staaten ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und
+Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort
+den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es gewesen war
+unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein gut arrondierter
+Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der Nordgrenze hatten die
+ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, nachdem die Fluten der
+gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die Grenzwache hielt die
+illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im
+Sueden war Griechenland nicht bloss ueberhaupt von Makedonien abhaengig,
+sondern ein grosser Teil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von
+Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige
+Insel Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und
+im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion,
+Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land- und
+Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen makedonische
+Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia,
+Chalkis auf Euboea und Korinth, &ldquo;die drei Fesseln der Hellenen&rdquo;.
+Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen
+Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses weiten Gebiets war auffallend duenn;
+mit Anstrengung aller Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft
+aufzubringen als ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen
+zaehlte, und es ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch
+nicht von der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall
+hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen
+Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und
+dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert
+schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere mit dem
+Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, waehrend im Orient und
+in Alexandreia die Griechen unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl
+befruchtende Elemente aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre
+Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum
+genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister
+zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen
+Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen
+Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet, aus der die
+Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die
+Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als
+ein besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene Rolle,
+welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die
+Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in
+Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und
+nun, da er in seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die
+Alexandriner gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der
+ungeschwaechte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem
+maechtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist
+auch hier der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen
+staendische Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
+keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt sich noch
+selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, wie er auch heisse,
+in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und die angestammte Regierung, in
+mutigem Ausharren unter den schwersten Bedraengnissen steht unter allen
+Voelkern der alten Geschichte keines dem roemischen so nah wie das
+makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach
+der gallischen Invasion gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie
+leiteten, zu unvergaenglicher Ehre.
+</p>
+
+<p>
+Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das oberflaechlich
+umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des &ldquo;Koenigs der
+Koenige&rdquo;, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine Anmassung wie fuer
+seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben Anspruechen von Hellespont
+bis zum Pandschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein
+Buendel von mehr oder minder abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen
+Satrapien und halbfreien griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das
+nominell zum Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze
+Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden
+einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von
+dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und die Inseln
+und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem Grosskoenig hier
+wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse
+Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und
+Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers
+ausser seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den
+vergeblichen Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu
+verdraengen, in dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und
+Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig
+gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen
+der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in
+den Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem
+der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die
+absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein die in
+dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil sie hier bei
+der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung einzelner Landesteile
+auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren pflegten.
+</p>
+
+<p>
+Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener
+Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter
+geschickter Benutzung des alten nationalen und religioesen Herkommens eine
+vollkommen absolute Kabinettsherrschaft begruendet hatte und wo selbst das
+schlimmste Missregiment weder Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche
+herbeizufuehren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der
+Makedonier, der auf ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck
+war, war in Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles
+und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in
+Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat
+laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste
+Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst
+brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden
+grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach Schatten
+griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimat
+Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegruendet hatte,
+hoerten nicht auf, sich als unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen
+Monarchie zu betrachten und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben,
+dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben
+nie eine Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung
+getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem
+Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten
+zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen
+Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass Ptolemaeos
+III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos Kallinikos
+zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch
+die guenstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten
+gegenueber in eine vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie
+zum Angriff. Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum
+imstande war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich
+zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich
+festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
+phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von Kleinasien,
+ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose
+Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und
+durch eine die materiellen Interessen ernstlich und geschickt foerdernde und
+ebenso ruecksichtslose wie einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische
+Hof seinen Gegner auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die
+intelligente Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach
+ernster Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
+diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in
+die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte nicht bloss
+unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den Einfluss der
+alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, sondern machte auch
+diese neue geistige Macht, die bedeutendste und grossartigste, welche das
+hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, soweit
+sie sich ueberhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des
+alexandrinischen Hofes. Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die
+griechische Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig,
+sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr
+der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo
+die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschoepflich waren, die Koenige
+Tragoedien und die Minister Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und
+Akademien florierten.
+</p>
+
+<p>
+Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem Gesagten.
+Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer monopolisierte,
+musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen Trennung des
+europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter hinarbeiten auf die
+Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes und also auf die
+Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, waehrend umgekehrt Makedonien
+und Asien zwar auch untereinander rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in
+Aegypten ihren gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber
+zusammenhielten oder doch haetten zusammenhalten sollen.
+</p>
+
+<p>
+Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem
+Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom
+suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere
+und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan
+suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im
+kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am
+suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen
+Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen
+Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte
+Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug spurlos
+voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen und
+oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die in Asien an
+die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte.
+</p>
+
+<p>
+Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der
+Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne zwischen
+Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische
+Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig
+gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer
+Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten,
+jeder einem der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit
+ihrem Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und
+traten auf der &ldquo;heiligen Staette&rdquo; (Drunemetum) namentlich zur
+Faellung von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung
+den Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die
+Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
+unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils die
+umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder brandschatzten.
+Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der allgemeine Schreck der
+verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der asiatischen Grosskoenige selbst,
+welche, nachdem manches asiatische Heer von den Kelten war aufgerieben worden,
+und Koenig Antiochos I. Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren
+hatte (493 261) zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden.
+</p>
+
+<p>
+Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte
+es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den
+Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war
+im kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung der
+materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung
+und das Regiment eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren
+wesentlicher Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen
+festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen
+Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz
+trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den
+syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter unter den
+roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst
+Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, das die
+verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps,
+den Achaeern, entrissen hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig
+zufiel, um 30 Talente (51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des
+Hofglanzes und des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer
+etwas vom staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik
+gewoehnlich mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo
+de&rsquo; Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann,
+und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
+Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr ab
+gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien.
+</p>
+
+<p>
+In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen an
+der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra roemische
+Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar makedonischen Gebiet
+noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik zu verfolgen, die
+Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen, die Boeoter und Athener im
+mittleren Griechenland und die Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im
+Peloponnes. Unter diesen waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und
+Boeoter in vielfacher Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die
+Akarnanen, weil sie der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch
+makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen.
+Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer
+mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten
+zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader Linie
+vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die Bewerber um
+die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich
+verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die
+Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten.
+</p>
+
+<p>
+Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu
+werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren
+voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese
+unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von
+Kleinstaedten gleichen Schlages hervor.
+</p>
+
+<p>
+Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige
+Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste
+Zucht- und Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann
+gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als
+Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen,
+dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man
+Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem Landrecht. Die
+Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem Nutzen sein koennen, wenn
+sie ihm nicht durch diese organisierte Raeuberwirtschaft, durch ihre
+gruendliche Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft und durch die
+unselige Opposition gegen den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet
+haetten.
+</p>
+
+<p>
+Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des eigentlichen
+Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, Nationalsinn und
+friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten Eidgenossenschaft. Indes die Bluete
+und namentlich die Wehrhaftigkeit derselben war trotz der aeusserlichen
+Erweiterung geknickt worden durch Aratos&rsquo; diplomatischen Egoismus,
+welcher den Achaeischen Bund durch die leidigen Verwicklungen mit Sparta und
+die noch leidigere Anrufung makedonischer Intervention im Peloponnes der
+makedonischen Suprematie so vollstaendig unterworfen hatte, dass die
+Hauptfestungen der Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und
+dort jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren
+Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte,
+namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen
+Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und
+antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. Einige
+Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum,
+das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er
+stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen
+er nicht bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der
+Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine
+Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen
+Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften
+besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea
+waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam verhasst;
+aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama
+war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen.
+</p>
+
+<p>
+Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die freien
+griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der
+ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie
+sind zugleich die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des
+hellenischen Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders
+Tode wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu
+einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt
+waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die
+Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer; Kyzikos an der
+asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin Milets, in engsten
+Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich und vor allen Rhodos. Die
+Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben
+hatten, waren durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler
+des Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige
+Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der
+Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle
+vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und wenn es
+galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit den Waffen
+zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu gestatten, und
+ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze Meer zu sperren erlaubten.
+Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der
+gegenueberliegenden karischen Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen
+erworben hatten, und fuehrten ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit
+Soeldnern. Nach allen Seiten hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem
+aber mit Aegypten standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen
+hoher Achtung bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der
+Grossstaaten ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie
+sich der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
+Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den Seleukiden
+entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige gab, wie zum
+Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios,
+Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. Alle diese waren im wesentlichen
+frei und hatten mit ihren Grundherren nichts zu schaffen, als die Bestaetigung
+ihrer Privilegien von ihnen zu erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen
+Zins zu entrichten; gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald
+schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei
+waren die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
+nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben durch die
+Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen Staedte gegruendet
+hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre nachher zwischen Antiochos und
+den Roemern nicht ueber die Freiheit der Staedte selbst gestritten ward,
+sondern darueber, ob sie die Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig
+nachzusuchen haetten oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in
+dieser eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, sein
+Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen verhandelte
+und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen die monarchischen
+Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb
+hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn und buergerlicher Wohlstand
+heimisch, und es gediehen hier Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste
+Soldatenwirtschaft zertreten oder von der Hofluft korrumpiert zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem
+Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos
+von Makedonien, veranlasst wurden, in die Verhaeltnisse des Westens
+einzugreifen. Wie es geschah und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549
+214-205) verlief, ist zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was
+Philippos im Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem
+geschah, was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder
+einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist
+als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien
+damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein rechter
+Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte
+Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war
+stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er
+bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn,
+sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten,
+wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz
+gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und
+gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter
+Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang gefaehrlich.
+Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen,
+die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand
+fuerchte als die Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter
+dieselben, denen sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer
+darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das
+Leben seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
+verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch
+Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es
+wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den Vater ermorden lasse,
+auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass ihm nicht eigentlich die
+Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm
+gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den Menschen allein ertraeglich macht,
+fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer
+den absoluten Koenig kein Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so
+schroff und grell zur Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die
+wesentlichsten Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann
+niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und
+Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert, dass er
+schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward und dass sein
+unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und Widerraten ihn in
+seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen Ratgeber von ihm
+verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag, um die schwache
+und schmaehliche Fuehrung des Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen,
+laesst sich nicht sagen - vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst
+gegen die nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
+Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und Eifersucht auf
+Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein spaeteres Benehmen
+nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen Saumseligkeit Hannibals
+Plan scheiterte.
+</p>
+
+<p>
+Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05)
+in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich
+kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet
+keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah; es kann
+auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte
+und dass Philippos im stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern
+verstaerkte. Allein sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im
+Osten sich einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das
+voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch nach
+Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos keineswegs im
+Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor haette tun sollen.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos
+Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen Nachfolger
+Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die Koenige von
+Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich vereinigt, um den alten Groll
+der Kontinentalmonarchien gegen den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der
+aegyptische Staat sollte aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos,
+Kyrene, Ionien und die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos&rsquo;
+Art, der ueber solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg,
+nicht bloss ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, &ldquo;eben wie die
+grossen Fische die kleinen auffressen&rdquo;. Die Verbuendeten hatten uebrigens
+richtig gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
+naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
+Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf diese
+als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo Karthago mit Rom
+den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine von den ihm untertaenigen
+Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord nehmen und an der thrakischen
+Kueste hinauf segeln. Hier ward Lysimacheia der aetolischen Besatzung
+entrissen, und Perinthos, das zu Byzanz im Klientelverhaeltnis stand,
+gleichfalls besetzt. So war mit den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den
+Aetolern, die soeben mit Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute
+Einvernehmen gestoert. Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine
+Schwierigkeiten, da Koenig Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war;
+zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet
+bezwingen. Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und
+dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
+Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu besitzen
+wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste
+erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg
+in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem
+Koenig schnoede und arglistig vereitelt worden waren. Aber waere auch dies
+nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem
+Spiel. Unmoeglich konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle
+aegyptische Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum,
+mit dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
+nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, dass es
+hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen Freibriefe handelte,
+sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. Schon war Lampsakos gefallen
+und Thasos behandelt worden wie Kios; man musste sich eilen. Der wackere
+Strateg von Rhodos, Theophiliskos, ermahnte seine Buerger der gemeinsamen
+Gefahr durch gemeinsame Abwehr zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass
+die Staedte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss
+sich und erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
+hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos&rsquo; persoenlicher und
+politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der aeolischen
+Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der seinigen Chios und Samos
+wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst vor Pergamon, das er indes
+vergeblich berannte; er musste sich begnuegen, das platte Land zu durchstreifen
+und an den weit und breit zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer
+Tapferkeit zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff,
+um sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die
+rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der
+Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war geringer, allein
+die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus und Philippos&rsquo;
+Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er endlich. Fast die Haelfte
+seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, wurden versenkt oder genommen, 6000
+makedonische Matrosen, 3000 Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates,
+2000 wurden gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800
+Mann und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von
+seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei
+Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen
+Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden hatte,
+starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, waehrend
+Attalos&rsquo; Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig bei Chios
+blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb, seine Fahrt weiter
+fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die karischen Staedte zu besetzen. An
+der karischen Kueste lieferten die Rhodier, diesmal von Attalos nicht
+unterstuetzt, der makedonischen Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen
+bei der kleinen Insel Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide
+Teile sich zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
+waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, besetzten
+jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos die Kykladen.
+Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland die Eroberung der
+rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen Staedte; haette er
+Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht vorgezogen, sich auf die
+Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, so wuerde er jetzt selbst an
+einen Zug nach Aegypten haben denken koennen. In Karien stand zwar kein Heer
+den Makedoniern gegenueber, und Philippos durchzog ungehindert die Gegend von
+Magnesia bis Mylasa; aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und
+der Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu geben
+oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte den
+Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in der
+Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und die
+griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang. Die
+Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos musste heute den
+pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, und dann wieder gegen
+seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu
+Ende, und in der Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und
+auch die des Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden
+ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug
+abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch
+die Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler
+und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr;
+er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in
+Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia,
+Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in Karien
+sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit
+welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten, gluecklich die thrakische Kueste
+zu erreichen und noch vor dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm
+nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen.
+Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre
+Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese
+Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie nach
+der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten sich zu
+unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil
+fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser
+Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff,
+sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland
+ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war
+Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist
+augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49 (206/05), der
+sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern gewaehrte; allein wie wenig
+man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien in Rom hegte und hegen durfte,
+beweist am besten die geringe und doch nie gegen Uebermacht zu fechten
+genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der
+Senat haette wohl eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den
+Preis eines in Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie
+ihm zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
+freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch nichts
+weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen Frieden in der
+bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer Zeit wieder zu beginnen,
+und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der gruendlichen Erschoepfung des
+Staats und der aeussersten Unlust der Buergerschaft auf einen zweiten
+ueberseeischen Krieg sich einzulassen, der Makedonische Krieg den Roemern in
+hohem Grade unbequem kam. Aber jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen
+Staat, wie er im Jahre 549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen
+lassen; allein unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil
+des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
+neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. Es kam
+hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
+Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel tiefe
+Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig zusehen, wie
+der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen Kontinentalmaechten
+abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen Bundesgenossen aus dem Ersten
+Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies die Ehrenpflicht zu wahren und zu
+hindern, dass Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn
+nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den
+schuetzenden Arm ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase;
+die Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass
+dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in
+dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und
+wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern das
+Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in
+ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empoert zu
+fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, kommerziellen und
+sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen,
+einem der gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat
+zur hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die
+Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen
+Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553 (201)
+erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von
+38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen
+ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk gegenueber
+notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen
+waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos&rsquo; Art gering
+zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom den
+Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. Die roemischen
+Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten sich zwar schon seit
+laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein
+roemischer Gesandter an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos&rsquo;
+Scharen aus dem illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den
+Gesandten des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn
+frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts
+als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte;
+eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur Demuetigung
+und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den saemtlichen
+kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische Gemeinde dem Namen nach
+in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen.
+Allein Rhodos und Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die
+roemische Hilfe zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn
+auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft
+ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich
+beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention zwar die
+augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der grossen westlichen
+Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer
+Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen
+Krieg mit Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um
+so mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens in
+die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig,
+als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von
+Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es die
+Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten geschehen liess,
+teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab,
+teils endlich den Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die
+Koalition der griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende
+553 201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der Hof
+hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus aufnehmen, den
+der Senat abgesandt hatte, um als &ldquo;Vormund des Koenigs&rdquo; dessen
+Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche Intervention moeglich
+war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp nicht auf und gab den
+Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens
+aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer,
+in Syrien nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und
+liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen.
+</p>
+
+<p>
+Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte aufs
+neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die
+saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos
+besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen
+Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an,
+an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz von Sestos und
+Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere Verbindung kam und nicht
+mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach
+oder aus Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das
+schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos
+beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und
+Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier
+gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter ueber bei
+Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben
+hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen,
+den Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein
+die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt,
+nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der
+Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren,
+der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist
+gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf die
+roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und
+Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem
+Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der
+Koenig solle gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die
+dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den
+Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein Schiedsgericht
+gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur foermlichen
+Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus
+Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen
+schoenen roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte
+zugute halten wolle.
+</p>
+
+<p>
+Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer anderen
+Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und grausamen
+Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich
+zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher
+Erbitterung von Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe,
+konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht
+weigern und gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und
+mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika
+einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es
+liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden
+Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen
+den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine athenische
+Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps auf einen alten
+Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing,
+sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im
+Fruehling 554 (200) seinen Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies,
+das attische Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen.
+</p>
+
+<p>
+Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die
+Kriegserklaerung &ldquo;wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten
+Staat&rdquo; vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast
+einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten
+ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war
+einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der Senat
+unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward durch Vorstellungen und
+Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswert, dass diese
+Konzessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im
+aktiven Dienst befindlichen Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen
+roemischen Maximen - die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und
+Sardinien, zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
+Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber entlassen;
+nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg aufgeboten werden
+duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene
+Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst 555 (199) einen bedenklichen
+Militaeraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten
+wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien
+blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden,
+gefuehrt von dem Konsul Publius Sulpicius Galba.
+</p>
+
+<p>
+So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die weitlaeufigen
+und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war,
+die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall
+abhaengigen Beschluessen schlechterdings nicht mehr passten und dass deren
+verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der
+militaerisch notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung
+der latinischen Bundesgenossen fuehrte.
+</p>
+
+<p>
+Philippos&rsquo; Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede
+Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden
+auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine
+Schuld so untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder
+nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps
+natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden
+und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen
+Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse
+daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt noch gab
+eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen, wie bereit
+der alexandrinische Hof sei, den Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu
+intervenieren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene
+Teilungsvertrag ueber Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern
+in die Arme und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es
+in die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
+Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter gestellt
+waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon,
+Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das Ihrige getan, um
+den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber Philippos&rsquo; grausame und
+vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu einem ungleichen Kampf gezwungen,
+in den sie ihrer Selbsterhaltung wegen alles anwenden mussten, die italische
+Grossmacht zu verwickeln. Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen
+Gesandten, die dort eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt
+waren, gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der
+antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette
+Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548
+(206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs
+aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen,
+die wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen
+thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des
+phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die
+Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei den
+Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten,
+sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich
+in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern.
+</p>
+
+<p>
+Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das makedonische
+Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, Akarnanen, Boeotern
+und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter unerschuettert zu Philippos
+standen. Mit den Epeiroten verhandelten die roemischen Gesandten nicht ohne
+Erfolg und namentlich der Koenig der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich
+fest an. Sogar von den Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos
+teils viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
+Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens (502-571
+252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen regeneriert, in
+gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich selber wiedergefunden
+und folgte nicht mehr, wie zu Aratos&rsquo; Zeit, blind der makedonischen
+Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische Eidgenossenschaft, die von
+Philippos&rsquo; Vergroesserungssucht weder Nutzen noch zunaechst Nachteil zu
+erwarten hatte, diesen Krieg vom unparteiischen und nationalhellenischen
+Gesichtspunkte an; sie begriff, was zu begreifen nicht schwer war, dass die
+hellenische Nation damit den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese
+es wuenschten und begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den
+Rhodiern zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
+einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
+Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; die
+achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste Philippos die
+Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - es war das die Nemesis
+fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht aendern konnten und nicht
+helfen mochten, blieben neutral.
+</p>
+
+<p>
+Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit
+seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten,
+die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche
+Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte. Indes
+teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung des
+roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts weiter
+vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden
+Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern
+besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren,
+namentlich mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem
+Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu
+nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet.
+</p>
+
+<p>
+Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80
+leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den
+Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem
+Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento indes die
+attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen Besatzung und die
+makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und
+erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in
+Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt
+wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff
+erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht,
+die Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an Truppen,
+um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach
+Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf
+nach Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die
+Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Allein
+die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich, so sehr der
+Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus,
+des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes
+noch einige Zeit in Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine
+Erfolge gleich gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu
+bringen; und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den
+Peiraeeus sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der
+Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und nach dem
+Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem Fruehjahr 555 (199)
+brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem Winterlager auf, entschlossen,
+seine Legionen von Apollonia auf der kuerzesten Linie in das eigentliche
+Makedonien zu fuehren. Diesen Hauptangriff von Westen her sollten drei
+Nebenangriffe unterstuetzen: in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner
+und Illyrier, in oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und
+der Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
+sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme am
+Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, die der
+Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und durch die
+fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an die Gebirgskette,
+die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese uebersteigend, das
+eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm entgegengegangen; allein in
+den ausgedehnten und schwach bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich
+die Gegner einige Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen
+Provinz, einer fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen
+Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager
+schlugen. Philippos&rsquo; Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der
+noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu
+Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die
+Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend und mit
+Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt erhielten,
+waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht
+wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot
+die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und die
+Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin einige
+Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt,
+sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes
+aufzuschlagen, von wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber
+auch hier wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und
+der Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen
+und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen war,
+mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst das Pferd
+verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner Reiter das Leben
+rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die Roemer der bessere Erfolg
+der von Galba veranlassten Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die
+Schwaeche der makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet
+moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere
+Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den
+Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er selbst dem
+Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und ueberdies noch, um dieses
+zu bilden, die Nordpaesse in der pelagonischen Landschaft entbloessen muessen.
+Fuer die Deckung der Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm
+angeordnete Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen
+Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos
+und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte Flotte.
+Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte Neutralitaet der
+Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich dem Bunde gegen
+Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen vereinigt in Thessalien
+ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften
+ueberschwemmten und die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra
+aufbrechend, in den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos,
+der Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten.
+</p>
+
+<p>
+Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in oestlicher
+Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der
+Aetoler zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins
+Verderben zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu
+tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so
+geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen,
+seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die
+Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu erreichen und
+zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen einen heissen Empfang zu
+bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten Stelle zur Schlacht. Aber die langen
+makedonischen Speere erwiesen sich unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen
+Terrain; die Makedonier wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren
+viele Leute. Indes wenn auch Philippos&rsquo; Heer nach diesem ungluecklichen
+Treffen nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu
+wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen
+Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck nach
+Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens Eordaea,
+Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron
+(jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen
+ergeben hatte - es war die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre
+Tore oeffnete. Im illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an
+den oberen Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem
+aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen.
+</p>
+
+<p>
+Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht, sondern
+wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen, die in der
+Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des
+Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und
+noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu,
+retten. Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, die
+in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der
+Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der
+leichten Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust
+ueber die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel
+aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und
+Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber
+die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des Sommers
+verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die entschlossene
+Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache
+makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und wagte
+nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen diese in die
+Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und
+Pergamener in die Heimat.
+</p>
+
+<p>
+Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich Glueck
+wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst beschwerlichen
+Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling aufgebrochen waren, und
+ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler und die unerwartet glueckliche
+Schlacht am Pass von Eordaea haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann
+das roemische Gebiet wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall
+ihren Zweck verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes
+Gebiet vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich
+vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze
+gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern
+zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den
+Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte er
+grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke dieser sich
+dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des
+Koenigs Attalos, der von den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes
+beeilten sich nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten
+Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos&rsquo; Gebiet geraeumt
+ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen.
+</p>
+
+<p>
+Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder
+Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der
+Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des
+verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten
+Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die
+atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos
+(Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein
+wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue
+Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul des
+vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) der
+diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl fuehrte.
+Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der
+juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen Wesen auch den
+altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing und zwar auch noch an das
+Vaterland, aber mehr an sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter
+Offizier und besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung
+der schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere
+es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf
+einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein
+Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen
+noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit der
+hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und kuenstlerischen
+Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern
+aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen nachzustreben.
+</p>
+
+<p>
+Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine Zusammenkunft,
+waehrend die beiden Heere untaetig sich gegenueberstanden. Philippos machte
+Friedensvorschlaege; er erbot sich, alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und
+wegen des den griechischen Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen
+Austrag zu unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
+namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. Vierzig Tage
+standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass Philippos wich oder
+Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den Sturm anzuordnen oder den
+Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige Expedition wieder zu versuchen. Da
+half dem roemischen General die Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst
+gut makedonisch gesinnten Epeiroten, namentlich des Charops, aus der
+Verlegenheit. Sie fuehrten auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu
+Fuss und 300 Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie
+alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
+Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden
+roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und Verschanzung und
+gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass Tempel die Pforte des
+eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab er auf bis auf die
+Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht verteidigen konnte,
+zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem
+Verderben. Teils durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch
+Flamininus&rsquo; geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom
+makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht vom
+Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die
+Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die
+festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von Philippos
+Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden
+sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo
+in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese thessalischen
+Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland
+in den Haenden der Koalition.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das
+Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung
+unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in
+makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu spaet war,
+um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte
+gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen
+und pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit beschaeftigt
+gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen
+und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder
+aufgegeben und von dem makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs
+neue besetzt wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae,
+dem oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der
+anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in
+der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend, namentlich
+Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier ausersehen. Die
+Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen Legionen sich naehern, auf
+der anderen die roemische Flotte schon an ihrem eigenen Gestade sahen,
+verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte, aber politisch unhaltbare
+Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften
+Staedte Dyme, Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss
+dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere
+Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer
+vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth zu Lande
+einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen
+roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die
+makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus
+italischen Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast
+uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer
+Abteilung von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das
+Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch
+gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung
+war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des Nabis von
+Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er
+nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich
+hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur deshalb roemischer
+Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den Achaeern und seit 550
+(204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos&rsquo;
+Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf
+seine Seite zu schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von
+Philippos an, allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit
+Flamininus, welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg
+begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und
+Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte.
+</p>
+
+<p>
+So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich einen
+billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea am Malischen
+Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich und versuchte, mit
+Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen, indem er den petulanten
+Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und Feinheit zurueckwies und durch
+markierte Deferenz gegen die Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner
+von diesen ertraegliche Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet
+genug, um durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen
+die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten gelernt
+hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht ging nicht so
+weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen Einraeumung von Phokis
+und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand zu und wies ihn in der
+Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen Senat war man sich laengst einig,
+dass Makedonien alle seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher
+Philippos&rsquo; Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob
+sie Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis
+und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort die
+Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des Krieges. Mit
+Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so nachteiligen Wechsel des
+Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das Kommando zu verlaengern; er
+erhielt bedeutende Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber
+Publius Galba und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu
+stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um
+Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und
+Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf
+6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des erschoepften
+Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die Phalanx einreihend, ein
+Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die
+Beine brachte. So begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte
+einen Teil der Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im
+eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der boeotischen
+Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen
+Makedonien wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die
+Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach
+Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten
+der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die
+schon oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen,
+indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika,
+Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung
+kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und
+zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten, den Feind an der
+makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt
+hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm
+entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. Beide
+Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten
+und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen
+ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr
+gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei
+dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf
+waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den
+feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen
+Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die
+Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen
+und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits
+den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden
+wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem
+groessten Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich
+vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager
+zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht die
+aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten haetten, bis
+Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf
+der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig
+nach und ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder
+Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu
+besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der rechte
+Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh genug dort an,
+um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu stellen; der linke aber
+war noch zurueck, als schon die leichten Truppen der Makedonier, von den
+Legionen gescheucht, den Huegel heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen
+Haufen rasch an der Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten,
+bis auf dem linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte
+der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten Speeren
+den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig die wieder
+geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die Flanke fallen. Der am
+guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der Phalanx zersprengte das roemische
+Fussvolk, und der linke Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem
+anderen Fluegel liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere
+Haelfte der Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und
+waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten
+Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen,
+gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der Roemer
+ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen linken fertig; die
+Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen, vernichteten die aufgeloesten
+makedonischen Scharen. Waehrend hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand,
+nahm ein entschlossener roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf
+sich mit diesen auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen
+linken verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
+Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und mit
+dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen Aufloesung der
+beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils gefangene, teils
+gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene, weil die roemischen Soldaten
+das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht
+kannten; der Verlust der Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und
+nachdem er alle seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren,
+raeumte er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch andere
+Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen
+die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen
+dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward
+von Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das
+akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos war
+vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben
+sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae.
+</p>
+
+<p>
+Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: sie
+nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich Alexanders
+vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies Begehren von
+aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess das anders als den
+Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten niederreissen? Schon war
+waehrend des eben beendigten Krieges das bluehende Lysimacheia auf dem
+Thrakischen Chersonesos von den Thrakern gaenzlich zerstoert worden - eine
+ernste Warnung fuer die Zukunft. Flamininus, der tiefe Blicke in die
+widerwaertigen Verfehdungen der griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht
+die Hand dazu bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der
+aetolischen Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
+hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso sehr
+gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl verletzt war durch
+die Prahlerei der Aetoler, der &ldquo;Sieger von Kynoskephalae&rdquo;, wie sie
+sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es nicht roemische Sitte sei,
+Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie ja ihre eigenen Herren und stehe es
+ihnen frei, mit Makedonien ein Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig
+ward mit aller moeglichen Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit
+erklaert hatte, auf die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm
+von Flamininus gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter
+seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den
+Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
+hinauszuschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen Angelegenheiten ward
+vom Senat einer Kommission von zehn Personen uebertragen, deren Haupt und Seele
+wieder Flamininus war. Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie
+Karthago gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in
+Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres;
+dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige
+unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward
+- eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die die
+Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem Charakter es
+unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von ihm abgefallene
+Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner verpflichtet, keine auswaertigen
+Buendnisse ohne Vorwissen Roms abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen
+zu schicken; ferner nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten
+noch ueberhaupt gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer
+ueber 5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu
+unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos
+mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu
+senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den Legionen
+zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von 1000 Talenten
+(1700000 Taler).
+</p>
+
+<p>
+Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet herabgedrueckt
+und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte, um die Grenze von
+Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig
+abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien
+erfuhren, dass ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und
+die ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten,
+nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre
+Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
+Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; und
+Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den Isthmischen
+Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). Ernsthafte Maenner
+freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und
+was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute; doch war der Jubel
+gross und aufrichtig, wie die Absicht aufrichtig war, in der der Senat die
+Freiheit verlieh ^1.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift
+&ldquo;T. Quincti(us)&rdquo;, unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in
+Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist eine
+bezeichnende Artigkeit.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen
+Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos,
+fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land-
+und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen
+Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften im
+westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm liess, und
+die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer seine vielen
+Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller
+Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten
+und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen
+nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den
+verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die
+doch am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
+scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen
+griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen
+Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden
+ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende;
+sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie aufnehmen,
+allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen,
+wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die
+thessalischen Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften
+geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos,
+der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute.
+</p>
+
+<p>
+Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse Griechenlands,
+sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten in sich. Die
+dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern und Achaeern seit 550
+(204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den Roemern notwendig zufiel. Allein
+nach vielfachen Versuchen, Nabis zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der
+von Philippos ihm ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen,
+blieb Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
+Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer und auf
+Antiochos&rsquo; Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung von Argos
+beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf einer grossen
+Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit der Flotte und dem
+roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch einem von Philippos gesandten
+Kontingent und einer Abteilung lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen
+Koenig von Sparta, Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den
+Gegner durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden
+nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit Vernachlaessigung
+der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst umstellt; allein der
+gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. Nabis hatte eine betraechtliche
+Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine
+Herrschaft durch ein vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in
+Masse der ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
+befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen Armee
+und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm gestellten
+verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen, verwarf &ldquo;das
+Volk&rdquo;, das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte Raubgesindel,
+nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege fuerchtend und getaeuscht
+durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das
+Heranruecken der Aetoler und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn
+gebotenen Frieden, und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor
+den Mauern und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern
+erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur
+Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende.
+Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen, die Emigranten
+wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die
+bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet.
+Dagegen musste Nabis seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die
+kretischen Staedte und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich
+verpflichten, weder auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren
+und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles
+Raubgut wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine
+Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte
+an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im
+Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der &ldquo;freien
+Lakonen&rdquo; nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr
+Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen angewiesene
+Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre
+Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden
+sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die
+freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die
+Beseitigung des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der
+Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen
+Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass
+Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie
+es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische
+Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen
+den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas in den Achaeischen
+Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der
+Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der
+Emigranten und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren
+beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle eines
+anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der
+rechte, weil er beide extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer
+gruendlich gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende
+hatte und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde
+unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte
+und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war,
+davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch unabsehbar sich
+fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner Erfolge zu trueben;
+moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der
+Achaeischen Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der
+erste Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig
+wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten.
+</p>
+
+<p>
+Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen Staaten
+Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden
+gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre
+makedonische Gesinnung selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus
+Griechenland offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in
+Philippos&rsquo; Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet
+hatte, ward der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum
+Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf
+alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch
+gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer warte,
+beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich
+dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward
+demnach ermordet; worauf die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu
+verfolgen, sondern auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen
+Soldaten auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg;
+Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und
+da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und
+belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der Tat
+liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen eine sehr
+maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die makedonische Partei
+fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer
+knabenhaften Opposition nichts entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im
+uebrigen Griechenland begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne
+Gewalttaetigkeit anging, auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der
+neubefreiten Gemeinden einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der
+Reicheren und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
+staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde nach
+Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der betreffenden
+Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu knuepfen. Im Fruehjahr
+560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus versammelte noch einmal in
+Korinth die Abgeordneten der saemtlichen griechischen Gemeinden, ermahnte sie
+zu verstaendigem und maessigem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und
+erbat sich als einzige Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen
+Gefangenen, die waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft
+worden waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
+Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst
+den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth, also die
+Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt,
+tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und
+den befreiten Gefangenen in die Heimat.
+</p>
+
+<p>
+Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
+Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
+Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb der
+grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte, einzig zu
+suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen Aufloesung der
+hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine maechtige Nation das
+Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre Urheimat und als das Heiligtum
+ihrer geistigen und hoeheren Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm
+ploetzlich zur vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die
+Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte
+Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als
+politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung
+Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom
+und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen
+Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle
+und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats
+ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des
+damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu erkennen, und
+dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und gegeneinander gaerenden
+ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch sich ruhig zu halten
+verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten. Wie die Dinge einmal standen,
+war es vielmehr noetig, dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit
+durch eine an Ort und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein
+Ende zu machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren
+Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In
+Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht
+veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte, die
+roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den roemisch
+gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher Weise sich
+selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen dieser Halbheit. Der
+Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne den politischen Fehler der
+Befreiung Griechenlands, und er waere ungefaehrlich geblieben ohne den
+militaerischen Fehler, aus den Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die
+Besatzungen wegzuziehen. Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer
+den impotenten Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Der Krieg gegen Antiochos von Asien</h2>
+
+<p>
+In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der
+Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er
+war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte
+Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen
+im Osten entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse
+zu heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des
+aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm
+gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und
+zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von Achaeos
+diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat wieder mit der
+Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich entbehrte syrische
+Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im Jahre der Trasimenischen
+Schlacht von Philopator bei Raphia blutig zurueckgewiesen worden, und Antiochos
+hatte sich wohl gehuetet, mit Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange
+dort ein Mann, wenn auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach
+Philopators Tode (549 205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten
+ein Ende zu machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und
+hatte sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen
+Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen
+Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache
+machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich brachten.
+Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die
+Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte
+Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos&rsquo; leicht
+vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das
+Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer sich
+allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen
+Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht,
+wirklich, wie er sich nannte, dessen &ldquo;Beschuetzer&rdquo; zu sein; fest
+entschlossen, sich um die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im
+aeussersten Notfall zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den
+Saeulen des Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig
+machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als
+getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen
+ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern zu
+unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen und
+palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198) am Berge
+Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn Skopas erfocht,
+gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses Gebiets bis an die Grenze
+des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte die aegyptischen Vormuender des
+jungen Koenigs so sehr, dass dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten
+abzuhalten, sich zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels
+mit der Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also
+das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem der
+Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck- und 100
+offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen Besitzungen an
+der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte
+die aegyptische Regierung diese Distrikte, die faktisch in Philippos&rsquo;
+Haenden waren, im Frieden an Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die
+saemtlichen auswaertigen Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um
+ueberhaupt die kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich
+sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes.
+</p>
+
+<p>
+Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an
+Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien
+wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den Freistaedten die
+bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an Philippos&rsquo; Stelle
+sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten. Unmittelbar aber sahen
+sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos durchaus mit derselben Gefahr
+bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte;
+und natuerlich suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben
+beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern
+militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe,
+waehrend Attalos&rsquo; Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien.
+Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im
+Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf
+segelte, dass sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der
+lykischen Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos
+sich hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende
+Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die
+wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die Insel
+Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den halbfreien Staedten
+hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, allein einige derselben,
+namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, Alexandreia, Trogs und Lampsakos
+hatten auf die Kunde von der Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen,
+sich dem Syrer zu widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit
+denen der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
+ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, schon jetzt
+es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen Besitzungen in
+Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer sich zu erobern und einen
+Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen.
+Die Roemer hatten insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu
+willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich
+dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg
+waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer Verwendung,
+die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch nach dem Siege sprach
+man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden
+gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit
+der asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den
+roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um sie
+durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die gute
+Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um
+die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in
+Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen
+Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm und
+laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die
+Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem
+Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien
+ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser
+Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig
+Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit
+der saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der Koenig
+redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von
+seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander,
+dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet
+seines angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in
+seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit
+Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei
+und es den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren ^2.
+Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch die falsche
+Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und die dadurch
+hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia,
+beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu einem Abschluss,
+geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195)
+kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und
+beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne
+Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte
+landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm
+zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom. Nichtsdestoweniger
+zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus saemtliche roemische Besatzungen aus
+Griechenland heraus. Es war dies unter den obwaltenden Verhaeltnissen
+wenigstens eine arge Verkehrtheit, wenn nicht ein straefliches Handeln wider
+das eigene bessere Wissen; denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass
+Flamininus, um nur den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten
+Hellas ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
+Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. Der
+roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden Versuch,
+Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen und jede
+Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten fuer einen
+politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in Griechenland, der
+schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen des erbitterten
+Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im
+syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens
+einer neuen Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein
+musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der antiroemisch
+gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich
+weiter gesteckt haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht
+geschehen lassen konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen
+ignorierend, aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch
+an den Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
+nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und vergass
+seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen Eitelkeit, die Rom den
+Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen die Freiheit geschenkt zu haben
+wuenschte und waehnte.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891,
+S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den
+roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und dem
+Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden moege (όπως
+συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν
+[βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens nach der Auffassung der Bittsteller,
+denselben gewaehrte und sie im uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten
+wies. Von diesem erbitten dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung
+und Briefe an die Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben;
+ueber den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
+Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
+Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und positiv
+garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich bei den
+hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um Verwendung bei dem
+Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den Gesandten erteilten.
+</p>
+
+<p>
+Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische Legende
+zurueckgehende &ldquo;Bruederschaft&rdquo; der Lampsakener und der Roemer und
+die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen und Freunde
+Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch die gemeinsame
+Mutterstadt Phokaea verbunden waren.
+</p>
+
+<p>
+^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der syrischen
+Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) setzt, in Verbindung
+mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian (Syr. 3) und mit dem
+wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 (193) setzen es ausser Zweifel
+dass die Einmischung der Roemer in die aegyptischen Angelegenheiten in diesem
+Fall eine formell unberufene war.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn
+die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu dem er
+seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der Feind zu
+zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig von Aegypten
+dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich seinem Schwiegersohn
+die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter
+aegyptischerseits behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls
+blieb faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im
+Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war,
+die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner
+Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso
+vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die
+Galater durch Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und
+andere kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden
+ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte
+erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie
+Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen
+wolle mit einer bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er
+gab sogar zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier
+zu unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und
+hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein
+Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine
+Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 Reitern
+erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und sodann in
+Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte; tyrische Emissaere
+gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte
+endlich auf Erfolge der spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago
+verliess auf ihrem Hoehepunkt stand.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
+Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) irrt,
+wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden wir, dass um
+567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach Alexandreia zahlen (Ios.
+ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel geschah dies unbeschadet der
+Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil die Mitgift der Kleopatra auf diese
+Stadtgefaelle angewiesen war; und eben daher entsprang spaeter vermutlich der
+Streit.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom
+vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten
+Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten
+taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu
+glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden worden
+sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in Griechenland
+einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg
+bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung
+gegen Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische
+Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des
+syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem
+Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten
+Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren wollten,
+dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es
+ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu
+bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach
+Flamininus&rsquo; Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein
+sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch
+den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und
+nahm sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen,
+schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil seines
+Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in der
+Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um
+Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den
+Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser
+wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte
+man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter
+dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt
+einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und die Stadt
+besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau erschlagen; allein
+als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die
+Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann
+nieder. Die Stadt liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den
+Achaeischen Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also
+verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den
+entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den
+Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser,
+indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen
+Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und Karystos auf
+Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die Besetzung von Demetrias, da
+die Magneten, denen die Stadt zugefallen war, nicht ohne Grund fuerchteten,
+dass sie von den Roemern dem Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos
+versprochen sei; es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter
+unter dem Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
+gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen wussten. So
+traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die Seite der Aetoler,
+und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden geltend zu machen.
+</p>
+
+<p>
+Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht war, ihn
+durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften hinauszuschieben, liess
+sich nicht laenger vermeiden. Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus,
+der fortfuhr, im Senat in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort
+zu haben, gegen die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische
+Ultimatum ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach
+seinem Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
+der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen zu
+lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz und
+Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch einmal
+zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius und Publius
+Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man sich getrennt mit
+der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom
+war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine
+roemische Flotte von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius
+Serranus vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den
+Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste
+wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein; fuer
+den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet. Flamininus bereiste im
+Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192) Griechenland, um die Intrigen
+der Gegenpartei zu hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung
+Griechenlands wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit
+gekommen, dass die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen
+gelang es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine
+Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner
+einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn
+auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des grossen
+Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er durfte jetzt nicht
+laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die Roemer all die Vorteile
+wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen
+aus Griechenland zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe
+und Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40
+Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und
+brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562
+(192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das
+nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein roemisches
+Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also
+war von beiden Seiten der Krieg begonnen.
+</p>
+
+<p>
+Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als
+deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan
+betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so traf
+Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine grossartigen und
+hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung
+entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige
+karthagische Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl,
+als sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte
+eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und
+nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel den
+Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des
+Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang es ihr,
+den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf seine
+Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu beherrschen
+war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu
+bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln
+lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur
+fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich
+natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem Gesindel,
+indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte.
+</p>
+
+<p>
+In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von
+Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der
+alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen
+sollte. Er hatte Antiochos&rsquo; Anerbietungen nicht bloss beharrlich
+zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt,
+von dem er die Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die
+Rhodier und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten
+trat auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an,
+welche man indes roemischerseits nicht annahm.
+</p>
+
+<p>
+In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien
+einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen,
+sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos zu
+vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche Ruecksichten
+bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein
+Hass viel mehr den treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den
+gemeinschaftlichen Feind im Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil
+an der Beute einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden,
+als seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam
+hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten auf die
+makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei Kynoskephalae
+bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen Mann tief verletzte.
+Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur
+Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die
+zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den
+kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die Athener, bei
+welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung
+die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben
+sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf
+Antiochos&rsquo; Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der
+benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen,
+Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die makedonische
+Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom
+noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt,
+mit den Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein
+erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den
+die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man
+hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren
+Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark wie ein
+gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche
+Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen
+ein paar Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig
+Waffenbruederschaft an.
+</p>
+
+<p>
+Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
+Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen
+Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck; allein die
+Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht davorrueckte, und
+eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu besetzen, wurde beim
+Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war fuer die Roemer verloren. Noch
+machte schon im Winter Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen
+einen Versuch, Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt,
+Pherae und andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von
+Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des
+Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis
+zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner fuenfzig
+Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen Chalkidierin Hochzeit
+machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91), ohne dass Antiochos viel mehr
+getan haette als in Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg
+mit Tinte und Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr
+563 (191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius
+Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den
+Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral Gaius
+Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens,
+und Lucius Valerius Flaccus, die nach altroemischer Weise es nicht
+verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in
+das Heer einzutreten. Mit sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und
+Mannschaft, darunter numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa
+gesendet, und die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten
+bis zu 5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des
+Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose
+Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von Glabrios
+Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst den Feldzug zu
+beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in Asien Saumseligkeit
+waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er
+nichts hatte als das schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den
+liederlichen Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen
+Jahres bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen
+hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn
+nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die
+Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem
+makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen Staedten
+hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul mit der
+Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich in Larisa.
+Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht
+ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von
+ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen
+Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und
+befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst Xerxes
+gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen
+Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen
+2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht
+keinen andern Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das
+roemische Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg
+postierten Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten
+auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische
+Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob
+auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da
+Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward
+das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet; kaum dass
+ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis
+erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa war bis auf die
+thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu
+verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als
+Entschaedigung fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des
+Konsuls aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis
+ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im
+eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der
+dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in
+Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu
+machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges
+Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und
+Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den Achaeern. Es
+erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt hatte, dass auf die
+Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts
+ankomme. Selbst die Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia
+eingeschlossenes Korps nach hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen
+worden war, mit den schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die
+strengen Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
+einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch einmal
+abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in Naupaktos
+auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und die Erstuermung
+oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, fortwaehrend bemueht,
+jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen ihres eigenen Unverstandes
+und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen zu bewahren, sich ins Mittel
+schlug und zunaechst einen leidlichen Waffenstillstand zustande brachte. Damit
+ruhten in ganz Griechenland, vorlaeufig wenigstens, die Waffen.
+</p>
+
+<p>
+Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind, als die
+weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr
+bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos&rsquo;
+kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im
+eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der
+See zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs in
+Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen Griechenland und
+Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen war, um die Zeit der
+Schlacht bei den Thermopylen einen starken asiatischen Transport bei Andros
+aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien
+fuer das naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus
+dem Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem
+suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die
+roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs
+karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der syrische
+Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe
+entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe
+erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der
+tyrischen und sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu
+Anfang zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu
+versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und
+nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass sie
+nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens stiessen zu
+der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in
+diesen Gewaessern war nun zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt
+sich seitdem ruhig im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer
+zweiten Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte
+fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen
+von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters
+fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer
+suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: Smyrna, das
+alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen, beharrlich
+zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf und auch in Samos,
+Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische
+Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den
+Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils
+durch Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und
+vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue
+Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen
+Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im
+naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder
+auf. Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel
+stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos
+beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und den
+pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch
+die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten.
+Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde
+von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral
+Pausistratos, eingeschlaefert durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von
+Antiochos abfallen zu wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln
+lassen, er selbst war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf
+rhodische und zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf
+diese Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
+Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte teils von
+Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit zwanzig neue Schiffe
+der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, ward Polyxenidas abermals
+genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos einzuschliessen. Da er die angebotene
+Seeschlacht verweigerte und bei der geringen Zahl der roemischen Mannschaften
+an einen Angriff von der Landseite nicht zu denken war, blieb auch der
+roemischen Flotte nichts uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen.
+Eine Abteilung ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den
+Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten
+Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte,
+die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als dieses
+Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue Admiral Lucius
+Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei
+Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der
+ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs
+begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara
+ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur
+Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte
+mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos
+mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer
+auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig
+zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach
+Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da
+es dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien
+verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem
+Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren
+kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen
+Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen
+Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal
+geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die
+stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer
+zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in Pamphylien
+traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in der Schlacht, die
+die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber
+die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und
+Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte
+Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche rhodische
+Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte
+Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die
+roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der
+pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben
+anlangenden Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des
+Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am
+23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende
+August 564 (190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und
+Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und umzingelten
+den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder
+sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in
+saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken dieses
+Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des Koenigs Antiochos
+und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten geschlagen worden und die
+Roemer also &ldquo;den grossen Zwist schlichteten und die Koenige
+bezwangen&rdquo;. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf
+der offenen See zu zeigen und versuchten nicht weiter, den Uebergang des
+roemischen Landheers zu erschweren.
+</p>
+
+<p>
+Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der Sieger
+von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl fuehrte fuer den
+nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig unbedeutenden und
+militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die bisher in Unteritalien
+stehende Reserve ward nach Griechenland, das Heer des Glabrio nach Asien
+bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe befehligen werde, meldeten sich
+freiwillig 5000 Veteranen aus dem Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter
+ihrem geliebten Fuehrer zu fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit
+im Maerz fanden die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen
+Feldzug zu beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt
+dessen sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
+verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus&rsquo; grenzenlose Ruecksichten
+gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl gelassen
+zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen Kriegskontribution und
+unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die Waffen getrieben hatte; es
+war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen
+werde. Scipio beseitigte das unbequeme Hindernis durch Verabredung eines
+sechsmonatlichen Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an.
+Da die eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und
+die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung
+beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den
+Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den Hellespont zu
+gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig
+Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von
+Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich
+in der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg laengs der
+makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen Verlust
+zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche
+Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern,
+teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit
+der Schlacht von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber
+Scipios wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in
+Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht
+bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in Europa die
+starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von der Besatzung und
+der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen Einwohnerschaft raeumen
+liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen aus Aenos und Maroneia
+gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen Magazine zu vernichten, am
+asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer nicht den geringsten Widerstand
+entgegensetzte, sondern waehrend derselben sich in Sardes damit die Zeit
+vertrieb, auf das Schicksal zu schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er
+nur bis zu dem nicht mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette
+verteidigen und sein grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio
+genoetigt worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
+einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
+stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
+zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte des
+Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos bot die
+Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen Besitzungen
+sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen griechischen
+Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die Aufgebung von ganz
+Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren annehmbar gewesen, wenn das
+Heer noch vor Lysimacheia oder auch diesseits des Hellespont staende; jetzt
+aber reichten sie nicht, wo das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die
+Versuche des Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer
+Art den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
+Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche Rueckgabe
+seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze Buerger dem
+Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung Frieden zu schliessen.
+In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig sich zu entschliessen vermocht,
+den Krieg in die Laenge und in das innere Asien zurueckweichend den Feind sich
+nachzuziehen, so war ein guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein
+Antiochos, gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und
+fuer jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
+ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto lieber
+dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos bei Magnesia
+am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190) die roemischen Truppen
+auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann, darunter 12000 Reiter; die
+Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und makedonischen Freiwilligen etwa 5000
+Mann bei sich hatten, bei weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges
+so gewiss, dass sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea
+zurueckgebliebenen Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das
+Kommando uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen,
+bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen,
+die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der Myser,
+Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die Sichelwagen; im
+zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten,
+eine Art Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und
+kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000
+Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand
+und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum
+der beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und
+der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo
+der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die
+saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes fuehrte; die
+Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die Schlacht damit, dass er
+seine Schuetzen und Schleuderer gegen die Sichelwagen schickte mit dem Befehl,
+auf die Bespannung zu halten; in kurzer Zeit waren nicht bloss diese
+zersprengt, sondern auch die naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen;
+schon geriet sogar im zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der
+schweren Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen
+roemischen Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die
+im zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren
+Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung geratenen
+Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen durchgelassen hatte und
+sich fertig machte, gegen die roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den
+Angriff der Reiterei in der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und
+nach beiden Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl
+zustatten kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so
+haette die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel
+war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die
+kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend,
+das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe
+erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden Augenblick
+die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit den Legionen
+anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und Schleuderer, denen in
+der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich
+nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen
+stehenden Elefanten scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das
+ganze Heer sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten,
+misslang und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des
+Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung
+nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen
+waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte, 24
+Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo
+der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes.
+Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten
+Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht
+gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu deren
+Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf
+nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber
+nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines
+Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der Muehe,
+ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war
+mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl
+niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde
+gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst
+ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei
+der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu
+fuellen gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die
+Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die
+roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu
+keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt hatte. Die
+politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt worden. Die griechischen
+Freistaedte an der ionischen und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich
+gleichartige pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen
+Traeger der neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als
+Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren
+Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von
+Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos
+allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war unabweislich
+eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der roemische Einfluss fortan
+massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der
+asiatischen Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten
+Kelten. Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich
+verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die
+festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter der
+kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher
+sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der
+hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist
+erwachsen aus diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen
+hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein
+entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren
+staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen
+Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl der
+uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten Abhaengigkeit
+verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die Hellenen auch in Asien mehr
+als ein Name sein sollte, so musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen
+Klienten ein Ziel gesetzt werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz
+und die damit verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch
+viel mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in
+der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet
+gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den Kleinasiaten
+ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue Oberherrlichkeit mit der
+Tat einzusetzen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit
+hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom
+erbaten, sondern auch Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst
+Tolistoboger genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen
+Inschrift CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind
+wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges
+diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den
+Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf
+gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat
+vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel gegen
+diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt; derselbe war
+vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse,
+so, wie es geschehen war, eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser
+Politik. Ob das hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann
+gewiss in Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den
+Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war
+die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie der
+Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem rechten
+Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit Antiochos
+hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande
+Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass
+die Sendung einer roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen
+Buergerschaft nur unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen
+werden konnte und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles
+dafuer sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen
+Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus
+und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der Feldzug in
+das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von Ephesos auf,
+brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander und in Pamphylien
+ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die Kelten. Der westliche
+Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf den Berg Olympos, der
+mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen,
+in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter
+die Fremden zum Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer
+und Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag
+gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker,
+erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie
+sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden sind,
+die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des nordischen
+Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die Zahl der
+Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden Stellen ungeheuer.
+Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu dem dritten keltischen Gau
+der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an
+welcher die damaligen Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten
+innezuhalten. Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig
+werden; die weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber.
+</p>
+
+<p>
+Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den
+Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen
+Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von Geiseln,
+darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach dem Mass der
+Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten
+(25½ Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf
+Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines
+gesamten europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner
+Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von
+der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm
+in Vorderasien nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem
+Patronat ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es
+natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an
+gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht, gegen die
+westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines
+Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das
+Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu
+befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt
+Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines Verteidigungskrieges,
+und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das Recht, in den westlichen Staaten
+Werbungen zu veranstalten oder politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus
+bei sich aufzunehmen. Die Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl
+besass, die Elefanten und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich
+befanden, lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel
+eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu
+Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer;
+es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des
+Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen
+Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung
+durch die Waffen begehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien,
+verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des roemischen
+Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und
+ihre Inhaber Artaxias und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien.
+</p>
+
+<p>
+Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den
+Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600
+Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines
+Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward.
+</p>
+
+<p>
+Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die
+Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber die
+Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen Staedte
+hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht, diese allerdings
+allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit goldenen Kraenzen und den
+transzendentalsten Lobreden zu vergelten.
+</p>
+
+<p>
+In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da
+hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa
+kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen. Allen
+griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei und den
+Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit
+Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die
+verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die
+Staedte Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von
+Aeneas&rsquo; Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios,
+Kolophon, Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die
+Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt
+zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie
+fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den
+meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies
+Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich
+Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil
+von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in
+seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die bisher
+genossene Zollfreiheit.
+</p>
+
+<p>
+Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die
+Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege
+bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall der
+entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein Koenig seinen
+Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa den Chersonesos mit
+Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon besass, die Provinzen
+Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und Sardes, den noerdlichen Streif
+von Karien bis zum Maeander mit Tralles und Magnesia, Grossphrygien und
+Lykaonien nebst einem Stueck von Kilikien, die milysche Landschaft zwischen
+Phrygien und Lykien und als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt
+Telmissos; ueber Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos
+gestritten, inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und
+also jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft und
+das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht unbeschraenkt
+die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, dass den Staedten ihre
+Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht werden solle. Ferner musste
+Antiochos sich anheischig machen, die 350 Talente (600000 Taler), die er dem
+Vater Attalos schuldig geworden war, dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit
+127 Talenten (218000 Taler) fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu
+entschaedigen. Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von
+Antiochos abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
+wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war das
+Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was Numidien in Afrika
+war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit absoluter Verfassung,
+bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien in Schranken zu halten, ohne
+anders als in ausserordentlichen Faellen roemischer Unterstuetzung zu
+beduerfen. Mit dieser durch die roemische Politik gebotenen Schoepfung hatte
+man die durch republikanische und nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene
+Befreiung der asiatischen Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die
+Angelegenheiten des ferneren Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest
+entschlossen, sich nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die
+Bedingungen des Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte
+Weigerung des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie
+erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem festgestellten
+Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen zu erwerben. Nachdem
+die roemische Flotte noch eine Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung
+der dorthin in die Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen
+Flotte und Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das
+wieder durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs
+von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten
+nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon
+beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze,
+zusammenzufinden pflegten.
+</p>
+
+<p>
+Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg
+erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer noch
+nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten nach dem im
+Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen Waffenstillstand nicht bloss
+durch ihre kephallenischen Korsaren den Verkehr zwischen Italien und
+Griechenland schwierig und unsicher gemacht, sondern vielleicht noch waehrend
+des Waffenstillstandes, getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand
+der Dinge in Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen
+athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten
+aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, wobei der
+Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass hiernach Rom ihre Bitte
+um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er
+traf im Fruehling 565 (189) bei den Legionen ein und nahm nach
+fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle
+Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die
+Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von
+eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten
+Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab und
+gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und tueckischen Gegnern
+gegenueber billig genannt werden muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und
+Gebiete, die in den Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches
+infolge einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und
+selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten
+sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen und
+wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms abhaengig;
+endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia setzte sich auf eigene
+Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst, als Marcus Fulvius auf der
+Insel landete; ja die Einwohner von Same, die befuerchteten, aus ihrer
+wohlgelegenen Stadt durch eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen
+nach der ersten Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche
+Belagerung aus, worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich
+in die Sklaverei verkauft wurden.
+</p>
+
+<p>
+Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die italischen
+Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden
+Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen
+Seestationen am Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige
+Laendererwerb kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten
+derselben, Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den
+ihnen an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
+verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
+Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und der
+Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen Beistand
+ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem er ihm den noch
+rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm zuruecksandte; allein
+Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing er nicht. Er erhielt das
+magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den Aetolern abgenommen hatte;
+ausserdem blieben tatsaechlich in seinen Haenden die dolopische und
+athamanische Landschaft und ein Teil von Thessalien, aus denen gleichfalls die
+Aetoler von ihm vertrieben worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland
+in makedonischer Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos
+und Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der
+Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht schwer zu
+erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa empfing, um nicht
+bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung
+des stolzen und in vieler Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein
+es war nicht Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche
+politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht
+ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt hatte:
+man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen Karthago, sich
+vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht wiederkehre.
+</p>
+
+<p>
+Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen
+Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz in ihre
+Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach der Vertreibung
+der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen
+beigetreten waren. Die Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar
+geduldet, dass man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom
+verfuhr. Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu
+unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese
+darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu
+fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich
+unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als unpassend
+seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen Nachgiebigkeit gegen die
+Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren Willen getan. Allein damit hatte
+die Sache kein Ende. Die Achaeer, von ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht
+gepeinigt, liessen die Stadt Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges
+besetzt hatten, nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede
+ihrer Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten
+Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur widerwillig
+gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig Flamininus&rsquo;
+guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie glaubten es sich
+schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates um so mehr zur Schau zu
+tragen, je weniger daran war; man sprach von Kriegsrecht, von der treuen
+Beihilfe der Achaeer in den Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen
+Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere,
+da Achaia ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also
+gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das
+alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel
+laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und ein noch
+tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu
+gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen
+nichts gab als die Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch
+den hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle
+zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist
+ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder
+eine Torheit und eine wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all
+jener nationalen Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum
+letzten Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
+Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem Himmel,
+wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der Senat zu verstehen
+gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig nachzugeben, um es nicht gezwungen zu
+tun; man tut, was man muss womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden
+Weise, &ldquo;um die Formen zu retten&rdquo;; man berichtet, erlaeutert,
+verschiebt, weicht aus, und wenn das endlich alles nicht mehr gehen will, so
+wird mit einem patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch
+wo nicht auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf
+entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft
+vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen
+solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn
+doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die die
+gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten
+Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie die
+Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern bringen. Der
+von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel
+wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in
+Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten, welche
+politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die Roemer trugen den
+Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen -, sondern die Griechen
+ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die Achaeer, die ueber ihren
+Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten
+es gewesen, dass Flamininus die aetolisch gesinnten Staedte nicht der
+Eidgenossenschaft einverleibt hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich
+eine wahre Hydra inneren Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder
+dieser Gemeinden in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen,
+darunter charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
+Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen Bunde in
+Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten Emigrierten von
+dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen
+Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und
+zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen
+von Nabis mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft
+verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis
+gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt, die
+Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern niedergerissen
+wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward dann zuletzt von allen
+Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung,
+die die gerechte Strafe fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit
+entfernt, sich zu viel in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat
+nicht bloss die Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit
+musterhafter Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit
+straeflicher Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia,
+als nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat
+darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die Lakedaemonier
+geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert ueber den von den
+Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig bis achtzig Spartanern,
+der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die Spartaner nahm - freilich ein
+empoerender Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines unabhaengigen
+Staates! Die roemischen Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um
+diese Suendflut in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen
+ueber die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
+Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien
+aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam der persoenliche
+Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmaenner in Rom machten;
+selbst Flamininus schuettelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas
+vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so
+weit, dass dem Senat zuletzt die Geduld voellig ausging und er die
+Peloponnesier dahin beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie
+machen koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht
+recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische
+Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand
+herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat
+ging, um ihn ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine
+folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas
+weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik
+wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht.
+</p>
+
+<p>
+So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten
+von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein
+Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein
+Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der erst den
+ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und
+der vielleicht nur gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an
+der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten muessen,
+den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach
+Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias,
+beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie
+immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den
+Prusias zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie
+erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der
+roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl
+aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt,
+scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in seiner
+unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte, auf seine
+eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten, so Rom von
+Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar
+nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu
+richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte
+sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit
+zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein Haus
+von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst darauf,
+fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige.
+Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte
+des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt
+Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade genug
+gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch selber seine
+letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt
+zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand
+gleichwie der Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein
+imstande war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen,
+als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den
+Knabenschwur gehalten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs Artaxias
+die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; Plut. Luc. 31), ist
+sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie Hannibal, fast wie Alexander,
+mit den orientalischen Fabeln verwachsen ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den
+die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das
+Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt
+blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien, Afrika,
+Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die erste Gemeinde
+Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt.
+Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen
+Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten
+Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in
+freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche nicht in
+der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in der seine Ahnen
+ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die
+Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und
+mehr noch gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel
+nichtige Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren;
+obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher,
+statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der
+Anklaeger zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu
+begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess
+den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies
+der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein
+anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr entschiedene
+Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwaertigen
+Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der
+echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem
+Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber
+gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold und schimmerndem
+Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes
+und des Glanzes der Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn
+dieser Zauber zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der
+Zauberer selbst erwacht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/>
+Der Dritte Makedonische Krieg</h2>
+
+<p>
+Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die Behandlung, die er
+nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern erfahren hatte; und der weitere
+Verlauf der Dinge war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine
+Nachbarn in Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor
+dem makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem
+roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht
+all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos&rsquo; des Zweiten Zeiten
+von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile
+antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft auf den
+Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen
+Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden
+worden, was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler
+angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der Magneten,
+wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der thessalischen
+Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen,
+den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem
+Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe. Auch die
+Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die
+Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich
+Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische
+Chersonesos ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose
+geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias
+gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes
+Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von
+Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen
+oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil stets gegen ihn
+ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen
+und perrhaebischen Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen
+Kommissare hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles
+vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert gegen
+Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn
+sogar geneigt; man verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die
+Formen, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von
+Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer
+Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach
+seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem
+ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern
+persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts
+gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn
+schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen.
+Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass
+den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen
+Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der
+Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl
+gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos&rsquo; Gunsten zu tun, und
+hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien
+in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos politisch und persoenlich
+aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, die unter allen oestlichen
+Maechten am meisten dazu beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu
+zertruemmern und die roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die
+Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit
+Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten
+muessen, hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des
+Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der
+makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat
+an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient
+war.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein weiser und
+sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich entschlossen, den ungleichen
+Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; allein Philippos, in dessen Charakter
+von allen edlen Motiven das Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am
+maechtigsten waren, war taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der
+Resignation, und naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu
+werfen. Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den
+thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, antwortete er
+mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne nicht untergegangen
+sei ^1.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse
+eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie
+bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung
+gegeben haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er
+sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann
+eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und
+die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia,
+buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien der
+Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos&rsquo; Geheiss bewirkte sein
+juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige
+Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich
+Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien
+eine roemische Partei zu bilden, die Philippos&rsquo; natuerlich den Roemern
+nicht unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte zu
+deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren,
+leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit
+absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes
+willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen Hause
+selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs aelterer und vom
+Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus
+in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint
+nicht, dass Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der
+falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da
+beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes
+Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise
+erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige
+und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu spaet
+erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der Tod ereilte
+ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von der Thronfolge
+auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in Demetrias, im
+neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er zerschmettert, das
+Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er sich ein, dass all seine
+Muehsal und all seine Frevel vergeblich gewesen waren.
+</p>
+
+<p>
+Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem
+roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen
+Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt,
+gleich seinem Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel.
+Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments
+nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig
+und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten
+zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom Schicksal
+verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in seinem
+einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen worden war in
+den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen war im Druck der
+Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte
+er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine
+Hoffnungen. In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des
+vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum
+Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht die
+Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit Stolz sah die
+stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend
+stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen
+aller Staemme meinten in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen
+Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte
+Philipps Genialitaet und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen
+Eigenschaften, die das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende
+Macht der Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die
+Dinge gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und
+ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit
+unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was er
+angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit
+entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es beschraenkten
+Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er haeufte Schaetze auf
+Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer im Lande standen, vermochte er
+nicht von seinen Goldstuecken sich zu trennen. Es ist bezeichnend, dass nach
+der Niederlage der Vater zuerst eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem
+Kabinett zu vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich
+einschiffte. In gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag
+so gut und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht
+geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn
+nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte.
+</p>
+
+<p>
+Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus
+der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch
+den Hader politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der
+monarchischen Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank
+beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen
+herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen
+mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer
+und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters
+brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig
+Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung teils von
+selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer als fuer den
+eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos
+hielt die Makedonier an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die
+Kuestenstaedte, aus denen er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen
+Kolonisten von zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die
+verheerenden Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden
+eine Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
+das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in den
+noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer Makedonien,
+wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal gruendete. Die
+Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und die Mietstruppen zu
+rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den bestaendigen Grenzkrieg
+gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, dass Philippos nicht wie
+Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu organisieren; allein es begreift
+sich, wenn man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene,
+aber doch noch immer unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen
+Finanzquellen, die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen
+hatte, und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
+die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
+makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und fuer
+10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in
+den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso lange Zeit (18 Mill.
+Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer ein dreifach so starkes
+Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war Makedonien ein ganz anderer
+Staat geworden, als da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom
+ueberrascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen mindestens
+verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es
+vermocht, Rom bis in seine Grundfesten zu erschuettern.
+</p>
+
+<p>
+Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der Natur der
+Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von Antiochos wieder
+aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze einer Koalition aller
+unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu stellen; und allerdings gingen
+die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering.
+Dass die Treue der Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte
+weder Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der
+Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen
+makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa in Rom
+denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige Maenner nicht
+erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich ist, voellig erfunden
+waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch
+Zwischenheiraten in das makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei
+weiter nichts heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die
+Laender mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den
+Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten
+Perseus&rsquo; Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo
+er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der
+saubere Plan misslang.
+</p>
+
+<p>
+Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und
+die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die
+alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken
+durch einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen
+Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der
+ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem
+Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse
+bereits erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen
+auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist
+mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung
+Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos&rsquo; letzte Zeit faellt (573
+181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen
+Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an dem
+verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen naechstwohnenden
+Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen und der ganze Haufen
+ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden Eise der Donau. Der Koenig
+suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen des illyrischen Landes, des
+heutigen Dalmatiens und des noerdlichen Albaniens, seine Klientel auszubreiten.
+Nicht ohne Perseus&rsquo; Vorwissen kam einer derselben, der treulich zu Rom
+hielt, Arthetauros, durch Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios,
+der Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater
+in Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf
+einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus mit
+dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem Einverstaendnis
+stehe und Genthios&rsquo; Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten.
+</p>
+
+<p>
+In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu stand der
+maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr
+des ganzen oestlichen Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros
+(Maritza) bis an den mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge
+und tapfere Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren
+Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer,
+Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten Raubzugs von
+Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hierher hatte Philipp
+zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger
+Zahl zu Gebot.
+</p>
+
+<p>
+Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus
+lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft
+gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte den Ausdruck -
+die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu bringen versuchte. Dass
+alle national Gesinnten unter den asiatischen wie unter den europaeischen
+Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht
+wegen einzelner Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die
+Herstellung der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in
+sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff,
+dass die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer
+Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter Auslaender
+hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und rechtschaffensten
+Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen, war in der Ordnung;
+roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hier und da ein einzelner
+ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der
+Nation nicht taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon,
+der Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich
+behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art;
+vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit
+wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste vernehmen,
+dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines schoenen Tages im
+ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle frueher ihm errichteten
+Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln eingeschmolzen habe (584 170), waehrend
+Perseus&rsquo; Name auf allen Lippen war; waehrend selbst die ehemals am
+entschiedensten antimakedonisch gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die
+Aufhebung der gegen Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend
+Byzantion, obwohl innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von
+Eumenes, sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und
+empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss;
+waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine
+syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich nicht
+zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her
+zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum
+Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte,
+also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten
+geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte schien
+wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der Koenig Perseus
+unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen
+sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese
+nationale Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in
+der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische
+Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der
+Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der
+beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im europaeischen
+Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas besser geordneten
+Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam
+vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu
+machen, so zum Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den
+Perrhaebern, den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden
+sich foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen
+Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung
+verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine Anzahl
+von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer versuchten zu
+vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter Sache zurueck und
+meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die Erbitterung nicht zu
+bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes mehr als der Offizier und
+der Scharfrichter; der sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu
+werden, wie er von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber
+bemaechtigte sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die
+nichts, am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess
+nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern
+liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche saemtliche
+wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer Schulden wegen
+landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach Makedonien zu kommen und
+volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und Gueter zu gewaertigen. Dass sie
+kamen, kann man sich denken; ebenso dass in ganz Nordgriechenland die glimmende
+soziale Revolution nun in offene Flammen ausschlug und die national-soziale
+Partei daselbst um Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet
+nur mit solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer
+Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises
+wert sei.
+</p>
+
+<p>
+Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es Zeit sei,
+dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des thrakischen Haeuptlings
+Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis stand, die Buendnisse Makedoniens
+mit den Byzantiern, Aetolern und einem Teil der boeotischen Staedte waren
+ebensoviel Verletzungen des Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das
+offizielle Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im
+Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und
+Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173)
+sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich
+unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem roemischen
+gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom
+mit einem langen Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im
+Senat auf, worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die
+Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen
+versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren
+Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck
+koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis
+mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben
+an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit
+war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus
+wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei
+ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende
+roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und den
+Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon vor dem Ernst
+der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular
+Quintus Marcius Philippus, ueber die Frivolitaet der roemischen
+Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und sich durch diese bestimmen, den
+Angriff zu verschieben und noch einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen,
+den, wie begreiflich, der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher
+Makedonier aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die
+Senatoren der aelteren Schule die &ldquo;neue Weisheit&rdquo; ihres Kollegen
+und die unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter
+verfloss, ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen
+Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu
+berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei
+daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war noch
+ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen
+Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen; und ueberdies
+war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen,
+die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen
+inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der
+roemischen Gesandten gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als
+die Roemer selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die
+Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs
+tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer
+Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae,
+Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die
+Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen
+Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener, dass sich
+am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und welche nicht, wenn
+jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische
+Eidgenossenschaft geradezu auseinander. Es ist nicht wahr, dass
+Epaminondas&rsquo; grosser Bau von den Roemern zerstoert worden ist; er fiel
+tatsaechlich zusammen, ehe sie daran ruehrten, und ward also freilich das
+Vorspiel fuer die Aufloesung der uebrigen, noch fester geschlossenen
+griechischen Staedtebuende ^2. Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten
+boeotischen Staedte belagerte der roemische Gesandte Publius Lentulus
+Haliartos, noch ehe die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte
+uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung Korinths
+(Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit epeirotischer
+Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen
+Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die
+Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus
+sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines
+eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im
+Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist
+zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch
+wenn er soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen
+Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen
+Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago,
+Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das
+mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe
+an, welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine
+Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln
+nach Rom. Perseus&rsquo; Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb
+neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von
+Syrien, im Kurialstil &ldquo;der Gott, der glaenzende Siegbringer&rdquo;
+genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem &ldquo;Grossen&rdquo;, ruehrte
+sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges
+das syrische Kuestenland zu entreissen.
+</p>
+
+<p>
+Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht
+veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten
+und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils Soeldner.
+Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen 30- und 40000 Mann
+italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann numidischen, ligurischen,
+griechischen, kretischen und besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die
+Flotte, die nur 40 Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand
+- Perseus, dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte,
+richtete erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann
+Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken
+bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul
+Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um
+von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie
+gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran,
+den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien
+einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete er den
+Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den beiderseitigen
+Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden entschieden geschlagen. Kotys
+mit der thrakischen Reiterei hatte die italische, Perseus mit der makedonischen
+die griechische geworfen und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss,
+2000 Reiter an Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich
+gluecklich schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen.
+Perseus benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
+hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er bereit.
+Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden nach einer
+Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings folgeweise den
+Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes anzugreifen verstand der elende
+roemische Feldherr auch nicht; man zog hin und her in Thessalien, ohne dass
+etwas von Bedeutung geschah. Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die
+Roemer schlecht gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht
+durch Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
+glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen Insurrektion
+der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines Guerillakrieges
+unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein guter Soldat, aber kein
+Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Verteidigungskrieg gefasst
+gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen
+unbedeutenden Erfolg, den die Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei
+Phalanna davontrugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten
+und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und
+Thessalien zu raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken
+einer hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen
+lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden
+Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig
+Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch gesinnten
+Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hinausschlagen. Dagegen
+nahm die roemische Westarmee einige illyrische Staedte, und der Konsul
+beschaeftigte sich damit, Thessalien von den makedonischen Besatzungen zu
+reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von
+Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut
+die ungluecklichen boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner
+sowohl von Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral
+Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore
+schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft,
+Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso behandelt.
+Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter
+diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten
+Feldzug 584 (170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen
+nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso
+unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen
+Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius
+Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war,
+erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien
+hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit
+den an der Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee
+entbehrlich gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche
+Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit dem
+Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen,
+waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er
+vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee
+machte ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die
+thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden schlaff
+angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte
+der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen
+Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier
+erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die Abteilungen daher
+niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die
+Offiziere im grossen Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten
+Voelkerschaften wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die
+Schuld der schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei
+der aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
+Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. durch
+falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte wurden, als
+waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und wenn sie auf den
+roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet oder zu Sklaven
+verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis. Der Senat schritt sehr
+ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung der ungluecklichen Koroneier und
+Abderiten und verbot den roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats
+Leistungen von den Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der
+Buergerschaft einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das
+Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein
+Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum
+wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft
+gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus&rsquo;
+Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der
+Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen begonnen
+haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets von seinen Gegnern
+ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und
+Westen eine wahre Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu
+verschanzen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die
+Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.; AM 4,
+1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese Verhaeltnisse.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, Quintus
+Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund des Koenigs, war
+seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig
+und unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass
+Lapathus westlich von Tempe den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu
+gewinnen, dass er gegen die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess
+und mit der Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
+bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss konnte
+eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen
+Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand er mit der
+makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark befestigten
+Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale Strandebene und
+ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren, in einer nicht minder
+verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten Konsulat in den ligurischen
+Engpaessen, die seitdem seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte
+umzingeln lassen. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt
+Perseus&rsquo; Unfaehigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen
+die Roemer anders als durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er
+sich seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben
+erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu
+verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser freiwillige
+Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch nicht aus seiner
+peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste aber nach vier
+Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden;
+und da auch der Koenig zur Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die
+verlassene Position wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse
+Gefahr geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe
+kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die
+Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert;
+aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten Stellung an dem
+Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert und hemmte hier den
+weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das roemische Heer den Rest des
+Sommers und den Winter eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und
+wenn die Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste
+wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der
+Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen
+Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und
+richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus&rsquo; leichte Schiffe streiften
+kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten
+Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand
+es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung
+nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die
+Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von
+Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen,
+mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf
+uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder
+zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der
+bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen Rom
+einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der
+nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu
+trennen vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken
+koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso
+viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen;
+allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es
+so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen
+Kasse leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu
+geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.
+</p>
+
+<p>
+Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland zu
+senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen Konsuls, der
+bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem Vermoegen und deshalb
+auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem Schlachtfeld, wo er in
+Spanien und mehr noch in Ligurien sich ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte
+das Volk fuer das Jahr 586 (168) zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste
+wegen, was damals schon eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung
+der rechte: ein vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich
+und seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein
+unbestechlicher Beamter - &ldquo;einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen man
+kein Geld bieten konnte&rdquo;, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein Mann von
+hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit benutzte, um
+Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen.
+</p>
+
+<p>
+Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess er,
+waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
+beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius Nasica
+ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach Pydna
+zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder am 22. Juni des
+Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein kundiger roemischer
+Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses Anzeichen darin gefunden
+werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der
+Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten handgemein, und beide Teile
+entschlossen sich, die eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte
+Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend
+ordnete der greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so
+stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch
+manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert
+habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward
+niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck,
+bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier
+wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung hatte die
+Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede
+Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die makedonische
+Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald
+sich in Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in
+weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000
+erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten Mann; es
+war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug,
+hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen
+auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am
+fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte; ganz
+Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete mit seinem Golde
+- noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach
+Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch
+einen ermordete, den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes
+versuchten Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch
+die koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er,
+dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich
+an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So
+schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er sich
+darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte auf Gnade
+und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen Schaetzen,
+kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und
+mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend
+empfing der Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr
+heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in
+Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben
+italischen Landstadt als Schreiber.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben
+verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs
+getoetet, ist sicher eine Fabel.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
+hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde.
+</p>
+
+<p>
+Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch
+der Krieg gegen den &ldquo;Koenig&rdquo; Genthios von Illyrien von dem Praetor
+Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte
+genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des
+grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen in Rom
+ein.
+</p>
+
+<p>
+Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren duerfe,
+die Flamininus&rsquo; unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte. Makedonien ward
+vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon verfuegte die roemische
+Kommission die Aufloesung des festgeschlossenen, durch und durch monarchischen
+Einheitsstaates in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
+zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von Amphipolis in
+den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der chalkidischen
+Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und den von Pelagonia im
+Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen der verschiedenen
+Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte in mehr als einer
+derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene
+Soehne mussten das Land verlassen und sich nach Italien begeben, bei
+Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten
+Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens
+bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und
+innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen
+gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den
+Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben,
+ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138)
+wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die Einfuhr von
+Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die bisher an den Koenig
+gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den
+Gemeinden ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte
+der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz,
+zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das
+ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift;
+nur an der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren
+bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde
+nach Rom gesandt, der Rest verbrannt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke
+wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen.
+Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also
+blieben entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren
+verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens
+(Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze
+Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl
+derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr energischen
+Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des alten Koeniggeldes.
+</p>
+
+<p>
+^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der
+&ldquo;herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward&rdquo; (Polyb. 37,
+4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser Steuer
+angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios&rsquo; Worten,
+dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der
+der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die
+augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem
+Erlass der Steuer vereinigen lassen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den Ruf
+von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen, und ist
+uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne Geschichte geblieben.
+</p>
+
+<p>
+Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei kleine
+Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die Haelfte der
+bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es
+mit den Roemern gehalten hatten und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine
+Ausnahme, die zu machen Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische
+Piratenflotte ward konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an
+dieser Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den
+Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens
+auf lange hinaus ein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu
+brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck.
+</p>
+
+<p>
+So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von
+dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je,
+ein Koenig nirgend mehr vorhanden.
+</p>
+
+<p>
+Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu
+zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen hellenischen
+Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie
+miteinander in dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst
+mag sich rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen
+die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht
+nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist.
+Am schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom
+geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und dessen
+man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich
+der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes
+einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung
+zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die
+Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber
+ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine
+Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm
+500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an
+Perseus&rsquo; Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische
+Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins
+Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung
+gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur
+irgendeine heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente
+Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172)
+zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus&rsquo; Banditen
+ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten
+eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er ueberdies nie
+ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil an der Beute seinem
+Moerder um einige Talente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche
+Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen,
+sondern sehr albern gelogen. Dass kein Beweis weder in Perseus&rsquo; Papieren
+noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht,
+jene Verdaechtigungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man
+wollte, zeigt das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes&rsquo;
+Bruder, der die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte.
+Mit offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
+aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten - gern
+werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat nichts als Aenos
+und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine vorlaeufige Bitte sei und
+gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er aber abreiste, ohne weitere
+Forderungen gestellt zu haben, und der Senat zu der Einsicht kam, dass die
+pergamenische Regentenfamilie unter sich nicht so lebe, wie es in den
+fuerstlichen Haeusern hergebracht war, wurden Aenos und Maroneia zu
+Freistaedten erklaert. Nicht einen Fussbreit Landes erhielten die Pergamener
+von der makedonischen Beute; hatte man nach Antiochos&rsquo; Besiegung
+Philippos gegenueber noch die Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen
+und demuetigen. Um diese Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz
+Eumenes und Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben.
+Wichtiger war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des
+Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien
+vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen
+Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne Zweifel
+rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene Spannung, wenn
+nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich
+ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische
+Vermittlung; der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos,
+der das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden
+nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er
+erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht
+erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater
+von dem Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss
+sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren. Da
+beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige
+kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach
+Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn
+zu fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise
+gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich,
+weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche
+der halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann
+die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit.
+</p>
+
+<p>
+Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie
+standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen
+Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder Art
+einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug zu leisten.
+Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr Einverstaendnis mit
+Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten Zerwuerfnisse mit Rom
+hatten stattgefunden infolge des Aufstandes der nach Antiochos&rsquo;
+Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178)
+als abtruennige Untertanen in grausamer Weise knechteten; diese aber
+behaupteten, nicht Untertanen, sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und
+drangen damit im roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den
+zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes
+ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste
+getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen wie
+anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus ausbrach, sahen ihn
+die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen Griechen ungern, und
+namentlich Eumenes als Anstifter desselben war uebel berufen, so dass sogar
+seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein
+dies hinderte sie nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die
+es wie allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch
+585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist
+die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor der
+Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier und im
+roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht laenger diesen
+Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel und auf die
+Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu
+schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende
+bereits mit Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen
+haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese
+wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann,
+als man in Rhodos den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere
+Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul
+Quintus Marcius, jener Meister der &ldquo;neumodischen Diplomatie&rdquo;, im
+Lager bei Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen
+Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht
+hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit
+taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette gern
+zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt - Verbindungen mit
+Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten
+mehr, als sie sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel
+groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame
+Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute
+Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger
+Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu
+beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber das andere
+kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des
+einen Verstosses zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der
+makedonischen Partei auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen
+schweren Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der
+ehrliche Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen
+haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und
+ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles
+erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine Worte und
+Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre Besitzungen auf
+dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120 Talenten (200000 Taler)
+abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon
+die Verbote der Salzeinfuhr nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus
+Makedonien scheinen gegen Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den
+rhodischen Handel die Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische
+Hafenzoll, der bis dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen
+hatte, sank in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt
+aber waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
+kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. Selbst das
+erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 (164) nach
+wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber machtlosen Kreter
+kamen mit einem derben Verweis davon.
+</p>
+
+<p>
+Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war
+Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der
+Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der syrischen
+Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von Babylon indes, der
+sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte. Wie es scheint, gab die
+Anweisung der Mitgift auf die Steuern der koilesyrischen Staedte die
+Veranlassung zu dem Hader und war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch
+des Krieges veranlasste der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem
+spaetestens die Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten
+begonnen zu sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die
+Gelegenheit gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die
+Erwerbung Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch
+einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm
+guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor, der Sohn
+jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten und war schlecht
+beraten; nach einem grossen Sieg an der syrisch-aegyptischen Grenze konnte
+Antiochos in demselben Jahr, in welchem die Legionen in Griechenland landeten
+(583 171), in das Gebiet seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in
+seiner Gewalt. Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors
+Namen, sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
+deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle den
+juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig. Unruhen in
+seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten ab; als er zurueckkam,
+hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich miteinander vertragen, und er
+setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht
+lange nach der Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte
+Gaius Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des
+Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu
+raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe
+einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis
+ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach seiner
+Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der er war, die
+Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des
+Paullus zu parodieren.
+</p>
+
+<p>
+Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch die
+Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre
+Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so
+machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten
+Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend
+fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das
+barsche Wort eines Diplomaten entschied.
+</p>
+
+<p>
+In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die
+boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter
+zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig
+Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner,
+150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die
+Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die
+fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss
+Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um
+die oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil
+ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die
+Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch
+ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus&rsquo; Heer gedient
+hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des
+Koenigs oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen
+Gegner konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos
+zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten
+unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der
+Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so sehr
+den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die kindische
+Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich
+sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten,
+erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der
+Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien
+bleiben wuerden. Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich
+gehalten, Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage
+der aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge
+einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der ertraeglichste
+und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig zufrieden damit, dass
+man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es deshalb zweckmaessig gefunden,
+in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 der vornehmsten Maenner der aetolischen
+Patriotenpartei niederstossen zu lassen; die roemische Kommission, die den
+Menschen brauchte, liess es hingehen und tadelte nur, dass man diesen
+hellenischen Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen.
+Aber man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes
+italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen
+Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder Pergamon
+bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht, sondern was man
+tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im roemischen Sinne, zu ueben und
+die aergerlichsten Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen.
+</p>
+
+<p>
+Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen Klientel
+vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich Alexanders des Grossen,
+gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe geworden, an die roemische
+Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten stroemten die Koenige und die
+Gesandten nach Rom, um Glueck zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals
+kriechender geschmeichelt wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig
+Massinissa, der nur auf ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu
+erscheinen, liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den
+Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches
+betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig
+lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien
+aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem
+Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat gefuehrt
+ward, und huldigte den &ldquo;rettenden Goettern&rdquo;. Da er so sehr
+veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und schenkte
+ihm die Flotte des Perseus.
+</p>
+
+<p>
+Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der
+Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen
+Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein
+zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt
+gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege
+gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der roemisch-griechischen
+Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt
+erkennt fortan in dem roemischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen
+Kommissionen in letzter Instanz zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um
+dessen Sprache und Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge
+Maenner in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser
+Herrschaft zu entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden,
+von dem grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
+auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
+Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
+Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen
+Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu halten.
+Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und Anarchie aufloesen,
+wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich
+zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien
+versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf
+eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft
+eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue
+Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber sich
+aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem Asiatischen
+Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward
+nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es
+erwies sich auch das roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von
+vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge
+eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten
+in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich schon
+deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der makedonischen
+Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere Intervention in die
+inneren Angelegenheiten der griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung
+und ihrer politischen wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo
+doch die Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte,
+endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und
+Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten
+in Untertanen Roms.
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der Einigung
+Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen Lauf, so erscheint
+die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von unersaettlicher Laendergier
+entworfener und durchgefuehrter Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der
+roemischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat.
+Freilich liegt jene Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den
+Mithradates sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und
+Koenigen aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden
+Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht
+hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine
+geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede nicht
+oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung waehrend dieses
+ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die Herrschaft ueber Italien,
+dass sie bloss wuenschte, nicht uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben,
+und dass sie, nicht aus Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr
+richtigen Gefuehl, den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu
+lassen, sich ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich
+Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende
+jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit
+unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet, dass sie
+nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien; es
+ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit
+Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen
+nicht minder als zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat
+entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung
+der bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der Regel
+von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg sich nicht so
+gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens es haette tun
+sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung Spaniens, die Uebernahme der
+Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der halb phantastische Plan, den Griechen
+ueberall die Freiheit zu bringen, schwere Fehler waren gegen die italische
+Politik, ist deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind teils die blinde
+Furcht vor Karthago, teils der noch viel blindere hellenische
+Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig
+bewiesen, dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen.
+Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen
+gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt,
+sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten
+Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu
+entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen
+Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel gehabt hat.
+Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen
+Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht
+der Nationen nicht und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt
+hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die
+hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn
+freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist
+vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des
+Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und
+Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint,
+dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums
+haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am
+letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens Groesse
+und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die geschichtliche
+Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die militaerische Ueberlegenheit
+der Legion ueber die Phalanx, sondern die notwendige Entwicklung der
+Voelkerverhaeltnisse des Altertums ueberhaupt gewaltet, also nicht der
+peinliche Zufall entschieden, sondern das unabaenderliche und darum
+ertraegliche Verhaengnis sich erfuellt hat.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/>
+Regiment und Regierte</h2>
+
+<p>
+Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen
+aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen
+worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in
+gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn
+innerhalb des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten
+hatte, so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in
+den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten
+senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der
+Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen
+Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben
+entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie jene dem
+gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten
+Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den letzten der alten
+staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge dieser Parteibildung
+gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte Auspraegung erst dem folgenden
+Jahrhundert an. Aber es wird diese innere Entwicklung nicht bloss von dem
+Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es
+entzieht sich auch ihr Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der
+roemischen Geschichte dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom
+sich legt und unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese
+neue roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
+Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und
+langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich
+geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren
+historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe
+tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung
+zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen
+Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen fallen in
+diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der Entwicklung Roms
+ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener
+Eisdecke sowohl wie die Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und
+in dem furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen
+zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit des
+Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen hoechsten
+Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, von jeher
+tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran schon frueh gewisse
+Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher
+Beamten gestattet ward, im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt
+war, die Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben
+aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im
+Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung
+des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und
+die roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden
+ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng ueberwachte.
+Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen
+durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene
+Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der
+Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 -
+geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche
+Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend
+des Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis
+gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte
+oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in
+der Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des Patriziats
+noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den ersteren als
+aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher
+erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt
+wohl schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat
+gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten.
+Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese
+erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die
+ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern lediglich
+das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an der gemeinen
+Rechtspflege, also an der Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende
+kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne
+des Wortes sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den
+Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen
+von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil
+laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche Adelschaft
+vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze kommt also der Sache
+nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen Pairsschub nennen wuerde. Wie
+die durch ihre kurulischen Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den
+patrizischen sich koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte
+Stellung und ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf
+dem Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
+eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in der Tat
+nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und musste die Fehde
+zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern und den gegen die
+Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals beginnen. Und so weit war man
+sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen
+Ehrenrechten, sondern rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte
+die wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus
+Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst
+wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen
+Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher
+Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden
+sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im
+fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten
+schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von
+Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von dem
+silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet
+zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den
+Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin
+denen aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des Hannibalischen
+Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1,
+6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der
+Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der
+ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die
+Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen.
+</p>
+
+<p>
+Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der
+Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal
+trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen.
+</p>
+
+<p>
+^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward
+durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das
+unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute jemand
+ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde.
+</p>
+
+<p>
+^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer Gewalt,
+das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere mehr. Was die
+Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen Sessels der Zensoren (Liv.
+40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches Amt gegolten zu haben; fuer die
+spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne
+praktischen Wert. Die plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu
+den kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass
+sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des
+weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch
+gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution von 244
+(510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die
+Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor
+allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten
+auf Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten
+berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so
+gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber ergaenzendes
+Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, durch welche man in den
+Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den
+Zensor, standen der Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar
+war in dieser Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen
+aus dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft
+noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
+aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
+Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei
+Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch namentlich der
+nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten und darum von der
+Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die Nichtadligen, obgleich sie
+wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, zu einer unbedeutenden und
+verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in demselben herabgedrueckt und ward
+der Senat wesentlich Traeger der Nobilitaet.
+</p>
+
+<p>
+Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen Organ der
+Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. Dem neuen Erbadel
+musste, da er nicht die Macht hatte, sich des Alleinbesitzes der Komitien
+anzumassen, es in hohem Grade wuenschenswert sein, wenigstens eine
+Sonderstellung innerhalb der Gemeindevertretung zu erhalten. In der
+Quartierversammlung fehlte dazu jede Handhabe; dagegen schienen die
+Ritterzenturien in der Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen.
+Die achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden
+verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die
+Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle
+durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter
+anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise
+den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und
+ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf vornehme
+Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen ansehnlichen
+Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen.
+Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator
+dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens
+tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien stimmten
+und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen Maenner der
+Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch
+die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der
+Legionarreiterei, als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der
+militaerischen Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im
+Fussvolk mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der
+eigentlichen Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch
+Herkunft und Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei.
+Man wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des
+Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit den
+Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und weshalb Cato
+als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine ernste Strafrede zu
+halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung der Buergerreiterei in eine
+berittene Nobelgarde gereichte dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil
+als zum Vorteil der Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht
+bloss ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 die
+gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht haltbar. Die
+Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten aufgefuehrten
+Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; jede dieser
+Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu erklaeren. Bezeugt aber
+ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst von den Verfechtern dieser
+Meinung als verschrieben anerkannten Stelle Ciceros (rep. 2, 20), noch die
+zweite, die ueberhaupt nirgend bei den Alten erscheint. Dagegen spricht fuer
+die im Text vorgetragene Annahme einmal und vor allem die nicht durch
+Zeugnisse, sondern durch die Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist
+gewiss, dass die Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann
+sechs, endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die
+Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich zusammenhaengende
+Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. 243) entwickelt hat, setzt
+nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, sondern die sechs patrizischen
+Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser sind Livius (1, 36, nach der
+handschriftlich allein beglaubigten und durchaus nicht nach Livius&rsquo;
+Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) und Cicero a.a.O. (nach der
+grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244)
+offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet zugleich sehr verstaendlich an,
+dass hiermit der damalige Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt
+bezeichnet werden soll. Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den
+hervorragendsten Teil uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den
+alten nicht allzu nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher
+Art werden ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents
+der Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S.
+238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde
+auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben vorgetragenen
+wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die geschlossene Zahl der
+Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden bis auf Sulla, wo mit dem
+faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage derselben wegfiel und allem
+Anschein nach an die Stelle der zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die
+Erwerbung desselben durch Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener
+Ritter. Indes neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo
+publico, stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem
+Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse;
+sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter und
+nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch.
+</p>
+
+<p>
+In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das erbliche
+Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des Ritterpferdes als
+Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte Zahl erneuert und faellt
+damit fuer die erste Zensusklasse als solche die Ritterbenennung weg.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen
+Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den Volksfesten
+zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem zweiten Konsulat 560 (194)
+sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine Volksversammlung so gut wie die zur
+Abstimmung berufene der Zenturien; und dass jene nichts zu beschliessen hatte,
+machte die hierin liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von
+Herrenstand und Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum
+auch auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und
+nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie ihr
+Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu verstecken, ein
+sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es sich, weshalb die Zensur
+der Angelpunkt der spaeteren republikanischen Verfassung ward; warum dieses
+urspruenglich keineswegs in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit
+einem ihm an sich durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer
+ganz einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der
+Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn
+erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in
+dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner
+Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, als
+einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige Beginnen wie
+ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu
+erinnern, den die Bewerbung Catos um die Zensur hervorrief und an die
+ungewoehnlich ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der
+Senat die gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres
+550 (204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
+sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
+wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus notwendig,
+den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- und Ritterpersonal zu
+belassen, da das Ausschliessungs- von dem Berufungsrecht nicht wohl getrennt
+und auch jenes nicht wohl entbehrt werden konnte, weniger um oppositionelle
+Kapazitaeten aus dem Senat zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser
+Zeit vorsichtig vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu
+bewahren, ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
+Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der blanken
+Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab. Ausser der Schranke,
+welche in dem Amte selbst lag, insofern die Mitgliederlisten der adligen
+Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf Jahren der Revision unterlagen, und
+ausser den in dem Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des
+Nachfolgers gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare
+hinzu, indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht
+machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher
+Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam gerichtliches
+Verfahren von der Liste zu streichen.
+</p>
+
+<p>
+In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
+gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das Regiment
+wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in ihrem Sinne um.
+Es gehoert schon hierher, dass man, um die Gemeindeaemter im Preise zu halten,
+die Zahl derselben so wenig wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade
+vermehrte, wie die Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es
+erfordert haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
+abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor verwalteten
+Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der eine die
+Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen unter
+Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, im Jahre 511
+(243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer die vier
+ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika (527 227), das
+Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu summarische Art der
+roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende Einfluss des Bueropersonals
+gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der
+roemischen Magistratur.
+</p>
+
+<p>
+Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie fast
+durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der bestehenden
+Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten am bestimmtesten die
+Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der Offiziersstellen wie der
+buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe der Verfassung es gestattete und
+deren Geist es forderte, lediglich von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr
+und mehr von Geburt und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung
+der Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache nach.
+Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom Feldherrn auf die
+Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es weiter auf, dass die
+saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen jaehrlichen Aushebung, die
+vierundzwanzig Kriegstribune der vier ordentlichen Legionen, in den
+Quartierversammlungen ernannt wurden. Immer unuebersteiglicher zog sich also
+die Schranke zwischen den Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und
+tapferen Dienst vom Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch
+Bewerbung von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen
+dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen wichtigen
+Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der Stabsoffiziersstellen
+an den Nachweis einer gewissen Zahl von Dienstjahren zu knuepfen.
+Nichtsdestoweniger wurde, seit das Kriegstribunat, die rechte Saeule des
+roemischen Heerwesens, den jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer
+politischen Laufbahn hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr
+haeufig eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des
+demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen Junkerexklusivitaet. Es
+war eine schneidende Kritik der neuen Institution, dass bei ernsthaften Kriegen
+(zum Beispiel 583 171) es notwendig befunden ward, diese demokratische
+Offizierswahl zu suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn
+zu ueberlassen.
+</p>
+
+<p>
+Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die Wiederwahl zu
+den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies allerdings notwendig,
+wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name werden sollte; und schon in der
+vorigen Periode war die abermalige Wahl zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn
+Jahren gestattet und die zur Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich
+ging man in dieser Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung
+darin, dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre
+537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon
+nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die
+Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende dieser
+Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um Gemeindeaemter
+verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei
+jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich
+hatte beides laengst vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche
+Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen
+erhoben und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen
+Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den
+Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der
+Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und
+geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden
+sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen Aristokratie
+gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der Kurie, aber wohl von
+den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich
+ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der
+sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich
+ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der
+Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis
+zum Ende des Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und
+Zensorenlisten erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die
+meisten derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier,
+Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf
+besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius Laelius 564
+(190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die Ausschliessung der
+Aermeren vom Regiment war freilich durch die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom
+ein rein italischer Staat zu sein aufgehoert und die hellenische Bildung
+adoptiert hatte, war es nicht laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom
+Pfluge weg an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig
+und nicht wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
+kurulischen Haeuser sich bewegten und ein &ldquo;neuer Mensch&rdquo; nur durch
+eine Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine
+gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen Instituts,
+insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der Geschlechter beruhte,
+sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, insofern staatsmaennische
+Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von dem tuechtigen Vater auf den
+tuechtigen Sohn sich vererben und der Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden
+edlen Funken in der Menschenbrust rascher und herrlicher zur Flamme entfacht.
+In diesem Sinne war die roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen,
+ja sie hatte in der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den
+Rat nahm und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem
+konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des Triumphators,
+seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre Erblichkeit mit grosser
+Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der aelteren Zeit die Erblichkeit
+der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen Grade durch die Vererbung der
+inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen war und die senatorische Aristokratie den
+Staat nicht zunaechst kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des
+hoechsten aller Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
+gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit
+reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von ihrer
+urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und Tat
+erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich
+ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit war es
+in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der Oligarchie
+das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne Familien sich
+entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des Siegers von Zama und von
+seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die
+Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede
+gewesen; und der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter
+und aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte
+in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass
+Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne
+Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio mit
+dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat gelangte, wenn
+Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat
+emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon
+dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre
+Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das
+ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie
+opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die
+patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten
+deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit
+Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide Konsuln
+Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat bekleidet.
+Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den varronisch ungeraden
+Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus
+den Patriziern gewaehlt worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547,
+549, 551, 553, 555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese
+patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den
+Geschlechtern:
+</p>
+
+
+<p>
+Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener
+</p>
+
+<p>
+             (366-254): (253-173): 16 patrizische Kollegien
+</p>
+
+
+<p>
+Cornelier 15 15 14
+</p>
+
+<p>
+Valerier 10 8 4
+</p>
+
+<p>
+Claudier 4 8 2
+</p>
+
+<p>
+Aemilier 9 6 2
+</p>
+
+<p>
+Fabier 6 6 1
+</p>
+
+<p>
+Manlier 4 6 1
+</p>
+
+<p>
+Postumier 2 6 2
+</p>
+
+<p>
+Servilier 3 4 2
+</p>
+
+<p>
+Quinctier 2 3 1
+</p>
+
+<p>
+Furier 2 3 -
+</p>
+
+<p>
+Sulpicier 6 2 2
+</p>
+
+<p>
+Veturier - 2 -
+</p>
+
+<p>
+Papirier 3 1 -
+</p>
+
+<p>
+Nautier 2 - -
+</p>
+
+<p>
+Julier 1 - 1
+</p>
+
+<p>
+Foslier 1 - -
+
+</p> <p>
+—————————————————————————
+
+</p> <p>
+ 70 70 32
+</p>
+
+<p>
+Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit der
+Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne wesentliche
+Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch Adoption aufrecht
+erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum Ende der Republik sich
+behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen Nobilitaet treten zwar von Zeit zu
+Zeit neue Geschlechter hinzu; indes auch die alten plebejischen Haeuser, wie
+die Licinier, Fulvier, Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den
+Fasten in der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel
+das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog in
+dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche die
+Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet worden war. In der
+schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich
+allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von
+Rechts wegen lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung
+geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so
+legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber
+klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und
+der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der Welt,
+dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu beherrschen einzig
+der roemische Senat vermochte und in vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein
+ueber dem grossartigen und mit den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten
+des regierenden roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht
+uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und
+weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die
+Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen fast
+entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die
+entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat.
+</p>
+
+<p>
+Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, was es
+gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; und wenn er
+der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr eines jeden
+Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich nach. Wo das
+Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in dem damaligen Rom,
+huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen und die Gunst der Menge
+durch strenge Worte und ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal
+ein Beamter mit altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der
+Regel, wie zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse
+des Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus,
+als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter
+Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze
+voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den
+faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht
+kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms
+Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der
+Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch,
+im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten
+hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen Beziehungen
+damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom
+vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der
+Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, sondern
+gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl
+des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in
+welcher Art die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt
+der Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia
+(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele
+in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische
+Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit eigener
+Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang selber, dem mancher
+aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war es noch, dass der Taeter nicht
+bloss nicht vor Gericht gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato
+deswegen aus der Liste der Senatoren strich, seine Standesgenossen den
+Ausgestossenen im Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen -
+freilich war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der
+maechtigsten Koteriehaeupter des Senats.
+</p>
+
+<p>
+Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher zurueck
+als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im Wachsen. Die
+indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen infolge der
+erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es zum Beispiel noetig
+machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der kampanischen und brettischen
+Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo
+einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach
+den verschiedenen Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204),
+indem es nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten
+roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes
+die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum
+Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese Finanzmassregel
+fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die Steigerung des Ertrages
+der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von dem zur Okkupation verstatteten
+italischen Domanialland dem Aerar von Rechts wegen zukam, ward zum
+allergroessten Teil wohl weder gefordert noch geleistet. Dagegen blieb nicht
+bloss das Hutgeld bestehen, sondern es wurden auch die infolge des
+Hannibalischen Krieges neu gewonnenen Domaenen, namentlich der groessere Teil
+des Gebiets von Capua und das von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben,
+sondern parzelliert und an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier
+versuchten Okkupation von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich
+entgegengetreten; wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere
+Einnahmequelle entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die
+wichtigen spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den
+Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
+Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende Summen
+in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem Antiochischen Kriege 200
+(14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) -
+letzteres die groesste Barsumme, die je auf einmal in die roemische Kasse
+gelangt ist.
+</p>
+
+<p>
+Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben
+groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens,
+kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege-
+und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; auch
+die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der schweren
+Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch manches Jahr nachher
+auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die
+schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr
+namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von ihrer
+ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am
+Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten
+noch die Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den
+Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr
+danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb
+der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die
+Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen
+wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde
+sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward, die
+Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, sondern man
+litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und sonst auf
+oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser aus den
+oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses
+Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt
+und sie zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten
+oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde
+gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine
+merkwuerdige Weite. &ldquo;Wer einen Buerger bestiehlt&rdquo;, sagt Cato,
+&ldquo;beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber,
+wer die Gemeinde bestiehlt.&rdquo; Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche Gut
+der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und Spekulanten
+gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten in Rom der
+Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und da einen Beamten
+finde, der nicht in die Kasse greife; wie der roemische Kommissar und Beamte
+auf sein einfaches Treuwort hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in
+Griechenland der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
+aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, dass die
+soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch viel weiter
+vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht wie dort der
+unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das allgemeine finanzielle
+Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen
+Bauten und in dem Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche
+Bauwesen finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel
+der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich
+gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in
+die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die
+Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung der
+italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher Gebaeude. Wohl die
+bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten
+war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und
+Erweiterung des hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000
+Taler (24 Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache
+nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem
+Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den
+schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen
+zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue Wasserleitung
+angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die letzte Reserve betrug
+im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000
+Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser
+Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse
+vorraetig waren. Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche
+in dem Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen
+Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit
+als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen Angaben
+es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die roemischen
+Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber die Ausgabe, aber
+darum doch nichts weniger als ein glaenzendes Gesamtergebnis.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen
+worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es muss nicht
+selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie
+beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in der
+Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der roemischen
+Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die
+latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die
+roemischen Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe
+dieser Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon
+fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war,
+jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und diese
+allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi und Formiae,
+das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl
+benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im
+Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie
+Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren
+Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und ganzen
+betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der Kommunalfreiheit und
+des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den Gemeindesklaven gleich
+behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu namentlich die Angehoerigen der
+ehemaligen, mit Hannibal verbuendet gewesenen kampanischen, suedlichen
+picentischen und brettischen Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die
+diesseits der Alpen geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der
+italischen Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch
+die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus
+diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen,
+hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird.
+</p>
+
+<p>
+Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher
+angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil
+veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel Neapel,
+Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle dieses Krieges
+unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr bisheriges Bundesrecht
+unveraendert behalten; bei weitem die meisten mussten infolge ihres
+Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der bestehenden Vertraege
+gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung der nichtlatinischen
+Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren Gemeinden in die latinischen;
+als im Jahre 577 (177) die Samniten und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung
+ihrer Kontingente einkamen, wurde dies damit motiviert, dass waehrend der
+letzten Jahre 4000 samnitische und paelignische Familien nach der latinischen
+Kolonie Fregellae uebergesiedelt seien.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des roemischen
+Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die
+ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der
+Herniker, und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch
+jetzt noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im
+Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten
+wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von
+der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen
+gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel Bundesgenossen
+aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des Hannibalischen Krieges die Buerger
+alle, nicht aber die Bundesgenossen verabschiedet; so die letzteren
+vorzugsweise fuer den Besatzungs- und den verhassten spanischen Dienst
+verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk 577 (177) den Bundesgenossen nicht wie
+sonst die gleiche Verehrung mit den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben,
+so dass inmitten des ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die
+zurueckgesetzten Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
+Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je drei
+Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den latinischen
+Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die Auswanderung nach
+Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche Kinder und einen Teil ihres
+Vermoegens in der Heimatgemeinde zurueckliessen. Indes diese laestigen
+Vorschriften wurden auf vielfache Weise umgangen oder uebertreten, und der
+massenhafte Zudrang der Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die
+Klagen ihrer Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die
+Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu
+leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus
+der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die
+Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger schwer
+empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland angelegten
+Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des latinischen, das volle
+Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur hinsichtlich der Seekolonien
+geschehen war, und die bisher fast regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft
+durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen
+Gruendung 571 (183) begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms
+geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr
+gleichzeitig ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna
+(570-577 184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
+offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
+Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten wurden
+von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen Buergerschaft
+ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren Teile derselben die
+Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung bedeutender materieller
+Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht zu vertauschen.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt in das
+roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere Verfahren, die
+unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben, hatte man um 400 (350)
+fallenlassen, um nicht durch uebermaessige Ausdehnung der roemischen
+Buergerschaft dieselbe allzusehr zu dezentralisieren, und deshalb die
+Halbbuergergemeinden eingerichtet. Jetzt gab man die Zentralisation der
+Gemeinde auf, indem teils die Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht
+empfingen, teils zahlreiche entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde
+hinzutraten; aber auf das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten
+Gemeinden gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
+Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische mit
+dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht nachweisen;
+wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses erhalten. Auch der
+Uebertritt einzelner Italiker in das roemische Buergerrecht fand fast allein
+noch statt fuer die latinischen Gemeindebeamten und durch besondere
+Beguenstigung fuer einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit
+zugelassenen Nichtbuerger ^7.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der
+Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius
+Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch
+nach bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben,
+wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten
+Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig
+dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung
+einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen
+Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte Anzahl von
+Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der
+italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit
+nicht abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis
+ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert und, waehrend die
+Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln
+bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die
+verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft
+der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den oeffentlichen Lasten
+durchgaengig sich entzog und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich
+nahm, so trat die Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft
+gegenueber und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft
+aus, waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil
+ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die
+Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des
+verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner
+Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die starren
+Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der Passivbuergerschaften kann an sich
+nicht getadelt werden und gehoert auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen
+anderen, spaeter noch zu eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch
+ein vermittelndes Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das
+Schwinden des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
+Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte Stellung der
+latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den Fuessen, seit die
+latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die bevorzugten Teilhaber an
+der Herrschaft der maechtigen stammverwandten Gemeinde, sondern wesentlich
+gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu empfinden und alle Italiker ihre
+Lage gleich unertraeglich zu finden begannen. Denn dass die Brettier und ihre
+Leidensgenossen schon voellig wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie
+Sklaven sich verhielten, zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als
+Ruderknechte dienten, ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste
+nahmen; dass ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen
+Untertanen eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht
+der Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den
+Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung
+innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren
+Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen
+Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung
+bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die Furcht
+hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei
+Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das
+roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur Unzeit
+gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher
+Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis
+zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach
+Italien getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten
+Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein
+wuerde.
+</p>
+
+<p>
+Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das
+roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche am
+entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen Bahn wich,
+waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht kannte
+zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen Buergerschaften wurden
+entweder in die Sklaverei verkauft oder in der roemischen aufgehoben oder
+endlich zu einem Buendnis zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale
+Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen
+Besitzungen in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren
+frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal
+behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste
+und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den
+bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische
+Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch
+diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren
+entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war
+es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der
+Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der
+Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon
+ab, als man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die
+Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit
+weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass
+man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer den
+Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich den Baum
+pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das neue
+Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren Stellung nicht
+bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit der roemischen
+Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die roemische Gemeinde in den
+Provinzen an die Stelle des frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt
+daselbst an Koenigs Statt; wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in
+dem Hieronischen Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar
+der Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
+Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in den ihm
+untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener begleitet, welcher
+ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er von seiner spanischen
+Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher sein Schlachtross, weil er
+sich nicht befugt hielt, die Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung
+zu bringen. Es ist auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich
+sicherlich nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die
+Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch
+ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende
+ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und
+Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten unter
+den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter und Bankiers,
+ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens den Untertanen, vor
+allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten.
+Auch die Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich.
+Man war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht
+verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den
+nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es
+ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die
+goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge
+nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das
+Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen
+Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der
+Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf.
+Aber schon war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an
+dem alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der
+Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der
+Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt.
+Die ueble Sitte, dem Amtmann &ldquo;Ehrenwein&rdquo; und andere
+&ldquo;freiwillige&rdquo; Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die
+Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein;
+schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen,
+diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und
+ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie
+Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das wichtigere
+Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute
+Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei
+anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz
+auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen der
+Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des Taxpreises fuer
+beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst
+fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu
+werden; die masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus
+fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie
+ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, offiziell
+dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am
+Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen,
+sondern selbst gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm,
+das zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die
+heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die
+Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder
+ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen
+Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht
+ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr als
+bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung
+keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft
+gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine
+Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten,
+musste ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die Sache
+in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde
+von dem Senator, der die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der
+damaligen Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury
+gewiesen. Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des
+Herrenstandes, und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um
+gegruendete Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar
+verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines
+Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen
+von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie
+vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch
+mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen von
+Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war;
+und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt
+fanden die Geschaedigten freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen,
+welche die Staedte und Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und
+andern ihnen naeher getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter
+empfanden es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff;
+und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der
+Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum
+Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen Mann.
+Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen Gelegenheit, ihr ganzes
+Talent, sich ihren Herren gegenueber wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch
+ihre bereitwillige Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die
+Beschluesse der Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt
+zerstoert und gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt
+hatten, sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von
+Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen Familienpolitik
+dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. Immer wurde auf diesem
+Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten die Goetter und den Senat
+einigermassen fuerchteten und im Stehlen meistenteils Mass hielten, allein man
+stahl denn doch, und ungestraft, wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die
+heillose Regel stellte sich fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger
+Gewalttaetigkeit der roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und
+von Rechts wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten;
+woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht
+unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie sie
+schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur den aergsten
+Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in
+der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten
+Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier
+am fruehesten machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen
+Regiments sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit
+strengeren und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer
+die italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo
+das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert
+werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze
+bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie
+souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden Institute,
+die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine der spaeter
+erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation der obersten
+Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische
+Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender
+Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von
+der Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen
+Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse von dem
+der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr
+einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in der
+Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im Auslande
+eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck
+in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende,
+aber nicht Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass
+die beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und
+die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter
+den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen
+Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der
+Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus den
+Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen
+Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis
+hervor, welche die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier
+gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment
+der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen Richtung, und
+der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger
+Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch
+ungehemmten stetigen Fortgang.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte Geschlechtsaristokratie
+formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige
+Buergerschaft im Mitgenuss der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben
+darum die zweite Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu
+sprengen als die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich
+nicht. Die Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf
+dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische
+Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern.
+</p>
+
+<p>
+Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem bewegenden
+Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert werden kann: ein
+sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige Folgsamkeit gegenueber
+dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten und boesen Tagen und vor allem
+die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen
+Wohlbehagens fuer das Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde
+in so hohem Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet,
+jede Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der gute
+und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze Verhalten der
+Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber beweist mit
+vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige Buergertum, vor dem selbst
+Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch in den roemischen Komitien
+entschied; die Buergerschaft hat wohl oft geirrt, jedoch nicht geirrt in
+Poebeltuecke, sondern in buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber
+allerdings wurde die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang
+der oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen
+ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den
+Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen
+Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter
+Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist schon angegeben
+worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische Buergerschaft in ziemlich
+geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil
+Kampaniens, so dass sie an der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis
+Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur,
+Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die
+Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische
+Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der
+juengsten Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und
+eine sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche,
+gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et
+conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der
+Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der
+Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten
+stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch schon,
+namentlich in den See- und den neuen picenischen und transapenninischen
+Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer staedtischer Gemeinwesen
+innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde wenigstens die ersten
+Grundlinien zog, so blieb doch in allen politischen Fragen die Urversammlung
+auf dem roemischen Marktplatz allein berechtigt; und es springt in die Augen,
+dass diese in ihrer Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht
+mehr war, was sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre
+buergerliche Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren
+Hoefen weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
+hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser Absicht,
+laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den Buergerverband
+eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in neuerrichtete Wahlbezirke,
+sondern in die alten mit einschrieb; so dass allmaehlich jeder Bezirk aus
+verschiedenen, ueber das ganze roemische Gebiet zerstreuten Ortschaften sich
+zusammensetzte. Wahlbezirke wie diese, von durchschnittlich 8000, die
+staedtischen natuerlich von mehr, die laendlichen von weniger
+Stimmberechtigten, und ohne oertlichen Zusammenhang und innere Einheit, liessen
+schon keine bestimmte Leitung und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was
+um so mehr vermisst werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie
+Debatte voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
+hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
+geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche die
+herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber zufaellig
+zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende Wort
+einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in letzter
+Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch die Folgen ihrer
+Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden
+Dingen haben denn auch die roemischen Urversammlungen eine unmuendige und
+selbst alberne Rolle gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja
+zu allen Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten,
+wie zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte
+sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und kuemmerlich
+auslaufende Opposition.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich
+beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche
+Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach
+Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer einer
+Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der Gegend
+domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen.
+dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne
+kontrahiert ward, die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in
+Rom, sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel formell
+gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur Seite. Die
+Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit unvordenklicher Zeit
+uebte der vornehme Roemer auch ueber seine Freigelassenen und Zugewandten eine
+Art Regiment aus und ward von denselben bei allen ihren wichtigeren
+Angelegenheiten zu Rate gezogen, wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht
+leicht seine Kinder verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu
+haben, und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
+Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht bloss die
+Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus den Schutzbefohlenen
+Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der Reichen unterhoehlte
+aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die Aristokratie duldete nicht
+bloss diese Klientel, sondern beutete finanziell und politisch sie aus. So zum
+Beispiel wurden die alten Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu
+religioesen Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden
+hatten, jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
+Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
+ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. Die
+Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 204), weil die
+Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten regelmaessigen Tribut
+zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die
+Komitien zu beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche
+maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem
+selbstaendigen Mittelstand machte.
+</p>
+
+<p>
+Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der Hauptstadt,
+welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst nachweisbar. Die steigende
+Zahl und Bedeutung der Freigelassenen beweisen die schon im vorigen Jahrhundert
+gepflogenen und in diesem sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber
+ihr Stimmrecht in den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des
+Hannibalischen Krieges vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren
+freigelassenen Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten
+zuzulassen und den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den
+Kindern der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser
+als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden
+Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso
+unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete.
+</p>
+
+<p>
+Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen
+eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet noch
+die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch denselben
+grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere Dinge den alten
+Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu haben. Noch war die
+Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im
+grossen sich haette zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster
+Weise um die Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der
+Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die
+Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich die
+entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot umsonst und
+ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder die
+Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde stellten oder
+auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen roemischen Beamten in
+Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, machten es seit der Mitte
+des sechsten Jahrhunderts den Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische
+Buergerbevoelkerung das Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein
+Wunder, meinte Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere -
+der Bauch habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in
+erschreckender Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem
+Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische
+Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und
+einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen
+Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes:
+&ldquo;plebejische Spiele&rdquo; hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft
+haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man weiter in
+der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der Schutzgottheit
+des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur wenig juenger sein als das
+plebejische. Weiter ward nach Anleitung der Sibyllinischen und Marcischen
+Weissagungen schon 542 (212) ein viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204)
+ein fuenftes zu Ehren der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen
+Mutter hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen
+Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem
+Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie
+war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie nutzten,
+um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und
+Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die
+Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in
+solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja
+selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres
+Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen
+Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste
+beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen zu dem
+alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der Flora, die
+plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der staedtische Praetor die
+Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem
+gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt
+haben; in der Tat waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget
+mit einer Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die
+Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die
+Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen Konsularkandidaten
+machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele einander eine Konkurrenz, die
+die Kosten derselben ins Unglaubliche steigerte; und es schadete
+begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in Hoffnung noch ausser dieser
+gleichsam gesetzlichen eine freiwillige &ldquo;Leistung&rdquo; (munus), ein
+Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. Die Pracht der Spiele wurde
+allmaehlich der Massstab, nach dem die Waehlerschaft die Tuechtigkeit der
+Konsulatsbewerber bemass. Die Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein
+anstaendiges Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie
+zahlte gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
+verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, sondern
+uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr hatte sich
+gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die Kriegsarbeit und im
+gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe heimzubringen; die neuen Feldherren,
+an ihrer Spitze Scipio Africanus, warfen das roemische wie das Beutegeld mit
+vollen Haenden unter sie aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten
+Feldzuege gegen Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem
+Zweiten Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
+durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, auch von
+den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der Provinzialen und den
+Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein unmittelbares Gefolge nahm und aus
+dessen Lager nicht wenige Maenner mit Golde, sondern viele mit Silber in den
+Taschen zurueckkamen - dass auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an
+in Vergessenheit zu geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit
+derselben verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die
+durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen,
+nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes
+aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen
+Doerfern wegwarf.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen
+Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius (p. 143
+Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus gefeiert wurden
+(Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach
+dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch
+hinreichend bewiesen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter
+diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den
+Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise offenbarte die
+einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg (576 178), wo ueber ein
+geringes, vom Geruechte lawinenhaft vergroessertes Scharmuetzel das Landheer
+und die Seemacht der Roemer, ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und
+Cato seinen Landsleuten ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten
+noetig fand. Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des
+Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die
+Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten Strafen
+einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) stellte ein
+Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren als Qualifikation
+fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um die Soehne der
+Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen.
+</p>
+
+<p>
+Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten Stolzes und
+der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen nach Abzeichen und
+Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen gleichartig bei allen
+Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des Triumphes draengte man sich so,
+dass es kaum gelang, die alte Regel aufrecht zu erhalten, welche nur dem die
+Macht der Gemeinde in offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten
+Gemeindebeamten verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten
+eben die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste
+es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche vergeblich
+versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat oder der
+Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem Albanischen Berg
+triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein Gefecht mit einem
+ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, um nicht daraufhin den
+Triumph zu erbitten. Um den friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die
+Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die
+Gestattung des Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die
+wenigstens 5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward
+oefter durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den
+vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom
+Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich
+zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers
+einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische Hoffart,
+dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 194) und Manius
+Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den
+der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt;
+jetzt schien jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits
+der Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm,
+wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein
+Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf
+Kosten des Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer
+eine Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange
+genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen
+Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen;
+welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich
+selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter den von
+Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach.
+Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung
+festzustellen und dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu
+dekretieren, so konnte man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie
+verlangten, wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif
+schmuecken zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden
+nicht bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven,
+sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener
+von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem
+gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem gemeinen
+Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das
+Werk der buergerlichen Gleichheit war!
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das des
+Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von Messana den Namen
+Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in aehnlicher Weise Calenus
+genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen Maximus im Valerischen und
+Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus gleichartig.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der Opposition.
+Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den lauten Ruf nach
+Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt die Demagogie ihr
+Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig trennen lassen, sondern
+mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch notwendig sein, sie in der
+Betrachtung voneinander zu sondern.
+</p>
+
+<p>
+Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person des
+Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte Staatsmann des
+aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem Weltregiment
+abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster des echten Roemers
+von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird man ihn betrachten als den
+Vertreter der Opposition des roemischen Mittelstandes gegen die neue
+hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet. Beim Pfluge hergekommen, ward er durch
+seinen Gutsnachbarn, einen der wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen,
+Lucius Valerius Flaccus, in die politische Laufbahn gezogen; der derbe
+sabinische Bauer schien dem rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem
+Strom der Zeit sich entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht
+getaeuscht. Unter Flaccus&rsquo; Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und
+Tat den Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
+Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten Jahre
+eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen Krieg von
+der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama durchgemacht, unter
+Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in
+Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und
+als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem
+Marktplatz. Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender
+Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen
+Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten
+ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt
+und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war,
+zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den
+Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein
+Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem
+einreissenden Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu
+begegnen, und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem
+neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene
+Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser
+Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich
+gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den Augen und
+auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen
+sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen
+alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der
+polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht,
+ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und
+vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die
+Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten
+als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren sahen
+zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht,
+ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat
+zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer
+republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem
+Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem Abgott
+der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner vornehmen Kollegen
+hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor, allerdings ohne es mit den
+Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und allerdings auch mit besonderem Genuss
+denjenigen, die ihn persoenlich gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut
+verwies und beschalt er oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue
+Unrechtfertigkeit und jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten
+ihm zahllose Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich
+den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener unversoehnlicher
+Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt worden. Aber die
+Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie maechtig noch in dieser
+Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige Geist war, der den Tag von Cannae
+hatte uebertragen machen - liess den ruecksichtslosen Verfechter der Reform in
+ihren Abstimmungen niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem
+adligen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im
+voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende Reinigung der
+Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen beabsichtigten, wurden die
+beiden gefuerchteten Maenner von der Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller
+Anstrengungen des Adels, und derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das
+grosse Fegefest stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von
+der Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
+gestrichen wurden.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz und
+Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die Gesinnung war,
+aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf
+eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem
+zum Trotz oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat,
+so ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der
+Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem
+Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse
+wenigstens in den politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso
+erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel
+mehr als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur
+Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen
+Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum
+Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden.
+</p>
+
+<p>
+Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden
+Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von neuen
+Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz einnehmen.
+Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kriege mit Karthago
+und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts
+in grosser Anzahl und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten
+darunter sind die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius
+im Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und
+vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und
+dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona,
+Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma
+und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem die meisten
+dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden.
+Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen
+Krieg und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der
+freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und
+gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen
+Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato
+und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische Regierung
+diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab nachkam, wie sie es
+gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht taub gegen die warnende
+Stimme des verstaendigen Mannes.
+</p>
+
+<p>
+Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der
+Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen Einhalt zu
+tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht gefehlt haben; doch
+scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem
+Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der
+Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die
+schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem
+gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach
+orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der fuer den
+Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von
+11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die
+zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen
+und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus
+fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall
+auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler)
+und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk
+miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser
+Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die
+servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie
+taten doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit
+den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann
+auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die
+Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit
+sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten
+Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der Zenturiatkomitien,
+welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg
+um Sizilien zu Ende ging (513 241).
+</p>
+
+<p>
+Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn auch
+nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die Ansaessigen
+gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter
+gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die
+Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens
+100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden
+Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung entschieden. Das
+Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden Klassen war von
+zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung unter dem niedrigsten
+Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch
+gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre
+gesonderten Abteilungen behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf
+eine aus der ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen.
+Die Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen
+werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf
+die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der
+eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die gesetzlich
+den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- und zweite
+Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch
+ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu
+besetzen, ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt
+hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich
+erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers
+Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle
+einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich
+charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur
+dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den
+Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus
+der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die
+erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie
+waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben,
+dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das
+Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward.
+Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem
+allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des
+Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb
+gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn
+Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien allein
+die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten Ordnung die Stimmen
+der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch bewirkt, dass unter allen
+Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch
+und der eigentliche Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die
+neuen Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die
+Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus
+angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste.
+Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben worden
+waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend sie in den
+Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen Abteilungen beschraenkt
+waren, hatten sie in denen der Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell
+das gleiche Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der
+Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus
+eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung
+gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in
+der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse jeder
+Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen Buerger davon nur
+acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den vier anderen Stufen den
+ansaessigen Buergern das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen
+Sinne wurde die bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den
+Freigeborenen im Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die
+ansaessigen Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies
+geschah im Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der
+Reformpartei, den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor
+Tiberius Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen
+Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese
+Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von
+Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung, die die
+neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der eigentlichen
+Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der Beschraenkung des
+zensorischen Willkuerregiments, teils in der Beschraenkung des Einflusses
+einerseits der Nobilitaet, anderseits der Nichtansaessigen und der
+Freigelassenen, also in der Umgestaltung der Zenturiatkomitien nach dem fuer
+die Tributkomitien schon geltenden Prinzip; was sich schon dadurch empfahl,
+dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die
+Mitwirkung der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die
+Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders
+zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch
+ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen
+Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht ein neues
+Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in der praktisch
+haeufigeren und wichtigeren Kategorie der Buergerschaftsversammlungen
+massgebendes zu allgemeiner Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber
+keineswegs demagogische Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu
+den eigentlichen Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem
+Proletariat und der Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische
+Bedeutung dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden
+Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die
+gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht
+verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist sicher
+nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, dass wir nirgend
+eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen Reform auf den politischen
+Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser
+Reform noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten
+roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die
+Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der
+Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu beseitigen,
+waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern sich gleichzeitig
+breiter und tiefer zog.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas
+Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus der
+ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen in dem
+(wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½, ¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber
+versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem
+leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu
+muessen, wenn auch in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als
+schwere Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen
+Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die
+Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht
+des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat er
+dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese bei der
+Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte die spaeteren
+Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in
+diesem Falle eine Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte
+enthalten haben wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken
+erheben; doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter
+Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften
+Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen
+Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung
+verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen
+uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen Vollhufe von
+vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach die Schatzungssaetze
+ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht
+ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des
+Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber
+auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet
+unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu
+einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres
+politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille der Besseren
+fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und kraeftigen Ausdruck;
+aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch
+einen festen Plan, im grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse
+Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten
+Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig
+Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt
+werden konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser
+Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und
+den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf
+ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu
+haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so trat
+auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die
+volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, die an
+der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der Schlafsucht; die sich
+Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig einfinden, und die man wie den
+Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe
+braucht, sich ihnen anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte
+diese nach dem Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten
+spassigen und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen;
+zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
+Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer ein
+Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, diese
+Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor allen Dingen
+und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so hielt die Demagogie
+vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und Erweiterung der
+Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die wichtigste Neuerung die
+tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine
+populaeren Gegner 537 (217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus
+unpopulaeren Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch
+(538 216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit
+aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch
+in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar Male (zuletzt
+552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der zu ernennenden Person
+durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer staedtische Geschaefte eingesetzt
+worden war, kam dieses Amt, ohne foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich
+ausser Gebrauch. Damit ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen
+Verfassungssystem ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr
+wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das
+Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in
+der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen hatte,
+eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward dasselbe ersetzt
+durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene Befugnis, in
+ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand
+oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu
+verleihen durch die Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln
+zu treffen, und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand
+herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der
+Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in
+bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch
+wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem
+Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese
+Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur
+Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht
+bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die
+Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen Gewicht, aber
+bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der republikanischen Ordnungen,
+dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien
+selbst, aber wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der
+Pontifices aus dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die
+Gemeinde ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler
+Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke,
+also nicht das &ldquo;Volk&rdquo; den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung
+war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche
+Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher
+gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen
+der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der
+verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch
+das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem
+populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn geteilt
+ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft
+verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher
+Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager
+nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung
+vor dem Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren
+Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph
+abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung
+eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210);
+hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der
+Senat ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu lassen
+(549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen,
+der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht
+ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167);
+hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch
+Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und
+Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber weit
+bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss,
+weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf
+das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche
+Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der
+wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der
+Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit
+der Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt
+in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt,
+sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft
+und gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche
+Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen
+Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige
+Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel
+abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf
+Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die Buergerschaft
+ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr geschadet, als durch
+den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius
+Cassius dasselbe beantragt; aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem
+Buchstaben nach zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden,
+als Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber regierende
+Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung eines grossen Staates
+brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa bloss die Regierungs-, sondern
+auch die Reformpartei das militaerische, administrative und finanzielle
+Regiment als legitime Domaene des Senats und huetete sie sich wohl, von der
+formellen Macht der innerlich in unabwendbarer Aufloesung begriffenen
+Urversammlungen vollen Gebrauch zu machen, geschweige denn sie zu steigern.
+Wenn nie, selbst nicht in der beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so
+voellig nichtige Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke
+zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber
+bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht der
+Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine Gesinnungsgenossen
+nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche in das eigentliche
+Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen gewuenschten politischen
+oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel die Kriegserklaerung gegen
+Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar oder unmittelbar durch
+Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte
+schlecht sein; die Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in
+ihnen eine boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort
+eines angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not
+in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten
+Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus
+sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte den
+Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der Notwendigkeit des
+Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich ueberzeugen, endigte den
+Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus und bewilligte diesem den
+wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen
+bedurfte es doch schon eines besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die
+Masse willenlos dem naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden.
+</p>
+
+<p>
+Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt,
+schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung
+schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der
+Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. Jedem
+einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren zu predigen
+oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu
+verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und
+Regierung formell gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale,
+gewohnt, im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres
+angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst
+herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen
+Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen in
+Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am Trasimenischen
+See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf
+Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene unberechenbaren
+Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da
+am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch die
+geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden Gefahren.
+Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der verfassungsmaessigen Rechte
+der Buergerschaft die faktioese Gewalt der einzelnen Ehrgeizigen sich empor.
+Was formell als Wille der hoechsten Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache
+nach sehr oft nichts als das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was
+sollte werden aus einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung
+und Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das
+gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen?
+Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die
+Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch die
+schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die scheinbar
+entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen sowohl
+hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. In der
+Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich
+eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt den
+Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner derjenigen Bahn, aus
+welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir hinzu - weiterhin die
+demokratisch-monarchische Revolution hervorging. Aber auch Publius Scipio,
+obwohl tonangebend in der Hoffart, der Titeljagd, der Klientelmacherei der
+Nobilitaet, stuetzte sich in seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik
+gegen den Senat auf die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner
+Individualitaet bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf
+die Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, und
+vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und niedere Klientel
+- nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der Reiz wie die Schwaeche
+dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, liessen ihn aus dem Glauben:
+nichts zu sein noch sein zu wollen als der erste Buerger von Rom, nicht oder
+doch nicht voellig erwachen.
+</p>
+
+<p>
+Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, wie
+sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an Haupt und
+Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite dazu ein
+ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen geschah von
+seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen Opposition mancherlei.
+Dort wie hier waren die Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss
+weg, der die Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um
+gemeinschaftlich die schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die
+Quellen nicht verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit
+Besorgnis auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen
+und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und
+selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz
+und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich genug
+anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft zu bereiten.
+Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es Zeit war, zeitigten
+Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme
+der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als
+die goldene Roms und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war
+vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen
+Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England;
+und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder
+in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem
+alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald sie zu
+verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu einem
+ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und es fragt sich
+nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner
+Epoche ist die roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom
+Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter
+darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall
+nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung
+und der Vorbote der Revolution.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/>
+Boden- und Geldwirtschaft</h2>
+
+<p>
+Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen
+pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten
+auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer
+Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die Grosswirtschaft im
+Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise und Ausdehnung jetzt zuerst
+sich fest, ohne dass sich genau scheiden liesse, was darin auf aelteres
+Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- und Geldwirtschaft der frueher
+zivilisierten Nationen, namentlich der Phoeniker, was auf die steigende
+Kapitalmasse und die steigende Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur
+richtigen Einsicht in die innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese
+wirtschaftlichen Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern.
+</p>
+
+<p>
+Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft,
+wovon die erste in der von Cato entworfenen Schilderung uns mit grosser
+Anschaulichkeit entgegentritt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es
+notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die
+neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen
+nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der Kaiserzeit
+mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien
+zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des
+siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus
+Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur entstandene
+Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in ihrer
+Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen oder die
+&ldquo;griechische Nuss&rdquo;, der Pfirsich oder die &ldquo;persische&rdquo;,
+auch die &ldquo;weiche Nuss&rdquo; (nux mollusca) sind zwar Italien
+urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor
+Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus
+dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten
+kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward in
+Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5,
+5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben
+wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen
+Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von
+Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien
+gepflanzt zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch
+ist; noch juenger vielleicht die Aprikose oder die &ldquo;armenische
+Pflaume&rdquo;. Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in
+Italien kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder
+dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe
+(Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut
+worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten
+Italien eigen.
+</p>
+
+<p>
+Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen Produkte, die
+uns recht &ldquo;italienisch&rdquo; scheinen; und wenn das heutige Deutschland,
+verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt
+werden kann, so ist auch Italien in nicht minderem Grade seitdem
+&ldquo;suedlicher&rdquo; geworden.
+</p>
+
+<p>
+Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
+durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte ein
+Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte Centuria
+von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward, wurde die
+Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer diesen Fall einen
+Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital in die Landwirtschaft
+stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter;
+wie denn wohl schon der Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als
+Inbegriff von zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft
+fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere
+Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter
+alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte
+der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein
+eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3.
+Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner Gueter;
+indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern erschien nur von Zeit
+zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu
+beaufsichtigen und seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm
+moeglich ward, teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach
+Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des
+Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen
+Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen
+ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst
+die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und der aehnlichen italienischen
+Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer
+Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das fuenfte
+Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis neunten
+Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht
+Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen
+Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt.
+</p>
+
+<p>
+^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen
+Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu erwerben;
+wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine Zeitpacht durch mehrere
+Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut;
+daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter,
+Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der Regel ward im
+Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die Bewaesserung und
+Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die Drainage durch
+geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur Heugewinnung fehlten
+nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie haeufig kuenstlich berieselt. Von
+gleicher, wo nicht von groesserer wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut
+waren der Oelbaum und der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser
+fuer sich auf eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn-
+und andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, teils
+wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen, Pappeln und
+andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den Italikern, bei denen
+durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur ausnahmsweise und dann fast nur
+Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch kamen, die Viehzucht eine weit
+geringere Rolle gespielt als in der heutigen Oekonomie. Obwohl man den
+oekonomischen Zusammenhang des Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die
+Wichtigkeit der Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige
+Verbindung von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward
+nur gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
+nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens auch im
+Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide Schafe
+aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; haeufig indes
+zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen grossen Herdenbesitzer in
+Pacht zu geben oder auch seine Schafherde einem Teilpaechter gegen Ablieferung
+einer bestimmten Anzahl von Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und
+Milch zu ueberlassen. Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn
+Staelle -, Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
+gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und ein
+Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so
+unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens
+leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl.
+137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen
+anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die
+Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6).
+Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen
+diesen Getreide.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die
+besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch
+ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man zog
+diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig waren
+wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 Morgen rechnet
+Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer Landwirt Saserna auf
+200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos Anschlag fuer das kleinere
+Grundstueck drei, fuer das groessere vier erfordert.
+</p>
+
+<p>
+Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der Spitze der
+Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter (vilicus, von
+villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die Instruktionen des
+Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm
+stehen die Wirtschafterin (vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer,
+Huehnerhof und Taubenschlag besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und
+gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde
+gab, ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der
+Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen
+werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen
+zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit
+Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten
+gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf
+ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und
+zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen Knechte;
+die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu
+gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird
+auch Aussicht gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die
+Freiheit zu erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen
+Hausstand. Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen,
+sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn
+sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem
+Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude (villa
+rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die Fruechte und
+Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf
+dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder
+Sklave, auch der Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung
+des Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann
+auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden
+und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so
+monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner
+Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete
+sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der leichtere
+Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing. Alles Backen und
+Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe
+Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt
+hatte oder einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf
+die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6.
+Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von
+selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern
+aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in
+besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den Sklavenstand zu
+beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden, und zur Einbringung der
+Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der
+Korn- und Heuernte nahm man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt
+von ihrem Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch
+droschen, das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich
+umbrische Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte
+einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem
+Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, gedungene
+Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht einiger vom
+Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen besorgte und den
+Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig verkaufte auch der Gutsbesitzer
+die Ernte auf dem Stock oder Zweig und liess den Kaeufer die Einbringung
+besorgen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven
+nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen;
+und ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der
+Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht
+geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2)
+ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8) beschreibt,
+wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der Arbeit befreit, die
+Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden, ist wohl mehr eine
+selbstaendige Spekulation als ein Teil des regelmaessigen Gutsbetriebes,
+aehnlich wie das von Cato selbst betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung
+und zum Wiederverkauf aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst
+erwaehnte charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
+Dienerschaft (familia urbana).
+</p>
+
+<p>
+^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der
+Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei
+Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen,
+statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit
+tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv von
+dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1,
+8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder
+durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem
+vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit vielen
+aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu erreichenden
+Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck des
+Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass die Lage der
+Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und darum vorwiegend
+diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich vergangen hatten oder zu
+haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die
+Fesselung eintreten liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch
+klar darin angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven
+treffenden Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber
+Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte
+eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde gezeichnet
+(Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. Berlin 1856, S.
+XXXI).
+</p>
+
+<p>
+^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro (rust.
+1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft
+gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten
+einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die
+Trauben auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit
+der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter Kettenhund,
+heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu freundlich gegen seine
+&ldquo;Mitsklaven&rdquo; sein. Man naehrt gehoerig den Knecht wie den Stier,
+solange sie arbeiten koennen, weil es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern
+zu lassen; und man verkauft sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie
+arbeitsunfaehig geworden sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere,
+sie laenger zu behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch
+hier mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen
+Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer
+den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die
+Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache nach
+umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings ruhen zu
+lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen
+Tagen die Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr
+keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos
+Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche
+Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht
+einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit,
+und man machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. &ldquo;Soviel Sklaven,
+soviel Feinde&rdquo;, sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer
+Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu
+unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und
+nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven
+gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche
+Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie schon
+gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die
+roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den &ldquo;Landguetern
+des roemischen Volkes&rdquo;, den Provinzen; und die Welt hat es empfunden,
+dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem
+entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des
+Denkens emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das
+darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der
+Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht
+versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen
+Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf und
+zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine Leute und vor
+allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und
+das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder
+Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu
+Hause ist, nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen
+Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als
+rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn
+anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden begegnet und
+den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und ohne zu viel zu
+denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein schlechter Landmann,
+heisst es anderswo, der das kauft, was er auf seinem Gute erzeugen kann; ein
+schlechter Hausvater, welcher bei Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen
+laesst, es sei denn, dass das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer,
+welcher am Werkeltag tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste
+von allen aber der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten
+laesst. Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl
+sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum
+Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor Reben und
+Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu frueher Jugend ein
+Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft
+freilich eigen und anstatt der rationellen Ermittlung der Ursachen und
+Wirkungen treten durchgaengig die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf;
+doch ist man sichtbar bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische
+Produkte anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
+griechische, afrikanische und spanische erscheinen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und
+Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl
+der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen
+Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die Rastzeit des
+Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella auf dreissig Tage
+anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig das wandelbare
+&ldquo;Saatfest&rdquo; (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. 1, 661).
+Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und sonst) und
+Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur
+verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine
+Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand
+zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und
+seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten
+zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen groesseren
+Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten,
+aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen
+Ertrag.
+</p>
+
+<p>
+Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der Feldbau.
+Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum
+haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit
+Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den
+klimatischen Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die
+Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon in jener
+Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden,
+die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck
+von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt
+ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum Teil
+Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den
+Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu
+liefern; auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger
+aber und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von
+Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im
+ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister pecoris) an
+die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen die Hirtensklaven
+meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft meilenweit von menschlichen
+Wohnungen entfernt, unter Schuppen und Huerden; es lag also in den
+Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und
+Waffen gab und ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei
+der Gutsmannschaft geschah.
+</p>
+
+<p>
+Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu
+wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise dieser
+Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum Erschrecken gering, und
+zum guten Teil durch Schuld der roemischen Regierung, welche in dieser
+wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine
+unverzeihliche Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der
+italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist.
+Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des
+italischen Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich,
+teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung geliefert ward,
+wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen
+Beamtenpersonals und der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter
+in der Art abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder
+auch es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst
+erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die
+roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn
+dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss sich
+doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen Landmann. Indes dies
+war das geringste. Der Regierung, welche laengst wie billig auf die Kornpreise
+ein wachsames Auge gehabt hatte und bei drohenden Teuerungen durch
+rechtzeitigen Einkauf im Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die
+Kornlieferungen der Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und
+wahrscheinlich groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende
+fuehrten, und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
+Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu erwerben, mit
+solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu ueberfuehren und dasselbe zu
+Saetzen abzugeben, die entweder an sich oder doch verglichen mit den italischen
+Schleuderpreise waren. Schon in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es
+scheint, zunaechst auf Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische
+Scheffel (sechs Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen
+an die Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre
+nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu dem
+letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst eiferte Cato
+gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein,
+und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr haeufigen Austeilungen von
+Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung oder einzelne Beamte, sind der
+Keim der spaeteren Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische
+Korn nicht auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte,
+drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen,
+die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel von
+diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem
+Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich war auch in
+den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge der guenstigen
+Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach
+karthagischem System der Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger
+als in Italien, der Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides
+nach Latium wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport
+dahin aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im
+natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen
+und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die leidige
+Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen waere es vielleicht
+gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen Getreides auf das
+ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es scheint vielmehr das
+Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach
+Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein -
+denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als
+besondere Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die
+Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das
+ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen
+dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher
+Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (=
+1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu
+demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60
+Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft
+wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in
+Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst
+Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen
+Haefen das sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den
+reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und Lombardei
+zahlte man zu Polybios&rsquo; Zeit fuer Kost und Nachtquartier im Wirtshaus
+durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der preussische
+Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere
+Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9,
+zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen
+Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen das Korn
+wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das
+siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den
+roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer
+heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und
+Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt wird. Ob
+diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und der heutigen Preise
+auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich
+schwerlich entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der
+spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies
+heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten von 4
+und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten Kriegsteuerung
+und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege der preussische
+Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf
+198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter
+Augustus gar auf 218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7
+Scal.) stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind
+wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen
+auch heute noch sich wiederholen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu
+ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht
+unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, wo die
+Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache war, ward auf
+diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der wesentlich
+unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich das Brot nicht
+billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmaehlichste Weise
+geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht
+die Verfassung und wie unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit
+der Republik war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu
+ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber
+in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher sich
+geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede Regierung, die
+diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten sein; aber die Masse
+des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen
+das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine
+hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die
+republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff ungehindert
+in die Brandung hinein.
+</p>
+
+<p>
+Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war
+die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich auch aus
+ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die sittliche Haltung
+und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen Zeit entwich. Es war nur
+noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und
+Niederlegen in den groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden.
+</p>
+
+<p>
+Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. Derselbe
+produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein Land nicht nach dem
+aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren
+durch seine Knechte bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher
+geschehen war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen
+Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne
+Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher
+durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten
+gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich begnuegen
+als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der nur eben hatte,
+was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft
+das Zuruecktreten des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der
+fuer das Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben
+scheint ^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der
+Viehzucht. Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens
+die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
+italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
+Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein Getreide
+nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit Schweinen und Schinken.
+Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die oekonomischen Resultate der
+roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. Es ist einiger Grund zu der Annahme
+vorhanden, dass das in Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich
+gut zu verzinsen schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren
+durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im
+ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten
+der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am
+wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer jeden
+Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem
+naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon
+aus, um allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die
+Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen
+entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das spaeter noch
+zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser
+von der Spekulation ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien
+kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst
+die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen
+ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem
+Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als
+die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen
+erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem Kapitalistensinn
+dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht die dauernde Anwesenheit
+des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges Erscheinen daselbst und
+gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl und die Vervielfaeltigung des
+Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt
+ausdehnen liess und den Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde
+fing man schon an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu
+verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht
+um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen
+der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da regelmaessig
+in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich grosse Gueter, sondern
+es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden
+und rechtlich immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken,
+namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man
+diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg
+Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss
+Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren
+freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird,
+sich mit Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten
+alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei
+fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro
+(rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der
+Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen,
+bevor die alte verkauft ist.
+</p>
+
+<p>
+^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich sechs
+Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag
+fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf
+den Morgen folgende Kostenberechnung aufstellt:
+</p>
+
+<p>
+Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Kaufpreis der Arbeitssklaven
+</p>
+
+<p>
+auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Verlorene Zinsen waehrend
+</p>
+
+<p>
+der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Zusammen 4640 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+                                             = 336 Taler.
+</p>
+
+<p>
+Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen
+(65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes
+ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, die
+Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, Pfaehle und
+Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind.
+</p>
+
+<p>
+Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf
+hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf weniger
+als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von 25 roemischen
+Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem hauptstaedtischen
+Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr als 100 Sesterzen
+Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der Preis noch niedriger gestanden
+haben muss. Varro (3, 2) rechnet als gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines
+groesseren Gutes 150 Sesterzen vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind
+hierfuer nicht ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger
+Kosten machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod.
+Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser
+rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16,
+2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich nicht heissen
+soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern
+relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf
+Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem
+in die Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage.
+Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde
+Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig
+wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des
+Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in absteigender
+Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der
+Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung;
+6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung -
+welche neun Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter
+saemtlich wiederkehren.
+</p>
+
+<p>
+Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch,
+dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr
+zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von dem Wein den
+Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins empfaengt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende
+Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus dem
+roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die bei weitem
+mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. Was sich ermitteln
+laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht weniger noch als die
+Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut
+der gesamten antiken Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise
+eben wie die heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das
+kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den
+Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der
+Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch,
+dass der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten wie im
+Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart.
+</p>
+
+<p>
+Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
+Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den Roemern
+eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen Geldverleihers
+(fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers (argentarius). Das
+Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der Uebergang der groesseren
+Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten auf den vermittelnden Bankier, der
+fuer seine Kunden Zahlung empfaengt und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und
+im In- und Ausland ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen
+Zeit vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
+Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die kleinen
+Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und Klientelstaaten
+sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon im ganzen Umfange des
+Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das System der
+mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen roemischen Verkehr. Der
+Staat ging voran, indem er all seine komplizierteren Hebungen, alle
+Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen eine feste zu empfangende oder zu
+zahlende Summe an Kapitalisten oder Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch
+Private gaben durchgaengig in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess:
+die Bauten und die Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der
+Erbschafts- und der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein
+Bankier - die saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die
+Passiva vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
+nach Umstaenden noch daraufzuzahlen.
+</p>
+
+<p>
+Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische
+Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem
+weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende
+Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser
+den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die
+Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich
+gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische
+Nation in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen
+Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende
+Zollfreiheit.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren
+freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu
+einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen
+Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an Pfluegen,
+Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem starken Verbrauch
+von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht
+bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige
+Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen
+oder auch nur sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde
+auch in Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere
+Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog
+hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und milesischem oder
+tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon aus
+der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie spielen. Die
+Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei Plut. Cato mai. 21).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
+ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst den
+Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge dieser
+spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden Spekulation fallen,
+namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in diese Zeit; zumal da die den
+Sikelioten auferlegten Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt
+waren, doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
+Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die Haende zu
+geben.
+</p>
+
+<p>
+Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte durchgaengig
+durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier richteten, soweit ihr
+Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und Zweigbanken unter Direktion ihrer
+Sklaven und Freigelassenen ein. Die Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle
+gepachtet hatte, stellte fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich
+ihre Sklaven und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte
+sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
+Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte oder erzog
+sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum Fechthandwerk
+abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren auf eigenen Schiffen
+unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen kommen und vertrieb sie
+wieder in derselben Weise im Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der
+Bergwerke und der Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach
+kaum gesagt zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht
+beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen; dennoch
+befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven
+sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie
+und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und
+eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese
+Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand,
+welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster in die Reihen der
+roemischen Buerger und nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und
+sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven
+selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens beigetragen haben.
+</p>
+
+<p>
+Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen
+politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art nicht
+minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit des Verkehrs
+mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht nur die Literatur, namentlich die
+Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, in denen der phoenikische Handelsmann
+phoenikisch redend auf die Buehne gebracht wird und der Dialog von griechischen
+und halbgriechischen Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst
+sich die Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
+Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt voellig
+Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen Muenzstaetten,
+zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge der roemischen Eroberung
+geschlossen oder doch auf Kleinmuenze beschraenkt wurden und in Sizilien und
+Sardinien der Denar wenigstens neben dem aelteren Silbercourant und
+wahrscheinlich sehr bald ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon
+gesagt. Ebenso rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze
+in Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
+Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die spanischen
+Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. Ueberhaupt bestand,
+da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, ausser der roemischen keine
+einzige bedeutende Muenzstaette im westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme
+derjenigen von Massalia und etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen
+Griechen in Apollonia und Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer
+anfingen sich im Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der
+Art unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
+durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre Drachme auf
+das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, den denn auch die
+roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der Victoriamuenze (victoriatus)
+zunaechst fuer Oberitalien zu praegen begann. Dieses neue von dem roemischen
+abhaengige System beherrschte nicht bloss das massaliotische, oberitalische und
+illyrische Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
+Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die Alpengegenden das
+ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis hinein in das heutige
+Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des Mittelmeergebiets erstreckte in
+dieser Epoche wie die unmittelbare roemische Herrschaft so auch die roemische
+Muenze sich noch nicht; dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse
+Vermittler des internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar
+die roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen von
+einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des Hannibalischen
+Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran fest, ausser dem
+national-italischen Kupfer nichts als Silber zu schlagen; aber der Verkehr
+hatte bereits solche Verhaeltnisse angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem
+Golde nach dem Gewicht auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre
+597 (157) in der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes
+oder ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel
+fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die edlen
+Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das
+Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter
+geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und
+namentlich mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant
+uebergegangenen Osten.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten,
+18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war
+1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen
+Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben
+auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an,
+sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr gewonnenes
+Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten oder auch mit den
+erworbenen Kapitalien und Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus
+fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war
+denn auch vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische.
+Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie
+heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren
+Scipio Africanus sagt, dass er &ldquo;fuer einen Roemer&rdquo; nicht reich
+gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man
+ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000
+Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass eine
+Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie erhielt, von
+90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens
+angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr
+als eine halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der Nation
+bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -, dass daselbst das
+Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und Stellungen des Lebens
+durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen,
+Kapitalistenentreprisen zu werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war
+durchaus ein Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. &ldquo;Einer Witwe
+Habe mag sich mindern&rdquo;, schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten
+Lebenskatechismus, &ldquo;der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige
+ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei
+seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat&rdquo;. Wo
+darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne
+irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und wenn nicht
+durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und Gerichtsgebrauch
+erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht zugestanden ^14; aber
+das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie
+in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht
+muss, und niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen
+Angehoerigen nicht. Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische
+Moral, die in allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das
+Geben von Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften
+wurden in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften,
+wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. Im
+engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische Puenktlichkeit,
+Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische Leben. Buch ueber seine
+Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich
+verpflichtet - wie es denn auch in jedem wohleingerichteten Hause ein
+besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er
+nicht ohne letzten Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen,
+die Cato in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne
+Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den
+kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen
+Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt nicht
+bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter
+rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der
+einen Partei geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten,
+womit sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb
+eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den
+unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei gleicher
+Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die
+konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in der scharfen und immer
+schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich
+fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn
+nicht bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit
+oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere
+Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen,
+sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich untereinander
+leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung (depositum),
+Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten Gegenstaende
+(commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und Besorgung (procuratio) nach
+demselben Grundsatz behandelt, so dass es unschicklich war, dafuer eine
+Verguetung zu empfangen, und eine Klage selbst auf die versprochene nicht
+gestattet ward. Wie vollstaendig der Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am
+schaerfsten die Ersetzung des Duells, auch des politischen, in dem roemischen
+Leben dieser Zeit durch die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form,
+um persoenliche Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger
+und dem Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden
+Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in
+aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer
+solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette war, ganz
+wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf rechtlich freigestellt, aber
+ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und
+ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen.
+</p>
+
+<p>
+^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer
+den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des
+Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte Forderung, gibt
+diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen Glaubwuerdigkeit der
+Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener Sache handelt, den
+Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese kaufmaennische
+Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, der Literalkontrakt nicht
+gerade abgeschafft worden, aber von selber verschwunden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer
+fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine Steigerung
+des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch besondere Nahrung durch
+das schon oft erwaehnte System der Regierung, ihre Geschaefte durch
+Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen
+war es natuerlich und wohl auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate
+vorgeschrieben, dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern
+Kapitalistengesellschaften diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach
+dem Muster dieser Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es
+finden sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
+Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen
+Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16.
+Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem Risiko
+verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche Ausdehnung an,
+dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum unbekannten Assekuranzen trat.
+Nichts war gewoehnlicher als das sogenannte Seedarlehen, das heutige
+Grossaventurgeschaeft, wodurch Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels
+sich auf die Eigentuemer von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese
+Fahrt kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber
+ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen Spekulationen mit
+kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu spekulieren; Cato riet dem
+Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit seinem Gelde auszuruesten, sondern
+mit neunundvierzig andern Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden
+und an jedem zum fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch
+herbeigefuehrte groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der
+roemische Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
+Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
+vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
+kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie eines
+jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios&rsquo; Zeugnis kaum einen
+vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller Gesellschafter bei
+den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um soviel mehr wird ein jeder
+durchschnittlich einen ansehnlichen Teil seines Kapitals in den kaufmaennischen
+Assoziationen ueberhaupt stecken gehabt haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der
+Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: &ldquo;Es
+soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand zuruecktreten,
+um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer verdungen werde; ausser
+wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort als seinen Kompagnon namhaft
+macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein scheint, so sollen auf Verlangen des
+Gutsherrn oder des von ihm bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen
+Assoziation, mit welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren,
+[nicht zu jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den
+Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.&rdquo; Dass der
+Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird
+stillschweigend vorausgesetzt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht
+noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in dieser
+Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen Geschlechter
+durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, findet hier, in den
+einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen der kaufmaennischen
+Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung.
+</p>
+
+<p>
+Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie
+konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen Uebelstaende
+nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche bereits durch das
+Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte,
+erlitt einen gleich schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich
+zeichnende soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung
+nach unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte,
+anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut
+und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, fuer
+die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand nicht bloss
+zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem respektablen Guts- und
+Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und
+dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach oben
+hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius veranlasste Claudische
+Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte,
+Seeschiffe ausser zum Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und
+wahrscheinlich auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen,
+ueberhaupt ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter
+&ldquo;Spekulation&rdquo; (quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung
+nicht von den Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen
+Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte,
+dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es kann
+auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft, mit der
+demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die Gelegenheit
+wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die Konkurrenz zu
+vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr unvollkommen erreicht, da das
+Assoziationswesen den Senatoren Wege genug eroeffnete, im stillen weiter zu
+spekulieren; aber wohl hat dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen
+den nicht oder doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen
+gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die
+Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit
+dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung
+ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem
+Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. 94 Orelli)
+und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius &ldquo;jede Spekulation fuer
+den Senator unschicklich gefunden ward&rdquo;, so hat das Claudische Gesetz
+wahrscheinlich weiter gereicht.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige
+Hervortreten eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und
+grossen am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster
+Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel
+bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze
+scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den
+keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den
+anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben;
+wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland
+von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun gar mit
+Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die Bilanz notwendig
+zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die Hauptstadt der
+Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; mehr wollte man eben
+auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter
+als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich
+gefallen - besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man
+brauchte und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der
+Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der
+roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung
+eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten war,
+verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall
+zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei.
+</p>
+
+<p>
+Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen
+Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens
+und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten
+Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des
+Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der
+instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten
+Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben
+des Rechtes nach immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst
+in einem Lustspiel dieser Zeit:
+</p>
+
+<p>
+Wahrhaftig gleich eracht&rsquo; ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer;
+</p>
+
+<p>
+Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr&rsquo;s auf offnem Markte.
+</p>
+
+<p>
+Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut&rsquo; ihr beide.
+</p>
+
+<p>
+Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen;
+</p>
+
+<p>
+Ihr bracht&rsquo; sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden.
+</p>
+
+<p>
+Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr.
+</p>
+
+<p>
+Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der Reformpartei
+Cato sich aus. &ldquo;Es hat manches fuer sich&rdquo;, heisst es in der Vorrede
+seiner Anweisung zum Ackerbau, &ldquo;Geld auf Zinsen zu leihen; aber es ist
+nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und in dem Gesetze
+geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu
+leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer
+Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen erachtet ward&rdquo;. Der
+Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder
+sei nicht gross; und man muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht
+hinter seinen Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch
+seine strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
+hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt seiner
+ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten mit Widerwillen
+und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich rechtschaffener und ehrbarer in
+den Provinzen als diese Geldleute, sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur
+brachen der haeufige Wechsel der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche
+Ungleichheit ihrer Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern,
+notwendig die Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht
+schwer war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
+ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu geben;
+hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato war, durch Lehre
+und Beispiel der Ackerbau gepredigt. &ldquo;Wenn unsere Vorfahren&rdquo;,
+faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, &ldquo;einem tuechtigen Mann
+die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen tuechtigen Bauern und einen
+tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, schien das hoechste Lob erhalten zu
+haben. Den Kaufmann halte ich fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein
+Geschaeft ist Gefahren und Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die
+Bauern geben die tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb
+ist wie dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
+abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken&rdquo;. Von sich selber pflegte
+er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei Erwerbsquellen herstamme:
+aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und wenn das auch weder sehr logisch
+gedacht noch genau der Wahrheit gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit
+Unrecht seinen Zeitgenossen wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen
+Gutsbesitzers gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche
+Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel
+der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
+Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der Hand; sie
+war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der Partei der
+sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie war es denn mit dem
+Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum fuenften Jahrhundert der
+Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art gefuehrt hatte, dass es mittels
+des Schuldzinses die Bodenrente den arbeitenden Bauern entzog und den muessig
+zehrenden Rentiers in die Haende fuehrte, war ausgeglichen worden
+hauptsaechlich durch die Erweiterung der roemischen Oekonomie und das
+Hinueberwerfen des in Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen
+Mittelmeergebiet taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
+Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und eine
+wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die senatorischen
+Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem Grundbesitz zu
+draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise das italische Ackerland
+systematisch zu entwerten. So begann denn der zweite Feldzug des Kapitals gegen
+die freie Arbeit oder, was im Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die
+Bauernwirtschaft; und war der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten
+verglichen milde und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den
+Bauern auf Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer
+keinen Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht
+radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und verwandelten
+sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. Man nannte das
+ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die Anwendung der
+Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. Die Schilderung der
+Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und vollkommen richtig; aber wie
+passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er schildert und anraet? Wenn ein
+roemischer Senator, wie das nicht selten gewesen sein kann, solcher Landgueter
+wie das von Cato beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der
+zur Zeit der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig
+Bauernfamilien ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa
+fuenfzig groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war,
+um die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit
+selber bis zum Verwechseln aehnlich.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer in
+Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht seine Art,
+geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in Staatspachtungen spekuliert,
+was er als Senator nicht durfte, noch Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm
+Unrecht, wenn man ihm in letzter Beziehung eine von seiner Theorie abweichende
+Praxis vorwirft: das Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem
+Gesetz kein verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich
+zu den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten
+Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand
+der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der
+Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser Anzahl
+daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so schnell. Polybios,
+der nicht lange nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre
+zahlreiche, schoene und kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen
+Korngesetzgebung waere es wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die
+Polandschaft zur Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum
+und der sogenannte &ldquo;gallische Acker&rdquo; durch die Aufteilungen des
+Domaniallandes in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine
+zahlreiche Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
+mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren
+Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien
+Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile des
+hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten und das der
+Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den abgeschlossenen
+Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen hatte der
+Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer Menge kleinerer
+Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und Tarent, beide einst
+imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium
+hatte von den schweren Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt;
+nach der Zaehlung von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu
+stellen als die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach
+dem roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein
+der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die
+Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, obwohl
+bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch uebler waren in
+demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin wohlbevoelkerte
+Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. In Apulien fanden
+spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier angelegten Kolonien
+wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die schoene kampanische Ebene; doch
+ward die Mark von Capua und der anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten
+Gemeinden Staatsbesitz und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht
+Eigentuemer, sondern kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und
+brettischen Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne
+Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich
+reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel,
+um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von
+Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten Kolonien recht
+in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen und oekonomischen
+Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem verhaeltnismaessig
+bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen doch der Rueckgang
+unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den
+allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin
+ueberein, dass Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am
+Ende des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen
+aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der
+Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen
+herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von ihnen zu
+stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die roemische
+Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252),
+kurz nach Regulus&rsquo; Zug nach Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner;
+dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534
+220), war sie auf 270000 Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre
+weiter, kurz vor dem Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also
+um ein Viertel gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine
+ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders
+der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren
+ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer wieder
+erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode gestanden hatte.
+Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische Bevoelkerung ueberhaupt, so
+wuerden sie ohne allen Zweifel ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres
+Defizit aufweisen. Das Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch
+ist es von landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
+aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben wuchs
+die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien und dem
+Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den Ackerbau
+ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier recht eigentlich die
+Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher gemacht, dass starke
+Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine
+im groessten Massstab angelegte, auch mit dem Bacchanalienwesen sich
+verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell
+verurteilt. Aber auch in Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine
+Sklavenbande marschieren (558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte
+wie Setia und Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte
+ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und
+loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und
+Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege mit
+Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft dezimierten
+und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen Volkskraft und Volkszahl
+die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar
+und Hannibal. Es kann niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen;
+aber erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils
+wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht
+einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der
+ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen Adel,
+die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten Punischen
+Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem
+roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden
+aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu
+stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte Luft zu
+machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die wenigsten; aber es war
+diese frevelhafte Rede doch nichts als der schneidende Ausdruck der
+straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die
+gemeine Buerger- und Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr
+Verderben, aber man liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in
+maessiger und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
+bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/>
+Glaube und Sitte</h2>
+
+<p>
+In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer er war,
+desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte bannte ihn in
+einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die
+bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu
+haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein
+Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat
+seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein
+konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde
+auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging
+zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein
+Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem
+alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen
+roemischen Familien zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die
+Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren,
+wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen.
+Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes
+auch dies, dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit
+waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in die
+schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode sich aeussern
+durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes
+mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung
+im roemischen Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren
+Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die
+Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: &ldquo;Jener
+Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das
+Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause&rdquo;. Es eroeffneten
+ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen
+letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien,
+auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der
+Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der grossartigste und eigentuemlichste
+Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige
+Gepraenge so verschwand, dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren
+Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist
+schon frueher gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische
+Aedilitaet oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
+getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
+gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der Koenige
+hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in hoelzernen
+Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste Schmuck des
+Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen
+Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich
+Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren,
+jeder in dem bei Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der
+Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im
+purpurgesaeumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres
+Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren
+purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten
+Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von
+ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten
+Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre
+kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne
+des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die
+Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen.
+So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet;
+die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen
+sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse
+betrat die Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines
+jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst
+Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren.
+</p>
+
+<p>
+Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation
+haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis
+in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst
+sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel
+Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich
+imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der
+stolzen Wuerdigkeit des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die
+abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem
+gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren
+satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte
+erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.
+</p>
+
+<p>
+Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht
+mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen
+uebergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat
+an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem
+Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es
+ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das
+jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet,
+geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr
+aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum
+praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer
+dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas
+wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben
+zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu
+erschrecken; und wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische
+und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht
+haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu
+bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit
+brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der
+geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und
+Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel
+hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber
+sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie
+hatte auf dem geistigen Gebiete vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade
+auch politisch das Problem geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein
+Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf
+Rom ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen
+auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch
+Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation.
+Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich gegen
+das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer
+dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische
+Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der
+Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den
+frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluss
+prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und
+Laecherlichkeiten verfiel.
+</p>
+
+<p>
+Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der
+alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die politischen
+Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu
+emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch frueher dargestellt ward; der
+verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den
+Koenigen gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische
+Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit
+massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die
+Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur
+Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da
+wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum Beispiel liess der Besieger des
+Koenigs Antiochos nicht bloss sich in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf
+dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich
+Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch
+praechtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine
+wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem
+Hellenentum war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den
+Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der
+Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer
+sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus
+vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der
+verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung
+schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer
+Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr
+schwunghaft und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter
+Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig eingegangen
+in griechische Art und griechische Kunst.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und
+seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; wenn
+die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den
+mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener
+Beiname nichts sein als eine Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere
+Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia
+bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
+Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens und der
+Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von
+dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer
+zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine
+Darstellung zu versuchen.
+</p>
+
+<p>
+Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am
+deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der
+italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem
+Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass er
+waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern;
+wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die
+politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt,
+dass der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und
+dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien.
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet
+war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur
+Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung
+des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen
+Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der oeffentliche
+Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, sondern vor allem auch
+immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der
+Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten
+Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei
+Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss
+die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es
+hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit
+Eifer und Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die
+klerikale Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer
+Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht
+beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur
+Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die
+Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein
+kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der Uebernahme
+dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken war bei den
+Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Laendern
+verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen
+und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine
+auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende
+Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast
+zu werden - &ldquo;Erbschaft ohne Opferschuld&rdquo; ward bei den Roemern
+sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns &ldquo;Rose ohne Dornen&rdquo;. Das
+Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male
+infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten
+ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem
+gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus
+zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die
+untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts;
+und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne
+in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und
+Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint:
+</p>
+
+<p>
+Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag
+</p>
+
+<p>
+Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau;
+</p>
+
+<p>
+Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand&rsquo; ist&rsquo;s,
+schick&rsquo; ich nichts.
+</p>
+
+<p>
+Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich.
+</p>
+
+<p>
+Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt
+einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie in den
+niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz der latinischen
+Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen Anforderungen, war
+unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten
+Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war
+bereits geschaeftig, die ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und
+feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist
+damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des
+Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der
+natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den
+Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes Opfer
+wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal hintereinander
+wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der
+leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine
+unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft
+mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten.
+In dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
+Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der Unglaube
+liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249)
+kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul
+selber offenkundigen Spott trieb - freilich ein Konsul aus dem absonderlichen
+und im Guten und Boesen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen
+das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre
+vernachlaessigt werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden
+und Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten
+sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und
+nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und musste es auch
+wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur
+Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heisst die
+Landesreligion nach Polybios&rsquo; Auffassung als einen zur Prellung des
+grossen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet
+war, fand die hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
+Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Goetter
+an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu schmuecken.
+Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene
+Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religioesen
+Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des
+griechischen Uranos dem roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl
+auch hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war
+die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die
+poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des
+alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470)
+ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben hatten,
+sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der
+Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie,
+aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten
+Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die
+allegorisierende Aufloesung der Landesreligion einzuleiten. Eine
+historisierende Zersetzung der Religion lieferten die &ldquo;heiligen
+Memoiren&rdquo; des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von
+Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen
+die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten gruendlich und
+urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder
+gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen,
+dass die Geschichte von Kronos&rsquo; Kinderverschlingung erklaert wird aus der
+in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften
+Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei
+machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in
+Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es
+ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewussten
+Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, dass bereits Ennius
+diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins
+Lateinische uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich
+damit gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
+und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war ziemlich
+durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer
+sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen
+und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen.
+</p>
+
+<p>
+So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man
+die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit
+wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer
+Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben-
+und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten
+Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und
+Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie
+Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei
+der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier
+verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so die
+praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige
+Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche
+ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr
+als dies und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die
+Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf
+den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische
+Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden
+Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genuegen
+zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer
+Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den
+Aberglauben in seinen aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach
+Italien, und eben als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz
+besonderen Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren
+schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
+bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der
+phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter der
+roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten bangen Jahre des
+Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen muessen. Es ging deswegen
+eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen
+Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die
+richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem
+Gepraenge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das
+froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit
+umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das
+beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der
+Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der Orientalen
+offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt,
+dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten (Galli), wie sie hiessen,
+auch blieben und noch kein roemischer Buerger zu diesem frommen Eunuchentum
+sich hergab, so musste dennoch der wueste Apparat der &ldquo;Grossen
+Mutter&rdquo;, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdlaendischer
+Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen
+aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze
+sinnlich-moenchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und
+Anschauung des Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur
+zu schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der
+scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine geheime
+naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen
+Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich
+fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz Italien verbreitet, ueberall die
+Familien zerruettet und die aergsten Verbrechen, unerhoerte Unzucht,
+Testamentsfaelschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen
+wurden deswegen kriminell, grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge
+Vorschriften fuer die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft
+Herr zu werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende
+Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich
+absehen lasse.
+</p>
+
+<p>
+Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie
+gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich einig; die
+altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen Aufklaerung trafen
+hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die
+Instruktion, &ldquo;dass er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer
+darbringen noch fuer sich darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am
+Flurfest auf dem Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder
+bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
+Chaldaeer&rdquo;. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das
+Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort
+und urspruenglich auf den etruskischen Gedaermebetrachter angewandt worden.
+Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die
+Bettelpropheten und ihren Anhang:
+</p>
+
+<p>
+Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
+</p>
+
+<p>
+Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein,
+</p>
+
+<p>
+Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,
+</p>
+
+<p>
+Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.
+</p>
+
+<p>
+Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft
+verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller
+wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders
+konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des
+verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von
+Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng
+verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch
+der hoehere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung
+dennoch nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem
+Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden
+Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der
+etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs
+wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die
+Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren,
+unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer
+Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des Goettermutterdienstes ist
+ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenueber sich die
+Regierung fuehlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber
+eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche
+Nachlaessigkeit oder etwas noch Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie
+die Bacchanalien waren, erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige
+Anzeige hin von den Behoerden eingeschritten ward.
+</p>
+
+<p>
+Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das roemische
+Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus
+dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie
+taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war,
+so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein
+guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht
+war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch
+ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden
+nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen
+Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man
+daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm
+abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing.
+Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener
+Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische
+eigenhaendig mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und
+Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die
+Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei der
+Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft
+zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen
+Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so,
+wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau
+durchaus nur als ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von
+Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene
+Geschlecht; &ldquo;ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle&rdquo; -
+meinte der alte Herr - und &ldquo;waeren die Menschen der Weiber los, so
+moechte unser Leben wohl minder gottlos sein&rdquo;. Dagegen war die Erziehung
+der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen
+eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn
+sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer
+auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege,
+worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen,
+Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu
+mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn
+irgend moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche
+Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er
+in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu
+nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn
+diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist
+wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten
+Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als
+der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen
+Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und
+Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit
+vorbei war, wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu
+sein, und ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben
+haben musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
+Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte
+er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und
+das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten Jahren sich in die
+allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass er imstande war, das, was
+er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu
+ueberliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn
+berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen
+deutlichen Buchstaben eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine
+strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn
+mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in
+seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwaenden keine
+Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und
+litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu
+stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt
+und trank er Wasser oder nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war
+er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt
+als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei
+Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn
+zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder die
+Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen
+Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, dass man eine
+ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes
+Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. Jeder Augenblick war
+eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu
+rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb
+denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der
+Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und
+ohne viel Reden abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so
+verhasst als die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten.
+</p>
+
+<p>
+So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte
+roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem griechischen
+Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings
+etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen -
+wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt:
+</p>
+
+<p>
+Nichts ist an der fremden Sitt&rsquo; als tausendfache Schwindelei;
+</p>
+
+<p>
+Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt;
+</p>
+
+<p>
+Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.
+</p>
+
+<p>
+Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die
+Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem
+Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der
+fremden Sitte eher zu schaerfen als zu mildern.
+</p>
+
+<p>
+Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit.
+Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die
+Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich dagegen. etwas
+Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf
+diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten
+und ging ueberdies ein paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt
+tatsaechlich ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520
+(234) schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im
+Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
+Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner
+Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat
+herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt zu verschaffen, was
+auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach
+alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der
+eheherrlichen, mit der vaeterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete
+unter der Vormundschaft ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der
+vaeterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht,
+die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber
+jetzt fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu
+streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich
+der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermoegens
+selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel
+bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt
+zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Haenden der Frauen sich
+zusammenfand, schien den Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem
+exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen
+gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst willkuerliche
+Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften
+denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte ueber
+die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknuepften,
+praktisch mehr und mehr zur Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen
+fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato
+meinte, &ldquo;die Herrscher der Welt zu beherrschen&rdquo;; in der
+Buergerschaftsversammlung war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich
+bereits in den Provinzen Statuen roemischer Damen.
+</p>
+
+<p>
+Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und in der
+Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug
+der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte,
+sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende
+Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es
+trotz Catos eifrigem Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae
+(539 215) gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die
+bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559
+195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, als auf
+diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und
+groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes Silbergeschirr,
+Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewaender und
+Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war
+es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne
+Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten
+Fruehstueck (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die
+Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten
+die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur bei
+Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann
+Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen begann die
+wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein eigener Koch
+gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk
+zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die
+ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen
+Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden ihr
+Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische Delikatessen,
+pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden,
+und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des
+koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen
+Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer
+Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte
+man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage
+nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein
+wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das
+Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das &ldquo;griechisch
+Trinken&rdquo; (Graeco more bibere) oder &ldquo;griechen&rdquo; (pergraecari,
+congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm
+das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche
+Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten.
+Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato schlug
+vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das
+Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam der Lust zu lottern und
+zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der
+Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang
+derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen
+Zeremonien beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September
+ein einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
+bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
+Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies daneben zu
+Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten megalensischen,
+gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November
+das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtaegig gefeiert.
+Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulositaet
+vermutlich oft bloss als Vorwand diente, und die unaufhoerlichen
+ausserordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwaehnten Schmaeuse von
+den Geloebniszehnten (2., 391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die
+Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem
+Abschluss eines der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion
+abgegrenzten Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249),
+gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten
+Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten Schmausereien
+an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), unter den geringeren
+Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); beide unter dem Einfluss der
+fortan festverbuendeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man
+war ganz nahe an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden
+Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen
+wie fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen
+von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb
+dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und
+mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich
+nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr
+anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn
+er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die
+bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte nach
+neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern
+treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. Von den
+dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein
+Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser
+Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie nach
+Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum laufen und
+hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus
+diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien
+Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen
+Kosten nach Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen
+Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie
+sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang;
+zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum
+Spasse vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch
+auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus,
+sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt
+hatte; die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der auslaendischen
+Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward und hielt mit Strenge
+darauf, dass bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch
+hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang
+zwar, wie es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von
+Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht
+unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem
+Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer
+den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des
+hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen
+und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht
+der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf, durch die Macht der
+Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe
+der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer
+Bluetezeit tat, oder einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten,
+wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
+waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die ersten
+griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom
+Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren miteinander zu boxen, worauf
+denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen &lsquo;Curculio&rsquo; schildert das
+derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber
+mit grosser Anschaulichkeit:
+</p>
+
+<p>
+Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt,
+</p>
+
+<p>
+Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht
+</p>
+
+<p>
+Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
+</p>
+
+<p>
+Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick&rsquo; ich Dich.
+</p>
+
+<p>
+Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin.
+</p>
+
+<p>
+[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar;
+</p>
+
+<p>
+Auch der Lustknab&rsquo; ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.]
+</p>
+
+<p>
+Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf.
+</p>
+
+<p>
+Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt,
+</p>
+
+<p>
+In der Mitt&rsquo; am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind.
+</p>
+
+<p>
+Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin;
+</p>
+
+<p>
+Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus
+</p>
+
+<p>
+Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag.
+</p>
+
+<p>
+Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn;
+</p>
+
+<p>
+Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt;
+</p>
+
+<p>
+Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil;
+</p>
+
+<p>
+Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
+</p>
+
+<p>
+Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
+</p>
+
+<p>
+Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia.
+</p>
+
+<p>
+Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten
+roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in dieser Zeit
+Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7
+Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den
+Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen
+Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu
+demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, fuehrte
+Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe von Profession,
+zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und
+kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten,
+so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren
+Kreisen in Gebrauch.
+</p>
+
+<p>
+Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine
+oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward
+immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter
+Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das
+Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler)
+hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800
+Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die
+Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas
+umsonst, wie die Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit
+dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht
+zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen
+versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden,
+fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die
+Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben,
+nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl
+womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu
+gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug und
+Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung
+rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die
+letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren
+gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die Ehegatten
+sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter
+Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen
+Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in
+der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu
+gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle
+Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer
+mit voller Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe
+von zweifelhaftem Wert.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/>
+Literatur und Kunst</h2>
+
+<p>
+Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei
+einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu wuerdigen,
+ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die Volksbelustigungen
+dieser Zeit ins Auge zu fassen.
+</p>
+
+<p>
+Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer
+Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der
+Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist,
+bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den Fall
+kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat
+man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher
+grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den
+Knabenjahren sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der
+hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen
+war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation
+laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung
+ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem
+Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon sehr
+wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu
+einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang
+griechische Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein
+auch in die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung.
+Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben der nicht
+vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum
+rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes
+Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der
+senatorischen Familien aber redeten nicht bloss griechisch vor einem
+griechischen Publikum, sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius
+Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und
+schrieben in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher
+Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen noch
+weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in roemischer
+Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der &ldquo;grosse Feldherr der
+Aeneiaden&rdquo; brachte den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit
+griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator
+rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische
+Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera,
+nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, morus,
+graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum Charakter der
+Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu gefuegt und nur bei
+Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises
+stehen, wie zum Beispiel es im &lsquo;Wilden&rsquo; (1, 1, 60), freilich in
+einem vielleicht erst spaeter eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia
+[Edelmut ist Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in
+der &lsquo;Casina&rsquo; (3, 6, 9):
+</p>
+
+<p>
+πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor;
+</p>
+
+<p>
+ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in &lsquo;Die beiden Bacchis&rsquo;
+(240):
+</p>
+
+<p>
+opus est chryso Chrysalo;
+</p>
+
+<p>
+wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, Andromache als
+den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind
+die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im
+&lsquo;Bramarbas&rsquo; (213):
+</p>
+
+<p>
+euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice!
+</p>
+
+<p>
+Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur!
+</p>
+
+<p>
+^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet also:
+Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse!
+</p>
+
+<p>
+Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn!
+</p>
+
+<p>
+Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe,
+</p>
+
+<p>
+Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische
+Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der
+elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
+zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde
+viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem Wirtschaftersklaven zum
+Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die Faehigkeit zu lesen und zu schreiben
+voraus. Der Elementarunterricht sowie der Unterricht im Griechischen muessen
+lange vor dieser Zeit in sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein.
+Dieser Epoche aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer
+bloss aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher
+hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und geselligen
+Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in einem Dorfe der
+deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn gibt; und die aeltesten
+Schreiber griechischer Chroniken mochten unter den uebrigen Senatoren stehen
+wie in den holsteinischen Marschen der Bauer, welcher studiert hat und des
+Abends, wenn er vom Pfluge nach Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt.
+Wer mit seinem Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot
+und als Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar
+nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder Konsul
+werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche Zersetzungsprozess der
+italischen Nationalitaet war bereits, namentlich in der Aristokratie, weit
+genug gediehen, um das Surrogat der Nationalitaet, die allgemein humane
+Bildung, auch fuer Italien unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach
+einer gesteigerten Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der
+griechische Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward
+dabei die klassische Literatur, namentlich die &lsquo;Ilias&rsquo; und mehr
+noch die &lsquo;Odyssee&rsquo; zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen
+Schaetze hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet
+vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des
+Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein
+hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende
+allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass die
+erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der
+Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die
+Lustspiele Menanders.
+</p>
+
+<p>
+In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein groesseres
+Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu
+empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch
+wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch
+hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die
+oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere
+geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in
+der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen oder
+Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3; es hatte dies
+um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet dem griechischen fast
+gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war
+das wenigste; weit tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen
+Unterrichts in den lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es
+ist, fuer die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und
+geeignete Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal
+gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem
+Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu genuegen
+wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, welche der griechische
+Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf den Unterricht im Lateinischen
+einfach uebertrug - geht doch heutzutage in der Uebertragung der
+Unterrichtsmethode von den toten auf die lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher
+Prozess unter unseren Augen vor.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als
+Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch
+lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine
+lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war in Rom
+nicht vorhanden.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit ist
+frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die Buehne eine
+bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die eigentliche
+Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal, am Schlusstage
+statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen.
+Allein lange Zeit bestanden diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in
+Taenzen und Gaukelspiel; die improvisierten Lieder, die bei denselben auch
+vorgetragen wurden, waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man
+fuer sie sich nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen
+Volksfestlichkeiten standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr
+Talent des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
+Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in Griechenland
+beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; dasselbe musste bald die
+Blicke der roemischen Festgeber und ihres Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl
+lag nun in dem aelteren roemischen Buehnenlied ein dramatischer, der
+Entwicklung vielleicht faehiger Keim; allein daraus das Drama herauszubilden,
+forderte vom Dichter wie vom Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen,
+wie sie bei den Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu
+finden war; und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit
+dem Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe und
+Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches Beduerfnis
+vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man wuenschte sich ein
+Theater und es mangelten die Stuecke.
+</p>
+
+<p>
+Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit
+war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht auf
+der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu
+einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische
+Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das
+Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und musste statt
+sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist
+die literaturlose Zeit. Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen
+und die hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
+stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie
+von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf griechischem Boden
+und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch roemischen Nationalsinn. Vor
+allem die roemische Poesie ging. zunaechst gar nicht aus dem innerlichen
+Dichtertriebe hervor, sondern aus den aeusserlichen Anforderungen der Schule,
+welche lateinische Lehrbuecher, und der Buehne, die lateinische Schauspiele
+brauchte. Beide Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und
+durch antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem
+Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein Greuel; und
+wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem roemischen Gemeinwesen
+war, dass es innerhalb der roemischen Buergerschaft keinen Herrn und keinen
+Knecht, keinen Millionaer und keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche
+Glaube und die gleiche Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule
+und die notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer
+das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die
+wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil sie
+lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen und schreiben,
+ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber gewoehnte man sich, mit
+roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze innere Sein und Leben griechisch
+ward. Es ist nicht eine der erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden
+Saeculum des roemischen Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten
+und geschichtlich belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht
+unmittelbar politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und
+wie der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im engen
+Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.
+</p>
+
+<p>
+Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere
+Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 bis nach 547
+272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius Andronicus genannt,
+kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den anderen tarentinischen
+Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator
+(Konsul 535, 547 219, 207). Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei
+und Textschreiberei, teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen
+Sprache, welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben
+vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei
+so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich seiner
+nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung des
+Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des Dankliedes
+uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und Schauspielerzunft
+einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im Minervatempel auf dem
+Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen
+Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den
+lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen bei
+seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste
+roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet.
+Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst,
+sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie
+oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger
+war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das
+griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten
+Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne
+aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie
+in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war
+geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann
+nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als
+Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um so
+empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt,
+sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt.
+Die starken Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus
+der Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald
+schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was
+die alten Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule
+abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand nahm.
+Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die
+Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten
+die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen
+geschah und die Livische &lsquo;Odyssee&rsquo; vielmehr in dem nationalen
+saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben
+und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen
+nachbilden liessen als die epischen Daktylen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des
+Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht.
+</p>
+
+<p>
+^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es:
+</p>
+
+<p>
+quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem.
+</p>
+
+<p>
+Milchfuell&rsquo; ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt&rsquo; ich ihn.
+</p>
+
+<p>
+Die Homerischen Verse (Od. 12, 16)
+</p>
+
+<p>
+Ούδ' άρα Κίρκην
+</p>
+
+<p>
+εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα
+</p>
+
+<p>
+ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή
+</p>
+
+<p>
+σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον.
+</p>
+
+<p>
+aber verborgen
+</p>
+
+<p>
+Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig
+</p>
+
+<p>
+Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
+</p>
+
+<p>
+Brot ihr und Fleisch in Fuell&rsquo; und den tiefrot funkelnden Wein her.
+</p>
+
+<p>
+werden also verdolmetscht:
+</p>
+
+<p>
+tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae:
+</p>
+
+<p>
+simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis.
+</p>
+
+<p>
+mília ália in ísdem - ínserínúntur.
+</p>
+
+<p>
+In Eil&rsquo; geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause.
+</p>
+
+<p>
+Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen
+</p>
+
+<p>
+Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge.
+</p>
+
+<p>
+Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die Gedankenlosigkeit des
+Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke
+schickt. Ein zweites, noch laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von
+αιδοίοιςιν έδωκα (Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen
+ist auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der
+Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden Schulmeister
+standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er gleich in Tarent
+geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich Muttersprache gewesen sein
+kann.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten.
+Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem
+Recht, gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser
+Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden
+Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine lyrische,
+epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher
+Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen.
+</p>
+
+<p>
+Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das Publikum stand
+an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein stehendes Theater mit
+festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in Griechenland wie in Rom trat
+das Schauspiel nur als Bestandteil der jaehrlich wiederkehrenden oder auch
+ausserordentlichen buergerlichen Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch
+die Regierung der mit Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste
+entgegenwirkte oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie
+die Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt dessen
+wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer die Akteure
+(proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund (scaena)
+aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der Zuschauerplatz (cavea)
+abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss abgeschraegt ward, so dass die
+Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich mitbringen liessen, kauerten, lagen
+oder standen ^7. Die Frauen moegen frueh abgesondert und auf die obersten und
+schlechtesten Plaetze beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die
+Plaetze nicht geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt
+ward, den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am
+Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt
+Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen.
+</p>
+
+<p>
+^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga
+zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. O.
+Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875, S.
+285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen Prologe, sondern
+schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82;
+83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten
+Zuschauer sich Stuehle mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren
+Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter
+der Stadt scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei
+denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden
+zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit
+Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die
+Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie heutzutage bei
+oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es
+denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und
+kreischten, hier und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu
+draengen; die Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als
+Feiertag und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der
+Rute zu wirken.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen
+worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp.
+12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von Rechts wegen
+ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223)
+und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den
+Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5,
+155; Tust. 43, 5, 10; Suet. Aug. 44).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
+Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten kein
+Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal in Ermangelung
+von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. Allein. in der Stellung
+des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; der Poet oder, wie er in dieser
+Zeit genannt ward, der &ldquo;Schreiber&rdquo;, der Schauspieler und der
+Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der an sich gering geachteten
+Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch vor wie nach in der oeffentlichen
+Meinung auf die markierteste Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt
+(l, 475). Natuerlich hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe
+fern - der Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in
+der Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre
+Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt werden,
+sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein
+Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem Ende
+dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern ward ueberdies
+von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das Stueck nicht durchfiel. Mit
+der Bezahlung war alles abgetan: von Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie
+sie in Attika vorkamen, war in Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst
+in dieser Zeit, wie bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem
+Tage nur ein einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter
+solchen Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
+Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
+Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich
+entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die attische
+Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im ganzen genommen,
+nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man nur sich wundert, dass sie
+im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu entfalten vermocht hat.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
+Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 229);
+aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, nicht dem
+Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der Didaskalien und
+Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber Preisgerichte und Preise ist
+entscheidend.
+</p>
+
+<p>
+Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die
+Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende
+nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben
+Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur
+Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer
+Rechnung etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches
+Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor.
+epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer &ldquo;ganze
+Tage&rdquo; im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren
+Zeit.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
+ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des gehofften
+Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass diese Zeit wohl
+eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, aufweist, eigene
+Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter den dem Namen nach uns
+bekannten Dramen dieser Epoche auf ein Trauerspiel drei Lustspiele kommen.
+Natuerlich griffen die roemischen I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer
+zunaechst nach den Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit
+beherrschten; und damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den
+Kreis der neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter
+Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen
+(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische
+Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig geworden,
+dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt
+geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte
+menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede
+Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon,
+heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die
+neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen,
+warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden
+Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben sollten.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie
+sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch
+des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und
+sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck geht
+regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der
+die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der
+Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad
+des Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude und
+Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor
+Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die
+Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch
+der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander
+unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und Befriedigung der
+Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen pflegt als wenn nicht
+ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden
+gekommene Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute
+Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum
+Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der &lsquo;Strick&rsquo; sich um
+Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das &lsquo;Dreitalerstueck&rsquo; und
+&lsquo;Die Gefangenen&rsquo; gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die
+edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den
+Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer
+Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den
+Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit
+irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden Masken,
+deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben
+Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur
+auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine
+solche Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor,
+wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation
+beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element, sondern
+ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine
+grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch
+verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der
+Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere Komoedie sich
+von der aelteren ebenso sehr durch die groessere innerliche Leere wie durch die
+groessere aeusserliche Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders
+durch die Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte
+Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums war.
+Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen,
+oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel die Casina
+mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut aufgeputzten Soldaten
+echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren und Raetsel, welche ja auch
+an der attischen Tafel dieser Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs
+die stehenden Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese
+Komoedien aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und
+Aristophanes fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und,
+wie andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel,
+in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch
+kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung
+derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst daran
+erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander
+und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild
+der gebildeten attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch
+niemals heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir
+sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt
+und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern,
+dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und
+selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als in
+seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die freundlichen
+haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und
+Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so
+allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht
+verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der &lsquo;Stichus&rsquo;
+schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht
+der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von
+unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten
+Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im bunten
+goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf der Buehne
+Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die Gelegenheitsmacherinnen sich ein,
+bald von der gemeinsten Sorte, wie deren eine im &lsquo;Curculio&rsquo;
+auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter Barbara, wie die Scapha in der
+Wunderkomoedie; auch an hilfreichen Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr
+reichlich und mannigfaltig besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen
+umeinander der strenge und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der
+nachsichtige gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
+Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen den
+Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen zuruecktreten
+und weder der erste Liebhaber noch der hie und da begegnende tugendhafte
+Mustersohn viel bedeuten wollen. Die Bedientenwelt: der verschmitzte
+Kammerdiener, der strenge Hausmeister, der alte wackere Erzieher, der
+knoblauchduftende Ackerknecht, das impertinente Juengelchen - leitet schon
+hinueber zu den sehr zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter
+ist der Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des
+Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen,
+auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat - es
+war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es auch keine
+poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und
+Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der
+Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern
+auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit
+Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im &lsquo;Luegenbold&rsquo;
+ein Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die
+Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der
+gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der
+feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen mehr.
+Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der Aberglaeubige
+Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie. Die
+nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten Schoepfung ihre
+unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier
+doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr,
+je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend,
+dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische Wahrheit
+grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der
+Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als
+verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und
+ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren Komoedie
+faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten Nation. Das
+spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, Volksglaube,
+Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und
+Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als
+die Schule, der Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein
+Tadel, wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt
+ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das
+Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die
+Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen
+den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu
+verfallen, sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen
+Ueberrest des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus&rsquo;
+&lsquo;Amphitryon&rsquo; weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als in
+allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise
+ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die
+possierlich feigen Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und
+nach dem drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter
+Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe der
+Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch,
+verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden
+Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom geschichtlich-sittlichen Standpunkt
+aus gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein
+individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche
+steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben
+waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser
+Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen, notwendig, auf
+den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit und Zierlichkeit sich
+auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar Menander einigermassen vermied,
+an denen aber bei den anderen Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit
+schlimmer ist die grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit
+und der Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie
+Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene
+Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer gewissen
+Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche Sittlichkeit, mit welcher
+namentlich die menandrischen Stuecke staffiert sind. Das Laster wird
+abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder
+nach der Hochzeit zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische
+&lsquo;Dreitalerkomoedie&rsquo; und mehrere Terenzische, in denen allen
+Personen bis auf die Sklaven hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt
+ist; alle wimmeln von ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von
+Maedchentugend womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden
+Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind
+gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in &lsquo;Die
+beiden Bacchis&rsquo; ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter
+zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine voellig
+Kotzebuesche Sittenfaeulnis.
+</p>
+
+<p>
+Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel.
+Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern
+wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter
+der betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns
+bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung
+eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen Titel,
+dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit genannt wird, und
+wenn, wie das wohl vorkam, ueber die &ldquo;Neuheit&rdquo; eines Stueckes
+gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon frueher
+uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss haeufig im Ausland,
+sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula
+palliata) danach benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in
+Athen ist und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind.
+Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der
+ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische Kostuem
+streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer vermieden und wo
+ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch &ldquo;Auslaender&rdquo;
+(barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male vorkommenden Geld- und
+Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal die roemische Muenze. Man macht
+sich von so grossen und so gewandten Talenten, wie Naevius und Plautus waren,
+eine seltsame Vorstellung, wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl
+zurueckfuehrt; diese krasse und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen
+Komoedie war ohne Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten
+bedingt. Die Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die
+neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen
+Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte
+gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig von den
+Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat abhingen, und
+selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele,
+nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei
+ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu machen
+gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese Komoedie, selbst
+nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch
+keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland
+verbannt blieb.
+</p>
+
+<p>
+Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend
+oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf die
+Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und nachplautinischen
+Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht zu einer einzigen
+Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei dem lebhaften
+Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen Invektiven gegen Gemeinden -
+wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere
+Spur als der bezeichnende Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner
+und merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das
+schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den
+Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der
+Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu den
+friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher, gegen
+Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe,
+gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende
+Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges Mal - im
+&lsquo;Curculio&rsquo; - eine an die Parabasen der aelteren attischen Komoedie
+erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben
+auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal
+patriotischen Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter:
+</p>
+
+<p>
+Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat,
+</p>
+
+<p>
+Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum?
+</p>
+
+<p>
+und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als
+das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige
+Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus
+Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so
+sind doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von
+Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter anderm sich
+heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen,
+sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren
+Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen:
+</p>
+
+<p>
+Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte,
+</p>
+
+<p>
+Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt,
+</p>
+
+<p>
+Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.
+</p>
+
+<p>
+Wie in den Worten:
+</p>
+
+<p>
+Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest,
+</p>
+
+<p>
+so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben,
+wie zum Beispiel:
+</p>
+
+<p>
+Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert?
+</p>
+
+<p>
+worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum
+Beispiel:
+</p>
+
+<p>
+Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
+ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner (com. 21
+R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern tritt oefter
+hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der pyrrhischen sowie die
+Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher damit im Zusammenhang.
+Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten natuerlich die Zensur.
+Bemerkenswert ist auch das Kompliment fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1).
+</p>
+
+<p>
+^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die
+hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen
+Krieges in der auf uns gekommenen Literatur:
+</p>
+
+<p>
+Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt
+</p>
+
+<p>
+Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan.
+</p>
+
+<p>
+Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds,
+</p>
+
+<p>
+Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess,
+</p>
+
+<p>
+Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob,
+</p>
+
+<p>
+Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen.
+</p>
+
+<p>
+Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den
+saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen
+(Liv. 29, 15; oben 2, 175).
+</p>
+
+<p>
+^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von Anspielungen auf
+Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art
+hat die neueste Untersuchung beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung
+auf die Bacchanalien, welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga,
+Bd. 1, S. 192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus
+den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der &lsquo;Casina&rsquo; und einigen
+anderen Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
+besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
+geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien zu reden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die
+Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch nur zu
+dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in den Block
+geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien oeffentlich Busse
+und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, wie es scheint, aus. der
+Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch sein Beispiel sich warnen - einer
+derselben deutet sehr verstaendlich an, dass er ganz und gar nicht Lust habe,
+gleich dem Kollegen Naevius der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So
+ward es durchgesetzt, was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die
+Besiegung Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung
+eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
+Farblosigkeit entstand.
+</p>
+
+<p>
+Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen
+Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte Naevius die
+Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und Seleukiden, verglichen mit
+derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen
+ward natuerlich bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden
+Originals und das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller
+individuellen Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
+Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele denselben
+Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst wurden.
+Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im hoechsten Grade
+frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die Originalstuecke vor derselben
+Gesellschaft spielten, die sie kopierten, und eben hierin ihr
+hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische Publikum dieser Zeit von dem
+attischen so verschieden, dass es jene auslaendische Welt nicht einmal imstande
+war recht zu verstehen. Von dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der
+Roemer weder die Anmut und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die
+uebertuenchte Leere. Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische
+Sklave war ein Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen
+vorkommen, oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern
+die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen
+gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele in
+roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des pfiffigen
+Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum solche, ihre
+Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug. Eher als die feinen
+Alltagsfiguren hielten die an sich derber und possenhafter zugeschnittenen
+Staende- und Charakterbilder die Uebertragung aus; aber auch von diesen musste
+doch der roemische Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
+originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
+Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und sich
+vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen der bereits
+sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus sein Publikum vertraut
+gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der Spassmacher in dem Plautinischen
+Lustspiel mit so auffallender Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so
+liegt der Schluessel dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon
+damals auf dem roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot,
+einen Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu
+setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten
+attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht brauchen.
+Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens stand der roemische
+Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche Kleinstaedter zu den
+Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in
+seinen Kopf; die Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung
+sehr zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und
+die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische Schweinebraten.
+Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der griechischen Rhetorik und
+Philosophie, die in den Originalen eine so grosse Rolle spielten, begegnet in
+der Bearbeitung nur hier und da eine verlorene Spur.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem &lsquo;Maedel von
+Tarent&rsquo; nicht bedeuten:
+</p>
+
+<p>
+Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand,
+</p>
+
+<p>
+Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt -
+</p>
+
+<p>
+Wie viel besser als hier der Freie hat&rsquo;s darin der Knecht!
+</p>
+
+<p>
+^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum Beispiel bei
+Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen:
+</p>
+
+<p>
+Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur:
+</p>
+
+<p>
+Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als
+</p>
+
+<p>
+Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf ihr
+Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte sie
+unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und Durcheinanderwerfens
+hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition sich vertrug. Es war
+gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals herauszuwerfen, sondern
+auch dafuer andere aus anderen Lustspielen desselben oder auch eines anderen
+Dichters wieder einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen
+Komposition der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig
+so arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren
+Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen.
+Die Handlung des sonst so vortrefflichen &lsquo;Stichus&rsquo; (aufgefuehrt 554
+200) besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen moechte,
+sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis
+die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den
+Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der
+&lsquo;Casina&rsquo;, die bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt
+die Braut, von der das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum
+Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv als &ldquo;spaeter drinnen vor
+sich gehend&rdquo; vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die
+Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen
+und was dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache
+hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der
+roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des roemischen
+Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der
+Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf die
+Komposition gewendet und &lsquo;Die Gefangenen&rsquo; zum Beispiel, der
+&lsquo;Luegenbold&rsquo;, &lsquo;Die beiden Bacchis&rsquo; sind in ihrer Art
+meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke
+mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die
+kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete.
+</p>
+
+<p>
+In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen
+roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die
+Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die wunderlichsten
+Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen, militaerischen,
+juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam aus in der griechischen
+Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den
+Agoranomen und Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken
+den Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine
+solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen
+Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr
+spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige
+Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung
+des Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von den
+neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen;
+Stuecke wie die Plautinische &lsquo;Eselskomoedie&rsquo; werden ihre
+unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer
+verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in
+einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder
+mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen
+Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche
+erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische
+Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der Weiber.
+Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die
+elegante attische Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich
+manche von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem
+Plautinischen &lsquo;Stichus&rsquo; der Vater mit seinen Toechtern ueber die
+Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob
+es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit
+einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu unsinnigen
+Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den
+folgenden Fall. In Menanders &lsquo;Halsband&rsquo; klagt ein Ehemann dem
+Freunde seine Not:
+</p>
+
+<p>
+A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst
+</p>
+
+<p>
+Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert
+</p>
+
+<p>
+Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt,
+</p>
+
+<p>
+Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns;
+</p>
+
+<p>
+Zur Last ist sie all&rsquo; und jedem, nicht bloss mir allein,
+</p>
+
+<p>
+Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss,
+</p>
+
+<p>
+So ist es.
+</p>
+
+<p>
+In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner grossen
+Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog geworden:
+</p>
+
+<p>
+B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! -
+</p>
+
+<p>
+B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm&rsquo; ich etwa dir
+</p>
+
+<p>
+Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir
+</p>
+
+<p>
+Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie&rsquo;s schon;
+</p>
+
+<p>
+Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der
+geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen
+Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen
+Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr
+haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so
+wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der Bearbeiter
+zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben wussten, als in dem
+ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang
+der Langverse auch da gefiel, wo er nicht hingehoerte.
+</p>
+
+<p>
+Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel der
+Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die aesthetischen
+Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon wegen des Umfangs des
+Theaters und des Spielens bei Tage auf ein eigentliches Gebaerdenspiel
+verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern besetzte und einer kuenstlichen
+Verstaerkung der Stimme des Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in
+szenischer wie in akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts-
+und Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den
+Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch
+wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren
+sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel kuenstlicheren
+Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern abgesehen, in Verbindung mit
+der mangelhaften akustischen Einrichtung der Buehne ^17 den Schauspieler nicht
+bloss noetigte seine Stimme ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den
+Livius zu dem hoechst unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die
+Gesangstuecke durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger
+vortragen und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch
+stummes Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
+ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in wesentliche
+Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte regelmaessig eine Strasse
+mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte keine wandelbaren Dekorationen;
+allein man besass doch ausser anderem mannigfaltigen Apparat namentlich eine
+Vorrichtung, um eine kleinere, das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf
+die Hauptszene hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht
+versehen, und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles,
+sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die
+Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler
+unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art
+und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt
+von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares Bild;
+in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das Original nicht hoch
+und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch
+die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten,
+erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik
+gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der
+Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein
+Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein Lebens-,
+ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande
+war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und
+Athleten anzukuendigen und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu
+verwandeln, vor einem Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in
+Masse aus dem Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder
+gar Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren,
+Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die
+eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der
+herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist alles
+Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische Talente unter
+ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in der Poesie wenigstens
+zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen Bahnen zu erfreulichen und
+selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen vermochten. An ihrer Spitze steht
+Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der es verdient, ein Dichter zu heissen und,
+soweit die ueber ihn erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner
+Werke uns ein Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten
+und bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war des
+Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann bedeutend
+vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen Kriege - und im
+allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in gemachten Literaturen zu
+sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im
+Epos, im Trauer- und Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen
+sich eng an ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen
+eine ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und
+kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener
+Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und Soldat
+im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist Naevius&rsquo;
+Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von aller Affektion und
+scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu
+gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen,
+spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die
+Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein
+aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der Griechen ging,
+so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und traf mit der wahren
+Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine
+volkstuemliche Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die
+Komik. Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein
+Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und lesende
+Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein
+Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben gewesen;
+mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der Schauspieler ward nun der
+Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein
+volkstuemliches Gepraege. Es tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten
+Nationalschauspiel und in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein
+wird; aber auch in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen
+Leistungen die seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen
+zu sein scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
+Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den griechischen
+Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, in frischer
+Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine Nachfolger und
+wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter sich zurueckzulassen, ja
+in gewissem Sinne in die Bahnen des Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er
+hat es wohl empfunden und in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er
+seiner Nation gewesen ist:
+</p>
+
+<p>
+Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte,
+</p>
+
+<p>
+Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen;
+</p>
+
+<p>
+Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied,
+</p>
+
+<p>
+Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten
+Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 (235)
+wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben (Gell. 12, 21,
+45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie gewoehnlich angegeben wird,
+bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so
+muesste er waehrend des Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein.
+Auch die Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
+geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) setzen
+duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen Scipionen (Cic.
+rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und vielleicht zehn Jahre aelter
+als Plautus war. Seine kampanische Herkunft deutet Gellius, seine latinische
+Nationalitaet, wenn es dafuer der Beweise beduerfte, er selbst in der
+Grabschrift an. wenn er nicht roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von
+Cales oder einer anderen latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich
+leichter, dass ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte.
+Schauspieler war er auf keinen Fall, da er im Heere diente.
+</p>
+
+<p>
+^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus
+Naevius&rsquo; Trauerspiel &lsquo;Lycurgus&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht,
+</p>
+
+<p>
+Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf,
+</p>
+
+<p>
+Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch.
+</p>
+
+<p>
+Oder die beruehmten Worte, die in &lsquo;Hektors Abschied&rsquo; Hektor zu
+Priamos sagt:
+</p>
+
+<p>
+Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann.
+</p>
+
+<p>
+und den reizenden Vers aus dem &lsquo;Maedel von Tarent&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe
+gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und
+der fuer die tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht
+gerade den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und
+volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in
+welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich
+dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das
+individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen
+zugrunde.
+</p>
+
+<p>
+In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint
+ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254-184).
+weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich
+umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen Sassina,
+lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit gemachten Gewinn in
+kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst hatte, als Theaterdichter von
+der Bearbeitung griechischer Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der
+Literatur taetig zu sein und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches
+Schriftstellertum zu machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter
+scheint es in Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre
+Namen sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20,
+so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging
+spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die
+Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig solcher
+&ldquo;plautinischer Stuecke&rdquo;, von denen indes auf jeden Fall ein grosser
+Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der Kern derselben
+ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die poetische
+Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht
+unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne
+Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem
+Publikum gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die
+aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum
+und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind
+Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen
+Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich gelten die
+meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes
+Geschick, die Situation buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast
+immer gewandte und oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und
+frische Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen
+Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen
+Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in
+denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der
+Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als
+selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer
+zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein es wird
+dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der
+rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach
+dem Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen
+ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der
+Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen
+Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller des
+roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche Ungewissheit
+ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen
+anderen aeusserlichen Dingen besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen
+Plautus und Shakespeare.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und
+letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg -
+namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu gelangen. Der
+Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus gleich. Geboren im
+Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter den insubrischen
+Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener
+von der Bearbeitung griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem
+wahrscheinlich fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist
+bei seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt
+ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur
+schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz
+den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen Literaturzeit
+Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter den roemischen
+Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die erste Stelle eingeraeumt
+haben, so scheint dies darauf zu beruhen, dass die kunstrichterliche
+Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten poetischen vor dem einseitig
+Vortrefflichen den Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den
+Caecilius nur deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als
+Plautus und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit
+geringer als beide gewesen sein kann.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr achtbaren
+Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen
+Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine
+kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das geschichtlich-sittliche
+Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem haerter ausfallen. Das
+griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde liegt, war sittlich insofern
+gleichgueltig, als es eben nur im Niveau der Korruption seines Publikums stand;
+die roemische Schaubuehne aber war in dieser zwischen der alten Strenge und der
+neuen Verderbnis schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus
+und des Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
+wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
+usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen und
+widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen Verherrlichung des
+Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit und auslaendischem
+Raffinement, war eine fortlaufende Predigt roemisch-hellenischer Demoralisation
+und ward auch als solche empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der
+Plautinischen &lsquo;Gefangenen&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar:
+</p>
+
+<p>
+Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht,
+</p>
+
+<p>
+Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung;
+</p>
+
+<p>
+Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei.
+</p>
+
+<p>
+Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien,
+</p>
+
+<p>
+Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel,
+</p>
+
+<p>
+Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein:
+</p>
+
+<p>
+Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel.
+</p>
+
+<p>
+Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das griechische
+Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden, dass auch in jenen
+weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die Moralitaet von derjenigen Art
+ist, die nur dazu taugt, die Unschuld gewisser zu betoeren. Wer kann es
+bezweifeln, dass diese Schauspiele der Korruption praktischen Vorschub getan
+haben? Als Koenig Alexander an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser
+ihm vorlas, keinen Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das
+nicht an ihm sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen,
+muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen
+Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; wenn also
+die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen Komoedien
+Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. Es gereicht der
+roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer diese Poesie so wenig
+tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch
+ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine
+Kanzel zu errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung,
+dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der
+Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie
+wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette walten,
+den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen selbstaendige
+roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie ist auch eine
+sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu
+heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig
+und zu viel; die politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer
+Buehnenpolizei hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation
+das Ihrige beigetragen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete, die
+Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger auf die Buehne zu
+bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines lateinischen
+Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn die roemische
+Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der latinischen Nation
+zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und
+Massalia, ebenso auch in den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu
+lassen. In der Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel
+(fabula togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke,
+Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese
+Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war
+nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in
+Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga.
+Hier waltet das latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die
+Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie
+schon die Titel zeigen: &lsquo;Die Harfenistin oder das Maedchen von
+Ferentinum&rsquo;, &lsquo;Die Floetenblaeserin&rsquo;, &lsquo;Die
+Juristin&rsquo;, &lsquo;Die Walker&rsquo;, und manche einzelne Situationen noch
+weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe
+nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender
+Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt
+nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges
+und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,
+</p>
+
+<p>
+Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der technischen
+Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch
+zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I,
+200, von 21; 50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die
+nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder
+Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und
+nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet,
+bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung,
+insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die grosse
+Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint
+ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern nennt, an die
+latinische Nation gedacht zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu erkennen
+haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in Griechenland; beiden
+aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das Ausland gemeinsam, und die Stadt
+und die Buergerschaft Roms auf die Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem
+Lustspieldichter untersagt. Dass in der Tat die togata nur in den Staedten
+latinischen Rechts spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in
+denen unseres Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia,
+Ferentinum, Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
+latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die
+Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den Lustspieldichtern diese
+latinische Inszenierung verloren, da das Cisalpinische Gallien, das rechtlich
+an die Stelle der latinischen Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen
+Buehnendichter zu fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der
+Tat verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden
+Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die
+fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata.
+</p>
+
+<p>
+^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach
+einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595
+196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) - denn mehr
+moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden koennen und,
+wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius,
+Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta),
+darum noch nicht gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten
+sein als der juengste der aelteren.
+</p>
+
+<p>
+^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs nach
+Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus), neun nach
+Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna, psaltria oder
+Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?), von denen zwei, die
+&lsquo;Juristin&rsquo; und die &lsquo;Floetenblaeserin&rsquo; offenbar
+Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet die Frauenwelt
+vor.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
+griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
+Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht haben, wie
+sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro hervortritt. Wie in der
+deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher Weise von der franzoesischen
+ausgegangen war wie die roemische von der attischen, sehr bald die
+franzoesische Lisette durch das Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so
+trat, wenn nicht mit gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und
+vielleicht mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das
+latinische Nationallustspiel.
+</p>
+
+<p>
+Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im Laufe
+dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht
+auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels,
+das griechische, namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd
+und bereits mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der
+empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen
+Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur
+minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende Weise
+gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war, dass die
+griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von Euripides (274, 348
+480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen Mann und seine noch viel
+merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist
+dieses Ortes nicht; aber die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und
+der griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es
+unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren.
+Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine
+hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige
+Gefuehl dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu
+erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe aller
+Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer die antike
+Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber eigentliche
+Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der
+Kampf des Menschen und des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht
+wesentlich darauf, dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst
+wird; das wesenhafte Menschliche ist im &lsquo;Prometheus&rsquo; und
+&lsquo;Agamemnon&rsquo; nur leicht angehaucht von dichterischer
+Individualisierung. Sophokles fasst wohl die Menschennatur in ihrer allgemeinen
+Bedingtheit, den Koenig, den Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des
+Menschen in seiner Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner
+Gestalten zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
+hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die Verflechtung
+dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer hoeheren poetischen
+Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, gegen Shakespeare gehalten,
+Aeschylos und Sophokles unvollkommene Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides
+es unternimmt, den Menschen darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein
+logischer und in gewissem Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer
+Fortschritt. Er hat die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu
+erschaffen vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken,
+durch welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins
+Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des Altertums
+ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel unvertraeglich; Euripides
+aber behielt sie bei. Mit bewundernswert feinem Gefuehl hatte die aeltere
+Tragoedie das dramatische Element, das frei walten zu lassen sie nicht
+vermochte, niemals rein dargestellt, sondern es stets durch die epischen Stoffe
+aus der Uebermenschenwelt der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere
+gewissermassen gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss:
+er ging mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab
+und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen
+sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch hat er
+weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit gestellt noch den
+Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der
+volle Ausdruck einer Zeit einerseits der grossartigsten geschichtlichen und
+philosophischen Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie,
+der reinen und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige
+Froemmigkeit der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz
+des Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der
+aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so
+erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so
+entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken wie die
+Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube
+ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich despotische Macht, und
+knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der
+verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt.
+Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber
+ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft
+poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner
+Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten
+geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer
+Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche Manier, den
+Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine Goettererscheinung oder
+eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht.
+Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist
+hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel
+poetischer Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten
+Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch
+durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen
+mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der willig
+sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem
+die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der
+groessten Schoenheit; aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und
+Aristophanes&rsquo; Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern
+vermoege, vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des
+gemeinen Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten
+Heroen, wie der Menelaos in der &lsquo;Helena&rsquo;, die Andromache, die
+Elektra als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos,
+widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen
+dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen
+Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende
+Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie uebergehen, wie
+die &lsquo;Iphigenie in Aulis&rsquo;, der &lsquo;Ion&rsquo;, die
+&lsquo;Alkestis&rsquo; vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die
+erfreulichste Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der
+Dichter das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die
+verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere
+Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen;
+dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu
+unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im Ziergarten
+durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin vor allem die
+Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar menschlicher
+Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht. Seine Medeia ist
+insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt
+gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe
+und Eifersucht wird der unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor
+allem aber ist in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt
+durch die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen
+einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge
+fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen zusammen mit
+dem gleichzeitigen politischen und philosophischen Radikalismus und ist der
+erste und oberste Apostel der neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit
+aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition,
+auf die der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess,
+so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und
+das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der
+Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische
+Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach also
+zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch nur
+gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt und
+gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte sittlich wie
+poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal
+geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse,
+wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist
+Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig
+las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn
+entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm
+gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides
+ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns
+entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, sondern der
+Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem
+neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und
+das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder mittelbar
+wesentlich durch Euripides bestimmt ward.
+</p>
+
+<p>
+Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten Kanaele nach
+Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer mittelbar gewirkt haben
+als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die tragische Schaubuehne ist in Rom
+nicht gerade spaeter eroeffnet worden als die komische; allein sowohl die bei
+weitem groesseren Kosten der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens
+waehrend des Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden
+ist, als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
+Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien nicht
+gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art moegen aus den
+Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig erfolgreiche
+Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus juengerer Zeitgenosse
+Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke schon von den gleichzeitigen
+Lustspieldichtern parodiert und von den Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein
+geschaut und deklamiert wurden.
+</p>
+
+<p>
+Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als die
+komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, die bei
+dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire ging
+gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke hervor. Die
+Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den unmittelbar damit
+zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil dieser Mythenkreis allein dem
+roemischen Publikum durch den Schulunterricht gelaeufig war; daneben
+ueberwiegen die sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den
+&lsquo;Eumeniden&rsquo;, im &lsquo;Alkmaeon&rsquo;, im
+&lsquo;Kresphontes&rsquo;, in der &lsquo;Melanippe&rsquo;, in der
+&lsquo;Medeia&rsquo;, die Jungfrauenopfer in der &lsquo;Polyxena&rsquo;, den
+&lsquo;Erechthiden&rsquo;, der &lsquo;Andromeda&rsquo;, der
+&lsquo;Iphigeneia&rsquo; - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass
+das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. Frauen-
+und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die
+bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung von dem Original
+betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl
+fuer das komische chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere
+Tanzplatz (orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor
+sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art
+Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und
+der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der
+Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen fehlte es
+natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen und Verunstaltungen
+nicht; in der lateinischen Bearbeitung der Euripideischen
+&lsquo;Iphigeneia&rsquo; zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster einer anderen
+Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein
+Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die
+lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden
+^24, doch gab wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen
+Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von
+dem des Menander.
+</p>
+
+<p>
+Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in Rom
+ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig; und wenn,
+wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, in dem Trauerspiel
+die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher auftritt, so trug dagegen
+die tragische Buehne dieser Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch
+weit entschiedener die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische
+Tendenz zur Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der
+einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner,
+sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer
+Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom ueber und
+lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in beschraenkten
+Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen und Griechischen,
+teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den Verehrungen derjenigen
+roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius
+Nobilior, geneigt waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu
+lohnen, der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von
+ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten
+bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer
+einen solchen Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25.
+Von Haus aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es,
+die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar
+die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben;
+und wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr folgeweise
+aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr deutliches Ziel
+gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten,
+sich auf einen volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr
+seiner revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet
+sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern
+energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die
+Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte
+tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles
+sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die
+meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides nachgebildet
+hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere
+Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so
+entschieden den Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr
+vernachlaessigte als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als
+der Grieche akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den
+&lsquo;Thyestes&rsquo; und den aus Aristophanes&rsquo; unsterblichem Spott so
+wohlbekannten &lsquo;Telephos&rsquo; und deren Prinzenjammer und Jammerprinzen,
+ja sogar ein Stueck wie &lsquo;Menalippe die Philosophin&rsquo;, wo die ganze
+Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht und die Tendenz,
+dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen
+Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich
+eingelegten Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die
+folgende ist:
+</p>
+
+<p>
+Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt&rsquo; ich sonst und sag&rsquo; ich noch;
+</p>
+
+<p>
+Doch sie kuemmern keinesweges, mein&rsquo; ich, sich um der Menschen Los,
+</p>
+
+<p>
+Sonst ging&rsquo;s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.
+</p>
+
+<p>
+wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. Dass
+Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet wissenschaftlich
+predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm mit dieser Aufklaerung
+Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die hier und da hervortretende
+radikal gefaerbte politische Opposition ^27, die Verherrlichung der
+griechischen Tafelfreuden, vor allem die Vernichtung des letzten nationalen
+Elements in der lateinischen Poesie, des saturnischen Masses, und dessen
+Ersetzung durch den griechischen Hexameter. Dass der
+&ldquo;vielgestaltige&rdquo; Poet alle diese Aufgaben mit gleicher Sauberkeit
+ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch angelegten Sprache den Hexameter
+abrang und ohne den natuerlichen Fluss der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit
+und Freiheit in den ungewohnten Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem
+ungemeinen, in der Tat mehr griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man
+bei ihm anstoesst, verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als
+roemische Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
+Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die freilich des
+poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu fuehlen, und der die
+komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den Stolz, womit der
+hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht, &ldquo;in denen die
+Waldgeister und die Barden ehemals sangen&rdquo;, und die Begeisterung, womit
+er die eigene Kunstpoesie feiert:
+</p>
+
+<p>
+Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen
+</p>
+
+<p>
+Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der
+Ennianischen &lsquo;Medeia&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος
+</p>
+
+<p>
+Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας
+</p>
+
+
+<p>
+Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Utinam ne in nemore Pelio securibus
+</p>
+
+<p>
+Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας Caesa accidisset abiegna ad terram
+</p>
+
+<p>
+                                        trabes,
+</p>
+
+<p>
+                                        Neve inde navis inchoandae exordium
+</p>
+
+<p>
+                                        Coepisset, quae nunc nominatur
+</p>
+
+<p>
+                                        nomine
+</p>
+
+<p>
+Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος Argo, quia Argivi in ea dilecti
+</p>
+
+<p>
+                                       viri
+</p>
+
+<p>
+                                       Vecti petebant pellem inauratam
+</p>
+
+<p>
+                                       arietis
+</p>
+
+<p>
+Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή Colchis, imperio regis Peliae, per
+</p>
+
+<p>
+                                       dolum.
+</p>
+
+<p>
+Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας Nam nunquam era errans mea domo
+</p>
+
+<p>
+                                       efferret pedem
+</p>
+
+<p>
+Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος. Medea, animo aegra, amore saevo
+</p>
+
+<p>
+saucia.
+</p>
+
+
+<p>
+Nie durch die schwarzen Symplegaden
+</p>
+
+<p>
+haette hin
+</p>
+
+<p>
+Fliegen gesollt ins Kolcherland der
+</p>
+
+<p>
+Argo Schiff,
+</p>
+
+<p>
+Noch stuerzen in des Pelion O waer&rsquo; im Pelionhaine von den
+</p>
+
+<p>
+Waldesschlucht jemals Beilen nie
+</p>
+
+<p>
+Gefaellt die Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt
+</p>
+
+<p>
+sie die Hand der Tannenstamm
+</p>
+
+<p>
+                                       Und haette damit der Angriff
+</p>
+
+<p>
+                                       angefangen nie
+</p>
+
+<p>
+                                       Zum Beginn des Schiffes, das
+</p>
+
+<p>
+                                       man jetzt mit Namen nennt
+</p>
+
+
+<p>
+Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos
+
+</p> <p>
+dem Pelias auserlesne Schar,
+
+</p> <p>
+ Von Kolchi nach Gebot des
+
+</p> <p>
+ Koenigs Pelias
+
+</p> <p>
+Zu holen gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes
+
+</p> <p>
+waere mir Widdervliess!
+
+</p> <p>
+Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den Fuss mir
+
+</p> <p>
+dann Herrin setzte nie,
+
+</p> <p>
+Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, krank im Herzen, wund von
+
+</p> <p>
+hinweggeschifft. Liebespein.
+</p>
+
+<p>
+Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht bloss die
+Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung oder Erlaeuterung der
+weniger bekannten mythologischen Namen: der Symplegaden, des Kolcherlandes, der
+Argo. Eigentliche Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten.
+</p>
+
+<p>
+^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters
+die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich
+ruft,
+</p>
+
+<p>
+mit welchem er gern und
+</p>
+
+<p>
+Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung
+</p>
+
+<p>
+Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen,
+</p>
+
+<p>
+Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat;
+</p>
+
+<p>
+Welchem das Gross&rsquo; und das Klein&rsquo; und den Scherz auch er mitteilen
+</p>
+
+<p>
+Durft&rsquo; und alles zugleich, was gut und was uebel man redet,
+</p>
+
+<p>
+Schuetten ihm aus, wenn er mocht&rsquo;, und anvertrauen ihm sorglos;
+</p>
+
+<p>
+Welcher geteilt mit ihm viel Freud&rsquo; im Hause und draussen;
+</p>
+
+<p>
+Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit
+</p>
+
+<p>
+Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
+</p>
+
+<p>
+Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens,
+</p>
+
+<p>
+Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich,
+</p>
+
+<p>
+Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge,
+</p>
+
+<p>
+Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit,
+</p>
+
+<p>
+Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch,
+</p>
+
+<p>
+Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen.
+</p>
+
+<p>
+In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges divumque
+hominumque.
+</p>
+
+<p>
+^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul.
+956), dass er ein Mann sei,
+</p>
+
+<p>
+Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt
+</p>
+
+<p>
+Im besten Fall; und trifft er&rsquo;s nicht, es geht ihm hin.
+</p>
+
+<p>
+hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller
+gemacht:
+</p>
+
+<p>
+Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo
+</p>
+
+<p>
+Jovis Zieg&rsquo; oder Krebs ihm aufgeh&rsquo; oder einer Bestie Licht.
+</p>
+
+<p>
+Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum.
+</p>
+
+<p>
+^27 Im &lsquo;Telephus&rsquo; heisst es:
+</p>
+
+<p>
+Palam mutire plebeis piaculum est.
+</p>
+
+<p>
+Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
+</p>
+
+<p>
+^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der
+Bearbeitung des Euripideischen &lsquo;Phoenix&rsquo; an:
+</p>
+
+<p>
+Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt&rsquo;s zu wirken in der Welt
+</p>
+
+<p>
+Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl.
+</p>
+
+<p>
+Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz;
+</p>
+
+<p>
+Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat.
+</p>
+
+<p>
+In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte einverleibten
+&lsquo;Scipio&rsquo; standen die malerischen Zeilen:
+</p>
+
+<p>
+— munduscaeli vastus constitit silentio;
+</p>
+
+<p>
+Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit,
+</p>
+
+<p>
+Sol equis iter repressit ungulis volantibus,
+</p>
+
+<p>
+Constitere amnes perennes, arbores vento vacant.
+</p>
+
+<p>
+[Iovis winkt&rsquo;;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum.
+</p>
+
+<p>
+Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun,
+</p>
+
+<p>
+Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott,
+</p>
+
+<p>
+Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind.
+</p>
+
+<p>
+Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter seine
+Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung der Worte, die
+in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie &lsquo;Hektors
+Loesung&rsquo; ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander
+Zuschauender spricht:
+</p>
+
+<p>
+Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant.
+</p>
+
+<p>
+Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind.
+</p>
+
+<p>
+und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her.
+</p>
+
+<p>
+^29 So heisst es im &lsquo;Phoenix&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit.
+</p>
+
+<p>
+Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt,
+</p>
+
+<p>
+und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch akrostichische
+Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das
+griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen
+Nation.
+</p>
+
+<p>
+Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer Schiffer
+nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss gleich Ennius,
+wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische Trauerspiele fuer die
+roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein ernstes Nationalschauspiel
+(fabula praetextata) selbstaendig zu schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen
+hier nicht im Weg; er brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der
+gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine
+&lsquo;Erziehung des Romulus und Remus&rsquo; oder der &lsquo;Wolf&rsquo;,
+worin der Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein &lsquo;Clastidium&rsquo;,
+worin der Sieg des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach
+seinem Vorgang hat auch Ennius in der &lsquo;Ambrakia&rsquo; die Belagerung der
+Stadt durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung
+geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die
+Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die
+farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf
+die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben wir
+kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in Anschlag
+kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige Griffe von solcher
+Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur
+die griechischen Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher
+fuehlenden Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut
+gehabt, die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen
+der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig
+entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es
+hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber
+geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der
+man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war.
+</p>
+
+<p>
+Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius buergerte die
+Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation vertrat, die Vorlesung
+neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom wenigstens insofern ein, als er
+dieselben in seiner Schule vortrug. Da die Dichtkunst hier nicht oder doch
+nicht geradezu nach Brot ging, ward dieser Zweig derselben nicht so wie die
+Buehnendichtung von der Ungunst der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das
+Ende dieser Epoche sind auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in
+dieser Art als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
+rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der szenischen
+sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der Buehnendichtung eine
+untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein eigentliches dichterisches
+Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben
+haben kann. Vor allem schwach vertreten war die lyrische, didaktische,
+epigrammatische Poesie. Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher
+dieser Zeit allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
+halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche das
+saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen Literatur
+an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, tritt sie in der
+Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung,
+die urspruenglich dem alten, seit Livius durch das griechische Drama von der
+Buehne verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der
+rezitativen Poesie einigermassen unseren &ldquo;vermischten Gedichten&rdquo;
+entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive Kunstgattung und
+Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer
+Art von beliebigem, meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos
+spaeter noch zu erwaehnendem &lsquo;Gedicht von den Sitten&rsquo;, welches
+vermutlich, anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer
+Poesie, in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die
+kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare
+Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert veroeffentlichte:
+kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen Sagen- oder
+gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen Romans des Euhemeros,
+der auf den Namen des Epicharmos laufenden naturphilosophischen Poesien, der
+Gastronomie des Archestratos von Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst;
+ferner einen Dialog zwischen dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine
+Sammlung von Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten -
+geringe Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
+didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, wohin die
+Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei &ldquo;Konsulare und
+Poeten&rdquo; genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und
+Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre
+Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in
+Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der
+dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen
+Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich den
+Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie die Dinge
+waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie,
+namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung
+oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit
+berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass
+heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe, was von
+dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die epische Poesie der
+Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und wesentlich in der heroischen
+Zeit; es war ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein
+beneidenswert grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu
+durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel
+mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen
+Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz
+besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer
+Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen Aufzeichnungen
+noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und
+der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die
+grossartigsten Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu
+haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido:
+</p>
+
+<p>
+Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas
+</p>
+
+<p>
+Von Troia schied.
+</p>
+
+<p>
+spaeter:
+</p>
+
+<p>
+Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig
+</p>
+
+<p>
+Amulius, dankt den Goettern -
+</p>
+
+<p>
+aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
+</p>
+
+<p>
+Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner,
+</p>
+
+<p>
+Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte.
+</p>
+
+<p>
+bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256):
+</p>
+
+<p>
+Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel
+</p>
+
+<p>
+Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.
+</p>
+
+<p>
+endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte:
+</p>
+
+<p>
+Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius
+</p>
+
+<p>
+Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne
+</p>
+
+<p>
+Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die Gleichheit
+des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen Gegensatz des nationalen
+und des antinationalen Dichters nur um so greller hervortreten. Naevius suchte
+fuer den neuen Stoff eine neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in
+die Formen des hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers,
+die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende Homeridenmanier
+die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht, wird geradezu Homer
+uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach
+dem Muster der Bestattung des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des
+mit den Istriern fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer
+steckt als der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse
+wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange;
+nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat
+den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher
+Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die neologische und
+hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die
+&lsquo;Jahrbuecher&rsquo; keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der
+Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht, womit das
+Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im
+Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem
+Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der
+Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst
+die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen
+Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre
+griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen
+Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer
+</p>
+
+<p>
+Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen.
+</p>
+
+<p>
+Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren
+Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht
+abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege
+dem italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet sich
+gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich
+traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit
+aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die
+Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und
+gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war, einem sonst
+verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich
+einzufuegen. Im ganzen aber waren die &lsquo;Jahrbuecher&rsquo; ohne Frage
+Ennius&rsquo; verfehltestes Werk. Der Plan, eine &lsquo;Ilias&rsquo; zu machen,
+kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem Gedicht zum
+erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die Literatur
+eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als Gespenst, das weder
+zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das
+Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit
+fuer den roemischen Homer als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den
+Zeitgenossen und mehr noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor
+dem Vater der roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den
+Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
+altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr
+ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, der moege an
+verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der Henriade, der Messiade
+sich erinnern. Eine maechtige poetische Entwicklung der Nation freilich wuerde
+jene beinahe komische offizielle Parallelisierung der Homerischen
+&lsquo;Ilias&rsquo; und der Ennianischen &lsquo;Jahrbuecher&rsquo; so gut
+abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin und den Pindar-Willamov; aber
+eine solche hat in Rom nicht stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des
+Gedichts besonders fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent
+des Dichters blieben die &lsquo;Jahrbuecher&rsquo; das aelteste roemische
+Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und
+lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem
+durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit
+das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise
+entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl die
+kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne vor der
+Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche Hemmung, worauf
+namentlich die roemische Komoedie in der strengen und beschraenkten
+Buehnenzensur traf. Es war ferner diese schriftstellerische Taetigkeit nicht
+durch den dem &ldquo;Baenkelsaenger&rdquo; anhaftenden Makel von vornherein bei
+der guten Gesellschaft in den Bann getan. Darum ist denn auch die prosaische
+Schriftstellerei zwar bei weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die
+gleichzeitige poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die
+Poesie fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
+vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, so ist
+umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht senatorischer Norne
+und sind es durchaus die Kreise der hoechsten Aristokratie, gewesene Konsuln
+und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, die Scipionen, von denen diese
+Literatur ausgeht. Dass die konservative und nationale Tendenz sich besser mit
+dieser Prosaschriftstellerei vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache;
+doch hat auch hier, und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur,
+in der Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form
+maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt.
+</p>
+
+<p>
+Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine
+Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu
+den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede
+Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die
+Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen
+Italiens ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen
+Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch so
+fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das
+Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf
+schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun
+aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die roemische
+Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an einem fertigen
+Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide
+zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen
+umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der Muttersprache,
+aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen
+Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581
+173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten
+historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das ueberhaupt
+aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig
+entstanden die griechischen Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32
+(nach 553 201), eines waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften
+taetigen Mannes aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus,
+Publius Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
+gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das nicht
+gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen griechischen
+Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das weit hinaus ueber die
+Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche Interesse derselben es nahelegte,
+zunaechst an das gebildete Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen,
+den zweiten die vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs
+des Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und
+Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in franzoesischer
+Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und
+Feldherren franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen
+Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche
+lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor
+dem Schluss dieser Epoche publizierte &lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo;
+zugleich das aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste
+bedeutende prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
+Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) ausser
+Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen von Quintilian
+und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen Annalen, und es wird die
+Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass unter demselben Namen auch eine
+sehr ausfuehrliche Darstellung des pontifizischen Rechts in lateinischer
+Sprache angefuehrt wird. Indes die letztere Schrift wird von keinem, der die
+Entwicklung der roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem
+Verfasser aus der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch
+lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es
+dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren
+Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder
+ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und des
+Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei Annalisten
+des Namens Fabius Pictor gegeben hat.
+</p>
+
+<p>
+Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte,
+ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk
+aus augustischer Zeit.
+</p>
+
+<p>
+^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein Greisenalter
+(Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der frueheren Buecher der
+&lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo; faellt nicht vor, aber wahrscheinlich auch
+nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im
+Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische
+Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder geordneter
+Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die Landesgeschichte
+von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, obwohl dem Titel nach
+das Werk des Naevius nur den ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die
+Ursprungsgeschichten betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei
+Abschnitte der Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit
+war fuer die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
+Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu
+ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
+unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den
+Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, und
+die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern nicht
+unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom an Troia
+anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn Romulus, hier von
+dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich
+entweder dem Naevius oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden
+Maerchen an. Der albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber
+wird zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer
+die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, sein
+Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole Latiums, das Lange
+Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt erfunden. Dass die
+urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am
+roemischen Markte, sondern in dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem
+Roemer ein Greuel sein, und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg,
+indem die Goetter erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden
+hatten. Indes die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen
+Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz
+Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark im
+Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde dies die
+stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, dass
+der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine Geschichte pragmatisch zu
+schreiben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen
+Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert,
+so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus
+einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen
+duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei
+Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote
+gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus Herodot
+eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl noch fremd
+gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes in diesem
+Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei
+dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht
+bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein
+urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus
+Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach Italien
+wandernden Urgriechen oder Pelasger.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten
+von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine Version der
+Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten der Herodotischen
+Erzaehlung von Kyros&rsquo; Jugend geschlagen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und lose
+geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die Koenigszeit
+bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz,
+und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den
+Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken eine
+irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten
+empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit
+sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im
+dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den
+Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik
+hoechstens in den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch
+schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen
+eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er
+selber sagt, &ldquo;zu berichten, was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters
+steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich
+verfinstert haetten&rdquo;; und so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch
+seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen
+italischen Gemeinden und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er
+machte sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach
+Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich
+hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge
+&ldquo;abschnittsweise&rdquo; erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke
+auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in
+die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das
+hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien stuetzte,
+teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde Geschichte Roms
+von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den Pyrrhischen Krieg, indem
+sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art
+gleichfalls darstellte.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend
+behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den
+zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den achtzehn
+Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg;
+Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege
+vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten,
+wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den
+letzten zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag
+Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen
+aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von
+Augenzeugen, teils einer auf dem andern.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann
+die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der
+frueheren Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in
+spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, wie
+zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als
+Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato
+dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und
+taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem
+Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils in
+seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege
+dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine
+gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon
+von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern
+auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den Thukydides
+und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist bestimmt bezeugt.
+Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung absieht, welche Cato als
+Fruechte dieser Lektuere fuer sich zusammenstellte, ist von einer
+schriftstellerischen Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine harmlose
+Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser
+nahmen an inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig
+Tarquinius der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und
+neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt
+nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein
+Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen
+Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre 262
+(492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln dort mit dem
+aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348 406) den Thron
+bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in der Behandlung der
+roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon
+in der vorigen Epoche festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung
+Roms 240 Jahre vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor
+den gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken
+erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion
+388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol.
+8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden
+Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436;
+nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms der
+Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann hier
+nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch aufmerksam;
+eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu haben - das spaeter
+zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher
+nicht von ihm her.
+</p>
+
+<p>
+Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem gewissen
+Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte trugen sicher
+ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen welcher der fabische ueber
+die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago von Polybios mit der ihm eigenen
+kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am
+Platz als der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen
+Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen;
+eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus
+nicht von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen
+Geschichte doch nicht nachgewiesen worden.
+</p>
+
+<p>
+Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender
+Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige
+Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis
+des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der
+innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf
+und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung
+unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die roemische
+einigermassen zu modifizieren.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder &ldquo;lesen
+und die Rechte und Gesetze kennen lehren&rdquo;; und dasselbe zeigt Plut. Cato
+mai. 20.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen
+Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf
+das verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr
+gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint
+ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem
+ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich
+gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen
+okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der Rechtschreibung
+werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die
+lateinischen Musen haben ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und
+zu allen Zeiten neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich
+Ennius hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende
+Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch
+fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die
+genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und Plautus
+freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen Poeten werden
+gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so gleichgueltig
+verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat,
+Ceres davon quod gerit fruges.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede
+stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als
+dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte Redner
+Cato goss ueber das alberne Isokrateische &ldquo;ewig reden lernen und niemals
+reden koennen&rdquo; die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die
+griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und vor
+allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer gewann,
+wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt
+gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen
+Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat
+mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie
+geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius aussprechen:
+</p>
+
+<p>
+Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie;
+</p>
+
+<p>
+Gut ist&rsquo;s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur Redekunst, die
+sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen werden als die
+roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum
+der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren
+fuer das Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen
+Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch
+die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle Cato
+eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man ungefaehr sich
+eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den Nachfahren oefter
+angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, &ldquo;an die Sache zu denken
+und daraus die Worte sich ergeben zu lassen&rdquo; ^38.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^38 Rem tene, verba sequentur.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch fuer die
+Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
+Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder unter
+griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und Mathematik, so fanden
+doch die damit zusammenhaengenden Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem
+gewissen Grade Eingang in Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im
+Jahre 535 (219) der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in
+Rom sich niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
+Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen und das
+roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen scharenweise
+nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden Heilkuenstler mit
+einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig war, sondern versuchte
+auch, durch sein aus eigener Erfahrung und daneben wohl auch aus der
+medizinischen Literatur der Griechen zusammengestelltes medizinisches
+Hilfsbuechlein die gute alte Sitte wieder emporzubringen, wo der Hausvater
+zugleich der Hausarzt war. Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig
+sich wenig um dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
+eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und Jahrhunderte
+lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung
+behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der Aufstellung
+der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491 (263) fing die
+griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den Roemern an gebraucht zu werden;
+freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine fuer das um vier Grade
+suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert
+lang sich danach richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne
+vornehme Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius
+Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein
+Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen
+Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja
+uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand
+als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der griechisch
+gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um
+allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul
+588 166), der nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt,
+sondern auch ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und
+der selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde
+deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des
+Scharfsinnes angestaunt.
+</p>
+
+<p>
+Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte und die
+eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und spricht auch in
+derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur Landwirtschaft, die auf unsere
+Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen
+untergeordneten eben wie in den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der
+griechischen und der lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen
+und kann schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
+unberuecksichtigt geblieben sein.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft.
+Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der
+Bescheidung der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren
+Zuhoerer; doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein
+traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht
+ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das
+von Sextus Aelius Paetus, genannt der &ldquo;Schlaue&rdquo; (catus), welcher
+der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner
+gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560 194)
+emporstieg, veroeffentlichte sogenannte &ldquo;dreiteilige Buch&rdquo;, das
+heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze derselben
+eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und unverstaendlichen
+Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular hinzufuegte. Wenn dabei in jener
+Glossierung der Einfluss der griechischen grammatischen Studien unleugbar
+hervortritt, so knuepfte die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung
+des Appius und die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung
+an.
+</p>
+
+<p>
+Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
+Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
+aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen Saetzen
+darlegen sollten, was ein &ldquo;tuechtiger Mann&rdquo; (vir bonus) als Redner,
+Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein Unterschied
+zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch nicht gemacht,
+sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und nuetzlich erschien,
+von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen ist dabei teils die
+lateinische Grammatik, die also damals noch nicht diejenige formale Entwicklung
+gehabt haben kann, welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht
+voraussetzt, teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und
+physischen Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar
+Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht
+zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt,
+aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare
+Erfahrungssaetze zu gewinnen - &ldquo;die griechischen Buecher muss man
+einsehen, aber nicht durchstudieren&rdquo;, lautet einer von Catos
+Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die
+freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den
+griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die
+Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten
+massgebend geworden sind.
+</p>
+
+<p>
+So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom ein,
+oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden:
+</p>
+
+<p>
+Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
+</p>
+
+<p>
+Der Quiriten hartem Volke sich die Mus&rsquo; im Kriegsgewand.
+</p>
+
+<p>
+Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es
+gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in
+etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen
+Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen Komoedie
+verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig mit Naevius und
+Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der roemischen hellenisierende
+Literatur in der Bildung begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist
+verschollen, und die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch verstattet ist,
+wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt
+dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem
+Wert als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem
+waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die
+italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die
+allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige
+Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation
+durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit
+der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den
+ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die
+roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche Orangerie
+neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber
+nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch
+entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache
+gilt dies von derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr
+grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von
+Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein
+sich erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als
+Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein
+nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das
+eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch;
+schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist
+nicht bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln
+behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der
+grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie
+durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in
+poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der
+einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst
+folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst nach dem
+Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten
+Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung
+der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus Hand in
+Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische Literatur des
+sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder
+eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der
+flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen
+Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu den
+Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^39 Vgl. 2, 445:
+</p>
+
+<p>
+Enni poeta salve, qui mortalibus
+</p>
+
+<p>
+Versus propinas flammeos medullitus.
+</p>
+
+<p>
+Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt ποιητής -
+wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist charakteristisch.
+Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser epischer und rezitativer
+Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher in dieser Zeit vielmehr scriba
+heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr
+einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese
+gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss keine
+volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen
+gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums
+fremd ist, faellt die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die
+unbegreifliche Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet
+der Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass
+ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von
+menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der antiken
+Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt gestaltlos und die Sage
+nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht
+gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige
+Entwicklung wie die aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren
+gleichmaessig auf einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die
+auf dem Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende
+roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren.
+Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und denationalisierenden, aber
+fuer die notwendige geistige Ausgleichung der Nationen unerlaesslichen
+Propaganda des Hellenismus in Italien beruht die geschichtliche und selbst die
+dichterische Berechtigung der roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus
+ihrer Werkstatt nicht ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen,
+aber sie hat den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon
+rein aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine
+gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige Abgeschlossenheit in
+sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des
+Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken Dichtung fremd; wem der
+griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer
+jede Tragoedie den Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis
+vermissen. Wenn dem roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen
+Lustspiele zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen
+gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt
+waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins
+Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung
+wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf schon
+die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den Ton gelegt haben,
+die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium.
+Wenn &ldquo;das besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst
+ueberwand&rdquo;, so geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen
+lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward,
+dass anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der
+Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste,
+die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der
+Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der idealen Welt
+der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen Empfindung; wem das
+beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der
+Daktylen und Jamben nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und
+Sophokles umsonst gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische
+Gefuehl sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von
+der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie
+guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten
+latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage auch
+nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen Sprache deren
+Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum ausgereicht haette. Der
+geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber den Menschen ausuebt und von dem
+Dichtersprache und Rhythmus nur Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig
+angelernten, sondern einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus
+wird man die hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer
+dieser Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den
+Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter entweder in
+verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, ueberhaupt dem
+denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium an die Seite zu setzen
+und alle rein und scharf entwickelten Volkstuemlichkeiten in den
+problematischen Begriff der allgemeinen Zivilisation aufzuloesen, so steht
+diese Tendenz erfreulich oder widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben,
+in niemandes aber, ihre historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem
+Gesichtspunkte aus laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie
+zwar nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen
+sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen
+dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig
+vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch eben
+formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht
+schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und
+Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die
+Poesie zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so
+waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und
+die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch weniger
+schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die verschliffensten
+und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem Sinne war es zweckgemaess.
+Niemand wird die Euripideische Poesie der Homerischen an die Seite stellen
+wollen; aber geschichtlich betrachtet sind Euripides und Menander voellig
+ebenso die Bibel des kosmopolitischen Hellenismus wie die &lsquo;Ilias&rsquo;
+und die &lsquo;Odyssee&rsquo; diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und
+insofern hatten die Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor
+allem in diesen Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das
+instinktmaessige Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen
+Bearbeiter bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten
+und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn
+waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen ist, so sind
+Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die Menandrische Dichtung
+beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer verdient es noch ruehmliche
+Anerkennung, dass die roemischen Poeten des sechsten Jahrhunderts nicht an die
+hellenische Tagesliteratur oder den sogenannten Alexandrinismus sich
+anschlossen, sondern lediglich in der aelteren klassischen Literatur, wenn auch
+nicht gerade in deren reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich
+suchten. Ueberhaupt, wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige
+Missgriffe man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
+Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als reinliche
+Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und sie werden
+geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen durch den von dem
+Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag
+man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so
+sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen
+Dichtern des sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt
+werden. Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen
+Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu
+verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und
+flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste
+dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die
+poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; eher
+vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei aller
+Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen
+Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher
+gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden
+Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr
+als in irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende
+Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich nicht
+taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie selber sich
+gefeiert hat, dass sie den Sterblichen
+</p>
+
+<p>
+das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete
+Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275),
+Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum Beispiel
+die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch.
+810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon
+(Mil. 1247) bekannt gewesen sein.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes ist,
+so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige nationale
+Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger wollte, als die
+latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in
+Form und Geist hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und
+reinste Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die
+entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun.
+Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr
+wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten
+den Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der
+Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie im
+Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind
+Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und
+die Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden.
+Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit
+Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der
+gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit
+unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm
+behandelt. Man hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart
+getadelt und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten
+bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung
+indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern
+auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr
+als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden
+Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus
+Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den Hellenen selbst
+zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon griechische Verse zimmerte - wenn
+dieser Albinus sich in der Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des
+mangelhaften Griechisch damit verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei,
+war da die Frage nicht voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt
+worden sei, Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die
+Gewerbe des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und
+Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie
+es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken,
+dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen
+Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato selbst mit
+Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen Grosstaten mit sich nach
+Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen, die er in Rom und Athen
+kennenlernte, ein unverbesserlich elendes Gesindel zu schelten? Diese
+Opposition gegen die Bildung der Zeit und den Tageshellenismus war wohl
+berechtigt; einer Opposition aber gegen die Bildung und das Hellenentum
+ueberhaupt hat Cato keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das
+hoechste Lob der Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die
+Notwendigkeit begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die
+Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach
+die lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht und
+der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter griechischer
+Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem
+genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem
+Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem
+gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur
+Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom war, was
+Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen Empfindung beruht
+sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem
+roemischen Epos und einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die
+Schoepfung der lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die
+Goetter und Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht
+dem Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu
+stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes
+Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger
+ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der Gegenpartei,
+obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren roemischen, des appischen
+Sitten- und des Ackerbaugedichts eine didaktische Poesie in nationalem Versmass
+zu erschaffen, wenn nicht dem Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und
+achtungswert bleibt. Einen guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er
+hat denn auch die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt,
+eine prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
+Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein Publikum
+zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in seiner Zeit ziemlich
+alleinstand. So entstanden seine &lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo;, seine
+aufgezeichneten Staatsreden, seine fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings
+sind sie vom nationalen Geiste getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen;
+allein sie sind nichts weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich,
+nur freilich in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter
+griechischem Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines
+Hauptwerkes ist den griechischen &ldquo;Gruendungsgeschichten&rdquo; (κτίσεις)
+entlehnt. Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
+verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. Seine
+&lsquo;Enzyklopaedie&rsquo; ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
+griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische Mann
+angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem Vaterlande
+nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl verhaeltnismaessig gering
+angeschlagene literarische Taetigkeit. Er fand zahlreiche und wuerdige
+Nachfolger in der Rede- und der wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn
+auf seine originellen, in ihrer Art wohl der griechischen Logographie
+vergleichbaren &lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo; auch kein Herodot und
+Thukydides gefolgt ist, so ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt,
+dass die literarische Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie
+mit der Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
+sei.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^41 &ldquo;Von diesen Griechen&rdquo;, heisst es bei ihm, &ldquo;werde ich an
+seinem Orte sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung
+gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften
+einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und
+unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das
+Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders,
+wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren
+umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit
+man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen
+sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf
+die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im Lateinischen
+eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz unverfaenglich ist, und
+dass die Griechen auf die unschuldigste Weise dazu gekommen waren, die Italiker
+mit demselben zu bezeichnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und
+bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich
+weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den
+Schluss dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) faengt
+man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit
+ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit
+Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und
+vor allem die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten
+Basiliken nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen
+Basaren entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde
+von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch
+andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die
+Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren.
+Tiefer aber griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein,
+welche spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich
+allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen
+(peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle,
+Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl
+im Hofe wie im Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die
+Gartenhallen verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster
+kopiert oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach;
+&ldquo;unsere Vorfahren&rdquo;, sagt Varro, &ldquo;wohnten in Haeusern aus
+Backsteinen und legten nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges
+Quaderfundament&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die
+Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die
+Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im
+Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses
+abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele gleichartige
+folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was nicht viel spaeter
+das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es
+werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete,
+</p>
+
+<p>
+verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum
+</p>
+
+<p>
+die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
+</p>
+
+<p>
+Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
+Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter griechischer
+Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate Marcus Plautius Lyco,
+dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel zu Ardea diese Gemeinde ihr
+Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch eben darin sehr deutlich hervor,
+dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr
+Handwerk als Kunst war, sondern dass sie auch, wahrscheinlich noch
+ausschliesslicher als die Poesie, den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die
+Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch nicht
+fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des ardeatischen
+Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss,
+durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren
+dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht der
+korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen Tonbilder auf den
+roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius
+Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte
+den Zeus des Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus
+den eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten
+Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl
+dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel der alte
+strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) die Bildsaeulen
+der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern ihre erzuernten Goetter
+zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen Tempelpluenderungen immer
+haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius
+Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch
+Lucius Paullus (587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den
+Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung
+auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil
+der hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache; allein
+waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse poetische
+Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen
+auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege
+gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch
+gemacht worden.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+***** This file should be named 3062-h.htm or 3062-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/0/6/3062/
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
+be renamed.
+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+States without permission and without paying copyright
+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
+of this license, apply to copying and distributing Project
+Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
+concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
+specific permission. If you do not charge anything for copies of this
+eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given
+away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
+not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
+trademark license, especially commercial redistribution.
+
+START: FULL LICENSE
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
+Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
+www.gutenberg.org/license.
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+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
+Gutenberg-tm electronic works
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+possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
+Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
+by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
+person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
+1.E.8.
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+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
+United States and you are located in the United States, we do not
+claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
+displaying or creating derivative works based on the work as long as
+all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
+that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
+free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
+works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
+Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
+comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
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+check the laws of your country in addition to the terms of this
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+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
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+of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
+Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
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+
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+ agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
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+ within 60 days following each date on which you prepare (or are
+ legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
+ payments should be clearly marked as such and sent to the Project
+ Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
+ Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation."
+
+* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or destroy all
+ copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
+ all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
+ works.
+
+* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
+ receipt of the work.
+
+* You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
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+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
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+with your written explanation. The person or entity that provided you
+with the defective work may elect to provide a replacement copy in
+lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
+or entity providing it to you may choose to give you a second
+opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
+OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of
+damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
+violates the law of the state applicable to this agreement, the
+agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
+limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
+unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
+remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
+accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
+production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
+including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
+the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+
+</pre>
+
+</body>
+
+</html>
diff --git a/3062.txt b/3062.txt
new file mode 100644
index 0000000..2bec8d6
--- /dev/null
+++ b/3062.txt
@@ -0,0 +1,17756 @@
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by Theodor
+Mommsen (#3 in our series by Theodor Mommsen)
+
+Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the
+laws for your country before redistributing these files!!!
+
+Please take a look at the important information in this header. We
+encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic
+path open for the next readers.
+
+Please do not remove this.
+
+This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not
+change or edit it without written permission. The words are carefully
+chosen to provide users with the information they need about what they
+can legally do with the texts.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations*
+
+Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further
+information is included below. We need your donations.
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 3
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3062] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by Theodor
+Mommsen ******This file should be named 3062.txt or 3062.zip******
+
+Thanks to KGSchon for preparing this etext.
+
+Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions,
+all of which are in the Public Domain in the United States, unless a
+copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of
+these books in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our books one year in advance of the
+official release dates, leaving time for better editing. Please be
+encouraged to send us error messages even years after the official
+publication date.
+
+Please note: neither this list nor its contents are final till midnight
+of the last day of the month of any such announcement. The official
+release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central
+Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may
+often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to
+do so.
+
+Most people start at our sites at: https://gutenberg.org
+http://promo.net/pg
+
+
+Those of you who want to download any Etext before announcement can surf
+to them as follows, and just download by date; this is also a good way
+to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers
+produce obviously take a while after an announcement goes out in the
+Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02
+
+Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want, as it
+appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
+
+We need your donations more than ever!
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states.
+
+All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
+
+Mail to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
+
+We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to
+build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information at:
+
+https://www.gutenberg.org/donation.html
+
+
+***
+
+You can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your
+mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from
+prairienet.org, better resend later on. . . .
+
+We would prefer to send you this information by email.
+
+
+Example command-line FTP session:
+
+ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd
+pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through
+etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin
+for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g.,
+GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books]
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is
+this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you
+might sue us if there is something wrong with your copy of this etext,
+even if you got it for free from someone other than us, and even if
+what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small
+Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells
+you how you can distribute copies of this etext if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of
+this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree
+to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by
+sending a request within 30 days of receiving it to the person you got
+it from. If you received this etext on a physical medium (such as a
+disk), you must return it with your request.
+
+ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM ETEXTS This PROJECT GUTENBERG-tm etext, like
+most PROJECT GUTENBERG-tm etexts, is a "public domain" work distributed
+by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association
+(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a
+United States copyright on or for this work, so the Project (and you!)
+can copy and distribute it in the United States without permission and
+without paying copyright royalties. Special rules, set forth below,
+apply if you wish to copy and distribute this etext under the Project's
+"PROJECT GUTENBERG" trademark.
+
+Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any
+commercial products without permission.
+
+To create these etexts, the Project expends considerable efforts to
+identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these
+efforts, the Project's etexts and any medium they may be on may contain
+"Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete,
+inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other
+etext medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of
+Replacement or Refund" described below, [1] the Project (and any other
+party you may receive this etext from as a PROJECT GUTENBERG-tm
+etext) disclaims all liability to you for damages, costs and expenses,
+including legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR
+UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, INCLUDING
+BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL
+DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES.
+
+If you discover a Defect in this etext within 90 days of receiving
+it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by
+sending an explanatory note within that time to the person you received
+it from. If you received it on a physical medium, you must return it
+with your note, and such person may choose to alternatively give you
+a replacement copy. If you received it electronically, such person may
+choose to alternatively give you a second opportunity to receive it
+electronically.
+
+THIS ETEXT IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER WARRANTIES
+OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS TO THE ETEXT OR
+ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF
+MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE.
+
+Some states do not allow disclaimers of implied warranties or the
+exclusion or limitation of consequential damages, so the above
+disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other
+legal rights.
+
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+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
+is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
+in Greek words, nor is there any differentiation between the different
+accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte
+
+Drittes Buch Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung
+Karthagos und der griechischen Staaten
+
+arduum res gestas scribere arg beschwerlich ist es, Geschichte zu
+schreiben Sallust 1. Kapitel Karthago Der semitische Stamm steht
+inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der alten klassischen
+Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese am
+Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und
+die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes
+Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den
+syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von
+demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen
+Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre Heimat ist der
+schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und
+Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem Namen hat
+die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte
+der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber
+hiess Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Maenner",
+Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier
+pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet
+zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und
+der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo
+das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an die weithin sich
+ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht
+zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist.
+Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker
+aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt,
+Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten
+und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie
+in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und
+Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
+Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis
+oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und
+die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein,
+die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische
+Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle
+Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn,
+das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was
+es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum,
+um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz
+haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu
+werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
+an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das
+Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen
+und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb
+des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den
+Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen
+Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten
+zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die
+phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter
+den aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen
+Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr
+Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als
+zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phoenikischer
+Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich
+klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur
+der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst
+vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat
+der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist
+Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte
+man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die
+Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und
+ueber die in der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren
+die aeltesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der
+Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und
+hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der
+Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der
+Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen
+wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass
+das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des
+Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht
+erweisen, und was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen
+Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das
+Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die
+bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich beruehrten, zu zivilisieren
+und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker
+besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der
+Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen
+Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe
+Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem
+mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu
+den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke
+der sich selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von
+Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am
+Euphrat und am Nil herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den
+Aegyptern untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte
+sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner,
+berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten
+oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der
+schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel
+nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders
+sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie
+die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren
+sie auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der
+kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre
+Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den
+Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in
+fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame
+Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten
+vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
+oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und
+in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im
+westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und
+Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die
+Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal
+nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will;
+es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder
+Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum
+Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit
+offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen
+Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei
+Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
+gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem
+Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen
+des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der
+Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten
+schlagen lassen. Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten
+Gewaessern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass
+diese unter den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen.
+Es ist noch weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des
+Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit,
+welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns
+Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre
+Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie
+gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten
+mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der
+Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei
+der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste
+Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es
+geluestete sie nicht nach der Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das
+Buch der Richter, "nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und
+im Besitz von Reichtum". Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen
+keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an
+der Suedkueste Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in
+welche Gegenden weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche
+Rivalitaet der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber
+den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den
+Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten
+an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada oder,
+wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die
+frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
+vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten
+Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja
+die Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege
+Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des
+Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas
+durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern
+besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung des
+Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite
+als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von
+Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten
+Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
+Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und
+die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische
+Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch
+in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte
+Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht guenstigen
+Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle dort eine
+Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole,
+merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit
+solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage
+eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen
+Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt
+besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet
+auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an
+Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer
+den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber,
+den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste
+die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen
+Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch
+nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um
+sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. Aber
+bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch
+Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik
+draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich
+unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem
+eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben sich
+anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche
+zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht
+gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit griechischen
+Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, genuegte
+es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und
+Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene
+gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der
+Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher
+Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen
+Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der
+Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste von Tripolis
+festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phoenikischen
+Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen
+und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen
+stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite
+Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers
+den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von
+selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische
+Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach
+der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil
+sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen
+das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des
+vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber,
+namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die
+Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg
+zu einer grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des
+phoenikischen Wesens ist. Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser
+auswaertigen Erfolge, welche die Karthager veranlasste, in Afrika von
+Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um
+300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses
+entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten
+muessen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich.
+Von jeher hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre
+Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen
+Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn
+ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um
+Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den
+reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
+Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land -
+wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen.
+Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau
+scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der
+phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu
+sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen
+Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der
+Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen
+karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem
+unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (nomades) an den
+Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
+verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden
+jene zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die
+karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu
+stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt
+Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern
+erobert. Dies sind die "Staedte und Staemme (ethn/e/) der Untertanen",
+die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien
+libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. Hierzu kam endlich
+die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in Afrika oder die
+sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von Karthago
+aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste
+gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen
+sein koennen, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher
+Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste
+der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen
+altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius
+zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) -
+die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst),
+Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass
+sich all diese Staedte unter karthagische Botmaessigkeit begaben, ob
+freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und
+Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber
+ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen
+Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen
+muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes
+waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen,
+sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis
+zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000
+Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und
+konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl
+weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager gegen
+ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine
+Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker
+fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen
+Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im
+auswaertigen Verkehr sind es stets "Karthago und Utica", die zusammen
+festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass
+die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie
+behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines
+maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen
+Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil
+(Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der
+Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den
+heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland
+beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
+vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller
+bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische
+Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien
+die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher
+Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen
+und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen
+fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu
+phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik
+Karthagos. ---------------------------------------------- ^1 Die
+schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem
+karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz
+einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen
+heissen: oi Karch /e/doni/o/n ?parch/e/ osoi tois aytois nomois
+chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes- symmachides poleis Diod. 20,
+10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr
+Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium
+folgt aus den "gleichen Gesetzen". Dass die altphoenikischen Kolonien
+zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer
+libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich
+der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus
+des Hanno: "Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der
+Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker gruende". Im
+wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine
+nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht
+wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten
+Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie
+denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den
+Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur.
+42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den
+Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. ^2
+Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die
+Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines
+der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint
+allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das
+phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer
+die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern
+erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen
+Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr
+wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer
+Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der
+die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben
+wurden. ------------------------------------------------- Die Epoche,
+in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen
+stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die
+Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte
+Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies
+derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann
+er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen
+Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms
+ausgefuellt hat. Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das
+Sinken der grossen phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und
+besonders von Tyros, dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen,
+teils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch
+Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften
+Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und
+die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der
+gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre
+Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker
+mit Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
+kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber
+die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen
+Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder
+gewaltig sich entwickelt. In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker
+die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie
+westlich und oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das
+Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und
+Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland
+den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht
+bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
+Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte
+Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es
+ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
+waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den
+tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen
+Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von
+Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und
+die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades
+beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern
+selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als
+Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
+Kaempfe gefuehrt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende
+des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz
+in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die
+Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung
+zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der
+Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten
+phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften
+durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. In Sizilien endlich
+war zwar die Strasse von Messana und die groessere oestliche Haelfte der
+Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen; allein den
+Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren
+Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen
+namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils
+die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von
+Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus
+die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem
+Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in
+Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein
+verhaeltnismaessig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von
+den Persern veranlasste Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen
+Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und
+der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien
+(339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich,
+einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr
+Gebiet. Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig
+genug; allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie
+die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz
+Suedspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und
+Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung,
+sowohl an der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der
+Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu
+einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur
+das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern
+Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die
+Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den
+ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago
+sogar gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz
+der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen
+Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden
+bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe
+des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische
+Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an,
+nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber
+das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch
+die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das
+naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen
+und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von
+Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der
+sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und
+die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die
+bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana,
+wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund
+aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier
+zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die
+fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner,
+die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto
+sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen
+Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den
+Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta,
+Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an
+den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden
+Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten
+sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen.
+Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons
+410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476
+(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus
+und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen
+die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios,
+Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die
+Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich
+das Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der
+Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit
+ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und
+Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und
+abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die
+Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder
+Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war
+wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch, die
+syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser
+gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler
+das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion,
+Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte.
+Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend
+immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu
+monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum
+Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse
+der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560
+275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien
+oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in
+die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt
+es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die
+spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom
+Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen
+mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss. Die Verfassung
+Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein
+Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der
+monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich
+neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung
+der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich
+der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der
+Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die
+auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt
+wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte
+erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die
+Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm
+eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig
+die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
+adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist
+zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig
+scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben;
+hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht
+selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des
+Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die
+Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten
+und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
+Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die
+ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht
+beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine
+den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine
+feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist
+derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden
+gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch
+war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern
+ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich
+als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und
+ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer
+Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen
+Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand
+sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat
+hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die
+monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und
+der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige
+durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische
+Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden
+und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte
+ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung
+und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die
+Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die
+Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch
+gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die
+Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt
+wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt
+blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren
+genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man
+das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation
+hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber
+charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen
+Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt
+zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren,
+aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten
+nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach
+Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem
+Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die
+Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft
+gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten
+auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils
+dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum
+Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und
+dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem
+Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
+den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. Die karthagische Buergerschaft
+scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive
+Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei
+nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den
+Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel;
+bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber
+wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung
+erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die
+Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte
+kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward
+wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt;
+die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und
+den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch
+geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen
+"Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr
+niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst.
+Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische
+Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei
+einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend
+einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden
+staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern
+und vornehmen Voegten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf
+Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu bringen, indem sie als
+Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen Gemeinden ausgesendet
+werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten staedtischen
+Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als
+die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen
+Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch
+von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb
+fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende
+Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten
+imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der
+Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine
+demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht
+mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe
+voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen
+Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit
+rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei:
+die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte
+Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen
+Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf
+Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Rates der
+Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne und damit die volle
+Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein
+Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war.
+In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und
+reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden,
+auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische
+Buergerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen
+wird, war so zuchtlos, dass sie insofern es wohl verdient hatte,
+machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus
+Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben
+sie machen halfen. In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder
+Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des
+Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis
+des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten
+finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs
+verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der
+Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und
+Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben
+und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische
+Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen
+und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
+Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt,
+sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet
+und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward.
+Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit
+der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phoenikischen
+Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv
+zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes an
+Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
+Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen uebrigen
+Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der
+Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren,
+wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss
+nach Karthago mittelbar die Grundrente "des besten Teils von Europa" und
+der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen
+Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der
+Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die
+auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten
+schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich
+goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden, wie man
+durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss
+aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen
+Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und
+Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand.
+Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom,
+zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht
+vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische
+Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich
+nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln
+weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber
+auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der
+Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und
+geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des Mago und
+der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der
+karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals
+Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die
+allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde
+fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem
+kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der
+durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in
+Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der
+Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des
+Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen
+Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
+kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert
+hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts
+dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben
+vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben
+wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht
+des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und
+eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne
+Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
+Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach
+dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen
+sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die
+Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen
+Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer
+spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter
+allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen
+Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und
+Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
+dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat
+eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe
+geloest als Karthago. ------------------------------------ ^3 Der
+Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der
+Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17),
+lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen
+'Poeners' heisst es von dem Titelhelden: Die Sprachen alle kann er, aber
+tut, als koenn' Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr
+mehr? ------------------------------------- Vergleichen wir die Macht
+der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und Kaufstaedte und
+lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische
+Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe,
+nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als
+Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom
+damals noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht,
+und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und
+Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse
+der Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung
+war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und
+dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In
+Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene
+Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch
+altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die
+karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
+Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren
+zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes
+Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus,
+wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist
+bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende. Beider
+Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die
+Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die
+strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde
+den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich
+des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und
+mit einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers
+zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische
+Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne
+streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung
+erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig.
+Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete
+und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
+brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen
+beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die
+Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen
+war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder
+sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt
+vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der roemischen
+Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die Gunst des
+Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und Halbheit; waehrend
+die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung
+vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen Aufgaben
+ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen,
+um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige
+Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung,
+in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und
+gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der
+opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen. Karthago
+wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde
+Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein
+Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich
+Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich
+ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf
+dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden
+Anteil an den Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen
+Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen Staaten durch
+materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine
+Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss
+fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten
+besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal
+den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner
+eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin
+und belastete selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins,
+waehrend die unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt
+wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine
+einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz
+Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde; in dem
+roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen
+ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die
+politische Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum
+Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als
+zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die
+phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
+Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
+karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen
+kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung
+bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren
+Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken,
+die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches
+Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen.
+von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem
+Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen
+Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen
+Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu
+sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten
+ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit dem
+Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und
+ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier
+sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere
+Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich dies
+bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der
+wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen
+Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine
+ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach
+dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte
+des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
+ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen
+ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den
+Roemern die Samniten und Tarentiner. Finanziell ueberstiegen die
+karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um vieles die roemischen;
+allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass die Quellen der
+karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, wenn man
+sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass
+die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die
+roemische. Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren
+sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen.
+Die karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt
+700000 Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am
+Ende des fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie
+vermochte im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000
+Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer
+hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen
+Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des
+Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der
+waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber
+weit mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem
+Effektivstand des Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische
+Regierung auch es sich angelegen sein liess, die Buerger zum
+Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker
+und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den
+angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im
+fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine "heilige
+Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet
+sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit
+Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die
+roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf
+den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten
+der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere
+Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
+ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch
+weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren,
+indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit
+Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000
+Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese
+nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen
+bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter
+tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte
+Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften
+der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und Spaniens
+und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen
+Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben
+scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein
+solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige
+Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an
+Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen;
+allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten,
+ehe dieselben bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die
+roemische Miliz jeden Augenblick auszuruecken imstande war, sondern,
+was die Hauptsache ist, waehrend die karthagischen Heere nichts
+zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die
+roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland
+band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine
+Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im
+Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der
+Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396),
+der einen gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher
+jener zum Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den
+Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und
+Soeldnerheere ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem
+Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte
+gefaehrlicher erfunden als seine Feinde.
+--------------------------------------------------- ^4 Man hat an der
+Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den Raum
+die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet.
+Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich
+in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu
+erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht
+staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass dabei
+also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder in
+der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland sich
+aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl in
+Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus
+gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
+als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
+---------------------------------------------- Die Maengel dieses
+Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und
+suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt
+auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner
+ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den
+Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe
+wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die
+Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt
+hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300
+Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu befestigen, konnte man freilich
+nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Afrika
+gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Staedte
+und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten
+unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette
+roemischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die
+Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten;
+und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Staerke der
+karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch und militaerisch so
+gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung niemals erfahren hat.
+Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man
+die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der Schiffe
+waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute
+man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen
+Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der
+Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich
+Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich
+eingeschult und die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung
+war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen
+Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht
+imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die
+Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte. Fassen
+wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden
+grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines
+einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der
+Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren.
+Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl
+aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche
+Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass
+es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden eigenen
+Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie in
+irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
+Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich
+nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem
+solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit
+der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen,
+sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab;
+dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See
+schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in
+Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin
+gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und
+waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg
+begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich
+in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten,
+auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. 2. Kapitel
+Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Seit mehr als einem
+Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den
+syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten
+ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem
+Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen
+Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit
+der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen
+Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon
+und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phoenikischen
+Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht,
+ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen
+Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die
+unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314)
+hatte Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von
+Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie
+der Syrakusier ueber saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos'
+Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem
+groessere Haelfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in
+Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der
+Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in
+Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt
+und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den
+Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten.
+Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste
+Wesen (I, 368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien
+gemacht, was spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen
+Werbeplatz fuer die soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von
+den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die
+barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen
+Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie
+verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung
+ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die
+kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und
+es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf
+hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an
+Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
+Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer
+Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle,
+vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei,
+leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua
+selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft
+in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die
+politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in
+Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien
+gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher
+Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer
+Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode
+(465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in
+Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz
+der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten
+Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die
+Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt
+und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmaenner", wie sie sich nannten,
+oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren
+nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles' Tode sich
+unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch
+welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel
+ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen
+Gegner in naechster Naehe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten
+die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Koenigs
+gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. Es ziemt der Historie weder, den
+treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich
+bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Suende der
+Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte
+ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die
+Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier
+eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing,
+die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die
+allmaehlich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der
+ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht
+mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen
+Kraeften aufzunehmen. Zunaechst indes kam es anders. Ein junger
+syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte
+Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig
+Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen
+Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der
+syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles
+Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den
+Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge
+Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er
+schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten
+Despotenunfugs gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen
+Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des
+unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und
+versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig,
+mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die
+tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern,
+die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der
+Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der
+Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor
+kurzem ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte,
+die Schmaelerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und
+Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde
+mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und
+Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen
+schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg,
+nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270),
+gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem
+die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich
+aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron
+laenger mit eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf
+Bedingungen nicht moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen
+Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der
+messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die
+Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer,
+denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des
+wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es
+vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu
+ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich
+endlich die Majoritaet der kampanischen Buergerschaft, den Besitz
+der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen. Es war ein
+weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten
+der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem
+ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen;
+aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und
+wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher
+vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter
+der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche Maenner freilich mochten
+fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran
+denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern,
+nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit gerechter Haerte von
+den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen
+sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von Staats
+wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab
+damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen
+liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste.
+Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral
+keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische
+Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen
+hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die
+gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern
+die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt,
+ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte
+Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach
+dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich
+gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es
+begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und
+zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus
+und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, die
+Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie
+Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den
+Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu
+gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt
+in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in
+seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht
+erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch
+ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es
+gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so
+nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien
+und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten
+Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem
+Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass
+zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens
+aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
+Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
+Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago
+fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war,
+Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit
+dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und
+rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die
+Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen,
+dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der
+Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den eigenen
+Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand
+zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es
+weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag
+der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam
+zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche
+die Sache verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene
+Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern,
+wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen,
+den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motiviert war
+die Unterstuetzung der Mamertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom
+ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen Italiker wurden
+in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag der
+Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489
+265). --------------------------------------------- ^1 Die Mamertiner
+traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen Gemeinden,
+verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und
+besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht.
+--------------------------------------------- Es kam darauf an, wie die
+beiden durch diese Intervention der Roemer in die Angelegenheiten der
+Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom
+verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron
+hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen
+ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen,
+ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall
+die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern
+mit einer Kriegserklaerung zu antworten; blieb er indes allein, so
+war ein solcher Krieg eine Torheit und von seiner vorsichtigen und
+gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in das Unvermeidliche
+sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien
+dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben
+Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu
+bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu
+verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden
+tauchten auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter
+anderen Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit
+Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich,
+wie die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu
+reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die
+beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht
+und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige
+Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die
+Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen
+Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst
+den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen
+Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt
+gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens
+als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die
+italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als
+innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann,
+und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische
+Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war.
+Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
+endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
+Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
+roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
+erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
+Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen
+Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und
+den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben
+sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg
+karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals
+Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische
+Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig
+gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass
+man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte
+und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
+nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen
+die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf;
+doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle,
+keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten
+Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als
+haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie
+die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken,
+und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, berief
+er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in
+derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend,
+den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung
+selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie
+die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren
+kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben,
+diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die
+Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in den Haenden
+der Roemer. Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber
+die Torheit und Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und
+erklaerten den Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen
+Platz wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von
+Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend
+sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte
+karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf
+das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
+beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen
+Messana und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. Allein
+mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit
+dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang
+die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck
+waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff
+des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den
+aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen
+und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das
+roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus;
+allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von
+Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust
+hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck nach
+Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach
+Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer
+moegen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul
+nicht triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in
+Sizilien nicht verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck
+zu machen. Im folgenden Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so
+starkes Heer ungehindert die Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius
+Maximus, seitdem von diesem Feldzug "der von Messana" (Messalla)
+genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die verbuendeten Karthager
+und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das phoenikische Heer
+nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht
+bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen
+Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische
+Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er
+folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass
+es den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort
+ihnen anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und
+Opfer zu erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana,
+die eine eigene Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen
+roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten
+jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr
+wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten,
+sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle
+Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems
+von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu
+erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und
+geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. Fuer die Roemer war
+hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das Doppelbuendnis mit Messana
+und Syrakus und den festen Besitz der ganzen Ostkueste war die Landung
+auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unterhaltung der Heere
+gesichert und verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg
+einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte denn auch
+fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in
+Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste
+Jahr (492 262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im
+Einverstaendnis mit den sizilischen Griechen die Karthager ueberall
+in die Festungen zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager,
+Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in
+Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste
+zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten
+die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die
+Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel
+am Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei
+Herakleia und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die
+Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Not gross; man entschloss
+sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der
+Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische
+Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen
+Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg,
+allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg
+der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach
+der Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der
+belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu
+erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in
+die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit
+Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar,
+Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und
+weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg
+spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus
+den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen
+Kuesten. In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen
+Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie
+erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten,
+es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen koenne kein
+Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war diese Drohung
+wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne Nebenbuhler
+die See und hielt nicht bloss die sizilischen Kuestenstaedte im Gehorsam
+und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte auch Italien mit
+einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische Armee
+hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es
+nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den
+italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und,
+was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner
+Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so
+fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus
+vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die
+Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden
+sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was
+Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht
+war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu
+ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte
+zu schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert
+Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen
+Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende
+Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst
+die Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase;
+Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und
+auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren
+dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich
+gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von Karthago
+ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der Linie
+verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die Massregel
+der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von
+Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und
+eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff
+zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren
+Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere als Modell.
+Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der
+Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen koennen;
+allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien durch
+eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
+die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die
+Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen
+Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name
+(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den
+Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der
+Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere
+Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man
+teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus,
+teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es
+begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert
+ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines
+Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der
+Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam dieselbe der
+karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und
+es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser
+Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und
+Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von
+demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit;
+allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im
+Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile
+mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe
+pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss
+gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der
+Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann
+nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes
+Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten
+nach Verhaeltnis. Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was
+den roemischen Schiffen bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und
+Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste,
+dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine
+bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes
+eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin
+niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren
+versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche
+Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss
+vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen
+Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein;
+wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den
+roemischen Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das
+feindliche Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu
+erstuermen. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach
+Beduerfnis die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt
+vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte
+zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den
+einzelnen Schiffen fechten. So schufen sich die Roemer eine Flotte,
+die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem
+roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies
+ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der
+Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch
+Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit,
+durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer
+Lage gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. Der Anfang
+indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der Konsul
+Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen
+Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der
+Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine
+Abteilung der bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte
+den Hafen der Insel, in dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen
+waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem Konsul ohne Kampf gefangen.
+Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen
+beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf
+der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein schwaecheres
+karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte,
+einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen,
+und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der
+zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen
+Kollegen uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von
+Messana, traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos
+herankam, auf die roemische, welche hier ihre erste groessere Probe
+bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und unbehilflichen
+roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich in
+aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken
+bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und
+stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war
+ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die
+gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als
+die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe,
+fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen,
+unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs
+Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck.
+Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der
+Hand, den Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen
+Handel den Ruin zu drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren. Es
+gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
+italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
+Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
+kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
+durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung
+dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht
+genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder
+man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht
+auf Afrika werfen, nicht in Agathokles' abenteuernder Art die
+Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines
+verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die Verbindungen
+der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem Falle
+liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten
+Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit
+aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. Man
+waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht
+von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria
+auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser
+Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien.
+Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen,
+misslang, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre
+(496 258) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen
+Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung
+der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts.
+Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss
+mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen
+Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich
+einige von den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder
+entrissen werden, und in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager
+sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in
+ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung
+wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites
+grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide
+Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge.
+In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem
+geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen
+liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer
+Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
+strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall
+nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer
+ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der
+wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten.
+Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Kuesten
+aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als
+vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und
+ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das
+System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr
+498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der
+libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer
+Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen
+unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius
+Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess
+es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf
+der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die Roemer die feindliche Flotte
+auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat
+vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben groessere Massen zur See
+gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen. Die roemische
+Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung
+ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von
+350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass
+gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren,
+um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die
+Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken
+Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich
+ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze,
+in schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite
+Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei
+gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss.
+Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte
+ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige
+Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst
+angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht
+loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit
+den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen
+Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der
+linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte
+roemische Geschwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert
+ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte dasselbe in heftigem
+und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die
+roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen
+See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen
+war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens,
+offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen
+Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden
+anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen
+Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen
+zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis
+die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch
+erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des
+rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem
+auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle
+noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil
+verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser
+umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige
+Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24
+Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die
+karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht
+auf, Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von
+Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu
+liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der westlichen
+Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der
+oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden
+Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf
+einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine
+vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie
+die Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war
+ein verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte
+seine Operationen beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und
+brandschatzten das Land; bis 20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt
+werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf
+den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu
+stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der Beschluss des
+Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee nach
+Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit
+40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die
+Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt
+sich in die Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den
+waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei
+und die Elefanten nicht verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in
+Masse, die Numidier standen auf und ueberschwemmten weithin das offene
+Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten Feldzug zu beginnen mit der
+Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in
+Tunes sein Winterlager aufschlug. Der Karthager Mut war gebrochen; sie
+baten um Frieden. Allein die Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht
+bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, sondern Eingehung eines
+ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager verpflichtet
+haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den roemischen
+Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit
+Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen
+werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische
+Flotte auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die
+gewaltige Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch
+den tief gesunkenen, bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig
+aufzuflammen pflegt, diese Energie der hoechsten Not trieb die Karthager
+zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben
+mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer
+so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der
+sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen
+trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager
+fuehrten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise
+zu und ebenso zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten
+Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organisierungstalent und
+strategische Einsicht seinen neuen Dienstherren von grossem Nutzen war
+^2. Waehrend also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen
+trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht
+ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog, oder
+mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage
+erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht
+imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die
+Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern
+der feindlichen Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem
+Schiffslager zu sichern versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen,
+was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch Verhandlungen mit den
+aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine
+gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein Heer also
+in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten
+Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255),
+hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager
+es waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht
+anboten; natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus
+fertig zu werden, ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus
+demselben Grunde haetten die Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen
+auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die
+Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke - denn obwohl die Zahl des
+Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch
+den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes
+Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager
+hatten sich auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes,
+aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager kommandierte,
+warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewoehnlich
+auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen
+Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und das
+roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt.
+Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor
+gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben
+aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der
+Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den
+Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten
+feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss
+die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den
+Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar
+ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden
+doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche
+linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo
+die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der
+Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei
+ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte;
+nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten
+leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen Legionen
+sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu
+erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der
+spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von
+den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm
+an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis
+es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der
+Schaendlichkeit steuerten ^3. ------------------------------------------
+^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos' militaerisches Talent
+Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen
+Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu
+lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der
+Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen,
+dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios
+nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet
+worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht
+in aegyptische Dienste. ^3 Weiter ist ueber Regulus' Ende nichts mit
+Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251),
+bald 513 (241) gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere
+Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen
+suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen
+wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge
+obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt;
+widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten
+und schlichten Geschichte.
+--------------------------------------------------- Wie die
+Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich
+gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft.
+Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem
+schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114
+Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit,
+um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer
+Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die Katastrophe
+eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln moegen,
+der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein Ende gemacht haben
+wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf verloren,
+dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen
+auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und
+leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der
+Landung in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen
+afrikanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager
+versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und
+den Untertanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine
+ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber (1740000 Taler)
+und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen abgefallenen
+Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer
+dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der
+karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der
+Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich,
+als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das Unglueck den Roemern
+das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte in einem schweren
+Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft zugrunde;
+nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene
+hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen
+Admirale die Fahrt einmal also befohlen. Nach so ungeheuren Erfolgen
+konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum
+ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit einem
+starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es
+waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld
+zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den
+Mangel eines guten Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen
+zu ersetzen. Auch die Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf:
+die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung
+von Clupea beweist, im roemischen Senat sofort wieder der Partei die
+Oberhand gegeben, die den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich
+begnuegte, die Inseln allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu
+bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man
+bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte,
+baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde
+auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele
+zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei
+Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254)
+erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe
+zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen
+Angriff von der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen
+Siziliens, Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren
+Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass
+am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern
+verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer
+auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen
+standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen
+Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine
+Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. Im folgenden Jahre (501
+253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren Vorteile in Sizilien
+zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht um zu landen,
+sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie damit
+zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten
+unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen
+und mit Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen
+Sizilien und Italien ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete;
+auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten,
+den Weg laengs der Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von
+Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern
+muessen. Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen,
+die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die
+Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken.
+Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine
+guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte
+Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige
+Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im
+Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
+Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503
+251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben
+aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils
+in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder
+Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von
+den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden
+gefangen, und das karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren
+beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb,
+nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende gefallen war
+(505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und
+Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg
+des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei
+im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen,
+die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen
+und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu
+lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte,
+die Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte
+kennt, wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer
+Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe
+von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren,
+vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden
+und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der
+Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige
+Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen
+Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem
+karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren,
+Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu
+werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher
+war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die
+Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien
+sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein
+der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff
+ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall
+erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis
+anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang
+den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall
+abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die
+roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
+Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser
+und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf
+Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen
+Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel
+leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der
+Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte
+Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen,
+die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen.
+Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um
+geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der
+Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
+Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu
+gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan
+zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die
+karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte
+unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das
+Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um
+Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
+Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit
+Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische
+Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht
+und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die
+roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden
+Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite
+seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben
+in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten
+Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und sich
+gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser
+rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung
+und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der
+feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach,
+die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils
+so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder
+zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu
+Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie
+begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass sie
+fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem
+er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel
+der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord,
+fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse
+Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon
+war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer
+der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war
+diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen
+ernstlich zu versperren, und konnte vor dem Angriff der karthagischen
+Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers. Die
+eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen
+Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und aufreibenden
+Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut noch
+an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den
+Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius
+Pullus, der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon
+bestimmten Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte
+laengs der suedlichen Kueste der Insel mit der zweiten roemischen
+Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, beging, statt seine Schiffe
+zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten Transport allein abgehen zu
+lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische
+Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die
+roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht
+erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die
+beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab
+und zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina
+in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden
+freilich von den Roemern tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier
+wie ueberall an der Kueste schon seit laengerer Zeit errichteten
+Strandbatterien; allein da an Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer
+die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die Vollendung seines
+Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete
+denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden
+vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit
+seinen unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die
+Mannschaft und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu
+retten (505 249). Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun
+ins sechzehnte Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter
+ab zu sein als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege
+zugrunde gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes
+ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet
+die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien
+die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert
+hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus
+zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um
+etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
+Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und
+daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer
+traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse
+ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der
+unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare
+durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein
+schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man
+den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit
+frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich
+gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
+unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden
+gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als
+je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt
+gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die
+Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel-
+und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als
+die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber
+ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu
+den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte
+die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
+Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen
+bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung.
+Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht
+anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu
+beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch,
+seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst
+kostspielige Anstalten erforderte. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit
+gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demuetigen imstande war.
+Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte gefuehlt ward, versteht
+sich; indes wie die Sachen standen, konnten die phoenikischen Finanzen
+unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der
+ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und
+nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung
+war eben nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein
+leichter und sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh,
+der roemischen Flotte los zu sein, liess man toericht auch die eigene
+verfallen und fing an, nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und
+zur See auf den kleinen Krieg in und um Sizilien zu beschraenken. So
+folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten,
+welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos
+auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und
+handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas,
+das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm
+im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee
+wie in jeder karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten
+Infanterie; und die Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu
+schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen verpflichtet
+gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und hoechstens
+die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar
+beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen
+Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner
+Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im
+besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das
+Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts
+koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag
+seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den
+Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu
+setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen
+im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer
+ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei
+Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich
+mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen
+und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend
+phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So
+ernaehrte er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu
+begehren, und bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend,
+das wichtige Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht
+bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben,
+sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf
+sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der
+auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel
+der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und
+von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte
+das Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits
+blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels
+gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein
+schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
+pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
+Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich
+nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und
+der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der
+sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer
+zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine
+Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon
+klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, und die
+Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner sich dreist
+wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener zeigten sich
+die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen eine
+dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen.
+Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was
+spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. Indes
+der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der
+Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich
+eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne
+Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein
+Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den
+Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die
+Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan,
+Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern
+vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch
+Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so
+grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
+patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer
+den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften
+abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als
+dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass
+eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges
+zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen
+freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den
+Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre
+zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort
+kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar
+seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und
+fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon
+und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch
+begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden
+Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man
+ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu
+Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und
+als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der
+Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine
+schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft,
+ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht
+erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein die roemischen
+Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der heiligen
+Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen
+Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241).
+Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut
+gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul
+Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius
+Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die
+schwer beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde;
+fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein
+in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen
+Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den
+Frieden. Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral,
+was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen
+Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar,
+der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet
+sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder
+seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben.
+Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die See
+beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere Kasse
+vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen versucht
+hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die roemische Flotte
+zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die Insel
+auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen
+Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass
+Rom sich verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit
+der roemischen Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen
+untertaenigen und abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten
+oder Krieg zu beginnen oder in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben
+oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die Nebenbedingungen anlangt, so
+verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der roemischen Gefangenen und
+die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung
+des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer
+ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit
+Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den
+Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von
+18 Denaren (4 Taler) fuer den Mann.
+----------------------------------------------------- ^4 Dass die
+Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet der
+roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst
+nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich
+genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3,
+27). ----------------------------------------------------- Wenn den
+Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien,
+so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann
+sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch
+den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen
+Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung,
+wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch
+wiederholen laesst, vielleicht selbst Hamilkars Persoenlichkeit
+mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher Nachgiebigkeit zu
+bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf
+unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem
+Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt
+hatten, anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies
+geschah, wissen wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob
+die Opponenten den Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige
+Konzessionen mehr abzudringen, oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus
+von Karthago den Verzicht auf die politische Unabhaengigkeit gefordert
+hatte, und entschlossen waren, den Krieg fortzufuehren, bis man an
+diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden handelte, sondern
+um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, so war
+sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes
+andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und
+erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an
+Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende
+Partei in der vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das
+einzige fuer die roemische Gemeinde genuegende Ende des Kampfes
+erblickte, so zeigte sie politischen Takt und Ahnung der kommenden
+Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um den Zug des
+Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, um
+nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu
+brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn
+zu beantworten jetzt niemand wagen kann. Schliesslich uebertrug man die
+Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, die in Sizilien an
+Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im wesentlichen den
+Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu zahlende
+Summe erhoeht auf 3200 Talente (5 Mill. Taler), davon ein Drittel
+gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der
+Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und
+Sizilien in den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin
+nur eine redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago,
+wenn es Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte
+besetzte Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich
+von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika
+absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe,
+ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. So war man endlich
+einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation stieg herab
+von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren der
+Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert
+Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern
+alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte
+Frieden (513 241). Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe,
+welcher die roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die
+Halbinsel einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen
+die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende
+Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht
+geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente,
+die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer
+militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt
+haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines
+Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
+italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der
+roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich
+organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese
+hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der
+in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten
+Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die
+Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und
+Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten;
+der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen
+kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
+nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen
+der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass
+eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben
+Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen
+Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus
+in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils
+hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde
+eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die
+Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der
+die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
+jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem
+Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen
+und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren
+Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen
+und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen
+und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch
+weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein
+Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung und
+den kommandierenden Buergermeistern entschluepften? Offenbar wusste man
+beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im Laufe des Kampfes
+draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine nach der
+anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen
+militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die
+vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab
+durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch
+diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger Notbehelf und ist es
+zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine roemische Flotte, aber
+man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets
+stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem
+hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils
+italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und
+Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei
+Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal
+zu Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies
+zum Teil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren
+und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen
+wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen
+Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation
+benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch
+die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht
+herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten
+Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah
+nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen
+in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung
+dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag
+gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die
+sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der
+Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem
+System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler
+beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der
+Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte
+belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen,
+die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern
+fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen
+wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen
+anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber
+freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines solchen
+Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue
+Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren.
+Regulus' Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken
+befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es
+gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge
+in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo
+fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine
+erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat zog die
+halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen Ueberlegenheit
+der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der
+Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die
+Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich ueberwinden zu
+lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein
+tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch
+die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der
+Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige
+Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig
+geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von
+militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das
+freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es,
+dass man das Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls
+der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte,
+nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den
+schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind
+nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der
+anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. Rom hat endlich gesiegt;
+aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, als er zu Anfang
+gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische Opposition, auf
+welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die Halbheit
+und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom
+gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter
+und der Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel
+der roemischen Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner
+Feinde. 3. Kapitel Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen
+Grenzen Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des
+fuenften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien
+vereinigte unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden
+vom Apennin bis an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte
+Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten
+hin ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres
+italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im
+Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits
+im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem
+grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel
+verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich
+die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana
+zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen
+Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten
+und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die
+augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende
+politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber
+begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen
+Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine
+neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche
+Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch
+und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
+niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige
+Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der
+Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und
+Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der
+Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich
+mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des
+Werkes zu erleichtern. In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr
+in Betracht kam als das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung,
+die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den
+karthagischen Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer
+uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten
+zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis
+festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch
+gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss
+begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so
+ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den
+Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein
+Gebiet - das heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die
+Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion
+- und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder
+Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang
+gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem
+voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also
+fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des
+Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens,
+in Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich
+haeuslich ein. Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes
+doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer
+zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete
+sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese
+zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika
+hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner
+und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert.
+Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die
+karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren
+seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen
+Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
+erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach
+Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er
+sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise
+abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber
+hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so
+sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und
+dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer
+wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem
+versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter
+den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte
+den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren
+gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten;
+sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte
+Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche
+Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre
+Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer
+wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause
+zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben
+und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten, als
+sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um
+Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck
+herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge
+karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere
+des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon
+war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende
+karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers
+gaenzlich geschlagen. Wie man also in Rom den gehassten und immer
+noch gefuerchteten Feindin groesserer Gefahr schweben sah, als je die
+roemischen Kriege ueber ihn gebracht hatten, fing man an, mehr und
+mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen, der, wenn er nicht
+wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und
+zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war, wie
+maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot
+zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja
+man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien
+Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern,
+mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der
+Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr
+ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen
+Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den
+die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee
+zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer
+Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer
+dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung.
+Auch die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen
+Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich
+der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert
+hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die
+Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten,
+den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche
+Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an
+dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars
+aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom
+zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
+Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die
+roemische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die
+Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was
+von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit
+schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft die
+Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft es
+nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu
+machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann,
+dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn
+nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
+Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig
+ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider
+Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars
+Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft
+eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom karthagische
+Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer,
+nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen
+oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber allerlei Unbill,
+die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt haben sollten, und
+eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in der Politik jeder
+darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten Schamlosigkeit.
+Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen Krieg
+annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung
+bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben.
+Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der
+Staat durch den vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast
+fuenfjaehrigen entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht
+war, musste man wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche
+Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die
+mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung von
+1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer
+widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu
+man Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht
+noch vom letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen.
+Indes beschraenkten die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten,
+sich in Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung
+der Kuesten. Mit den Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige
+Kriege, oder vielmehr man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie
+mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber
+an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst
+willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens.
+Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die
+Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen.
+--------------------------------------------- ^1 Dass die Abtretung der
+zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die der Friede von
+513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht
+einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht
+beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem
+Frieden damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie
+bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit
+hinzugefuegt haben. --------------------------------------------- Die
+Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische
+Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus
+blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden,
+aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten
+Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und der
+ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen
+Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen.
+Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die Konsuln,
+einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr
+Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment;
+wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in
+das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie
+in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden
+Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit
+ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den
+latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden Vertraege
+einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch Italien verteilten vier
+Quaestoren beschraenkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens
+nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den
+Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese
+Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete
+erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren unter
+Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man
+sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die
+ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der
+roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung
+der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke
+stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste
+jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration
+in der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen
+ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst
+Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang
+und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber,
+gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in
+seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war.
+Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln,
+so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere
+Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und
+in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die
+Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres
+Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. Diese Verschiedenheit in der
+Oberverwaltung schied wesentlich die ueberseeischen Besitzungen Roms
+von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen
+Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf
+die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne
+Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht
+sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein
+Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
+Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen.
+Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen
+Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative
+Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit einem
+unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war
+es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf den
+Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs scheint
+dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, wenigstens
+in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht, in edlen
+Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb nicht
+bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass
+das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum
+verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es
+behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden
+die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht
+in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch
+zugelassen ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall
+beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische
+Aristokratie repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner
+wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte
+Jahr dem roemischen Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu
+veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung
+unter den roemischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne
+Uebersicht der finanziellen und militaerischen Hilfsmittel einer jeden
+abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht regieren konnte; und auch in den
+italischen Landschaften war in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche
+geschehen. --------------------------------------------------- ^2 Dahin
+fuehren teils das Auftretender "Siculer" gegen Marcellus (Liv. 26, 26
+f.), teils die "Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden" (Cic. Verr.
+2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte Analogien
+(Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden commercium
+zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium
+noch keineswegs. ^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und
+Silbermuenzrecht in den Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar
+weil auf das nicht auf roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld
+es weniger ankam. Doch sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in
+der Regel auf Kupfer- oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt
+worden; eben die am besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien,
+wie die Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner,
+wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen.
+---------------------------------------------- Aber neben dieser
+wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den italischen
+einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein folgenreicher
+Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten
+abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer
+oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen
+Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht
+eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie
+verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen
+Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden konnten.
+Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen in der von
+ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der Zehnte der
+sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes aller
+in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach
+Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die
+Abgaben, welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig
+sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und
+auch in Griechenland war eine solche Besteuerung nach orientalischem
+Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie
+verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten laengst in dieser Weise den
+Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und laengst
+auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene Rechnung erhoben. "Wir
+haben", sagt Cicero, "die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel
+und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie bei dem Rechte blieben, nach
+welchem sie bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhaeltnissen
+der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren
+gehorcht hatten." Es ist billig, dies nicht zu vergessen; aber im
+Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die Untertanen,
+die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war das
+Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen
+Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt
+derselben Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller
+Bedeutung, gegen die alle Milderungen in den Ansaetzen und der
+Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche
+Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. Messana trat geradezu
+in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte wie die
+griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen
+Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in
+die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen
+Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in
+finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als die der italischen
+Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche zuerst unter
+den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen Buendnis
+uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das bestimmt
+war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu ueberwachen ^5; an
+der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien griechischen Staedten
+den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem Panormos, bisher
+die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, die des
+roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die abhaengigen
+Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts
+zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber
+durchschnittlich standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden
+nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen
+Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit.
+--------------------------------------------------- ^4 Darauf geht
+Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die Roemer
+sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder
+latinischer bedienten und "Auslaender" nur hoechstens unter den
+Leichtbewaffneten verwendeten. ^5 Das zeigt schon ein Blick auf
+die Karte, aber ebenso die merkwuerdige Bestimmung, dass es den
+Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in ganz Sizilien
+anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten
+Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu
+Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501).
+-------------------------------------------------- Allerdings fiel
+dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den steuer-
+oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz
+zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger
+Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen
+Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den
+italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst
+der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und
+Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits
+des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts
+entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische Distrikte
+am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich ausgedehntem Umfange
+eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen die zuzugpflichtigen
+Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die steuerpflichtigen
+auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch zivilisierten
+Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen roemischerseits
+beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne Zweifel
+schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht
+bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt,
+dort neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu
+konstituieren. Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss
+Untertanenland, sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu
+bleiben; dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln
+oder, was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein
+neues und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen
+Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich
+geographischer Begriff mit dem politischen der italischen
+Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter,
+teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
+Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges
+Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika
+geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie
+mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch
+vorzuschieben ^6. ------------------------------------------- ^6
+Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem
+konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den
+Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert
+in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse
+Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin
+ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten
+(Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl.
+Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung,
+welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul nur "auf roemischem
+Boden" den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird:
+der roemische Boden begreife ganz Italien in sich (Liv. 27, 5). Die
+Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen und dem Apennin
+zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und einem besonderen
+staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst Sulla an. Es
+wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im sechsten
+Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als "Amtsbezirk"
+(provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird. Provincia
+ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter allein
+bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten
+unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst
+durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats
+festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne
+norditalische Landschaften oder auch Norditalien ueberhaupt
+einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden.
+-------------------------------------------- Im Adriatischen Meer, an
+dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete Kolonie Brundisium
+endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet worden war
+(510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der
+Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen
+sorgte schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten
+auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der
+bedeutendste derselben, der makedonische, war unter dem Einfluss
+Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem
+Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und kaum noch imstande,
+die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie sehr den Roemern
+daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen Verbuendeten, den
+syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich anschlossen an
+die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das merkwuerdige
+Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem Koenig
+Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen,
+den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von
+Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich
+Makedonien fuer den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden
+die Beziehungen Roms zu den hellenistischen Staaten enger; auch
+mit Syrien verhandelte der Senat schon und verwandte sich bei
+dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. Einer
+unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte
+bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im
+Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos,
+die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich
+hielten selber einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn
+vermied man damals eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die
+Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie allein unter allen Griechen
+nicht teilgenommen haetten an der Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des
+Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine
+diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer
+Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort erteilten, ging das
+antiquarische Interesse der roemischen Herren doch keineswegs so weit,
+um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die Makedonier von
+ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). Selbst den Unfug der
+Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise das einzige
+Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste bluehte und vor der auch der
+italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Roemer mit einer
+Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und
+ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig
+gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung
+Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der
+Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu
+Gunsten seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die
+illyrischen Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner
+und Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil
+vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der
+bekannten "liburnischen" Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen
+jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in
+diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die
+wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich
+von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen
+sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in
+Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich
+fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen
+mit den fremden Raeubern in eine unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis
+und Messene hin waren die Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten
+die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu
+steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren
+griechischen Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte
+endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen.
+Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten
+Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten
+endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
+schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem
+Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur
+Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes
+Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei
+zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich
+angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht
+beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik
+wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der
+Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder
+verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
+525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen
+mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote,
+waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres
+Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes
+fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen
+annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden wieder im
+Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes Gebiet
+beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte, sondern
+auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die
+Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
+suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten
+kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte
+nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem
+Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise
+zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische
+Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte
+sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden
+tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
+wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
+getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse
+eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und
+die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der
+Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des
+Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen
+Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach
+anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt und
+die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche Italien
+verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten gleich
+Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im Adriatischen
+Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch anders
+kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen
+Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht
+gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen
+Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel,
+was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu versichern;
+im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand imstande zu
+widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann
+fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die Scham, als
+statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der
+streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren
+in ihre Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die
+den Griechen zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber
+wenn man sich schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom
+Ausland hatte kommen muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier;
+man saeumte nicht, die Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen
+Spielen und den Eleusinischen Mysterien feierlich in den hellenischen
+Nationalverband aufzunehmen. -------------------------------------------
+^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb.
+22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher
+von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des
+Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des
+Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in
+der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren
+Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese "Stellvertreter"
+aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, der sie ernennt
+und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur die Konsuln
+gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien und
+Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden
+Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern
+des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu
+Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte.
+---------------------------------------- Makedonien schwieg; es
+war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu protestieren, und
+verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man nirgend;
+aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause des
+Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem,
+wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam,
+sich erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde.
+Haette der kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger
+gelebt, so wuerde wohl er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben
+haben; denn als einige Jahre spaeter der Dynast Demetrios von Pharos
+sich der roemischen, Hegemonie entzog, im Einverstaendnis mit den
+Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Roemern fuer
+unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos
+Buendnis mit ihm, und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer
+in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos starb (Winter
+533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es
+geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten
+Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig
+aus seinem Reiche trieb (535 219). Auf dem Festland des eigentlichen
+Italien suedlich vom Apennin war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent;
+der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als
+eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der
+Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch
+eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war.
+Als Grenze Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss,
+unmittelbar oberhalb Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte
+die naechstliegende, eigentlich gallische Landschaft bis Ravenna
+einschliesslich in aehnlicher Weise wie das eigentliche Italien zu dem
+roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier ehemals gesessen hatten,
+waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und die einzelnen
+Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder
+als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es
+italischen, wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten
+Gebiet jenseits Ravenna bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische
+Voelkerschaften. Suedlich vom Po behauptete sich noch der maechtige
+Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen oestlich
+die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die Anaren, zwei kleinere,
+vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische Kantone die
+Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit
+einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb
+Arezzo und Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der
+Ebene nordwaerts vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von
+den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von
+Verona bis zur Kueste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen
+Gebirgen sassen die Cenomanen (um Brescia und Cremona), die selten
+mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt
+waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der
+italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den
+kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer,
+teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der
+Alpen. Die Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche
+Meilen schiffbare Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des
+damaligen zivilisierten Europas, waren nach wie vor in den Haenden der
+Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl gedemuetigt und geschwaecht,
+doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig und immer noch unbequeme
+Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet in den weiten
+Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte
+erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu
+bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer
+Niederlagen in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und
+sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen
+Kelten aufs neue begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der
+Tat hatten bereits im Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und
+deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde,
+die Transalpiner aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu
+machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236)
+lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen
+hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht
+zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu
+gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung
+von Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des
+Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte
+dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier,
+unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes
+Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; es kam
+zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und nachdem
+die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren,
+kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern in die
+Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den Senonen
+auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward
+vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede
+gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den
+Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser
+durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die
+richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen
+so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die
+bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen
+Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer
+beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
+Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste
+(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt
+gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit
+Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das
+Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder einmal
+des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit
+Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich fuer die
+Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische Kelten zusammen,
+und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern Concolitanus und Aneroestus
+zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren
+Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu Wagen
+kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin
+zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht
+versehen und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung
+der roemischen Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen
+Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen
+wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in
+ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die Gefahr war ernst
+und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass Roms Untergang
+diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom Verhaengnis gallisch
+zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge so allgemein
+verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde hielt,
+den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen
+und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine
+gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen.
+Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen
+Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte,
+stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite
+unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl,
+sich so schnell wie moeglich nach dem zunaechst bedrohten Etrurien
+zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbuendeten Cenomanen und
+Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat zuruecklassen muessen;
+jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von den heimischen
+Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde auf
+seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die
+Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und
+womoeglich sperren, bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In
+Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das
+diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige
+Mannschaft verzeichnet, Vorraete und Kriegsmaterial zusammengebracht.
+--------------------------------------------- ^8 Dieselben, die Polybios
+bezeichnet als "die Kelten in den Alpen und an der Rhone, die man
+wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) nenne", werden in
+den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich ist es, dass die
+gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und erst
+die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die
+Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus "Germanen" zu machen.
+Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige
+Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste
+Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die
+spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen
+keltischen Schwarm. ---------------------------------------------- Indes
+alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und
+wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den
+Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen
+des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen
+sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum
+unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien, waehrend die
+etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung des Apennin im
+Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde
+folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich gelagert und die
+Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk ploetzlich
+wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse
+gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die
+Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische
+Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte
+sie, dass der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem
+Nachsetzen. Eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes
+und geordnetes Fussvolk empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld
+die roemische Miliz, die ermattet und aufgeloest von dem Gewaltmarsch
+herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf, und auch der Rest des
+Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel Zuflucht gefunden,
+waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das konsularische
+Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der Heimat
+zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der
+beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu
+vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten,
+zunaechst die betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des
+bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo
+sie standen, an die ebene Kueste und marschierten am Strande hin,
+als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt fanden. Es waren die
+sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da sie zu spaet
+kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben Kuestenweg,
+den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in
+Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone)
+trafen sie auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in
+geschlossener Front auf der grossen Strasse vorrueckte, ging die
+Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber gefuehrt, seitwaerts
+vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so bald wie moeglich
+dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu
+geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit vielen
+tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein
+Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht
+und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von
+beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein.
+Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer
+gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier
+gegen das sardinische Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert
+auf dem Fluegel seinen Gang. Die Kraefte waren der Zahl nach nicht
+ungleich gemessen, und die verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur
+hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes
+gewohnt, wichen vor den Geschossen der roemischen Plaenkler; im
+Handgemenge setzte die bessere Staehlung der roemischen Waffen
+die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der
+siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen
+entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei
+roemischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit
+dem Koenig Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem
+Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer
+Sitte selber den Tod gegeben. Der Sieg war vollstaendig und die Roemer
+fest entschlossen, die Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige
+Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen.
+Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier
+nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war
+das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere
+Kaempfe kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius
+ueberschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza)
+den Fluss (531 223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der
+Festsetzung am anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich,
+den Fluss im Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem
+Feind um freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise
+zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der
+Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
+Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es
+sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen
+Feldzeichen, "die unbeweglichen" genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot,
+50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser
+war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht
+dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer
+den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die
+unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog
+die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des
+Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber, stellte man
+die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den unsicheren
+Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu werden.
+Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur
+Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen
+Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug
+sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen
+Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht
+den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des Senats nur durch
+Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer Frieden gemacht;
+aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit war man noch
+nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen Stammgenossen zu
+halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern derselben und ihrer
+eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 222)
+abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrueckenden
+konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer
+Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium
+(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der
+gallische Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus.
+Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich
+doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus
+Scipio die Hauptstadt der Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser
+und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die
+italischen Kelten vollstaendig besiegt, und wie eben vorher die Roemer
+den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen roemischer und
+griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend
+bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren
+wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen
+inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie
+Griechenland zerrissen dastand. Die Alpengrenze war erreicht, insofern
+als das ganze Flachland am Po entweder den Roemern untertaenig oder, wie
+das cenomanische und venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen
+besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses
+Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei
+nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in
+den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
+ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
+namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen
+mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler
+den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier
+kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221)
+scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel
+der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der Kueste zwischen
+den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer
+eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die Kelten in
+den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos
+verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm
+keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen
+Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre
+Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes.
+Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte
+Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt,
+die ohne kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich
+ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, und es war nicht
+schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur nebenher obliegende und
+ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, wie die keltische war, zu
+verdraengen und auszurotten. Die grosse Nordchaussee, die wahrscheinlich
+schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz
+vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium (514 240) verlaengert
+worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der Flaminischen
+Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei
+Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von
+Fanum (Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse,
+die den Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband.
+Man war eifrig beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit
+roemischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs
+ueber den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia
+(Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt,
+ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von
+Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere
+Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein
+ploetzliches Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge
+unterbrach. 4. Kapitel Hamilkar und Hannibal Der Vertrag mit Rom von 513
+(241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen teuren Preis. Dass die
+Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den Schatz des
+Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste
+Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung
+hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die
+saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer
+zu monopolisieren, sondern dass das ganze handelspolitische System
+gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken
+des Mittelmeers seit Siziliens Verlust fuer alle Nationen ein offenes
+Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollstaendig
+unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen sidonischen Maenner haetten
+auch darueber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon
+aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den Massalioten, den
+Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man frueher
+allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien,
+die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und
+wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens
+dies blieb? Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um
+das, was er forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen
+wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem
+Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war
+Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer
+Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte
+jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden
+die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche
+Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass
+Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien
+ihm genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
+Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer,
+dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
+fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber
+doch zu vertilgen? Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241)
+nur als einen Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur
+Vorbereitung fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht,
+um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um
+das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem
+Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein
+wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach
+unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren,
+entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen
+Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen
+und so die politische Defensive durch die strategische Offensive
+verdecken moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und
+feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen,
+welche nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur
+den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab
+es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie
+natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen
+und den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand
+ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der
+Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
+diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal,
+und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge
+unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen
+waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der
+ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
+diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen
+sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden.
+Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle
+Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
+angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen
+Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und
+endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers
+Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes
+gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in
+der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen
+ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und
+dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man
+ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben
+heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte
+der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und
+trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den
+Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs,
+sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich
+kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika
+zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). Die Patriotenpartei hatte
+waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter.
+Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und
+Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre
+Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern;
+anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung,
+welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das
+Damoklesschwert der roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago
+hing, und dass, wenn Karthago unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen
+mit Rom zum Kriege kam, dieser notwendig den Untergang der phoenikischen
+Herrschaft in Libyen zur Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht
+wenige geben, die, an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die
+Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer
+durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die
+Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht,
+aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung
+zu schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben
+diktierte; es blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass
+zu dem alten schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses
+letzte Kapitel einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man
+zu einer politischen Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der
+Regimentspartei hatte man sich hinreichend ueberzeugt; dass die
+regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen
+noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans
+Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den
+Prozess machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne
+Vollmacht der Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen
+gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen
+Stuehle dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in
+Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein;
+allein auf desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von
+Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten.
+Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die
+Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass
+weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum
+gewahr wurden. ---------------------------------------------------
+^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet,
+sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen
+Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in
+unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind
+Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen
+die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch,
+mit dem die "revolutionaere Verbindung" (etaireia t/o/n pon/e/rotat/o/n
+anthr/o/p/o/n) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei Nepos
+(Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch finden.
+---------------------------------------------------- So liess man die
+Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen Genuss
+ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und
+durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen
+Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und
+Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn
+fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass
+er eine von den Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine
+verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine
+Diktatur - erhielt und er nur von der Volksversammlung abberufen und
+zur Verantwortung gezogen werden durfte ^2. Selbst die Wahl eines
+Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der Hauptstadt aus, sondern
+vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten oder Offiziere
+dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem Feldherrn
+genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das
+Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet
+deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und
+behandelte. --------------------------------------------- ^2 Die Barkas
+schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die Ratifikation der
+Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert bei ihnen
+und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago
+hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten.
+---------------------------------------------------- Der Auftrag, den
+Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die Kriege mit den
+numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war
+im Binnenland die "Stadt der hundert Tore" Theveste (Tebessa) von den
+Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem
+neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher
+Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in
+ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von der
+Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen koennen,
+waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht einmal
+erkannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der
+im sizilischen und im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die
+Geschicke ihn oder keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten.
+Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der grossartige Kampf
+des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den
+Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr
+hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht
+geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die
+Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr
+schwebt, einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten
+aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm
+vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich
+die gebildete Klasse vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens
+einige libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen
+aus den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn
+wie Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten
+puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die
+karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren
+Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere,
+hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich
+selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte
+Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war
+nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche
+und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende
+Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und
+mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief
+verdorben und durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts
+fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder
+die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall selbst in den feilsten
+Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar fuer seinen im besten
+Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchfuehrbaren Plan die
+Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich sichern,
+so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige
+Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten.
+So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu
+retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der
+Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und
+Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt,
+den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt
+nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der
+hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von
+aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlossenheit der einen
+und der andern bauend, zugleich beide taeuschend und beiden trotzend, um
+nur erst die Mittel, Geld und Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein
+Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu
+erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch
+ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er schien
+zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht
+vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land
+der Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen
+Sohn Hannibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten
+Gottes dem roemischen Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und
+die juengeren Soehne Hasdrubal und Mago, die "Loewenbrut", wie er sie
+nannte, im Feldlager auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies
+und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar
+nach der Beendigung des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im
+Fruehjahr 518 236). Er schien einen Zug gegen die freien Libyer im
+Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders an Elefanten stark
+war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von
+seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei
+bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien
+gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm
+nichts zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die
+karthagischen Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er
+die afrikanischen Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier
+wieder einmal aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so
+nachdruecklich zu Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und
+mehrere bisher unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen.
+Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr
+verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in
+Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie
+trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben
+Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns
+wenigstens im allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer
+und als Staatsmann in den neun letzten Jahren seines Lebens (518-526
+236-228) geleistet worden ist, bis er im besten Mannesalter in offener
+Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als
+seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann waehrend der naechsten
+acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene,
+sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des
+Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepots fuer den
+Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der
+spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen
+behandelt hatte, ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars
+Feldherrnkunst begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische
+Gewandtheit befestigt. Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued-
+und Ostkueste wurden phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden
+gegruendet, vor allem an dem einzigen guten Hafen der Suedkueste
+Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders
+praechtiger "Koenigsburg"; der Ackerbau bluehte auf und mehr noch
+die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen von
+Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2 Mill. Taler (36 Mill.
+Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro
+wurden abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand
+es, die Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das
+karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen
+Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen
+der Provinz naehrten nicht bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig,
+nach Hause zu senden und fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die
+Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. In dem Karthago
+unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen statt; die
+Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; von
+den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man
+begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite
+Heimat und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die
+begeisterte Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen
+Kaempfe mit den tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen
+numidischen Reiterei ein brauchbares Fussvolk. Von Karthago aus liess
+man die Barkas machen. Da der Buergerschaft regelmaessige Leistungen
+nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie noch etwas abfiel,
+auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien und Sardinien
+verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen
+glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es
+sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars
+Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien
+durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen
+oder doch sich begnuegen musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom
+auf die demagogischen Offiziere und den Poebel zu schelten. Auch von
+Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich
+eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der
+Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft
+mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die
+Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes
+Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika
+selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen, mit denen die karthagischen
+Feldherren den roemischen, um Erkundigungen an Ort und Stelle
+einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien entgegenkamen, die
+Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die roemischen
+Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat
+unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von
+Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den
+Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt
+einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens
+von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze
+Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass unter der
+Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht sich; allein
+wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein, ueber den
+drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen Behoerden laengst
+ausserstande waren, ihre roemischen Freunde aufzuklaeren und damit die
+Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; und wenn es dennoch
+geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen mit Fug sehr
+vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die unbegreiflich
+rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien die
+Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr
+denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat
+Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie,
+ihres jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
+halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder
+Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis,
+und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis
+setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu
+ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um
+einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, der
+diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils
+um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich
+zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien
+Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
+seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall,
+dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer
+den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit
+der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen
+Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man genoetigt
+werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und dass der
+Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde, als er
+ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen, wie der
+Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht anders
+sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu beendigen,
+womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in
+den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die
+Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von
+dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm
+gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings
+zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des
+Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit
+den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung
+bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
+benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs
+neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
+Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
+Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
+versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die
+spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich
+ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich
+leugnen, dass der roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und
+schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen
+Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist.
+Ueberall ist die roemische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch
+Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine grossartige
+Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die Feinde
+Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. So
+gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum
+Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und
+eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte
+Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der
+Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter
+einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war
+nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger
+Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht
+gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der
+Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen
+wir nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von
+Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des
+spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den
+Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals
+im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine
+ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend
+und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die
+bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
+Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager
+gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter
+Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und
+einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn
+nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu
+entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die
+Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er,
+wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten
+Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache
+selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer
+seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
+tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er
+unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch
+glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich
+ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die
+Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren,
+wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. Er trat die
+Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen
+Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Roemern hiess
+er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste er, wie nur
+orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals
+Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. Indes,
+wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben,
+sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von
+schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen,
+was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal
+Monomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt
+in den Berichten ueber ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen
+Verhaeltnissen und nach dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten
+waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer
+Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu
+vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische
+Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters
+bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und
+Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der
+Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage
+ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er
+von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah
+man haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes
+auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der
+Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen
+Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der
+karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss bekundete,
+den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der oestlichen
+Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass,
+beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und
+vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn
+gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die
+Blicke aller. Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling
+534 220) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das
+Keltenland noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien
+vor der Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu
+tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie
+es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald
+marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
+gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als
+Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des
+patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen
+als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des
+Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der
+Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars
+Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint,
+den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf
+Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal
+scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit gegen
+die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner
+zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu
+fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun
+diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein
+die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien,
+um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass
+Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss
+die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos
+Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im
+italischen Kettenland ward die Gruendung der Festungen mit verdoppelter
+Schnelligkeit und Energie von den Roemern betrieben; der Schilderhebung
+in Illyrien schickte man in Rom sich an, im naechsten Fruehjahr ein
+rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; Hannibal entschloss
+sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die Saguntiner
+karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie
+darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im
+Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das
+heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag
+man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation
+in gewissen Kreisen machte. Alle "angesehenen Maenner", heisst es,
+missbilligten den "ohne Auftrag" geschehenen Angriff; es war die Rede
+von Desavouierung, von Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es,
+dass im karthagischen Rat die naehere Furcht vor dem Heer und der Menge
+die vor Rom ueberwog; sei es, dass man die Unmoeglichkeit begriff, einen
+solchen Schritt, einmal getan, zurueckzutun; sei es, dass die blosse
+Macht der Traegheit ein bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss
+sich endlich, sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht
+zu fuehren, doch fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur
+spanische Staedte sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur
+einen geringen Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und
+nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden
+illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der
+See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und
+nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere
+Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
+erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte,
+ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon
+bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede
+Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine
+roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des
+Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als
+der roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die
+Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er
+darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da
+ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen
+lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm
+man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
+Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den
+Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena,
+um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von
+Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den
+Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum
+Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner
+Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd;
+ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker
+ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit
+Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
+karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser
+einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst
+ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue
+der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen
+ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen
+Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen
+phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische
+Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden.
+Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition
+bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der
+Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an die
+westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann
+zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten,
+ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment
+uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar
+karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die
+Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien,
+wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen,
+fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein
+verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der
+Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf
+gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien und Afrika zu sichern,
+weshalb in Spanien die Flotte blieb und Westafrika von einer sehr
+starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue der Truppen buergte,
+ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der
+spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer
+Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach
+Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach
+Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was
+den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
+Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste
+segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich
+sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von
+Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit
+der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne
+Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender
+Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in
+Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann,
+so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vornherein entweder auf
+ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar
+auf die Verteidigung beschraenken - die Niederlagen brachten in all
+diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche
+Frucht. Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen,
+die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der
+Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische
+Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren
+Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine
+Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer
+beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen
+Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz
+anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss des
+Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das
+Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde;
+zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen
+Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt.
+Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer
+Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
+ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden
+Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht,
+um die eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs-
+und Chausseenkette legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das
+zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen zaehlte, ihre Retter
+erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als Verpflegungs- und
+Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege mit den
+Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten,
+dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme
+bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die
+Roemer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden
+stehe. Eben in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum
+Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft
+im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten
+Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das roemische Buendnis mit
+dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern vertrieben worden
+war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser hatte den
+Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die
+Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
+gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies
+alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet
+gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer
+grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.
+Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug
+gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit
+Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat
+die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage
+genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es ankommen
+wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. Hannibal
+hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten und
+weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des Seekrieges
+sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die
+unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer
+anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die
+Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen,
+wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als
+die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte
+Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen
+hatten; der Verbuendete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne
+Verwegenheit diesen betreten. So vereinigte Hannibal die fuer die
+grosse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in
+Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter, darunter
+etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - die mitgefuehrten
+37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu imponieren,
+als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie das,
+welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von
+Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser
+zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie
+die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und
+vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536
+(218) von Cartagena auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln,
+namentlich den mit den Kelten angeknuepften Verbindungen, von den
+Mitteln und dem Ziel des Zuges liess er die Soldaten soviel erfahren,
+dass auch der Gemeine, dessen militaerischen Instinkt der lange Krieg
+entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere Hand des Fuehrers
+ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite folgte; und
+die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die Forderungen
+der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren Heimat,
+das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn
+und seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den
+Herzen aller. Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch
+in festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was
+man wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht
+noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit den
+Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene offen.
+Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen, wenn man
+den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das nicht
+wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede ward
+durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos
+Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren. Mit
+Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte
+man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die Verhaeltnisse
+im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben;
+ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der
+Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und
+im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man
+ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten Operationen. Man disponierte
+ueber eine halbe Million brauchbarer Soldaten - nur die roemische
+Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig minder zahlreich als die
+karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der
+ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die
+eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte
+keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende
+entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser
+erdrueckenden Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand
+es fest, dass der Krieg eroeffnet werden sollte mit einer Landung in
+Afrika; die spaetere Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen,
+eine gleichzeitige Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen,
+vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago
+zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals
+Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor
+allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt
+fiel; allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie
+der Ehre. Acht Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt
+ueberging, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet.
+Indes noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen
+Voelkerschaften nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer
+waren, sondern auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern
+Versprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien
+gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von
+Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen
+Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen,
+konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.
+Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte
+fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul
+Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich
+Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung
+bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die spanische
+Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten
+Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward er, dem unter
+den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war als das Blut
+seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee in einigen
+Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass durch jene
+Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert
+wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung selbst
+sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug
+nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt
+haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet
+worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches
+"Koenigreich" aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu
+werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung
+Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur
+Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen
+zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm
+den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt
+haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die Hauptsache war,
+wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen
+zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die Alpenpaesse, ehe
+Hannibal sie erreichte, und die afrikanische Expedition ging ungehindert
+nach ihrem Ziele ab. An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal
+einen Teil seiner Truppen in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene
+Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher
+zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von
+denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000
+Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg
+ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber
+Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils
+die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold,
+teils die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon
+gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher
+Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach
+Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet
+worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro,
+sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche
+zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert
+zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition
+vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
+keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
+Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an
+der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und
+den Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand
+gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der
+keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von
+22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier
+Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen
+Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit
+der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
+bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er
+besass nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den
+zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem
+Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen
+gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an einem
+Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine starke
+Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen stromaufwaerts
+bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon gelegenen
+Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier ueberschritten
+sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um dann
+stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem
+Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages
+nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen
+die Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer
+auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben
+als die Gallier, sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam,
+das Ufer zu besetzen eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen
+in Flammen auf; ueberrascht und geteilt, vermochten sie weder dem
+Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und zerstreuten sich
+in eiliger Flucht. Scipio hielt waehrenddessen in Massalia
+Kriegsratsitzungen ueber die geeignete Besetzung der Rhoneuebergaenge
+und liess sich nicht einmal durch die dringenden Botschaften der
+Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren Nachrichten
+nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung
+zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf
+bereits die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen
+und beschaeftigt, die allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen
+Elefanten nachzuholen; nachdem sie in der Gegend von Avignon, um nur die
+Rekognoszierung beendigen zu koennen, einigen karthagischen Schwadronen
+ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und
+Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst
+auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach
+nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als
+er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des Uebergangs der
+Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen
+abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten
+Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die "feige
+Flucht" des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal
+durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
+Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten
+Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne
+irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer
+einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel,
+den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal
+diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern,
+dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste
+Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen
+war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die schwachen
+Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort dem Feind
+einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die
+kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar
+dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die
+militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden
+gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder
+Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach
+Pisae. Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
+Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt
+und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch
+den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen
+ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben
+er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die
+Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit
+Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste
+er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und
+die Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende
+Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen
+konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel
+auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das
+immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch
+notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem Kuestenweg,
+den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn sperrten,
+sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten
+in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte
+Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genevre) in
+das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
+der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach
+Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an, wo
+er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und unfruchtbaren
+Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen Durance durch ein
+schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben-
+bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier
+angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen
+Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen.
+------------------------------------------------- ^3 Der Weg ueber
+den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse geworden. Die
+oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische Alpe
+oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und
+Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht.
+------------------------------------------------- Der Weg ueber den
+Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die erste, das
+Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er sich
+in dem Tale der oberen Isere, das von Grenoble ueber Chambery bis hart
+an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich
+hinzieht und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und
+bevoelkertste ist. Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard
+unter allen natuerlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber
+bei weitem die bequemste; obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist,
+ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps
+mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme
+fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse
+aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die karthagische
+Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches
+Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die
+ihm verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St.
+Bernhard wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genevre zunaechst
+in das Gebiet der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten
+mit den Insubrern in Fehde lagen. So marschierte das karthagische Heer
+zunaechst an der Rhone hinauf gegen das Tal der oberen Isere zu, nicht,
+wie man vermuten koennte, auf dem naechsten Weg, an dem linken Ufer
+der unteren Isere hinauf, von Valence nach Grenoble, sondern durch die
+"Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevoelkerte
+Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, suedlich von der
+Isere, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder
+deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes
+Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst
+fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iseretal
+scheidet. Der Marsch an der Rhone in und quer durch die Insel bis an
+den Fuss der Alpenwand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe
+Schwierigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch geschickte
+Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen
+Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass
+derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit
+gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit
+Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die
+erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur
+ein einziger gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu)
+fuehrt, waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung
+hatte den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen
+Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang
+die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf
+er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf
+dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget
+hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die
+Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschierende
+Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in Folge
+derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit
+seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden
+diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt,
+allein die Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch
+den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt,
+ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu
+zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumtieren
+und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem
+anmutigen Tal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren
+Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder
+Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage eintrat in
+das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich das
+Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut
+zu sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei
+Conflans) mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und
+Geiseln, und wie durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch
+die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg
+die Isere verlaesst und durch ein enges und schwieriges Defilee an den
+Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien
+auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils
+auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergraendern, in
+der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal,
+dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts
+gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die
+reiche Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den
+Tross und die Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem
+gesamten Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt,
+obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen
+den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder
+herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem
+"weissen Stein" (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des
+Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden
+Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die
+ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere
+zu decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten
+endlich am folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten
+Hochebene, die sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer
+Ausdehnung von etwa 2 Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten.
+Die Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu
+bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende
+gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen des
+unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose
+Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der Begeisterung des
+Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende Ziel,
+fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu
+wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich;
+zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier
+waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so
+erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer
+Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und schwierigsten
+Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei
+nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte Jahreszeit - man war
+schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das
+bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf
+dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der
+frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte,
+verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die Abgruende;
+ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an eine
+Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil
+darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen
+und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk
+kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
+Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees
+sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den
+Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager.
+Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg
+fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen
+Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten endlich die
+halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war nach
+viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem
+weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer
+sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser,
+Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre
+Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September
+in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern
+einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige
+Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die
+Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und
+kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort
+erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan;
+zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten,
+und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so
+sehr bedurften ^4. ------------------------------------------- ^4
+Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
+Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als
+geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der
+Herren Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls
+Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen
+stehen. Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, "fingen die
+Spitzen schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken" (Polyb. 3, 54); auf
+dem Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht
+frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem
+Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September;
+als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden
+sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die
+Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September
+auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass
+er dort eintraf, "als schon der Winter herannahte" - denn mehr ist
+synaptein t/e/n t/e/s pleiados d?sin (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten
+der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C.
+L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241. Kam
+Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist
+auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen
+Ende Dezember (peri cheimerinas tropas Polyb. 3, 72) eingetretenen
+Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten
+Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer
+Heerversammlung ypo t/e/n earin/e/n /o/ran (Polyb. 3, 34), also gegen
+Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch
+fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also
+Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
+der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August
+eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb.
+3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich
+sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit
+gesessen haben muss. -------------------------------------------- Das
+Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss,
+den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
+Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der
+Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal
+zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss
+- davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil
+wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht
+minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht wie
+fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausgesuchte
+Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33 maessigen
+Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen
+besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
+nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler
+des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer
+kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie
+einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine
+militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage
+gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Nur
+duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn knuepfen;
+wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten Operationsplans,
+koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie vorherzusehen
+- fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob ein
+anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena
+oder Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt
+haben wuerde. Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im
+einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles
+ankam - sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr
+durch die Kunst des Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den
+Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist
+es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe
+schwieriger und grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat
+auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der
+grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die
+Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten
+am Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. 5. Kapitel. Der
+Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae Durch das Erscheinen der
+karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage
+der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. Von den
+beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort
+schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr
+moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius
+Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in
+Sizilien; die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen.
+Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten
+Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der
+Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht
+worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln
+und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren gezogen.
+Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen
+Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika
+ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen
+Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung
+von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den
+Liparischen Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet
+die brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines
+geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der
+Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie
+moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte
+noch in Lilybaeon. Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der
+Armee Hannibals an Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von
+dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings
+nicht gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter
+den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen
+Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia
+und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die
+Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon
+im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die
+Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen.
+Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
+ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor
+Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig
+mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu
+entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem
+Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen
+und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine
+zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer
+und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer
+den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
+einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte,
+Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache,
+dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand.
+Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine
+20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu
+halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren
+Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul
+Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und
+vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen
+allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
+Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer
+Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die
+Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger
+Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden
+im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio,
+der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat.
+Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend
+geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen
+der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende
+keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
+ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen,
+waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte,
+um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem
+Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei,
+die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung
+vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische,
+beide gefuehrt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene
+Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes
+Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riss vor dem
+Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend diese von vorn
+die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische
+Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen
+Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken
+und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war
+sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was
+er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und
+verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen
+Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang,
+ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht
+aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff den Fehler, den er
+gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem
+Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter den
+Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die
+Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen
+der roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er
+sein bedeutendes militaerisches Talent wieder, das der bis zur
+Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen
+Augenblick paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht
+bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher
+ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte
+Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei
+freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
+Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte,
+da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem
+nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer
+Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem
+roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene vorwaerts
+von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen
+Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende
+gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen und sich
+auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften
+Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit
+dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben.
+In dieser starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin,
+den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch
+die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar
+die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser
+Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die
+insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme
+der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals
+Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager
+dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio
+genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen
+durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich
+unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen
+Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war,
+Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche
+Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen.
+Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollstaendig und glaenzend
+geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und
+dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk
+wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand,
+um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den
+Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder
+sein Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die
+laestigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend
+dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im
+Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg
+gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von
+Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr in
+wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts,
+ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen
+Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich
+entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen.
+Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern
+unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die
+roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei
+der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr
+nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu
+verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand
+sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht
+geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros
+der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und
+durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied
+zu stellen; die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im
+Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut
+bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon
+gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den
+Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und
+die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts
+ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines
+Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten
+Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die
+Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und
+den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische
+Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum
+Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene
+karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der
+Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in
+dem Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten
+Massen. Die Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen
+Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt.
+Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng
+zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die
+Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie,
+namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere
+Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die
+uebrige Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu
+ueberschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes
+niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des
+Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin
+ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls
+Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre
+als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
+gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende
+nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
+Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen
+sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg
+teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die
+keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge
+des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge
+von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen
+einzigen. ------------------------------------------- ^1 Polybios'
+Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn
+Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po
+lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend
+das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl
+bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so
+mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie
+um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang
+in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile der eigenen Armee
+und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann
+fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss ueberschreiten muessen.
+Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die
+Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld
+entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es kann
+sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke
+ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der
+placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die
+erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios
+also, Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der
+Zehntausend bloss sagt, dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia
+sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs
+ueber den Fluss zu gedenken. Die Verkehrtheit der Livianischen
+Darstellung, welche das phoenikische Lager auf das rechte, das
+roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach
+hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, dass die
+Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch
+Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
+------------------------------------------ Die Folge dieses ersten
+Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrektion sich nun
+im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. Die Ueberreste
+der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und
+Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre
+Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder
+entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit
+einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal,
+der nicht durch weitere Maersche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit
+seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das
+Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die
+groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf
+den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen
+den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den
+gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000
+Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen
+haben. Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine
+ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete,
+und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch
+keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die
+nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach
+Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius
+und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die
+vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
+verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb
+an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und
+von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum
+endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier
+zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser,
+wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um
+in der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive
+uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die
+Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal
+zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer selbst
+es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwaechere
+war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er wusste
+auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen
+roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu
+erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der
+stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim
+nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in
+Italien zunaechst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk
+sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer
+Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie
+tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische Fusssoldat unter dem
+Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glaenzende
+Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen.
+Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals
+ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem
+Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen
+abenteuernd zu fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von
+den militaerischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der
+allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen
+Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das
+einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu
+werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins
+Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen
+deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam.
+Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der
+gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die
+Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht
+die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den
+roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks
+sich nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine
+bewundertsten Schlachten. Dies und nicht die Bitten der Gallier um
+Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die
+Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien
+jetzt gleichsam fallen liess und den Kriegsschauplatz nach Italien
+selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen sich vorfuehren.
+Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten - dass
+Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die
+Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens
+stark uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen
+Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass
+Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er
+jeder italischen Gemeinde die alte Unabhaengigkeit und die alten Grenzen
+wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge
+als Retter und als Raecher. In der Tat bracher, da der Winter zu
+Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen
+Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen
+Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des
+Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie
+es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der
+Apenninuebergang ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst
+moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt;
+allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren
+durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen so ueberstaut, dass
+die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur
+naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das
+zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die
+Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter
+dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte
+laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die
+karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht
+unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche
+ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten;
+Hannibal selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes
+das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius
+Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um
+sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen
+war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um
+die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal
+jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten,
+bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer
+herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer
+Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu
+beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend
+seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung
+erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren
+parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber
+Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des
+gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei,
+und ueber alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein
+militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531
+(223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten
+oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und
+seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius
+Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal
+ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite
+Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige
+Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass
+deren Zahl nach der Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der
+Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan.
+Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess
+durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die
+zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen
+und die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter
+den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen
+des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue,
+vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen
+solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
+unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
+ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des
+Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen
+Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal,
+genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt
+hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei
+steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der
+Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er
+den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden
+Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen
+in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die
+Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
+Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss
+die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes
+und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel
+ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine
+Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den
+Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne
+Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der
+Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000
+Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch
+und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein
+abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie
+aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Huegel, den
+sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und
+da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal
+verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer
+waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war
+vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder
+vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward
+gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des
+ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die
+Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig seinem
+Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer
+umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
+verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort
+machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken
+ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern
+instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein
+Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt
+der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im
+Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.
+----------------------------------------------- ^2 Das Datum der
+Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem
+berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur
+nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1)
+niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung
+war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.
+------------------------------------------------ Allein Hannibal sah
+weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht
+gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee mit
+Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten
+und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es
+geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium
+vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch
+Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen
+bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen
+Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der
+Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine laengere Rast,
+um in der anmutigen Gegend und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich
+erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in roemischer Weise zu
+reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die
+Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen
+Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine
+Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer
+hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst
+genugsam geuebt war, brach er auf und marschierte langsam an der Kueste
+hinab in das suedliche Italien hinein. Er hatte richtig gerechnet, als
+er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloss;
+die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die Hauptstadt
+gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter Musse
+zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen
+des feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen
+Armee sein militaerisches System vollstaendig zu aendern und den
+Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen
+gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft
+nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die
+Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit
+gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten an;
+der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer Hinsicht,
+waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem
+Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine Stadt
+nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde
+machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer viel, ja
+alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig
+es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu
+stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator
+Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das
+Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der roemischen Festung
+Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten
+Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr
+anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann,
+von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei
+und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit,
+der politischen Allmacht des Senats und des Buergermeisterkommandos
+erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und Gebeten von der
+methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und
+durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze
+der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen,
+um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um
+jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt,
+dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden
+vorzuruecken, solange das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe,
+und dass es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren
+angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und
+allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen
+in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und
+richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des
+feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er
+ueber den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene
+Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte
+sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von
+Rom abhaengigen italischen Staedten und die einzige Rom einigermassen
+ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments schwerer als
+irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft, die
+den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein
+diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend
+schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses
+ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte
+seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der
+Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen
+Bundesgenossen pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in
+Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen
+Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu
+kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den
+Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des
+Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden
+Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000
+Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein
+Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar
+neben der Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl
+Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so
+dass es schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher
+Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse
+sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig
+waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch
+freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab,
+ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und
+mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
+und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
+nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
+Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner
+ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute
+und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die
+Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen
+Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend,
+dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen
+Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf
+des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu
+lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische Landschaft, die
+Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner ueberlegenen
+Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich
+ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria,
+ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres
+taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend
+Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten
+Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der
+im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl
+stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um naeher an
+den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet,
+wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die Detachierungen und
+dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils
+in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne
+phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die
+Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte,
+sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen
+Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in
+der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz
+ungerechtfertigt. So weise es war, sich roemischerseits verteidigend zu
+verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel
+des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und
+Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer
+an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu
+verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten Massstab
+sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius
+Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht
+verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei
+Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln
+reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, dass die italischen
+Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der
+Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat;
+allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast
+zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer
+eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische
+Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu
+dieser Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus
+den tuechtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener,
+groesstenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt,
+durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber
+die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, "Hannibals Lakai", ihm
+zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu
+werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen
+gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer
+Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten
+sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator
+tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium
+der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen
+Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
+sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt
+war, in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls
+zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen
+bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die
+roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte
+Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum
+geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften Fuehrer
+gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegsplaene
+befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei seinem
+methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen Diktatortitel
+auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit geringen
+Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier
+sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps
+groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab
+dem System des passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der
+Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den
+Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation
+hatten weder der stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt,
+und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit,
+doch im wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem
+Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht
+der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner
+Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass
+der Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann.
+------------------------------------------------ ^3 Die Inschrift des
+von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules
+Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C.
+f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden
+worden. ------------------------------------------------ Trotz aller
+Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die
+roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus
+und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug
+anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen
+italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -,
+wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an,
+dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man
+beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die Auslieferung
+des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war trotz der
+Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des
+Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar
+langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegfuehrung abzugehen; wenn
+der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegfuehrung gescheitert
+war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man
+eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe.
+Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie
+Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel
+ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl
+Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu
+erdruecken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius
+Postumius nach dem Potal bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer
+dienenden Kelten nach der Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse
+waren verstaendig; es kam nur darauf an, auch ueber den Oberbefehl
+angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die
+daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und
+ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl
+nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den
+Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
+Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
+angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst
+recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner
+Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535
+(219) den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure
+Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der
+Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur
+durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als
+Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war,
+und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine
+rohe Unverschaemtheit. Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten
+Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien
+wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere
+zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die
+Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden
+auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das
+Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische
+Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient
+hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des
+Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt
+von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als
+Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht
+abzuwenden gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten
+ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine
+Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats
+trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im
+Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen
+und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten,
+stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb
+Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei Drittel
+Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber
+nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts mehr
+als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten
+Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische
+Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu
+entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an
+dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestuetzten
+Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig
+zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen Streitmacht waren, wie
+gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und naeherten in dieser
+Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten
+Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunaechst zu warten und nur
+nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der
+Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal
+lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein
+Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am linken
+Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem
+Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren,
+vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald
+zum Schlagen zu kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den
+Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus
+nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul missfiel dergleichen
+militaerische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, dass
+man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu
+gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben
+fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die
+entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um
+Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von
+der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld
+der ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte
+allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten
+roemischen Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier,
+zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses
+ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000
+Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das
+karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen
+Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der
+roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August
+nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender,
+den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht
+wesentlich hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen
+Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee
+folgte und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte
+roemische wie der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische
+Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem
+rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische
+auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen
+stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl
+des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
+Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die
+keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die
+vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten
+die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die
+gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach
+der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem
+Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im
+Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
+Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier
+ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die
+Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
+vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren
+Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck
+sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel
+der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen
+regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und
+diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen
+Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt
+und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
+Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen.
+Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie
+besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne
+verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In
+dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden
+libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von
+ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu
+verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam und die ohnehin
+schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr
+Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er
+mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt
+und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den
+Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den
+Numidiern hinreichend beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff
+schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Fluechtigen den
+Numidiern ueberlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie
+dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss
+entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es
+ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit
+so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet
+worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000
+Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der
+erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in
+der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der
+Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der
+Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul
+Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach
+Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen
+Lagers, 10000 Mann stark, ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige
+tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen
+nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende
+gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien
+gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius
+Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern
+gaenzlich vernichtet. Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die
+grosse politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach
+Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer
+gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht
+sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des
+Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen
+Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die
+gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne
+und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus
+Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war
+dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen
+den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des
+Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217)
+die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, hatte,
+nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals,
+mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro
+ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar
+hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika
+Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders
+gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die
+Scipionen verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn
+vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae
+siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche
+andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt;
+diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
+zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien
+aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. Von
+Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel
+geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten
+die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor
+einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand
+verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei,
+und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige
+Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, vor allem aber
+die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser
+unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der
+mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich leer, der Sold
+kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu
+lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst
+die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat
+beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und
+Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000
+numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und
+in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben. Die
+laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war
+anfangs durch Antigonos' ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers
+Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen
+Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217)
+verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht,
+fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem Antrag, seine
+illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie massten freilich
+erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt schloss der Hof von
+Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine Landungsarmee
+an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe der
+roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. In Sizilien hatte
+Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit
+geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch den
+Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom
+namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein
+Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst
+ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat,
+hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald
+darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach
+vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des
+klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich
+mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
+machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische
+Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel
+vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess
+mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen,
+die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte
+bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln
+postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal
+sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung nach
+Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage
+fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. Was
+aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der
+roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die
+Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte.
+Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien,
+zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer
+beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der Brettier - diese
+zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die
+erst belagert werden mussten; die Lucaner groesstenteils; die in die
+Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten
+mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite
+Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu
+stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella
+und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das
+roemische Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in
+Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren
+Kaempfe, die hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil,
+den Hannibal von diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel
+genoetigt, in Capua einen der Fuehrer der Adelspartei, den Decius
+Magius, der noch nach dem Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das
+roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abfuehren zu
+lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was
+es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den
+Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen
+hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei
+die roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr
+noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker
+selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und
+ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus
+zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine
+ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen
+Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe
+taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
+Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden
+von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur
+Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf
+brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die
+sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales,
+unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch
+die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker
+der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunaechst,
+wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde
+die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz
+Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
+latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als
+Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im
+karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht
+ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago
+in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte
+gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden.
+Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der
+Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten
+Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame,
+aber gerechte Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich
+nicht etwa bloss einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die
+roemische Buergerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer
+die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht
+nirgend mehr; es war eben nicht moeglich, ueber die Frage, wer die Heere
+der Stadt in einem solchen Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr
+die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine
+gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war,
+jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der
+einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche
+Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung
+des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle
+Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
+auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem
+Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits
+an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der
+italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung,
+dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte
+auf das "Volk" Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen
+Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide "neue
+Maenner" und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur
+Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten
+Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, und die
+Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae.
+Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser
+fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die
+Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich
+widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste
+jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand
+gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So
+wenig Quintus Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden
+darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt,
+sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des
+Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwuerfnisses
+mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit,
+die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das
+wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der
+Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter
+den Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische
+Schlacht. Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder
+Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem
+Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft.
+Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste
+sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des
+Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben,
+getan mit Unterdrueckung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist
+die herrliche und unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro
+- allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten -
+nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm
+entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes
+nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen
+Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
+Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den
+Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs
+verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur,
+wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen
+zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt
+hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren
+gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf
+sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und
+strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten,
+um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die
+Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu
+begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben
+und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an den
+Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen,
+die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit
+der Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss,
+nicht allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der
+Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was
+vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige
+Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in
+Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze
+Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen,
+diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die
+in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes ueber das Meer
+zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute
+der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa zwei Legionen
+zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und
+unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr
+ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in
+den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der
+bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen,
+uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um
+eine kampffaehige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um
+Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel
+voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die
+Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte
+sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es
+an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestuecke aus den Tempeln und
+setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in Taetigkeit. Der Senat ward
+ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten forderten, aus den Latinern,
+sondern aus den naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot
+die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes
+an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen
+angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht
+scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen
+sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern
+es musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer
+ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.
+6. Kapitel Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama Hannibals
+Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen
+Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht,
+soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die
+latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den
+Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem
+Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und der
+verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und
+rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen den
+Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den Marsern
+und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem Wege mehr
+erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, so hatten
+diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe auch
+sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer
+Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal
+das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die
+Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos
+in Tarent aufgetreten war, und meinten toerichterweise, zugleich der
+roemischen und der phoenikischen Herrschaft sich entziehen zu koennen.
+Samnium und Lucanien waren nicht mehr, was sie gewesen, als Koenig
+Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der sabellischen Jugend in Rom
+einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische Festungsnetz
+ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch die
+vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt -
+nur maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten
+Hass beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der
+herrschenden Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der
+Roemer an, nachdem Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte
+doch, dass es jetzt nicht mehr um die Freiheit sich handle, sondern um
+die Vertauschung des italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht
+Begeisterung, sondern Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem
+Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte in Italien der
+Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis
+hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften nicht wie
+das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls
+eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die
+gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und
+die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig
+die schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten
+seine Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen
+Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand
+er andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen
+belehrt, gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der
+Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer
+Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere
+Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
+Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den
+Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen
+Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten
+Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf
+da an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung
+fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius
+Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von
+Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die
+Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen.
+Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine
+Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein
+Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt.
+Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten
+Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den
+feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige
+roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den
+beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am
+Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn
+die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
+einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und
+vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem
+gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. Vom Schlachtfeld
+hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom besser als
+die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er mit
+einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen
+koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem
+Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die
+Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist
+unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der
+Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus
+nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach
+Regulus' erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der
+Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig
+gesiegt. Mit welchem Schein konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger
+die Schluessel entgegentragen oder auch nur einen billigen Frieden
+annehmen werde? Statt also ueber solche leeren Demonstrationen moegliche
+und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu verlieren mit der
+Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den Mauern von
+Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die
+Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken
+diese zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt
+bestimmt. Er durfte hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen
+Haefen bemaechtigen zu koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu
+ziehen, welche seine grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen
+hatten. Als die Roemer erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe,
+verliessen auch sie Apulien, wo nur eine schwache Abteilung zurueckblieb
+und sammelten die ihnen gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer
+des Volturnus. Mit den zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus
+Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst
+verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus
+Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte,
+bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten.
+Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren
+dessen Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft
+gescheitert, und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen
+Hafenplatz eine Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden
+anderen groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte
+der Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses
+an die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere
+die Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an
+den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend,
+erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die inneren
+Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal selber mit
+namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste Niederlage, die
+Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war als durch
+seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, Acerrae
+und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich
+hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie,
+Casilinum, von Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die
+zu Rom gehalten hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber
+das Entsetzen macht schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit
+verhaeltnismaessig geringer Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten
+Schwaeche zu ueberwinden. Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis
+der Winter einbrach und Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen
+Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen
+keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg
+schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus
+und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als
+Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus
+Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als
+Konsuln, an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt
+waren, Capua und Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula
+gestuetzt, Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich
+aufstellend, Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei
+Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien
+von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von
+Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte
+auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht
+den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht
+verweigert ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer
+in Kampanien nicht bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch
+Compulteria und andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen
+von Hannibals oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer
+unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt,
+teils um in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die
+Bewegungen der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit
+der Armee von Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu
+brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich
+gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht
+unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die
+phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt
+zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich
+zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
+Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere
+in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff
+auf Capua ueberzugehen. Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht
+geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam.
+Jene raschen Maersche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des
+Krieges, denen Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte,
+waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die
+unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich
+gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war
+schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich
+nicht verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die
+Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und
+der italischen Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte.
+Die Vollendung stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier
+in Cartagena, bei den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika,
+Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich
+angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien
+der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von Westen,
+Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren,
+was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das
+Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende
+Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege
+fast unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr
+handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem
+vollen Sieg so nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht.
+Dass es moeglich gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder
+beliebigen Staerke bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal
+solange, als der Hafen von Syrakus den Karthagern offenstand und durch
+Makedonien die brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist
+die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem
+Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr
+noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren
+gegangen war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae
+sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu
+allen Zeiten bereit war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des
+Vaterlandes zu erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit
+der Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um
+nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb
+tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich
+Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom
+erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen Parteigetriebe
+fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen koennen
+wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der
+Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen.
+Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen
+auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus
+angeknuepften Verbindungen und auf Philippos' Intervention. Es kam alles
+darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen
+Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen
+oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland
+gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit
+Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer die Roemer sind
+es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist, die
+Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland
+festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung zwischen
+Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese Defensive
+womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich entwickelt
+zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur
+Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der
+italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest
+sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts
+entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker
+ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der Operationen, und
+alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich daran, die Isolierung
+Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder zu verewigen. Waere es
+moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die
+Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte,
+so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war
+Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich,
+dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische
+Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils
+fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage der Dinge
+dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen verlegten
+den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro an
+den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
+karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege.
+In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die
+Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen,
+die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit
+gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen
+Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische
+Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den
+unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien geschickten
+cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der Insel
+sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, welcher
+letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen
+Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation
+des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal
+gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen
+aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion
+der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die wichtigste Station
+Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit dem vor der Ankunft
+des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten Landheer zu sichern und
+fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in Makedonien selbst
+vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen und Stocken
+kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen,
+was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette.
+Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie
+ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo
+Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber
+verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den der Cannensische Sieg in
+Karthago erweckt hatte; die nicht unbedeutenden Streitkraefte, welche
+man dort disponibel gemacht hatte, waren, sei es durch faktioese
+Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung der
+verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden,
+dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten
+gewesen waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539
+(215) durfte auch der besonnene roemische Staatsmann sich sagen,
+dass die dringende Gefahr vorueber sei und die heldenmuetig begonnene
+Gegenwehr nur auf saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte
+auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. Am ersten ging der Krieg in
+Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in Hannibals Plan gelegen,
+auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb zufaellig,
+hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen
+Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel
+eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich
+annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es
+mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei der von ihm befolgten
+Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt, so hatte Syrakus
+Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager ueber die Roemer
+unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber ganz Sizilien
+geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von Karthago den
+Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben konnte.
+Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten
+der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke
+zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu
+bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn,
+den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten, zeigte die
+syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch rechtzeitige Rueckkehr
+zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen zu machen. Allein bei
+der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach Hieronymos' Tode
+die Versuche zur Wiederherstellung der alten Volksfreiheit und die
+Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den erledigten Thron wild
+durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden Soeldnerscharen aber
+die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals gewandte
+Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche
+zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf;
+masslos uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung,
+die den soeben wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern
+zuteil geworden sein sollte, erweckten auch in dem bessern Teil der
+Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet sei, um das alte
+Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den Soeldnern endlich
+wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens durchgegangene
+Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der
+Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der
+Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates
+und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul
+nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte
+Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte
+syrakusanische Ingenieur Archimedes sich besonders hervortat, zwang die
+Roemer nach achtmonatlicher Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu
+Wasser und zu Lande umzuwandeln. Mittlerweile war von Karthago aus, das
+bisher nur mit seinen Flotten die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf
+die Nachricht von der abermaligen Schilderhebung derselben gegen die
+Roemer ein starkes Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden,
+das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige
+Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte
+der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus;
+Marcellus' Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden
+feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger
+Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung
+auf der Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb
+mehr noch als die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der
+die Roemer auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der
+des Abfalls verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische
+Besatzung daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den
+Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern
+von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen
+verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die
+Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt
+am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die
+Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte
+gelegen, diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende
+Hauptstrasse deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange
+nachher. Als so die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige
+Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und
+Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen,
+ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und
+einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die
+roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die
+beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
+aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im
+Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen
+erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit
+der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei phoenikische
+Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern durch diese
+Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das Schicksal die
+eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus' Heer, in den
+Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die
+phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen
+Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere,
+groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten
+Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von
+der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich, als die
+roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der
+in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann nach Akragas.
+Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die Verhandlungen
+hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten sie an den
+Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten wurden
+die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener Buerger
+erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den
+fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus
+mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden
+noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die
+Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst
+542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in
+ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die ernstlichsten Versuche
+gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden Militaers zu entziehen,
+selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen des roemischen
+Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger Gemeinden die Gnade
+walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine Kriegerehre
+durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen
+Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den
+Tod fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die
+verspaeteten Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn
+und gab weder den einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre
+Freiheit. Syrakus und die frueher von ihm abhaengigen Staedte traten
+unter die den Roemern steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion
+und Neeton erhielten das Recht von Messana, waehrend die leontinische
+Mark roemische Domaene und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter
+wurden -, und in dem den Hafen beherrschenden Stadtteil, der "Insel",
+durfte fortan kein syrakusanischer Buerger wohnen. Sizilien schien also
+fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war auch hier aus
+der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter
+Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen
+Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei
+uebernahm und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die
+roemische Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener
+Flamme anfachend, einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und
+mit dem gluecklichsten Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die
+karthagische und roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus
+selbst mit Glueck einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das
+zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte
+hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit
+eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und bestand
+darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die
+Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen.
+Muttines liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern
+des Landes, besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago
+nicht unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen
+allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich
+der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte,
+ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte
+Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun seit
+zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte, fand
+hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter, die dem
+juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in Unterhandlungen
+mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und lieferten ihm
+Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach Karthago, um
+den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers den
+Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward
+von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei
+verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen,
+wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue,
+aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft;
+die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also ganz Sizilien
+unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt, dass einige Ruhe
+und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte. Man trieb das
+Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen und schaffte
+es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
+Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
+Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der
+Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter
+die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu
+erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen. Entscheidender als Syrakus
+haette Makedonien in den Gang der Ereignisse eingreifen koennen. Von
+den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder Foerderung noch
+Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos' natuerlicher
+Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter bei
+Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen
+Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils
+die Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des
+Krieges, teils Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen
+aller Art in Kleinasien, Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten
+ihn, jener grossen antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie
+Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische Hof stand entschieden auf
+der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544 (210) erneuerte; allein es
+war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, dass er Rom anders als
+durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen italischen
+Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien und
+Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie
+konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich
+gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind
+zusammenzustehen. Wohl gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des
+Agelaos von Naupaktos prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege
+mit den Kampfspielen, die jetzt die Hellenen unter sich auffuehrten,
+demnaechst vorbei sein; seine ernste Mahnung, nach Westen die Blicke
+zu richten und nicht zuzulassen, dass eine staerkere Macht allen jetzt
+streitenden Parteien den Frieden des gleichen Joches bringe - diese
+Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden zwischen Philippos
+und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz
+war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos
+zu seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in
+Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen
+hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr
+eines solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm
+fehlte die Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher
+Krieg allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe
+nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands
+umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit
+Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen Patrioten;
+und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art der
+Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu
+erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der cannensischen
+Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu
+bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem
+Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht,
+dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies
+geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser
+endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische
+Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine
+roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen;
+Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von
+leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein
+als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
+Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen
+Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um
+doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die
+roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im
+besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer,
+die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als
+die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben
+mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte
+fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward
+dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und
+das makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun
+zur voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem
+Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals,
+der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine
+Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann
+die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit
+Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann,
+die zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten,
+veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den
+Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen
+Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
+nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der
+alten Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
+Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen,
+fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien
+eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz
+zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf
+deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung
+des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen
+hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen
+auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so
+dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern
+gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die
+antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten
+an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber
+Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister
+Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen
+des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf
+gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden.
+Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge
+der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und endlich
+Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden griechischen
+Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit Einsicht
+und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen
+Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas
+wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen
+dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen
+seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit
+Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf
+in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu
+wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die ungluecklichen
+Akarnanen vernichteten und Lokris und Thessalien bedrohten; bald rief
+ihn ein Einfall der Barbaren in die noerdlichen Landschaften; bald
+sandten die Achaeer um Hilfe gegen die aetolischen und spartanischen
+Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von Pergamon und der roemische
+Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten Flotten die oestliche
+Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der Mangel einer
+Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam so
+weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von
+Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss
+er sich zu dem, womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe
+bauen zu lassen; Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht
+worden, wenn ueberhaupt der Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die
+Griechenlands Lage begriffen und ein Herz dafuer hatten, beklagten
+den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte Kraefte sich selbst
+zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt
+hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen,
+ja selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden
+Parteien nahe genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch
+die Aetoler, auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich
+ankam, viel unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig
+der Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere
+Aetolien den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen
+gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und
+verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es
+ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als
+die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften,
+wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei
+verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten
+viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
+fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung
+der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den
+sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und
+Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese
+sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der
+Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede
+zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen
+uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt;
+indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des
+erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition
+aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
+ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der
+Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten
+fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu
+beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen
+wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen
+atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der epeirotischen
+Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos sich noch
+gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein es war
+damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen liess,
+dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
+widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland
+gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und
+richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen
+Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war. In Spanien,
+wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf
+ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die
+eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie
+mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal
+und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen
+Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem
+wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm zusammenzutreiben
+wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt nur
+zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
+gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
+Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle
+scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied
+gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder
+die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder
+kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen ziemlich
+gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich spanischen
+Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie Sagunt auf
+roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg wenig
+hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die
+Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich
+gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten
+festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall
+entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen
+Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder
+aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am
+Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht
+mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils
+weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes
+von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
+ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger
+Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in
+der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich,
+von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu
+geben. Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus
+und Publius Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und
+vortreffliche Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten
+Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet
+und der Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen
+Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig
+zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende
+Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
+Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die
+roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der
+Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg
+wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen
+des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und
+sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und Wiederherstellung von
+Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie vom Ebro nach Cartagena,
+indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation soweit moeglich
+bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus Spanien fast
+verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen
+gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen
+Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit
+den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen,
+ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge
+hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben damals keinen Mann
+entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um sich zu teilen.
+Indes schon Syphax' eigene Truppen, geschult und gefuehrt von roemischen
+Offizieren, erregten unter den libyschen Untertanen Karthagos so
+ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende Oberkommandant von Spanien
+und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern der spanischen Truppen
+nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine Wendung ein; der
+Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem der
+Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn
+Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert
+ist uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung
+der grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas
+Siege an den Aufstaendischen nahm. Diese Wendung der Dinge in Afrika
+ward auch folgenreich fuer den spanischen Krieg. Hasdrubal konnte
+abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald betraechtliche
+Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, die
+waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213
+212) im karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren
+hatten, sahen sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften
+angegriffen, dass sie entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die
+Spanier aufbieten mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000
+Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen
+unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu
+begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen Truppen
+zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend
+Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den
+saemtlichen spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte,
+bestimmte dieser ohne Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im
+roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen nach ihrer Landsknechtmoral
+vielleicht nicht einmal als Treubruch erschien, da sie ja nicht zu den
+Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem roemischen Feldherrn blieb
+nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen Rueckzug zu beginnen,
+wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile sah sich
+das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen
+phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft
+angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die
+Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager fast
+eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen spanischen
+Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig umzingelt. Der
+kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten Truppen den Spaniern
+entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke in der Blockade
+fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl anfangs im
+Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch
+waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die
+Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch,
+bis dass die phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des
+Feldherrn die verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem
+Publius also erlegen war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich
+des einen karthagischen Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von
+dreien zugleich sich angefallen und durch die numidische Reiterei jeden
+Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen nackten Huegel gedraengt, der
+nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu schlagen, wurde das
+ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst
+ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung allein
+rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus' Schule, Gaius Marcius,
+hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem
+Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager
+gebliebenen Teil in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im
+suedlichen Spanien zerstreuten roemischen Besatzungen vermochten sich
+dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro herrschten die Phoeniker in ganz
+Spanien ungestoert und der Augenblick schien nicht fern, wo der Fluss
+ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung mit Italien
+hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den
+rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung
+aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen
+Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der
+Neid und Hader unter den drei karthagischen Feldherren entrissen diesen
+die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den
+Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie
+behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues Heer und einen neuen Feldherrn
+zu senden. Zum Glueck gestattete dies die Wendung des Krieges in
+Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine starke Legion - 12000
+Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das Gleichgewicht
+der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im
+folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas
+ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch
+unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr
+nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber
+ein harter auffahrender unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten
+Verbindungen wieder anzuknuepfen und neue einzuleiten und Vorteil zu
+ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, womit die Punier nach dem Tode
+der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen Spanien behandelt und
+alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die Bedeutung und die
+Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte und durch
+die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von den
+grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um
+Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen
+zu senden, beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und
+einen ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung
+man dem Volke anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der
+Bericht - meldete sich niemand zur Uebernahme des verwickelten
+und gefaehrlichen Geschaefts, bis endlich ein junger
+siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in
+Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun
+und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der
+roemische Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von
+solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz
+und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben gewesen, dass fuer den
+wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich angeboten haette. Wenn
+dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen
+und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am Ticinus und
+bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der
+erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren
+und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg
+einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber
+trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und
+die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition bei der Menge
+beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich improvisierten
+Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der Sohn, der den Tod
+des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am Ticinus das Leben
+gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den langen Locken,
+der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich darbot fuer
+den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf einmal die
+Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles
+machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und
+unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine
+begeisterte und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die
+mit ihrem eisernen Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch
+Menschenkraft in neue Gleise zwingen; oder die doch auf Jahre dem
+Schicksal in die Zuegel fallen, bis die Raeder ueber sie hinrollen.
+Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten gewonnen und
+Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren auch als
+Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist
+weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem
+Vaterlande wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und
+politisch hat er, wenn auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen
+und persoenlichen Politik sich deutlich bewusst zu sein, seinem Lande
+mindestens ebensoviel geschadet, als er ihm durch seine Feldherrngaben
+genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber auf dieser anmutigen
+Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, die Scipio
+halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie von
+einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei,
+um die Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige
+ueberall entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen;
+nicht naiv genug, um den Glauben der Menge an seine goettlichen
+Inspirationen zu teilen, noch schlicht genug, ihn zu beseitigen, und
+doch im stillen innig ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden
+zu sein - mit einem Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke
+stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts
+und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels
+sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die
+Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass
+er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig
+anerkannte, fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier
+und feingebildeter Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege
+dieses oder jenes Berufs, hellenische Bildung einigend mit dem vollsten
+roemischen Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann
+Publius Scipio die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute
+und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren
+karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der
+Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien.
+Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
+Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
+Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem
+Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit
+einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich
+sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten
+Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei karthagischen
+Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, Hasdrubal Gisgons
+Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen des Herakles; der
+naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von der phoenikischen
+Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), ehe noch die
+feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen diese
+Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem
+Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr
+30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann
+starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser
+und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden
+Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen
+Flotte, auf der vierten von den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit
+entfernt; aber der Kommandant Mago wehrte sich mit Entschlossenheit und
+bewaffnete die Buergerschaft, da die Soldaten nicht ausreichten, um
+die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall versucht, welchen indes die
+Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung
+einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, den Sturm
+auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem
+schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die
+ermuedeten ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft,
+aber einen Erfolg hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch
+keinen erwartet; der Sturm hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der
+Hafenseite wegzuziehen, wo er, unterrichtet davon, dass ein Teil des
+Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte.
+Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung
+mit Leitern ueber das Watt, "wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige", und
+sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden.
+So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg
+kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn
+abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial,
+bedeutende Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1
+Million Taler), zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische
+Gerusiasten oder Richter, und die Geiseln der saemtlichen spanischen
+Bundesgenossen Karthagos in die Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den
+Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit
+Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die
+die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu
+bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der
+Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der
+Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die
+faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger
+aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung
+gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
+wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen
+Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss
+durch eine Besatzung zu sichern. So war die verwegene Unternehmung
+gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio nicht unbekannt war, dass
+Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte, nach
+Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt war, und weil
+die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande
+war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur
+verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro
+gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte,
+als er seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich
+auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus
+und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme
+der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles,
+was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte,
+dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf
+unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf
+die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse
+zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss die
+diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch jenseits
+des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel mit der
+roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08) dazu,
+seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten sein
+Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im
+Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne,
+und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf
+Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem
+Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur
+Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000
+Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit
+Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit
+seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen schlug
+er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean hinziehend
+die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und
+stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er
+Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der
+ihm aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und
+unweise gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die
+nicht bloss Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius
+und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der
+siegreiche Feldherr an der Spitze einer starken Armee in seinem Uebermut
+nicht genuegt, und wesentlich er verschuldete die aeusserst gefaehrliche
+Lage Roms im Sommer 547 (207), als Hannibals Plan eines kombinierten
+Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich realisierte. Indes die
+Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien
+ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin
+des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue
+Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass
+man den faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch- phoenikischen
+Armee in Italien zu bekaempfen gehabt hatte. Nach Hasdrubal Barkas'
+Entfernung beschlossen die beiden in Spanien zurueckbleibenden
+Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons Sohn nach
+Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen aus
+Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen
+zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge
+getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im
+folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit
+einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich wieder nach
+Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und Hannos
+vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen. Hasdrubal gab
+darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und verteilte seine Truppen
+in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in diesem Jahr nur noch
+eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen ueberwaeltigt;
+aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein
+gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde,
+70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte
+spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das
+roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des feindlichen und
+auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio stellte, wie Wellington
+in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie nicht zum Schlagen
+kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu verhindern -,
+waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die Spanier
+warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die
+Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines
+solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben -
+einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen
+jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig
+sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit
+grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der afrikanischen
+Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja selbst mit
+Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika Verbindungen
+einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen entsprechenden
+Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon den
+neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den
+Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als
+ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und
+die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des
+phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste loszuwerden und
+die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend widerlegt hatten, in
+Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die Roemer ausbrechen wuerde,
+bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms vorangingen. Die Erkrankung
+des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines seiner Korps, veranlasst
+durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, beguenstigten
+den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte und
+daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden,
+die bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen
+wurden, ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit
+nichts und Gades doch auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die
+karthagische Regierung dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen,
+Truppen und Geld sich vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in
+Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren
+- es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte aufgeloest hatte - und
+musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung der Heimat gegen
+neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert verliess der
+letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab
+sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf
+spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien
+war nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine
+roemische Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang
+die stets besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen
+die Roemer fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern
+gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um
+sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von
+den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten.
+Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland,
+Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen
+Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen,
+nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an
+Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des
+Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker
+folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach
+Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon
+zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum.
+Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
+Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit
+der Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die
+Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im
+brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme
+geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das
+die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden
+waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst
+einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische Hauptarmee von vier
+Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus
+war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam
+roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in
+alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und Brundisium
+wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion
+verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit
+beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien,
+Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den
+unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu
+versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel
+fuer dies Jahr neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische
+Buerger. Man darf annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft
+vom 17. bis zum 46. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo
+der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sklaven, den Alten, den
+Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter solchen Verhaeltnissen
+auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit waren, ist
+begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen war,
+ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um
+Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch
+Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch
+zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend
+die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
+Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie
+die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von
+Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich
+Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
+begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
+Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu
+bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr
+auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten
+der Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung
+ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden,
+und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich
+unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
+Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie
+kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es
+ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe
+Mann die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art
+in gleicher Vollkommenheit geloest hat. Zunaechst zog der Krieg sich
+vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der
+Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte
+er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer besassen, den
+starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er wehren,
+dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum,
+das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden
+Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch
+Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren
+Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug
+ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich
+inzwischen in Lucanien mit der roemischen Armee von Apulien herum;
+Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem
+gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten
+Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen
+des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. Im folgenden Jahr (541
+213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi zurueck, dessen
+Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die Stadt
+eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung
+gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande
+der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und
+mehrere brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische
+Abteilung des phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere
+von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus
+karthagischen in roemische Dienste. Unguenstiger war fuer die Roemer
+das Jahr 542 (212) durch neue politische und militaerische Fehler, die
+Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die Verbindungen, welche
+Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, hatten zu
+keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen
+tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine
+Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig
+von den roemischen Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die
+unverstaendige Rachsucht der Roemer foerderte Hannibal mehr als seine
+Intrigen; die Hinrichtung der saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte
+sie eines kostbaren Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen
+seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward
+Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die
+Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt;
+kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem
+Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher
+Stadt zur Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte
+weggezogen werden muessen. Damit war die Gefahr einer makedonischen
+Landung so nahe gerueckt, dass Rom sich genoetigt sah, dem fast
+gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und
+neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von
+Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit
+gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr
+abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten
+Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen,
+aber doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so
+sehr gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend
+bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport
+zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu
+nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus
+und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport
+deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers
+und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
+darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen
+Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber
+der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen
+Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein
+Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen
+Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So
+fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein
+unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
+Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen
+ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als
+Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen
+nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von
+Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig
+befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren
+in Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des
+nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in
+Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber
+das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden
+Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie Hannibal
+Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die
+roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und
+Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius,
+auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero;
+die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander
+verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend
+verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht
+entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein
+Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die
+Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren,
+durch die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen,
+begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der
+Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33
+Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob
+den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein Lager am Berge Tifata
+unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung, dass die roemischen
+Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die Belagerung aufheben
+wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, ihre Lager und
+ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht und
+sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die
+kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre
+Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht
+denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen
+roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon
+frueher der Mangel an Futter in dem systematisch ausfouragierten Lande
+ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich nichts machen. Hannibal
+versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der seinem erfinderischen
+Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. Er brach mit dem
+Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben Nachricht
+gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug
+die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in
+seinen ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen
+Heer zwischen die feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine
+Truppen durch Samnium und auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei
+bis zur Aniobruecke, die er passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager
+nahm, eine deutsche Meile von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die
+Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward von "Hannibal vor dem Tor";
+eine ernstliche Gefahr war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker
+in der Naehe der Stadt wurden von den Feinden verheert; die beiden
+Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, verhinderten die
+Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio bald
+nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte
+Hannibal uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche
+Belagerung gedacht; seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass
+im ersten Schreck ein Teil des Belagerungsheeres von Capua nach Rom
+marschieren und ihm also Gelegenheit geben werde, die Blockade zu
+sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer
+sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die durch
+Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn
+die roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an
+der Stelle, wo Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem
+Capenischen Tor an dem zweiten Miglienstein der Appischen Strasse,
+errichteten die dankbaren Glaeubigen dem Gott "Rueckwender Beschuetzer"
+(Rediculus Tutanus) einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so
+in seinem Plane lag, und schlug die Richtung nach Capua ein. Allein
+die roemischen Feldherren hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr
+Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen die Legionen in den Linien
+um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals
+Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er
+sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom
+her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu
+schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein
+geringer Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon
+hatte die Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen
+derselben, mit bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern
+der Rom feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische
+Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die
+Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne
+Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod;
+die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich
+erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich von
+selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es klueger
+und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats auch
+ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution
+der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und
+der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger
+unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und
+Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl
+und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und
+enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil
+der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
+Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und
+Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was
+Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch
+jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie
+begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in Capua
+zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar nach dem
+uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber
+war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um die stille Rivalitaet,
+die lange zwischen den beiden groessten Staedten Italiens bestanden
+hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der kampanischen
+Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin vollstaendig
+politisch zu vernichten. Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und
+nur um so mehr, weil er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine
+zweijaehrige, allen Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte
+Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der
+den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor
+der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war.
+Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf
+die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion
+oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
+ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war
+der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den
+Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem
+Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet,
+das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu ernaehren,
+so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger als die
+Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es gelang
+nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager gewichen.
+Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens
+und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten
+genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten
+Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische Symmachie wieder
+zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer Hannibal als der
+unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die schwankenden Staedte
+entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer
+noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der Aufreibung in
+kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im Jahre 544
+(210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter
+niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden,
+um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner
+italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die
+Roemer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum
+sicher; sie entsandten betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo
+durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der roemischen Armee
+gefaehrdet war, und gestatteten zum erstenmal seit dem Beginn des
+Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der Truppen, die bisher
+trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich
+vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum
+ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg
+laessiger als bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus
+nach Beendigung des sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der
+Hauptarmee uebernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den
+Festungskrieg und lieferte den Karthagern unentschiedene Gefechte.
+Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes
+Resultat. In Apulien gelang Hannibal die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus
+Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545 209) schritten
+die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten
+war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus
+Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit
+und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am
+ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg;
+waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und
+Hirpiner zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen
+Besatzungen bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus
+Hannibal noetigten, den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen,
+setzte der alte Quintus Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das
+Konsulat und damit den Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen
+hatte, sich fest in dem nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer
+brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in
+der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der
+Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht
+und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven
+verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen
+sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn;
+Hannibal kam zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck
+nach Metapont. Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen
+eingebuesst hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze
+der Halbinsel beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das
+naechste Jahr (546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung
+mit seinem tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch
+einen entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten
+fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte
+ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien.
+Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei
+einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend
+von Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen.
+Marcellus focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen
+Hamilkar, vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend
+vom Pferde sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht
+empfangenen Wunden (546 208). Man stand jetzt im elften Kriegsjahr.
+Die Gefahr schien geschwunden, die einige Jahre zuvor die Existenz des
+Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte man den schweren
+und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. Die
+Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von
+Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den
+angesehensten Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen
+in diesen schweren Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu
+haben; sie mag getan haben, was moeglich war, aber die Verhaeltnisse
+waren von der Art, dass alle Finanzweisheit daran zuschanden ward.
+Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die Silber- und die Kupfermuenze
+verringert, den Legalkurs des Silberstueckes um mehr als ein Drittel
+erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr
+bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten auf Kredit
+nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis der
+arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem
+Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den
+Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am
+meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den
+besseren Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen,
+freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des
+Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und
+nach dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der
+Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende
+des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung
+der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein
+Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die
+diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben
+vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz
+wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe
+bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man
+verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der
+Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000
+Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen
+nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren
+Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis des Staats war
+nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes. ueberall lagen
+die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Haenden
+fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preussischer
+Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), mindestens das
+Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren geradezu
+Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und
+nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der
+aergsten Not gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen
+Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz
+verzehren, die bluehenden Doerfer in Bettler- und Raeubernester
+verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere
+Berichte erhalten haben. Bedenklicher noch als diese materielle Not war
+die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg,
+der ihnen Gut und Blut frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden
+kam es dabei weniger an. Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts
+vermochten, solange die latinische Nation zu Rom stand; an ihrer
+groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt
+indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen
+in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien,
+also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am
+wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209)
+dem roemischen Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch
+Steuern mehr schicken und es den Roemern ueberlassen wuerden, den in
+ihrem Interesse gefuehrten Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung
+in Rom war gross; allein fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die
+Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck handelten nicht alle latinischen
+Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien,
+an ihrer Spitze das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im
+Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen
+- freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem
+gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele
+stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss
+fuer Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer
+Italiens nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe
+Abfall war sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und
+Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit
+den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es
+eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf die
+unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium
+zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im Interesse
+Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward entdeckt
+und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen
+marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung
+zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
+Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
+schreckten. In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug
+ploetzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres
+546 (208) die Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst
+machen muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden
+Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen
+schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese
+Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte, das
+fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst
+Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
+phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen;
+wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem
+Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen
+zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen;
+der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund
+gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und
+Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines
+Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von
+ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr
+bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen auf; man rief Freiwillige zu den
+Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung
+mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und Feinden ueber
+alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207);
+die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld
+willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom
+beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam
+man damit wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus
+stehe, dass er die Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder
+zu den Waffen rufe, dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der
+Konsul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass
+er erschien. Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige
+von dort verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog
+aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit
+einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen.
+Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der
+grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er
+bei Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht,
+in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte
+wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen
+geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert
+Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei
+Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war,
+dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und
+nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint
+nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
+noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals
+mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die
+wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig
+gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete
+Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass
+Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also
+zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den
+Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
+treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung
+der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische
+Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der
+Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt,
+dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde,
+ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen
+Wagnis, mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in
+Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit
+dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn
+das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um
+Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten
+und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er
+abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
+erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
+beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte
+die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen;
+allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem
+ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen
+Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische
+Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte
+die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die
+Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht
+auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier befehligte,
+ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch
+wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind stehen liess
+und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die Flanke
+fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war
+vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das
+Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht
+verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen
+Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu
+sein. Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand
+nach kaum vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal
+gegenueber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt
+hatte. Die Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des
+Bruders, den der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also
+dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle
+Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal
+erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er
+gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen
+zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug
+waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch
+eine beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt,
+deren Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die
+mit der Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt.
+Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in
+Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden
+sei. Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht.
+Der Staat und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige
+moralische und materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der
+Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert,
+die roemischen und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe
+zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils der
+kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt
+und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das
+freiwillige Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand
+gebliebenen latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit
+schweren Zinsen zu genuegen. Der Krieg in Italien stockte. Es war ein
+glaenzender Beweis von Hannibals strategischem Talent sowie freilich
+auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen
+Feldherren, dass er von da an noch durch vier Jahre im brettischen Lande
+das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen
+werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen noch sich
+einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, weniger
+in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden
+Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger
+wurden und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein
+Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf
+Publius Scipios Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen
+(549 205). Als sollten seine Entwuerfe noch schliesslich von den
+karthagischen Behoerden, die sie ihm verdorben hatten, selbst eine
+glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese in der Angst vor der
+erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548,
+549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien
+Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien
+aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen
+Landhaeuser und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten.
+Ebenso ging eine Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur
+Erneuerung des Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549
+205). Allein es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor
+mit Rom Frieden geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung
+Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens
+nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika,
+das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte;
+begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der
+spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine
+makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. Ernstlicher griff
+Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den Truemmern der
+spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, landete
+er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die
+Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des
+Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen
+sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten.
+Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche
+Unternehmung gegen das eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls
+viel zu schwach und sein Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken,
+als dass er mit Erfolg haette vorgehen koennen. Die karthagischen Herren
+hatten die Rettung der Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt,
+da sie sie wollten, war sie nicht mehr moeglich. Wohl niemand zweifelte
+im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg Karthagos gegen Rom zu
+Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen Karthago begonnen
+werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so unvermeidlich
+sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem
+eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten
+Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren,
+wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen
+und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius
+Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen,
+allein sie waren beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten;
+es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu
+verschaffen - so weit war man ja schon, dass die Tuechtigkeit allein
+nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -, und mehr als
+zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften Volke
+neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien
+zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene
+Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien,
+ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat
+sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die schon in Spanien
+entworfene afrikanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indes im
+Senat wollte nicht bloss die Partei der methodischen Kriegfuehrung von
+einer afrikanischen Expedition so lange nichts wissen, als Hannibal
+noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet dem jungen
+Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische
+Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und
+etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine
+Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen
+seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er gegen
+seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die
+Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die
+Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der
+aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den
+Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs
+und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel Lust
+bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in
+Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass
+er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der
+Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei
+dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken,
+sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken, ob ein solcher
+Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den
+etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen
+Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die eigenmaechtige
+Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet
+war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht zum
+Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen,
+dass die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war,
+dieselbe ins Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio
+ein aeusserst faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen
+Krieges wohl geeignet war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom
+Volke die Verlaengerung seines Oberbefehls so lange als noetig und die
+Aufbietung der letzten Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem
+Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem
+derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht
+wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des
+Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen,
+um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die
+Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in
+Afrika landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene
+beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen
+- zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache
+Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm
+gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich,
+dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr
+geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man
+einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige
+Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
+behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet
+des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers,
+deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. Ein anderer
+Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische
+Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen
+werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein,
+wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen.
+Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu
+belaestigen, um nicht der Popularitaet der Expedition zu schaden. Die
+Kosten derselben, namentlich die betraechtlichen des Flottenbaus, wurden
+teils beigeschafft durch eine sogenannte freiwillige Kontribution der
+etruskischen Staedte, das heisst durch eine den Arretinern und den
+sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte
+Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen
+war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige,
+deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten
+Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
+starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
+Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne
+den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der
+Naehe von Utica. Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf
+die Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten
+Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein
+ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren,
+nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu
+bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer
+zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
+Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der
+Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran),
+dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren
+und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung
+eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den alten
+Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen liess.
+Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten Macht der
+Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem letzteren
+zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in der
+Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand
+ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140
+Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt
+worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des
+in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag
+eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine
+Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet. Auf das
+Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager
+des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind
+gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte
+zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und
+die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten
+doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich
+sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug.
+Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war
+er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur
+Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich mit
+50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung aufgehoben
+und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und
+Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging
+dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich
+unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch
+einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die
+von Scipio mehr listig als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen,
+liessen sich in einer und derselben Nacht in ihren beiden Lagern
+ueberfallen: die Rohrhuetten der Numidier loderten in Flammen auf, und
+als die Karthager eilten zu helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe
+Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den roemischen
+Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war
+verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut
+nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr
+der Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren
+die erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt;
+man beschloss, auf den "grossen Feldern", fuenf Tagemaersche von Utica,
+noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte,
+sie anzunehmen; mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und
+Freiwilligen die zusammengerafften karthagischen und numidischen
+Schwaerme und auch die Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht
+rechnen durften, wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen.
+Die Afrikaner konnten nach dieser doppelten Niederlage nirgend mehr
+das Feld halten. Ein Angriff auf das roemische Schiffslager, den die
+karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar kein unguenstiges, aber
+doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit aufgewogen
+durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein beispielloser
+Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die Roemer
+ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. Nach solchen
+Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit sechzehn
+Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich
+offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten.
+Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode
+verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und
+Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen Besitzungen
+und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des Syphax an
+Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig und eine
+Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) - Bedingungen,
+die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass die Frage
+sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms
+Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben
+an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine
+karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische
+Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu
+verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen auf den grossen
+Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte, feuerten sie
+an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede notwendig die
+Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen
+musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht;
+man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu lassen
+und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung
+vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst
+nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203)
+daran arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu
+rufen, war eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit
+ueberlegenen roemischen Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei
+war zum Weichen und das Fussvolk ins Gedraenge gebracht worden und der
+Sieg schien sich fuer die Karthager zu erklaeren, als der kuehne Angriff
+eines roemischen Trupps auf die feindlichen Elefanten und vor allem die
+schwere Verwundung des geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der
+Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste
+zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog
+ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal
+waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten
+Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten,
+seinem Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen;
+als er in Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn
+empfing, saeumte er nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde
+niederstossen sowie die italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm
+ueber das Meer zu folgen, und bestieg die auf der Rede von Kroton
+laengst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe. Die roemischen
+Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu
+zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also freiwillig dem
+italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen
+ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit
+mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von
+Rat und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach
+roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter
+darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste
+Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und
+der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre
+aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel
+nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein durch
+seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und
+betrat, der letzte von Hamilkars "Loewenbrut", hier abermals nach
+sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er,
+fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch
+so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts
+ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See
+einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er
+hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft,
+jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
+zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei
+offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue
+Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit
+angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in
+der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die
+Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen
+Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines roemische Gesandte
+fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der Waffenstillstand gebrochen. In
+gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem Lager bei Tunis auf (552
+202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas (Medscherda), indem er
+den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, sondern die
+Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und
+verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand
+bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis
+und Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen
+war, mit ihm zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem
+roemischen in einer persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen
+zu erlangen; allein Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze
+der Zugestaendnisse gegangen war, konnte nach dem Bruch des
+Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen,
+und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt etwas
+anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten
+keineswegs unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte
+zu keinem Ergebnis und so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama
+(vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei Linien ordnete Hannibal sein
+Fussvolk: in das erste Glied die karthagischen Mietstruppen, in das
+zweite die afrikanische Land- und die phoenikische Buergerwehr nebst dem
+makedonischen Korps, in das dritte die Veteranen, die ihm aus Italien
+gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig Elefanten, die Reiter
+auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine Legionen in drei
+Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten
+durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu
+sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts
+ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in
+Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch
+das Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen
+war, leichtes Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war.
+Ernster war der Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen
+den beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen
+Handgemenge gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten
+an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die
+karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass
+sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der
+karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog
+eilig, was von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel
+zurueck und schob seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor.
+Scipio draengte dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie
+noch kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und
+links an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben
+Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte
+Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei
+der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen
+feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war
+nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet;
+dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren,
+hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll
+Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.
+------------------------------------------------------- ^1 Von den
+beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der westlichere,
+etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der Schlacht
+(vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder
+Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den
+19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig.
+------------------------------------------------------ Nach diesem Tage
+konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur Fortsetzung des
+Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen Feldherrn,
+sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt
+noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle
+eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen
+wollen, jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht
+getan; er gewaehrte den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die
+frueheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen
+Verhandlungen fuer Rom wie fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde
+den Karthagern auf fuenfzig Jahre eine jaehrliche Kontribution von
+200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig
+machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und ueberhaupt
+ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes
+nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich
+darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine
+politische Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager
+unter Umstaenden verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen
+Flotte zu stellen. Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der
+Beendigung des schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit
+dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu
+guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein,
+wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten
+scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse
+so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die
+Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem
+Siege ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und
+von dieser entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die
+Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem
+ihr also die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite
+gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen
+Suprematie zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es
+wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte
+Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago
+und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht
+erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken,
+dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen
+aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
+Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der
+vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das
+Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte,
+gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen
+Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen
+Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen,
+die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen
+Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings nicht
+fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges
+haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch
+alles unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der
+ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem
+Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon
+vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden
+grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung
+stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der
+ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
+Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu
+setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen
+Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in
+das Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem
+Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der hochherzige
+und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem
+Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt
+vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus voellig
+zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation
+frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die
+ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der
+Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von
+sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen. So war der Zweite Punische
+Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der Hannibalische Krieg
+beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu den Saeulen
+des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem
+Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu
+der Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer
+natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den
+Krieg auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die
+Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet,
+sondern einen gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien
+bequeme Nachbarn gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas
+beim Friedensschluss deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere
+Ergebnisse des Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem
+Gedanken wenig entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die
+eigentliche Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die
+Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft
+ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt
+haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das
+Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die
+Verhaeltnisse zugeworfen worden. Die unmittelbaren Resultate des Krieges
+waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spaniens in eine roemische,
+freilich in ewiger Auflehnung begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung
+des bis dahin abhaengigen syrakusanischen Reiches mit der roemischen
+Provinz Sizilien; die Begruendung des roemischen statt des karthagischen
+Patronats ueber die bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die
+Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose
+Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den
+Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige
+Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das
+im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
+demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte
+der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das
+Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang
+bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution
+vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft
+war die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden
+latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner
+Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr
+geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht
+latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker
+und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder
+vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und
+letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft
+der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
+der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar
+die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den
+gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger
+oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen
+Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht.
+Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde
+geschleift und die Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der
+Brettier Los war noch haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu
+Leibeigenen der Roemer gemacht und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht
+ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten
+schwer, so die griechischen Staedte mit Ausnahme der wenigen, die
+bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die kampanischen Griechen und die
+Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer
+apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils
+Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker
+wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
+Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum
+(bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem
+ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg
+bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen
+Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner
+ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia (560 194),
+ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen Valentia (562
+192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien wurden die
+Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln angesiedelt; der
+Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen Herren in Rom
+ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht sich,
+dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht
+gut roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch
+politische Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall
+in Italien fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name
+eitel und dass sie fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung
+Hannibals ward als eine zweite Unterjochung Italiens empfunden und
+alle Erbitterung wie aller Uebermut des Siegers vornehmlich an den
+italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die
+farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon
+die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem
+zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und die
+letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter
+darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die
+ausdauerndste Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die
+kampanische Sklavenschaft schon gelernt habe auszuhalten, so hallt aus
+solchen gefuehllosen Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der
+Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt
+die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen
+Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die
+Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200),
+Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom
+aus zugesandt wurden. Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen
+der italischen Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der
+roemischen Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um
+den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im
+Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint
+danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust
+vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie
+die Masse der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich
+lichtete, zeigt die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae,
+wo derselbe auf 123 Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch
+eine ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen
+Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der
+zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier Weltgegenden
+im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im tiefsten Grund
+erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur Ausfuehrung im
+einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der Staat gewann
+durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische Gebiet blieb
+seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein
+durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der
+Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten
+gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge
+bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und
+verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung
+durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition
+buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das
+letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in
+Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt,
+dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen
+wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden
+Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose
+Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich in seiner
+Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege aufgestellte
+Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst geerntetem auch von
+sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden koenne. Dennoch
+durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende dieses
+Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich
+in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet
+worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre
+hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich
+verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene,
+doch im ganzen friedliche und freundliche Zusammenleben der
+verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Voelkerentwicklungen
+zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: damals galt es Amboss zu sein
+oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war der Sieg den Roemern
+geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation
+immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu latinisieren, die
+Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, nicht als
+Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden
+Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher
+fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten
+entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen
+Verhaeltnissen gegruendete Wohlstand und die entschiedenste politische
+Suprematie ueber die damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen
+Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel,
+jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn
+nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen
+Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die
+Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und
+Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung
+waren, die geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika,
+Griechenland und endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge
+durch die geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme
+in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen
+zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen
+hatte. 7. Kapitel Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der
+dritten Periode In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die
+Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und
+in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom
+durch den Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von
+selbst, dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte,
+und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses
+mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier
+die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den
+eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden
+eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in
+Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554
+200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
+bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
+naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend
+hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als
+auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von "den beiden Riegeln
+gegen die gallischen Zuege", Placentia und Cremona, ward der erste
+niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht
+mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig marschierten die
+Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. Vor Cremona kam
+es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und kriegsmaessige Leistung
+derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers vermochte es nicht, die
+Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen
+hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, welche zahlreich
+das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes
+setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, welches bei
+Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch
+die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben
+und erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt
+werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone
+ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und
+die Cenomanen traten nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern
+erkauften sich auch Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen
+Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer Schlacht, die
+die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und
+Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So
+gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach
+dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die
+Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb,
+waren allerdings haerter, als sie den Gliedern der italischen
+Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; namentlich vergass man
+nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich
+zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden
+Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes
+liess man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und
+ihre nationale Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern
+Voelkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen
+Tribut auf; sie sollten den roemischen Ansiedlungen suedlich vom Po als
+Bollwerk dienen und die nachrueckenden Nordlaender wie die raeuberischen
+Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias in diese Gegenden zu
+unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens griff auch in
+diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit um sich;
+die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den
+Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker.
+Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im
+Jahre 586 (168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios,
+der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste,
+versichert, vielleicht nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst
+nur noch wenige Doerfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die
+Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben.
+Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
+begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der
+transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der
+Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze
+zu machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den
+naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war,
+zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der
+Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen,
+sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, welche
+die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier
+(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder
+Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die
+beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche
+einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher
+Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in welcher
+diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat um
+Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, ueber
+die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 186,
+179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt
+hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der
+Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer
+die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit
+schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche
+Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch
+dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern wenig bekannten
+Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres stattfand, mehr aber
+noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien, wie Hannibal von
+Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlassten
+die Gruendung einer Festung in dem aeussersten nordoestlichen Winkel
+Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia (571-573
+183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu verlegen,
+sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene
+Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten
+Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage
+Aquileias veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177),
+der mit der Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo
+schnell beendigt war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den
+panischen Schreck, den die Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen
+Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz
+Italien hervorrief. Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des
+Padus, die der roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben.
+Die Boier, die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter
+Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und
+ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen
+(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig
+fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die ewigen
+Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die
+letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer
+siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern
+eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das
+roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung
+sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne
+sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier nichts mehr uebrig
+sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie sich ergeben in das
+Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer forderten Abtretung des
+halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch
+auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden
+sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1.
+--------------------------------------- ^1 Nach Strabons Bericht waeren
+diese italischen Boier von den Roemern ueber die Alpen verstossen worden
+und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn um Steinamanger
+und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen Zeit von den
+ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde,
+dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess.
+Dieser Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der
+roemischen Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte
+mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der
+italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in der Tat der Annahme einer
+gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden doch auch die uebrigen
+keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und Kolonisierung in weit
+minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger rasch und vollstaendig
+aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits fuehren andere
+Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See herzuleiten von
+dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen sass, bis
+deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr
+zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen
+findet, wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und
+nicht bloss eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte
+auf nichts anderem beruhen als auf einem Rueckschluss aus der
+Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst
+oft unueberlegt anwandten. ----------------------------------------
+Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
+Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen
+Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert
+und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem
+ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona;
+570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen
+boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183)
+und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem
+Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch
+diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage
+der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische
+Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
+Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die
+Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst
+Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der
+roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber
+die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue
+Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine kuerzere Verbindung
+zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden
+Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des
+italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch den Po.
+Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-,
+jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war
+ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und
+Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward. In dem nordwestlichen
+italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel hauptsaechlich von dem
+vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Roemer
+in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno wohnte, ward
+vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem Apennin
+zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von
+Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten.
+Was hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in
+die Gegend von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische
+Massregeln die ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175)
+die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in
+den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig
+unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte
+Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich
+wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen
+vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia
+und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der
+Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von
+Luca ueber Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der
+Aurelischen und Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.
+Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen
+Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren
+unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten;
+die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren
+Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden
+indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht
+bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen
+Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
+Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna
+ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen
+- jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen
+Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die Uferstrasse offen
+zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Taelern und seinen
+Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen
+Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als Kriegsschule zur Uebung
+und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. Aehnliche sogenannte
+Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen und mehr
+noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie
+gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten.
+Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die
+Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den "Frieden" gab,
+sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen
+zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom
+schleppte, dass es Sprichwort ward: "spottwohlfeil wie ein Sarde". In
+Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso
+kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der
+karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche
+Stadt bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer
+roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des
+Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert
+bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen
+garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der
+karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere
+sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
+erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat
+den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische
+Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags
+sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen
+Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen
+und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse
+ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie
+ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter
+und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit
+war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago
+sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
+seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von
+den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen.
+So gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die
+Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den
+groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten
+die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig Doerfer
+vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging nach
+Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder zu
+gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht
+mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit
+sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie einbuessen
+sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen
+zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die
+roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu
+Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht
+gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte
+Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das allzugrosse
+Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene
+reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quaelerei wegen
+Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle
+Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder roemische
+Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung zu
+keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas
+Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt
+ward. Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage
+mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede
+Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher
+Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die
+roemische Gunst zu buhlen. Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten
+doch nicht bloss Geduld und Ergebung. Es gab noch in Karthago eine
+Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das
+Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. Sie hatte
+es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden
+Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den
+Kampf aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner
+Soehne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer
+diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die
+bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger
+und der Menschen maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle
+Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung
+gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener
+Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer
+verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte
+Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und
+ein demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der
+Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch
+Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch
+Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass
+die roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger
+irgendwie mit ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische
+Regierung, eben damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem
+Grosskoenig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit
+begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, dass die
+karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter Hannibalischer
+Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen Legionen in
+Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie
+eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich
+beauftragt war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden
+karthagischen Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten,
+um den Mann, der sie gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den
+antiroemisch gesinnten Maechten dem Landesfeind zu denunzieren, sind
+veraechtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und
+so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demuetigendes
+Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem einfachen
+Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist,
+dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen
+erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben
+nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so
+ausserordentliche Natur, dass nur roemische Gefuehlspolitiker ihn
+laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die
+eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand,
+kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago
+den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen,
+was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich
+fuegen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und
+besonnene Flucht nach dem Orient die groessere Schande ihnen ersparend,
+seiner Vaterstadt bloss die mindere liess, ihren groessten Buerger auf
+ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein
+Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die
+Lieblinge der Goetter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die
+unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse
+sich bewaehrt. Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es
+sich verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung
+nicht aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten
+dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des
+ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet
+haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als
+in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
+damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich
+an Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn
+der Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch
+gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb
+das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie
+nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig
+die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit
+Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom
+wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst
+die regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der
+gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die
+roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch
+jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten
+Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu
+erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die
+karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201)
+stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen
+an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den
+Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die
+Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die
+Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen
+Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald
+hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago
+blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen
+Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer
+nchtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
+Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte,
+die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171).
+Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als
+hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer
+aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von
+roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die Meinung
+stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war,
+dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu
+werden sei. Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer
+Wahl ebenso dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war,
+erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie
+noch heutzutage ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem
+Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die
+Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk,
+die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als "Hirten"
+(Schawie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt
+sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner
+anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
+diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar
+an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet,
+aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die
+Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das
+phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation
+ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs ihre
+Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen Adelsfamilien
+sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte unmittelbare
+Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen Staat dort
+grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren zu
+koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika
+beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede
+freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den
+eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen
+die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem
+nach dortiger Art eine Menge Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig
+der Mauren, Bocchar, der, vom Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath
+(jetzt Mluia an der marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig
+der Massaesyler, Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte
+Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen
+Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der
+von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der
+heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der
+Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und
+Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er
+in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa
+- der Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von
+den Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte
+(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht
+um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen.
+Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft
+hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt.
+Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter,
+maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
+ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
+vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
+Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens
+als Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der
+schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande
+Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer
+ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar
+ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den
+Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern
+aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch
+bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt,
+ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es
+schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in
+ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie
+in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess.
+Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im
+sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz
+seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen
+einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und
+gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt
+worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
+Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer
+Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende
+Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und
+stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem
+einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere
+Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem Koenig
+untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte er die
+alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass sein Reich
+sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze erstreckte, das
+karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste und ueberall in
+naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen Zweifel,
+dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche Partei
+daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des
+Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch
+ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs,
+der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende
+Ackergueter hinterliess, fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig
+zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Buerger,
+verwandelte er seine Plunderhorden in Soldaten, die von Rom neben
+den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und hinterliess seinen
+Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes
+Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward
+die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein Hauptsitz der
+phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs eifrige
+und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete
+Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich
+dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen
+Staedte, wie Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein.
+Der Berber fing an, unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich,
+ja ueberlegen zu fuehlen; die karthagischen Gesandten mussten in Rom
+es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern
+gehoere. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig
+und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas
+ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa.
+In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der
+Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um
+so bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber
+ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen
+zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem
+bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte,
+durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als
+Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde,
+sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen
+machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
+an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
+Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine
+deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine
+weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des
+Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in
+mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit
+hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische
+Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist
+sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches
+Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen
+besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter
+allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie
+sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte.
+Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios' Schilderungen zu beziehen
+sein von dem bluehenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in
+Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und
+Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den praechtigen
+Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll
+"Gerstenwein". Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten,
+fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher
+als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die
+Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser
+Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei den
+Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach weit
+frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss
+gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen
+Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das
+sogenannte "Silber von Osca" (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst
+spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195)
+erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
+nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen
+Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und
+oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen
+Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben,
+dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so
+war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von
+zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei
+Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um
+600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und
+sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
+Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der
+Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn
+in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von
+den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste
+Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren
+gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von
+Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern
+wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein
+bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner
+bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
+und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig
+Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine
+keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem
+roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen
+Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde
+es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig
+es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die
+Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden
+Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der
+Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen,
+im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte:
+entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische
+Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte
+sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand
+zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu
+brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz
+in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon
+zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei den
+Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen aufgeregten
+Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten
+bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame
+Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an
+der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen
+Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der
+Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt
+wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer
+Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten
+bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt
+betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in
+starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe
+und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten
+denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden.
+Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier
+nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals
+Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als
+nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert,
+welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren gefuerchteten
+Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die roemischen Legionen
+zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich militaerisch zu disziplinieren
+und politisch zusammenzuschliessen, so haetten sie vielleicht der
+aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber ihre
+Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte
+ihr voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem
+ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die
+Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt,
+nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der
+roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war
+es dem roemischen Staatsmanne, ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um
+Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte
+er, da das einzige wirklich genuegende, eine umfassende latinische
+Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen Politik dieser Epoche
+zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. Das Gebiet, welches die
+Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel
+von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die
+zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und
+Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und
+Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten
+Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen-
+und Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr
+den beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen
+Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische
+Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen
+Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und
+dem spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet
+abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den
+Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich
+beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war
+indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem
+Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der
+Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner
+jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein
+roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr
+aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur
+Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der
+Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
+grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in
+groesserem Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend
+und infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte
+roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche
+Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen
+Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu
+halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der unruhigen,
+fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings
+unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich,
+sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an
+innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss
+fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch fuer den Herrn, und murrte
+laut ueber den verhassten spanischen Kriegsdienst. Waehrend die neuen
+Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die Gesamtabloesung der
+bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man
+ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. Den Kriegen
+selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur eine
+untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und
+waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit
+Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch
+nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine
+allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward
+hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig ueberwunden und selber
+erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl
+inzwischen der tuechtige Praetor Quintus Minucius ueber die erste Gefahr
+Herr geworden war, beschloss doch der Senat im Jahre 559 (195), den
+Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der
+Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige Spanien von den
+Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im inneren
+Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen
+Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in
+der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst
+mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige
+Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben
+so wenig ernstlich gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr
+des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das
+Geruecht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal
+sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei
+verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in
+der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der
+Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre
+Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste,
+wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu
+verstaendigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen
+widerspenstigen wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst
+vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. Diese
+energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg.
+Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der "friedlichen
+Provinz" ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen,
+und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz
+fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel
+563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich
+lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren
+musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189)
+^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius
+Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die Lusitaner erfocht,
+schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis
+dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber die keltiberischen
+Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus Fulvius Flaccus, der
+nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) wenigstens die
+naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch
+seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher
+mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische
+Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die
+Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte.
+Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu
+nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten
+Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die spanische Stadt
+Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem Freibeuterwesen
+ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen
+Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege
+regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger
+Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken,
+und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch
+manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein.
+----------------------------------------- ^2 Von diesem Statthalter
+ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der Naehe von Gibraltar
+aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten Kupfertafel zum
+Vorschein gekommen: "L. Aimilius, des Lucius Sohn, Imperator, hat
+verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und Plin. 3,
+1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser
+[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden
+und die Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner
+besitzen und haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben
+wird. Verhandelt im Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. "
+(L. Aimilius L. f. inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in
+turri Lascutana habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod
+ea tempestate posedisent, item possidere habereque iousit, dum poplus
+senatusque Romanus vellet. Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist
+dies die aelteste roemische Urkunde, die wir im Original besitzen, drei
+Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass der Konsuln des
+Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit.
+--------------------------------------- Das Verwaltungssystem der beiden
+spanischen Provinzen war dem sizilisch- sardinischen aehnlich, aber
+nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Haende
+zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 (197) ernannt
+wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive
+Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung des
+Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf
+zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden
+Zudrangs zu den hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der
+eifersuechtigen Ueberwachung der Beamtengewalt durch den Senat
+nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es blieb, soweit nicht in
+ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem
+fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen besonders
+unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die
+abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt
+der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien
+vielmehr von den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den
+einzelnen Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen
+Leistungen auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der
+Senat infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr
+583 (171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als
+gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter
+nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der
+eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht einseitig
+feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen,
+zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere
+Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward
+dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das
+Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den
+spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier
+keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch
+genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr
+der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst
+schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von Rom
+beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze
+griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum,
+Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen
+Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im
+ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie
+finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe,
+weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik der
+ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser
+beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
+Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren,
+selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3,
+welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung
+namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel
+mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die
+Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an
+Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in
+Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht
+loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs
+der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.
+------------------------------------------------- ^3 1. Makk. 8, 3: "Und
+Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande Hispanien, um
+Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst."
+------------------------------------------------- 8. Kapitel Die
+oestlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg Das Werk, welches
+Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein Jahrhundert zuvor,
+ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fussbreit
+Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher
+Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu hellenisieren,
+sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines hellenisch-asiatischen
+Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und Siedellust der
+griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und
+Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt
+fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich
+der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische
+Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen
+Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander und es
+stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst
+eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten
+Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und Aegypten, war
+Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort den
+Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es
+gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein
+gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der
+Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt,
+nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die
+Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen
+Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss
+ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil desselben:
+ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum Spercheios und
+der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel Euboea, die
+Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im
+Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion,
+Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land-
+und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen
+makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen
+Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, "die drei
+Fesseln der Hellenen". Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem
+Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses
+weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller Kraefte
+vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als ein
+gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es ist
+unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von der
+durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall hervorgebrachten
+Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen Griechenland
+die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und dort,
+da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert
+schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere
+mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb,
+waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen unter die dichte
+einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente aussaeen und ihre
+Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft
+dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genuegte, um den Nationen
+die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister zu liefern, und
+viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen Schlages
+auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen
+Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet,
+aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die
+Zuversicht, mit der die Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall
+wo sie im Osten auftreten, als ein besserer Schlag sich geben und
+genommen werden, und die ueberlegene Rolle, welche sie deswegen an
+den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die Erzaehlung ist
+bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in Makedonien gelebt
+und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in
+seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner
+gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte
+Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und
+geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier
+der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische
+Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
+keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt
+sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind,
+wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und
+die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten
+Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines
+dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare
+grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion
+gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu
+unvergaenglicher Ehre. Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war
+nichts als das oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien,
+das Reich des "Koenigs der Koenige", wie sein Herr sich, bezeichnend
+fuer seine Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit
+denselben Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und
+mit derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder
+abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien
+griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich
+der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze Nordkueste
+und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden
+einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen,
+von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und
+die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem
+Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und
+Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel
+gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die
+Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet bestellt war.
+Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen, die Aegypter
+aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in dem Grenzhader mit den
+oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den
+zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig gewordenen Kelten, in den
+bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen der oestlichen
+Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den
+Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem
+der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche
+die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt,
+allein die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als
+anderswo, weil sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu
+der Abtrennung einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu
+fuehren pflegten. Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten
+ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst
+der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen
+und religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft
+begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder
+Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte. Sehr
+verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf ihrem
+Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten
+das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese
+Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in Makedonien
+und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat laehmte,
+waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste Ptolemaeos
+und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst brauchbar
+erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden
+grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach
+Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte.
+Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander
+seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als unmittelbare
+Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten und lauter
+oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht her-, so doch
+wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine Weltmonarchie zu
+gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung getraeumt; dafuer aber
+zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem Mittelmeer von den
+phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten zu dem
+ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen
+Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass
+Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos
+Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils
+hierdurch, teils durch die guenstige geographische Lage kam Aegypten
+den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine vortreffliche
+militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. Waehrend der
+Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande war, das ringsum
+fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich zu bedrohen,
+konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich
+festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
+phoenikisch- syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von
+Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch
+die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren
+Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen
+ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie
+einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner
+auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente
+Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster
+Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
+diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen
+und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte
+nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den
+Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten,
+sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und
+grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen
+Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur
+Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes.
+Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische
+Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu
+fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in
+ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet
+Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen
+unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister
+Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten.
+Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem
+Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer
+monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen
+Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter
+hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes
+und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten,
+waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander
+rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren
+gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten oder
+doch haetten zusammenhalten sollen. Unter den Staaten zweiten Ranges ist
+fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem Westen zunaechst nur mittelbar
+von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom suedlichen Ende des
+Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere und die
+Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan
+suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im
+kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am
+suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des
+grossen Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens
+altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene
+namentlich die rechte Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der
+selbst Alexanders Zug spurlos voruebergebraust war, und alle auch
+in derselben zeitweiligen und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der
+griechischen Dynastie, die in Asien an die Stelle der Grosskoenige
+getreten war oder sein wollte. Von groesserer Wichtigkeit fuer die
+allgemeinen Verhaeltnisse ist der Keltenstaat in dem kleinasiatischen
+Binnenland. Hier mitten inne zwischen Bithynien, Paphlagonien,
+Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische Voelkerschaften, die
+Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig gemacht, ohne darum
+weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer Verfassung und
+ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem
+der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem
+Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und
+traten auf der "heiligen Staette" (Drunemetum) namentlich zur Faellung
+von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den
+Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und
+die Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
+unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten,
+teils die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten
+oder brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der
+allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der
+asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische Heer
+von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I. Soter
+sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) zuletzt
+selber zur Zinszahlung sich verstanden. Dem kuehnen und gluecklichen
+Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Buerger
+von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den Koenigstitel
+empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war im
+kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung
+der materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an
+der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nuechterne
+Kabinettspolitik, deren wesentlicher Zweck war, teils die Macht der
+beiden gefaehrlichen festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen
+selbstaendigen Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der
+wohlgefuellte Schatz trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen
+Herren bei; sie schossen den syrischen Koenigen bedeutende Summen vor,
+deren Rueckzahlung spaeter unter den roemischen Friedensbedingungen eine
+Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege,
+wie zum Beispiel Aegina, das die verbuendeten Roemer und Aetoler im
+letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen
+hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente
+(51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und
+des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom
+staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich
+mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de'
+Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann,
+und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
+Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr
+ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. In dem
+europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen
+an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra
+roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar
+makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik
+zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen,
+die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achaeer,
+Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen waren die
+Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher Weise eng
+an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie der von den
+Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch makedonischen Schutz
+zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren
+Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer mag
+als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten
+zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader
+Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die
+Bewerber um die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung
+war, dass sie sich verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem
+Auslaender, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. Die Athener
+pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu werden und
+standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren voellig
+machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese
+unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von
+Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. Nachhaltiger war die Macht der
+aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige Nordgriechentum war
+hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste Zucht- und
+Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann
+gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als
+Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen
+Griechen, dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung,
+eher koenne man Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz
+aus ihrem Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von
+grossem Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte
+Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der
+achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen
+den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten.
+Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des
+eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung,
+Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten
+Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit
+derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch
+Aratos' diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch
+die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung
+makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so
+vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der Landschaft
+seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jaehrlich Philippos
+der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren Staaten im
+Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, namentlich
+durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen
+Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und
+antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten.
+Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische
+Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen
+Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden
+und fahrenden Soeldner, denen er nicht bloss die Haeuser und Aecker,
+sondern auch die Frauen und Kinder der Buerger ueberwies, und unterhielt
+emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine Assoziation zum Seeraub
+auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen Soeldner- und
+Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften besass.
+Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea
+waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam
+verhasst; aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der
+Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von
+Messene zu setzen. Endlich die unabhaengigste Stellung unter den
+Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstaedte an dem
+europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der ganzen kleinasiatischen
+Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich
+die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen
+Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode
+wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel
+auch zu einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem
+Landgebiet gelangt waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich
+und maechtig durch die Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem
+Schwarzen Meer; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt
+und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon,
+und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach
+Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren
+durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des
+Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige
+Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut
+der Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller
+gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu
+vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die
+Byzantier mit den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit
+im Bosporos zu gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten
+das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich
+dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen
+Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten
+ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten
+hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten
+standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung
+bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten
+ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich
+der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
+Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den
+Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige
+gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos,
+Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr.
+Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren
+nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu
+erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten;
+gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald
+energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren
+die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
+nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben
+durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen
+Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre
+nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit
+der Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die
+Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten
+oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser
+eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa,
+sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen
+verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen
+die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum
+die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn
+und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier Kunst und
+Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten oder von
+der Hofluft korrumpiert zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als
+die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und
+die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst
+wurden, in die Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah
+und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 214- 205) verlief, ist
+zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im
+Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem geschah,
+was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte
+wieder einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines
+verderblicher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der
+Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indes eine unbedeutende
+Natur war er nicht. Er war ein rechter Koenig, in dem besten und dem
+schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte Gefuehl, selbst und allein
+zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war stolz auf seinen
+Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies
+nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn,
+sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen
+Angelegenheiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward.
+Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben
+die faehigsten und gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und
+Scipio; er war ein guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht
+bloss durch seinen Rang gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der
+uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter
+erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die
+Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen
+sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die
+Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben
+seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
+verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos
+durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu
+befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den
+Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass
+ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes
+Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den
+Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
+und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein
+Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur
+Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten
+Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann niemand
+ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und
+Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert,
+dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward
+und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und
+Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen
+Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt
+haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des Ersten
+Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen
+- vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die
+nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
+Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und
+Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein
+spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen
+Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte. Philippos schloss den Vertrag
+mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) in der ernsten
+Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich kuenftig
+ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet
+keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah;
+es kann auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische
+Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im stillen das letzte
+karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein sowohl die
+weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einliess,
+als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das voellige
+Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch
+nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos
+keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor
+haette tun sollen. Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite
+gewendet. Ptolemaeos Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben.
+Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind,
+hatten die Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos
+sich vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen
+den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte
+aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und
+die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos' Art, der ueber
+solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss
+ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, "eben wie die grossen Fische
+die kleinen auffressen". Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig
+gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
+naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
+Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos
+auf diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo
+Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine
+von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an
+Bord nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward
+Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu
+Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit
+den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit
+Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert.
+Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig
+Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half
+Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen.
+Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und
+dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
+Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu
+besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische
+Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die
+Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren
+Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig vereitelt
+worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen die
+Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich
+konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische
+Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit
+dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
+nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte,
+dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen
+Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle.
+Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios;
+man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos,
+ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr
+zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln
+einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und
+erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
+hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos' persoenlicher und
+politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der
+aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der
+seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er
+selbst vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich
+begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit
+zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zurueckzulassen.
+Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um sich mit
+seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die
+rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht
+in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war
+geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus
+und Philippos' Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er
+endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel,
+wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 Soldaten
+kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den
+Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel.
+Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von seiner Flotte
+abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei Erythrae
+auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen
+Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden
+hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte,
+waehrend Attalos' Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig
+bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb,
+seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die
+karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten die
+Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen
+Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel
+Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich
+zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
+waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen,
+besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos
+die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland
+die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen
+Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht
+vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken,
+so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken
+koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und
+Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa;
+aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der
+Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu
+geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte
+den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in
+der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und
+die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang.
+Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos
+musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte,
+und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging
+allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der Zwischenzeit hatten
+die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des Attalos wieder
+an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden ueberlegen waren. Es
+schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug abschneiden und
+ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch die
+Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler
+und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die
+Gefahr; er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina,
+um Pergamon in Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um
+Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und
+einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang
+es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer
+bewachten, gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor
+dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. In der Tat zog sich gegen
+Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht laenger
+gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. Die
+Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre
+Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese
+Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie
+nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten
+sich zu unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren
+Urteil fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass
+Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die
+Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika
+und in Griechenland ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich
+gefaehrlich fuer Rom war Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings
+nicht gering und es ist augenscheinlich, dass der roemische Senat den
+Frieden von 548/49 (206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess,
+nur ungern gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor
+Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe
+und doch nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit
+welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl
+eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in
+Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm
+zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
+freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch
+nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen
+Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer
+Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der
+gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der
+Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen,
+der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber
+jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
+549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
+unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des
+kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
+neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte.
+Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
+Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel
+tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig
+zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden
+grossen Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen
+Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies
+die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn
+schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten
+vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm ueber
+alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner,
+Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass dieser Schutz
+sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in dieser Zeit
+die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und wenig
+ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern
+das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und
+Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich
+empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen,
+kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege
+gegen Philippos zu bestimmen, einem der gerechtesten, die die Stadt je
+gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich
+entschloss und sich weder durch die Erschoepfung des Staates noch durch
+die Impopularitaet einer solchen Kriegserklaerung abhalten liess, seine
+Anstalten zu treffen - schon 553 (201) erschien der Propraetor Marcus
+Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von 38 Segeln in der
+oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen
+ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk
+gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu
+einsichtig gewesen waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in
+Philippos' Art gering zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos
+nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewaehrt haben sollte, war
+offenbar nicht erweislich. Die roemischen Untertanen in der illyrischen
+Landschaft beschwerten sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die
+makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter
+an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos' Scharen aus dem
+illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten
+des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn
+frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben
+nichts als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine
+Nachbarn uebte; eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen
+Augenblick zur Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt.
+Mit den saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die
+roemische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen
+Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und
+Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe
+zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn
+auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die
+Vormundschaft ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch
+auch nicht eben sich beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer
+roemischer Intervention zwar die augenblickliche Bedraengnis zu
+beendigen, aber zugleich der grossen westlichen Macht das Ostmeer zu
+oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst
+in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit
+Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um so
+mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens
+in die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb
+nichts uebrig, als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten
+abzuordnen, um teils von Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach
+nicht schwer war, dass es die Einmischung der Roemer in die griechischen
+Angelegenheiten geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu
+beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, teils endlich den
+Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der
+griechisch- asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553
+201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der
+Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus
+aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als "Vormund des
+Koenigs" dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche
+Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp
+nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche
+sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt
+durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien nicht intervenieren zu
+wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und liess die Dinge in
+Griechenland und Kleinasien gehen. Darueber war das Fruehjahr 554 (200)
+herangekommen, und der Krieg hatte aufs neue begonnen. Philippos
+warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die saemtlichen
+Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos besetzte;
+er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen Landung
+gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an,
+an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz
+von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere
+Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte
+der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese
+beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das schwaechere makedonische
+Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos beschraenkte zur
+See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros,
+Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier
+gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter
+ueber bei Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich
+die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess.
+Es waere wohl moeglich gewesen, den Abydenern, die sich heldenmuetig
+verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein die Verbuendeten ruehrten
+sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle
+Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der Kapitulation ein
+grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, der Gnade
+des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist
+gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf
+die roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in
+Syrien und Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet
+hatte, mit dem Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat
+erhaltenen Auftraege: der Koenig solle gegen keinen griechischen Staat
+einen Angriffskrieg fuehren, die dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen
+zurueckgeben und wegen der den Pergamenern und Rhodiern zugefuegten
+Schaedigung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des
+Senats, den Koenig zur foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward
+nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom
+Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schoenen
+roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte
+zugute halten wolle. Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte
+Veranlassung von einer anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten
+in ihrer albernen und grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen
+hinrichten lassen, weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien
+verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von
+Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser
+das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und
+gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und
+mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika
+einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern
+es liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die
+drohenden Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten
+sofort seine Truppen den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es
+war zu spaet. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den
+Angriff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und
+aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm
+bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen
+Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische Gebiet
+zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. Der Senat
+hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die
+Kriegserklaerung "wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten Staat"
+vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast einstimmig
+verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten ueber
+den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war
+einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der
+Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward
+durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist
+bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der
+Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen
+Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen
+- die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien,
+zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
+Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber
+entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg
+aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand,
+meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst
+555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von Apollonia
+hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von
+denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium
+nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem Konsul Publius
+Sulpicius Galba. So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt,
+dass fuer die weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom
+durch seine Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen
+mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen
+schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen
+in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch
+notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der
+latinischen Bundesgenossen fuehrte. Philippos' Lage war sehr uebel.
+Die oestlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms haetten
+zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden auch vielleicht
+zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine Schuld so
+untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder
+nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps
+natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt
+worden und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und
+den syrischen Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein
+dringendes Interesse daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern
+blieb; selbst jetzt noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom
+sehr deutlich zu verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den
+Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der
+zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber
+Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme
+und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in
+die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
+Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter
+gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos,
+Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel
+das Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber
+Philippos' grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu
+einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung
+wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln. Im
+eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort eine
+zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls
+vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei,
+den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette Philippos die
+letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 (206) in
+ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aufgeheilten
+Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die
+wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen
+thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des
+phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die
+Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei
+den Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie
+zauderten, sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund
+wohl hauptsaechlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und
+den Roemern. Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das
+makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten,
+Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter
+unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die
+roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig
+der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den
+Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils
+viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
+Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens
+(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen
+regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich
+selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos' Zeit, blind
+der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische
+Eidgenossenschaft, die von Philippos' Vergroesserungssucht weder
+Nutzen noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom
+unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff,
+was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit
+den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und
+begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern
+zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
+einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
+Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen;
+die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste
+Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen -
+es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht
+aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. Im Herbst des
+Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit seinen
+beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten,
+die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche
+Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte.
+Indes teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung
+des roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts
+weiter vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die
+naechstliegenden Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie
+Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward
+mit den noerdlichen Barbaren, namentlich mit Pleuratos, dem damaligen
+Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich
+eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff
+auf Makedonien verabredet. Wichtiger waren die Unternehmungen der
+roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zaehlte.
+Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den Winter Station
+nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem
+Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento
+indes die attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen
+Besatzung und die makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand,
+segelte er weiter und erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea,
+dem Hauptwaffenplatz Philipps in Griechenland, wo die Magazine, die
+Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Kommandant
+Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff erwartete. Die
+unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, die
+Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an
+Truppen, um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem
+ueberfall brach Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von
+Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis, und da er hier nichts von dem
+Feind mehr fand als die Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit
+Gleichem zu vergelten. Allein die Ueberrumpelung misslang und auch
+der Sturm war vergeblich, so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das
+Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her
+zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in
+Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich
+gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen;
+und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus
+sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung
+der Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen
+und nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem
+Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem
+Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der
+kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen
+Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen:
+in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in
+oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der
+Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
+sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme
+am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge,
+die der Apsos (jetzt Beratino) durchschneidet, ueberschritten hatte und
+durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an
+die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese
+uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm
+entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevoelkerten
+Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich,
+bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren
+aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen Landesgrenze
+aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager schlugen.
+Philippos' Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der noerdlichen
+Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuss
+und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die
+Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend
+und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt
+erhielten, waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten,
+dass diese es nicht wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu
+zerstreuen. Der Konsul bot die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig
+versagte sie beharrlich und die Gefechte zwischen den leichten Truppen,
+wenn auch die Roemer darin einige Vorteile erfochten, aenderten in
+der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, sein Lager abzubrechen und
+anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von
+wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier
+wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der
+Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe
+kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit
+vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der
+Koenig selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung
+eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage
+befreite die Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten
+Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der
+makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet
+moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer
+und andere Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht,
+ausser den Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer,
+womit er selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen,
+und ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der
+pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der
+Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete Verwuestung
+der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine
+Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos und
+der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte
+Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte
+Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich
+dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen
+vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier
+die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und die roemische Flotte
+unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in den oestlichen
+Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der
+Istrier sich mit ihr vereinigten. Philippos gab hiernach freiwillig
+seine Stellung auf und wich in oestlicher Richtung zurueck: ob es
+geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der Aetoler
+zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins Verderben
+zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu
+tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug
+so geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu
+folgen, seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass,
+der die Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen
+zu erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen
+einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten
+Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich
+unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier
+wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute.
+Indes wenn auch Philippos' Heer nach diesem ungluecklichen Treffen nicht
+laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu wehren, so
+scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land,
+weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck
+nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens
+Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt
+von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem
+gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war die einzige
+makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im illyrischen
+Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen Zufluessen
+des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem aehnlichen Zug
+kuenftig als Basis zu dienen. Philippos stoerte die roemische Hauptarmee
+auf ihrem Rueckzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen
+die Aetoler und Athamanen, die in der Meinung, dass die Legionen
+den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des Peneios furcht- und
+ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und noetigte, was
+nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, retten.
+Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen,
+die in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die
+Streitkraft der Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner
+wurden von dem Fuehrer der leichten Truppen Philipps, Athenagoras,
+ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber die Berge zurueckgejagt.
+Die roemische Flotte richtete auch nicht viel aus; sie vertrieb die
+makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und Skiathos heim
+und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber die
+makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des
+Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die
+entschlossene Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert
+ward. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig
+bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen.
+Fruehzeitig gingen diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem
+Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat. Im
+ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich
+Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst
+beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling
+aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler
+und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea haette
+von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet
+wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck
+verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet vom
+Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich vergeblichen,
+Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze gelegene und
+die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern zu
+entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den
+Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte
+er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke
+dieser sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte
+einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von den Roemern
+militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich nicht, den
+Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten Gesandte, die
+in der Tat es erreichten, dass Attalos' Gebiet geraeumt ward. Von daher
+hatte Philippos nichts zu hoffen. Indes der glueckliche Ausgang des
+letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder Uebermut so gehoben, dass,
+nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der Treue der Makedonier
+sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des verabscheuten
+Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten Fruehling
+556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische
+Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos (Viosa)
+zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohlverschanztes
+Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue
+Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul
+des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198)
+der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl
+fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann,
+gehoerte zu der juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen
+Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing
+und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an sich und an das
+Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und besserer Diplomat, war
+er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der schwierigen griechischen
+Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere es vielleicht fuer
+Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf einen minder
+von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein Feldherr
+dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen
+noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit
+der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und
+kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst
+behandelt, den Roemern aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen
+nachzustreben. Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig
+sogleich eine Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich
+gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich,
+alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen
+Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu
+unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
+namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen.
+Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass
+Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den
+Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige
+Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die
+Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten
+Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten
+auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300
+Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie alsdann
+der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
+Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden
+roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und
+Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass
+Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab
+er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht
+verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die
+Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils durch diese Erfolge der
+roemischen Waffen, teils durch Flamininus' geschickte Milde bestimmt,
+traten zunaechst die Epeiroten vom makedonischen Buendnis ab. In
+Thessalien waren auf die erste Nachricht vom Siege der Roemer sogleich
+die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die Roemer folgten bald; das
+platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die festen Staedte, die gut
+makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstuetzung empfingen,
+fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem
+ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo
+in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese
+thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit
+ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition. Dagegen war der
+Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der
+makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung unterhielten,
+und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in
+makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu
+spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst
+Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte,
+die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen
+hatte, war bisher damit beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf
+Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen;
+worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem
+makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt
+wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem
+oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von
+der anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die
+Landschaft, in der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt;
+diese Gegend, namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum
+Winterquartier ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die
+roemischen Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte
+schon an ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich
+ehrenwerte, aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die
+Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme,
+Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss
+dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und
+andere Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die
+Truppen der Achaeer vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte
+und eilten, Korinth zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die
+Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren
+Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die makedonische
+Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus italischen
+Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare
+Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung
+von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das
+Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch
+gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn
+solcher Hingebung war, dass der Koenig die treuen Argeier der
+Schreckensherrschaft des Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den
+bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der
+Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er
+war hauptsaechlich nur deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil
+er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem
+Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos' Angelegenheiten standen
+zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu
+schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an,
+allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus,
+welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg
+begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den
+Spartanern und Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate
+vermittelte. So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals,
+um womoeglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz,
+die in Nikaea am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der
+Koenig persoenlich und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung
+zu gelangen, indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit
+Stolz und Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die
+Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche
+Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um
+durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen
+die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten
+gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht
+ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen
+Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand
+zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen
+Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle seine
+auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos' Gesandte
+in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie Vollmacht
+haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und
+Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort
+die Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des
+Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so
+nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das
+Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende Verstaerkung, und die
+beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius
+wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu stellen. Auch Philippos
+entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu
+sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Boeoter
+gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf
+6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des
+erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die
+Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000
+makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So begann der vierte
+Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der Flotte gegen die
+Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland
+bemaechtigte er sich durch List der boeotischen Hauptstadt Thebae,
+wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen Makedonien
+wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die
+Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er
+sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen
+Schwierigkeiten der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und
+grossenteils oeden Lande, die schon oft die Operationen gehemmt hatten,
+sollte jetzt die Flotte beseitigen, indem sie das Heer laengs der Kueste
+begleitete und ihm die aus Afrika, Sizilien und Sardinien gesandten
+Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung kam frueher, als Flamininus
+gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und zuversichtlich wie er war,
+konnte es nicht aushalten, den Feind an der makedonischen Grenze zu
+erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rueckte
+er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm
+entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen.
+Beide Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege
+der Apolloniaten und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser,
+besonders aber durch einen ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt
+worden war, zaehlten ungefaehr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000
+Mann; doch waren die Roemer an Reiterei dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts
+Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf waehrend eines trueben
+Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den feindlichen, der
+einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen Huegel, die
+Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene,
+erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen
+und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun
+ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck.
+Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer
+gesamten Reiterei und dem groessten Teil der leichten Infantrie; die
+Roemer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit grossem
+Verlust bis hart an ihr Lager zurueckgejagt und haetten sich voellig zur
+Flucht gewandt, wenn nicht die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf
+so lange hingehalten haetten, bis Flamininus die schnell geordneten
+Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die
+Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig nach und
+ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder
+Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den
+Huegel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war.
+Der rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam
+frueh genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung
+zu stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten
+Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel
+heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der
+Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem
+linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte
+der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten
+Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig
+die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die
+Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der
+Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke Fluegel der
+Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel liess Nikanor,
+als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der Phalanx
+schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und waehrend die
+ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten Fluegel
+folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen,
+gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der
+Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen
+linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen,
+vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend hier ein
+fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener roemischer
+Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen auf
+den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken
+verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
+Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos
+und mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen
+Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils
+gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene,
+weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das
+Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der Sieger war
+gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere
+verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte er Thessalien
+und ging in seine Heimat zurueck. Gleichzeitig mit dieser grossen
+Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nachteile auf allen
+Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen die rhodischen
+Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen dasselbe, sich
+in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward von
+Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das
+akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos
+war vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen,
+ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. Es
+lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren:
+sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich
+Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies
+Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess
+das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten
+niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das
+bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern
+gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft.
+Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der
+griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu
+bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen
+Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
+hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso
+sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl
+verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der "Sieger von
+Kynoskephalae", wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es
+nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie
+ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein
+Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen
+Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf
+die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus
+gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter
+seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt,
+den Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
+hinauszuschlagen. Die definitive Regulierung der verwickelten
+griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn
+Personen uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war.
+Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago
+gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in
+Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen
+Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf
+einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei
+erklaert ward - eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich
+fiel, allein die die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da
+bei seinem Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber
+einmal von ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde
+ferner verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms
+abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner nicht
+ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt gegen
+roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber 5000 Mann,
+keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu unterhalten, die
+uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den
+Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu
+senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den
+Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von
+1000 Talenten (1700000 Taler). Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger
+politischer Nullitaet herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen
+war, als es bedurfte, um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu
+hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen
+zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass
+ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die
+ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen
+hatten, nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch
+ihre Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
+Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren;
+und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu
+den Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196).
+Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein
+verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der
+Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die
+Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1.
+--------------------------------------------------- ^1 Wir haben
+noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift "T.
+Quincti(us)", unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in
+Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist
+eine bezeichnende Artigkeit.
+---------------------------------------------------- Ausgenommen waren
+von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften oestlich
+von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, fielen und
+diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land-
+und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen
+Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften
+im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm
+liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer
+seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und
+Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre
+karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb,
+versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt
+durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den verschiedenen
+Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch
+am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
+scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter
+allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen
+Besitzungen Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich
+Korinth, wurden ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte
+man wenig Umstaende; sie durften die phokischen und lokrischen Staedte
+in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch
+auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden
+zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die thessalischen
+Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften
+geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos
+und Lemnos, der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute.
+Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse
+Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten
+in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern
+und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den
+Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis
+zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm
+ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb
+Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
+Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer
+und auf Antiochos' Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung
+von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf
+einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit
+der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter
+auch einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung
+lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta,
+Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner
+durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken,
+wurden nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit
+Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst
+umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht.
+Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter
+5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein
+vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der
+ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
+befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen
+Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm
+gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen,
+verwarf "das Volk", das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte
+Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege
+fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit
+der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler und der
+Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden, und der
+Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu
+einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern erstiegen,
+als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur
+Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein
+Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen,
+die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde
+beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis
+selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswaertigen
+Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte und ueberdies
+noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder auswaertige
+Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine anderen
+Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut wieder
+abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine Kriegskontribution
+zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte an der
+lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im
+Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der "freien
+Lakonen" nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr
+Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen
+angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen
+verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider deren Willen
+in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch
+diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren
+dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefuerchteten
+und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der Emigrierten und die
+Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet.
+Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass Flamininus diese
+schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es
+moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische
+Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung
+zwischen den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas
+in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer
+gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der
+Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten und die vollstaendige
+Restauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments wuerde nur
+ein Schreckensregiment an die Stelle eines anderen gesetzt haben; der
+Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide
+extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich
+gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte
+und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde
+unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den
+Nabis kannte und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche
+Beseitigung war, davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und
+nicht durch unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen
+Eindruck seiner Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies
+an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen
+Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste
+Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig
+wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu
+fuerchten. Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen
+griechischen Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren
+Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen
+Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung
+selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus Griechenland
+offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos'
+Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward
+der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas,
+zum Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst
+Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser
+Geduld: indes die roemisch gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem
+Abzug der Roemer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und
+Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten,
+sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf
+die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern
+auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten
+auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg;
+Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten
+auf, und da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden
+Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich
+auf Bitten; in der Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer
+und Athener gegen eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und
+obwohl die makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft
+am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts
+entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland
+begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging,
+auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden
+einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren
+und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
+staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde
+nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der
+betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu
+knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus
+versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen
+griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem
+Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige
+Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die
+waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden
+waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
+Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis
+nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth,
+also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von
+Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den
+saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die
+Heimat. Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
+Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
+Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb
+der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte,
+einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen
+Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine
+maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre
+Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren Interessen
+zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur vollen Freiheit
+fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von fremder Schatzung
+und fremder Besatzung und die unbeschraenkte Selbstregierung verlieh;
+bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung.
+Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung Griechenlands
+moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und
+vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen
+Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie
+alle und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken
+des Senats ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die
+Erbaermlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen
+Umfang zu erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in
+sich und gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu
+handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner
+gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig,
+dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort
+und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu
+machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren
+Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein
+wuerde. In Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord,
+wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen
+hatte, die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den
+roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher
+Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen
+dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne
+den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere
+ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den
+Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen.
+Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten
+Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. 9. Kapitel Der
+Krieg gegen Antiochos von Asien In dem Reiche Asien trug das Diadem der
+Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der Koenig Antiochos der Dritte, der
+Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er war gleich Philippos
+mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und
+Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten
+entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu
+heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des
+aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm
+gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen
+und zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den
+von Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat
+wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich
+entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im
+Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig
+zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit
+Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn auch
+ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549 205)
+schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu machen;
+Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte sich
+auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen Staedte
+angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen Augenblick,
+als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache
+machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich
+brachten. Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung
+der Roemer in die Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie
+zurueckzuweisen, glaubte Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren,
+wenn er Philippos' leicht vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die
+Roemer dazu nutzte, um das Aegyptische Reich, das er mit Philippos
+hatte teilen wollen, nun fuer sich allein zu gewinnen. Trotz der engen
+Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen Hof und dem koeniglichen
+Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, wirklich, wie er
+sich nannte, dessen "Beschuetzer" zu sein; fest entschlossen, sich um
+die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall
+zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des
+Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig
+machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt
+als getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein;
+dagegen ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach
+der andern zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die
+syrischen und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre
+556 (198) am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen
+Feldherrn Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz
+dieses Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern
+schreckte die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass
+dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich
+zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der
+Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also
+das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr,
+dem der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von
+100 Deck- und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals
+aegyptischen Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in
+Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese
+Distrikte, die faktisch in Philippos' Haenden waren, im Frieden an
+Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen
+Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die
+kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich
+sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. Dieses Beginnen
+war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an Philippos
+die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien
+wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den
+Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an
+Philippos' Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten.
+Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos
+durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum
+Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich suchten sie die
+Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben beendigten zu verwickeln.
+Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern militaerische Hilfe
+begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, waehrend Attalos'
+Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. Die energischeren
+Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557
+(197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass
+sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der lykischen
+Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich
+hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende
+Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und
+die wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner
+die Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den
+halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt,
+allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna,
+Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der
+Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu
+widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen
+der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
+ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten,
+schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen
+Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer
+sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen,
+doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten insofern alle
+Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu willfahren und in
+Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich dazu wenig
+geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg
+waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer
+Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch
+nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos
+und Philippos in Haenden gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz
+genommen werden, und die Freiheit der asiatischen Staedte Myrina,
+Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den roemischen Aktenstuecken,
+allein man tat nicht das Geringste, um sie durchzusetzen und liess es
+geschehen, dass Koenig Antiochos die gute Gelegenheit des Abzugs der
+makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um die seinigen
+hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in
+Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen
+Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm
+und laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren
+und die Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu
+seinem Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie
+Thrakien ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung
+dieser Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an
+den Koenig Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets
+und von der Freiheit der saemtlichen Hellenen redeten; allein es
+kam dabei nichts heraus. Der Koenig redete wiederum von seinen
+unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von seinem Ahnherrn Seleukos
+eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, dass er nicht
+beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet seines
+angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in
+seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien
+ab. Mit Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede
+geschlossen sei und es den Roemern insofern an einem formellen Grund
+fehle zu intervenieren ^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach
+Asien, veranlasst durch die falsche Nachricht von dem Tode des jungen
+Koenigs von Aegypten und die dadurch hervorgerufenen Projekte einer
+Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, beendigte die Konferenzen,
+ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, geschweige denn zu einem
+Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos
+wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und
+beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er
+seinem Sohne Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von
+Karthago hatte landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle
+Empfang, der ihm zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung
+gegen Rom. Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus
+saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies
+unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit,
+wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen;
+denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur
+den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas
+ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
+Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten.
+Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden
+Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen
+und jede Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten
+fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in
+Griechenland, der schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen
+des erbitterten Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen
+gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche
+Anzeichen des Herannahens einer neuen Schilderhebung des hellenischen
+Ostens, deren Ziel mindestens sein musste, Griechenland aus der
+roemischen Klientel in die der antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen
+und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich weiter gesteckt
+haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen
+konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend,
+aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den
+Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
+nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig
+und vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen
+Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen
+die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte.
+------------------------------------------------------ ^1 Nach einem
+kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, S. 95)
+schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den
+roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und
+dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden
+moege (op/o/s symperil/e/phth/o/men [en tais synth/e/kais] tais
+genomenais R/o/maiois pros ton [basilea]), welche der Senat, wenigstens
+nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im
+uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten
+dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die
+Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber
+den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
+Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
+Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und
+positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich
+bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um
+Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den
+Gesandten erteilten. Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss
+auf die troische Legende zurueckgehende "Bruederschaft" der Lampsakener
+und der Roemer und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung
+der Bundesgenossen und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den
+Lampsakenern durch die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren.
+^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der
+syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198)
+setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian
+(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561
+(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die
+aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene war.
+----------------------------------------------------- Antiochos
+nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn die
+Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu
+dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der
+Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig
+von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich
+seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen
+versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits behauptet, allein
+wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb faktisch das Land bei
+dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im Jahre 557 (197)
+seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, die
+Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner
+Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle.
+Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien
+und gewann die Galater durch Geschenke, waehrend er die stets
+aufruehrerischen Pisidier und andere kleine Voelkerschaften mit den
+Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden ausgedehnte Privilegien bewilligt;
+in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte erklaerte der Koenig, dass
+er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos,
+zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen wolle mit einer
+bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar
+zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu
+unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und
+hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt
+ein Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von
+Antiochos eine Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu
+Fuss und 1000 Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten
+Punischen und sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg
+erwecken sollte; tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die
+Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der
+spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf
+ihrem Hoehepunkt stand. ------------------------------------------
+^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
+Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai)
+irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden
+wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach
+Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel
+geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil
+die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war;
+und eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit.
+------------------------------------------- Waehrend also von langer
+Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom vorbereitet ward, waren
+es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten Hellenen, die am
+wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten taten. Die
+erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu
+glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden
+worden sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in
+Griechenland einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die
+Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe
+eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen Rom begehrte: die werde er
+selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische Heer am Tiber lagern werde.
+Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des syrischen Koenigs
+fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem Koenig
+vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten
+Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren
+wollten, dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war.
+So gelang es ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum
+Losschlagen zu bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer
+zwei Jahre nach Flamininus' Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder
+anzufachen; allein sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf
+Gythion, eine der durch den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen
+Staedte der freien Lakonen und nahm sie ein, allein der kriegserfahrene
+Strateg, der Achaeer Philopoemen, schlug ihn an den Barbosthenischen
+Bergen und kaum den vierten Teil seines Heeres brachte der Tyrann wieder
+in seine Hauptstadt zurueck, in der Philopoemen ihn einschloss. Da
+ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um Antiochos nach Europa
+zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den Besitz von
+Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser
+wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst
+gedachte man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler
+Alexamenos, unter dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit
+1000 Mann in die Stadt einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus
+dem Wege raeume und die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei
+einer Heerschau erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt
+zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu
+sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt
+liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen
+Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also
+verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den
+entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den
+Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig
+besser, indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die
+chalkidischen Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von
+Eretria und Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte
+die Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen
+war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem
+Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei;
+es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem
+Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
+gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen
+wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf
+die Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden
+geltend zu machen. Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so
+sehr man auch bemueht war, ihn durch das diplomatische Palliativ der
+Gesandtschaften hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden.
+Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat
+in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen
+die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum
+ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem
+Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
+der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen
+zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz
+und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch
+einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius
+und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man
+sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht
+mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im
+Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte von 30 Segeln mit
+3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus vor Gythion, wo
+ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den Achaeern und
+Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste wurde
+stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein;
+fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet.
+Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192)
+Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu hintertreiben und
+soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands wiedergutzumachen.
+Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass die Tagsatzung
+foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang es dem
+Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine Besatzung
+von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner einen
+Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn
+auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des
+grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er
+durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die
+Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch
+die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland zwei Jahre zuvor
+aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und Truppen zusammen, die
+er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 Deckschiffe und 10000
+Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und brach vom
+thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 (192)
+bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das
+nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein
+roemisches Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei
+Apollonia. Also war von beiden Seiten der Krieg begonnen. Es kam darauf
+an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als deren
+Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan
+betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so
+traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine
+grossartigen und hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und
+niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung
+geschah nichts, als dass man einige karthagische Patrioten
+kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als sich den
+Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte eben
+den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und
+nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel
+den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des
+Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang
+es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf
+seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu
+beherrschen war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen
+Gedanken zu bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann
+duerfe verdunkeln lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den
+Phoeniker kuenftig nur fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu
+verwenden, vorbehaltlich natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal
+raechte sich an dem Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden
+glaenzend ausfuehrte. In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig;
+dagegen trat Prusias von Bithynien wie immer auf die Seite des
+Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der alten Politik seines Hauses
+getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen sollte. Er hatte
+Antiochos' Anerbietungen nicht bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern
+auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, von dem er die
+Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier
+und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat
+auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an,
+welche man indes roemischerseits nicht annahm. In Europa kam es vor
+allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien einnehmen
+wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, sich,
+alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos
+zu vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche
+Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung,
+und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den treulosen
+Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im Stich
+gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute einzuziehen
+und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als seinen
+Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam
+hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten
+auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei
+Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen
+Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem
+Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht
+Griechenlands hielt die zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am
+roemischen Buendnis; von den kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei
+die Thessaler und die Athener, bei welchen letzteren eine von
+Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung die ziemlich starke
+Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es
+womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos'
+Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der
+benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der
+Athamanen, Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die
+makedonische Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die
+Opposition gegen Rom noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die
+Eleer und Messenier, gewohnt, mit den Aetolern gegen die Achaeer
+zu stehen. Das war denn freilich ein erbaulicher Anfang; und der
+Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den die Aetoler dem
+Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man hatte
+sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren
+Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark
+wie ein gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen
+Arme, die saemtliche Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch
+entgegenstrecken sollten, trugen ein paar Klephtenhaufen und einige
+verliederlichte Buergerschaften dem Koenig Waffenbruederschaft an.
+Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
+Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen
+Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck;
+allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht
+davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu
+besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war
+fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter Antiochos in
+Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch, Thessalien zu
+gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und andere Staedte
+genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von Apollonia heran,
+entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des Winterfeldzugs
+muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis
+zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner
+fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen
+Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91),
+ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in Griechenland hin-
+und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und Feder, sagte
+ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563 (191) traf der
+roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius Acilius
+Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den
+Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral
+Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato,
+der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus, die nach
+altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln,
+wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit sich
+brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter
+numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und
+die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu
+5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des
+Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose
+Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von
+Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst
+den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in
+Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen
+ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das schwache und nun noch
+durch Krankheit und Desertion in den liederlichen Winterquartieren
+dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres bei Pteleon
+gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen hatten ins Feld
+stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn nicht
+mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die
+Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem
+makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen
+Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul
+mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich
+in Larisa. Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder
+Hinsicht ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos,
+sich in den von ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die
+Ankunft des grossen Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte
+in dem Hauptpass sich auf und befahl den Aetolern, den Hochpfad zu
+besetzen, auf welchem es einst Xerxes gelungen war, die Spartaner zu
+umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem
+Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen
+sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern
+Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das roemische
+Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten
+Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten
+auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische
+Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob
+auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke
+fielen. Da Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht
+gedacht hatte, so ward das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf
+der Flucht vernichtet; kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der
+Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich
+nach Ephesos ein; Europa war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm
+verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis
+ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung
+fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls
+aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis
+ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im
+eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der
+dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in
+Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen
+Frieden zu machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr
+zweideutiges Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade,
+die Eleer und Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben,
+sich den Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig
+vorhergesagt hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich
+unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die
+Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach
+hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den
+schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen
+Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
+einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch
+einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in
+Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und
+die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus,
+fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen
+ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen
+zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen
+Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland,
+vorlaeufig wenigstens, die Waffen. Ein ernsterer Krieg stand in Asien
+bevor, den nicht so sehr der Feind, als die weite Entfernung und
+die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr bedenklichem Licht
+erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos' kurzsichtigem Eigensinn
+der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im eigenen Lande
+des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der See
+zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs
+in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen
+Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen
+war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen einen starken
+asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt,
+den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das naechste Jahr vorzubereiten
+und zunaechst die feindliche Flotte aus dem Aegaeischen Meer zu
+vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem suedlichen Ufer der
+gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die roemische
+sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs
+karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der
+syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70
+Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch
+die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene
+Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und sidonischen Schiffe
+vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang zwar gelang es den
+Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu versenken; allein sowie
+es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und nur der
+Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass
+sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens
+stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die
+Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun zwiefach
+entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig im Hafen
+von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten Schlacht zu
+bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte fuer den Winter
+sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen von Kane
+in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters
+fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer
+suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen:
+Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen,
+beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf
+und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst
+gewann die roemische Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen,
+den Roemern womoeglich den Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er
+eifrig zur See ruestete und teils durch Polyxenidas die bei Ephesos
+stationierende Flotte herstellen und vermehren, teils durch Hannibal
+in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue Flotte ausruesten liess,
+ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen Gegenden seines
+weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im naechsten
+Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder auf.
+Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel
+stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von
+Ephesos beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und
+den pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag
+gemaess durch die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des
+Landheeres vorzubereiten. Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs
+Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde von der Niederlage der rhodischen
+Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert
+durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu
+wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst
+war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und
+zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese
+Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
+Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte
+teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit
+zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten,
+ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos
+einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei
+der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der
+Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts
+uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung ging
+inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den Rhodiern
+gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten Angriffe
+Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte,
+die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als
+dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue
+Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom
+angelangt war und bei Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich
+darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum
+gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs begreiflich zu machen, dass
+es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara ankomme, sondern auf die
+Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur Umkehr nach Samos zu
+bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte mittlerweile Seleukos
+die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos mit dem
+Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer
+auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden
+fertig zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische
+Flotte ging nach Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den
+Bundesgenossen zu helfen; allein da es dem Admiral an Truppen fehlte,
+richtete er nichts aus. Pergamon schien verloren; aber die schlaff und
+nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem Eumenes, achaeische
+Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren kuehne und
+glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen
+Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den
+suedlichen Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt.
+Die von Hannibal geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie
+lange durch die stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich
+in das Aegaeische Meer zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon
+vor Aspendos in Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader
+unter Eudamos, und in der Schlacht, die die beiden Flotten sich
+hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber die numerische
+Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere
+den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte
+Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche
+rhodische Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die
+beabsichtigte Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen
+Meer ward die roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch
+die Entsendung der pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur
+Unterstuetzung des dort eben anlangenden Landheers sich geschwaecht
+hatte, nun ihrerseits von der des Polyxenidas angegriffen, der
+jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am 23. Dezember des
+unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende August 564
+(190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und
+Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und
+umzingelten den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen
+genommen wurden oder sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte
+den Roemern die Inschrift in saturnischem Mass ueber dem Tempel der
+Seegeister, der zum Andenken dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward,
+wie vor den Augen des Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die
+Flotte der Asiaten geschlagen worden und die Roemer also "den grossen
+Zwist schlichteten und die Koenige bezwangen". Seitdem wagten die
+feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen
+und versuchten nicht weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu
+erschweren. Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent
+war in Rom der Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den
+Oberbefehl fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen
+geistig unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio.
+Die bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das
+Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe
+befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem
+Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu
+fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden
+die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu
+beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen
+sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
+verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus' grenzenlose Ruecksichten
+gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die
+Wahl gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen
+Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die
+Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs-
+und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das unbequeme
+Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen Waffenstillstandes
+und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die eine feindliche Flotte
+in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und die zweite, die aus
+dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung beauftragten
+Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den
+Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den
+Hellespont zu gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu
+erwarten, da Koenig Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig,
+auch Koenig Prusias von Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und
+die roemische Flotte leicht sich in der Meerenge festzusetzen vermochte.
+Der lange und muehselige Weg laengs der makedonischen und thrakischen
+Kueste ward ohne wesentlichen Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte
+teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche Aufnahme bei den thrakischen
+Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, teils auf dem Marsch
+soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht
+von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios
+wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in
+Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der
+Schlacht bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass
+er in Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia
+von der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu
+ergebenen Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die
+Besatzungen aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die
+reichen Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der
+Roemer nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend
+derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu
+schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht
+mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein
+grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt
+worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
+einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. Waehrend
+die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
+stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
+zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte
+des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos
+bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen
+Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen
+griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die
+Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren
+annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch
+diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo
+das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des
+Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art
+den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
+Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche
+Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze
+Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung
+Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig
+sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das
+innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein
+guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos, gereizt
+durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer jede
+dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
+ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto
+lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos
+bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190)
+die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann,
+darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und
+makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei weitem
+nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass sie nicht
+einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen Feldherrn
+abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando uebernahm. Um
+nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, bildete Antiochos
+zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, die
+Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der
+Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die
+Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere
+Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art Kuerassiere), neben ihnen im
+Mitteltreffen das gallische und kappadokische Fussvolk und im Zentrum
+die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des
+Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand und sich in
+Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum der
+beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx
+und der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken
+Fluegel, wo der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der
+Reiterei und die saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten,
+den Eumenes fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes
+begann die Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen
+die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten;
+in kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die
+naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im
+zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren Reiterei
+in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen Reiterei,
+die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im zweiten
+Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren
+Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung
+geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen
+durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die roemischen
+Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in der Flanke
+gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden Seiten Front zu
+machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten kam. Waere die
+schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette die Schlacht
+wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel war zersprengt,
+und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die kleine, ihm
+gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, das
+roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe
+erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden
+Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit
+den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und
+Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging.
+Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck,
+bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten scheu wurden und
+die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer sich auf in wilder
+Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang und mehrte nur
+die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des Verlustes des
+Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung nicht
+unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen
+waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte,
+24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst
+Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die
+Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von
+den Roemern gestellten Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen
+waren als die vor der Schlacht gebotenen, als namentlich die Abtretung
+Kleinasiens enthielten. Bis zu deren Ratifikation blieb das Heer in
+Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf nicht weniger als 3000
+Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber nach seiner
+liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines
+Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der
+Muehe, ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete.
+Aber Asien war mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten
+gestrichen; und wohl niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig
+und so schmaehlich zugrunde gegangen wie das Seleukidenreich unter
+diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst ward bald darauf (567 187)
+in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei der Pluenderung des
+Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu fuellen
+gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. Die roemische
+Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die Angelegenheiten
+Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die roemische
+Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu
+keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt
+hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt
+worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen und aeolischen
+Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige pergamenische Koenigreich
+waren allerdings die natuerlichen Traeger der neuen roemischen
+Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als Schirmherr der
+stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren Kleinasien und
+an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von Asien
+laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos
+allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war
+unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der
+roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem
+ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen Hellenen zu den seit
+einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten. Diese hatten die
+kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich verteilt und
+ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die
+festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter
+der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten
+Vorsteher sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene
+Nachbluete der hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder
+entstiegen ist, ist erwachsen aus diesen letzten, von nationalem
+Buergersinn getragenen hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger
+Gegenschlag, kein entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die
+Pergamener ihren staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden
+Horden aus den oestlichen Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt,
+und die grosse Mehrzahl der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich
+in der alten Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft
+ueber die Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so
+musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt
+werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit
+verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel
+mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb
+in der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms
+Machtgebiet gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei
+den Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die
+neue Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen.
+---------------------------------- ^4 Aus dem erwaehnten Dekret von
+Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit hervor, dass die Lampsakener
+bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom erbaten, sondern auch
+Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger
+genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift
+CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind
+wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen
+Krieges diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).
+--------------------------------- Dies hat der neue roemische
+Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den Lucius Scipio in
+Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf gemacht
+worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat
+vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel
+gegen diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt;
+derselbe war vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die
+hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war, eingemischt
+hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das hellenische
+Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in Zweifel gezogen
+werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den Flamininus und
+die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war die
+Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie
+der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem
+rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit
+Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem
+Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel
+entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer roemischen
+Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur unter ganz
+ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte und, wenn
+einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer sprach,
+sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen Heere
+auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus
+und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der
+Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von
+Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander
+und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die
+Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf
+den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit
+Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden
+verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum Abzug zwaenge.
+Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und Schuetzen, die gegen
+die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag gaben, fast wie in
+neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, erzwangen die
+Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie sie gar
+oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden
+sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des
+nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die
+Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden
+Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu
+dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff.
+Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen Leiter der
+roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten. Phrygien, Bithynien,
+Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die weiter oestlich
+gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. Die Regulierung der
+kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den Frieden mit
+Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen
+Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von
+Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach
+dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000
+euboeischen Talenten (25 Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich,
+der Rest in zwoelf Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos
+auferlegt die Abtretung seines gesamten europaeischen Laenderbesitzes
+und in Kleinasien aller seiner Besitzungen und Rechtsansprueche
+noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von der Muendung des Kestros
+zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien
+nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat
+ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es
+natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an
+gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht,
+gegen die westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines
+Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das
+Recht, das Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit
+Kriegsschiffen zu befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu
+bringen, ueberhaupt Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall
+eines Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich
+das Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder
+politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die
+Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten und
+die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden, lieferte er
+aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel eines Freundes
+der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu Lande
+und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer;
+es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des
+Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen
+Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite
+Entscheidung durch die Waffen begehrt hat. Die beiden Armenien, bisher
+wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, verwandelten sich, wenn
+nicht gerade in Gemaessheit des roemischen Friedensvertrages, doch unter
+dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias
+und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. Koenig Ariarathes
+von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den Roemern
+bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600
+Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines
+Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. Koenig
+Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die
+Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber
+die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen
+Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht,
+diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit
+goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu vergelten. In
+Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da
+hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa
+kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen.
+Allen griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei
+und den Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt
+und sie alle mit Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der
+Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben.
+So wurden namentlich frei die Staedte Dardanos und Ilion, die alten
+Stammgenossen der Roemer von Aeneas' Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna,
+Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, Miletos und andere altberuehmte
+Namen. Phokaea, das gegen die Kapitulation von den roemischen
+Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt zum Ersatz dafuer,
+obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie fiel,
+ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den
+meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies
+Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward
+natuerlich Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und
+den groesseren Teil von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem
+garantierte Antiochos in seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und
+ihre Forderungen sowie die bisher genossene Zollfreiheit. Alles uebrige,
+also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die Attaliden,
+deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege
+bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall
+der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein
+Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa
+den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon
+besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und
+Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles
+und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von
+Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und
+als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber
+Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten,
+inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also
+jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft
+und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht
+unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt,
+dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht
+werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350
+Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war,
+dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler)
+fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen.
+Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos
+abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
+wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch
+war das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was
+Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit
+absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien
+in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen
+roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische
+Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und
+nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen
+Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren
+Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich
+nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des
+Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung
+des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer
+sie erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem
+festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen
+zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine Expedition nach
+Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die Sklaverei verkauften
+Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und Landheer im Nachsommer
+566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder durch Thrakien zog,
+durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs von den Ueberfaellen
+der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten nichts heim aus
+dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon beide in der
+praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, zusammenzufinden
+pflegten. Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen
+Krieg erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die
+immer noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden,
+hatten nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen
+Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren
+den Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher
+gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes,
+getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in Asien,
+die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen athamanischen
+Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten
+aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen,
+wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass
+hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus
+Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565 (189) bei den
+Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer
+die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die
+Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber
+die Aetoler herfielen. Von eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede
+sein; auf die wiederholten Friedensgesuche der Aetoler standen denn
+auch die Roemer vom Kriege ab und gewaehrten Bedingungen, welche solchen
+erbaermlichen und tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden
+muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den
+Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge
+einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und
+selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso
+traten sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden
+zu schliessen und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen
+Beziehungen Roms abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme.
+Kephallenia setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte
+sich erst, als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner
+von Same, die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch
+eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten
+Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus,
+worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in
+die Sklaverei verkauft wurden. Rom blieb auch hier dabei, sich
+grundsaetzlich auf Italien und die italischen Inseln zu beschraenken.
+Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden Inseln Kephallenia
+und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen Seestationen am
+Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb
+kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben,
+Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen
+an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
+verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
+Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und
+der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen
+Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem
+er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm
+zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing
+er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den
+Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in seinen
+Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil von
+Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben worden
+waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer Klientel,
+aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und Lemnos,
+die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der
+Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht
+schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa
+empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall
+niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler Hinsicht
+ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht Schikane,
+was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche politische
+Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht
+ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt
+hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen
+Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht
+wiederkehre. Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des
+Krieges gegen Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den
+Peloponnes ganz in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst
+Sparta, dann, nach der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch
+Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die
+Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar geduldet, dass
+man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr.
+Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu
+unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und
+diese darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu
+Gemuete zu fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der
+Beute an sich unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern
+mehr als unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen
+Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren
+Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von
+ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt
+Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten,
+nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer
+Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten
+Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur
+widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig
+Flamininus' guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie
+glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates
+um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man sprach von
+Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den Kriegen
+der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der achaeischen
+Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia ja nicht
+nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also gesprochen,
+wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das alles
+wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel
+laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und
+ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit
+der Hellenen zu gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht
+war, dennoch ihnen nichts gab als die Anarchie und nichts erntete
+als den Undank. Es lagen auch den hellenischen Antipathien gegen die
+Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle zugrunde, und die persoenliche
+Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum
+bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine
+wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen
+Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten
+Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
+Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem
+Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn
+der Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig
+nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss
+womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, "um die Formen
+zu retten"; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn
+das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem patriotischen
+Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht auf Billigung
+doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf entschlossen gewesen
+waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft vorgezogen
+haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen solchen
+politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn doch
+vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die
+die gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten
+Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie
+die Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern
+bringen. Der von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer
+Zeit bis zum Ekel wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen
+waeren, inneren Zwist in Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten
+Abgeschmacktheiten, welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen
+haben. Nicht die Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich
+Eulen nach Athen -, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom.
+Namentlich die Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich
+uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus
+die aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt
+hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren
+Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden
+in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter
+charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
+Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen
+Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten
+Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier
+Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam
+es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen
+Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis mit dem Buergerrecht
+beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft verkauft und aus dem
+Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis gebaut,
+ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt,
+die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern
+niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward
+dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch
+aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe fuer die
+befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel in diese
+Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die Nadelstiche
+der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter Indifferenz,
+sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher
+Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als
+nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der
+Senat darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die
+Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert
+ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig
+bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die
+Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren
+Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen
+Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut
+in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber
+die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
+Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier
+Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam
+der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen
+Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf,
+als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von
+Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die
+Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin beschied, dass er
+sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen koennten, was sie wollten
+(572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht recht; wie die Roemer einmal
+standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung, hier
+mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener
+Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn
+ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und
+gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger
+getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik
+wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. So umfasste die Klientel
+der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten von dem oestlichen
+zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein Staat, den
+man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein
+Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der
+erst den ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen
+gebracht hatte und der vielleicht nur gescheitert war, dort an der
+ehrlosen Aristokraten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos
+hatte sich im Frieden verpflichten muessen, den Hannibal auszuliefern;
+allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien entronnen
+^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in
+seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie immer siegreich
+zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den Prusias
+zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie
+erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar
+der roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem
+letzten Asyl aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch
+den Senat beschuldigt, scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber
+Flamininus, der in seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer
+grosse Taten suchte, auf seine eigene Hand es unternahm, wie die
+Griechen von ihren Ketten, so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den
+groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht
+diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu richten. Prusias,
+der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte sich ein
+Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit
+zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein
+Haus von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst
+darauf, fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort
+der Koenige. Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er
+in der zweiten Haelfte des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt.
+Als er geboren ward, stritt Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz
+von Sizilien; er hatte gerade genug gelebt, um den Westen vollstaendig
+unterworfen zu sehen, um noch selber seine letzte Roemerschlacht gegen
+die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann
+zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der
+Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande
+war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen,
+als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den
+Knabenschwur gehalten. -------------------------------------------------
+^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs
+Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528;
+Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie
+Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen
+ist. ------------------------------------------------- Um dieselbe Zeit,
+wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den die Roemer
+seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das
+Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt
+blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien,
+Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die
+erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der
+zivilisierten Welt. Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren
+ueberblieben fuer seinen Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte
+auch ihn durch seine letzten Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig
+ueber fuenfzig Jahre alt, in freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an
+die Seinigen, seine Leiche nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer
+die er gelebt hatte und in der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht
+genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen
+Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und mehr noch
+gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige
+Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren;
+obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine
+Rechnungsbuecher, statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen,
+im Angesicht des Volks und der Anklaeger zerriss und die Roemer
+aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag
+seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Anklaeger stehen
+und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies der letzte
+schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein
+anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr
+entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius
+den widerwaertigen Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und
+nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die
+Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss und zerfrisst auch den
+urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit
+solcher, aus echtem Gold und schimmerndem Flitter seltsam gemischter
+Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der
+Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber
+zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer
+selbst erwacht. ---------------------------------------------------
+^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.
+--------------------------------------------------- 10. Kapitel Der
+Dritte Makedonische Krieg Philippos von Makedonien war empfindlich
+gekraenkt durch die Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos
+von den Roemern erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge
+war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in
+Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem
+makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem
+roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen
+Grossmacht all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos' des
+Zweiten Zeiten von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut
+und der wohlfeile antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser
+Zeit machte sich Luft auf den Tagsatzungen der verschiedenen
+Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen Beschwerden bei dem
+roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden worden,
+was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler
+angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der
+Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der
+thessalischen Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn
+und der perrhaebischen, den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden
+zurueckverlangt wurden aus dem Grunde, dass Philippos diese Staedte nur
+befreit, nicht erobert habe. Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit
+begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos
+im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia,
+obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos
+ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose
+geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des
+Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte
+Kontrakte und geraubtes Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen
+Senat musste der Koenig von Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich
+verklagen lassen und Recht nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste
+sehen, dass das Urteil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend
+von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen und perrhaebischen
+Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen Kommissare
+hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles
+vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert
+gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem
+makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte hier nicht so
+ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber im Grunde war die Lage
+Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indes Philippos
+war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer Geduld ueber sich
+ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach
+seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem
+ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern
+persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos
+nichts gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem
+Alliierten, der ihn schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte,
+augenblicklich zu raechen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein
+die Roemer, die sehr gut begriffen, dass den Makedonier nicht die
+Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos
+bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der
+Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl
+gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos' Gunsten zu tun, und
+hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an
+mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos
+politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden,
+die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu beigetragen hatten,
+Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die roemische Klientel auf den
+Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos
+es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz
+willen wohl mit Rom hatten halten muessen, hatten diese Attaliden dazu
+benutzt, um im wesentlichen das Reich des Lysimachos wieder aufzubauen,
+dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der makedonischen Herrscher
+nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat an die Seite
+zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient war.
+Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen,
+ein weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich
+entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen;
+allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das
+Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war
+taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und
+naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen.
+Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf
+den thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten,
+antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte
+Sonne nicht untergegangen sei ^1.
+------------------------------------------------- ^1 /E/d/e/
+gar phrasd/e/ panth' alion ammi ded?kein. (1, 102).
+------------------------------------------------- Philippos bewies bei
+der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse eine Ruhe, einen
+Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie bewaehrt
+haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung gegeben
+haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er
+sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen
+Mann eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen
+freilich und die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das
+unglueckliche Maroneia, buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon
+im Jahre 571 (183) schien der Krieg ausbrechen zu muessen; aber
+auf Philippos' Geheiss bewirkte sein juengerer Sohn Demetrios eine
+Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige Jahre als Geisel gelebt
+hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich Flamininus, der
+die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien eine
+roemische Partei zu bilden, die Philippos' natuerlich den Roemern nicht
+unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte
+zu deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den
+juengeren, leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man
+gab mit absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem
+Vater um des Sohnes willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge
+war, dass im koeniglichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und
+namentlich des Koenigs aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter,
+aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den
+kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass
+Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der falsche
+Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da
+beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom.
+Indes Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte
+Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat
+das uebrige und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege
+zu raeumen. Zu spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen
+hatte, und der Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu
+strafen und von der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre
+575 (179) in Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich
+hinterliess er zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen
+Herzens gestand er sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel
+vergeblich gewesen waren. Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung
+an, ohne in Makedonien oder bei dem roemischen Senat Widerspruch zu
+finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesuebungen wohl
+erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem
+Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn
+reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines
+Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein
+Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe
+Koenig und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck
+begleitet, war vom Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus
+bestieg den Thron in seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon
+als Knabe mitgenommen worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg,
+wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken
+einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit
+dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen.
+In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des
+vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen
+war, zum Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es
+wahrlich nicht die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische
+Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den
+Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen
+gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten
+in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu
+haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet
+und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die
+das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der
+Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge
+gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und
+ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte
+sie mit unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug
+und das, was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen
+Wirklichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie
+es beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er
+haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer
+im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu
+trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst
+eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu
+vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In
+gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut und
+besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht geschaffen,
+ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein
+ausserordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht
+gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war
+ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch den Hader
+politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der monarchischen
+Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank
+beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen
+herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung
+begonnen mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen
+Bankerottierer und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige
+Haerte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern
+auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Luecken in der
+makedonischen Bevoelkerung teils von selbst ausgefuellt, teils der
+Regierung gestattet, hierfuer als fuer den eigentlichen wunden Fleck des
+Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier
+an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen
+er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von
+zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden
+Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine
+Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
+das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte
+in den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer
+Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal
+gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und
+die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den
+bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es,
+dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu
+organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was
+den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer
+unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen,
+die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte,
+und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
+die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
+makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und
+fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und
+fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso
+lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer
+ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war
+Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den Ausbruch
+des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des Reiches war
+in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht
+weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in seine Grundfesten
+zu erschuettern. Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse.
+Es lag in der Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von
+Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich
+an die Spitze einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms
+Suprematie zu stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu
+Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der
+Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder
+Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der
+Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen
+Konferenzen makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat,
+die Massinissa in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und
+einsichtige Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es
+sehr moeglich ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und
+Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das
+makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts
+heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender
+mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte.
+Den Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten
+Perseus' Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom,
+wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden,
+allein der saubere Plan misslang. Von groesserer Bedeutung waren die
+Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom
+aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde
+Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken durch
+einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen
+Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen
+und der ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach
+Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen,
+wohin er die Alpenpaesse bereits erkunden liess - ein grossartiger,
+Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals
+Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich,
+dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung Aquileia
+zusammenhaengt, die eben in Philippos' letzte Zeit faellt (573 181)
+und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen
+Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an
+dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen
+naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen
+und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden
+Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen
+des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen
+Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus' Vorwissen
+kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch
+Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe
+des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in Buendnis
+mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf einer
+der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus
+mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem
+Einverstaendnis stehe und Genthios' Gesandte in Rom dem Perseus als
+Spione dienten. In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen
+die untere Donau zu stand der maechtigste unter den thrakischen
+Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr des ganzen oestlichen
+Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den
+mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere
+Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren
+Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst
+der Sagaeer, Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon
+gerichteten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben.
+Von hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen
+Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. Unter der
+ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus
+lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg
+lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte
+den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu
+bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter den asiatischen
+wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren,
+versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der
+roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen
+Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug,
+und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, dass
+die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer
+Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter
+Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und
+rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen,
+war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und
+hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich
+ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht taeuschte. Am
+schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der Traeger jener
+fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich behandelte er
+die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; vergeblich
+buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit
+wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste
+vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines
+schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle
+frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln
+eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus' Name auf allen Lippen
+war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch
+gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen
+Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl
+innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes, sondern
+von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und empfing,
+und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss;
+waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine
+syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich
+nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von
+Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich
+mit Holz zum Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der
+asiatischen Staedte, also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit
+makedonischen Abgeordneten geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der
+rhodischen Kriegsflotte schien wenigstens eine Demonstration; und
+sicher war es eine, dass der Koenig Perseus unter dem Vorwand einer
+gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen sich und seine
+ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese nationale
+Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in
+der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische
+Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine
+Umwaelzung der Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an
+Makedonien zu ketten. Von der beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden
+wie der einzelnen im europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in
+dieser Hinsicht etwas besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich
+einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die
+andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum
+Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern,
+den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich
+foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei
+solchen Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine
+Versoehnung verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem
+Zweck, eine Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden.
+Die Roemer versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten
+unverrichteter Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich
+schlecht und die Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der
+Tat nichts anderes mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der
+sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er
+von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte
+sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts,
+am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess
+nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer,
+sondern liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen,
+welche saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer
+Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach
+Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und
+Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso dass
+in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in offene
+Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um Hilfe
+zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit solchen
+Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer Sophokles und
+Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises wert sei.
+Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass
+es Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des
+thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis
+stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und einem
+Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des Friedens
+von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle Kriegsmanifest; der
+wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im Begriff stand, seine
+formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und Rom aus dem
+Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) sprachen
+die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich
+unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem
+roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes
+persoenlich nach Rom mit einem langen Beschwerdenregister und deckte
+die ganze Lage der Dinge im Senat auf, worauf dieser wider Erwarten
+in geheimer Sitzung sofort die Kriegserklaerung beschloss und die
+Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen versah. Der Form wegen ging
+noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren Botschaft aber derart
+war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck koenne, die Antwort
+gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu
+schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben
+an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen.
+Damit war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172);
+wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die
+makedonische Partei ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die
+bei Apollonia stehende roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus
+Sicinius erdruecken und den Roemern die Landung streitig machen. Allein
+der Koenig, dem schon vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess
+sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus,
+ueber die Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen
+ein und sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch
+einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich,
+der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus
+Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren
+der aelteren Schule die "neue Weisheit" ihres Kollegen und die
+unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss,
+ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen
+Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in
+Griechenland zu berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal
+die Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen
+einverstanden war noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der
+Sehnsucht nach einer weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus
+in die Arme zu werfen; und ueberdies war dort jetzt durch roemischen
+Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom
+anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von
+Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der roemischen Gesandten
+gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer
+selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die
+Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch
+aufs tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht
+offen fuer Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte,
+Thisbae, Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein.
+Da auf die Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der
+boeotischen Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte,
+erklaerte jener, dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es
+mit Rom halte und welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber
+ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu
+auseinander. Es ist nicht wahr, dass Epaminondas' grosser Bau von den
+Roemern zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie
+daran ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung
+der uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2.
+Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte
+der roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe
+die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien.
+--------------------------------------- ^2 Die rechtliche Aufloesung der
+Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte uebrigens wohl noch nicht jetzt,
+sondern erst nach der Zerstoerung Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)
+--------------------------------------- Chalkis ward mit achaeischer,
+die orestische Landschaft mit epeirotischer Mannschaft, die
+dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen Westgrenze
+von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die Schiffahrt
+wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus
+sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb
+seines eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen
+Kalender im Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste
+landeten. Es ist zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen
+gefunden haben wuerde, auch wenn er soviel Energie gezeigt haette,
+als er Schlaffheit bewies; unter diesen Umstaenden blieb er natuerlich
+voellig allein, und jene weitlaeufigen Propagandaversuche fuehrten
+vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, Genthios von Illyrien,
+Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das mit Perseus
+bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe an,
+welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine
+Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen
+Geiseln nach Rom. Perseus' Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien,
+blieb neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig
+Antiochos IV. von Syrien, im Kurialstil "der Gott, der glaenzende
+Siegbringer" genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem "Grossen",
+ruehrte sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend
+dieses Krieges das syrische Kuestenland zu entreissen. Indes wenn
+Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht veraechtlicher
+Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten
+und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils
+Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen
+30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann
+numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und besonders
+pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 Deckschiffe
+zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus, dem der
+Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete erst
+jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann Truppen an
+Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken bestimmt
+war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul Publius
+Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um
+von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht
+wie gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte
+nicht daran, den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich,
+in Perrhaebien einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am
+Ossa erwartete er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht
+zwischen den beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer
+wurden entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte
+die italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen
+und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an
+Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich
+schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus
+benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
+hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er
+bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden
+nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings
+folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes
+anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man
+zog hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah.
+Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht
+gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch
+Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
+glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen
+Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines
+Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein
+guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen
+Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen,
+fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Roemer
+in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er zum
+Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen Naturen
+eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu raeumen.
+Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer hellenischen
+Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen lassen, zeigt
+der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten
+geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig
+Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch
+gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien
+hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige illyrische
+Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien von den
+makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und
+Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten
+aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen boeotischen
+Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von Thisbae, das
+sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral Gaius Lucretius
+vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore schloss
+und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft,
+Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso
+behandelt. Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht
+gehalten wie unter diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so
+zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584 (170) der neue Konsul
+Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte,
+zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfaehig und
+gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen
+Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius
+Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet
+war, erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition
+nach Makedonien hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang
+des Winters der Koenig mit den an der Suedgrenze durch den tiefen,
+alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich gewordenen Truppen den Appius
+seinerseits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Gefangene
+ab und knuepfte Verbindungen mit dem Koenig Genthios an; ja er konnte
+einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, waehrend Appius sich
+in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er vergeblich belagert
+hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee machte
+ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die
+thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden
+schlaff angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich
+beschaeftigte der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die
+freilich auch vor allen Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann
+und einen namhafteren Offizier erforderte. Abschied und Urlaub waren
+kaeuflich geworden, die Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die
+Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die Offiziere im grossen
+Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften
+wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der
+schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der
+aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
+Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros.
+durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte
+wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und
+wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet
+oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis.
+Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung
+der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den roemischen
+Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den Bundesgenossen
+zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft einstimmig
+verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das Ergebnis dieser
+beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein Schandfleck
+fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum
+wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft
+gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus'
+Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der
+Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen
+begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets
+von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in
+Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre Bergfestung
+ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu verschanzen.
+--------------------------------------------------- ^3 Der kuerzlich
+aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die
+Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.;
+AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese
+Verhaeltnisse. ----------------------------------------------------
+Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte,
+Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund
+des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht
+gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter
+Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe
+den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen
+die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der
+Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
+bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss
+konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann
+an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand
+er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark
+befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale
+Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren,
+in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten
+Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem seinen Namen
+behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein wie damals
+ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus' Unfaehigkeit. Als ob er den
+Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als durch Sperrung
+der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich seltsamerweise verloren,
+sowie er die Roemer diesseits derselben erblickte, fluechtete eiligst
+nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu verbrennen und seine Schaetze zu
+versenken. Aber selbst dieser freiwillige Abzug der makedonischen Armee
+befreite den Konsul noch nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar
+ungehindert vor, musste aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an
+Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur
+Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position
+wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr
+geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe
+kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette.
+Die Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen
+Heere gesichert; aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren
+wohlgewaehlten Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark
+verbarrikadiert und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer.
+So verblieb das roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter
+eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die
+Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste
+wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der
+Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen
+Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu
+nehmen und richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus' leichte Schiffe
+streiften kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien
+bestimmten Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei
+der Westarmee stand es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit
+seiner geschwaechten Abteilung nichts ausrichten, und der von ihm
+begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die Eifersucht des Konsuls
+abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von Perseus durch das
+Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, mit Rom zu
+brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf uebrigens
+der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder
+zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der
+bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen
+Rom einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem
+grossen, der nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus
+sich von seinem Golde zu trennen vermocht, er haette den Roemern
+noch gefaehrlichere Feinde erwecken koennen. Ein Keltenschwarm unter
+Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso viele zu Fuss, bot in
+Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; allein man konnte
+sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es so, dass ein
+Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen Kasse
+leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte
+zu geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.
+Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland
+zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen
+Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem
+Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf
+dem Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich
+ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168)
+zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon
+eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein
+vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und
+seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein
+unbestechlicher Beamter - "einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen
+man kein Geld bieten konnte", sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein
+Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit
+benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. Sowie
+der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess
+er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
+beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius
+Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach
+Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder
+am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein
+kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses
+Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung
+- wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten
+handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die eigentlich erst auf
+den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm
+und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der
+Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stuermte die furchtbare
+Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten
+Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert habe. Die
+roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward niedergerannt
+und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, bis sie
+einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier
+wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung
+hatte die Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die
+Roemer in jede Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an,
+und da die makedonische Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen
+koennen, ruhig zusah und bald sich in Massen davonmachte, mit ihr unter
+den ersten der Koenig, so war in weniger als einer Stunde das Geschick
+Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten liessen sich
+niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle die Phalanx, die
+ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, hier selber untergehen.
+Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem
+Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am
+fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte;
+ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete
+mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in
+seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein
+da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta,
+der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft
+gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die koeniglichen Pagen und
+die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, dass das Asylrecht
+ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich an einen
+Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So
+schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er
+sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte
+auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen
+Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel.
+Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem
+gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der Konsul den vornehmsten
+Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr heimgebracht hat. Perseus
+starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in Alba am Fuciner
+See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben
+italischen Landstadt als Schreiber.
+------------------------------------------------ ^4 Dass die Roemer,
+um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben verbuergte, und
+Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs getoetet, ist
+sicher eine Fabel. -----------------------------------------------
+So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
+hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. Damit aber zu
+dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch der Krieg
+gegen den "Koenig" Genthios von Illyrien von dem Praetor Lucius Anicius
+binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte genommen,
+die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des
+grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen
+in Rom ein. Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht
+wiederkehren duerfe, die Flamininus' unzeitige Milde ueber Rom gebracht
+hatte. Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis
+am Strymon verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des
+festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates
+in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
+zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von
+Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der
+chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und
+den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen
+der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte
+in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten
+sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land verlassen und sich nach
+Italien begeben, bei Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und
+mit Recht, die Zuckungen der alten Loyalitaet. Das Landrecht und die
+bisherige Verfassung blieb uebrigens bestehen; die Beamten wurden
+natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und innerhalb der Gemeinden
+wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen gelegt. Die
+koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den Eidgenossenschaften
+nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, ein
+Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138)
+wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die
+Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die
+bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den
+Eidgenossenschaften und den Gemeinden ueberlassen, sich selber zu
+besteuern; doch hatten diese die Haelfte der bisherigen Grundsteuer
+nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, zusammen jaehrlich 100
+Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das ganze Land ward
+fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; nur an
+der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren
+bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die
+kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der Rest verbrannt.
+------------------------------------------ ^5 Die Angabe Cassiodors,
+dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke wieder eroeffnet
+wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. Goldmuenzen
+der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also blieben
+entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren
+verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten
+Makedoniens (Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen
+sind; fuer die kurze Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608
+158-146) ist die Zahl derselben auffallend gross und zeugt entweder
+von einem sehr energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter
+Umpraegung des alten Koeniggeldes. ^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen
+durch die Roemer der "herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet
+ward" (Polyb. 37, 4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein
+spaeterer Erlass dieser Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur
+Erklaerung von Polybios' Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt
+Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der der Provinz Makedonien von
+Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die augustische Zeit
+(Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der
+Steuer vereinigen lassen. ---------------------------------------- Man
+erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den
+Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen,
+und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne
+Geschichte geblieben. Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des
+Genthios ward in drei kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten
+die Ansaessigen die Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen
+Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten
+und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen
+Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward
+konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser
+Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den
+Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit
+wenigstens auf lange hinaus ein Ende. Kotys in Thrakien, der schwer
+zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu brauchen war, erhielt
+Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. So waren die noerdlichen
+Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von dem Joch der
+Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, ein
+Koenig nirgend mehr vorhanden. Aber man beschraenkte sich nicht
+darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu zerschneiden. Es war im Senat
+beschlossen, die saemtlichen hellenischen Staaten, Freund und Feind,
+ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie miteinander in
+dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich
+rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen
+die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer
+Grossmacht nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier
+und Scipionen zu Ende ist. Am schwersten traf dieser Rollenwechsel
+denjenigen Staat, der von Rom geschaffen und grossgezogen war, um
+Makedonien im Zaum zu halten, und dessen man jetzt nach Makedoniens
+Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich der Attaliden.
+Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes einen
+ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung
+zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen
+um die Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame
+Geruechte ueber ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen
+Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine
+Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm 500, fuer die Vermittlung des
+Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an Perseus' Geiz habe sich
+der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische Flotte anlangt, so ging
+der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins Winterquartier begab,
+gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte.
+Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine
+heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente
+Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise
+582 (172) zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus'
+Banditen ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen
+Schwierigkeiten eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem
+Ausgang er ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er
+seinen Anteil an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft
+und das Werk langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben
+sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen.
+Dass kein Beweis weder in Perseus' Papieren noch sonst sich vorfand, ist
+sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen
+laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt
+das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes' Bruder, der
+die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit
+offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
+aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten
+- gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat
+nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine
+vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er
+aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der Senat
+zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter sich
+nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht war,
+wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen
+Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute;
+hatte man nach Antiochos' Besiegung Philippos gegenueber noch die Formen
+geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese Zeit
+scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und Antiochos
+bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger war es, dass
+die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des Eumenes, nachdem
+derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien vertrieben
+und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen
+Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne
+Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene
+Spannung, wenn nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes
+erhoben, sein Reich ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten.
+Eumenes erbat die roemische Vermittlung; der roemische Gesandte war
+dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer
+befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden nicht zu verstimmen, und
+merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er erzaehlte bei der
+Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe.
+Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater von dem
+Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss
+sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren.
+Da beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt,
+dass Koenige kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen,
+und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen
+Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu fragen, was er wolle, und ihm
+anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der
+Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts
+und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der
+halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es
+begann die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. Aehnlich erging es den
+Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie standen mit
+Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen
+Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder
+Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug
+zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr
+Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten
+Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des Aufstandes
+der nach Antiochos' Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre
+Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in grausamer
+Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen, sondern
+Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im roemischen
+Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den zweifelhaften Sinn
+des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes ein
+gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste
+getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen
+wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus
+ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen
+Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter desselben war
+uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier
+in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie nicht, fest an Rom
+zu halten und die makedonische Partei, die es wie allerorts so auch
+in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch 585 (169) ihnen
+erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist die
+Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor
+der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier
+und im roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht
+laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel
+und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich
+weigere, Frieden zu schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen
+seien, auch zu diesem Ende bereits mit Kreta und mit den asiatischen
+Staedten ein Buendnis abgeschlossen haetten. In einer Republik mit
+Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese wahnsinnige Intervention
+einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, als man in Rhodos
+den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den
+Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus
+Marcius, jener Meister der "neumodischen Diplomatie", im Lager bei
+Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen
+Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand
+ersucht hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit
+und Eitelkeit taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich
+verloren, man haette gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den
+Vermittler gespielt - Verbindungen mit Perseus spannen sich an;
+rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie
+sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel
+groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die
+wundersame Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber
+die gute Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt.
+Ein kriegslustiger Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die
+Kriegserklaerung gegen Rhodos zu beantragen. Umsonst beschworen die
+rhodischen Gesandten einmal ueber das andere kniefaellig den Senat, der
+hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des einen Verstosses
+zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei
+auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren
+Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche
+Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen
+haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu
+strafen und ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die
+Roemer sich alles erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten
+wuerden. Seine Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den
+Rhodiern ihre Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag
+von 120 Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die
+Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr
+nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen
+Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die
+Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis
+dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank
+in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber
+waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
+kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen.
+Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590
+(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber
+machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. Mit Syrien und
+Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war Krieg
+ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der
+Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der
+syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von
+Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte.
+Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die Steuern der
+koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und war das Recht
+auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste der Tod der
+Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die Rentenzahlungen
+aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu sein; allein
+auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit gern, um das
+traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung Aegyptens,
+waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch einmal -
+es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm
+guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor,
+der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten
+und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der
+syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in
+welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet
+seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. Es
+gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen,
+sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
+deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle
+den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig.
+Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten
+ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich
+miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie
+er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der Schlacht von Pydna
+(586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius Popillius, ein harter,
+barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des Senats, alles Eroberte
+zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu raeumen. Der
+Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe
+einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis
+ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach
+seiner Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der
+er war, die Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den
+Triumph des Paullus zu parodieren. Aegypten fuegte sich freiwillig
+in die roemische Klientel; aber auch die Koenige von Babylon standen
+hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre Unabhaengigkeit gegen Rom
+zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so machten die
+Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten Versuch,
+sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend
+fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das
+barsche Wort eines Diplomaten entschied. In Griechenland selbst waren
+als Verbuendete des Perseus, nachdem die boeotischen Staedte schon
+mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter zu strafen. Auf
+geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig Ortschaften
+in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, 150000
+an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die
+Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die
+Athener, die fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu
+spielen, nicht bloss Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern
+sogar sich nicht schaemten, um die oede Staette von Haliartos zu
+petitionieren, die ihnen denn auch zuteil ward. So war etwas fuer die
+Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die Justiz. Eine makedonische
+Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch ganz Griechenland
+die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus' Heer gedient hatte, ward sofort
+hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des Koenigs
+oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner
+konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos
+zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren
+Patrioten unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so
+weiter aus der Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer,
+wobei man nicht so sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten
+den Prozess, als die kindische Opposition der Hellenen mundtot zu
+machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben,
+bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, erklaerte der Senat,
+ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der Untersuchung, endlich
+rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien bleiben wuerden.
+Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich gehalten,
+Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der
+aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die
+Dinge einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der
+ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig
+zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es
+deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500
+der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen
+zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess
+es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen Landesgebrauch
+durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber man darf
+glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes
+italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen
+Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder
+Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht,
+sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im
+roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten Ausbrueche des
+Parteihaders zu beseitigen. Es waren hiermit die hellenistischen Staaten
+saemtlich der roemischen Klientel vollstaendig untertan geworden und das
+gesamte Reich Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner
+Erben Erbe geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von
+allen Seiten stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck
+zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt
+wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf
+ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen,
+liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den Nutzniesser,
+die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches betrachte und
+dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig lassen
+wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien
+aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem
+Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat
+gefuehrt ward, und huldigte den "rettenden Goettern". Da er so sehr
+veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und
+schenkte ihm die Flotte des Perseus. Der Augenblick wenigstens fuer
+solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der Schlacht von Pydna rechnet
+Polybios die Vollendung der roemischen Weltherrschaft. Sie ist in der
+Tat die letzte Schlacht, in der ein zivilisierter Staat als ebenbuertige
+Grossmacht Rom auf der Walstatt gegenuebergetreten ist; alle spaeteren
+Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des
+Kreises der roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte
+Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen
+Senat den obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz
+zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und
+Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom
+verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu
+entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem
+grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
+auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
+Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
+Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen
+Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu
+halten. Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und
+Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus
+ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln,
+wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte
+ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Fuesse stellen;
+weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine
+bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue
+Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber
+sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem
+Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese
+Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie
+den Dienern, sondern es erwies sich auch das roemische Protektorat mit
+seiner undankbaren, stets von vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit
+als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines Systemwechsels und
+der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten in der ihnen
+moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich
+schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der
+makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere
+Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen
+Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie sozialen
+Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die Nordgrenze notwendig
+einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, endlich die beginnende
+Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind
+ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten in
+Untertanen Roms. Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den
+von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung
+durchmessenen Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs
+als ein von unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter
+Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung
+sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene
+Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates
+sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen
+aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden
+Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit
+Unrecht hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte
+Urteil als eine geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist
+offenbar fuer jede nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische
+Regierung waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte
+als die Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht
+uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus
+Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl,
+den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich
+ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich Asien
+in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende
+jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit
+unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet,
+dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen
+gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu
+allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem
+Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als zu denen mit
+Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch einen
+unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der
+bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der
+Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg
+sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse
+Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung
+Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der
+halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen,
+schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug.
+Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago,
+teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel;
+Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass
+sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall
+ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen gewaltigen
+Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt,
+sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten
+Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu
+entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen
+Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel
+gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde
+auf der staatlichen Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt
+kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und deshalb war jede Nation,
+die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu
+zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch
+unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch
+auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige
+Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts
+verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos,
+Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint,
+dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des
+Altertums haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und
+dass alle am letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen
+an Italiens Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss
+doch die geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht
+die militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern
+die notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums
+ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden,
+sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich
+erfuellt hat. 11. Kapitel Regiment und Regierte Der Sturz des Junkertums
+nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter
+keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen worden, dass die
+Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne
+noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb
+des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte,
+so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in
+den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten
+senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit
+der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der
+buergerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und
+die derselben entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt
+worden, wie jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte
+und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit
+den letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die
+Anfaenge dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte
+Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere
+Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege
+gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozess
+mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte dem Auge.
+Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und unvermerkt
+denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue
+roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
+Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und
+langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich
+geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren
+historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe
+tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung
+zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen
+Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen
+fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der
+Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht
+gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der
+Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Droehnen
+und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen. Die
+roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit
+des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen
+hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich,
+von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran
+schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl,
+dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal
+an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer
+erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder
+bei Todesfaellen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzufuehren;
+wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung des Bildes nach
+italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die
+roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden
+ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng
+ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und
+ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen
+sich an: der goldene Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene
+Pferdeschmuck der Juenglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und
+die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - geringe Dinge, aber dennoch
+wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche Gleichheit auch im
+aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend des
+Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im
+Gefaengnis gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz
+auf dem Haupte oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen
+moegen teilweise schon in der Zeit des Patrizierregiments bestanden
+und, solange innerhalb des Patriziats noch vornehme und geringe Familien
+unterschieden wurden, den ersteren als aeussere Abzeichen gedient
+haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher erst durch die
+Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt wohl
+schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat
+gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung
+hinzutraten. Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den
+Gemeindeaemtern, woran diese erblichen Ehrenrechte geknuepft waren,
+weder die niederen noch die ausserordentlichen noch die Vorstandschaft
+der Plebs gehoere, sondern lediglich das Konsulat, die diesem
+gleichstehende Praetur und die an der gemeinen Rechtspflege, also an der
+Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet
+^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes
+sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den
+Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht
+zu sagen von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne
+Zweifel weil laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich
+eine solche Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen
+Gesetze kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt
+einen Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen
+Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich
+koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und
+ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem
+Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
+eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in
+der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und
+musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern
+und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals
+beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte
+sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern rang
+nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die wichtigsten
+Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus
+Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln.
+----------------------------------------------- ^1 All diese Abzeichen
+kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst wahrscheinlich nur der
+eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer
+Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der
+Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt
+nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im fuenften
+Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon
+jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von
+Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von
+dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der
+Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga,
+der anfangs nur den Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen
+der Ritter, spaeterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch
+schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen
+der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene
+Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit
+des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der
+ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152),
+wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. Der Purpurstreif
+(clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so
+dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen;
+mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. ^2 Plin. nat.
+21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward durch
+Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das
+unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute
+jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde.
+^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer
+Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere
+mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen
+Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches
+Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular
+Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die
+plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den kurulischen
+Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass
+sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.
+----------------------------------------------- Die rechtliche
+Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des
+weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch
+gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution
+von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den
+Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den
+Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts
+gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den
+Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von
+ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhaengiges und in
+gewissem Sinn sich selber ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt;
+denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl
+zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der
+Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser
+Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus
+dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft
+noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
+aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
+Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren
+drei Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch
+namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten
+und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die
+Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen,
+zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung
+in demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der
+Nobilitaet. Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht
+unwichtigen Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft
+entwickelt. Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte,
+sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade
+wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der
+Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu
+jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen
+Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde,
+welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden verfassungsmaessig ebenfalls von
+den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die Ritter nach militaerischen
+Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle durch Alter oder
+sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr
+Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise den
+Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und
+ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf
+vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen
+ansehnlichen Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr
+Pferd liessen. Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden,
+dass der Senator dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So
+wurde es denn wenigstens tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den
+achtzehn Ritterzenturien stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben
+vorwiegend an die jungen Maenner der Nobilitaet kamen. Das
+Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch die effektive
+Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der Legionarreiterei,
+als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen
+Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk
+mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen
+Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und
+Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man
+wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend
+des Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit
+den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und
+weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine
+ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung
+der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte dem
+Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der
+Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss
+ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.
+----------------------------------------------------------------- ^4
+Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200
+die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht
+haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten
+aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler;
+jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu
+erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst
+von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle
+Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den
+Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme
+einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die
+Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die
+Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs,
+endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab.
+Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich
+zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S.
+243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen,
+sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser
+sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und
+durchaus nicht nach Livius' Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung)
+und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC,
+s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet
+zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige Bestand der
+roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also
+die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil uebertragen worden
+durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen
+Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden ja auch schon
+der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und
+der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238).
+Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde
+auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben
+vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die
+geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden
+bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage
+derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen
+Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht
+trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser
+geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit
+fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem Pferd
+pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse;
+sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter
+und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. In
+der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das
+erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des
+Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte
+Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als
+solche die Ritterbenennung weg.
+-----------------------------------------------------------------
+Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen
+Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den
+Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem
+zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine
+Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien;
+und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin
+liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und
+Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch auf
+Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und nicht
+nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie
+ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu
+verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es
+sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren republikanischen
+Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs in erster Reihe
+stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich durchaus
+nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen
+aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt
+und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn erschien;
+warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in
+dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner
+Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen,
+als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige
+Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser
+Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die
+Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich ruecksichtslosen und
+formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die gerichtliche
+Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204)
+verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
+sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
+wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus
+notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren-
+und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem
+Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt
+werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat
+zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig
+vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren,
+ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
+Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz
+der blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man
+ab. Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die
+Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf
+Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem Interzessionsrecht
+des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen
+Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, indem eine
+dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht
+machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher
+Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam
+gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen. In dieser
+hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
+gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das
+Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung
+in ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die
+Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig
+wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die
+Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert
+haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
+abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor
+verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der
+eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen
+unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm,
+im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer
+die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika
+(527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu
+summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende
+Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die
+materielle Unzulaenglichkeit der roemischen Magistratur. Unter den
+von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie
+fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der
+bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten
+am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der
+Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe
+der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich
+von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt
+und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der
+Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache
+nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es
+weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen
+jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier
+ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden.
+Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den
+Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom
+Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von
+der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen dabei
+zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen
+wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung
+der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl
+von Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das
+Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den
+jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn
+hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig
+eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden
+des demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen
+Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen
+Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171)
+es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu
+suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu
+ueberlassen. Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem
+die Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war
+dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name
+werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl
+zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur
+Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche
+nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, dass das
+Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217)
+fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon
+nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die
+Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende
+dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um
+Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge
+zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen
+einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst vorgeschrieben;
+aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass
+die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Waehlerschaft
+das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen Faellen sich ueber
+jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den Angehoerigen der
+regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der Eintritt in
+den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und geringeren
+Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden
+sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen
+Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der
+Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat
+und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und
+Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehoeriger
+Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger
+derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die
+in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des
+Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten
+erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten
+derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier,
+Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen
+zurueck auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des
+Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden
+ist. Die Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch
+die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein
+aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht
+laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die
+Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht
+wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
+kurulischen Haeuser sich bewegten und ein "neuer Mensch" nur durch eine
+Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag
+eine gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen
+Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der
+Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt,
+insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von
+dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der
+Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust
+rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die
+roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in
+der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm
+und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre,
+dem konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des
+Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre
+Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der
+aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen
+Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen
+war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst
+kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller
+Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
+gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit
+reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von
+ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und
+Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich
+ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit
+war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der
+Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne
+Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des
+Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit
+den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders
+zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und der Nepotismus der Flaminine
+war womoeglich noch unverschaemter und aergerlicher als der der
+Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte in der Tat weit mehr
+solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius
+Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne
+Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio
+mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat
+gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur
+zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die
+Republik. Man war schon dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm
+gegen die Familienregierung und ihre Konsequenzen in einem streng
+oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das ist der Grund,
+weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie opponierte,
+zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot.
+------------------------------------------------------ 5 Die Stabilitaet
+des roemischen Adels kann man namentlich fuer die patrizischen
+Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten deutlich
+verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit
+Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide
+Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat
+bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den
+varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten
+Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt worden und sind
+fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561,
+565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln
+und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den Geschlechtern:
+
+Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener (366-254):
+(253-173): 16 patrizische Kollegien
+
+Cornelier 15 15 14
+
+Valerier 10 8 4
+
+Claudier 4 8 2
+
+Aemilier 9 6 2
+
+Fabier 6 6 1
+
+Manlier 4 6 1
+
+Postumier 2 6 2
+
+Servilier 3 4 2
+
+Quinctier 2 3 1
+
+Furier 2 3 -
+
+Sulpicier 6 2 2
+
+Veturier - 2 -
+
+Papirier 3 1 -
+
+Nautier 2 - -
+
+Julier 1 - 1
+
+Foslier 1 - - -------------------------------------------------- 70 70
+32
+
+Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit
+der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne
+wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch
+Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis
+zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen
+Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes
+auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier,
+Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in
+der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
+------------------------------------------------------ Von diesem
+allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel das
+Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog
+in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche
+die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet
+worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte
+die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen
+Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen
+den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment
+verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie
+sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und
+feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und der
+daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der
+Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu
+beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in vieler
+Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit den
+grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden roemischen
+Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht uebersehen werden,
+dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit
+schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die
+Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen
+fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die
+entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat.
+Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr,
+was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern;
+und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr
+eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich
+nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in
+dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen
+und die Gunst der Menge durch strenge Worte und ruecksichtslose
+Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und
+alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel
+Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des Herrenstandes
+hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, als er zum
+Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art
+sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze
+voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer
+den faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun
+nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen.
+Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum
+wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege.
+Unzweifelhaft war es auch, im grossen und ganzen genommen, den
+ohne Ausnahme tief zerruetteten hellenischen, phoenikischen und
+orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich
+ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie
+die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der
+Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro,
+sondern gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen
+Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher
+erzaehlt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und
+wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls
+Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) - um seinen
+Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele in der
+Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische
+Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit
+eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang
+selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war
+es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht gestellt ward,
+sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren
+strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im Theater einluden,
+seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich war er der Bruder
+des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten Koteriehaeupter
+des Senats. Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser
+Epoche eher zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war
+zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom
+nicht - stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen
+Gebietes, welche es zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575
+(199, 179) an der kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros
+in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben
+Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen
+Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es
+nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten
+roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da
+indes die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe
+zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese
+Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die
+Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von
+dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von
+Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert
+noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern
+es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen
+Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das
+von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und
+an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation
+von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten;
+wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle
+entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen
+spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu
+den Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
+Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr
+bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem
+Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill.
+Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die je auf
+einmal in die roemische Kasse gelangt ist. Indes ward diese Zunahme
+der Einnahme durch die steigenden Ausgaben groesstenteils wieder
+ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl
+ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- und
+andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets;
+auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der
+schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch
+manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die
+verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem
+gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten
+der Beamten in den Provinzen, von ihrer ueppigen Wirtschaft aus
+gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem
+beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die
+Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den
+Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man
+ungefaehr danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss,
+von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen,
+weil die Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die
+Kasse bestehlen wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die
+kontrollierende Behoerde sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss,
+wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland
+stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen
+in der Hauptstadt und sonst auf oeffentlichen Grund und Boden
+uebergegriffen und das Wasser aus den oeffentlichen Leitungen zu
+Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses Blut, wenn einmal
+ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie
+zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten
+oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der
+Gemeinde gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen
+der Roemer eine merkwuerdige Weite. "Wer einen Buerger bestiehlt", sagt
+Cato, "beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und
+Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt." Wenn trotz dessen, dass das
+oeffentliche Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von
+Beamten und Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt,
+wie selten in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland
+kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife;
+wie der roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort
+hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland
+der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
+aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur,
+dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch
+viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht
+wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das
+allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten
+in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem Barbestand des
+Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen finden wir in
+Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkuenfte
+verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich gewesen zu
+sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die
+Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die
+Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung
+der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher
+Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten
+hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184)
+verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des hauptstaedtischen
+Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen)
+angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehoert, was
+von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach
+stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren
+Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen
+zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue
+Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die
+letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie
+anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze
+Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler
+in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. Allein bei den
+ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter
+nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen Staatskasse
+zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit
+als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen
+Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die
+roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber
+die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glaenzendes
+Gesamtergebnis. ----------------------------------------- ^6 Die Kosten
+von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen
+worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es
+muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die
+Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2).
+----------------------------------------- Am bestimmtesten tritt der
+veraenderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen
+und ausseritalischen Untertanen der roemischen Gemeinde. Man hatte
+sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die latinischen
+bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die roemischen
+Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser
+Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon
+fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen
+war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung
+fand und diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188)
+Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In
+Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer
+Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege
+aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im
+Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren
+Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und
+ganzen betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt
+gelten. Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der
+Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den
+Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu
+namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet
+gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen
+Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen
+geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen
+Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die
+in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus
+diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen,
+hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. Die Stellung
+der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher angedeutet
+ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil
+veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel
+Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle
+dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr
+bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem die meisten
+mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der
+bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung
+der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren
+Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und
+Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen,
+wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000
+samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie
+Fregellae uebergesiedelt seien. Dass die Latiner, das heisst jetzt
+die wenigen noch ausserhalb des roemischen Buergerverbandes stehenden
+Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich
+gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der Herniker,
+und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt
+noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie
+im Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten
+Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr
+und mehr von der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen
+Bundesgenossen gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt
+soviel Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des
+Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen
+verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und
+den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk
+577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit
+den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des
+ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten
+Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
+Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger
+je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den
+latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die
+Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche
+Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde
+zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache
+Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der Buerger
+der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behoerden
+ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die Unmoeglichkeit,
+unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu leisten,
+veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der
+Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die
+Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger
+schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland
+angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des
+latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin
+nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast
+regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende
+Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183)
+begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche
+mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig
+ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577
+184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
+offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
+Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten
+wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen
+Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren
+Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung
+bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht
+zu vertauschen. Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen,
+der Eintritt in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt.
+Das aeltere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen
+einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch
+uebermaessige Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr
+zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet.
+Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die
+Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche
+entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf
+das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden
+gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
+Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische
+mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht
+nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses
+erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in das roemische
+Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die latinischen
+Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer einzelne der
+bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen Nichtbuerger ^7.
+---------------------------------------------- ^7 So wurde bekanntlich
+dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der Buergerkolonien
+Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das
+Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach
+bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben,
+wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten
+Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch
+haeufig dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der
+Gruendung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in
+dem jedesmaligen Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an
+eine beschraenkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
+---------------------------------------------- Diesen tatsaechlichen und
+rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der italischen Untertanen
+kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht
+abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im
+Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert
+und, waehrend die Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch
+Uebergaenge zu vermitteln bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall
+die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Bruecken abgebrochen.
+Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke
+sich absonderte, den oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog
+und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die
+Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber
+und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus,
+waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil
+ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte
+die Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die
+Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch
+die Liberalitaet seiner Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt
+selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung
+der Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert
+auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu
+eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes
+Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden
+des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
+Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte
+Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den
+Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die
+bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten
+Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms
+zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden
+begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig
+wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten,
+zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten,
+ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass ferner
+in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen eine noch
+gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung
+und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern
+zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung innerhalb
+der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren
+Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen
+Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung
+bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die
+Furcht hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach
+der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen
+Gemeinde zwei Maennern das roemische Buergerrecht und Sitz im Senat
+zu gewaehren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht
+abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals
+in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis zwischen Latium und Rom
+blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien
+getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten
+Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert
+sein wuerde. Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese
+Epoche in das roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich
+diejenige, welche am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der
+bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere
+roemische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die
+ueberwundenen Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft
+oder in der roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis
+zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und
+die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen
+in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren
+frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen
+einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das
+Verstaendigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete
+lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also
+die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und
+organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man,
+wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriss. Es war das Hemd des
+Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfaenglich die
+Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht
+eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und
+Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als
+man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die
+Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es
+weit weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt,
+als darauf, dass man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht
+verwandelte; fuer den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel
+nimmt oder gleich den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf
+dem Fuss. Das neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von
+Voegten, deren Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien,
+sondern auch mit der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich
+war. Wie die roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des
+frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt;
+wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen
+Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der
+Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
+Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in
+den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener
+begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er
+von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher
+sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten
+desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage,
+dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von
+ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der
+Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre
+altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende
+ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und
+Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten
+unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter
+und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens
+den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen
+nachdruecklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter
+ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man war durch die karthagischen
+Voegte und syrakusanischen Herren nicht verwoehnt und sollte bald
+Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der
+gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklaerlich,
+wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit
+der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge
+nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das
+Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den
+roemischen Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen
+lagen so sehr in der Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum
+ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um
+so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz
+festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der Vogt ganz
+reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der Sieger
+von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt.
+Die ueble Sitte, dem Amtmann "Ehrenwein" und andere "freiwillige" Gaben
+zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und
+mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; schon Cato musste in
+seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, diese Hebungen zu
+regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und ueberhaupt
+der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie
+Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das
+wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und
+seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung
+des Heeres oder bei anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen
+Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg
+gemissbraucht, dass auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583
+(171) die Feststellung des Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den
+Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste
+in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die
+masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus
+fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie
+ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat,
+offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der
+roemische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen
+die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhaengigen
+Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das zeigen die Raubzuege des
+Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in
+Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte
+kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen
+Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen Willkuerregiments
+fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz.
+Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr
+als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der
+Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst
+dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so
+war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen
+ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste ein Volkstribun kraft der ihm
+zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an
+das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der
+die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der damaligen
+Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen.
+Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes,
+und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete
+Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar
+verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines
+Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch
+Klagen von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden
+Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld
+befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern
+und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das
+Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast
+gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten
+freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und
+Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher
+getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden
+es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff;
+und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der
+Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine
+Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um
+den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den
+Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber
+wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige
+Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der
+Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und
+gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten,
+sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen
+von Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen
+Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite.
+Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten
+die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen
+meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft,
+wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich
+fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der
+roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen
+straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; woraus
+denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht
+unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie
+sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur
+den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten
+Verwaltung liegt in der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht
+der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es
+vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten machte die Schlaffheit und
+Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts
+wegen haetten die Voegte einer weit strengeren und spezielleren
+Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die italischen
+Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo das Reich
+grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert werden,
+durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze bewahrte.
+Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie
+souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden
+Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine
+der spaeter erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation
+der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als
+bedenklich. Der roemische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und
+im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen
+Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsaechlich
+unabhaengig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin gefuehrt,
+sein und seiner Administrierten Interesse von dem der roemischen
+Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem
+persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in
+der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im
+Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den
+Weg wieder zurueck in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl
+Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied.
+Auch die Regierung empfand es, dass die beiden fundamentalen Saetze
+die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der
+Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Haenden
+zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung
+neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der
+Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus
+den Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so
+zweckmaessigen Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr
+deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden roemischen
+Staatsmaenner vor der hier gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist
+nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilitaet entwickelte sich
+weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der
+Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger
+Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch
+ungehemmten stetigen Fortgang. Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf
+als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese
+gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss
+der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite
+Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als
+die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die
+Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf
+dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische
+Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu
+schildern. Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht
+dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert
+werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige
+Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten
+und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen
+fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das Glueck der
+Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem Grade
+geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede
+Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der
+gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze
+Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber
+beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige
+Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch
+in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl oft
+geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in buergerlicher
+und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie,
+mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der oeffentlichen
+Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch
+ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den
+Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen
+Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter
+Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist
+schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische
+Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn,
+die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an der Westkueste
+noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses
+Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, Praeneste, Signia,
+Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den
+italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische Vollbuergerrecht
+besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der juengsten
+Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und eine
+sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche,
+gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora
+et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der
+Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die
+Zwecke der Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher
+schon erwaehnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf,
+teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen
+und transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer
+staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde
+wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen
+politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz
+allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer
+Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was
+sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche
+Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen
+weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
+hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser
+Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in
+den Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in
+neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass
+allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische
+Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie
+diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr,
+die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen
+Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung
+und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst
+werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte
+voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
+hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
+geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche
+die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber
+zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende
+Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in
+letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch
+die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche
+Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die roemischen
+Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle gespielt. In
+der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn
+sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei
+der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher
+die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und
+kuemmerlich auslaufende Opposition.
+------------------------------------------------- ^8 In der bekanntlich
+zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden
+landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Eroerterung
+der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach Rom
+gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer
+einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der
+Gegend domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich
+daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der
+Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden
+Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern
+entschieden wurden. -------------------------------------------------
+Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel
+formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur
+Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt.
+Seit unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine
+Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von
+denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen,
+wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder
+verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben,
+und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
+Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht
+bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus
+den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der
+Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand.
+Die Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete
+finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten
+Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen
+Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten,
+jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
+Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
+ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben.
+Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550
+204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten
+regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der
+Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der
+Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche maechtige Konkurrenz der
+abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem selbstaendigen Mittelstand
+machte. Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in
+der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst
+nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen
+beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich
+fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in den
+Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges
+vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen
+Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und
+den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern der
+Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als
+die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden
+Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso
+unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. Aber es wirkten
+nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines
+hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet
+noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch
+denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere
+Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu
+haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass
+unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette zeigen duerfen;
+aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die Gunst der
+Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten,
+namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die
+Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich
+die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot
+umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder
+die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde
+stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen
+roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten,
+machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Aedilen
+moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das Getreide zu
+Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, dass die
+Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch habe eben
+keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu.
+Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr
+und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische Demagoge von
+Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und einen
+zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen
+Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes:
+"plebejische Spiele" hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft
+haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man
+weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der
+Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur
+wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der
+Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes
+Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren der neu aus
+Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter hinzugefuegt. Es waren
+dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges - bei der ersten
+Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem Spielplatz weg
+zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie
+war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie
+nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch
+deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man
+es tadeln, dass die Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure
+Opfer zumuten musste, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal
+nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam
+noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora
+hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der
+Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln
+- so die kurulischen Aedilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der
+Goettermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das
+Ceresfest, der staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag
+damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht
+zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat
+waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer
+Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die
+Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation
+fuer die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen
+Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele
+einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche
+steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul
+in Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige
+"Leistung" (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab.
+Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die
+Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die
+Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges
+Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte
+gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
+verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt,
+sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr
+hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die
+Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe
+heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus,
+warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie
+aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen
+Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten
+Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
+durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr
+an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der
+Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein
+unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner mit
+Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass
+auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu
+geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr,
+da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die
+Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen,
+nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes
+aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen
+Doerfern wegwarf. ------------------------------------------------- ^9
+Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen
+Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius
+(p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus
+gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538
+(216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so
+wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.
+------------------------------------------------- Wie sehr die
+Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter diesem
+Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den
+Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise
+offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische
+Krieg (576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft
+vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer,
+ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten
+ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. Auch
+hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des Hannibalischen
+Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die
+Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten
+Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180)
+stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren
+als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um
+die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen.
+Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten
+Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen
+nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen
+gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des
+Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel
+aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in
+offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten
+verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die
+Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste
+es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche
+vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat
+oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem
+Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein
+Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend,
+um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen
+Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen
+waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den
+Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens 5000 Feinden das
+Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter durch falsche
+Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den vornehmen Haeusern
+manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld
+dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur
+Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers
+einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische
+Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560
+194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste
+nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der
+Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien jedes Verdienst eine
+bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494
+260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, wenn er abends durch
+die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackeltraeger und
+ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des
+Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer eine
+Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange
+genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den
+gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden
+Zunamen zu schoepfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama
+begruendet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder
+den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen liess ^10. Dem
+Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es
+nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und
+dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte
+man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten,
+wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken
+zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht
+bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven,
+sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn
+freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den
+Senatorensohn von dem gemeinen Buerger, den Sproessling eines
+kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator - und das in derjenigen
+Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das Werk der buergerlichen
+Gleichheit war! -------------------------------------------------------
+^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist
+das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von
+Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in
+aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen
+Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus
+gleichartig. -------------------------------------------------------
+Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der
+Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den
+lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt
+die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig
+trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch
+notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern. Die
+Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person
+des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte
+Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem
+Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster
+des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht
+wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen
+Mittelstandes gegen die neue hellenisch- kosmopolitische Nobilitaet.
+Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der
+wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in
+die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem
+rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich
+entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter
+Flaccus' Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den
+Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
+Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten
+Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen
+Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama
+durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient
+und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich
+als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt.
+Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und
+schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis
+des roemischen Rechts und der roemischen Verhaeltnisse, seine
+unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten ihn zuerst in
+den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in
+der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war,
+zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit.
+Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen
+Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er
+daran gesetzt, dem einreissenden Verfall redlich, wie er es
+verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem
+fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist
+Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene Augen
+habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser
+Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich
+gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den
+Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch
+seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser
+Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar,
+aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der
+kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Bueberei
+und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und vor allen Dingen
+der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen
+des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten
+als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren
+sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht
+mit Unrecht, ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und
+ausser dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer
+von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen
+aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator
+und dem Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern
+seiner vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister
+vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und
+allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich
+gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er
+oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden
+neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose
+Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich
+den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener
+unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt
+worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie
+maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige
+Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den
+ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen
+niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen
+Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und
+im voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende
+Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen
+beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der
+Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und
+derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest
+stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der
+Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
+gestrichen wurden. Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen
+Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie
+achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen,
+konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile
+zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz
+oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so
+ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen
+der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und
+seinem Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten
+Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Faellen
+durchgaengig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato
+gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die
+Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschraenkung des Luxus
+und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in
+dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in
+der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. Bei
+weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden
+Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von
+neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz
+einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten
+Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den
+Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl und in bedeutendem
+Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der
+picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die
+Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die
+umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem
+Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona,
+Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina,
+Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem
+die meisten dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei
+zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens
+durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender
+Bauernstellen und ueberhaupt der freien italischen Bevoelkerung,
+anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum
+besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in
+Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato
+und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische
+Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab
+nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht
+taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen Mannes. Verwandter
+Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der
+Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen
+Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht
+gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der
+Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht
+Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu
+sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die
+roemische Regierung zu dem gluecklicherweise verunglueckenden Versuch
+bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu
+rekrutieren, die Milderung der fuer den Dienst im Buergerheer bisher
+geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300
+Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die zwischen
+4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen
+und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der
+Minimalzensus fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt
+und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als
+sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten
+Freigeborenen in das Buergerfussvolk miteingestellt. Diese vermutlich
+dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehoerenden
+Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische
+Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten
+doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit
+den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und
+sodann auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht
+setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas
+zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus
+entsprang eine der wichtigsten Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die
+Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in
+demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende
+ging (513 241). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den
+Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des
+Appius Claudius, allein die Ansaessigen gestimmt, aber doch die
+Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das
+heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Hoechstbesteuerten,
+das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens 100000 Assen
+(2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden
+Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung
+entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden
+Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung
+unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben
+war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der
+Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das
+Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch
+das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die Wichtigkeit jenes
+adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal
+in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf die
+Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der
+eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die
+gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul-
+und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis
+582 172), diese noch ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131),
+lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefaehrlichsten
+Moment, den die roemische Republik erlebt hat, in der Krise nach der
+Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des
+nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der
+durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines
+Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich
+charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das
+Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen
+ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine
+etwa durch das Los aus der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung,
+sondern ausschliesslich auf die erste Klasse ueberging. Diese sowie
+ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze
+nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, dass der
+Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das
+Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward.
+Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze
+bei dem allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine
+Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der
+Abteilungen blieb gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie
+gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den
+193 Stimmzenturien allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der
+reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt
+und dadurch bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite
+Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche
+Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen
+Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind
+die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer
+Tribus angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben
+werden musste. Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus
+eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien,
+und waehrend sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier
+staedtischen Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der
+Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell das gleiche
+Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der
+Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die
+Landtribus eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der
+Zenturienversammlung gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die
+reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, dass von den 70
+Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach
+die nicht ansaessigen Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher
+Weise muss auch in den vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern
+das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die
+bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im
+Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen
+Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im
+Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei,
+den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius
+Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen
+Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft.
+Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit
+ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige
+Verfassungsaenderung, die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann,
+der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht
+teils in der Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in
+der Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits
+der Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung
+der Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden
+Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, Gesetzvorschlaege,
+Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung der Buergerschaft
+erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die Tributkomitien gebracht
+und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen
+wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch ueblich war,
+um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen
+Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht
+ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in
+der praktisch haeufigeren und wichtigeren Kategorie der
+Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner Geltung
+gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz
+zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen
+Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der
+Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser
+Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden Stimmordnung
+nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die
+gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht
+verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist
+sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung,
+dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen
+Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen.
+Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform noch die frueher
+schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten roemischen
+Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die
+Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der
+Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu
+beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern
+sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.
+----------------------------------------------- ^11 Ueber die
+urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas
+Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus
+der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen
+in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von _, , , 1/9 stehen.
+Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren
+Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint
+hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch in Beziehung auf das
+Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu Denar) in
+Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen Muenzwesens, S. 302).
+Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussaetze
+in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht des
+leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat
+er dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese
+bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte
+die spaeteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der
+Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der
+Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben wuerde. Gegen
+beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; doch scheint
+die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der
+demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften Jahrhunderts
+noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen Massregel
+wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung
+verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen
+uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen
+Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach
+die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im
+Wert gewechselt haben wuerden.
+----------------------------------------------- Fasst man zusammen, was
+von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie
+dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes
+und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem
+uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet unzweifelhaft
+patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu einem
+gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres
+politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille
+der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und
+kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in
+die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im grossen und ganzen zu
+bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese
+sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der
+Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit
+ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig
+dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen
+mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und den grossen
+Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer
+Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu
+haben. Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit
+emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche
+Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt
+das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der
+Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine
+freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne
+auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen
+anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem
+Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen
+und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen;
+zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
+Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer
+ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat,
+diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor
+allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so
+hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und
+Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die
+wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der Diktatur.
+Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 (217)
+hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren Institut den
+Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter
+dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem
+Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch
+in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar
+Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der
+zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer
+staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne
+foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit
+ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem ein
+fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr wuenschenswertes
+Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das Eintreten der
+Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in der
+Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen
+hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward
+dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene
+Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich
+ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten
+gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach
+Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, und damit einen
+dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand herbeizufuehren. Daneben
+dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in
+Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise
+sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten
+Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem Herkommen
+selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Koerperschaften
+ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur
+Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht
+bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die
+Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen
+Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der
+republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch
+nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung
+der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus dem Schosse dieser
+Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde ueberging; wobei
+ueberdies noch, mit echt roemischer formaler Goetterfurcht, um ja nichts
+zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, also nicht das
+"Volk" den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung war das zunehmende
+Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche Fragen aus
+dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher
+gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher
+die Wahlen der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal;
+hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss
+von 537 (217), wodurch das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren
+Generalissimus und seinem populaeren und ihm im Lager wie daheim
+opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen
+Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft verfuehrte tribunizische
+Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher Kriegfuehrung (545 209),
+welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt
+zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung vor dem
+Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren
+Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den
+Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste
+Bekleidung eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer
+Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den
+Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von
+der Buergerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch
+eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, der Buergerschaft
+wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte
+Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); hierher
+das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch
+Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und
+Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber
+weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde;
+nicht bloss, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde
+durch jeden Angriff auf das aelteste und wichtigste Recht der Regierung:
+die ausschliessliche Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil
+die Unterstellung der wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit,
+der Aufteilung der Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der
+Buergerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die
+Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt in den eigenen Beutel
+hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, sondern der
+Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft und
+gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche
+Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie
+zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess,
+durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste
+aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem
+er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre
+522 (232) an die Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem
+Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte
+zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt;
+aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach
+zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als
+Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber
+regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung
+eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa
+bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische,
+administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats
+und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in
+unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu
+machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der
+beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige Rolle
+zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke zugeteilt ward,
+so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei
+dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht
+der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine
+Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche
+in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen
+gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel
+die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar
+oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen.
+Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen
+konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine boeswillige
+Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen
+Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel
+in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten Schaedigungen
+und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus sich
+verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte
+den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der
+Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich
+ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus
+und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen
+Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines besonderen
+Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem naechsten
+Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. Im Staate wie in
+jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch
+schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung
+schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der
+Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren.
+Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren
+zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um
+sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken,
+denen gegenueber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu
+gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, im Weinhaus
+Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen
+strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen;
+daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen
+Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen
+in Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am
+Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung
+gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene
+unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und
+begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten
+Recht war. Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde
+selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich
+entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der
+verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der
+einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten
+Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als
+das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus
+einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung
+des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut
+von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? Das
+Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die
+Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch
+die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die
+scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen
+sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen.
+In der Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und
+Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz.
+Gaius Flaminius galt den Staatsmaennern der folgenden Generation als der
+Eroeffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und -
+setzen wir hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution
+hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart,
+der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in
+seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf
+die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet
+bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die
+Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb,
+und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und
+niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der
+Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht,
+liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als
+der erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen. Die
+Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein,
+wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an
+Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite
+dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen
+geschah von seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen
+Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritaeten noch
+wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die Parteien trennte,
+noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die schlimmsten
+Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte,
+so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis auf das dumpfe
+Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Daemmen
+arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und selbst
+diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz
+und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich
+genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft
+zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es
+Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren
+Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, erschien die
+Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als
+das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille
+vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmaessigkeiten, eine
+Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham
+fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische
+Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem
+alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald
+sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu
+einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und
+es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude
+einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die roemische Verfassung formell
+so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den
+Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darueber hinaus; aber
+die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall nicht ein Zeichen
+der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der
+Vorbote der Revolution. 12. Kapitel Boden- und Geldwirtschaft Wie mit
+dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen pragmatisch
+zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten auch
+in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer
+Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die
+Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise
+und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden
+liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden-
+und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich
+der Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende
+Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die innere
+Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen Verhaeltnisse
+hier zusammenfassend zu schildern. Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder
+Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato
+entworfenen Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt.
+------------------------------------------------ ^1 Um uebrigens von dem
+alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es notwendig, sich
+zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die neuere
+Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen
+nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der
+Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der
+Reis ward in Italien zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst
+zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln
+und Tomaten stammen aus Amerika; die Artischocken scheinen nichts
+als eine durch Kultur entstandene Varietaet der den Roemern bekannten
+Cardonen, aber doch in ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu
+sein. Die Mandel dagegen oder die "griechische Nuss", der Pfirsich oder
+die "persische", auch die "weiche Nuss" (nux mollusca) sind zwar Italien
+urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig
+Jahre vor Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie
+in Griechenland aus dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge
+des uralten kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den
+Orientalen, ward in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus
+gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte
+wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben wie heutzutage, als
+Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten
+sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am
+Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt
+zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist;
+noch juenger vielleicht die Aprikose oder die "armenische Pflaume".
+Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in Italien
+kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder
+dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika
+die Aloe (Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von
+Arabern gebaut worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem
+neuen, nicht dem alten Italien eigen. Wie man sieht, sind die mangelnden
+grossenteils eben diejenigen Produkte, die uns recht "italienisch"
+scheinen; und wenn das heutige Deutschland, verglichen mit demjenigen,
+welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt werden kann, so ist
+auch Italien in nicht minderem Grade seitdem "suedlicher" geworden.
+Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
+durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte
+ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte
+Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward,
+wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer
+diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital
+in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut,
+sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der Maximalsatz des
+Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von zwei oder
+drei Landguetern gedacht worden ist.
+------------------------------------------------ Vererbpachtung ist der
+italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft fremd; nur bei
+den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit,
+sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter
+alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die
+Haelfte der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und
+Notbehelf; ein eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht
+gebildet ^3. Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den
+Betrieb seiner Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich
+selbst, sondern erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den
+Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und
+seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward,
+teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich
+nach Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen.
+--------------------------------------------- ^2 Nach Cato (agr. 137,
+vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug
+des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen Verpaechter und
+Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen ausgemachten Teilen
+geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst die Analogie
+des franzoesischen bail a cheptel und der aehnlichen italienischen
+Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer
+Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das
+fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis
+neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen;
+er ist nicht Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener
+Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt.
+^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen
+Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu
+erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine
+Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
+------------------------------------------------------- Von Getreide
+wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut;
+daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter,
+Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der
+Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die
+Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die
+Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur
+Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie
+haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer
+wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und
+der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf
+eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und
+andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag,
+teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes,
+Ulmen, Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den
+Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur
+ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch
+kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der
+heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des
+Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der
+Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung
+von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur
+gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
+nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens
+auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide
+Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet;
+haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen
+grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde
+einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von
+Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen.
+Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -,
+Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
+gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und
+ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter
+so unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
+----------------------------------------------------- ^4 Dass zwischen
+den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens leicht im
+Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137)
+hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen
+anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die
+Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2,
+9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man
+auch zwischen diesen Getreide.
+----------------------------------------------------- Die Feldarbeit
+ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die besonders
+zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch
+ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man
+zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig
+waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100
+Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer
+Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos
+Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das groessere vier
+erfordert. Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft.
+An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der
+Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft
+und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen
+Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin
+(vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag
+besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein
+Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab,
+ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der
+Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne
+Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches
+mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240
+Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte
+und drei Hirten gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich
+mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen
+kommen ein Pflueger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand
+natuerlich freier als die uebrigen Knechte; die Magonischen Buecher
+rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato,
+ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht
+gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu
+erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand.
+Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen,
+sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch
+wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden
+waren, mit anderem Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das
+Wirtschaftsgebaeude (villa rustica) war zugleich Stallung fuer das
+Vieh, Speicher fuer die Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der
+Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes
+Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der
+Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des
+Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann
+auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft
+wurden und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber
+beschafften; so monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu
+mahlen hatte, ferner Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und
+Oel. Die Quantitaet richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel
+der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes
+Mass als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die
+Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war
+nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder
+einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf
+die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6.
+Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich
+von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer
+dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht
+verwandt, ausser in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft
+fand, den Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu
+verwenden, und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden
+Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm
+man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem
+Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen,
+das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische
+Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte
+einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel
+einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften,
+gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht
+einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen
+besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig
+verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig
+und liess den Kaeufer die Einbringung besorgen.
+--------------------------------------------- ^5 Mago oder sein
+Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven nicht zu
+zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und
+ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der
+Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es
+nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato
+(agr. 2) ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1,
+8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der
+Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen
+werden, ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil
+des regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst
+betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf
+aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte
+charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
+Dienerschaft (familia urbana). ^6 In dieser Beschraenkung ist die
+Fesselung der Sklaven und selbst der Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26)
+uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten
+Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, statt des
+Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt
+die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv
+von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung
+(Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die
+Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als
+eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum),
+ein Kellergeschoss mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus
+mit der Hand zu erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein
+notwendiges Stueck des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich
+dies dadurch, dass die Lage der Gutssklaven haerter war als die der
+uebrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen
+wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass
+grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten
+liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin
+angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden
+Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber
+Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie
+sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde
+gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht.
+Berlin 1856, S. XXXI). ^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht
+ausdruecklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in
+der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der
+Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten einzurichten, und am
+wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die Trauben
+auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).
+--------------------------------------------------- Die ganze
+Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit
+der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter
+Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu
+freundlich gegen seine "Mitsklaven" sein. Man naehrt gehoerig den
+Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil es nicht
+wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie
+die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden sind, weil
+es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu behalten.
+In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier mildernd
+eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest-
+und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer
+den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die
+Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache
+nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings
+ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten
+Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu
+beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet
+- der Sklave, lautet einer von Catos Wahrspruechen, muss entweder
+arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche Beziehungen die Knechte
+an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht einmal versucht.
+Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, und man
+machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. "Soviel Sklaven, soviel
+Feinde", sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer
+Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu
+unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles
+und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago,
+davor, Sklaven gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um
+nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte
+herbeizufuehren. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von
+den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die roemische Gemeinde die
+Untertanenschaften regierte in den "Landguetern des roemischen Volkes",
+den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, dass der herrschende Staat
+sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn
+man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des Denkens
+emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das
+darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das
+Lob der Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und
+Soliditaet nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt
+sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll,
+der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich
+ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt
+zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den
+Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber
+sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist,
+nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen
+Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert
+und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den
+Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben
+bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu
+wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der
+ist ein schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er
+auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei
+Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass
+das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag
+tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber
+der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst.
+Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl
+sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist
+zum Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also
+zuvor Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in
+allzu frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse
+Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der
+rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig
+die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar
+bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte anzueignen,
+wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
+griechische, afrikanische und spanische erscheinen.
+---------------------------------------------- ^8 Columella (2, 12, 9)
+rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und
+damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der
+heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen
+Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die
+Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella
+auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig
+das wandelbare "Saatfest" (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast.
+1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und
+sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
+---------------------------------------------- Die Bauernwirtschaft
+war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur verschieden durch den
+kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine Kinder arbeiteten
+hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich
+zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und seiner
+Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten
+zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen
+groesseren Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen-
+und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und
+gaben sehr reichlichen Ertrag. Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr
+ins Grosse getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste
+auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum haben als das Ackergut
+- man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das
+Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen
+Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die
+Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon
+in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf
+denselben Pfaden, die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und
+im Herbst wieder zurueck von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide
+indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem
+Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog
+Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den Gutsbesitzern,
+Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu liefern;
+auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber
+und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens
+von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft
+und war im ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister
+(magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer
+ueber kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern
+hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter
+Schuppen und Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die
+kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und
+ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei
+der Gutsmannschaft geschah. Um die oekonomischen Resultate dieser
+Bodenwirtschaft einigermassen zu wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse
+und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich
+sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld
+der roemischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht
+so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche
+Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der
+italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt
+worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des
+ueberseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den
+Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine maessige Verguetigung
+der roemischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an
+Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und
+der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art
+abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch
+es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es
+sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen
+Kriege wurden die roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne
+unterhalten, und wenn dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil
+gereichte, so verschloss sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer
+den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung,
+welche laengst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt
+hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im
+Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der
+Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich
+groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten,
+und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
+Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu
+erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu
+ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich
+oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon
+in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf
+Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs
+Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die
+Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8 Groschen) abgegeben; einige Jahre
+nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides
+zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst
+eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
+mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr
+haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung
+oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren Getreidegesetze
+geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht auf diesem
+ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drueckte es auf
+den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, die
+der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel
+von diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem
+Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich
+war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge
+der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross-
+und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis
+ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der Transport aber
+des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens
+ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien,
+Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im natuerlichen
+Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen
+und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die
+leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen
+waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen
+Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es
+scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des
+ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem
+in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet
+Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Verguenstigung
+gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den
+Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das ueberseeische
+Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen
+dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher
+Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische
+Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4
+Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot
+preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii
+(= 17 preuss. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner
+Ausserordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen
+andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst Sizilien die Kornkammer
+Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Haefen das
+sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den
+reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und
+Lombardei zahlte man zu Polybios' Zeit fuer Kost und Nachtquartier im
+Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der
+preussische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3 Groschen).
+Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen
+Normalpreises ^9, zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es
+der italischen Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und
+infolgedessen das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet
+war. ------------------------------------------ ^9 Als hauptstaedtischer
+Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das siebente und achte
+Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den roemischen Modius
+oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer heutzutage
+(nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und
+Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt
+wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und
+der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des
+Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden. Uebrigens
+duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der spaeteren
+Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies
+heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten
+von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten
+Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege
+der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9,
+44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92;
+214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5
+Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der
+Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend
+und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen
+auch heute noch sich wiederholen.
+--------------------------------------------- In einem grossen
+Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu ernaehren
+vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht
+unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien,
+wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache
+war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der
+wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich
+das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die
+schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich
+wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfaehig die
+Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das
+duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu ernstlichen
+Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber in
+jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher
+sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede
+Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten
+sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben
+in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des Volkes gesehen haben,
+und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die
+Griechen zu emanzipieren und die republikanische Koenigskontrolle zu
+besorgen - so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein. Seit
+der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war
+die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich
+auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die
+sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen
+Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen
+Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den groesseren
+Grundbesitz aufgehen wuerden. Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer
+imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger
+als jener, wenn er sein Land nicht nach dem aelteren System an kleinere
+Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte
+bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher geschehen
+war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen
+Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven
+ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner
+sich eher durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den
+Konkurrenten gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren
+Bodenrente sich begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz
+mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben.
+Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten
+des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das
+Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint
+^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht.
+Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens
+die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
+italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
+Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein
+Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit
+Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die
+oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird.
+Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in Grundstuecken
+angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien;
+was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren durchschnittlichen
+Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen
+bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten
+der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am
+wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer
+jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen
+und auf ihrem naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse
+reichten an sich schon aus, um allmaehlich an die Stelle der
+Bauernwirtschaft ueberall die Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem
+Wege der Gesetzgebung ihnen entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war
+es, dass man durch das spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz
+(kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser von der Spekulation
+ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang,
+vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst die alten
+Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen
+ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem
+Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie
+als die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb
+im grossen erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem
+Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht
+die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges
+Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl
+und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten Grenzen;
+wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den Eigentuemer
+wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon an, gutes
+Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu verwandeln - was
+die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht um diese
+Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen
+der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da
+regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich
+grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen
+auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich immer unsicheren Besitz
+bedeutende Bestellungskosten zu stecken, namentlich Reben und Oelbaeume
+zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man diese
+Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
+------------------------------------------------- ^10 Darum nennt Cato
+die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum)
+und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss Wein und Oel,
+sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren freilich die
+800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit
+Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten
+alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von
+8 culei fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3);
+allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe,
+dass der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun
+zu muessen, bevor die alte verkauft ist. ^11 Dass der roemische Landwirt
+von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, laesst
+Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag fuer Kosten und
+Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen
+folgende Kostenberechnung aufstellt: Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
+Kaufpreis der Arbeitssklaven auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
+Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen Verlorene Zinsen waehrend der ersten
+zwei Jahre 497 Sesterzen Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler. Den Ertrag
+berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65
+Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes
+ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen,
+die Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben,
+Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. Den
+Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf
+hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf
+weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von
+25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem
+hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr
+als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der
+Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als
+gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen
+vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht
+ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten
+machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. Alle diese
+Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. Von
+ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser
+rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl.
+2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich
+nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide
+zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die
+Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte
+Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem
+Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch
+noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde Taetigkeit und
+Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt
+als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des
+Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in
+absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der
+infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5.
+Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9.
+Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun Bestandteile in dem
+Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter saemtlich wiederkehren. Von
+dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch,
+dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr
+zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von
+dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins
+empfaengt. ----------------------------------------------- Von der
+roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende
+Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus
+dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die
+bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung.
+Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht
+weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an,
+sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation,
+deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige ueberall
+zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmaennische
+Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den Roemern nur
+aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der Durchfuehrung
+und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, dass
+der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten
+wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart.
+Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
+Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den
+Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen
+Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers
+(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der
+Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten
+auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt
+und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland
+ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit
+vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
+Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die
+kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und
+Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon
+im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden.
+Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise.
+Das System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den
+ganzen roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine
+komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen
+eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder
+Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig
+in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die
+Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und
+der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die
+saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva
+vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
+nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. Welche hervorragende Rolle in
+der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische Handel bereits
+frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren
+Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende
+Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft.
+Ausser den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen,
+durch die die Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe
+noch kuenstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die
+herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die
+wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Roemern und Latinern
+vertragsmaessig zustehende Zollfreiheit. Dagegen blieb die Industrie
+verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich,
+und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu einem gewissen
+Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen
+Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an
+Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem
+starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit
+der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine
+Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien
+bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande
+mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs
+gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie
+gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog
+hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und
+milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.
+----------------------------------------------------------------- ^12
+Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon
+aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie
+spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei
+Plut. Cato mai. 21).
+-----------------------------------------------------------------
+Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
+ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst
+den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge
+dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden
+Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon
+in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten
+Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren,
+doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
+Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die
+Haende zu geben. Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen
+Zweigen erfolgte durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der
+Bankier richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und
+Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die
+Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte
+fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven
+und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte
+sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
+Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte
+oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum
+Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren
+auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen
+kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Gross- oder
+Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich
+durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage
+dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgaengig
+unguenstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den
+letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen
+ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie und
+faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und
+eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese
+Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem
+Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster
+in die Reihen der roemischen Buerger und nicht selten zu grossem
+Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens
+ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens
+beigetragen haben. Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der
+gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und
+in seiner Art nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von
+der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht
+nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen,
+in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne
+gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen
+Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die
+Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
+Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt
+voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen
+Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge
+der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze
+beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens
+neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald
+ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso
+rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in
+Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
+Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die
+spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen.
+Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte,
+ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im
+westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und
+etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und
+Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im
+Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art
+unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
+durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre
+Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren,
+den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der
+Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen
+begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte
+nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische
+Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
+Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die
+Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis
+hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des
+Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare
+roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht;
+dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des
+internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die
+roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen
+von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des
+Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran
+fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber
+zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse
+angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht
+auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in
+der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder
+ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel
+fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die
+edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals
+also nahm das Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog,
+wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr
+derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp
+und Alexander dem Grossen zum Goldcourant uebergegangenen Osten.
+------------------------------------------- ^13 Es lagen in der Kasse
+17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, 18230 Pfund
+gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war
+1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
+---------------------------------------------- Der Gesamtgewinn aus
+diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen Kapitalisten floss
+ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins
+Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an,
+sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr
+gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten
+oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den
+Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms
+gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso
+entschieden wie seine politische und militaerische. Rom stand in dieser
+Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie heutzutage
+England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren Scipio
+Africanus sagt, dass er "fuer einen Roemer" nicht reich gewesen sei.
+Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefaehr
+danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000
+Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass
+eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie
+erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines
+vornehmen Maedchens angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses
+Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im
+Vermoegen hatte. Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische
+Geist sich der Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht
+neu in Rom -, dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen
+Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der
+Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu
+werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein
+Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. "Einer Witwe Habe mag
+sich mindern", schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten
+Lebenskatechismus, "der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige
+ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher
+bei seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat".
+Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird
+jedes auch ohne irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft
+respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische
+Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil
+das Klagerecht zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen
+ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt
+Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt
+einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht.
+Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in
+allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von
+Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden
+in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften,
+wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens
+besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische
+Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische
+Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder
+ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn auch in jedem
+wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab
+-, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten Willen aus der
+Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben
+bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne Testament gewesen sei.
+Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den kaufmaennischen
+Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen
+Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt
+nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei
+Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als
+sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen
+geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt
+galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in
+Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den unbescholtenen gegen den
+bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien
+fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet
+tritt namentlich in der scharfen und immer schaerferen Auspraegung
+des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche
+Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht
+bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle
+mit oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine
+andere Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz
+ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte
+(amici) sich untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess,
+Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten
+bestimmten Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung
+und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass
+es unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage
+selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der
+Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des
+Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch
+die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche
+Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem
+Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung
+gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller
+Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer
+solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette
+war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf
+rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden.
+----------------------------------------------- ^14 Darauf beruht die
+Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt
+die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. ^15 Die
+Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer
+den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des
+Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte
+Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen
+Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener
+Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese
+kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich,
+der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber
+verschwunden. ---------------------------------------------- Eine der
+wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer
+fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine
+Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch
+besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der Regierung,
+ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei
+dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl auch der
+groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, dass
+nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften
+diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser
+Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden
+sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
+Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen
+Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16.
+Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem
+Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche
+Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum
+unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als das
+sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch
+Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer
+von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt
+kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war
+aber ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen
+Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu
+spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff
+mit seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern
+Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum
+fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte
+groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische
+Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
+Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
+vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
+kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie
+eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios' Zeugnis
+kaum einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller
+Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und
+um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil
+seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken
+gehabt haben. ---------------------------------------------- ^16 In
+dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der
+Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph:
+"Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand
+zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer
+verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort
+als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein
+scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm
+bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit
+welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu
+jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den
+Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt." Dass der
+Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist,
+wird stillschweigend vorausgesetzt.
+--------------------------------------------- Auf allem diesem
+aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht noch
+merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in
+dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen
+Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt,
+findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen
+der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. Bei der
+einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie
+konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen
+Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche
+bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine
+toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag
+durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende soziale Abgrenzung
+der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach unten hin ist
+nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, anscheinend
+gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut und
+Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei,
+fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand
+nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem
+respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem
+Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber
+und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine aehnliche Schranke das
+von Gaius Flaminius veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218),
+welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum
+Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich
+auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt
+ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter "Spekulation"
+(quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den
+Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen
+Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen
+wollte, dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte
+machten; es kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie
+spaeter so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache
+gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der
+Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur
+sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege
+genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser
+Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht
+offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und
+der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite
+gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit
+dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen.
+----------------------------------------------------- ^17 Liv. 21, 63
+(vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung ueber die
+Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem
+Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p.
+94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius "jede
+Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward", so hat
+das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.
+---------------------------------------------------- Eine weitere Folge
+der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige Hervortreten
+eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und grossen
+am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster
+Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der
+Handel bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der
+Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven,
+welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern
+nach Ariminum und den anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit
+Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des
+Silbergeldes in das Keltenland von der roemischen Regierung untersagt.
+In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene,
+Karthago musste die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen.
+Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms
+Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und liess
+den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist,
+notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen -
+besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte
+und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der
+Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste
+Burg der roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen
+zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen
+Kleinstandes enthalten war, verkuemmerte unter dem unseligen
+Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des
+leidigen Freigelassenenstandes bei. Aber vor allem zehrte die tiefe
+Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem
+Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen-
+und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil
+der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in
+jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der
+instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des
+wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen
+verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpoente
+gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem Lustspiel dieser Zeit:
+Wahrhaftig gleich eracht' ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; Wenn
+jene feilstehn insgeheim, tut ihr's auf offnem Markte. Mit Kneipen die,
+mit Zinsen ihr, schindet die Leut' ihr beide. Gesetze gnug hat eurethalb
+die Buergerschaft erlassen; Ihr bracht' sie, wie man sie erliess; ein
+Schlupf ist stets gefunden. Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet
+das Gesetz ihr. Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der
+Fuehrer der Reformpartei Cato sich aus. "Es hat manches fuer sich",
+heisst es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, "Geld auf Zinsen
+zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also
+geordnet und in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen,
+der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus
+man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der
+Zinsnehmer von ihnen erachtet ward". Der Unterschied, meint er anderswo,
+zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man
+muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen
+Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine
+strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
+hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt
+seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten
+mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich
+rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute,
+sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel
+der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer
+Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die
+Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer
+war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
+ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu
+geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato
+war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. "Wenn unsere
+Vorfahren", faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, "einem
+tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen
+tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward,
+schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich
+fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und
+Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die
+tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie
+dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
+abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken". Von sich selber
+pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei
+Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und
+wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemaess
+war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der
+Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers gegolten. Leider
+ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche Wahrheit, dass
+dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel
+der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
+Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der
+Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der
+Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie
+war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum
+fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art
+gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den
+arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die
+Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die
+Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in
+Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet
+taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
+Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen;
+und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die
+senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem
+Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise
+das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der
+zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum
+wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der
+erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und
+menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf
+Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen
+Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und
+nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und
+verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft.
+Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die
+Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte.
+Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und
+vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er
+schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht selten
+gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato beschriebene
+vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten
+Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien ernaehrt
+hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig groesstenteils
+unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende
+Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis
+zum Verwechseln aehnlich. ---------------------------------------------
+^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer
+in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war
+nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in
+Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch
+Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter
+Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das
+Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein
+verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu
+den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.
+------------------------------------------------- Das Gesamtergebnis
+dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten Bevoelkerungsverhaeltnissen
+nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen
+Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der
+Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser
+Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so
+schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode
+die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und kraeftige
+Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es wohl
+moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur
+Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der
+sogenannte "gallische Acker" durch die Aufteilungen des Domaniallandes
+in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche
+Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
+mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren
+Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien
+Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile
+des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten
+und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den
+abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen
+hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer
+Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und
+Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen,
+zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fuenften
+Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung von 529 (225) war
+es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als die saemtlichen
+latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem roemischen
+Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein
+der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die
+Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres,
+obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch
+uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin
+wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden.
+In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier
+angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die
+schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen,
+im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz und waren
+die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern kleine
+Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet
+ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne Bevoelkerung
+von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden
+Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um
+hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von
+Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten
+Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen
+und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem
+verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen
+doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten
+Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und
+Polybios stimmen darin ueberein, dass Italien am Ende des sechsten
+Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende des fuenften bevoelkert und
+keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten
+Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung,
+die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen
+herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von
+ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die
+roemische Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte
+im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus' Zug nach Afrika, 298000
+waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des
+Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Koepfe, also um
+ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben
+Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel gesunken; und
+ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine ausserordentlichen
+Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der
+grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren
+ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer
+wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode
+gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische
+Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel ein
+verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken
+der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von
+landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
+aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben
+wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien
+und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den
+Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier
+recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher
+gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre
+569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, auch mit
+dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt
+und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien
+mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196,
+und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und Praeneste
+Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte ueberrumpelt zu
+werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und loeste
+die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und
+Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege
+mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft
+dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen
+Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel
+ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand
+sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber erschreckend und
+beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils wohlmeinenden und
+tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht einmal die
+Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen
+Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen
+Adel, die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten
+Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten,
+eines Tages auf dem roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es
+laut vor den Umstehenden aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder
+an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlass der
+Buergerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und
+sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch
+nichts als der schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit,
+womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und
+Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man
+liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger
+und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
+bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. 13. Kapitel
+Glaube und Sitte In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben
+und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die
+allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und
+Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen
+Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein
+Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in
+guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat
+seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch
+sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht
+der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher
+Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die
+Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die
+Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen
+Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien
+zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht
+wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir
+ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen.
+Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen
+Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche
+Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber
+gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass
+er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch
+in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen
+Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen
+Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist
+eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die
+Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde:
+"Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius
+Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause".
+Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und
+der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des
+Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend
+den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann
+folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit,
+die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand,
+dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben,
+die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher
+gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet
+oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
+getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
+gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der
+Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in
+hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste
+Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat,
+so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht
+geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis
+staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm
+gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der
+Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren
+Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem
+Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und
+goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag
+dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm
+bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten
+Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter
+der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne
+Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter
+ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde,
+Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde
+die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen
+herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des
+verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die
+Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines
+jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst
+Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. Man mag das
+Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette
+freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis
+in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber
+selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie
+zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet
+dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem
+gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen
+Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter
+fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln
+und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen
+Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen,
+um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. Aber man war jetzt an einem
+Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien
+beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es
+auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren
+Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem
+Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte
+hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche
+Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen
+Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen;
+wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache
+und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen
+bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in
+seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing
+an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und
+vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und
+wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die
+deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht
+haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu
+bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit
+brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat
+der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas
+Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den
+hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte
+wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr
+humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete
+vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem
+geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten;
+und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging,
+uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den
+Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch
+Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation.
+Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich
+gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der
+italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie
+bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben
+gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine
+Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus
+fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei
+ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. Es
+gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf
+der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die
+politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche
+Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch
+frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische
+Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die
+Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche
+beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend
+gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die
+Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die
+letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem
+Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum
+Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in
+griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern
+legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den
+freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe
+griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz
+dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass
+die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber
+Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht
+zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer
+sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der
+Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale
+Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt
+zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen,
+durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die
+hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll
+betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen
+uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische
+Kunst. --------------------------------------------------- ^1 Dass
+Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und
+seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt;
+wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich
+dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion.
+Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Asiagen/e/s.
+wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber
+nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.
+---------------------------------------------------- Aber der
+eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
+Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens
+und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen
+werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich
+bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen
+Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen. Wie der alte einfache
+Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten
+die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen
+Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste
+mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass
+er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und
+opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine
+Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht
+aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus
+lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der
+Menge willen sehr zweckmaessig seien. Aber wenn man in Italien noch
+besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale
+Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu
+verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung
+des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen
+Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der
+oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger,
+sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen
+Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im
+Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und
+Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones)
+hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch
+ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein
+jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und
+Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale
+Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer
+Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben
+nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen
+sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie
+fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit
+mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und
+ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen
+zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie
+heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen,
+namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten
+Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben
+und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast
+betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast
+zu werden - "Erbschaft ohne Opferschuld" ward bei den Roemern
+sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns "Rose ohne Dornen". Das
+Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar
+Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot
+abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten
+unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen
+wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten
+(stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und
+Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne
+Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in
+der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und
+Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: Gleichfalls,
+Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag Fuer die Kuesterin,
+fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; Saehst du nur,
+wie die mich anguckt! Eine Schand' ist's, schick' ich nichts. Auch der
+Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. Man schuf zwar in
+dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen
+Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie
+in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz
+der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen
+Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es
+auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft
+und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene
+beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den
+alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der
+Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum
+Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel,
+dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern
+genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes
+Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal
+hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch
+Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder
+vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte,
+als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu
+sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In
+dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
+Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der
+Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen
+Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu
+befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb -
+freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der
+Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche
+werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt
+werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und
+Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit
+geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum
+eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene
+Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener
+und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen
+Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios'
+Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren
+Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die
+hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
+Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse
+der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu
+schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende
+Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu
+durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel
+durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen
+Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber
+nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung
+der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische
+Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des
+alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470)
+ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben
+hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die
+Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese
+Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre,
+in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion
+wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der
+Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion
+lieferten die "heiligen Memoiren" des Euhemeros von Messene (um 450
+300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das
+wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern
+umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im
+Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch
+gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die
+Geschichte von Kronos' Kinderverschlingung erklaert wird aus der
+in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften
+Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und
+Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes
+Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort
+die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des
+ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und
+der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven
+Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische
+uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit
+gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
+und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war
+ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese
+Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der
+ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen
+Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. So ging es mit der
+alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen
+Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem
+Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer
+Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-,
+neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der
+Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern
+die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders
+den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens
+in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst
+begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch
+aehnliche Erscheinungen - so die praenestinischen Spruchlose und in
+Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der
+hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und
+seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies
+und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die
+Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die
+Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen.
+Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden
+billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man
+war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige,
+bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene
+Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen
+aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben
+als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen
+Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren
+schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
+bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme
+der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter
+der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten
+bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen
+muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer
+Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den
+die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden
+freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde
+eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis
+unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender
+Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende
+Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der
+Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der
+Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch
+streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten
+(Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger
+zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste
+Apparat der "Grossen Mutter", diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze
+unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer
+Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus
+bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom
+wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein.
+Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich.
+Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der
+scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine
+geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen
+griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein
+Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz
+Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten
+Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde
+hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell,
+grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die
+Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu
+werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte,
+dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich
+absehen lasse. Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso
+unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen
+Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der
+hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen.
+Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, "dass er ohne
+Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich
+darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem
+Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei
+einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
+Chaldaeer". Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange,
+das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist
+ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen
+Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt
+Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren
+Anhang: Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
+Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, Wollen
+andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, Schenken Schaetze
+dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. Aber in solchen Zeiten
+hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes
+Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden
+polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders
+konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des
+verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch
+512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das
+Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich
+verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die
+Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens
+nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte,
+die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen
+zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen
+Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen
+hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die
+Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der
+aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme
+auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des
+Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem
+neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch
+davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist
+es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch
+Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren,
+erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den
+Behoerden eingeschritten ward. Wie nach der Vorstellung der achtbaren
+Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein
+sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns
+von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als
+Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war
+und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein
+guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche
+Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus
+verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen.
+Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer
+gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf
+es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven
+wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu
+Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum
+Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der
+Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit
+dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder
+in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die
+Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei
+der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute
+Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines
+seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit
+auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern
+nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel.
+Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte,
+putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; "ueberlaestig und
+hoffaertig sind die Frauen alle" - meinte der alte Herr - und "waeren
+die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos
+sein". Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und
+Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen
+da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der
+Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst
+deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, worin das
+Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft
+und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei
+dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend
+moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche
+Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er,
+habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort
+in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter
+umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei.
+Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner
+mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz
+getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete
+der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und
+lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost
+ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war,
+wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und
+ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben
+musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
+Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum
+lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen
+und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten
+Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass
+er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete,
+seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze
+Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein
+Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben
+eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge
+Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr
+kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30
+Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den
+Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe
+Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse
+(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der
+Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder
+nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von
+Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf
+dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und
+wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu
+einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder
+die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch
+unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall,
+dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk
+getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit.
+Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte
+er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und
+getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer
+die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und
+Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem
+Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit
+und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. So lebte der Mann, der den
+Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger
+galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der
+griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas
+grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen -
+wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: Nichts ist an der fremden
+Sitt' als tausendfache Schwindelei; Besser als der roemische Buerger
+fuehrt sich keiner auf der Welt; Mehr als hundert Sokratesse gilt der
+eine Cato mir. Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich
+aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete
+Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird
+geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen
+als zu mildern. Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller
+Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft
+um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich,
+gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer,
+welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der
+Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein
+paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich
+ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234)
+schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich
+im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
+Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von
+seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl
+zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste
+Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die
+Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete
+Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen
+gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft
+ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig
+nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose
+Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt
+fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit
+zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch
+Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die
+Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der
+Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge
+des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von
+Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den
+Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten
+Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich
+zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst
+willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden
+Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso
+wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche
+und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur
+Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon
+an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, "die
+Herrscher der Welt zu beherrschen"; in der Buergerschaftsversammlung
+war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen
+Statuen roemischer Damen. Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und
+Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition
+nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus,
+wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und
+seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom.
+Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem
+Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215)
+gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die
+bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago
+(559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts
+uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184).
+Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich
+figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die
+sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat
+fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die
+dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal
+am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck
+(prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die
+Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus.
+Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber
+beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession
+besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte.
+Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten
+Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward
+notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und
+Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die ersten
+Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen
+Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden
+ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische
+Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in
+Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein
+mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den
+roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben.
+Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde
+verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in
+Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage
+nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der
+Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken
+ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das
+"griechisch Trinken" (Graeco more bibere) oder "griechen" (pergraecari,
+congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft
+nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war,
+solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen
+einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends
+um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu
+lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den
+Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her
+entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend
+dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward,
+abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien
+beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein
+einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
+bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
+Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies
+daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten
+megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni
+das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese
+bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen,
+bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand
+diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter
+denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391),
+die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem
+die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines
+der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten
+Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert
+wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten
+Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten
+Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204),
+unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217);
+beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des
+fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen
+Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte;
+und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle
+zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der
+Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb
+dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente
+mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste
+bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter
+dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der
+Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren
+zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten
+doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren.
+Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568
+186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen
+wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von
+zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser
+Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie
+nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum
+laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben;
+jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen,
+und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst
+nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um
+toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu
+dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und
+Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im
+Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse
+vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch
+auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius
+Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem
+Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die
+Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss
+untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten
+keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei
+es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie
+es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von
+Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht
+unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum
+dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem
+Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe
+in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden
+Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man
+von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und
+gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft
+wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten
+zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder
+einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere
+Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
+waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo
+die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien
+durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren
+miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
+---------------------------------------- ^2 Eine Art Parabase in dem
+Plautinischen 'Curculio' schildert das derzeitige Treiben auf dem
+hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser
+Anschaulichkeit: Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen
+finden moegt, Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen
+wuenscht Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
+Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick' ich Dich.
+Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. [Reiche wueste
+Ehemaenner sind zu haben im Bazar; Auch der Lustknab' ist zu Haus dort
+und wer auf Geschaeftchen passt.] Doch am Fischmarkt sind, die gehen
+kneipen aus gemeinem Topf. Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem
+untern Markt, In der Mitt' am Graben aber die, die nichts als Schwindler
+sind. Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; Mit der
+frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus Und doch liefern
+wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. Unter den alten Buden sitzen,
+welche Geld auf Zinsen leihn; Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen
+schlecht bekommt; Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten
+feil; Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
+Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
+Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. Die eingeklammerten Verse
+sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars
+(570 184) eingelegter Zusatz. Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor,
+woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und
+Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut.
+Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den
+Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.
+------------------------------------------------------- Schon verdarb
+nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten,
+sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu
+demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren,
+fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe
+von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem
+menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr
+Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und
+kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch. Selbstverstaendlich
+hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische
+Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer
+begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter
+Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt;
+das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen
+(120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000
+Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und
+nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat
+in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit
+unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg
+fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die
+Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum
+Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer
+ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die
+Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu
+geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten.
+Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu
+schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung
+und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und
+Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher
+Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere
+wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren
+gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die
+Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit
+abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige
+kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden.
+Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss
+arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es
+nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der
+Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller
+Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe
+von zweifelhaftem Wert. 14. Kapitel Literatur und Kunst Die roemische
+Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei einer
+anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu
+wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die
+Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. Alle geistige Bildung
+geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer Rom. In einer
+Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Buerger
+in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist,
+bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den
+Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten
+zu muessen, hat man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der
+Muttersprache von jeher grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich
+bemueht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die
+griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien
+allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen war die Kunde der
+allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation laengst haeufig
+gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung ungeheuer
+gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem
+Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon
+sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft
+aber, die zu einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder
+Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen
+bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich
+der hauptstaedtischen Bevoelkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann
+man sich ueberzeugen, dass eben der nicht vornehmen hauptstaedtischen
+Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verstaendnis das
+Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands
+Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der senatorischen Familien
+aber redeten nicht bloss griechisch vor einem griechischen Publikum,
+sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul
+577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben
+in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher
+Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen
+noch weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in
+roemischer Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der
+"grosse Feldherr der Aeneiaden" brachte den griechischen Goettern nach
+griechischer Sitte mit griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar
+^2. Einem anderen Senator rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen
+Trinkgelagen griechische Rezitative mit der gehoerigen
+Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe.
+---------------------------------------------------------- ^1 Ein
+bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera,
+nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus,
+morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum
+Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu
+gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen
+bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im 'Wilden' (1,
+1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter eingefuegten
+Verse heisst: phron/e/sis est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch
+griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der 'Casina' (3, 6, 9):
+pragmata moi parecheis - Dabo mega kakon, ut opinor; ebenso griechische
+Wortspiele, zum Beispiel in 'Die beiden Bacchis' (240): opus est
+chryso Chrysalo; wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von
+Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro
+ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen
+wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im 'Bramarbas' (213): euge!
+euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! Ei die Tenuere! Holla,
+seht mir den Farceur da, den Akteur! ^2 Eines dieser im Namen des
+Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: Dioskuren, o hoert,
+ihr freudigen Tummler der Rosse! Knaben des Zeus, o hoert, Spartas
+tyndarische Herrn! Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche
+Gabe, Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.
+---------------------------------------------------------- Unter dem
+Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische Unterricht.
+Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der
+elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
+zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den
+Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem
+Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die
+Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht
+sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in
+sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche
+aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss
+aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt.
+Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und
+geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in
+einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn
+gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter
+den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der
+Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach
+Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch
+mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck;
+und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht
+griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder
+Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche
+Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich
+in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der
+Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien
+unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten
+Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische
+Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die
+klassische Literatur, namentlich die 'Ilias' und mehr noch die 'Odyssee'
+zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze hellenischer Kunst und
+Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker
+da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des Unterrichts ergab
+es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein hoeherer
+Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende
+allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass
+die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den
+Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen
+Tragoedien und die Lustspiele Menanders. In aehnlicher Weise gewann auch
+der lateinische Unterricht ein groesseres Schwergewicht. Man fing an,
+in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu empfinden, die
+Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch
+wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen;
+und auch hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die
+Griechen. Die oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte,
+wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den
+Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Haende von
+Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen
+oder Halbgriechen ^3; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das
+lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen
+nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit
+tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den
+lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer
+die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete
+Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal
+gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man
+dem Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders
+zu genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems,
+welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf
+den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage
+in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die
+lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor.
+--------------------------------------------- ^3 Ein solcher war zum
+Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer
+fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20).
+--------------------------------------------- Aber leider fehlte es
+zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und
+schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine
+lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war
+in Rom nicht vorhanden. Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der
+roemischen Volkslustbarkeit ist frueher dargestellt worden. Laengst
+spielte bei denselben die Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen
+waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch
+durchgaengig nur einmal, am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage
+wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden
+diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel;
+die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden,
+waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich
+nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten
+standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent
+des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
+Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in
+Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater;
+dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres
+Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen
+Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim;
+allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom
+Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den
+Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war;
+und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem
+Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe
+und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches
+Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man
+wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. Auf diesen
+Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war
+damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht
+auf der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die
+Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem
+die roemische Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das
+Gemeingefuehl und das Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von
+ihr erdrueckt und musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der
+Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit.
+Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die
+hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
+stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum
+steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf
+griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch
+roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst
+gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den
+aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher,
+und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide
+Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch
+antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war
+dem Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags
+ein Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in
+dem roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen
+Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und
+keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche
+Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig
+exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer das
+Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die
+wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil
+sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen
+und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber
+gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das
+ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der
+erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen
+Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich
+belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar
+politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie
+der Maitre de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im
+engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.
+Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere
+Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482
+bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius
+Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den
+anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers
+von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein
+Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils
+der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen
+er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermoegender
+Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so
+aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich
+seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung
+des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des
+Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und
+Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im
+Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging
+hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er
+die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem
+lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu
+Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste roemische Schulbuch seinen
+Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler
+schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst,
+sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie
+oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch
+wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen
+Buehnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240),
+ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, dass das erste
+Schauspiel auf der roemischen Buehne aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung
+eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie in roemischer Sprache und
+von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war geschichtlich ein
+Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die
+Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als
+Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um
+so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene
+Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes
+schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original
+sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung
+hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwuelstig, die
+Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was die alten
+Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule
+abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand
+nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend
+fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur
+und buergerten die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur
+hinsichtlich der Dramen geschah und die Livische 'Odyssee' vielmehr in
+dem nationalen saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund
+offenbar, dass die Jamben und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie
+weit leichter sich im Lateinischen nachbilden liessen als die epischen
+Daktylen. -------------------------------------------------------- ^4
+Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des
+Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. ^5 In
+einem der Trauerspiele des Livius hiess es: quem ego nefrendem alui
+lacteam immulgens opem. Milchfuell' ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt'
+ich ihn. Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) O?d' ara Kirk/e/n ex Aide/o/
+elthontes el/e/thomen, alla mal' '/o/ka /e/lth' entynamen/e/. ama
+d? amphipoloi pheron ayt/e/ siton kai krea polla kai aithopa oinon
+erythron. aber verborgen Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern
+gar hurtig Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
+Brot ihr und Fleisch in Fuell' und den tiefrot funkelnden Wein her.
+werden also verdolmetscht: topper citi ad aedis - venimus Circae: simul
+duona coram (?) - portant ad navis. milia alia in isdem - inserinuntur.
+In Eil' geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. Zugleich vor uns die
+Gueter - bringt man zu den Schiffen Auch wurden aufgeladen - tausend
+andere Dinge. Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als
+die Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum
+Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch
+laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von aidoioisin ed/o/ka
+(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist
+auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe
+der Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden
+Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er
+gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht
+eigentlich Muttersprache gewesen sein kann.
+---------------------------------------------- Indes diese Vorstufe der
+literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. Die Livischen Epen
+und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht,
+gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser
+Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden
+Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine
+lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich
+ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen.
+Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das
+Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein
+stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht;
+in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der
+jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen
+Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit
+Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte
+oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die
+Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt
+dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer
+die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund
+(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der
+Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss
+abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich
+mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen
+frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze
+beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht
+geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward,
+den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.
+--------------------------------------------- ^6 Zwar wurde schon
+575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am Flaminischen
+Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom,
+S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. ^7 Noch
+599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga
+zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl.
+O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig
+1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen
+Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes
+Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a.
+E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle mitgebracht
+oder sich auf den Boden gesetzt haben.
+--------------------------------------------- Das Publikum war nichts
+weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Staende sich nicht
+von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter der Stadt
+scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei
+denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt,
+wurden zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem
+Buerger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8,
+und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen
+sein, als wie man sie heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und
+Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es denn auch nicht allzu
+ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier
+und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die
+Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag
+und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute
+zu wirken. ---------------------------------------------- ^8 Frauen und
+Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen worden
+zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp.
+12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von
+Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga,
+Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten,
+abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben
+den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet.
+Aug. 44). ---------------------------------------------- Durch
+die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
+Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten
+kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal
+in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden.
+Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts;
+der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der "Schreiber", der
+Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der
+an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch
+vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste Weise
+zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich hielten
+sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der Direktor
+der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel
+zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre
+Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt
+werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein
+Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem
+Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern
+ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das
+Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von
+Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in
+Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie
+bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein
+einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen
+Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
+Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
+Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch
+sich entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die
+attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im
+ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man
+nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu
+entfalten vermocht hat. ----------------------------------------------
+^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
+Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
+229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original,
+nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen
+der Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber
+Preisgerichte und Preise ist entscheidend. Dass an jedem Tage nur ein
+Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die Zuschauer am Beginn des
+Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende nach Hause gehen
+(Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben Stellen
+zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur Mittagszeit
+wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer Rechnung
+etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches
+Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl.
+Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer
+"ganze Tage" im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer
+spaeteren Zeit. ---------------------------------------------- In
+der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
+ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des
+gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass
+diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius,
+aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass
+unter den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein
+Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen
+I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den Stuecken,
+welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und damit
+fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der neueren
+attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter Philemon
+von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen
+(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische
+Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig
+geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen.
+------------------------------------------ ^10 Die sparsame Benutzung
+der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt geschichtlich nicht
+in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte menandrische
+Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede Spur.
+Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon,
+heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber
+auch die neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht
+abzusehen, warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf
+diese naechstliegenden Dichter, vielmehr auf Rinthon und die
+aelteren zurueckgegriffen haben sollten.
+------------------------------------------ Die Stuecke sind von
+ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie sich darum,
+einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch des
+Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und
+sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck
+geht regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte
+Bediente, der die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei
+liefert, waehrend der Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert,
+ist das eigentliche Triebrad des Stueckes. Es ist kein Mangel
+an obligaten Betrachtungen ueber Freude und Leid der Liebe, an
+traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor Herzenspein sich
+ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die Verliebtheit
+war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch der
+Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander
+unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und
+Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen
+pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das
+Maedchen selbst als die abhanden gekommene Tochter eines reichen Mannes,
+demnach als eine in jeder Hinsicht gute Partie. Neben diesen liebes-
+finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum Beispiel unter den
+Plautinischen Komoedien der 'Strick' sich um Schiffbruch und
+Asylrecht bewegt, das 'Dreitalerstueck' und 'Die Gefangenen' gar keine
+Maedchenintrige enthalten, sondern die edelmuetige Aufopferung des
+Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den Herrn schildern. Personen
+und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer Tapete bis ins
+einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den Apartes
+ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit
+irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden
+Masken, deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-,
+sieben Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens,
+der Dichter nur auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die
+schablonenartige Behandlung. Eine solche Komoedie musste wohl das
+lyrische Element in der aelteren, den Chor, wegwerfen und sich von Haus
+aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation beschraenken - mangelte ihr
+doch nicht bloss das politische Element, sondern ueberhaupt jede
+wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine grossartige
+und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch
+verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der
+Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere
+Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die groessere
+innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche Verschlungenheit
+der Fabel unterschied, als besonders durch die Ausfuehrung im Detail,
+wobei namentlich die fein zugespitzte Konversation der Triumph des
+Dichters und das Entzuecken des Publikums war. Verwirrungen und
+Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, oft
+zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel
+die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut
+aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren
+und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser Zeit in
+Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden Unterhaltungstoffe
+hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien aus. Die Dichter
+derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes fuer eine grosse
+Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie andere geistreiche
+und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, in Rebusraten und
+Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch kein Bild
+ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung
+derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst
+daran erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen
+von Alexander und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso
+elegantes wie treues Bild der gebildeten attischen Gesellschaft,
+aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals heraustritt. Noch in dem
+getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir sie hauptsaechlich kennen,
+ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt und namentlich
+in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, dem
+Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und
+selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als
+in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die
+freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann
+und Frau, Herrn und Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen
+Krisen sind so allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre
+Wirkung nicht verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der
+'Stichus' schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und
+der Eintracht der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner
+Art von unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die
+eleganten Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz
+und im bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser
+noch auf der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die
+Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie
+deren eine im 'Curculio' auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter
+Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen
+Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig
+besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge
+und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige
+gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
+Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen
+den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen
+zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und
+da begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die
+Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister,
+der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das
+impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr zahlreichen
+Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der Spassmacher
+(parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des Reichen
+mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen,
+auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat
+- es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es
+auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus
+seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte
+Rollen sind ferner der Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu
+renommieren versteht, sondern auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen;
+der freche, zu jedem Laster sich mit Vergnuegen bekennende Bordellwirt,
+wovon der Ballio im 'Luegenbold' ein Musterexemplar ist; der
+militaerische Bramarbas, in dem die Landsknechtwirtschaft
+der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der gewerbsmaessige
+Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der
+feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen
+mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der
+Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie.
+Die nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten
+Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die
+Seelenmalerei ist hier doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich
+nachempfunden und um so mehr, je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft
+poetischen naehert - es ist bezeichnend, dass in den eben angefuehrten
+Charakterrollen die psychologische Wahrheit grossenteils durch die
+abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der Geizige hier die
+Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als verschwendetes
+Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und
+ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren
+Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten
+Nation. Das spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland,
+Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen,
+Poesie, Historie und Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener
+nichts uebrig geblieben, als die Schule, der Fischmarkt und das Bordell
+- es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, wenn die Poesie, die die
+menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt ist, aus einem solchen Leben
+nichts weiter machen konnte, als was das Menandrische Lustspiel uns
+darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die Poesie dieser Zeit, wo
+immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen den Ruecken zu
+wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu verfallen,
+sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest
+des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus'
+'Amphitryon' weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als
+in allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die
+gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus
+der Heroenwelt, die possierlich feigen Sklaven machen zueinander den
+wundervollsten Gegensatz und nach dem drolligen Verlauf der Handlung die
+Geburt des Goettersohnes unter Donner und Blitz eine beinahe grossartige
+Schlusswirkung. Diese Aufgabe der Mythenironisierung war aber auch
+verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, verglichen mit der des
+gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden Lustspiels. Eine
+besondere Anklage darf vom geschichtlich- sittlichen Standpunkt aus
+gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein
+individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner
+Epoche steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem
+Volksleben waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um
+den Einfluss dieser Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu
+beurteilen, notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener
+Feinheit und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche
+zwar Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen
+Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die
+grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der
+Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie
+Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der
+eigene Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit
+einer gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche
+Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke staffiert
+sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige
+Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit zugedeckt. Es
+gibt Stuecke, wie die Plautinische 'Dreitalerkomoedie' und mehrere
+Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven hinab eine
+Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von ehrlichen
+Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend womoeglich,
+von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden Liebhabern; moralische
+Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind gemein wie
+die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in 'Die beiden
+Bacchis' ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter zu
+guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine
+voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis. Auf diesen Grundlagen und aus
+diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. Originalitaet ward
+bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern wahrscheinlich
+zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der
+betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die
+uns bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als
+Nachbildung eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert
+zum vollstaendigen Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und
+Verfassers mit genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die
+"Neuheit" eines Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob
+dasselbe schon frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt
+nicht etwa bloss haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende
+Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach
+benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist
+und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind.
+Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch
+der ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische
+Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer
+vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch
+"Auslaender" (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male
+vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal
+die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten
+Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung,
+wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse und
+sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne Zweifel
+durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die Verlegung
+solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die neuattische
+Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen Epoche
+wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte
+gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig
+von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat
+abhingen, und selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel
+die Leichenspiele, nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da
+ferner die roemische Polizei ueberall nicht und am wenigsten mit den
+Komoedianten Umstaende zu machen gewohnt war, so ergibt es sich von
+selbst, weshalb diese Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen
+Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die
+Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland verbannt blieb. Noch
+viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend
+oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf
+die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und
+nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht
+zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den
+bei dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen
+Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen
+abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende Hohn auf
+die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und merkwuerdigerweise
+verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das schlechte
+Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den Plautinischen
+Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der
+Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu
+den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher,
+gegen Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu
+haeufigen Triumphe, gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter
+Geldbussen, gegen pfaendende Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der
+Oelhaendler, ein einziges Mal - im 'Curculio' - eine an die
+Parabasen der aelteren attischen Komoedie erinnernde, uebrigens wenig
+verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben auf dem roemischen
+Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal patriotischen
+Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: Doch bin ich nicht
+naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, Da die Obrigkeit da ist, die
+sich hat zu kuemmern drum? und im ganzen genommen ist kaum ein
+politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als das roemische des sechsten
+Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein
+der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn
+er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so sind
+doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von
+Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter
+anderm sich heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen
+zu verhoehnen, sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu
+richten, deren Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: Jenen
+selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, Dessen Taten
+lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, Den hat nach
+Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. Wie in den
+Worten: Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, so mag er
+oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, wie
+zum Beispiel: Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch
+ruiniert? worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet
+ward, zum Beispiel: Es taten neue Redner sich, einfaeltige
+junge Menschen auf.
+----------------------------------------------------------------- ^11
+Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
+ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner
+(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern
+tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der
+pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher
+damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten
+natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment
+fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). ^12 So schliesst der Prolog der
+Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die hier stehen moegen als die
+einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen Krieges in der auf
+uns gekommenen Literatur: Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und
+siegt Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. Bewahret eure
+Verbuendeten alten und neuen Bunds, Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten
+Schluss gemaess, Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und
+Lob, Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. Die vierte Zeile
+(augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den saeumigen
+latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen (Liv.
+29, 15; oben 2, 175). ^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit
+der Annahme von Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein.
+Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung
+beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien,
+welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 192),
+zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus den
+Erwaehnungen des Bacchusfestes in der 'Casina' und einigen anderen
+Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
+besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
+geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien
+zu reden. ------------------------------------------------- Allein
+die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die
+Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch
+nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in
+den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien
+oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel,
+wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch
+sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich
+an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius
+der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt,
+was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung
+Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung
+eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
+Farblosigkeit entstand. Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng
+und peinlich gezogenen Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht
+mit Unrecht mochte Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der
+Lagiden und Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom,
+beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich
+bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und
+das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen
+Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
+Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele
+denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst
+wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen
+im hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die
+Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten,
+und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische
+Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene
+auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von
+dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut und
+Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere. Die
+Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein Stueck
+Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen, oder
+der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern die
+roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen
+gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele
+in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des
+pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum
+solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug.
+Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber
+und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die
+Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische
+Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
+originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
+Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und
+sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen
+der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus
+sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der
+Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender Vorliebe
+und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel dazu darin,
+dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem roemischen
+Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen Spassmacher zu
+halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu setzen noetig
+fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten
+attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht
+brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens
+stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche
+Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche
+Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die Esspartien blieben
+freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr zahlreich, aber
+ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und die
+raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische
+Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der
+griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so
+grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine
+verlorene Spur. ------------------------------------------- ^14 Etwas
+anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem 'Maedel von Tarent' nicht
+bedeuten: Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, Dass das kein
+Koenig irgend anzufechten wagt - Wie viel besser als hier der Freie
+hat's darin der Knecht! ^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum
+dachte, kann man zum Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728)
+sehen: Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: Der Name; in
+allem andern ist nicht schlechter als Der freie Mann der Sklave,
+welcher brav sich fuehrt. ----------------------------------------- Die
+Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf
+ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte
+sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und
+Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition
+sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals
+herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen Lustspielen
+desselben oder auch eines anderen Dichters wieder einzustuecken; was
+freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition der Originale und
+ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so arg war, wie es
+scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren Zeit sich
+die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. Die
+Handlung des sonst so vortrefflichen 'Stichus' (aufgefuehrt 554 200)
+besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen
+moechte, sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die
+Penelopen spielen, bis die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als
+Praesent fuer den Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder
+nach Hause kommen. In der 'Casina', die bei dem Publikum ganz besonders
+Glueck machte, kommt die Braut, von der das Stueck heisst und um die es
+sich dreht, gar nicht zum Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv
+als "spaeter drinnen vor sich gehend" vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt
+wird sehr oft die Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein
+angesponnener Faden fallengelassen und was dergleichen Zeichen einer
+unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich weit
+weniger in der Ungeschicklichkeit der roemischen Bearbeiter zu suchen
+als in der Gleichgueltigkeit des roemischen Publikums gegen die
+aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der Geschmack.
+In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf
+die Komposition gewendet und 'Die Gefangenen' zum Beispiel, der
+'Luegenbold', 'Die beiden Bacchis' sind in ihrer Art meisterhaft
+gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke mehr
+besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die
+kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. In der Behandlung
+des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen roemischen
+Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die
+Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die
+wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen,
+militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam
+aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen
+Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und Demarchen; in Aetolien
+oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den Zuschauer ohne Bedenken
+nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine solche klecksartige
+Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen Grund ist
+eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr spasshaften
+Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige Umstimmung
+der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung des
+Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von
+den neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe
+beduerfen; Stuecke wie die Plautinische 'Eselskomoedie' werden ihre
+unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer
+verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen
+Motive in einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder
+interpoliert oder mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen.
+In der unendlichen Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken
+der Sklaven schwebenden Peitsche erkennt man deutlich das catonische
+Hausregiment, sowie die catonische Opposition gegen die Frauen in dem
+nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. Unter den Spaessen eigener
+Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die elegante attische
+Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich manche
+von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.
+---------------------------------------------------- ^16 So ist zum
+Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem Plautinischen
+'Stichus' der Vater mit seinen Toechtern ueber die Eigenschaften einer
+guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob es besser
+sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit
+einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu
+unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist
+Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In Menanders 'Halsband' klagt ein
+Ehemann dem Freunde seine Not: A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du
+weisst Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert Und
+die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, Gott weiss es! von
+allem Ungemach das aergste uns; Zur Last ist sie all' und jedem, nicht
+bloss mir allein, Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings,
+ich weiss, So ist es. In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius
+ist aus diesem, in seiner grossen Einfachheit eleganten Gespraech der
+folgende Flegeldialog geworden: B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht?
+- A: Ei schweig davon! - B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren.
+Komm' ich etwa dir Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie
+mir Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie's
+schon; Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.
+------------------------------------------------- Was dagegen die
+metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der geschmeidige und
+klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen Trimeter,
+die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen Konversationston
+allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr haeufig
+durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so
+wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der
+Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben
+wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums,
+dem der praechtige Vollklang der Langverse auch da gefiel, wo er nicht
+hingehoerte. Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den
+gleichen Stempel der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums
+gegen die aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne,
+welche schon wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage
+auf ein eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit
+Maennern besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des
+Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in akustischer
+Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und Schallmasken.
+Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den Dilettantenauffuehrungen
+erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch wurden den
+Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren
+sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel
+kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern
+abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung
+der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme
+ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst
+unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke
+durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen
+und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes
+Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
+ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in
+wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte
+regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte
+keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem
+mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere,
+das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene
+hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen,
+und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn
+alles, sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.
+---------------------------------------------------- ^17 Selbst als man
+steinerne Theater baute, mangelten diesen die Schallgefaesse, wodurch
+die griechischen Baumeister die Schauspieler unterstuetzten (Vitr. 5,
+5, 8). ---------------------------------------------------- So war das
+roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art und
+Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt
+von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares
+Bild; in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das
+Original nicht hoch und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften
+Gesindels, wie sehr auch die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat
+des Inventars antraten, erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig,
+die feine Charakteristik gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand
+nicht mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, sondern die Personen und
+Situationen schienen wie ein Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig
+gemischt; im Original ein Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein
+Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande war, einen griechischen Agon
+mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen
+und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem
+Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem
+Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar
+Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren,
+Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider
+die eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich
+der herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist
+alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische
+Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte
+in der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen
+Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen
+vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der
+es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn erhaltenen
+Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein Urteil
+gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und
+bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war
+des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann
+bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen
+Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in
+gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger
+aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und Lustspiel,
+zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an ihn an.
+Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine ungeheure
+Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und kein
+Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener
+Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und
+Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist
+Naevius' Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von
+aller Affektion und scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam
+absichtlich aus dem Wege zu gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen
+Hiatus und mancher anderen, spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen
+leicht und schoen ^19. Wenn die Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns
+die Gottschedische aus rein aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus
+am Gaengelbande der Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die
+roemische Poesie und traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters
+diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine volkstuemliche
+Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die Komik.
+Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein
+Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und
+lesende Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der
+Kostuemverfertigung, ein Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine
+Handlangerei fuer denselben gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis
+sich um und der Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus
+bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es
+tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und
+in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch
+in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die
+seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein
+scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
+Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den
+griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert,
+in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine
+Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit
+hinter sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des
+Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und in
+seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen ist:
+Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, Den Dichter Naevius
+klagten - goettliche Camenen; Dieweil, seit er hinunter - zu den
+Schatten abschied, Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen
+Rede. ------------------------------------------------- ^18 Die
+Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten
+Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519
+(235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben
+(Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie
+gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15,
+60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des
+Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die
+Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
+geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194)
+setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen
+Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und
+vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische Herkunft
+deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer der
+Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht
+roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen
+latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass ihn
+die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler war er
+auf keinen Fall, da er im Heere diente. ^19 Man vergleiche zum
+Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus Naevius' Trauerspiel
+'Lycurgus': Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, Sogleich zum
+laubesreichen Platze macht euch auf, Wo willig ungepflanzt emporsprosst
+das Gebuesch. Oder die beruehmten Worte, die in 'Hektors Abschied'
+Hektor zu Priamos sagt: Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem
+vielgelobten Mann. und den reizenden Vers aus dem 'Maedel von Tarent':
+Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. Zu diesem
+nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm.
+---------------------------------------------- Und solcher Maenner- und
+Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe gegen Hamilkar und
+gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und der fuer die
+tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade
+den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und
+volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt
+worden, in welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und
+wie er, vermutlich dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica
+beschloss. Auch hier ging das individuelle Leben ueber dem gemeinen
+Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen zugrunde. In der aeusseren
+Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint ihm sein
+juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254- 184).
+weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich
+umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen
+Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit
+gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst
+hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer Lustspiele,
+ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein und
+wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu
+machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in
+Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen sind,
+zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, so
+gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging
+spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die
+Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig
+solcher "plautinischer Stuecke", von denen indes auf jeden Fall ein
+grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der
+Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die
+poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr
+schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind.
+Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug,
+dass sie der Polizei wie dem Publikum gegenueber untertaenig und
+untergeordnet dastand, dass sie gegen die aesthetischen Anforderungen
+sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum und diesem zuliebe
+die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind Vorwuerfe,
+die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen
+Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich
+gelten die meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen
+Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation buehnengerecht zu
+gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und oft vortreffliche
+Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische Lustigkeit, die
+in gluecklichen Spaessen, in einem reichen Schimpfwoerterlexikon, in
+launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen Schilderungen und
+Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in denen man
+den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der
+Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als
+selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer
+zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein
+es wird dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische
+Volkspoet und der rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und
+geblieben, ja noch nach dem Untergang der roemischen Welt das
+Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen ist.
+------------------------------------------------ ^20 Diese Annahme
+scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der Art, wie
+die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen
+Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller
+des roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche
+Ungewissheit ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht
+wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen besteht die
+merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare.
+------------------------------------------------- Noch weit weniger
+vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und letzten
+- denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg
+- namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu
+gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus
+gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter
+den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave,
+spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung griechischer Komoedien
+fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich fruehen Tode (586 168).
+Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei seiner Herkunft begreiflich;
+dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt ward, um strengere
+Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur schwer
+Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz
+den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen
+Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter
+den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die
+erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu beruhen,
+dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten
+poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den Vorzug gibt.
+Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur deshalb unter ihre
+Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus und kraeftiger als
+Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit geringer als beide
+gewesen sein kann. Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung
+des sehr achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem
+reinen Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende
+noch eine kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das
+geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem
+haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde
+liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau
+der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber
+war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis
+schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des
+Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
+wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
+usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen
+und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen
+Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit
+und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt
+roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche empfunden.
+Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen 'Gefangenen': Dieses
+Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: Nicht
+wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, Keine
+Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; Nicht kauft drin der
+Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. Selten nur ersinnt ein
+Dichter solcherlei Komoedien, Die die Guten besser machen. Wenn drum
+euch dies Stueck gefiel, Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies
+das Zeichen sein: Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns
+unserm Spiel. Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform
+ueber das griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt
+werden, dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen,
+die Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld
+gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele
+der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander
+an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen
+Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm
+sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, muesse
+man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen
+Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk;
+wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen
+Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah.
+Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer
+diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete.
+Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch
+nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu errichten. Es war mehr eine
+Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, dass man das hellenisierende
+Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der Personen und
+Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie
+wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette
+walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen
+selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie
+ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so
+vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem
+Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die politische Halbheit
+und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei hat zu der furchtbar
+raschen Aufloesung der roemischen Nation das Ihrige beigetragen. Wenn
+indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete,
+die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger
+auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines
+lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn
+die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der
+latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei,
+seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in den italischen
+Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der Tat entstand auf
+diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula togata ^21; der
+nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, Titinius, bluehte
+wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese Komoedie ruhte
+auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war nicht
+Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in
+Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande,
+in der Toga. Hier waltet das latinische Leben und Treiben in
+eigentuemlicher Frische. Die Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen
+Leben der Mittelstaedte Latiums, wie schon die Titel zeigen: 'Die
+Harfenistin oder das Maedchen von Ferentinum', 'Die Floetenblaeserin',
+'Die Juristin', 'Die Walker', und manche einzelne Situationen noch
+weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine
+Schuhe nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In
+auffallender Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck
+^23. Mit echt nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit
+des Pyrrhischen Krieges und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,
+Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.
+------------------------------------------ ^21 Togatus bezeichnet in der
+juristischen und ueberhaupt in der technischen Sprache den Italiker im
+Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch zu dem roemischen
+Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21;
+50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die
+nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder
+Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius
+vorkommt und nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch
+wieder verschwindet, bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer
+rechtlichen Stellung, insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum
+Jahre 705 (49) die grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht
+besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die
+er neben den Roemern nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben.
+Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu
+erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in
+Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das
+Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die
+Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt.
+Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts
+spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres
+Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum,
+Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
+latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch
+die Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den
+Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das
+Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen
+Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu fern
+lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat verschwunden
+zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden Italiens,
+wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die fabula
+Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. ^22 Ueber Titinius
+fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach einem
+Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595
+196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) -
+denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden
+koennen und, wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die
+zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste
+(Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht gerade der aelteste der
+juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als der juengste der aelteren.
+^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs
+nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus),
+neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna,
+psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?),
+von denen zwei, die 'Juristin' und die 'Floetenblaeserin' offenbar
+Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet
+die Frauenwelt vor. ---------------------------------------- Der
+hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
+griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
+Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht
+haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro
+hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher
+Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von
+der attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das
+Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit
+gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht
+mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische
+Nationallustspiel. Wie das griechische Lustspiel kam auch das
+griechische Trauerspiel im Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war
+ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb
+als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, das griechische,
+namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits
+mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der
+empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der
+heroischen Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das
+Trauerspiel, nur minder schroff und minder gemein, die antinationale
+und hellenisierende Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten
+Wichtigkeit war, dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit
+vorwiegend von Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen
+merkwuerdigen Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit-
+und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber
+die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und der
+griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass
+es unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu
+skizzieren. Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie
+zwar auf eine hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei
+weitem mehr das richtige Gefuehl dessen, was sein sollte, als die
+Macht offenbaren, dies poetisch zu erschaffen. Das tiefe Wort, welches
+sittlich wie poetisch die Summe aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden
+ist, gilt freilich auch fuer die antike Tragoedie; den handelnden
+Menschen stellt sie dar, aber eigentliche Individualisierung ist ihr
+fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der Kampf des Menschen und
+des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf,
+dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das
+wesenhafte Menschliche ist im 'Prometheus' und 'Agamemnon' nur leicht
+angehaucht von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl
+die Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den
+Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner
+Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten
+zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
+hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die
+Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer
+hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind,
+gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene
+Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen
+darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem
+Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat
+die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen
+vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch
+welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen
+ins Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie
+des Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel
+unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert
+feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das
+frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt,
+sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt
+der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen
+gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging
+mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab und
+seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen
+sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch
+hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit
+gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach
+allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit einerseits der
+grossartigsten geschichtlichen und philosophischen Bewegung, anderseits
+der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen und schlichten
+Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit der aelteren
+Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels
+ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der
+aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so
+erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation
+so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken
+wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche
+Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich
+despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln.
+Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus
+diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also
+der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen
+Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im
+ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele
+gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu
+gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer
+Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche
+Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine
+Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht
+eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail,
+und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles
+aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu
+verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in
+der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen
+besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen
+mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der
+willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden
+Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen
+sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit; aber sie sind weder
+kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes' Vorwurf, dass der
+Dichter keine Penelope zu schildern vermoege, vollkommen begruendet.
+Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen Mitleids in die
+Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten Heroen, wie der
+Menelaos in der 'Helena', die Andromache, die Elektra als arme
+Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, widerwaertig oder
+laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen
+dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen
+Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende
+Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie
+uebergehen, wie die 'Iphigenie in Aulis', der 'Ion', die 'Alkestis'
+vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste
+Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter das
+Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die verwickelte
+Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere Tragoedie
+das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen;
+dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu
+unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im
+Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin
+vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar
+menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht.
+Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als
+sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem
+Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der unbefangene
+Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist in den
+Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch die
+tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen einzutreten
+und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge
+fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen
+zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und philosophischen
+Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der neuen, die alte
+attische Volkstuemlichkeit aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet.
+Hierauf beruht wie die Opposition, auf die der ungoettliche und
+unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, so auch der
+wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und das
+Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der
+Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische
+Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach
+also zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch
+nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt
+und gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte
+sittlich wie poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung
+wirkt nun einmal geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten
+Wertes, sondern in dem Masse, wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen
+vermag, und in dieser Hinsicht ist Euripides unuebertroffen. So ist es
+denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig las, dass Aristoteles den
+Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn entwickelte, dass
+die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm gleichsam
+hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides
+ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns
+entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen,
+sondern der Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das
+alte Hellas dem neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss
+mehr und mehr stieg und das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie
+in Rom, unmittelbar oder mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt
+ward. Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten
+Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer
+mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die
+tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden
+als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten
+der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des
+Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist,
+als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
+Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien
+nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art
+moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig
+erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus
+juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke
+schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den
+Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden.
+Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als
+die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen,
+die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire
+ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke
+hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und
+den unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar
+weil dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den
+Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die sinnlich-
+grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den 'Eumeniden', im
+'Alkmaeon', im 'Kresphontes', in der 'Melanippe', in der 'Medeia', die
+Jungfrauenopfer in der 'Polyxena', den 'Erechthiden', der 'Andromeda',
+der 'Iphigeneia' - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass
+das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war.
+Frauen- und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu
+haben. Die bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung
+von dem Original betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor.
+Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische chorlose Spiel
+eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz (orchestra) mit
+dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor sich bewegte, oder
+vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art Parkett; danach
+muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und der
+Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der
+Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen
+fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen
+und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen Bearbeitung der
+Euripideischen 'Iphigeneia' zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster
+einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters,
+aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem
+Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts
+freilich nicht genannt werden ^24, doch gab wahrscheinlich ein
+Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen Original ein weit minder
+getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von dem des Menander.
+Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in
+Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig;
+und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt,
+in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher
+auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser Zeit und
+ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener die
+antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur Schau.
+Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der einflussreichste
+Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, sondern
+von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer
+Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom
+ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in
+beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen
+und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den
+Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio,
+Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt waren, den modernen
+Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen, der ihr eigenes und
+ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von ihnen, gewissermassen
+als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten bestellter Hofpoet,
+ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer einen solchen
+Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus
+aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es,
+die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische,
+ja sogar die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich
+zu eigen zu geben; und wenn bei den frueheren roemischen Poeten
+der Hellenismus mehr folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit
+hervorgegangen als ihr deutliches Ziel gewesen war, und sie darum
+auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, sich auf einen
+volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner
+revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet
+sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den
+Italikern energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug
+war die Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das
+gesamte tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos
+und Sophokles sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig,
+dass er bei weitem die meisten und darunter alle seiner gefeierten
+Stuecke dem Euripides nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung
+bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht
+dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so entschieden den
+Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte
+als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche
+akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den 'Thyestes' und den aus
+Aristophanes' unsterblichem Spott so wohlbekannten 'Telephos' und deren
+Prinzenjammer und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie 'Menalippe
+die Philosophin', wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der
+Volksreligion dreht und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen
+Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den
+Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten
+Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende
+ist: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt' ich sonst und sag' ich noch;
+Doch sie kuemmern keinesweges, mein' ich, sich um der Menschen Los,
+Sonst ging's gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.
+wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten.
+Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet
+wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm
+mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die
+hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition
+^27, die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die
+Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie,
+des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen
+Hexameter. Dass der "vielgestaltige" Poet alle diese Aufgaben mit
+gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch
+angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss
+der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten
+Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr
+griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst,
+verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische
+Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
+Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die
+freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu
+fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den
+Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht,
+"in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen", und die
+Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert: Heil Dichter
+Ennius! welcher du den Sterblichen Das Feuerlied kredenzest aus
+der tiefen Brust.
+------------------------------------------------------------------------
+^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und
+der Ennianischen 'Medeia': Eith' /o/phel' Argo?s diaspasthai skaphos
+Kolch/o/n es aian kyaneas Sypl/e/gadas
+
+M/e/d' ten napaisi P/e/lioy pesein pote Utinam ne in nemore Pelio
+securibus Tm/e/theisa pe?k/e/, m/e/d' eretm/o/sai cheras Caesa
+accidisset abiegna ad terram trabes, Neve inde navis inchoandae
+exordium Coepisset, quae nunc nominatur nomine Andr/o/n arist/o/n, oi
+to pagchryson theros Argo, quia Argivi in ea dilecti viri Vecti petebant
+pellem inauratam arietis Pelia met/e/lthon. Oy gar an despoin em/e/
+Colchis, imperio regis Peliae, per dolum. M/e/deia p?rgoys g/e/s epleysa
+I/o/lkias Nam nunquam era errans mea domo efferret pedem Er/o/ti thymon
+ekplageis' Iasonos. Medea, animo aegra, amore saevo saucia.
+
+Nie durch die schwarzen Symplegaden haette hin Fliegen gesollt ins
+Kolcherland der Argo Schiff, Noch stuerzen in des Pelion O waer' im
+Pelionhaine von den Waldesschlucht jemals Beilen nie Gefaellt die
+Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt sie die Hand der
+Tannenstamm Und haette damit der Angriff angefangen nie Zum Beginn des
+Schiffes, das man jetzt mit Namen nennt
+
+
+Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos dem Pelias
+auserlesne Schar, Von Kolchi nach Gebot des Koenigs Pelias Zu holen
+gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes waere mir
+Widdervliess! Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den
+Fuss mir dann Herrin setzte nie, Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea,
+krank im Herzen, wund von hinweggeschifft. Liebespein.
+
+Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht
+bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung
+oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der
+Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche Missverstaendnisse
+des Originals aber sind bei Ennius selten. ^25 Ohne Zweifel mit Recht
+galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters die Stelle im
+siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich
+ruft, mit welchem er gern und Oftmals Tisch und Gespraech und seiner
+Geschaefte Eroertrung Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen
+Dingen, Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch
+Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; Welchem das Gross'
+und das Klein' und den Scherz auch er mitteilen Durft' und alles
+zugleich, was gut und was uebel man redet, Schuetten ihm aus, wenn er
+mocht', und anvertrauen ihm sorglos; Welcher geteilt mit ihm viel Freud'
+im Hause und draussen; Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder
+aus Bosheit Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
+Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, Redend zur
+richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, Im Verkehre
+bequem und bewandert verschollener Dinge, Denn ihn lehrten die Jahre die
+Sitten der Zeit und der Vorzeit, Von vielfaeltigen Sachen der Goetter
+und Menschen Gesetz auch, Und ein Gespraech zu berichten verstand er
+sowie zu verschweigen. In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben
+multarum rerum leges divumque hominumque. ^26 Vgl. 2, 393. Aus der
+Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. 956), dass er ein
+Mann sei, Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt Im besten Fall;
+und trifft er's nicht, es geht ihm hin. hat der lateinische Uebersetzer
+folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller gemacht: Sterneguckerzeichen
+sucht er auf am Himmel, passt, ob wo Jovis Zieg' oder Krebs ihm
+aufgeh' oder einer Bestie Licht. Nicht vor seine Fuesse schaut man und
+durchforscht den Himmelsraum. ^27 Im 'Telephus' heisst es: Palam mutire
+plebeis piaculum est. Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
+^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren
+der Bearbeitung des Euripideischen 'Phoenix' an: Doch dem Mann mit
+Mute maechtig ziemt's zu wirken in der Welt Und den Schuldigen zu laden
+tapfer vor den Richterstuhl. Das ist Freiheit, wo im Busen rein und
+fest wem schlaegt das Herz; Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt
+die frevelhafte Tat. In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten
+Gedichte einverleibten 'Scipio' standen die malerischen Zeilen: --
+munduscaeli vastus constitit silentio; Et Neptunus saevus undis asperis
+pausam dedit, Sol equis iter repressit ungulis volantibus, Constitere
+amnes perennes, arbores vento vacant. [Iovis winkt';] es ging ein
+Schweigen durch des Himmels weiten Raum. Rasten hiess die Meereswogen
+streng die grollenden Neptun, Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck
+der Sonnengott, Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht
+der Wind. Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie
+der Dichter seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine
+Ausfuehrung der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen
+Tragoedie 'Hektors Loesung' ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem
+Skamander Zuschauender spricht: Constitit Credo Scamander, arbores vento
+vacant. Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der
+Wind. und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. ^29
+So heisst es im 'Phoenix': - - stultust, qui cupita cupiens cupienter
+cupit. Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, und es
+ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch
+akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
+---------------------------------------------------- Der geistreiche
+Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das griechische
+Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen Nation.
+Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer
+Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss
+gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische
+Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch
+ein ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu
+schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er
+brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der gleichzeitigen
+Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine
+'Erziehung des Romulus und Remus' oder der 'Wolf', worin der Koenig
+Amulius von Alba auftrat, und sein 'Clastidium', worin der Sieg des
+Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem Vorgang
+hat auch Ennius in der 'Ambrakia' die Belagerung der Stadt durch seinen
+Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung geschildert.
+Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die Gattung
+verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die farblose
+Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf die
+Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben
+wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in
+Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige
+Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen
+Nationalschauspiels war. Nur die griechischen Tragoedien der aeltesten,
+den Goettern noch sich naeher fuehlenden Zeit, nur Dichter wie
+Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, die von ihnen
+miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen der Sagenzeit auf
+die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig entgegentritt,
+was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es hier,
+wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber
+geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte,
+auf der man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war.
+Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius
+buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation
+vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom
+wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da
+die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward
+dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst
+der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind
+auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art
+als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
+rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit
+der szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der
+Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein
+eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in
+sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach
+vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie.
+Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit
+allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
+halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche
+das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen
+Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint,
+tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura
+auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem alten, seit Livius
+durch das griechische Drama von der Buehne verdraengten handlungslosen
+Buehnengedicht zukam, nun aber in der rezitativen Poesie einigermassen
+unseren "vermischten Gedichten" entspricht und gleich diesen nicht
+eigentlich eine positive Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern
+nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem,
+meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter
+noch zu erwaehnendem 'Gedicht von den Sitten', welches vermutlich,
+anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie,
+in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders
+die kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr
+fruchtbare Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert
+veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen
+Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen
+Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden
+naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von Gela,
+eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen
+dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von
+Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe
+Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
+didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete,
+wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.
+---------------------------------------- ^30 Ausser Cato werden noch
+aus dieser Zeit zwei "Konsulare und Poeten" genannt (Suet. vita Ter. 4):
+Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und Marcus Popillius, Konsul 581 (173).
+Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre Gedichte auch
+publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein.
+---------------------------------------- Groessere dichterische
+wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in Anspruch, die
+Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der
+dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen
+Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich
+den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie
+die Dinge waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und
+ohne irgendwie, namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit,
+auf poetische Hebung oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der
+gegenwaertigen Zeit berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen
+Nationalversmass heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit
+wesentlich dasselbe, was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters
+gesagt ward. Die epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die
+tragische voellig und wesentlich in der heroischen Zeit; es war
+ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert
+grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu
+durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik
+nicht viel mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten
+mittelalterlichen Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund
+der Dichter sein ganz besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke.
+Es war nichts Kleines in einer Zeit, wo es eine historische Literatur
+ausser den offiziellen Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab,
+seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und der Vorzeit einen
+zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die grossartigsten
+Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben.
+------------------------------------------------------- ^31 Den Ton
+werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: Freundlich
+und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas Von Troia schied. spaeter:
+Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig Amulius, dankt den
+Goettern - aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
+Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, Das wuerde Schmach
+dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. bezueglich auf die Landung in
+Malta im Jahre 498 (256): Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar
+die Insel Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.
+endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: Bedungen
+wird es auch durch - Gaben des Lutatius Zu suehnen; er bedingt noch, -
+dass sie viel Gefangne Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln
+geben. --------------------------------------------------------
+Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die
+Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen
+Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so
+greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine
+neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des
+hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers,
+die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende
+Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht,
+wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der
+bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung des Patroklos
+geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern fechtenden
+Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als der Homerische
+Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse wird dem Leser
+erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; nach der
+Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat
+den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher
+Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die
+neologische und hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die
+'Jahrbuecher' keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der
+Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht,
+womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet,
+dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros
+und noch frueher in einem Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut
+naturphilosophisch das Wesen der Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers
+zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst die Wahl des Stoffes dient den
+gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen Literaten aller
+Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre griechisch-
+kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen
+Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer Griechen ja
+immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. Der poetische Wert der
+vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren Bemerkungen ueber die
+Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht abzumessen.
+Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege dem
+italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet
+sich gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft
+gluecklich traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit
+und Ehrenhaftigkeit aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso
+natuerlich wie die Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die
+notwendig sehr lose und gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem
+Dichter moeglich war, einem sonst verschollenen Helden und Patron
+zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren
+die 'Jahrbuecher' ohne Frage Ennius' verfehltestes Werk. Der Plan,
+eine 'Ilias' zu machen, kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen,
+welcher mit diesem Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und
+Geschichte in die Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den
+heutigen Tag als Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in
+ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius
+gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer
+als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr
+noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der
+roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den
+Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
+altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr
+ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte,
+der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide,
+der Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische
+Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle
+Parallelisierung der Homerischen 'Ilias' und der Ennianischen
+'Jahrbuecher' so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin
+und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht
+stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders
+fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des Dichters
+blieben die 'Jahrbuecher' das aelteste roemische Originalgedicht,
+welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und lesbar
+erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem
+durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die
+spaetere Zeit das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. Nicht
+viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise
+entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl
+die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne
+vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche
+Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der strengen
+und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese
+schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem "Baenkelsaenger"
+anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann
+getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei
+weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige
+poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie
+fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
+vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint,
+so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht
+senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten
+Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen,
+die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative
+und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei
+vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier,
+und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der
+Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und
+Form maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. Bis in die Zeit des
+Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine Geschichtschreibung nicht;
+denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu den Akten, nicht zu
+der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede Entwicklung des
+Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit
+des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen Italiens
+ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen
+Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch
+so fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten
+Jahrhunderts das Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der
+roemischen Buergerschaft auf schriftstellerischem Wege zur Kunde der
+Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun aber dies Beduerfnis endlich
+empfunden ward, fehlte es fuer die roemische Geschichte an fertigen
+schriftstellerischem Formen und an einem fertigen Lesepublikum; und
+grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide zu
+erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen
+umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der
+Muttersprache, aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb.
+Von den metrischen Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und
+Ennius (geschrieben um 581 173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren
+zugleich zu der aeltesten historischen Literatur der Roemer, ja die
+des Naevius darf als das ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk
+angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen
+Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines
+waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes
+aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius
+Scipio (+ um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
+gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das
+nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen
+griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das
+weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche
+Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete Ausland.
+Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die vornehmeren
+Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des Grossen neben
+der vaterlaendischen Pastoren- und Professorenschriftstellerei eine
+aristokratische Literatur in franzoesischer Sprache stand und die
+Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und Feldherren
+franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen
+Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine
+eigentliche lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit
+Cato, dessen nicht vor dem Schluss dieser Epoche publizierte
+'Ursprungsgeschichten' zugleich das aelteste lateinisch geschriebene
+Geschichts- und das erste bedeutende prosaische Werk der roemischen
+Literatur sind ^33. -----------------------------------------------
+^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
+Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43)
+ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen
+von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen
+Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass
+unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des
+pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes
+die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der roemischen
+Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus der Zeit des
+Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch lateinische Annalen
+aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es dahingestellt
+bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren Annalisten
+Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder ob
+von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und
+des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei
+Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben hat. Das dem Lucius
+Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, ebenfalls
+griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk aus
+augustischer Zeit. ^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert
+erst in sein Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung
+auch der frueheren Buecher der 'Ursprungsgeschichten' faellt nicht vor,
+aber wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14,
+114). ----------------------------------------------- Alle diese Werke
+waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im Gegensatz
+zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische
+Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder
+geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die
+Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers,
+obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den ersten Krieg
+mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten betraf; danach
+zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der Sagenzeit, der
+Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer die
+Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
+Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit
+zu ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
+unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den
+Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war,
+und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern
+nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom
+an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn
+Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der
+gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius oder dem
+Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der albanische
+Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird zugleich
+Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer die
+roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium,
+sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole
+Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt
+erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher
+geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in dem zu
+Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein, und die
+griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter erst
+dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes die
+Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen Ursprung
+Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz
+Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark
+im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde
+dies die stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der
+maechtigen Gemeinde. ----------------------------------------------- ^34
+Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor,
+dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine
+Geschichte pragmatisch zu schreiben.
+----------------------------------------------- Von der Ursprungsfabel
+abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen Historiographen sich
+um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, so dass die
+weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus einheimischen
+Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen
+duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei
+Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote
+gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus
+Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl
+noch fremd gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes
+in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die
+ueberall, selbst bei dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit
+hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern
+Italiker und Griechen als ein urspruenglich gleiches Volk darzustellen
+- hierher gehoeren die aus Griechenland eingewanderten Uritaliker oder
+Aboriginer sowie die nach Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger.
+--------------------------------------------------- ^35 So ist die
+Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten von
+Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine
+Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten
+der Herodotischen Erzaehlung von Kyros' Jugend geschlagen.
+--------------------------------- Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in
+einem, wenn auch schwach und lose geknuepften Faden, doch einigermassen
+zusammenhaengend durch die Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung
+der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, und es war nicht
+bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den
+Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken
+eine irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten.
+Am meisten empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der
+Koenigszeit sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein;
+Ennius, der im dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit,
+im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten
+zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in den allgemeinsten Umrissen
+behandelt haben. Wie die griechisch schreibenden Annalisten sich
+geholfen haben, wissen wir nicht. Einen eigentuemlichen Weg schlug Cato
+ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er selber sagt, "zu berichten,
+was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters steht: wie oft der Weizen
+teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich verfinstert haetten"; und
+so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch seines Geschichtswerkes
+fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden
+und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er machte
+sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr
+nach Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet;
+namentlich hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk
+die Vorgaenge "abschnittsweise" erzaehlte. Diese in einem roemischen
+Werke auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden
+griff teils in die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher
+gegen das hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale
+Italien stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die
+mangelnde Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis
+auf den Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis,
+die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte.
+Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend
+behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den
+zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den
+achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den
+Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines
+Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus
+und in den beiden letzten, wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher
+angelegten die Ereignisse aus den letzten zwanzig Lebensjahren des
+Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag Ennius den Timaeos oder
+andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen aber beruhten
+die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von
+Augenzeugen, teils einer auf dem andern. Gleichzeitig mit der
+historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann die Rede- und
+Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der frueheren
+Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in spaeterer
+Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden,
+wie zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner
+Hannibals, als Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn
+gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er
+waehrend seiner langen und taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten,
+die geschichtlich wichtigen in seinem Alter auf, gewissermassen als
+politische Memoiren, und machte sie teils in seinem Geschichtswerk,
+teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege dazu, bekannt. Auch
+eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. Mit der nichtroemischen
+Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine gewisse Kenntnis
+derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon von dem
+alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern
+auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den
+Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist
+bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung
+absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere fuer sich
+zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen Taetigkeit
+auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. Dass durch diese beginnende
+historische Literatur insgesamt eine harmlose Unkritik durchgeht,
+versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser nahmen an
+inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius
+der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und
+neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt
+nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa
+ein Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den
+roemischen Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa.
+Die im Jahre 262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten
+verhandeln dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre
+nachher (348 406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive
+Akrisie hervor in der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach
+der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche
+festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre
+vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den
+gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken
+erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten
+Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die
+Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als
+kanonisch geltenden Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias
+Fall 436; nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der
+Gruender Roms der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter
+Finanzmann hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf
+den Widerspruch aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht
+vorgeschlagen zu haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene
+Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her.
+Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem
+gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte
+trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen
+welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago
+von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird.
+Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als der Vorwurf. Es ist
+einigermassen laecherlich, von den roemischen Zeitgenossen Hannibals
+ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; eine bewusste
+Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus nicht
+von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen
+Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. Auch von wissenschaftlicher
+Bildung und selbst von dahin einschlagender Schriftstellerei gehoeren
+die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige Unterricht hatte sich
+wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis des Landrechts
+beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der innigen
+Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf
+und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung
+unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die
+roemische einigermassen zu modifizieren.
+------------------------------------------- ^36 Plautus sagt (Most. 126)
+von den Eltern, dass sie die Kinder "lesen und die Rechte und
+Gesetze kennen lehren"; und dasselbe zeigt Plut. Cato mai. 20.
+------------------------------------------- Vor allen Dingen fing
+die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen Grammatik
+auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf das
+verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr
+gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234)
+scheint ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet
+reguliert und dem ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I,
+487) den Platz des entbehrlich gewordenen z gegeben zu haben, welchen
+derselbe noch in den heutigen okzidentalischen Alphabeten behauptet. An
+der Feststellung der Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister
+fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben
+ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten
+neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius
+hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende
+Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37,
+sondern auch fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der
+Doppelkonsonanten die genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt.
+Von Naevius und Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die
+volksmaessigen Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch
+in Rom sich so gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
+--------------------------------------- ^37 So heisst ihm in den
+Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, Ceres davon quod
+gerit fruges. ---------------------------------------- Rhetorik und
+Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede stand
+bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als
+dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte
+Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische "ewig reden lernen und
+niemals reden koennen" die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die
+griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und
+vor allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer
+gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem
+Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates
+unverbluemt einen Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und
+den Gesetzen seiner Heimat mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und
+wie selbst die der Philosophie geneigten Roemer von ihr dachten, moegen
+wohl die Worte des Ennius aussprechen: Philosophieren will ich, doch
+kurz und nicht die ganze Philosophie; Gut ist's von ihr nippen, aber
+sich in sie versenken schlimm. Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre
+und die Anweisung zur Redekunst, die sich unter den Catonischen
+Schriften befanden, angesehen werden als die roemische Quintessenz
+oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum der griechischen
+Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren fuer das
+Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen
+Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das
+Rednerbuch die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden,
+welche alle Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher
+kann man ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von
+den Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner,
+"an die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen"
+^38. ----------------------------------------------------- ^38 Rem tene,
+verba sequentur. -----------------------------------------------------
+Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch
+fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
+Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder
+minder unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik
+und Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden
+Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in Rom.
+Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) der
+erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich
+niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
+Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen
+und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen
+scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden
+Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig
+war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung und
+daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen
+zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte
+wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war.
+Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um
+dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
+eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und
+Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. Von der
+barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung
+behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der
+Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491
+(263) fing die griechische Stunde (/o/ra, hora) auch bei den Roemern an
+gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine
+fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr
+aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach richtete. Gegen Ende
+dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme Maenner, die sich fuer
+mathematische Dinge interessierten. Manius Acilius Glabrio (Konsul 563
+191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein Gesetz zu steuern,
+das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen Schaltmonate
+einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja uebel
+aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand
+als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der
+griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich
+Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders.
+Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der nicht bloss die
+Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch ausgerechnet
+hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der selbst als
+astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde deshalb
+von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des Scharfsinnes
+angestaunt. Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst
+die ererbte und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von
+selbst und spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen
+zur Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt
+sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in
+den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der
+lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann
+schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
+unberuecksichtigt geblieben sein. Dagegen gilt dasselbe nur in
+untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der
+Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der Bescheidung
+der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren Zuhoerer;
+doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein
+traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit
+mangelt nicht ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die
+Rechtswissenschaft das von Sextus Aelius Paetus, genannt der "Schlaue"
+(catus), welcher der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge
+dieser seiner gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur
+Zensur (560 194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte "dreiteilige
+Buch", das heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem
+Satze derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten
+und unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular
+hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der
+griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte
+die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und
+die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an. Im
+allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
+Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
+aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen
+Saetzen darlegen sollten, was ein "tuechtiger Mann" (vir bonus) als
+Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein
+Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch
+nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und
+nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen
+ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also damals noch nicht
+diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, welche der eigentliche
+wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, teils die Musik und der
+ganze Kreis der mathematischen und physischen Wissenschaften. Durchaus
+sollte in der Wissenschaft das unmittelbar Praktische, aber auch nichts
+als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht zusammengefasst werden.
+Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, aber nur um aus
+der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare Erfahrungssaetze zu
+gewinnen - "die griechischen Buecher muss man einsehen, aber nicht
+durchstudieren", lautet einer von Catos Weidspruechen. So entstanden
+jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die freilich mit der
+griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den griechischen
+Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die Stellung der
+Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten massgebend
+geworden sind. So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und
+Literatur in Rom ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu
+reden: Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
+Der Quiriten hartem Volke sich die Mus' im Kriegsgewand. Auch in den
+sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es gleichzeitig
+an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in
+etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen
+Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen
+Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig
+mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der
+roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung begriffen gewesen
+ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und die Geschichte
+kann hier nur die Luecke bezeichnen. Die roemische Literatur, ueber
+die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, wie problematisch ihr
+absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt dennoch fuer
+denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem Wert
+als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem
+waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die
+italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die
+allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige
+Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der
+Nation durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die
+Mangelhaftigkeit der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein
+unbefangenes und durch den ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende
+unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die roemische Literatur steht neben
+der griechischen wie die deutsche Orangerie neben dem sizilischen
+Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber nebeneinander sie
+auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch entschiedener als
+von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache gilt dies von
+derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr grossen Teil
+ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von Fremdlingen,
+von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein sich
+erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als
+Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht
+ein nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat
+erweislich das eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des
+Dichters ist auslaendisch; schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen
+Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht bloss auslaendisch, sondern
+sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln behaftet, welche da sich
+einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der grosse Haufe das
+Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie durch
+die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in
+poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der
+einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und
+erst folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst
+nach dem Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie
+nur am toten Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der
+Grammatik und Grundlegung der Literatur, fast wie bei den heutigen
+Heidenmissionen, von Haus aus Hand in Hand gegangen sind. In der Tat,
+wenn man diese hellenistische Literatur des sechsten Jahrhunderts
+unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder eigenen
+Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der
+flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire,
+jenen Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu
+den Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen.
+--------------------------------------- ^39 Vgl. 2, 445: Enni poeta
+salve, qui mortalibus Versus propinas flammeos medullitus. Die
+Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen po/e/t/e/s statt
+poi/e/t/e/s - wie epo/e/sen den attischen Toepfern gelaeufig war - ist
+charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser
+epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher
+in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.).
+----------------------------------------- Dennoch wuerde ein solches
+Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr einseitig gerecht sein.
+Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese gemachte Literatur in
+einer Nation emporkam, die nicht bloss keine volkstuemliche Dichtkunst
+besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen gelangen konnte. In dem
+Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums fremd ist, faellt
+die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche
+Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet der
+Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen,
+dass ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten
+Erzaehlungen von menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese
+Grundlage der antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die
+Goetterwelt gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die
+goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein
+Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die
+aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf
+einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem
+Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende
+roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich
+abzuwehren. Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und
+denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung der
+Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien beruht
+die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der
+roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht
+ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat
+den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein
+aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer
+eine gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige
+Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten
+zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken
+Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der
+wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den Hintergrund und oft
+selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem roemischen
+Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele zeigen, die
+Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen gelaeufig und
+von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt waren
+^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins
+Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung
+wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf
+schon die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den
+Ton gelegt haben, die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und
+griechischer Masse in Latium. Wenn "das besiegte Griechenland den rauhen
+Sieger durch die Kunst ueberwand", so geschah dies zunaechst dadurch,
+dass dem ungefuegen lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene
+Dichtersprache abgewonnen ward, dass anstatt der eintoenigen und
+gehackten Saturnier der Senar floss und der Hexameter rauschte, dass
+die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, die kunstvoll
+verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der
+Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der
+idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen
+Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis
+tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben nicht innerlich
+erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst gedichtet. Man
+sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl sich von selber
+verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von der Natur in
+die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie guenstigen
+Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten
+latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage
+auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen
+Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum
+ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber
+den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur
+Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern
+einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die
+hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser
+Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging,
+den Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter
+entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen,
+ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes
+Latium an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten
+Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen
+Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder
+widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre
+historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus
+laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar nimmermehr
+sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen sich
+rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen
+dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig
+vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch
+eben formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es
+war nicht schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden
+von Schulmeistern und Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder
+Nachdichtung war; aber wenn die Poesie zunaechst nur eine Bruecke
+von Latium nach Hellas schlagen sollte, so waren Livius und
+Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und die
+Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch
+weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die
+verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem
+Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie der
+Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich
+betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des
+kosmopolitischen Hellenismus wie die 'Ilias' und die 'Odyssee' diejenige
+des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die Vertreter
+dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen
+Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige
+Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter
+bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten und
+den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn
+waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen
+ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die
+Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer
+verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des
+sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den
+sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in
+der aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren
+reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt,
+wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe
+man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
+Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als
+reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und
+sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen
+durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer.
+Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn
+es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt
+wird, so kann auch den roemischen Dichtern des sechsten Jahrhunderts
+Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. Ein frisches und
+maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen Weltliteratur, eine
+heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu verpflanzen,
+durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und flossen in
+eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste
+dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die
+poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab;
+eher vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei
+aller Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der
+griechischen Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als
+ihre hoeher gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung,
+in den klingenden Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz
+der Poeten dieser Zeit ist mehr als in irgendeiner anderen Epoche der
+roemischen Literatur eine imponierende Grandiositaet, und auch wer ueber
+die Schwaechen dieser Poesie sich nicht taeuscht, darf das stolze Wort
+auf sie anwenden, mit dem sie selber sich gefeiert hat, dass sie
+den Sterblichen das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
+----------------------------------------------------- ^40 Aus dem
+troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete Figuren
+vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275),
+Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum
+Beispiel die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von
+Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele
+(Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. 1247) bekannt gewesen sein.
+----------------------------------------------------- Wie die
+hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes
+ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige
+nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger
+wollte, als die latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer
+lateinisch redenden, aber in Form und Geist hellenischen Poesie
+vernichten, so musste eben der beste und reinste Teil der latinischen
+Nation mit dem Hellenismus selbst die entsprechende Literatur
+gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. Man stand zu Catos
+Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr wie in der
+Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten den
+Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der
+Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie
+im Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben
+Ursachen sind Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum
+Gesindel gestellt und die Apostel und Bischoefe von der roemischen
+Regierung hingerichtet worden. Natuerlich war es auch hier vor allem
+Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die
+griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der gefaehrlichste Abschaum
+des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit unaussprechlicher
+Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man
+hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt
+und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten
+bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer
+Erwaegung indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht
+geben, sondern auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition
+auf diesem Boden mehr als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der
+bloss ablehnenden Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer
+Zeitgenosse Aulus Postumius Albinus, der durch sein widerliches
+Hellenisieren den Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel
+schon griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der
+Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit
+verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht
+voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei, Dinge
+zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe des
+fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und Protektion
+singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie es
+jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken,
+dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen
+Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato
+selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen
+Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen,
+die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich elendes
+Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der Zeit und
+den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition aber gegen
+die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato keineswegs sich
+schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der Nationalpartei,
+dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit begriff, eine
+lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die Anregungen des
+Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach die
+lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht
+und der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter
+griechischer Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt
+werden. Mit einem genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der
+einzelnen als von dem Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man,
+dass fuer Rom bei dem gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung
+der einzige Stoff zur Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der
+Geschichte lag. Rom war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und
+auf dieser gewaltigen Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den
+Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und
+einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der
+lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und
+Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem
+Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel
+zu stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein
+antikes Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und
+verstaendiger ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar
+verloren der Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der
+aelteren roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine
+didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem
+Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen
+guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch
+die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine
+prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
+Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein
+Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit
+in seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine
+'Ursprungsgeschichten', seine aufgezeichneten Staatsreden, seine
+fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste
+getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts
+weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich
+in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem
+Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes
+ist den griechischen "Gruendungsgeschichten" (ktiseis) entlehnt.
+Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
+verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht.
+Seine 'Enzyklopaedie' ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
+griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische
+Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem
+Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl
+verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er
+fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der
+wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen,
+in ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren
+'Ursprungsgeschichten' auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so
+ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische
+Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der
+Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
+sei. ------------------------------------------------ ^41 "Von diesen
+Griechen", heisst es bei ihm, "werde ich an seinem Orte sagen, mein Sohn
+Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung gebracht habe; und will
+es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften einzusehen, nicht sie
+durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und unregierliche Rasse -
+glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung
+herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, wenn es
+seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren
+umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen,
+damit man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen.
+Auch uns nennen sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren
+Namen der Opiker. Auf die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und
+Bann." Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der
+im Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz
+unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste
+Weise dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen.
+----------------------------------------------- Werfen wir schliesslich
+noch einen Blick auf den Stand der bauenden und bildenden Kuenste, so
+macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich weniger in dem
+oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den Schluss
+dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184)
+faengt man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine
+Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen
+gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge
+aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem die attischen Gerichts-
+und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken nach Rom zu uebertragen.
+Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren entsprechende Gebaeude,
+die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde von Cato im Jahre 570 (184)
+neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch andere sich anschlossen,
+bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die Privatlaeden durch
+diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. Tiefer aber
+griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, welche
+spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich
+allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und
+Gartenhallen (peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere
+(tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren
+Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im Wohnsaal zur
+Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen verwandt
+zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert oder doch
+benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; "unsere Vorfahren",
+sagt Varro, "wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten nur, um die
+Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament". Von roemischer
+Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die Wachsbossierung der
+Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die Rede: Manius
+Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im
+Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses
+abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele
+gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was
+nicht viel spaeter das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet
+der Poesie wurden. Es werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos,
+der, wie Naevius spottete, verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im
+heiligen Raum die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
+Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
+Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter
+griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate
+Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel
+zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch
+eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss
+ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern dass
+sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie,
+den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
+------------------------------------------------------ ^42 Plautius
+gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die
+Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch
+nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des
+ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg
+stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor.
+------------------------------------------------------- Dagegen
+zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren
+dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht
+der korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen
+Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an;
+selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse
+als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des Pheidias mit
+Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den eroberten
+griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten Anfang
+Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl
+dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel
+der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209)
+die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern
+ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen
+Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus
+(560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des
+roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus (587 167) fuellten
+sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den Meisterwerken des
+griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung auf, dass
+das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil der
+hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache;
+allein waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse
+poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen
+und Herbeischaffen auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in
+Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst
+aber nicht einmal ein Versuch gemacht worden.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by
+Theodor Mommsen
+
+
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+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by Theodor
+Mommsen (#3 in our series by Theodor Mommsen)
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+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
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+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
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+Title: Rmische Geschichte Book 3
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+Author: Theodor Mommsen
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+Release Date: February, 2002 [Etext #3062] [Yes, we are about one year
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+Edition: 10
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+Language: German
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+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
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+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
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+We need your donations more than ever!
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+contact Michael Hart at: hart@pobox.com
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+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END*
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+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
+is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
+in Greek words, nor is there any differentiation between the different
+accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
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+Theodor Mommsen Roemische Geschichte
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+Drittes Buch Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung
+Karthagos und der griechischen Staaten
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+arduum res gestas scribere arg beschwerlich ist es, Geschichte zu
+schreiben Sallust 1. Kapitel Karthago Der semitische Stamm steht
+inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der alten klassischen
+Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese am
+Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und
+die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes
+Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den
+syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von
+demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen
+Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre Heimat ist der
+schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und
+Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem Namen hat
+die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte
+der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber
+hiess Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Maenner",
+Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier
+pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet
+zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und
+der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo
+das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an die weithin sich
+ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht
+zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist.
+Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker
+aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt,
+Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten
+und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie
+in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und
+Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
+Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis
+oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und
+die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein,
+die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische
+Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle
+Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn,
+das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was
+es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum,
+um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz
+haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu
+werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
+an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das
+Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen
+und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb
+des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den
+Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen
+Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten
+zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die
+phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter
+den aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen
+Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr
+Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als
+zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phoenikischer
+Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich
+klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur
+der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst
+vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat
+der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist
+Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte
+man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die
+Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und
+ueber die in der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren
+die aeltesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der
+Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und
+hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der
+Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der
+Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen
+wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass
+das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des
+Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht
+erweisen, und was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen
+Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das
+Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die
+bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich beruehrten, zu zivilisieren
+und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker
+besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der
+Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen
+Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe
+Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem
+mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu
+den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke
+der sich selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von
+Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am
+Euphrat und am Nil herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den
+Aegyptern untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte
+sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner,
+berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten
+oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der
+schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel
+nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders
+sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie
+die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren
+sie auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der
+kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre
+Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den
+Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in
+fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame
+Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten
+vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
+oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und
+in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im
+westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und
+Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die
+Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal
+nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will;
+es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder
+Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum
+Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit
+offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen
+Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei
+Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
+gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem
+Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen
+des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der
+Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten
+schlagen lassen. Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten
+Gewaessern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass
+diese unter den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen.
+Es ist noch weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des
+Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit,
+welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns
+Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre
+Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie
+gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten
+mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der
+Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei
+der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste
+Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es
+geluestete sie nicht nach der Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das
+Buch der Richter, "nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und
+im Besitz von Reichtum". Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen
+keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an
+der Suedkueste Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in
+welche Gegenden weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche
+Rivalitaet der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber
+den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den
+Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten
+an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada oder,
+wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die
+frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
+vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten
+Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja
+die Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege
+Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des
+Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas
+durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern
+besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung des
+Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite
+als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von
+Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten
+Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
+Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und
+die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische
+Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch
+in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte
+Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht guenstigen
+Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle dort eine
+Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole,
+merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit
+solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage
+eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen
+Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt
+besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet
+auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an
+Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer
+den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber,
+den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste
+die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen
+Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch
+nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um
+sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. Aber
+bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch
+Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik
+draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich
+unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem
+eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben sich
+anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche
+zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht
+gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit griechischen
+Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, genuegte
+es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und
+Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene
+gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der
+Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher
+Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen
+Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der
+Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste von Tripolis
+festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phoenikischen
+Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen
+und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen
+stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite
+Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers
+den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von
+selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische
+Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach
+der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil
+sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen
+das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des
+vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber,
+namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die
+Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg
+zu einer grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des
+phoenikischen Wesens ist. Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser
+auswaertigen Erfolge, welche die Karthager veranlasste, in Afrika von
+Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um
+300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses
+entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten
+muessen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich.
+Von jeher hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre
+Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen
+Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn
+ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um
+Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den
+reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
+Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land -
+wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen.
+Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau
+scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der
+phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu
+sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen
+Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der
+Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen
+karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem
+unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (nomades) an den
+Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
+verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden
+jene zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die
+karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu
+stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt
+Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern
+erobert. Dies sind die "Staedte und Staemme (ethn/e/) der Untertanen",
+die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien
+libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. Hierzu kam endlich
+die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in Afrika oder die
+sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von Karthago
+aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste
+gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen
+sein koennen, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher
+Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste
+der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen
+altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius
+zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) -
+die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst),
+Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass
+sich all diese Staedte unter karthagische Botmaessigkeit begaben, ob
+freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und
+Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber
+ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen
+Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen
+muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes
+waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen,
+sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis
+zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000
+Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und
+konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl
+weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager gegen
+ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine
+Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker
+fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen
+Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im
+auswaertigen Verkehr sind es stets "Karthago und Utica", die zusammen
+festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass
+die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie
+behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines
+maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen
+Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil
+(Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der
+Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den
+heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland
+beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
+vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller
+bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische
+Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien
+die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher
+Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen
+und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen
+fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu
+phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik
+Karthagos. ---------------------------------------------- ^1 Die
+schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem
+karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz
+einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen
+heissen: oi Karch /e/doni/o/n ?parch/e/ osoi tois aytois nomois
+chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes- symmachides poleis Diod. 20,
+10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr
+Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium
+folgt aus den "gleichen Gesetzen". Dass die altphoenikischen Kolonien
+zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer
+libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich
+der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus
+des Hanno: "Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der
+Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker gruende". Im
+wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine
+nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht
+wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten
+Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie
+denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den
+Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur.
+42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den
+Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. ^2
+Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die
+Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines
+der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint
+allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das
+phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer
+die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern
+erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen
+Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr
+wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer
+Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der
+die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben
+wurden. ------------------------------------------------- Die Epoche,
+in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen
+stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die
+Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte
+Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies
+derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann
+er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen
+Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms
+ausgefuellt hat. Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das
+Sinken der grossen phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und
+besonders von Tyros, dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen,
+teils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch
+Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften
+Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und
+die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der
+gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre
+Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker
+mit Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
+kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber
+die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen
+Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder
+gewaltig sich entwickelt. In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker
+die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie
+westlich und oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das
+Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und
+Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland
+den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht
+bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
+Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte
+Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es
+ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
+waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den
+tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen
+Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von
+Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und
+die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades
+beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern
+selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als
+Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
+Kaempfe gefuehrt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende
+des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz
+in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die
+Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung
+zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der
+Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten
+phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften
+durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. In Sizilien endlich
+war zwar die Strasse von Messana und die groessere oestliche Haelfte der
+Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen; allein den
+Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren
+Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen
+namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils
+die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von
+Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus
+die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem
+Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in
+Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein
+verhaeltnismaessig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von
+den Persern veranlasste Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen
+Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und
+der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien
+(339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich,
+einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr
+Gebiet. Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig
+genug; allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie
+die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz
+Suedspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und
+Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung,
+sowohl an der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der
+Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu
+einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur
+das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern
+Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die
+Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den
+ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago
+sogar gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz
+der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen
+Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden
+bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe
+des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische
+Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an,
+nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber
+das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch
+die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das
+naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen
+und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von
+Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der
+sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und
+die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die
+bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana,
+wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund
+aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier
+zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die
+fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner,
+die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto
+sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen
+Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den
+Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta,
+Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an
+den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden
+Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten
+sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen.
+Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons
+410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476
+(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus
+und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen
+die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios,
+Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die
+Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich
+das Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der
+Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit
+ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und
+Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und
+abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die
+Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder
+Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war
+wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch, die
+syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser
+gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler
+das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion,
+Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte.
+Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend
+immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu
+monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum
+Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse
+der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560
+275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien
+oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in
+die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt
+es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die
+spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom
+Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen
+mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss. Die Verfassung
+Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein
+Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der
+monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich
+neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung
+der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich
+der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der
+Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die
+auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt
+wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte
+erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die
+Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm
+eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig
+die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
+adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist
+zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig
+scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben;
+hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht
+selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des
+Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die
+Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten
+und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
+Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die
+ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht
+beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine
+den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine
+feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist
+derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden
+gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch
+war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern
+ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich
+als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und
+ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer
+Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen
+Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand
+sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat
+hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die
+monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und
+der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige
+durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische
+Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden
+und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte
+ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung
+und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die
+Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die
+Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch
+gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die
+Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt
+wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt
+blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren
+genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man
+das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation
+hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber
+charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen
+Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt
+zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren,
+aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten
+nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach
+Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem
+Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die
+Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft
+gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten
+auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils
+dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum
+Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und
+dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem
+Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
+den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. Die karthagische Buergerschaft
+scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive
+Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei
+nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den
+Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel;
+bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber
+wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung
+erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die
+Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte
+kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward
+wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt;
+die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und
+den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch
+geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen
+"Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr
+niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst.
+Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische
+Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei
+einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend
+einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden
+staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern
+und vornehmen Voegten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf
+Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu bringen, indem sie als
+Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen Gemeinden ausgesendet
+werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten staedtischen
+Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als
+die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen
+Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch
+von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb
+fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende
+Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten
+imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der
+Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine
+demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht
+mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe
+voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen
+Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit
+rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei:
+die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte
+Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen
+Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf
+Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Rates der
+Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne und damit die volle
+Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein
+Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war.
+In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und
+reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden,
+auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische
+Buergerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen
+wird, war so zuchtlos, dass sie insofern es wohl verdient hatte,
+machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus
+Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben
+sie machen halfen. In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder
+Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des
+Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis
+des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten
+finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs
+verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der
+Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und
+Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben
+und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische
+Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen
+und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
+Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt,
+sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet
+und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward.
+Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit
+der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phoenikischen
+Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv
+zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes an
+Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
+Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen uebrigen
+Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der
+Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren,
+wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss
+nach Karthago mittelbar die Grundrente "des besten Teils von Europa" und
+der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen
+Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der
+Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die
+auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten
+schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich
+goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden, wie man
+durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss
+aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen
+Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und
+Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand.
+Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom,
+zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht
+vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische
+Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich
+nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln
+weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber
+auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der
+Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und
+geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des Mago und
+der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der
+karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals
+Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die
+allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde
+fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem
+kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der
+durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in
+Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der
+Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des
+Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen
+Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
+kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert
+hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts
+dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben
+vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben
+wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht
+des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und
+eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne
+Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
+Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach
+dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen
+sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die
+Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen
+Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer
+spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter
+allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen
+Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und
+Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
+dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat
+eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe
+geloest als Karthago. ------------------------------------ ^3 Der
+Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der
+Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17),
+lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen
+'Poeners' heisst es von dem Titelhelden: Die Sprachen alle kann er, aber
+tut, als koenn' Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr
+mehr? ------------------------------------- Vergleichen wir die Macht
+der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und Kaufstaedte und
+lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische
+Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe,
+nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als
+Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom
+damals noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht,
+und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und
+Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse
+der Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung
+war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und
+dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In
+Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene
+Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch
+altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die
+karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
+Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren
+zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes
+Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus,
+wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist
+bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende. Beider
+Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die
+Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die
+strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde
+den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich
+des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und
+mit einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers
+zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische
+Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne
+streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung
+erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig.
+Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete
+und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
+brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen
+beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die
+Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen
+war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder
+sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt
+vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der roemischen
+Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die Gunst des
+Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und Halbheit; waehrend
+die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung
+vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen Aufgaben
+ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen,
+um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige
+Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung,
+in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und
+gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der
+opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen. Karthago
+wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde
+Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein
+Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich
+Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich
+ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf
+dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden
+Anteil an den Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen
+Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen Staaten durch
+materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine
+Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss
+fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten
+besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal
+den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner
+eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin
+und belastete selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins,
+waehrend die unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt
+wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine
+einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz
+Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde; in dem
+roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen
+ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die
+politische Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum
+Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als
+zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die
+phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
+Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
+karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen
+kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung
+bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren
+Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken,
+die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches
+Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen.
+von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem
+Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen
+Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen
+Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu
+sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten
+ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit dem
+Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und
+ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier
+sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere
+Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich dies
+bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der
+wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen
+Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine
+ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach
+dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte
+des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
+ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen
+ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den
+Roemern die Samniten und Tarentiner. Finanziell ueberstiegen die
+karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um vieles die roemischen;
+allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass die Quellen der
+karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, wenn man
+sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass
+die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die
+roemische. Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren
+sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen.
+Die karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt
+700000 Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am
+Ende des fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie
+vermochte im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000
+Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer
+hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen
+Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des
+Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der
+waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber
+weit mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem
+Effektivstand des Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische
+Regierung auch es sich angelegen sein liess, die Buerger zum
+Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker
+und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den
+angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im
+fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine "heilige
+Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet
+sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit
+Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die
+roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf
+den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten
+der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere
+Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
+ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch
+weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren,
+indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit
+Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000
+Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese
+nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen
+bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter
+tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte
+Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften
+der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und Spaniens
+und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen
+Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben
+scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein
+solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige
+Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an
+Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen;
+allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten,
+ehe dieselben bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die
+roemische Miliz jeden Augenblick auszuruecken imstande war, sondern,
+was die Hauptsache ist, waehrend die karthagischen Heere nichts
+zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die
+roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland
+band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine
+Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im
+Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der
+Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396),
+der einen gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher
+jener zum Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den
+Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und
+Soeldnerheere ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem
+Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte
+gefaehrlicher erfunden als seine Feinde.
+--------------------------------------------------- ^4 Man hat an der
+Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den Raum
+die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet.
+Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich
+in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu
+erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht
+staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass dabei
+also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder in
+der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland sich
+aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl in
+Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus
+gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
+als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
+---------------------------------------------- Die Maengel dieses
+Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und
+suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt
+auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner
+ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den
+Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe
+wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die
+Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt
+hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300
+Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu befestigen, konnte man freilich
+nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Afrika
+gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Staedte
+und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten
+unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette
+roemischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die
+Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten;
+und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Staerke der
+karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch und militaerisch so
+gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung niemals erfahren hat.
+Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man
+die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der Schiffe
+waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute
+man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen
+Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der
+Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich
+Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich
+eingeschult und die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung
+war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen
+Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht
+imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die
+Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte. Fassen
+wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden
+grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines
+einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der
+Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren.
+Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl
+aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche
+Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass
+es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden eigenen
+Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie in
+irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
+Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich
+nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem
+solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit
+der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen,
+sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab;
+dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See
+schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in
+Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin
+gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und
+waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg
+begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich
+in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten,
+auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. 2. Kapitel
+Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Seit mehr als einem
+Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den
+syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten
+ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem
+Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen
+Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit
+der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen
+Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon
+und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phoenikischen
+Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht,
+ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen
+Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die
+unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314)
+hatte Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von
+Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie
+der Syrakusier ueber saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos'
+Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem
+groessere Haelfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in
+Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der
+Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in
+Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt
+und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den
+Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten.
+Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste
+Wesen (I, 368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien
+gemacht, was spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen
+Werbeplatz fuer die soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von
+den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die
+barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen
+Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie
+verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung
+ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die
+kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und
+es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf
+hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an
+Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
+Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer
+Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle,
+vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei,
+leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua
+selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft
+in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die
+politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in
+Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien
+gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher
+Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer
+Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode
+(465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in
+Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz
+der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten
+Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die
+Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt
+und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmaenner", wie sie sich nannten,
+oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren
+nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles' Tode sich
+unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch
+welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel
+ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen
+Gegner in naechster Naehe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten
+die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Koenigs
+gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. Es ziemt der Historie weder, den
+treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich
+bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Suende der
+Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte
+ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die
+Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier
+eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing,
+die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die
+allmaehlich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der
+ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht
+mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen
+Kraeften aufzunehmen. Zunaechst indes kam es anders. Ein junger
+syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte
+Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig
+Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen
+Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der
+syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles
+Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den
+Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge
+Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er
+schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten
+Despotenunfugs gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen
+Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des
+unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und
+versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig,
+mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die
+tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern,
+die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der
+Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der
+Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor
+kurzem ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte,
+die Schmaelerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und
+Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde
+mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und
+Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen
+schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg,
+nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270),
+gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem
+die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich
+aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron
+laenger mit eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf
+Bedingungen nicht moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen
+Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der
+messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die
+Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer,
+denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des
+wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es
+vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu
+ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich
+endlich die Majoritaet der kampanischen Buergerschaft, den Besitz
+der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen. Es war ein
+weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten
+der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem
+ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen;
+aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und
+wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher
+vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter
+der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche Maenner freilich mochten
+fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran
+denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern,
+nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit gerechter Haerte von
+den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen
+sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von Staats
+wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab
+damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen
+liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste.
+Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral
+keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische
+Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen
+hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die
+gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern
+die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt,
+ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte
+Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach
+dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich
+gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es
+begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und
+zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus
+und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, die
+Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie
+Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den
+Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu
+gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt
+in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in
+seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht
+erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch
+ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es
+gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so
+nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien
+und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten
+Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem
+Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass
+zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens
+aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
+Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
+Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago
+fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war,
+Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit
+dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und
+rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die
+Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen,
+dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der
+Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den eigenen
+Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand
+zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es
+weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag
+der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam
+zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche
+die Sache verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene
+Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern,
+wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen,
+den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motiviert war
+die Unterstuetzung der Mamertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom
+ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen Italiker wurden
+in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag der
+Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489
+265). --------------------------------------------- ^1 Die Mamertiner
+traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen Gemeinden,
+verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und
+besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht.
+--------------------------------------------- Es kam darauf an, wie die
+beiden durch diese Intervention der Roemer in die Angelegenheiten der
+Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom
+verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron
+hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen
+ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen,
+ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall
+die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern
+mit einer Kriegserklaerung zu antworten; blieb er indes allein, so
+war ein solcher Krieg eine Torheit und von seiner vorsichtigen und
+gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in das Unvermeidliche
+sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien
+dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben
+Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu
+bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu
+verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden
+tauchten auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter
+anderen Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit
+Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich,
+wie die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu
+reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die
+beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht
+und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige
+Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die
+Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen
+Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst
+den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen
+Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt
+gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens
+als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die
+italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als
+innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann,
+und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische
+Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war.
+Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
+endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
+Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
+roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
+erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
+Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen
+Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und
+den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben
+sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg
+karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals
+Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische
+Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig
+gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass
+man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte
+und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
+nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen
+die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf;
+doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle,
+keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten
+Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als
+haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie
+die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken,
+und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, berief
+er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in
+derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend,
+den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung
+selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie
+die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren
+kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben,
+diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die
+Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in den Haenden
+der Roemer. Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber
+die Torheit und Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und
+erklaerten den Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen
+Platz wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von
+Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend
+sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte
+karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf
+das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
+beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen
+Messana und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. Allein
+mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit
+dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang
+die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck
+waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff
+des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den
+aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen
+und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das
+roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus;
+allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von
+Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust
+hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck nach
+Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach
+Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer
+moegen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul
+nicht triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in
+Sizilien nicht verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck
+zu machen. Im folgenden Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so
+starkes Heer ungehindert die Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius
+Maximus, seitdem von diesem Feldzug "der von Messana" (Messalla)
+genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die verbuendeten Karthager
+und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das phoenikische Heer
+nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht
+bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen
+Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische
+Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er
+folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass
+es den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort
+ihnen anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und
+Opfer zu erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana,
+die eine eigene Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen
+roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten
+jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr
+wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten,
+sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle
+Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems
+von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu
+erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und
+geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. Fuer die Roemer war
+hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das Doppelbuendnis mit Messana
+und Syrakus und den festen Besitz der ganzen Ostkueste war die Landung
+auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unterhaltung der Heere
+gesichert und verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg
+einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte denn auch
+fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in
+Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste
+Jahr (492 262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im
+Einverstaendnis mit den sizilischen Griechen die Karthager ueberall
+in die Festungen zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager,
+Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in
+Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste
+zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten
+die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die
+Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel
+am Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei
+Herakleia und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die
+Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Not gross; man entschloss
+sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der
+Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische
+Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen
+Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg,
+allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg
+der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach
+der Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der
+belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu
+erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in
+die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit
+Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar,
+Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und
+weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg
+spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus
+den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen
+Kuesten. In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen
+Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie
+erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten,
+es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen koenne kein
+Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war diese Drohung
+wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne Nebenbuhler
+die See und hielt nicht bloss die sizilischen Kuestenstaedte im Gehorsam
+und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte auch Italien mit
+einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische Armee
+hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es
+nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den
+italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und,
+was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner
+Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so
+fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus
+vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die
+Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden
+sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was
+Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht
+war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu
+ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte
+zu schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert
+Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen
+Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende
+Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst
+die Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase;
+Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und
+auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren
+dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich
+gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von Karthago
+ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der Linie
+verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die Massregel
+der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von
+Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und
+eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff
+zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren
+Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere als Modell.
+Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der
+Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen koennen;
+allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien durch
+eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
+die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die
+Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen
+Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name
+(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den
+Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der
+Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere
+Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man
+teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus,
+teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es
+begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert
+ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines
+Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der
+Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam dieselbe der
+karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und
+es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser
+Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und
+Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von
+demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit;
+allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im
+Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile
+mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe
+pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss
+gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der
+Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann
+nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes
+Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten
+nach Verhaeltnis. Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was
+den roemischen Schiffen bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und
+Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste,
+dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine
+bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes
+eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin
+niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren
+versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche
+Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss
+vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen
+Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein;
+wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den
+roemischen Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das
+feindliche Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu
+erstuermen. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach
+Beduerfnis die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt
+vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte
+zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den
+einzelnen Schiffen fechten. So schufen sich die Roemer eine Flotte,
+die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem
+roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies
+ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der
+Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch
+Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit,
+durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer
+Lage gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. Der Anfang
+indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der Konsul
+Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen
+Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der
+Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine
+Abteilung der bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte
+den Hafen der Insel, in dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen
+waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem Konsul ohne Kampf gefangen.
+Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen
+beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf
+der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein schwaecheres
+karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte,
+einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen,
+und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der
+zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen
+Kollegen uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von
+Messana, traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos
+herankam, auf die roemische, welche hier ihre erste groessere Probe
+bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und unbehilflichen
+roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich in
+aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken
+bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und
+stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war
+ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die
+gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als
+die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe,
+fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen,
+unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs
+Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck.
+Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der
+Hand, den Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen
+Handel den Ruin zu drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren. Es
+gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
+italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
+Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
+kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
+durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung
+dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht
+genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder
+man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht
+auf Afrika werfen, nicht in Agathokles' abenteuernder Art die
+Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines
+verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die Verbindungen
+der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem Falle
+liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten
+Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit
+aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. Man
+waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht
+von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria
+auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser
+Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien.
+Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen,
+misslang, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre
+(496 258) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen
+Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung
+der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts.
+Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss
+mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen
+Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich
+einige von den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder
+entrissen werden, und in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager
+sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in
+ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung
+wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites
+grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide
+Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge.
+In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem
+geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen
+liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer
+Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
+strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall
+nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer
+ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der
+wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten.
+Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Kuesten
+aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als
+vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und
+ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das
+System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr
+498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der
+libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer
+Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen
+unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius
+Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess
+es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf
+der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die Roemer die feindliche Flotte
+auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat
+vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben groessere Massen zur See
+gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen. Die roemische
+Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung
+ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von
+350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass
+gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren,
+um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die
+Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken
+Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich
+ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze,
+in schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite
+Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei
+gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss.
+Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte
+ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige
+Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst
+angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht
+loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit
+den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen
+Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der
+linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte
+roemische Geschwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert
+ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte dasselbe in heftigem
+und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die
+roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen
+See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen
+war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens,
+offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen
+Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden
+anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen
+Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen
+zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis
+die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch
+erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des
+rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem
+auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle
+noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil
+verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser
+umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige
+Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24
+Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die
+karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht
+auf, Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von
+Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu
+liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der westlichen
+Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der
+oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden
+Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf
+einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine
+vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie
+die Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war
+ein verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte
+seine Operationen beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und
+brandschatzten das Land; bis 20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt
+werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf
+den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu
+stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der Beschluss des
+Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee nach
+Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit
+40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die
+Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt
+sich in die Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den
+waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei
+und die Elefanten nicht verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in
+Masse, die Numidier standen auf und ueberschwemmten weithin das offene
+Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten Feldzug zu beginnen mit der
+Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in
+Tunes sein Winterlager aufschlug. Der Karthager Mut war gebrochen; sie
+baten um Frieden. Allein die Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht
+bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, sondern Eingehung eines
+ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager verpflichtet
+haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den roemischen
+Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit
+Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen
+werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische
+Flotte auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die
+gewaltige Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch
+den tief gesunkenen, bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig
+aufzuflammen pflegt, diese Energie der hoechsten Not trieb die Karthager
+zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben
+mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer
+so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der
+sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen
+trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager
+fuehrten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise
+zu und ebenso zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten
+Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organisierungstalent und
+strategische Einsicht seinen neuen Dienstherren von grossem Nutzen war
+^2. Waehrend also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen
+trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht
+ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog, oder
+mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage
+erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht
+imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die
+Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern
+der feindlichen Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem
+Schiffslager zu sichern versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen,
+was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch Verhandlungen mit den
+aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine
+gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein Heer also
+in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten
+Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255),
+hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager
+es waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht
+anboten; natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus
+fertig zu werden, ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus
+demselben Grunde haetten die Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen
+auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die
+Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke - denn obwohl die Zahl des
+Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch
+den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes
+Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager
+hatten sich auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes,
+aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager kommandierte,
+warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewoehnlich
+auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen
+Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und das
+roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt.
+Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor
+gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben
+aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der
+Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den
+Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten
+feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss
+die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den
+Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar
+ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden
+doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche
+linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo
+die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der
+Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei
+ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte;
+nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten
+leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen Legionen
+sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu
+erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der
+spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von
+den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm
+an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis
+es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der
+Schaendlichkeit steuerten ^3. ------------------------------------------
+^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos' militaerisches Talent
+Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen
+Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu
+lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der
+Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen,
+dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios
+nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet
+worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht
+in aegyptische Dienste. ^3 Weiter ist ueber Regulus' Ende nichts mit
+Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251),
+bald 513 (241) gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere
+Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen
+suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen
+wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge
+obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt;
+widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten
+und schlichten Geschichte.
+--------------------------------------------------- Wie die
+Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich
+gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft.
+Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem
+schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114
+Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit,
+um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer
+Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die Katastrophe
+eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln moegen,
+der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein Ende gemacht haben
+wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf verloren,
+dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen
+auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und
+leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der
+Landung in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen
+afrikanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager
+versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und
+den Untertanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine
+ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber (1740000 Taler)
+und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen abgefallenen
+Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer
+dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der
+karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der
+Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich,
+als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das Unglueck den Roemern
+das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte in einem schweren
+Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft zugrunde;
+nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene
+hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen
+Admirale die Fahrt einmal also befohlen. Nach so ungeheuren Erfolgen
+konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum
+ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit einem
+starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es
+waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld
+zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den
+Mangel eines guten Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen
+zu ersetzen. Auch die Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf:
+die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung
+von Clupea beweist, im roemischen Senat sofort wieder der Partei die
+Oberhand gegeben, die den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich
+begnuegte, die Inseln allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu
+bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man
+bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte,
+baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde
+auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele
+zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei
+Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254)
+erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe
+zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen
+Angriff von der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen
+Siziliens, Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren
+Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass
+am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern
+verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer
+auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen
+standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen
+Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine
+Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. Im folgenden Jahre (501
+253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren Vorteile in Sizilien
+zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht um zu landen,
+sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie damit
+zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten
+unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen
+und mit Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen
+Sizilien und Italien ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete;
+auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten,
+den Weg laengs der Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von
+Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern
+muessen. Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen,
+die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die
+Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken.
+Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine
+guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte
+Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige
+Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im
+Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
+Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503
+251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben
+aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils
+in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder
+Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von
+den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden
+gefangen, und das karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren
+beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb,
+nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende gefallen war
+(505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und
+Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg
+des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei
+im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen,
+die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen
+und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu
+lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte,
+die Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte
+kennt, wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer
+Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe
+von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren,
+vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden
+und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der
+Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige
+Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen
+Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem
+karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren,
+Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu
+werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher
+war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die
+Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien
+sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein
+der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff
+ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall
+erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis
+anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang
+den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall
+abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die
+roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
+Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser
+und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf
+Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen
+Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel
+leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der
+Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte
+Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen,
+die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen.
+Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um
+geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der
+Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
+Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu
+gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan
+zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die
+karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte
+unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das
+Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um
+Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
+Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit
+Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische
+Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht
+und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die
+roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden
+Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite
+seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben
+in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten
+Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und sich
+gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser
+rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung
+und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der
+feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach,
+die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils
+so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder
+zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu
+Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie
+begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass sie
+fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem
+er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel
+der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord,
+fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse
+Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon
+war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer
+der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war
+diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen
+ernstlich zu versperren, und konnte vor dem Angriff der karthagischen
+Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers. Die
+eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen
+Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und aufreibenden
+Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut noch
+an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den
+Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius
+Pullus, der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon
+bestimmten Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte
+laengs der suedlichen Kueste der Insel mit der zweiten roemischen
+Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, beging, statt seine Schiffe
+zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten Transport allein abgehen zu
+lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische
+Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die
+roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht
+erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die
+beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab
+und zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina
+in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden
+freilich von den Roemern tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier
+wie ueberall an der Kueste schon seit laengerer Zeit errichteten
+Strandbatterien; allein da an Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer
+die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die Vollendung seines
+Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete
+denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden
+vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit
+seinen unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die
+Mannschaft und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu
+retten (505 249). Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun
+ins sechzehnte Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter
+ab zu sein als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege
+zugrunde gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes
+ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet
+die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien
+die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert
+hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus
+zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um
+etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
+Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und
+daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer
+traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse
+ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der
+unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare
+durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein
+schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man
+den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit
+frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich
+gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
+unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden
+gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als
+je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt
+gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die
+Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel-
+und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als
+die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber
+ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu
+den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte
+die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
+Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen
+bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung.
+Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht
+anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu
+beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch,
+seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst
+kostspielige Anstalten erforderte. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit
+gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demuetigen imstande war.
+Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte gefuehlt ward, versteht
+sich; indes wie die Sachen standen, konnten die phoenikischen Finanzen
+unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der
+ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und
+nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung
+war eben nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein
+leichter und sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh,
+der roemischen Flotte los zu sein, liess man toericht auch die eigene
+verfallen und fing an, nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und
+zur See auf den kleinen Krieg in und um Sizilien zu beschraenken. So
+folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten,
+welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos
+auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und
+handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas,
+das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm
+im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee
+wie in jeder karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten
+Infanterie; und die Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu
+schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen verpflichtet
+gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und hoechstens
+die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar
+beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen
+Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner
+Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im
+besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das
+Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts
+koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag
+seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den
+Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu
+setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen
+im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer
+ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei
+Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich
+mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen
+und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend
+phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So
+ernaehrte er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu
+begehren, und bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend,
+das wichtige Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht
+bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben,
+sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf
+sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der
+auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel
+der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und
+von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte
+das Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits
+blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels
+gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein
+schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
+pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
+Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich
+nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und
+der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der
+sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer
+zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine
+Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon
+klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, und die
+Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner sich dreist
+wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener zeigten sich
+die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen eine
+dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen.
+Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was
+spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. Indes
+der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der
+Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich
+eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne
+Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein
+Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den
+Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die
+Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan,
+Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern
+vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch
+Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so
+grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
+patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer
+den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften
+abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als
+dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass
+eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges
+zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen
+freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den
+Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre
+zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort
+kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar
+seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und
+fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon
+und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch
+begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden
+Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man
+ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu
+Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und
+als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der
+Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine
+schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft,
+ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht
+erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein die roemischen
+Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der heiligen
+Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen
+Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241).
+Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut
+gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul
+Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius
+Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die
+schwer beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde;
+fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein
+in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen
+Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den
+Frieden. Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral,
+was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen
+Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar,
+der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet
+sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder
+seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben.
+Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die See
+beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere Kasse
+vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen versucht
+hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die roemische Flotte
+zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die Insel
+auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen
+Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass
+Rom sich verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit
+der roemischen Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen
+untertaenigen und abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten
+oder Krieg zu beginnen oder in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben
+oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die Nebenbedingungen anlangt, so
+verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der roemischen Gefangenen und
+die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung
+des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer
+ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit
+Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den
+Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von
+18 Denaren (4 Taler) fuer den Mann.
+----------------------------------------------------- ^4 Dass die
+Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet der
+roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst
+nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich
+genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3,
+27). ----------------------------------------------------- Wenn den
+Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien,
+so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann
+sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch
+den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen
+Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung,
+wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch
+wiederholen laesst, vielleicht selbst Hamilkars Persoenlichkeit
+mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher Nachgiebigkeit zu
+bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf
+unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem
+Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt
+hatten, anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies
+geschah, wissen wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob
+die Opponenten den Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige
+Konzessionen mehr abzudringen, oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus
+von Karthago den Verzicht auf die politische Unabhaengigkeit gefordert
+hatte, und entschlossen waren, den Krieg fortzufuehren, bis man an
+diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden handelte, sondern
+um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, so war
+sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes
+andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und
+erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an
+Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende
+Partei in der vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das
+einzige fuer die roemische Gemeinde genuegende Ende des Kampfes
+erblickte, so zeigte sie politischen Takt und Ahnung der kommenden
+Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um den Zug des
+Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, um
+nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu
+brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn
+zu beantworten jetzt niemand wagen kann. Schliesslich uebertrug man die
+Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, die in Sizilien an
+Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im wesentlichen den
+Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu zahlende
+Summe erhoeht auf 3200 Talente (5 Mill. Taler), davon ein Drittel
+gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der
+Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und
+Sizilien in den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin
+nur eine redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago,
+wenn es Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte
+besetzte Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich
+von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika
+absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe,
+ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. So war man endlich
+einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation stieg herab
+von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren der
+Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert
+Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern
+alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte
+Frieden (513 241). Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe,
+welcher die roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die
+Halbinsel einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen
+die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende
+Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht
+geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente,
+die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer
+militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt
+haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines
+Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
+italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der
+roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich
+organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese
+hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der
+in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten
+Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die
+Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und
+Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten;
+der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen
+kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
+nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen
+der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass
+eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben
+Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen
+Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus
+in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils
+hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde
+eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die
+Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der
+die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
+jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem
+Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen
+und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren
+Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen
+und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen
+und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch
+weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein
+Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung und
+den kommandierenden Buergermeistern entschluepften? Offenbar wusste man
+beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im Laufe des Kampfes
+draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine nach der
+anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen
+militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die
+vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab
+durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch
+diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger Notbehelf und ist es
+zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine roemische Flotte, aber
+man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets
+stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem
+hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils
+italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und
+Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei
+Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal
+zu Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies
+zum Teil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren
+und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen
+wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen
+Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation
+benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch
+die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht
+herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten
+Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah
+nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen
+in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung
+dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag
+gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die
+sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der
+Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem
+System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler
+beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der
+Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte
+belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen,
+die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern
+fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen
+wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen
+anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber
+freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines solchen
+Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue
+Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren.
+Regulus' Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken
+befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es
+gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge
+in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo
+fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine
+erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat zog die
+halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen Ueberlegenheit
+der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der
+Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die
+Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich ueberwinden zu
+lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein
+tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch
+die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der
+Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige
+Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig
+geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von
+militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das
+freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es,
+dass man das Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls
+der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte,
+nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den
+schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind
+nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der
+anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. Rom hat endlich gesiegt;
+aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, als er zu Anfang
+gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische Opposition, auf
+welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die Halbheit
+und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom
+gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter
+und der Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel
+der roemischen Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner
+Feinde. 3. Kapitel Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen
+Grenzen Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des
+fuenften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien
+vereinigte unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden
+vom Apennin bis an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte
+Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten
+hin ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres
+italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im
+Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits
+im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem
+grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel
+verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich
+die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana
+zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen
+Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten
+und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die
+augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende
+politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber
+begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen
+Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine
+neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche
+Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch
+und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
+niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige
+Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der
+Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und
+Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der
+Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich
+mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des
+Werkes zu erleichtern. In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr
+in Betracht kam als das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung,
+die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den
+karthagischen Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer
+uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten
+zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis
+festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch
+gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss
+begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so
+ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den
+Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein
+Gebiet - das heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die
+Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion
+- und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder
+Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang
+gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem
+voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also
+fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des
+Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens,
+in Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich
+haeuslich ein. Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes
+doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer
+zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete
+sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese
+zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika
+hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner
+und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert.
+Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die
+karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren
+seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen
+Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
+erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach
+Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er
+sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise
+abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber
+hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so
+sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und
+dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer
+wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem
+versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter
+den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte
+den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren
+gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten;
+sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte
+Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche
+Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre
+Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer
+wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause
+zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben
+und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten, als
+sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um
+Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck
+herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge
+karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere
+des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon
+war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende
+karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers
+gaenzlich geschlagen. Wie man also in Rom den gehassten und immer
+noch gefuerchteten Feindin groesserer Gefahr schweben sah, als je die
+roemischen Kriege ueber ihn gebracht hatten, fing man an, mehr und
+mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen, der, wenn er nicht
+wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und
+zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war, wie
+maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot
+zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja
+man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien
+Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern,
+mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der
+Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr
+ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen
+Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den
+die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee
+zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer
+Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer
+dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung.
+Auch die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen
+Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich
+der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert
+hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die
+Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten,
+den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche
+Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an
+dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars
+aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom
+zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
+Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die
+roemische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die
+Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was
+von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit
+schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft die
+Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft es
+nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu
+machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann,
+dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn
+nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
+Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig
+ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider
+Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars
+Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft
+eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom karthagische
+Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer,
+nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen
+oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber allerlei Unbill,
+die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt haben sollten, und
+eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in der Politik jeder
+darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten Schamlosigkeit.
+Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen Krieg
+annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung
+bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben.
+Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der
+Staat durch den vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast
+fuenfjaehrigen entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht
+war, musste man wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche
+Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die
+mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung von
+1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer
+widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu
+man Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht
+noch vom letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen.
+Indes beschraenkten die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten,
+sich in Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung
+der Kuesten. Mit den Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige
+Kriege, oder vielmehr man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie
+mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber
+an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst
+willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens.
+Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die
+Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen.
+--------------------------------------------- ^1 Dass die Abtretung der
+zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die der Friede von
+513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht
+einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht
+beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem
+Frieden damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie
+bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit
+hinzugefuegt haben. --------------------------------------------- Die
+Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische
+Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus
+blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden,
+aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten
+Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und der
+ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen
+Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen.
+Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die Konsuln,
+einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr
+Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment;
+wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in
+das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie
+in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden
+Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit
+ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den
+latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden Vertraege
+einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch Italien verteilten vier
+Quaestoren beschraenkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens
+nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den
+Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese
+Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete
+erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren unter
+Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man
+sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die
+ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der
+roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung
+der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke
+stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste
+jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration
+in der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen
+ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst
+Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang
+und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber,
+gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in
+seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war.
+Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln,
+so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere
+Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und
+in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die
+Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres
+Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. Diese Verschiedenheit in der
+Oberverwaltung schied wesentlich die ueberseeischen Besitzungen Roms
+von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen
+Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf
+die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne
+Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht
+sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein
+Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
+Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen.
+Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen
+Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative
+Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit einem
+unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war
+es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf den
+Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs scheint
+dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, wenigstens
+in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht, in edlen
+Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb nicht
+bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass
+das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum
+verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es
+behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden
+die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht
+in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch
+zugelassen ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall
+beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische
+Aristokratie repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner
+wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte
+Jahr dem roemischen Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu
+veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung
+unter den roemischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne
+Uebersicht der finanziellen und militaerischen Hilfsmittel einer jeden
+abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht regieren konnte; und auch in den
+italischen Landschaften war in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche
+geschehen. --------------------------------------------------- ^2 Dahin
+fuehren teils das Auftretender "Siculer" gegen Marcellus (Liv. 26, 26
+f.), teils die "Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden" (Cic. Verr.
+2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte Analogien
+(Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden commercium
+zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium
+noch keineswegs. ^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und
+Silbermuenzrecht in den Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar
+weil auf das nicht auf roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld
+es weniger ankam. Doch sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in
+der Regel auf Kupfer- oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt
+worden; eben die am besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien,
+wie die Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner,
+wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen.
+---------------------------------------------- Aber neben dieser
+wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den italischen
+einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein folgenreicher
+Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten
+abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer
+oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen
+Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht
+eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie
+verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen
+Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden konnten.
+Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen in der von
+ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der Zehnte der
+sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes aller
+in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach
+Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die
+Abgaben, welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig
+sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und
+auch in Griechenland war eine solche Besteuerung nach orientalischem
+Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie
+verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten laengst in dieser Weise den
+Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und laengst
+auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene Rechnung erhoben. "Wir
+haben", sagt Cicero, "die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel
+und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie bei dem Rechte blieben, nach
+welchem sie bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhaeltnissen
+der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren
+gehorcht hatten." Es ist billig, dies nicht zu vergessen; aber im
+Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die Untertanen,
+die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war das
+Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen
+Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt
+derselben Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller
+Bedeutung, gegen die alle Milderungen in den Ansaetzen und der
+Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche
+Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. Messana trat geradezu
+in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte wie die
+griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen
+Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in
+die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen
+Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in
+finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als die der italischen
+Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche zuerst unter
+den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen Buendnis
+uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das bestimmt
+war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu ueberwachen ^5; an
+der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien griechischen Staedten
+den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem Panormos, bisher
+die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, die des
+roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die abhaengigen
+Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts
+zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber
+durchschnittlich standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden
+nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen
+Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit.
+--------------------------------------------------- ^4 Darauf geht
+Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die Roemer
+sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder
+latinischer bedienten und "Auslaender" nur hoechstens unter den
+Leichtbewaffneten verwendeten. ^5 Das zeigt schon ein Blick auf
+die Karte, aber ebenso die merkwuerdige Bestimmung, dass es den
+Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in ganz Sizilien
+anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten
+Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu
+Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501).
+-------------------------------------------------- Allerdings fiel
+dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den steuer-
+oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz
+zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger
+Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen
+Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den
+italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst
+der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und
+Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits
+des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts
+entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische Distrikte
+am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich ausgedehntem Umfange
+eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen die zuzugpflichtigen
+Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die steuerpflichtigen
+auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch zivilisierten
+Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen roemischerseits
+beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne Zweifel
+schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht
+bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt,
+dort neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu
+konstituieren. Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss
+Untertanenland, sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu
+bleiben; dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln
+oder, was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein
+neues und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen
+Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich
+geographischer Begriff mit dem politischen der italischen
+Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter,
+teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
+Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges
+Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika
+geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie
+mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch
+vorzuschieben ^6. ------------------------------------------- ^6
+Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem
+konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den
+Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert
+in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse
+Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin
+ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten
+(Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl.
+Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung,
+welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul nur "auf roemischem
+Boden" den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird:
+der roemische Boden begreife ganz Italien in sich (Liv. 27, 5). Die
+Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen und dem Apennin
+zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und einem besonderen
+staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst Sulla an. Es
+wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im sechsten
+Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als "Amtsbezirk"
+(provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird. Provincia
+ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter allein
+bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten
+unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst
+durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats
+festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne
+norditalische Landschaften oder auch Norditalien ueberhaupt
+einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden.
+-------------------------------------------- Im Adriatischen Meer, an
+dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete Kolonie Brundisium
+endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet worden war
+(510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der
+Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen
+sorgte schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten
+auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der
+bedeutendste derselben, der makedonische, war unter dem Einfluss
+Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem
+Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und kaum noch imstande,
+die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie sehr den Roemern
+daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen Verbuendeten, den
+syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich anschlossen an
+die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das merkwuerdige
+Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem Koenig
+Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen,
+den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von
+Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich
+Makedonien fuer den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden
+die Beziehungen Roms zu den hellenistischen Staaten enger; auch
+mit Syrien verhandelte der Senat schon und verwandte sich bei
+dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. Einer
+unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte
+bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im
+Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos,
+die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich
+hielten selber einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn
+vermied man damals eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die
+Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie allein unter allen Griechen
+nicht teilgenommen haetten an der Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des
+Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine
+diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer
+Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort erteilten, ging das
+antiquarische Interesse der roemischen Herren doch keineswegs so weit,
+um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die Makedonier von
+ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). Selbst den Unfug der
+Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise das einzige
+Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste bluehte und vor der auch der
+italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Roemer mit einer
+Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und
+ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig
+gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung
+Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der
+Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu
+Gunsten seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die
+illyrischen Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner
+und Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil
+vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der
+bekannten "liburnischen" Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen
+jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in
+diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die
+wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich
+von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen
+sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in
+Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich
+fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen
+mit den fremden Raeubern in eine unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis
+und Messene hin waren die Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten
+die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu
+steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren
+griechischen Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte
+endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen.
+Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten
+Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten
+endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
+schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem
+Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur
+Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes
+Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei
+zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich
+angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht
+beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik
+wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der
+Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder
+verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
+525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen
+mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote,
+waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres
+Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes
+fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen
+annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden wieder im
+Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes Gebiet
+beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte, sondern
+auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die
+Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
+suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten
+kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte
+nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem
+Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise
+zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische
+Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte
+sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden
+tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
+wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
+getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse
+eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und
+die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der
+Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des
+Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen
+Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach
+anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt und
+die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche Italien
+verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten gleich
+Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im Adriatischen
+Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch anders
+kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen
+Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht
+gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen
+Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel,
+was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu versichern;
+im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand imstande zu
+widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann
+fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die Scham, als
+statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der
+streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren
+in ihre Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die
+den Griechen zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber
+wenn man sich schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom
+Ausland hatte kommen muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier;
+man saeumte nicht, die Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen
+Spielen und den Eleusinischen Mysterien feierlich in den hellenischen
+Nationalverband aufzunehmen. -------------------------------------------
+^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb.
+22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher
+von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des
+Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des
+Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in
+der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren
+Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese "Stellvertreter"
+aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, der sie ernennt
+und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur die Konsuln
+gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien und
+Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden
+Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern
+des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu
+Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte.
+---------------------------------------- Makedonien schwieg; es
+war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu protestieren, und
+verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man nirgend;
+aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause des
+Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem,
+wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam,
+sich erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde.
+Haette der kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger
+gelebt, so wuerde wohl er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben
+haben; denn als einige Jahre spaeter der Dynast Demetrios von Pharos
+sich der roemischen, Hegemonie entzog, im Einverstaendnis mit den
+Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Roemern fuer
+unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos
+Buendnis mit ihm, und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer
+in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos starb (Winter
+533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es
+geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten
+Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig
+aus seinem Reiche trieb (535 219). Auf dem Festland des eigentlichen
+Italien suedlich vom Apennin war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent;
+der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als
+eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der
+Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch
+eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war.
+Als Grenze Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss,
+unmittelbar oberhalb Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte
+die naechstliegende, eigentlich gallische Landschaft bis Ravenna
+einschliesslich in aehnlicher Weise wie das eigentliche Italien zu dem
+roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier ehemals gesessen hatten,
+waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und die einzelnen
+Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder
+als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es
+italischen, wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten
+Gebiet jenseits Ravenna bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische
+Voelkerschaften. Suedlich vom Po behauptete sich noch der maechtige
+Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen oestlich
+die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die Anaren, zwei kleinere,
+vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische Kantone die
+Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit
+einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb
+Arezzo und Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der
+Ebene nordwaerts vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von
+den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von
+Verona bis zur Kueste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen
+Gebirgen sassen die Cenomanen (um Brescia und Cremona), die selten
+mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt
+waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der
+italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den
+kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer,
+teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der
+Alpen. Die Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche
+Meilen schiffbare Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des
+damaligen zivilisierten Europas, waren nach wie vor in den Haenden der
+Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl gedemuetigt und geschwaecht,
+doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig und immer noch unbequeme
+Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet in den weiten
+Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte
+erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu
+bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer
+Niederlagen in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und
+sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen
+Kelten aufs neue begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der
+Tat hatten bereits im Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und
+deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde,
+die Transalpiner aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu
+machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236)
+lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen
+hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht
+zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu
+gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung
+von Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des
+Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte
+dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier,
+unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes
+Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; es kam
+zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und nachdem
+die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren,
+kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern in die
+Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den Senonen
+auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward
+vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede
+gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den
+Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser
+durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die
+richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen
+so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die
+bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen
+Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer
+beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
+Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste
+(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt
+gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit
+Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das
+Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder einmal
+des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit
+Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich fuer die
+Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische Kelten zusammen,
+und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern Concolitanus und Aneroestus
+zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren
+Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu Wagen
+kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin
+zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht
+versehen und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung
+der roemischen Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen
+Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen
+wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in
+ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die Gefahr war ernst
+und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass Roms Untergang
+diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom Verhaengnis gallisch
+zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge so allgemein
+verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde hielt,
+den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen
+und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine
+gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen.
+Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen
+Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte,
+stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite
+unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl,
+sich so schnell wie moeglich nach dem zunaechst bedrohten Etrurien
+zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbuendeten Cenomanen und
+Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat zuruecklassen muessen;
+jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von den heimischen
+Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde auf
+seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die
+Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und
+womoeglich sperren, bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In
+Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das
+diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige
+Mannschaft verzeichnet, Vorraete und Kriegsmaterial zusammengebracht.
+--------------------------------------------- ^8 Dieselben, die Polybios
+bezeichnet als "die Kelten in den Alpen und an der Rhone, die man
+wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) nenne", werden in
+den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich ist es, dass die
+gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und erst
+die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die
+Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus "Germanen" zu machen.
+Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige
+Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste
+Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die
+spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen
+keltischen Schwarm. ---------------------------------------------- Indes
+alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und
+wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den
+Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen
+des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen
+sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum
+unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien, waehrend die
+etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung des Apennin im
+Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde
+folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich gelagert und die
+Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk ploetzlich
+wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse
+gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die
+Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische
+Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte
+sie, dass der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem
+Nachsetzen. Eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes
+und geordnetes Fussvolk empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld
+die roemische Miliz, die ermattet und aufgeloest von dem Gewaltmarsch
+herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf, und auch der Rest des
+Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel Zuflucht gefunden,
+waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das konsularische
+Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der Heimat
+zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der
+beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu
+vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten,
+zunaechst die betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des
+bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo
+sie standen, an die ebene Kueste und marschierten am Strande hin,
+als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt fanden. Es waren die
+sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da sie zu spaet
+kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben Kuestenweg,
+den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in
+Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone)
+trafen sie auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in
+geschlossener Front auf der grossen Strasse vorrueckte, ging die
+Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber gefuehrt, seitwaerts
+vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so bald wie moeglich
+dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu
+geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit vielen
+tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein
+Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht
+und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von
+beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein.
+Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer
+gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier
+gegen das sardinische Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert
+auf dem Fluegel seinen Gang. Die Kraefte waren der Zahl nach nicht
+ungleich gemessen, und die verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur
+hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes
+gewohnt, wichen vor den Geschossen der roemischen Plaenkler; im
+Handgemenge setzte die bessere Staehlung der roemischen Waffen
+die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der
+siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen
+entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei
+roemischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit
+dem Koenig Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem
+Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer
+Sitte selber den Tod gegeben. Der Sieg war vollstaendig und die Roemer
+fest entschlossen, die Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige
+Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen.
+Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier
+nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war
+das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere
+Kaempfe kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius
+ueberschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza)
+den Fluss (531 223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der
+Festsetzung am anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich,
+den Fluss im Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem
+Feind um freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise
+zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der
+Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
+Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es
+sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen
+Feldzeichen, "die unbeweglichen" genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot,
+50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser
+war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht
+dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer
+den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die
+unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog
+die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des
+Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber, stellte man
+die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den unsicheren
+Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu werden.
+Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur
+Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen
+Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug
+sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen
+Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht
+den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des Senats nur durch
+Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer Frieden gemacht;
+aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit war man noch
+nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen Stammgenossen zu
+halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern derselben und ihrer
+eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 222)
+abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrueckenden
+konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer
+Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium
+(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der
+gallische Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus.
+Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich
+doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus
+Scipio die Hauptstadt der Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser
+und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die
+italischen Kelten vollstaendig besiegt, und wie eben vorher die Roemer
+den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen roemischer und
+griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend
+bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren
+wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen
+inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie
+Griechenland zerrissen dastand. Die Alpengrenze war erreicht, insofern
+als das ganze Flachland am Po entweder den Roemern untertaenig oder, wie
+das cenomanische und venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen
+besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses
+Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei
+nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in
+den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
+ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
+namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen
+mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler
+den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier
+kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221)
+scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel
+der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der Kueste zwischen
+den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer
+eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die Kelten in
+den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos
+verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm
+keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen
+Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre
+Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes.
+Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte
+Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt,
+die ohne kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich
+ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, und es war nicht
+schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur nebenher obliegende und
+ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, wie die keltische war, zu
+verdraengen und auszurotten. Die grosse Nordchaussee, die wahrscheinlich
+schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz
+vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium (514 240) verlaengert
+worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der Flaminischen
+Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei
+Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von
+Fanum (Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse,
+die den Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband.
+Man war eifrig beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit
+roemischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs
+ueber den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia
+(Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt,
+ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von
+Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere
+Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein
+ploetzliches Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge
+unterbrach. 4. Kapitel Hamilkar und Hannibal Der Vertrag mit Rom von 513
+(241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen teuren Preis. Dass die
+Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den Schatz des
+Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste
+Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung
+hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die
+saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer
+zu monopolisieren, sondern dass das ganze handelspolitische System
+gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken
+des Mittelmeers seit Siziliens Verlust fuer alle Nationen ein offenes
+Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollstaendig
+unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen sidonischen Maenner haetten
+auch darueber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon
+aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den Massalioten, den
+Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man frueher
+allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien,
+die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und
+wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens
+dies blieb? Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um
+das, was er forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen
+wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem
+Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war
+Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer
+Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte
+jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden
+die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche
+Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass
+Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien
+ihm genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
+Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer,
+dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
+fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber
+doch zu vertilgen? Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241)
+nur als einen Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur
+Vorbereitung fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht,
+um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um
+das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem
+Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein
+wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach
+unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren,
+entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen
+Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen
+und so die politische Defensive durch die strategische Offensive
+verdecken moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und
+feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen,
+welche nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur
+den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab
+es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie
+natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen
+und den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand
+ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der
+Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
+diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal,
+und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge
+unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen
+waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der
+ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
+diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen
+sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden.
+Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle
+Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
+angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen
+Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und
+endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers
+Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes
+gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in
+der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen
+ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und
+dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man
+ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben
+heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte
+der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und
+trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den
+Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs,
+sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich
+kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika
+zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). Die Patriotenpartei hatte
+waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter.
+Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und
+Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre
+Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern;
+anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung,
+welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das
+Damoklesschwert der roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago
+hing, und dass, wenn Karthago unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen
+mit Rom zum Kriege kam, dieser notwendig den Untergang der phoenikischen
+Herrschaft in Libyen zur Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht
+wenige geben, die, an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die
+Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer
+durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die
+Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht,
+aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung
+zu schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben
+diktierte; es blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass
+zu dem alten schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses
+letzte Kapitel einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man
+zu einer politischen Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der
+Regimentspartei hatte man sich hinreichend ueberzeugt; dass die
+regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen
+noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans
+Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den
+Prozess machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne
+Vollmacht der Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen
+gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen
+Stuehle dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in
+Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein;
+allein auf desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von
+Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten.
+Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die
+Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass
+weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum
+gewahr wurden. ---------------------------------------------------
+^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet,
+sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen
+Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in
+unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind
+Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen
+die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch,
+mit dem die "revolutionaere Verbindung" (etaireia t/o/n pon/e/rotat/o/n
+anthr/o/p/o/n) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei Nepos
+(Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch finden.
+---------------------------------------------------- So liess man die
+Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen Genuss
+ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und
+durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen
+Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und
+Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn
+fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass
+er eine von den Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine
+verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine
+Diktatur - erhielt und er nur von der Volksversammlung abberufen und
+zur Verantwortung gezogen werden durfte ^2. Selbst die Wahl eines
+Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der Hauptstadt aus, sondern
+vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten oder Offiziere
+dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem Feldherrn
+genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das
+Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet
+deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und
+behandelte. --------------------------------------------- ^2 Die Barkas
+schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die Ratifikation der
+Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert bei ihnen
+und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago
+hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten.
+---------------------------------------------------- Der Auftrag, den
+Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die Kriege mit den
+numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war
+im Binnenland die "Stadt der hundert Tore" Theveste (Tebessa) von den
+Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem
+neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher
+Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in
+ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von der
+Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen koennen,
+waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht einmal
+erkannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der
+im sizilischen und im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die
+Geschicke ihn oder keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten.
+Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der grossartige Kampf
+des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den
+Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr
+hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht
+geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die
+Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr
+schwebt, einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten
+aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm
+vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich
+die gebildete Klasse vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens
+einige libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen
+aus den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn
+wie Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten
+puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die
+karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren
+Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere,
+hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich
+selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte
+Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war
+nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche
+und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende
+Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und
+mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief
+verdorben und durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts
+fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder
+die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall selbst in den feilsten
+Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar fuer seinen im besten
+Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchfuehrbaren Plan die
+Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich sichern,
+so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige
+Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten.
+So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu
+retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der
+Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und
+Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt,
+den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt
+nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der
+hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von
+aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlossenheit der einen
+und der andern bauend, zugleich beide taeuschend und beiden trotzend, um
+nur erst die Mittel, Geld und Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein
+Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu
+erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch
+ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er schien
+zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht
+vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land
+der Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen
+Sohn Hannibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten
+Gottes dem roemischen Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und
+die juengeren Soehne Hasdrubal und Mago, die "Loewenbrut", wie er sie
+nannte, im Feldlager auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies
+und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar
+nach der Beendigung des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im
+Fruehjahr 518 236). Er schien einen Zug gegen die freien Libyer im
+Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders an Elefanten stark
+war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von
+seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei
+bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien
+gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm
+nichts zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die
+karthagischen Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er
+die afrikanischen Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier
+wieder einmal aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so
+nachdruecklich zu Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und
+mehrere bisher unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen.
+Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr
+verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in
+Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie
+trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben
+Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns
+wenigstens im allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer
+und als Staatsmann in den neun letzten Jahren seines Lebens (518-526
+236-228) geleistet worden ist, bis er im besten Mannesalter in offener
+Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als
+seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann waehrend der naechsten
+acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene,
+sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des
+Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepots fuer den
+Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der
+spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen
+behandelt hatte, ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars
+Feldherrnkunst begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische
+Gewandtheit befestigt. Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued-
+und Ostkueste wurden phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden
+gegruendet, vor allem an dem einzigen guten Hafen der Suedkueste
+Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders
+praechtiger "Koenigsburg"; der Ackerbau bluehte auf und mehr noch
+die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen von
+Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2 Mill. Taler (36 Mill.
+Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro
+wurden abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand
+es, die Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das
+karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen
+Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen
+der Provinz naehrten nicht bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig,
+nach Hause zu senden und fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die
+Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. In dem Karthago
+unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen statt; die
+Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; von
+den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man
+begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite
+Heimat und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die
+begeisterte Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen
+Kaempfe mit den tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen
+numidischen Reiterei ein brauchbares Fussvolk. Von Karthago aus liess
+man die Barkas machen. Da der Buergerschaft regelmaessige Leistungen
+nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie noch etwas abfiel,
+auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien und Sardinien
+verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen
+glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es
+sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars
+Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien
+durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen
+oder doch sich begnuegen musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom
+auf die demagogischen Offiziere und den Poebel zu schelten. Auch von
+Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich
+eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der
+Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft
+mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die
+Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes
+Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika
+selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen, mit denen die karthagischen
+Feldherren den roemischen, um Erkundigungen an Ort und Stelle
+einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien entgegenkamen, die
+Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die roemischen
+Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat
+unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von
+Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den
+Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt
+einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens
+von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze
+Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass unter der
+Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht sich; allein
+wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein, ueber den
+drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen Behoerden laengst
+ausserstande waren, ihre roemischen Freunde aufzuklaeren und damit die
+Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; und wenn es dennoch
+geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen mit Fug sehr
+vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die unbegreiflich
+rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien die
+Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr
+denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat
+Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie,
+ihres jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
+halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder
+Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis,
+und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis
+setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu
+ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um
+einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, der
+diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils
+um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich
+zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien
+Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
+seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall,
+dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer
+den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit
+der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen
+Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man genoetigt
+werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und dass der
+Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde, als er
+ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen, wie der
+Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht anders
+sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu beendigen,
+womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in
+den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die
+Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von
+dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm
+gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings
+zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des
+Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit
+den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung
+bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
+benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs
+neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
+Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
+Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
+versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die
+spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich
+ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich
+leugnen, dass der roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und
+schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen
+Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist.
+Ueberall ist die roemische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch
+Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine grossartige
+Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die Feinde
+Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. So
+gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum
+Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und
+eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte
+Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der
+Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter
+einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war
+nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger
+Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht
+gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der
+Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen
+wir nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von
+Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des
+spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den
+Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals
+im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine
+ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend
+und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die
+bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
+Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager
+gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter
+Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und
+einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn
+nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu
+entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die
+Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er,
+wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten
+Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache
+selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer
+seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
+tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er
+unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch
+glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich
+ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die
+Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren,
+wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. Er trat die
+Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen
+Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Roemern hiess
+er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste er, wie nur
+orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals
+Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. Indes,
+wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben,
+sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von
+schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen,
+was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal
+Monomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt
+in den Berichten ueber ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen
+Verhaeltnissen und nach dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten
+waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer
+Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu
+vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische
+Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters
+bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und
+Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der
+Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage
+ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er
+von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah
+man haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes
+auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der
+Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen
+Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der
+karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss bekundete,
+den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der oestlichen
+Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass,
+beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und
+vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn
+gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die
+Blicke aller. Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling
+534 220) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das
+Keltenland noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien
+vor der Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu
+tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie
+es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald
+marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
+gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als
+Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des
+patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen
+als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des
+Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der
+Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars
+Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint,
+den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf
+Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal
+scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit gegen
+die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner
+zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu
+fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun
+diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein
+die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien,
+um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass
+Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss
+die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos
+Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im
+italischen Kettenland ward die Gruendung der Festungen mit verdoppelter
+Schnelligkeit und Energie von den Roemern betrieben; der Schilderhebung
+in Illyrien schickte man in Rom sich an, im naechsten Fruehjahr ein
+rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; Hannibal entschloss
+sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die Saguntiner
+karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie
+darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im
+Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das
+heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag
+man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation
+in gewissen Kreisen machte. Alle "angesehenen Maenner", heisst es,
+missbilligten den "ohne Auftrag" geschehenen Angriff; es war die Rede
+von Desavouierung, von Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es,
+dass im karthagischen Rat die naehere Furcht vor dem Heer und der Menge
+die vor Rom ueberwog; sei es, dass man die Unmoeglichkeit begriff, einen
+solchen Schritt, einmal getan, zurueckzutun; sei es, dass die blosse
+Macht der Traegheit ein bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss
+sich endlich, sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht
+zu fuehren, doch fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur
+spanische Staedte sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur
+einen geringen Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und
+nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden
+illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der
+See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und
+nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere
+Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
+erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte,
+ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon
+bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede
+Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine
+roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des
+Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als
+der roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die
+Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er
+darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da
+ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen
+lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm
+man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
+Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den
+Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena,
+um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von
+Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den
+Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum
+Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner
+Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd;
+ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker
+ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit
+Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
+karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser
+einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst
+ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue
+der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen
+ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen
+Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen
+phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische
+Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden.
+Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition
+bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der
+Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an die
+westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann
+zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten,
+ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment
+uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar
+karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die
+Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien,
+wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen,
+fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein
+verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der
+Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf
+gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien und Afrika zu sichern,
+weshalb in Spanien die Flotte blieb und Westafrika von einer sehr
+starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue der Truppen buergte,
+ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der
+spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer
+Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach
+Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach
+Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was
+den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
+Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste
+segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich
+sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von
+Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit
+der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne
+Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender
+Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in
+Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann,
+so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vornherein entweder auf
+ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar
+auf die Verteidigung beschraenken - die Niederlagen brachten in all
+diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche
+Frucht. Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen,
+die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der
+Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische
+Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren
+Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine
+Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer
+beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen
+Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz
+anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss des
+Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das
+Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde;
+zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen
+Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt.
+Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer
+Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
+ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden
+Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht,
+um die eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs-
+und Chausseenkette legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das
+zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen zaehlte, ihre Retter
+erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als Verpflegungs- und
+Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege mit den
+Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten,
+dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme
+bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die
+Roemer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden
+stehe. Eben in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum
+Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft
+im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten
+Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das roemische Buendnis mit
+dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern vertrieben worden
+war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser hatte den
+Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die
+Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
+gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies
+alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet
+gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer
+grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.
+Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug
+gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit
+Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat
+die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage
+genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es ankommen
+wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. Hannibal
+hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten und
+weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des Seekrieges
+sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die
+unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer
+anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die
+Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen,
+wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als
+die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte
+Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen
+hatten; der Verbuendete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne
+Verwegenheit diesen betreten. So vereinigte Hannibal die fuer die
+grosse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in
+Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter, darunter
+etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - die mitgefuehrten
+37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu imponieren,
+als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie das,
+welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von
+Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser
+zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie
+die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und
+vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536
+(218) von Cartagena auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln,
+namentlich den mit den Kelten angeknuepften Verbindungen, von den
+Mitteln und dem Ziel des Zuges liess er die Soldaten soviel erfahren,
+dass auch der Gemeine, dessen militaerischen Instinkt der lange Krieg
+entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere Hand des Fuehrers
+ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite folgte; und
+die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die Forderungen
+der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren Heimat,
+das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn
+und seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den
+Herzen aller. Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch
+in festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was
+man wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht
+noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit den
+Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene offen.
+Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen, wenn man
+den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das nicht
+wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede ward
+durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos
+Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren. Mit
+Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte
+man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die Verhaeltnisse
+im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben;
+ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der
+Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und
+im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man
+ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten Operationen. Man disponierte
+ueber eine halbe Million brauchbarer Soldaten - nur die roemische
+Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig minder zahlreich als die
+karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der
+ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die
+eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte
+keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende
+entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser
+erdrueckenden Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand
+es fest, dass der Krieg eroeffnet werden sollte mit einer Landung in
+Afrika; die spaetere Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen,
+eine gleichzeitige Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen,
+vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago
+zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals
+Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor
+allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt
+fiel; allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie
+der Ehre. Acht Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt
+ueberging, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet.
+Indes noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen
+Voelkerschaften nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer
+waren, sondern auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern
+Versprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien
+gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von
+Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen
+Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen,
+konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.
+Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte
+fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul
+Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich
+Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung
+bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die spanische
+Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten
+Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward er, dem unter
+den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war als das Blut
+seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee in einigen
+Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass durch jene
+Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert
+wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung selbst
+sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug
+nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt
+haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet
+worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches
+"Koenigreich" aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu
+werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung
+Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur
+Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen
+zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm
+den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt
+haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die Hauptsache war,
+wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen
+zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die Alpenpaesse, ehe
+Hannibal sie erreichte, und die afrikanische Expedition ging ungehindert
+nach ihrem Ziele ab. An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal
+einen Teil seiner Truppen in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene
+Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher
+zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von
+denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000
+Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg
+ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber
+Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils
+die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold,
+teils die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon
+gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher
+Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach
+Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet
+worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro,
+sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche
+zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert
+zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition
+vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
+keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
+Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an
+der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und
+den Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand
+gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der
+keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von
+22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier
+Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen
+Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit
+der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
+bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er
+besass nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den
+zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem
+Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen
+gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an einem
+Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine starke
+Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen stromaufwaerts
+bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon gelegenen
+Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier ueberschritten
+sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um dann
+stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem
+Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages
+nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen
+die Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer
+auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben
+als die Gallier, sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam,
+das Ufer zu besetzen eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen
+in Flammen auf; ueberrascht und geteilt, vermochten sie weder dem
+Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und zerstreuten sich
+in eiliger Flucht. Scipio hielt waehrenddessen in Massalia
+Kriegsratsitzungen ueber die geeignete Besetzung der Rhoneuebergaenge
+und liess sich nicht einmal durch die dringenden Botschaften der
+Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren Nachrichten
+nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung
+zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf
+bereits die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen
+und beschaeftigt, die allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen
+Elefanten nachzuholen; nachdem sie in der Gegend von Avignon, um nur die
+Rekognoszierung beendigen zu koennen, einigen karthagischen Schwadronen
+ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und
+Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst
+auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach
+nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als
+er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des Uebergangs der
+Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen
+abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten
+Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die "feige
+Flucht" des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal
+durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
+Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten
+Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne
+irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer
+einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel,
+den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal
+diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern,
+dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste
+Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen
+war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die schwachen
+Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort dem Feind
+einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die
+kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar
+dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die
+militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden
+gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder
+Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach
+Pisae. Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
+Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt
+und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch
+den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen
+ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben
+er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die
+Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit
+Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste
+er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und
+die Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende
+Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen
+konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel
+auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das
+immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch
+notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem Kuestenweg,
+den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn sperrten,
+sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten
+in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte
+Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genevre) in
+das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
+der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach
+Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an, wo
+er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und unfruchtbaren
+Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen Durance durch ein
+schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben-
+bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier
+angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen
+Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen.
+------------------------------------------------- ^3 Der Weg ueber
+den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse geworden. Die
+oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische Alpe
+oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und
+Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht.
+------------------------------------------------- Der Weg ueber den
+Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die erste, das
+Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er sich
+in dem Tale der oberen Isere, das von Grenoble ueber Chambery bis hart
+an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich
+hinzieht und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und
+bevoelkertste ist. Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard
+unter allen natuerlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber
+bei weitem die bequemste; obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist,
+ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps
+mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme
+fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse
+aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die karthagische
+Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches
+Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die
+ihm verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St.
+Bernhard wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genevre zunaechst
+in das Gebiet der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten
+mit den Insubrern in Fehde lagen. So marschierte das karthagische Heer
+zunaechst an der Rhone hinauf gegen das Tal der oberen Isere zu, nicht,
+wie man vermuten koennte, auf dem naechsten Weg, an dem linken Ufer
+der unteren Isere hinauf, von Valence nach Grenoble, sondern durch die
+"Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevoelkerte
+Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, suedlich von der
+Isere, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder
+deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes
+Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst
+fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iseretal
+scheidet. Der Marsch an der Rhone in und quer durch die Insel bis an
+den Fuss der Alpenwand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe
+Schwierigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch geschickte
+Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen
+Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass
+derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit
+gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit
+Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die
+erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur
+ein einziger gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu)
+fuehrt, waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung
+hatte den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen
+Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang
+die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf
+er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf
+dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget
+hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die
+Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschierende
+Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in Folge
+derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit
+seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden
+diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt,
+allein die Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch
+den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt,
+ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu
+zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumtieren
+und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem
+anmutigen Tal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren
+Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder
+Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage eintrat in
+das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich das
+Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut
+zu sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei
+Conflans) mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und
+Geiseln, und wie durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch
+die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg
+die Isere verlaesst und durch ein enges und schwieriges Defilee an den
+Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien
+auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils
+auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergraendern, in
+der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal,
+dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts
+gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die
+reiche Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den
+Tross und die Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem
+gesamten Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt,
+obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen
+den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder
+herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem
+"weissen Stein" (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des
+Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden
+Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die
+ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere
+zu decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten
+endlich am folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten
+Hochebene, die sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer
+Ausdehnung von etwa 2 Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten.
+Die Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu
+bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende
+gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen des
+unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose
+Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der Begeisterung des
+Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende Ziel,
+fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu
+wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich;
+zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier
+waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so
+erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer
+Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und schwierigsten
+Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei
+nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte Jahreszeit - man war
+schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das
+bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf
+dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der
+frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte,
+verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die Abgruende;
+ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an eine
+Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil
+darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen
+und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk
+kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
+Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees
+sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den
+Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager.
+Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg
+fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen
+Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten endlich die
+halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war nach
+viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem
+weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer
+sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser,
+Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre
+Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September
+in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern
+einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige
+Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die
+Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und
+kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort
+erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan;
+zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten,
+und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so
+sehr bedurften ^4. ------------------------------------------- ^4
+Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
+Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als
+geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der
+Herren Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls
+Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen
+stehen. Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, "fingen die
+Spitzen schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken" (Polyb. 3, 54); auf
+dem Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht
+frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem
+Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September;
+als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden
+sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die
+Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September
+auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass
+er dort eintraf, "als schon der Winter herannahte" - denn mehr ist
+synaptein t/e/n t/e/s pleiados d?sin (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten
+der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C.
+L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241. Kam
+Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist
+auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen
+Ende Dezember (peri cheimerinas tropas Polyb. 3, 72) eingetretenen
+Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten
+Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer
+Heerversammlung ypo t/e/n earin/e/n /o/ran (Polyb. 3, 34), also gegen
+Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch
+fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also
+Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
+der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August
+eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb.
+3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich
+sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit
+gesessen haben muss. -------------------------------------------- Das
+Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss,
+den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
+Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der
+Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal
+zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss
+- davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil
+wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht
+minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht wie
+fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausgesuchte
+Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33 maessigen
+Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen
+besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
+nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler
+des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer
+kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie
+einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine
+militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage
+gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Nur
+duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn knuepfen;
+wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten Operationsplans,
+koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie vorherzusehen
+- fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob ein
+anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena
+oder Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt
+haben wuerde. Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im
+einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles
+ankam - sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr
+durch die Kunst des Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den
+Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist
+es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe
+schwieriger und grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat
+auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der
+grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die
+Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten
+am Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. 5. Kapitel. Der
+Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae Durch das Erscheinen der
+karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage
+der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. Von den
+beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort
+schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr
+moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius
+Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in
+Sizilien; die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen.
+Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten
+Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der
+Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht
+worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln
+und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren gezogen.
+Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen
+Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika
+ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen
+Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung
+von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den
+Liparischen Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet
+die brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines
+geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der
+Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie
+moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte
+noch in Lilybaeon. Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der
+Armee Hannibals an Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von
+dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings
+nicht gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter
+den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen
+Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia
+und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die
+Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon
+im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die
+Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen.
+Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
+ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor
+Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig
+mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu
+entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem
+Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen
+und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine
+zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer
+und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer
+den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
+einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte,
+Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache,
+dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand.
+Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine
+20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu
+halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren
+Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul
+Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und
+vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen
+allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
+Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer
+Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die
+Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger
+Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden
+im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio,
+der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat.
+Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend
+geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen
+der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende
+keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
+ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen,
+waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte,
+um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem
+Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei,
+die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung
+vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische,
+beide gefuehrt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene
+Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes
+Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riss vor dem
+Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend diese von vorn
+die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische
+Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen
+Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken
+und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war
+sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was
+er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und
+verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen
+Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang,
+ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht
+aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff den Fehler, den er
+gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem
+Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter den
+Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die
+Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen
+der roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er
+sein bedeutendes militaerisches Talent wieder, das der bis zur
+Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen
+Augenblick paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht
+bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher
+ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte
+Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei
+freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
+Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte,
+da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem
+nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer
+Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem
+roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene vorwaerts
+von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen
+Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende
+gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen und sich
+auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften
+Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit
+dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben.
+In dieser starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin,
+den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch
+die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar
+die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser
+Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die
+insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme
+der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals
+Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager
+dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio
+genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen
+durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich
+unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen
+Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war,
+Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche
+Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen.
+Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollstaendig und glaenzend
+geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und
+dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk
+wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand,
+um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den
+Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder
+sein Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die
+laestigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend
+dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im
+Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg
+gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von
+Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr in
+wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts,
+ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen
+Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich
+entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen.
+Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern
+unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die
+roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei
+der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr
+nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu
+verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand
+sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht
+geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros
+der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und
+durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied
+zu stellen; die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im
+Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut
+bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon
+gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den
+Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und
+die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts
+ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines
+Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten
+Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die
+Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und
+den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische
+Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum
+Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene
+karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der
+Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in
+dem Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten
+Massen. Die Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen
+Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt.
+Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng
+zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die
+Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie,
+namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere
+Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die
+uebrige Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu
+ueberschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes
+niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des
+Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin
+ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls
+Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre
+als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
+gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende
+nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
+Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen
+sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg
+teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die
+keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge
+des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge
+von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen
+einzigen. ------------------------------------------- ^1 Polybios'
+Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn
+Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po
+lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend
+das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl
+bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so
+mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie
+um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang
+in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile der eigenen Armee
+und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann
+fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss ueberschreiten muessen.
+Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die
+Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld
+entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es kann
+sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke
+ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der
+placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die
+erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios
+also, Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der
+Zehntausend bloss sagt, dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia
+sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs
+ueber den Fluss zu gedenken. Die Verkehrtheit der Livianischen
+Darstellung, welche das phoenikische Lager auf das rechte, das
+roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach
+hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, dass die
+Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch
+Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
+------------------------------------------ Die Folge dieses ersten
+Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrektion sich nun
+im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. Die Ueberreste
+der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und
+Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre
+Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder
+entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit
+einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal,
+der nicht durch weitere Maersche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit
+seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das
+Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die
+groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf
+den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen
+den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den
+gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000
+Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen
+haben. Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine
+ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete,
+und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch
+keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die
+nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach
+Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius
+und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die
+vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
+verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb
+an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und
+von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum
+endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier
+zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser,
+wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um
+in der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive
+uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die
+Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal
+zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer selbst
+es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwaechere
+war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er wusste
+auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen
+roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu
+erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der
+stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim
+nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in
+Italien zunaechst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk
+sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer
+Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie
+tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische Fusssoldat unter dem
+Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glaenzende
+Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen.
+Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals
+ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem
+Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen
+abenteuernd zu fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von
+den militaerischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der
+allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen
+Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das
+einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu
+werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins
+Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen
+deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam.
+Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der
+gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die
+Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht
+die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den
+roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks
+sich nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine
+bewundertsten Schlachten. Dies und nicht die Bitten der Gallier um
+Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die
+Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien
+jetzt gleichsam fallen liess und den Kriegsschauplatz nach Italien
+selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen sich vorfuehren.
+Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten - dass
+Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die
+Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens
+stark uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen
+Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass
+Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er
+jeder italischen Gemeinde die alte Unabhaengigkeit und die alten Grenzen
+wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge
+als Retter und als Raecher. In der Tat bracher, da der Winter zu
+Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen
+Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen
+Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des
+Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie
+es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der
+Apenninuebergang ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst
+moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt;
+allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren
+durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen so ueberstaut, dass
+die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur
+naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das
+zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die
+Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter
+dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte
+laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die
+karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht
+unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche
+ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten;
+Hannibal selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes
+das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius
+Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um
+sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen
+war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um
+die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal
+jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten,
+bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer
+herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer
+Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu
+beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend
+seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung
+erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren
+parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber
+Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des
+gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei,
+und ueber alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein
+militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531
+(223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten
+oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und
+seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius
+Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal
+ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite
+Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige
+Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass
+deren Zahl nach der Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der
+Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan.
+Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess
+durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die
+zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen
+und die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter
+den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen
+des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue,
+vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen
+solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
+unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
+ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des
+Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen
+Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal,
+genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt
+hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei
+steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der
+Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er
+den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden
+Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen
+in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die
+Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
+Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss
+die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes
+und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel
+ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine
+Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den
+Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne
+Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der
+Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000
+Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch
+und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein
+abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie
+aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Huegel, den
+sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und
+da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal
+verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer
+waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war
+vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder
+vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward
+gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des
+ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die
+Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig seinem
+Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer
+umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
+verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort
+machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken
+ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern
+instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein
+Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt
+der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im
+Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.
+----------------------------------------------- ^2 Das Datum der
+Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem
+berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur
+nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1)
+niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung
+war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.
+------------------------------------------------ Allein Hannibal sah
+weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht
+gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee mit
+Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten
+und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es
+geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium
+vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch
+Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen
+bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen
+Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der
+Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine laengere Rast,
+um in der anmutigen Gegend und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich
+erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in roemischer Weise zu
+reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die
+Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen
+Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine
+Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer
+hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst
+genugsam geuebt war, brach er auf und marschierte langsam an der Kueste
+hinab in das suedliche Italien hinein. Er hatte richtig gerechnet, als
+er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloss;
+die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die Hauptstadt
+gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter Musse
+zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen
+des feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen
+Armee sein militaerisches System vollstaendig zu aendern und den
+Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen
+gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft
+nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die
+Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit
+gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten an;
+der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer Hinsicht,
+waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem
+Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine Stadt
+nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde
+machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer viel, ja
+alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig
+es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu
+stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator
+Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das
+Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der roemischen Festung
+Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten
+Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr
+anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann,
+von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei
+und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit,
+der politischen Allmacht des Senats und des Buergermeisterkommandos
+erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und Gebeten von der
+methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und
+durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze
+der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen,
+um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um
+jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt,
+dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden
+vorzuruecken, solange das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe,
+und dass es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren
+angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und
+allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen
+in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und
+richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des
+feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er
+ueber den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene
+Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte
+sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von
+Rom abhaengigen italischen Staedten und die einzige Rom einigermassen
+ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments schwerer als
+irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft, die
+den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein
+diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend
+schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses
+ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte
+seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der
+Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen
+Bundesgenossen pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in
+Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen
+Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu
+kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den
+Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des
+Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden
+Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000
+Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein
+Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar
+neben der Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl
+Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so
+dass es schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher
+Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse
+sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig
+waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch
+freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab,
+ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und
+mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
+und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
+nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
+Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner
+ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute
+und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die
+Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen
+Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend,
+dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen
+Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf
+des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu
+lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische Landschaft, die
+Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner ueberlegenen
+Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich
+ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria,
+ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres
+taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend
+Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten
+Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der
+im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl
+stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um naeher an
+den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet,
+wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die Detachierungen und
+dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils
+in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne
+phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die
+Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte,
+sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen
+Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in
+der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz
+ungerechtfertigt. So weise es war, sich roemischerseits verteidigend zu
+verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel
+des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und
+Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer
+an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu
+verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten Massstab
+sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius
+Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht
+verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei
+Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln
+reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, dass die italischen
+Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der
+Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat;
+allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast
+zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer
+eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische
+Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu
+dieser Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus
+den tuechtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener,
+groesstenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt,
+durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber
+die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, "Hannibals Lakai", ihm
+zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu
+werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen
+gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer
+Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten
+sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator
+tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium
+der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen
+Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
+sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt
+war, in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls
+zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen
+bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die
+roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte
+Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum
+geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften Fuehrer
+gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegsplaene
+befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei seinem
+methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen Diktatortitel
+auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit geringen
+Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier
+sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps
+groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab
+dem System des passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der
+Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den
+Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation
+hatten weder der stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt,
+und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit,
+doch im wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem
+Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht
+der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner
+Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass
+der Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann.
+------------------------------------------------ ^3 Die Inschrift des
+von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules
+Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C.
+f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden
+worden. ------------------------------------------------ Trotz aller
+Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die
+roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus
+und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug
+anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen
+italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -,
+wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an,
+dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man
+beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die Auslieferung
+des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war trotz der
+Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des
+Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar
+langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegfuehrung abzugehen; wenn
+der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegfuehrung gescheitert
+war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man
+eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe.
+Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie
+Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel
+ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl
+Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu
+erdruecken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius
+Postumius nach dem Potal bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer
+dienenden Kelten nach der Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse
+waren verstaendig; es kam nur darauf an, auch ueber den Oberbefehl
+angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die
+daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und
+ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl
+nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den
+Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
+Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
+angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst
+recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner
+Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535
+(219) den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure
+Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der
+Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur
+durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als
+Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war,
+und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine
+rohe Unverschaemtheit. Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten
+Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien
+wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere
+zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die
+Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden
+auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das
+Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische
+Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient
+hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des
+Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt
+von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als
+Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht
+abzuwenden gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten
+ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine
+Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats
+trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im
+Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen
+und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten,
+stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb
+Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei Drittel
+Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber
+nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts mehr
+als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten
+Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische
+Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu
+entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an
+dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestuetzten
+Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig
+zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen Streitmacht waren, wie
+gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und naeherten in dieser
+Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten
+Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunaechst zu warten und nur
+nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der
+Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal
+lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein
+Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am linken
+Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem
+Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren,
+vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald
+zum Schlagen zu kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den
+Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus
+nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul missfiel dergleichen
+militaerische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, dass
+man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu
+gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben
+fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die
+entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um
+Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von
+der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld
+der ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte
+allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten
+roemischen Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier,
+zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses
+ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000
+Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das
+karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen
+Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der
+roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August
+nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender,
+den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht
+wesentlich hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen
+Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee
+folgte und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte
+roemische wie der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische
+Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem
+rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische
+auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen
+stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl
+des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
+Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die
+keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die
+vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten
+die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die
+gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach
+der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem
+Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im
+Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
+Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier
+ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die
+Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
+vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren
+Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck
+sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel
+der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen
+regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und
+diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen
+Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt
+und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
+Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen.
+Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie
+besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne
+verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In
+dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden
+libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von
+ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu
+verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam und die ohnehin
+schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr
+Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er
+mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt
+und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den
+Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den
+Numidiern hinreichend beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff
+schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Fluechtigen den
+Numidiern ueberlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie
+dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss
+entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es
+ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit
+so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet
+worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000
+Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der
+erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in
+der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der
+Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der
+Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul
+Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach
+Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen
+Lagers, 10000 Mann stark, ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige
+tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen
+nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende
+gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien
+gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius
+Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern
+gaenzlich vernichtet. Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die
+grosse politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach
+Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer
+gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht
+sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des
+Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen
+Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die
+gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne
+und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus
+Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war
+dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen
+den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des
+Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217)
+die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, hatte,
+nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals,
+mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro
+ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar
+hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika
+Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders
+gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die
+Scipionen verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn
+vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae
+siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche
+andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt;
+diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
+zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien
+aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. Von
+Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel
+geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten
+die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor
+einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand
+verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei,
+und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige
+Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, vor allem aber
+die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser
+unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der
+mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich leer, der Sold
+kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu
+lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst
+die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat
+beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und
+Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000
+numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und
+in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben. Die
+laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war
+anfangs durch Antigonos' ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers
+Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen
+Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217)
+verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht,
+fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem Antrag, seine
+illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie massten freilich
+erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt schloss der Hof von
+Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine Landungsarmee
+an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe der
+roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. In Sizilien hatte
+Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit
+geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch den
+Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom
+namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein
+Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst
+ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat,
+hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald
+darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach
+vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des
+klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich
+mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
+machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische
+Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel
+vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess
+mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen,
+die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte
+bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln
+postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal
+sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung nach
+Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage
+fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. Was
+aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der
+roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die
+Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte.
+Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien,
+zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer
+beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der Brettier - diese
+zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die
+erst belagert werden mussten; die Lucaner groesstenteils; die in die
+Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten
+mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite
+Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu
+stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella
+und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das
+roemische Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in
+Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren
+Kaempfe, die hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil,
+den Hannibal von diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel
+genoetigt, in Capua einen der Fuehrer der Adelspartei, den Decius
+Magius, der noch nach dem Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das
+roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abfuehren zu
+lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was
+es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den
+Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen
+hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei
+die roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr
+noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker
+selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und
+ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus
+zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine
+ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen
+Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe
+taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
+Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden
+von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur
+Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf
+brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die
+sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales,
+unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch
+die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker
+der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunaechst,
+wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde
+die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz
+Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
+latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als
+Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im
+karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht
+ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago
+in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte
+gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden.
+Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der
+Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten
+Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame,
+aber gerechte Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich
+nicht etwa bloss einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die
+roemische Buergerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer
+die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht
+nirgend mehr; es war eben nicht moeglich, ueber die Frage, wer die Heere
+der Stadt in einem solchen Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr
+die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine
+gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war,
+jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der
+einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche
+Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung
+des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle
+Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
+auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem
+Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits
+an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der
+italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung,
+dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte
+auf das "Volk" Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen
+Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide "neue
+Maenner" und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur
+Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten
+Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, und die
+Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae.
+Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser
+fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die
+Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich
+widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste
+jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand
+gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So
+wenig Quintus Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden
+darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt,
+sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des
+Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwuerfnisses
+mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit,
+die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das
+wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der
+Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter
+den Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische
+Schlacht. Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder
+Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem
+Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft.
+Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste
+sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des
+Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben,
+getan mit Unterdrueckung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist
+die herrliche und unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro
+- allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten -
+nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm
+entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes
+nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen
+Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
+Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den
+Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs
+verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur,
+wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen
+zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt
+hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren
+gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf
+sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und
+strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten,
+um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die
+Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu
+begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben
+und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an den
+Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen,
+die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit
+der Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss,
+nicht allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der
+Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was
+vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige
+Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in
+Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze
+Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen,
+diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die
+in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes ueber das Meer
+zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute
+der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa zwei Legionen
+zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und
+unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr
+ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in
+den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der
+bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen,
+uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um
+eine kampffaehige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um
+Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel
+voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die
+Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte
+sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es
+an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestuecke aus den Tempeln und
+setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in Taetigkeit. Der Senat ward
+ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten forderten, aus den Latinern,
+sondern aus den naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot
+die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes
+an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen
+angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht
+scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen
+sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern
+es musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer
+ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.
+6. Kapitel Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama Hannibals
+Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen
+Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht,
+soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die
+latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den
+Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem
+Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und der
+verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und
+rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen den
+Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den Marsern
+und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem Wege mehr
+erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, so hatten
+diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe auch
+sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer
+Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal
+das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die
+Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos
+in Tarent aufgetreten war, und meinten toerichterweise, zugleich der
+roemischen und der phoenikischen Herrschaft sich entziehen zu koennen.
+Samnium und Lucanien waren nicht mehr, was sie gewesen, als Koenig
+Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der sabellischen Jugend in Rom
+einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische Festungsnetz
+ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch die
+vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt -
+nur maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten
+Hass beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der
+herrschenden Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der
+Roemer an, nachdem Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte
+doch, dass es jetzt nicht mehr um die Freiheit sich handle, sondern um
+die Vertauschung des italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht
+Begeisterung, sondern Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem
+Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte in Italien der
+Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis
+hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften nicht wie
+das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls
+eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die
+gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und
+die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig
+die schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten
+seine Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen
+Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand
+er andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen
+belehrt, gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der
+Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer
+Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere
+Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
+Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den
+Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen
+Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten
+Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf
+da an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung
+fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius
+Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von
+Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die
+Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen.
+Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine
+Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein
+Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt.
+Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten
+Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den
+feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige
+roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den
+beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am
+Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn
+die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
+einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und
+vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem
+gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. Vom Schlachtfeld
+hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom besser als
+die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er mit
+einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen
+koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem
+Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die
+Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist
+unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der
+Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus
+nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach
+Regulus' erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der
+Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig
+gesiegt. Mit welchem Schein konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger
+die Schluessel entgegentragen oder auch nur einen billigen Frieden
+annehmen werde? Statt also ueber solche leeren Demonstrationen moegliche
+und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu verlieren mit der
+Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den Mauern von
+Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die
+Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken
+diese zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt
+bestimmt. Er durfte hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen
+Haefen bemaechtigen zu koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu
+ziehen, welche seine grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen
+hatten. Als die Roemer erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe,
+verliessen auch sie Apulien, wo nur eine schwache Abteilung zurueckblieb
+und sammelten die ihnen gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer
+des Volturnus. Mit den zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus
+Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst
+verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus
+Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte,
+bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten.
+Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren
+dessen Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft
+gescheitert, und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen
+Hafenplatz eine Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden
+anderen groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte
+der Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses
+an die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere
+die Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an
+den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend,
+erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die inneren
+Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal selber mit
+namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste Niederlage, die
+Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war als durch
+seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, Acerrae
+und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich
+hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie,
+Casilinum, von Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die
+zu Rom gehalten hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber
+das Entsetzen macht schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit
+verhaeltnismaessig geringer Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten
+Schwaeche zu ueberwinden. Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis
+der Winter einbrach und Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen
+Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen
+keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg
+schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus
+und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als
+Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus
+Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als
+Konsuln, an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt
+waren, Capua und Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula
+gestuetzt, Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich
+aufstellend, Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei
+Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien
+von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von
+Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte
+auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht
+den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht
+verweigert ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer
+in Kampanien nicht bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch
+Compulteria und andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen
+von Hannibals oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer
+unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt,
+teils um in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die
+Bewegungen der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit
+der Armee von Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu
+brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich
+gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht
+unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die
+phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt
+zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich
+zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
+Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere
+in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff
+auf Capua ueberzugehen. Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht
+geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam.
+Jene raschen Maersche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des
+Krieges, denen Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte,
+waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die
+unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich
+gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war
+schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich
+nicht verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die
+Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und
+der italischen Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte.
+Die Vollendung stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier
+in Cartagena, bei den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika,
+Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich
+angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien
+der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von Westen,
+Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren,
+was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das
+Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende
+Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege
+fast unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr
+handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem
+vollen Sieg so nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht.
+Dass es moeglich gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder
+beliebigen Staerke bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal
+solange, als der Hafen von Syrakus den Karthagern offenstand und durch
+Makedonien die brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist
+die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem
+Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr
+noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren
+gegangen war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae
+sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu
+allen Zeiten bereit war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des
+Vaterlandes zu erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit
+der Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um
+nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb
+tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich
+Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom
+erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen Parteigetriebe
+fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen koennen
+wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der
+Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen.
+Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen
+auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus
+angeknuepften Verbindungen und auf Philippos' Intervention. Es kam alles
+darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen
+Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen
+oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland
+gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit
+Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer die Roemer sind
+es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist, die
+Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland
+festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung zwischen
+Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese Defensive
+womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich entwickelt
+zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur
+Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der
+italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest
+sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts
+entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker
+ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der Operationen, und
+alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich daran, die Isolierung
+Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder zu verewigen. Waere es
+moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die
+Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte,
+so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war
+Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich,
+dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische
+Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils
+fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage der Dinge
+dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen verlegten
+den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro an
+den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
+karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege.
+In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die
+Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen,
+die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit
+gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen
+Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische
+Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den
+unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien geschickten
+cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der Insel
+sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, welcher
+letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen
+Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation
+des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal
+gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen
+aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion
+der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die wichtigste Station
+Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit dem vor der Ankunft
+des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten Landheer zu sichern und
+fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in Makedonien selbst
+vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen und Stocken
+kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen,
+was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette.
+Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie
+ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo
+Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber
+verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den der Cannensische Sieg in
+Karthago erweckt hatte; die nicht unbedeutenden Streitkraefte, welche
+man dort disponibel gemacht hatte, waren, sei es durch faktioese
+Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung der
+verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden,
+dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten
+gewesen waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539
+(215) durfte auch der besonnene roemische Staatsmann sich sagen,
+dass die dringende Gefahr vorueber sei und die heldenmuetig begonnene
+Gegenwehr nur auf saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte
+auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. Am ersten ging der Krieg in
+Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in Hannibals Plan gelegen,
+auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb zufaellig,
+hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen
+Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel
+eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich
+annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es
+mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei der von ihm befolgten
+Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt, so hatte Syrakus
+Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager ueber die Roemer
+unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber ganz Sizilien
+geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von Karthago den
+Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben konnte.
+Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten
+der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke
+zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu
+bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn,
+den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten, zeigte die
+syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch rechtzeitige Rueckkehr
+zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen zu machen. Allein bei
+der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach Hieronymos' Tode
+die Versuche zur Wiederherstellung der alten Volksfreiheit und die
+Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den erledigten Thron wild
+durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden Soeldnerscharen aber
+die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals gewandte
+Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche
+zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf;
+masslos uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung,
+die den soeben wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern
+zuteil geworden sein sollte, erweckten auch in dem bessern Teil der
+Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet sei, um das alte
+Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den Soeldnern endlich
+wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens durchgegangene
+Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der
+Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der
+Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates
+und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul
+nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte
+Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte
+syrakusanische Ingenieur Archimedes sich besonders hervortat, zwang die
+Roemer nach achtmonatlicher Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu
+Wasser und zu Lande umzuwandeln. Mittlerweile war von Karthago aus, das
+bisher nur mit seinen Flotten die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf
+die Nachricht von der abermaligen Schilderhebung derselben gegen die
+Roemer ein starkes Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden,
+das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige
+Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte
+der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus;
+Marcellus' Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden
+feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger
+Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung
+auf der Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb
+mehr noch als die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der
+die Roemer auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der
+des Abfalls verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische
+Besatzung daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den
+Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern
+von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen
+verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die
+Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt
+am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die
+Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte
+gelegen, diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende
+Hauptstrasse deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange
+nachher. Als so die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige
+Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und
+Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen,
+ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und
+einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die
+roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die
+beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
+aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im
+Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen
+erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit
+der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei phoenikische
+Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern durch diese
+Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das Schicksal die
+eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus' Heer, in den
+Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die
+phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen
+Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere,
+groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten
+Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von
+der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich, als die
+roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der
+in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann nach Akragas.
+Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die Verhandlungen
+hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten sie an den
+Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten wurden
+die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener Buerger
+erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den
+fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus
+mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden
+noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die
+Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst
+542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in
+ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die ernstlichsten Versuche
+gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden Militaers zu entziehen,
+selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen des roemischen
+Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger Gemeinden die Gnade
+walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine Kriegerehre
+durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen
+Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den
+Tod fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die
+verspaeteten Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn
+und gab weder den einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre
+Freiheit. Syrakus und die frueher von ihm abhaengigen Staedte traten
+unter die den Roemern steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion
+und Neeton erhielten das Recht von Messana, waehrend die leontinische
+Mark roemische Domaene und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter
+wurden -, und in dem den Hafen beherrschenden Stadtteil, der "Insel",
+durfte fortan kein syrakusanischer Buerger wohnen. Sizilien schien also
+fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war auch hier aus
+der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter
+Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen
+Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei
+uebernahm und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die
+roemische Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener
+Flamme anfachend, einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und
+mit dem gluecklichsten Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die
+karthagische und roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus
+selbst mit Glueck einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das
+zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte
+hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit
+eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und bestand
+darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die
+Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen.
+Muttines liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern
+des Landes, besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago
+nicht unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen
+allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich
+der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte,
+ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte
+Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun seit
+zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte, fand
+hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter, die dem
+juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in Unterhandlungen
+mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und lieferten ihm
+Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach Karthago, um
+den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers den
+Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward
+von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei
+verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen,
+wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue,
+aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft;
+die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also ganz Sizilien
+unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt, dass einige Ruhe
+und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte. Man trieb das
+Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen und schaffte
+es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
+Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
+Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der
+Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter
+die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu
+erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen. Entscheidender als Syrakus
+haette Makedonien in den Gang der Ereignisse eingreifen koennen. Von
+den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder Foerderung noch
+Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos' natuerlicher
+Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter bei
+Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen
+Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils
+die Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des
+Krieges, teils Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen
+aller Art in Kleinasien, Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten
+ihn, jener grossen antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie
+Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische Hof stand entschieden auf
+der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544 (210) erneuerte; allein es
+war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, dass er Rom anders als
+durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen italischen
+Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien und
+Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie
+konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich
+gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind
+zusammenzustehen. Wohl gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des
+Agelaos von Naupaktos prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege
+mit den Kampfspielen, die jetzt die Hellenen unter sich auffuehrten,
+demnaechst vorbei sein; seine ernste Mahnung, nach Westen die Blicke
+zu richten und nicht zuzulassen, dass eine staerkere Macht allen jetzt
+streitenden Parteien den Frieden des gleichen Joches bringe - diese
+Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden zwischen Philippos
+und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz
+war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos
+zu seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in
+Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen
+hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr
+eines solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm
+fehlte die Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher
+Krieg allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe
+nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands
+umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit
+Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen Patrioten;
+und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art der
+Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu
+erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der cannensischen
+Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu
+bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem
+Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht,
+dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies
+geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser
+endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische
+Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine
+roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen;
+Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von
+leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein
+als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
+Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen
+Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um
+doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die
+roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im
+besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer,
+die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als
+die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben
+mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte
+fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward
+dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und
+das makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun
+zur voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem
+Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals,
+der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine
+Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann
+die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit
+Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann,
+die zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten,
+veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den
+Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen
+Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
+nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der
+alten Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
+Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen,
+fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien
+eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz
+zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf
+deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung
+des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen
+hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen
+auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so
+dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern
+gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die
+antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten
+an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber
+Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister
+Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen
+des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf
+gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden.
+Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge
+der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und endlich
+Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden griechischen
+Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit Einsicht
+und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen
+Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas
+wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen
+dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen
+seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit
+Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf
+in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu
+wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die ungluecklichen
+Akarnanen vernichteten und Lokris und Thessalien bedrohten; bald rief
+ihn ein Einfall der Barbaren in die noerdlichen Landschaften; bald
+sandten die Achaeer um Hilfe gegen die aetolischen und spartanischen
+Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von Pergamon und der roemische
+Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten Flotten die oestliche
+Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der Mangel einer
+Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam so
+weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von
+Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss
+er sich zu dem, womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe
+bauen zu lassen; Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht
+worden, wenn ueberhaupt der Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die
+Griechenlands Lage begriffen und ein Herz dafuer hatten, beklagten
+den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte Kraefte sich selbst
+zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt
+hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen,
+ja selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden
+Parteien nahe genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch
+die Aetoler, auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich
+ankam, viel unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig
+der Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere
+Aetolien den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen
+gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und
+verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es
+ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als
+die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften,
+wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei
+verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten
+viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
+fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung
+der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den
+sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und
+Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese
+sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der
+Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede
+zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen
+uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt;
+indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des
+erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition
+aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
+ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der
+Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten
+fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu
+beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen
+wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen
+atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der epeirotischen
+Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos sich noch
+gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein es war
+damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen liess,
+dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
+widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland
+gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und
+richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen
+Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war. In Spanien,
+wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf
+ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die
+eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie
+mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal
+und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen
+Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem
+wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm zusammenzutreiben
+wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt nur
+zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
+gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
+Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle
+scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied
+gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder
+die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder
+kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen ziemlich
+gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich spanischen
+Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie Sagunt auf
+roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg wenig
+hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die
+Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich
+gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten
+festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall
+entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen
+Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder
+aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am
+Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht
+mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils
+weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes
+von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
+ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger
+Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in
+der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich,
+von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu
+geben. Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus
+und Publius Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und
+vortreffliche Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten
+Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet
+und der Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen
+Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig
+zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende
+Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
+Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die
+roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der
+Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg
+wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen
+des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und
+sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und Wiederherstellung von
+Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie vom Ebro nach Cartagena,
+indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation soweit moeglich
+bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus Spanien fast
+verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen
+gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen
+Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit
+den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen,
+ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge
+hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben damals keinen Mann
+entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um sich zu teilen.
+Indes schon Syphax' eigene Truppen, geschult und gefuehrt von roemischen
+Offizieren, erregten unter den libyschen Untertanen Karthagos so
+ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende Oberkommandant von Spanien
+und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern der spanischen Truppen
+nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine Wendung ein; der
+Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem der
+Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn
+Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert
+ist uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung
+der grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas
+Siege an den Aufstaendischen nahm. Diese Wendung der Dinge in Afrika
+ward auch folgenreich fuer den spanischen Krieg. Hasdrubal konnte
+abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald betraechtliche
+Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, die
+waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213
+212) im karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren
+hatten, sahen sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften
+angegriffen, dass sie entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die
+Spanier aufbieten mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000
+Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen
+unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu
+begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen Truppen
+zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend
+Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den
+saemtlichen spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte,
+bestimmte dieser ohne Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im
+roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen nach ihrer Landsknechtmoral
+vielleicht nicht einmal als Treubruch erschien, da sie ja nicht zu den
+Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem roemischen Feldherrn blieb
+nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen Rueckzug zu beginnen,
+wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile sah sich
+das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen
+phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft
+angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die
+Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager fast
+eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen spanischen
+Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig umzingelt. Der
+kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten Truppen den Spaniern
+entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke in der Blockade
+fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl anfangs im
+Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch
+waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die
+Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch,
+bis dass die phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des
+Feldherrn die verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem
+Publius also erlegen war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich
+des einen karthagischen Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von
+dreien zugleich sich angefallen und durch die numidische Reiterei jeden
+Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen nackten Huegel gedraengt, der
+nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu schlagen, wurde das
+ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst
+ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung allein
+rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus' Schule, Gaius Marcius,
+hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem
+Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager
+gebliebenen Teil in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im
+suedlichen Spanien zerstreuten roemischen Besatzungen vermochten sich
+dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro herrschten die Phoeniker in ganz
+Spanien ungestoert und der Augenblick schien nicht fern, wo der Fluss
+ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung mit Italien
+hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den
+rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung
+aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen
+Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der
+Neid und Hader unter den drei karthagischen Feldherren entrissen diesen
+die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den
+Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie
+behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues Heer und einen neuen Feldherrn
+zu senden. Zum Glueck gestattete dies die Wendung des Krieges in
+Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine starke Legion - 12000
+Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das Gleichgewicht
+der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im
+folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas
+ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch
+unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr
+nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber
+ein harter auffahrender unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten
+Verbindungen wieder anzuknuepfen und neue einzuleiten und Vorteil zu
+ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, womit die Punier nach dem Tode
+der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen Spanien behandelt und
+alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die Bedeutung und die
+Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte und durch
+die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von den
+grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um
+Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen
+zu senden, beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und
+einen ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung
+man dem Volke anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der
+Bericht - meldete sich niemand zur Uebernahme des verwickelten
+und gefaehrlichen Geschaefts, bis endlich ein junger
+siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in
+Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun
+und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der
+roemische Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von
+solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz
+und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben gewesen, dass fuer den
+wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich angeboten haette. Wenn
+dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen
+und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am Ticinus und
+bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der
+erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren
+und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg
+einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber
+trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und
+die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition bei der Menge
+beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich improvisierten
+Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der Sohn, der den Tod
+des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am Ticinus das Leben
+gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den langen Locken,
+der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich darbot fuer
+den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf einmal die
+Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles
+machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und
+unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine
+begeisterte und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die
+mit ihrem eisernen Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch
+Menschenkraft in neue Gleise zwingen; oder die doch auf Jahre dem
+Schicksal in die Zuegel fallen, bis die Raeder ueber sie hinrollen.
+Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten gewonnen und
+Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren auch als
+Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist
+weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem
+Vaterlande wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und
+politisch hat er, wenn auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen
+und persoenlichen Politik sich deutlich bewusst zu sein, seinem Lande
+mindestens ebensoviel geschadet, als er ihm durch seine Feldherrngaben
+genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber auf dieser anmutigen
+Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, die Scipio
+halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie von
+einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei,
+um die Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige
+ueberall entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen;
+nicht naiv genug, um den Glauben der Menge an seine goettlichen
+Inspirationen zu teilen, noch schlicht genug, ihn zu beseitigen, und
+doch im stillen innig ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden
+zu sein - mit einem Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke
+stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts
+und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels
+sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die
+Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass
+er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig
+anerkannte, fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier
+und feingebildeter Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege
+dieses oder jenes Berufs, hellenische Bildung einigend mit dem vollsten
+roemischen Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann
+Publius Scipio die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute
+und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren
+karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der
+Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien.
+Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
+Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
+Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem
+Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit
+einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich
+sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten
+Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei karthagischen
+Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, Hasdrubal Gisgons
+Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen des Herakles; der
+naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von der phoenikischen
+Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), ehe noch die
+feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen diese
+Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem
+Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr
+30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann
+starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser
+und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden
+Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen
+Flotte, auf der vierten von den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit
+entfernt; aber der Kommandant Mago wehrte sich mit Entschlossenheit und
+bewaffnete die Buergerschaft, da die Soldaten nicht ausreichten, um
+die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall versucht, welchen indes die
+Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung
+einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, den Sturm
+auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem
+schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die
+ermuedeten ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft,
+aber einen Erfolg hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch
+keinen erwartet; der Sturm hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der
+Hafenseite wegzuziehen, wo er, unterrichtet davon, dass ein Teil des
+Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte.
+Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung
+mit Leitern ueber das Watt, "wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige", und
+sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden.
+So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg
+kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn
+abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial,
+bedeutende Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1
+Million Taler), zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische
+Gerusiasten oder Richter, und die Geiseln der saemtlichen spanischen
+Bundesgenossen Karthagos in die Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den
+Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit
+Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die
+die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu
+bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der
+Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der
+Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die
+faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger
+aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung
+gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
+wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen
+Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss
+durch eine Besatzung zu sichern. So war die verwegene Unternehmung
+gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio nicht unbekannt war, dass
+Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte, nach
+Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt war, und weil
+die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande
+war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur
+verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro
+gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte,
+als er seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich
+auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus
+und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme
+der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles,
+was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte,
+dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf
+unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf
+die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse
+zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss die
+diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch jenseits
+des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel mit der
+roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08) dazu,
+seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten sein
+Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im
+Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne,
+und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf
+Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem
+Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur
+Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000
+Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit
+Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit
+seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen schlug
+er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean hinziehend
+die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und
+stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er
+Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der
+ihm aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und
+unweise gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die
+nicht bloss Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius
+und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der
+siegreiche Feldherr an der Spitze einer starken Armee in seinem Uebermut
+nicht genuegt, und wesentlich er verschuldete die aeusserst gefaehrliche
+Lage Roms im Sommer 547 (207), als Hannibals Plan eines kombinierten
+Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich realisierte. Indes die
+Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien
+ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin
+des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue
+Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass
+man den faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch- phoenikischen
+Armee in Italien zu bekaempfen gehabt hatte. Nach Hasdrubal Barkas'
+Entfernung beschlossen die beiden in Spanien zurueckbleibenden
+Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons Sohn nach
+Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen aus
+Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen
+zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge
+getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im
+folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit
+einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich wieder nach
+Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und Hannos
+vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen. Hasdrubal gab
+darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und verteilte seine Truppen
+in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in diesem Jahr nur noch
+eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen ueberwaeltigt;
+aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein
+gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde,
+70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte
+spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das
+roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des feindlichen und
+auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio stellte, wie Wellington
+in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie nicht zum Schlagen
+kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu verhindern -,
+waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die Spanier
+warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die
+Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines
+solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben -
+einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen
+jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig
+sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit
+grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der afrikanischen
+Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja selbst mit
+Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika Verbindungen
+einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen entsprechenden
+Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon den
+neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den
+Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als
+ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und
+die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des
+phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste loszuwerden und
+die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend widerlegt hatten, in
+Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die Roemer ausbrechen wuerde,
+bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms vorangingen. Die Erkrankung
+des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines seiner Korps, veranlasst
+durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, beguenstigten
+den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte und
+daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden,
+die bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen
+wurden, ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit
+nichts und Gades doch auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die
+karthagische Regierung dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen,
+Truppen und Geld sich vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in
+Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren
+- es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte aufgeloest hatte - und
+musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung der Heimat gegen
+neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert verliess der
+letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab
+sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf
+spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien
+war nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine
+roemische Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang
+die stets besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen
+die Roemer fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern
+gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um
+sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von
+den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten.
+Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland,
+Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen
+Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen,
+nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an
+Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des
+Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker
+folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach
+Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon
+zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum.
+Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
+Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit
+der Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die
+Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im
+brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme
+geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das
+die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden
+waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst
+einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische Hauptarmee von vier
+Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus
+war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam
+roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in
+alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und Brundisium
+wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion
+verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit
+beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien,
+Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den
+unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu
+versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel
+fuer dies Jahr neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische
+Buerger. Man darf annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft
+vom 17. bis zum 46. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo
+der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sklaven, den Alten, den
+Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter solchen Verhaeltnissen
+auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit waren, ist
+begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen war,
+ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um
+Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch
+Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch
+zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend
+die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
+Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie
+die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von
+Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich
+Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
+begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
+Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu
+bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr
+auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten
+der Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung
+ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden,
+und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich
+unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
+Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie
+kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es
+ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe
+Mann die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art
+in gleicher Vollkommenheit geloest hat. Zunaechst zog der Krieg sich
+vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der
+Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte
+er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer besassen, den
+starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er wehren,
+dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum,
+das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden
+Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch
+Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren
+Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug
+ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich
+inzwischen in Lucanien mit der roemischen Armee von Apulien herum;
+Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem
+gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten
+Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen
+des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. Im folgenden Jahr (541
+213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi zurueck, dessen
+Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die Stadt
+eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung
+gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande
+der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und
+mehrere brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische
+Abteilung des phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere
+von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus
+karthagischen in roemische Dienste. Unguenstiger war fuer die Roemer
+das Jahr 542 (212) durch neue politische und militaerische Fehler, die
+Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die Verbindungen, welche
+Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, hatten zu
+keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen
+tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine
+Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig
+von den roemischen Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die
+unverstaendige Rachsucht der Roemer foerderte Hannibal mehr als seine
+Intrigen; die Hinrichtung der saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte
+sie eines kostbaren Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen
+seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward
+Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die
+Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt;
+kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem
+Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher
+Stadt zur Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte
+weggezogen werden muessen. Damit war die Gefahr einer makedonischen
+Landung so nahe gerueckt, dass Rom sich genoetigt sah, dem fast
+gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und
+neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von
+Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit
+gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr
+abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten
+Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen,
+aber doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so
+sehr gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend
+bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport
+zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu
+nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus
+und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport
+deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers
+und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
+darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen
+Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber
+der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen
+Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein
+Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen
+Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So
+fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein
+unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
+Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen
+ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als
+Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen
+nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von
+Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig
+befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren
+in Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des
+nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in
+Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber
+das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden
+Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie Hannibal
+Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die
+roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und
+Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius,
+auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero;
+die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander
+verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend
+verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht
+entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein
+Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die
+Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren,
+durch die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen,
+begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der
+Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33
+Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob
+den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein Lager am Berge Tifata
+unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung, dass die roemischen
+Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die Belagerung aufheben
+wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, ihre Lager und
+ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht und
+sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die
+kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre
+Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht
+denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen
+roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon
+frueher der Mangel an Futter in dem systematisch ausfouragierten Lande
+ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich nichts machen. Hannibal
+versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der seinem erfinderischen
+Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. Er brach mit dem
+Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben Nachricht
+gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug
+die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in
+seinen ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen
+Heer zwischen die feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine
+Truppen durch Samnium und auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei
+bis zur Aniobruecke, die er passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager
+nahm, eine deutsche Meile von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die
+Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward von "Hannibal vor dem Tor";
+eine ernstliche Gefahr war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker
+in der Naehe der Stadt wurden von den Feinden verheert; die beiden
+Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, verhinderten die
+Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio bald
+nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte
+Hannibal uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche
+Belagerung gedacht; seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass
+im ersten Schreck ein Teil des Belagerungsheeres von Capua nach Rom
+marschieren und ihm also Gelegenheit geben werde, die Blockade zu
+sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer
+sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die durch
+Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn
+die roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an
+der Stelle, wo Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem
+Capenischen Tor an dem zweiten Miglienstein der Appischen Strasse,
+errichteten die dankbaren Glaeubigen dem Gott "Rueckwender Beschuetzer"
+(Rediculus Tutanus) einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so
+in seinem Plane lag, und schlug die Richtung nach Capua ein. Allein
+die roemischen Feldherren hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr
+Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen die Legionen in den Linien
+um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals
+Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er
+sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom
+her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu
+schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein
+geringer Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon
+hatte die Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen
+derselben, mit bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern
+der Rom feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische
+Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die
+Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne
+Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod;
+die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich
+erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich von
+selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es klueger
+und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats auch
+ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution
+der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und
+der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger
+unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und
+Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl
+und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und
+enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil
+der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
+Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und
+Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was
+Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch
+jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie
+begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in Capua
+zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar nach dem
+uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber
+war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um die stille Rivalitaet,
+die lange zwischen den beiden groessten Staedten Italiens bestanden
+hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der kampanischen
+Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin vollstaendig
+politisch zu vernichten. Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und
+nur um so mehr, weil er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine
+zweijaehrige, allen Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte
+Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der
+den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor
+der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war.
+Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf
+die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion
+oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
+ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war
+der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den
+Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem
+Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet,
+das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu ernaehren,
+so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger als die
+Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es gelang
+nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager gewichen.
+Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens
+und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten
+genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten
+Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische Symmachie wieder
+zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer Hannibal als der
+unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die schwankenden Staedte
+entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer
+noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der Aufreibung in
+kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im Jahre 544
+(210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter
+niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden,
+um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner
+italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die
+Roemer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum
+sicher; sie entsandten betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo
+durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der roemischen Armee
+gefaehrdet war, und gestatteten zum erstenmal seit dem Beginn des
+Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der Truppen, die bisher
+trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich
+vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum
+ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg
+laessiger als bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus
+nach Beendigung des sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der
+Hauptarmee uebernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den
+Festungskrieg und lieferte den Karthagern unentschiedene Gefechte.
+Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes
+Resultat. In Apulien gelang Hannibal die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus
+Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545 209) schritten
+die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten
+war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus
+Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit
+und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am
+ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg;
+waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und
+Hirpiner zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen
+Besatzungen bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus
+Hannibal noetigten, den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen,
+setzte der alte Quintus Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das
+Konsulat und damit den Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen
+hatte, sich fest in dem nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer
+brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in
+der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der
+Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht
+und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven
+verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen
+sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn;
+Hannibal kam zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck
+nach Metapont. Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen
+eingebuesst hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze
+der Halbinsel beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das
+naechste Jahr (546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung
+mit seinem tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch
+einen entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten
+fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte
+ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien.
+Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei
+einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend
+von Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen.
+Marcellus focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen
+Hamilkar, vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend
+vom Pferde sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht
+empfangenen Wunden (546 208). Man stand jetzt im elften Kriegsjahr.
+Die Gefahr schien geschwunden, die einige Jahre zuvor die Existenz des
+Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte man den schweren
+und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. Die
+Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von
+Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den
+angesehensten Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen
+in diesen schweren Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu
+haben; sie mag getan haben, was moeglich war, aber die Verhaeltnisse
+waren von der Art, dass alle Finanzweisheit daran zuschanden ward.
+Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die Silber- und die Kupfermuenze
+verringert, den Legalkurs des Silberstueckes um mehr als ein Drittel
+erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr
+bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten auf Kredit
+nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis der
+arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem
+Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den
+Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am
+meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den
+besseren Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen,
+freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des
+Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und
+nach dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der
+Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende
+des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung
+der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein
+Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die
+diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben
+vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz
+wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe
+bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man
+verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der
+Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000
+Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen
+nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren
+Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis des Staats war
+nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes. ueberall lagen
+die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Haenden
+fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preussischer
+Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), mindestens das
+Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren geradezu
+Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und
+nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der
+aergsten Not gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen
+Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz
+verzehren, die bluehenden Doerfer in Bettler- und Raeubernester
+verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere
+Berichte erhalten haben. Bedenklicher noch als diese materielle Not war
+die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg,
+der ihnen Gut und Blut frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden
+kam es dabei weniger an. Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts
+vermochten, solange die latinische Nation zu Rom stand; an ihrer
+groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt
+indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen
+in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien,
+also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am
+wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209)
+dem roemischen Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch
+Steuern mehr schicken und es den Roemern ueberlassen wuerden, den in
+ihrem Interesse gefuehrten Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung
+in Rom war gross; allein fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die
+Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck handelten nicht alle latinischen
+Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien,
+an ihrer Spitze das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im
+Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen
+- freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem
+gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele
+stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss
+fuer Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer
+Italiens nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe
+Abfall war sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und
+Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit
+den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es
+eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf die
+unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium
+zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im Interesse
+Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward entdeckt
+und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen
+marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung
+zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
+Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
+schreckten. In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug
+ploetzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres
+546 (208) die Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst
+machen muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden
+Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen
+schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese
+Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte, das
+fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst
+Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
+phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen;
+wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem
+Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen
+zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen;
+der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund
+gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und
+Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines
+Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von
+ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr
+bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen auf; man rief Freiwillige zu den
+Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung
+mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und Feinden ueber
+alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207);
+die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld
+willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom
+beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam
+man damit wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus
+stehe, dass er die Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder
+zu den Waffen rufe, dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der
+Konsul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass
+er erschien. Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige
+von dort verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog
+aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit
+einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen.
+Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der
+grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er
+bei Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht,
+in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte
+wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen
+geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert
+Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei
+Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war,
+dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und
+nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint
+nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
+noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals
+mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die
+wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig
+gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete
+Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass
+Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also
+zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den
+Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
+treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung
+der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische
+Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der
+Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt,
+dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde,
+ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen
+Wagnis, mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in
+Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit
+dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn
+das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um
+Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten
+und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er
+abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
+erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
+beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte
+die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen;
+allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem
+ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen
+Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische
+Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte
+die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die
+Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht
+auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier befehligte,
+ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch
+wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind stehen liess
+und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die Flanke
+fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war
+vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das
+Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht
+verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen
+Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu
+sein. Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand
+nach kaum vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal
+gegenueber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt
+hatte. Die Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des
+Bruders, den der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also
+dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle
+Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal
+erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er
+gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen
+zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug
+waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch
+eine beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt,
+deren Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die
+mit der Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt.
+Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in
+Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden
+sei. Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht.
+Der Staat und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige
+moralische und materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der
+Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert,
+die roemischen und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe
+zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils der
+kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt
+und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das
+freiwillige Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand
+gebliebenen latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit
+schweren Zinsen zu genuegen. Der Krieg in Italien stockte. Es war ein
+glaenzender Beweis von Hannibals strategischem Talent sowie freilich
+auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen
+Feldherren, dass er von da an noch durch vier Jahre im brettischen Lande
+das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen
+werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen noch sich
+einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, weniger
+in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden
+Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger
+wurden und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein
+Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf
+Publius Scipios Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen
+(549 205). Als sollten seine Entwuerfe noch schliesslich von den
+karthagischen Behoerden, die sie ihm verdorben hatten, selbst eine
+glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese in der Angst vor der
+erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548,
+549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien
+Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien
+aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen
+Landhaeuser und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten.
+Ebenso ging eine Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur
+Erneuerung des Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549
+205). Allein es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor
+mit Rom Frieden geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung
+Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens
+nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika,
+das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte;
+begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der
+spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine
+makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. Ernstlicher griff
+Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den Truemmern der
+spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, landete
+er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die
+Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des
+Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen
+sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten.
+Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche
+Unternehmung gegen das eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls
+viel zu schwach und sein Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken,
+als dass er mit Erfolg haette vorgehen koennen. Die karthagischen Herren
+hatten die Rettung der Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt,
+da sie sie wollten, war sie nicht mehr moeglich. Wohl niemand zweifelte
+im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg Karthagos gegen Rom zu
+Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen Karthago begonnen
+werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so unvermeidlich
+sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem
+eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten
+Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren,
+wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen
+und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius
+Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen,
+allein sie waren beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten;
+es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu
+verschaffen - so weit war man ja schon, dass die Tuechtigkeit allein
+nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -, und mehr als
+zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften Volke
+neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien
+zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene
+Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien,
+ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat
+sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die schon in Spanien
+entworfene afrikanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indes im
+Senat wollte nicht bloss die Partei der methodischen Kriegfuehrung von
+einer afrikanischen Expedition so lange nichts wissen, als Hannibal
+noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet dem jungen
+Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische
+Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und
+etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine
+Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen
+seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er gegen
+seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die
+Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die
+Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der
+aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den
+Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs
+und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel Lust
+bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in
+Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass
+er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der
+Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei
+dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken,
+sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken, ob ein solcher
+Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den
+etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen
+Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die eigenmaechtige
+Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet
+war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht zum
+Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen,
+dass die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war,
+dieselbe ins Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio
+ein aeusserst faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen
+Krieges wohl geeignet war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom
+Volke die Verlaengerung seines Oberbefehls so lange als noetig und die
+Aufbietung der letzten Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem
+Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem
+derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht
+wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des
+Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen,
+um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die
+Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in
+Afrika landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene
+beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen
+- zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache
+Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm
+gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich,
+dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr
+geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man
+einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige
+Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
+behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet
+des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers,
+deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. Ein anderer
+Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische
+Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen
+werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein,
+wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen.
+Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu
+belaestigen, um nicht der Popularitaet der Expedition zu schaden. Die
+Kosten derselben, namentlich die betraechtlichen des Flottenbaus, wurden
+teils beigeschafft durch eine sogenannte freiwillige Kontribution der
+etruskischen Staedte, das heisst durch eine den Arretinern und den
+sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte
+Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen
+war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige,
+deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten
+Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
+starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
+Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne
+den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der
+Naehe von Utica. Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf
+die Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten
+Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein
+ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren,
+nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu
+bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer
+zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
+Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der
+Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran),
+dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren
+und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung
+eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den alten
+Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen liess.
+Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten Macht der
+Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem letzteren
+zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in der
+Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand
+ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140
+Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt
+worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des
+in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag
+eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine
+Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet. Auf das
+Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager
+des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind
+gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte
+zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und
+die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten
+doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich
+sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug.
+Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war
+er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur
+Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich mit
+50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung aufgehoben
+und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und
+Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging
+dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich
+unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch
+einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die
+von Scipio mehr listig als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen,
+liessen sich in einer und derselben Nacht in ihren beiden Lagern
+ueberfallen: die Rohrhuetten der Numidier loderten in Flammen auf, und
+als die Karthager eilten zu helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe
+Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den roemischen
+Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war
+verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut
+nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr
+der Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren
+die erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt;
+man beschloss, auf den "grossen Feldern", fuenf Tagemaersche von Utica,
+noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte,
+sie anzunehmen; mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und
+Freiwilligen die zusammengerafften karthagischen und numidischen
+Schwaerme und auch die Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht
+rechnen durften, wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen.
+Die Afrikaner konnten nach dieser doppelten Niederlage nirgend mehr
+das Feld halten. Ein Angriff auf das roemische Schiffslager, den die
+karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar kein unguenstiges, aber
+doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit aufgewogen
+durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein beispielloser
+Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die Roemer
+ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. Nach solchen
+Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit sechzehn
+Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich
+offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten.
+Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode
+verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und
+Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen Besitzungen
+und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des Syphax an
+Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig und eine
+Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) - Bedingungen,
+die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass die Frage
+sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms
+Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben
+an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine
+karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische
+Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu
+verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen auf den grossen
+Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte, feuerten sie
+an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede notwendig die
+Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen
+musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht;
+man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu lassen
+und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung
+vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst
+nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203)
+daran arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu
+rufen, war eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit
+ueberlegenen roemischen Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei
+war zum Weichen und das Fussvolk ins Gedraenge gebracht worden und der
+Sieg schien sich fuer die Karthager zu erklaeren, als der kuehne Angriff
+eines roemischen Trupps auf die feindlichen Elefanten und vor allem die
+schwere Verwundung des geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der
+Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste
+zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog
+ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal
+waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten
+Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten,
+seinem Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen;
+als er in Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn
+empfing, saeumte er nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde
+niederstossen sowie die italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm
+ueber das Meer zu folgen, und bestieg die auf der Rede von Kroton
+laengst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe. Die roemischen
+Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu
+zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also freiwillig dem
+italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen
+ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit
+mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von
+Rat und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach
+roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter
+darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste
+Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und
+der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre
+aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel
+nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein durch
+seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und
+betrat, der letzte von Hamilkars "Loewenbrut", hier abermals nach
+sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er,
+fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch
+so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts
+ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See
+einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er
+hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft,
+jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
+zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei
+offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue
+Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit
+angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in
+der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die
+Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen
+Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines roemische Gesandte
+fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der Waffenstillstand gebrochen. In
+gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem Lager bei Tunis auf (552
+202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas (Medscherda), indem er
+den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, sondern die
+Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und
+verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand
+bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis
+und Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen
+war, mit ihm zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem
+roemischen in einer persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen
+zu erlangen; allein Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze
+der Zugestaendnisse gegangen war, konnte nach dem Bruch des
+Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen,
+und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt etwas
+anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten
+keineswegs unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte
+zu keinem Ergebnis und so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama
+(vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei Linien ordnete Hannibal sein
+Fussvolk: in das erste Glied die karthagischen Mietstruppen, in das
+zweite die afrikanische Land- und die phoenikische Buergerwehr nebst dem
+makedonischen Korps, in das dritte die Veteranen, die ihm aus Italien
+gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig Elefanten, die Reiter
+auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine Legionen in drei
+Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten
+durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu
+sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts
+ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in
+Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch
+das Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen
+war, leichtes Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war.
+Ernster war der Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen
+den beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen
+Handgemenge gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten
+an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die
+karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass
+sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der
+karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog
+eilig, was von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel
+zurueck und schob seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor.
+Scipio draengte dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie
+noch kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und
+links an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben
+Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte
+Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei
+der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen
+feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war
+nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet;
+dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren,
+hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll
+Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.
+------------------------------------------------------- ^1 Von den
+beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der westlichere,
+etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der Schlacht
+(vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder
+Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den
+19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig.
+------------------------------------------------------ Nach diesem Tage
+konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur Fortsetzung des
+Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen Feldherrn,
+sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt
+noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle
+eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen
+wollen, jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht
+getan; er gewaehrte den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die
+frueheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen
+Verhandlungen fuer Rom wie fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde
+den Karthagern auf fuenfzig Jahre eine jaehrliche Kontribution von
+200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig
+machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und ueberhaupt
+ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes
+nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich
+darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine
+politische Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager
+unter Umstaenden verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen
+Flotte zu stellen. Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der
+Beendigung des schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit
+dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu
+guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein,
+wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten
+scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse
+so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die
+Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem
+Siege ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und
+von dieser entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die
+Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem
+ihr also die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite
+gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen
+Suprematie zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es
+wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte
+Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago
+und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht
+erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken,
+dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen
+aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
+Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der
+vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das
+Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte,
+gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen
+Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen
+Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen,
+die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen
+Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings nicht
+fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges
+haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch
+alles unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der
+ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem
+Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon
+vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden
+grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung
+stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der
+ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
+Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu
+setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen
+Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in
+das Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem
+Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der hochherzige
+und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem
+Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt
+vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus voellig
+zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation
+frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die
+ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der
+Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von
+sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen. So war der Zweite Punische
+Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der Hannibalische Krieg
+beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu den Saeulen
+des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem
+Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu
+der Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer
+natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den
+Krieg auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die
+Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet,
+sondern einen gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien
+bequeme Nachbarn gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas
+beim Friedensschluss deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere
+Ergebnisse des Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem
+Gedanken wenig entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die
+eigentliche Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die
+Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft
+ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt
+haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das
+Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die
+Verhaeltnisse zugeworfen worden. Die unmittelbaren Resultate des Krieges
+waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spaniens in eine roemische,
+freilich in ewiger Auflehnung begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung
+des bis dahin abhaengigen syrakusanischen Reiches mit der roemischen
+Provinz Sizilien; die Begruendung des roemischen statt des karthagischen
+Patronats ueber die bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die
+Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose
+Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den
+Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige
+Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das
+im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
+demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte
+der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das
+Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang
+bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution
+vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft
+war die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden
+latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner
+Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr
+geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht
+latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker
+und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder
+vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und
+letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft
+der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
+der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar
+die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den
+gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger
+oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen
+Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht.
+Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde
+geschleift und die Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der
+Brettier Los war noch haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu
+Leibeigenen der Roemer gemacht und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht
+ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten
+schwer, so die griechischen Staedte mit Ausnahme der wenigen, die
+bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die kampanischen Griechen und die
+Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer
+apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils
+Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker
+wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
+Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum
+(bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem
+ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg
+bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen
+Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner
+ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia (560 194),
+ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen Valentia (562
+192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien wurden die
+Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln angesiedelt; der
+Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen Herren in Rom
+ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht sich,
+dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht
+gut roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch
+politische Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall
+in Italien fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name
+eitel und dass sie fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung
+Hannibals ward als eine zweite Unterjochung Italiens empfunden und
+alle Erbitterung wie aller Uebermut des Siegers vornehmlich an den
+italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die
+farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon
+die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem
+zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und die
+letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter
+darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die
+ausdauerndste Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die
+kampanische Sklavenschaft schon gelernt habe auszuhalten, so hallt aus
+solchen gefuehllosen Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der
+Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt
+die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen
+Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die
+Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200),
+Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom
+aus zugesandt wurden. Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen
+der italischen Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der
+roemischen Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um
+den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im
+Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint
+danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust
+vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie
+die Masse der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich
+lichtete, zeigt die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae,
+wo derselbe auf 123 Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch
+eine ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen
+Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der
+zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier Weltgegenden
+im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im tiefsten Grund
+erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur Ausfuehrung im
+einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der Staat gewann
+durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische Gebiet blieb
+seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein
+durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der
+Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten
+gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge
+bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und
+verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung
+durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition
+buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das
+letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in
+Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt,
+dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen
+wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden
+Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose
+Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich in seiner
+Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege aufgestellte
+Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst geerntetem auch von
+sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden koenne. Dennoch
+durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende dieses
+Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich
+in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet
+worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre
+hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich
+verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene,
+doch im ganzen friedliche und freundliche Zusammenleben der
+verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Voelkerentwicklungen
+zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: damals galt es Amboss zu sein
+oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war der Sieg den Roemern
+geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation
+immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu latinisieren, die
+Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, nicht als
+Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden
+Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher
+fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten
+entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen
+Verhaeltnissen gegruendete Wohlstand und die entschiedenste politische
+Suprematie ueber die damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen
+Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel,
+jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn
+nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen
+Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die
+Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und
+Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung
+waren, die geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika,
+Griechenland und endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge
+durch die geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme
+in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen
+zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen
+hatte. 7. Kapitel Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der
+dritten Periode In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die
+Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und
+in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom
+durch den Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von
+selbst, dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte,
+und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses
+mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier
+die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den
+eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden
+eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in
+Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554
+200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
+bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
+naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend
+hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als
+auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von "den beiden Riegeln
+gegen die gallischen Zuege", Placentia und Cremona, ward der erste
+niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht
+mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig marschierten die
+Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. Vor Cremona kam
+es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und kriegsmaessige Leistung
+derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers vermochte es nicht, die
+Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen
+hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, welche zahlreich
+das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes
+setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, welches bei
+Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch
+die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben
+und erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt
+werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone
+ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und
+die Cenomanen traten nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern
+erkauften sich auch Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen
+Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer Schlacht, die
+die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und
+Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So
+gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach
+dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die
+Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb,
+waren allerdings haerter, als sie den Gliedern der italischen
+Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; namentlich vergass man
+nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich
+zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden
+Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes
+liess man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und
+ihre nationale Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern
+Voelkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen
+Tribut auf; sie sollten den roemischen Ansiedlungen suedlich vom Po als
+Bollwerk dienen und die nachrueckenden Nordlaender wie die raeuberischen
+Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias in diese Gegenden zu
+unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens griff auch in
+diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit um sich;
+die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den
+Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker.
+Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im
+Jahre 586 (168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios,
+der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste,
+versichert, vielleicht nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst
+nur noch wenige Doerfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die
+Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben.
+Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
+begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der
+transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der
+Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze
+zu machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den
+naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war,
+zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der
+Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen,
+sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, welche
+die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier
+(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder
+Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die
+beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche
+einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher
+Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in welcher
+diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat um
+Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, ueber
+die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 186,
+179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt
+hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der
+Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer
+die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit
+schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche
+Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch
+dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern wenig bekannten
+Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres stattfand, mehr aber
+noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien, wie Hannibal von
+Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlassten
+die Gruendung einer Festung in dem aeussersten nordoestlichen Winkel
+Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia (571-573
+183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu verlegen,
+sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene
+Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten
+Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage
+Aquileias veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177),
+der mit der Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo
+schnell beendigt war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den
+panischen Schreck, den die Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen
+Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz
+Italien hervorrief. Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des
+Padus, die der roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben.
+Die Boier, die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter
+Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und
+ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen
+(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig
+fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die ewigen
+Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die
+letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer
+siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern
+eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das
+roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung
+sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne
+sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier nichts mehr uebrig
+sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie sich ergeben in das
+Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer forderten Abtretung des
+halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch
+auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden
+sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1.
+--------------------------------------- ^1 Nach Strabons Bericht waeren
+diese italischen Boier von den Roemern ueber die Alpen verstossen worden
+und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn um Steinamanger
+und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen Zeit von den
+ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde,
+dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess.
+Dieser Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der
+roemischen Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte
+mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der
+italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in der Tat der Annahme einer
+gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden doch auch die uebrigen
+keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und Kolonisierung in weit
+minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger rasch und vollstaendig
+aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits fuehren andere
+Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See herzuleiten von
+dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen sass, bis
+deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr
+zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen
+findet, wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und
+nicht bloss eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte
+auf nichts anderem beruhen als auf einem Rueckschluss aus der
+Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst
+oft unueberlegt anwandten. ----------------------------------------
+Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
+Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen
+Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert
+und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem
+ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona;
+570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen
+boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183)
+und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem
+Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch
+diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage
+der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische
+Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
+Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die
+Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst
+Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der
+roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber
+die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue
+Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine kuerzere Verbindung
+zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden
+Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des
+italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch den Po.
+Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-,
+jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war
+ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und
+Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward. In dem nordwestlichen
+italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel hauptsaechlich von dem
+vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Roemer
+in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno wohnte, ward
+vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem Apennin
+zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von
+Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten.
+Was hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in
+die Gegend von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische
+Massregeln die ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175)
+die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in
+den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig
+unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte
+Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich
+wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen
+vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia
+und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der
+Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von
+Luca ueber Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der
+Aurelischen und Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.
+Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen
+Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren
+unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten;
+die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren
+Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden
+indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht
+bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen
+Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
+Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna
+ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen
+- jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen
+Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die Uferstrasse offen
+zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Taelern und seinen
+Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen
+Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als Kriegsschule zur Uebung
+und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. Aehnliche sogenannte
+Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen und mehr
+noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie
+gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten.
+Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die
+Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den "Frieden" gab,
+sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen
+zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom
+schleppte, dass es Sprichwort ward: "spottwohlfeil wie ein Sarde". In
+Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso
+kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der
+karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche
+Stadt bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer
+roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des
+Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert
+bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen
+garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der
+karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere
+sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
+erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat
+den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische
+Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags
+sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen
+Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen
+und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse
+ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie
+ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter
+und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit
+war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago
+sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
+seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von
+den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen.
+So gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die
+Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den
+groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten
+die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig Doerfer
+vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging nach
+Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder zu
+gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht
+mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit
+sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie einbuessen
+sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen
+zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die
+roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu
+Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht
+gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte
+Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das allzugrosse
+Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene
+reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quaelerei wegen
+Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle
+Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder roemische
+Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung zu
+keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas
+Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt
+ward. Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage
+mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede
+Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher
+Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die
+roemische Gunst zu buhlen. Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten
+doch nicht bloss Geduld und Ergebung. Es gab noch in Karthago eine
+Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das
+Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. Sie hatte
+es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden
+Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den
+Kampf aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner
+Soehne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer
+diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die
+bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger
+und der Menschen maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle
+Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung
+gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener
+Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer
+verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte
+Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und
+ein demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der
+Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch
+Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch
+Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass
+die roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger
+irgendwie mit ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische
+Regierung, eben damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem
+Grosskoenig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit
+begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, dass die
+karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter Hannibalischer
+Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen Legionen in
+Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie
+eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich
+beauftragt war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden
+karthagischen Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten,
+um den Mann, der sie gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den
+antiroemisch gesinnten Maechten dem Landesfeind zu denunzieren, sind
+veraechtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und
+so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demuetigendes
+Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem einfachen
+Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist,
+dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen
+erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben
+nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so
+ausserordentliche Natur, dass nur roemische Gefuehlspolitiker ihn
+laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die
+eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand,
+kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago
+den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen,
+was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich
+fuegen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und
+besonnene Flucht nach dem Orient die groessere Schande ihnen ersparend,
+seiner Vaterstadt bloss die mindere liess, ihren groessten Buerger auf
+ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein
+Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die
+Lieblinge der Goetter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die
+unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse
+sich bewaehrt. Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es
+sich verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung
+nicht aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten
+dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des
+ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet
+haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als
+in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
+damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich
+an Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn
+der Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch
+gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb
+das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie
+nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig
+die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit
+Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom
+wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst
+die regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der
+gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die
+roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch
+jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten
+Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu
+erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die
+karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201)
+stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen
+an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den
+Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die
+Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die
+Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen
+Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald
+hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago
+blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen
+Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer
+nchtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
+Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte,
+die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171).
+Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als
+hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer
+aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von
+roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die Meinung
+stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war,
+dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu
+werden sei. Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer
+Wahl ebenso dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war,
+erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie
+noch heutzutage ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem
+Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die
+Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk,
+die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als "Hirten"
+(Schawie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt
+sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner
+anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
+diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar
+an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet,
+aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die
+Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das
+phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation
+ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs ihre
+Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen Adelsfamilien
+sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte unmittelbare
+Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen Staat dort
+grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren zu
+koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika
+beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede
+freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den
+eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen
+die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem
+nach dortiger Art eine Menge Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig
+der Mauren, Bocchar, der, vom Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath
+(jetzt Mluia an der marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig
+der Massaesyler, Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte
+Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen
+Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der
+von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der
+heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der
+Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und
+Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er
+in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa
+- der Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von
+den Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte
+(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht
+um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen.
+Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft
+hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt.
+Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter,
+maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
+ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
+vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
+Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens
+als Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der
+schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande
+Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer
+ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar
+ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den
+Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern
+aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch
+bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt,
+ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es
+schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in
+ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie
+in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess.
+Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im
+sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz
+seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen
+einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und
+gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt
+worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
+Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer
+Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende
+Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und
+stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem
+einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere
+Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem Koenig
+untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte er die
+alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass sein Reich
+sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze erstreckte, das
+karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste und ueberall in
+naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen Zweifel,
+dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche Partei
+daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des
+Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch
+ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs,
+der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende
+Ackergueter hinterliess, fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig
+zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Buerger,
+verwandelte er seine Plunderhorden in Soldaten, die von Rom neben
+den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und hinterliess seinen
+Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes
+Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward
+die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein Hauptsitz der
+phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs eifrige
+und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete
+Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich
+dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen
+Staedte, wie Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein.
+Der Berber fing an, unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich,
+ja ueberlegen zu fuehlen; die karthagischen Gesandten mussten in Rom
+es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern
+gehoere. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig
+und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas
+ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa.
+In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der
+Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um
+so bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber
+ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen
+zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem
+bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte,
+durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als
+Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde,
+sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen
+machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
+an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
+Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine
+deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine
+weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des
+Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in
+mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit
+hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische
+Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist
+sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches
+Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen
+besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter
+allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie
+sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte.
+Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios' Schilderungen zu beziehen
+sein von dem bluehenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in
+Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und
+Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den praechtigen
+Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll
+"Gerstenwein". Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten,
+fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher
+als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die
+Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser
+Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei den
+Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach weit
+frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss
+gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen
+Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das
+sogenannte "Silber von Osca" (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst
+spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195)
+erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
+nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen
+Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und
+oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen
+Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben,
+dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so
+war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von
+zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei
+Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um
+600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und
+sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
+Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der
+Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn
+in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von
+den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste
+Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren
+gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von
+Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern
+wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein
+bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner
+bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
+und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig
+Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine
+keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem
+roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen
+Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde
+es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig
+es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die
+Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden
+Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der
+Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen,
+im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte:
+entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische
+Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte
+sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand
+zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu
+brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz
+in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon
+zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei den
+Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen aufgeregten
+Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten
+bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame
+Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an
+der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen
+Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der
+Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt
+wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer
+Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten
+bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt
+betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in
+starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe
+und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten
+denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden.
+Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier
+nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals
+Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als
+nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert,
+welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren gefuerchteten
+Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die roemischen Legionen
+zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich militaerisch zu disziplinieren
+und politisch zusammenzuschliessen, so haetten sie vielleicht der
+aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber ihre
+Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte
+ihr voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem
+ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die
+Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt,
+nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der
+roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war
+es dem roemischen Staatsmanne, ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um
+Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte
+er, da das einzige wirklich genuegende, eine umfassende latinische
+Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen Politik dieser Epoche
+zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. Das Gebiet, welches die
+Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel
+von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die
+zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und
+Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und
+Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten
+Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen-
+und Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr
+den beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen
+Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische
+Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen
+Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und
+dem spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet
+abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den
+Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich
+beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war
+indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem
+Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der
+Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner
+jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein
+roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr
+aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur
+Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der
+Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
+grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in
+groesserem Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend
+und infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte
+roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche
+Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen
+Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu
+halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der unruhigen,
+fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings
+unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich,
+sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an
+innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss
+fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch fuer den Herrn, und murrte
+laut ueber den verhassten spanischen Kriegsdienst. Waehrend die neuen
+Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die Gesamtabloesung der
+bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man
+ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. Den Kriegen
+selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur eine
+untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und
+waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit
+Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch
+nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine
+allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward
+hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig ueberwunden und selber
+erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl
+inzwischen der tuechtige Praetor Quintus Minucius ueber die erste Gefahr
+Herr geworden war, beschloss doch der Senat im Jahre 559 (195), den
+Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der
+Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige Spanien von den
+Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im inneren
+Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen
+Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in
+der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst
+mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige
+Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben
+so wenig ernstlich gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr
+des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das
+Geruecht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal
+sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei
+verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in
+der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der
+Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre
+Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste,
+wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu
+verstaendigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen
+widerspenstigen wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst
+vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. Diese
+energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg.
+Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der "friedlichen
+Provinz" ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen,
+und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz
+fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel
+563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich
+lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren
+musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189)
+^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius
+Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die Lusitaner erfocht,
+schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis
+dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber die keltiberischen
+Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus Fulvius Flaccus, der
+nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) wenigstens die
+naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch
+seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher
+mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische
+Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die
+Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte.
+Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu
+nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten
+Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die spanische Stadt
+Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem Freibeuterwesen
+ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen
+Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege
+regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger
+Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken,
+und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch
+manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein.
+----------------------------------------- ^2 Von diesem Statthalter
+ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der Naehe von Gibraltar
+aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten Kupfertafel zum
+Vorschein gekommen: "L. Aimilius, des Lucius Sohn, Imperator, hat
+verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und Plin. 3,
+1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser
+[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden
+und die Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner
+besitzen und haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben
+wird. Verhandelt im Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. "
+(L. Aimilius L. f. inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in
+turri Lascutana habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod
+ea tempestate posedisent, item possidere habereque iousit, dum poplus
+senatusque Romanus vellet. Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist
+dies die aelteste roemische Urkunde, die wir im Original besitzen, drei
+Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass der Konsuln des
+Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit.
+--------------------------------------- Das Verwaltungssystem der beiden
+spanischen Provinzen war dem sizilisch- sardinischen aehnlich, aber
+nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Haende
+zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 (197) ernannt
+wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive
+Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung des
+Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf
+zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden
+Zudrangs zu den hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der
+eifersuechtigen Ueberwachung der Beamtengewalt durch den Senat
+nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es blieb, soweit nicht in
+ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem
+fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen besonders
+unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die
+abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt
+der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien
+vielmehr von den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den
+einzelnen Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen
+Leistungen auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der
+Senat infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr
+583 (171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als
+gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter
+nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der
+eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht einseitig
+feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen,
+zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere
+Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward
+dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das
+Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den
+spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier
+keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch
+genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr
+der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst
+schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von Rom
+beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze
+griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum,
+Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen
+Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im
+ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie
+finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe,
+weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik der
+ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser
+beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
+Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren,
+selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3,
+welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung
+namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel
+mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die
+Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an
+Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in
+Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht
+loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs
+der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.
+------------------------------------------------- ^3 1. Makk. 8, 3: "Und
+Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande Hispanien, um
+Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst."
+------------------------------------------------- 8. Kapitel Die
+oestlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg Das Werk, welches
+Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein Jahrhundert zuvor,
+ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fussbreit
+Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher
+Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu hellenisieren,
+sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines hellenisch-asiatischen
+Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und Siedellust der
+griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und
+Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt
+fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich
+der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische
+Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen
+Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander und es
+stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst
+eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten
+Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und Aegypten, war
+Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort den
+Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es
+gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein
+gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der
+Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt,
+nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die
+Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen
+Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss
+ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil desselben:
+ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum Spercheios und
+der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel Euboea, die
+Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im
+Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion,
+Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land-
+und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen
+makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen
+Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, "die drei
+Fesseln der Hellenen". Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem
+Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses
+weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller Kraefte
+vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als ein
+gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es ist
+unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von der
+durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall hervorgebrachten
+Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen Griechenland
+die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und dort,
+da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert
+schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere
+mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb,
+waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen unter die dichte
+einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente aussaeen und ihre
+Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft
+dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genuegte, um den Nationen
+die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister zu liefern, und
+viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen Schlages
+auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen
+Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet,
+aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die
+Zuversicht, mit der die Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall
+wo sie im Osten auftreten, als ein besserer Schlag sich geben und
+genommen werden, und die ueberlegene Rolle, welche sie deswegen an
+den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die Erzaehlung ist
+bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in Makedonien gelebt
+und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in
+seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner
+gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte
+Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und
+geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier
+der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische
+Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
+keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt
+sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind,
+wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und
+die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten
+Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines
+dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare
+grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion
+gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu
+unvergaenglicher Ehre. Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war
+nichts als das oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien,
+das Reich des "Koenigs der Koenige", wie sein Herr sich, bezeichnend
+fuer seine Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit
+denselben Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und
+mit derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder
+abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien
+griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich
+der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze Nordkueste
+und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden
+einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen,
+von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und
+die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem
+Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und
+Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel
+gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die
+Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet bestellt war.
+Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen, die Aegypter
+aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in dem Grenzhader mit den
+oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den
+zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig gewordenen Kelten, in den
+bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen der oestlichen
+Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den
+Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem
+der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche
+die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt,
+allein die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als
+anderswo, weil sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu
+der Abtrennung einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu
+fuehren pflegten. Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten
+ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst
+der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen
+und religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft
+begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder
+Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte. Sehr
+verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf ihrem
+Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten
+das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese
+Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in Makedonien
+und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat laehmte,
+waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste Ptolemaeos
+und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst brauchbar
+erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden
+grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach
+Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte.
+Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander
+seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als unmittelbare
+Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten und lauter
+oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht her-, so doch
+wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine Weltmonarchie zu
+gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung getraeumt; dafuer aber
+zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem Mittelmeer von den
+phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten zu dem
+ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen
+Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass
+Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos
+Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils
+hierdurch, teils durch die guenstige geographische Lage kam Aegypten
+den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine vortreffliche
+militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. Waehrend der
+Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande war, das ringsum
+fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich zu bedrohen,
+konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich
+festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
+phoenikisch- syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von
+Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch
+die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren
+Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen
+ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie
+einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner
+auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente
+Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster
+Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
+diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen
+und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte
+nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den
+Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten,
+sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und
+grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen
+Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur
+Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes.
+Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische
+Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu
+fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in
+ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet
+Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen
+unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister
+Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten.
+Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem
+Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer
+monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen
+Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter
+hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes
+und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten,
+waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander
+rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren
+gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten oder
+doch haetten zusammenhalten sollen. Unter den Staaten zweiten Ranges ist
+fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem Westen zunaechst nur mittelbar
+von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom suedlichen Ende des
+Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere und die
+Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan
+suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im
+kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am
+suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des
+grossen Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens
+altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene
+namentlich die rechte Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der
+selbst Alexanders Zug spurlos voruebergebraust war, und alle auch
+in derselben zeitweiligen und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der
+griechischen Dynastie, die in Asien an die Stelle der Grosskoenige
+getreten war oder sein wollte. Von groesserer Wichtigkeit fuer die
+allgemeinen Verhaeltnisse ist der Keltenstaat in dem kleinasiatischen
+Binnenland. Hier mitten inne zwischen Bithynien, Paphlagonien,
+Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische Voelkerschaften, die
+Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig gemacht, ohne darum
+weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer Verfassung und
+ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem
+der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem
+Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und
+traten auf der "heiligen Staette" (Drunemetum) namentlich zur Faellung
+von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den
+Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und
+die Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
+unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten,
+teils die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten
+oder brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der
+allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der
+asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische Heer
+von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I. Soter
+sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) zuletzt
+selber zur Zinszahlung sich verstanden. Dem kuehnen und gluecklichen
+Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Buerger
+von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den Koenigstitel
+empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war im
+kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung
+der materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an
+der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nuechterne
+Kabinettspolitik, deren wesentlicher Zweck war, teils die Macht der
+beiden gefaehrlichen festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen
+selbstaendigen Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der
+wohlgefuellte Schatz trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen
+Herren bei; sie schossen den syrischen Koenigen bedeutende Summen vor,
+deren Rueckzahlung spaeter unter den roemischen Friedensbedingungen eine
+Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege,
+wie zum Beispiel Aegina, das die verbuendeten Roemer und Aetoler im
+letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen
+hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente
+(51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und
+des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom
+staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich
+mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de'
+Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann,
+und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
+Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr
+ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. In dem
+europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen
+an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra
+roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar
+makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik
+zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen,
+die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achaeer,
+Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen waren die
+Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher Weise eng
+an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie der von den
+Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch makedonischen Schutz
+zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren
+Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer mag
+als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten
+zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader
+Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die
+Bewerber um die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung
+war, dass sie sich verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem
+Auslaender, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. Die Athener
+pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu werden und
+standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren voellig
+machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese
+unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von
+Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. Nachhaltiger war die Macht der
+aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige Nordgriechentum war
+hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste Zucht- und
+Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann
+gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als
+Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen
+Griechen, dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung,
+eher koenne man Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz
+aus ihrem Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von
+grossem Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte
+Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der
+achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen
+den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten.
+Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des
+eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung,
+Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten
+Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit
+derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch
+Aratos' diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch
+die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung
+makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so
+vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der Landschaft
+seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jaehrlich Philippos
+der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren Staaten im
+Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, namentlich
+durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen
+Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und
+antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten.
+Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische
+Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen
+Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden
+und fahrenden Soeldner, denen er nicht bloss die Haeuser und Aecker,
+sondern auch die Frauen und Kinder der Buerger ueberwies, und unterhielt
+emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine Assoziation zum Seeraub
+auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen Soeldner- und
+Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften besass.
+Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea
+waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam
+verhasst; aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der
+Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von
+Messene zu setzen. Endlich die unabhaengigste Stellung unter den
+Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstaedte an dem
+europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der ganzen kleinasiatischen
+Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich
+die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen
+Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode
+wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel
+auch zu einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem
+Landgebiet gelangt waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich
+und maechtig durch die Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem
+Schwarzen Meer; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt
+und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon,
+und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach
+Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren
+durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des
+Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige
+Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut
+der Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller
+gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu
+vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die
+Byzantier mit den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit
+im Bosporos zu gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten
+das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich
+dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen
+Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten
+ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten
+hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten
+standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung
+bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten
+ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich
+der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
+Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den
+Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige
+gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos,
+Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr.
+Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren
+nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu
+erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten;
+gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald
+energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren
+die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
+nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben
+durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen
+Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre
+nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit
+der Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die
+Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten
+oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser
+eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa,
+sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen
+verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen
+die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum
+die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn
+und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier Kunst und
+Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten oder von
+der Hofluft korrumpiert zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als
+die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und
+die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst
+wurden, in die Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah
+und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 214- 205) verlief, ist
+zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im
+Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem geschah,
+was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte
+wieder einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines
+verderblicher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der
+Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indes eine unbedeutende
+Natur war er nicht. Er war ein rechter Koenig, in dem besten und dem
+schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte Gefuehl, selbst und allein
+zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war stolz auf seinen
+Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies
+nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn,
+sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen
+Angelegenheiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward.
+Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben
+die faehigsten und gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und
+Scipio; er war ein guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht
+bloss durch seinen Rang gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der
+uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter
+erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die
+Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen
+sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die
+Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben
+seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
+verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos
+durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu
+befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den
+Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass
+ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes
+Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den
+Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
+und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein
+Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur
+Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten
+Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann niemand
+ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und
+Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert,
+dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward
+und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und
+Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen
+Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt
+haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des Ersten
+Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen
+- vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die
+nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
+Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und
+Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein
+spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen
+Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte. Philippos schloss den Vertrag
+mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) in der ernsten
+Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich kuenftig
+ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet
+keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah;
+es kann auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische
+Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im stillen das letzte
+karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein sowohl die
+weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einliess,
+als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das voellige
+Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch
+nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos
+keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor
+haette tun sollen. Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite
+gewendet. Ptolemaeos Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben.
+Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind,
+hatten die Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos
+sich vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen
+den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte
+aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und
+die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos' Art, der ueber
+solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss
+ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, "eben wie die grossen Fische
+die kleinen auffressen". Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig
+gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
+naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
+Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos
+auf diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo
+Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine
+von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an
+Bord nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward
+Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu
+Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit
+den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit
+Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert.
+Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig
+Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half
+Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen.
+Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und
+dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
+Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu
+besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische
+Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die
+Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren
+Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig vereitelt
+worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen die
+Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich
+konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische
+Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit
+dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
+nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte,
+dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen
+Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle.
+Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios;
+man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos,
+ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr
+zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln
+einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und
+erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
+hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos' persoenlicher und
+politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der
+aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der
+seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er
+selbst vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich
+begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit
+zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zurueckzulassen.
+Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um sich mit
+seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die
+rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht
+in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war
+geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus
+und Philippos' Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er
+endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel,
+wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 Soldaten
+kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den
+Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel.
+Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von seiner Flotte
+abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei Erythrae
+auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen
+Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden
+hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte,
+waehrend Attalos' Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig
+bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb,
+seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die
+karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten die
+Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen
+Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel
+Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich
+zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
+waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen,
+besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos
+die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland
+die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen
+Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht
+vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken,
+so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken
+koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und
+Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa;
+aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der
+Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu
+geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte
+den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in
+der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und
+die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang.
+Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos
+musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte,
+und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging
+allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der Zwischenzeit hatten
+die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des Attalos wieder
+an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden ueberlegen waren. Es
+schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug abschneiden und
+ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch die
+Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler
+und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die
+Gefahr; er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina,
+um Pergamon in Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um
+Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und
+einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang
+es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer
+bewachten, gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor
+dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. In der Tat zog sich gegen
+Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht laenger
+gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. Die
+Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre
+Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese
+Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie
+nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten
+sich zu unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren
+Urteil fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass
+Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die
+Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika
+und in Griechenland ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich
+gefaehrlich fuer Rom war Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings
+nicht gering und es ist augenscheinlich, dass der roemische Senat den
+Frieden von 548/49 (206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess,
+nur ungern gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor
+Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe
+und doch nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit
+welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl
+eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in
+Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm
+zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
+freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch
+nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen
+Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer
+Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der
+gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der
+Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen,
+der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber
+jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
+549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
+unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des
+kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
+neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte.
+Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
+Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel
+tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig
+zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden
+grossen Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen
+Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies
+die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn
+schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten
+vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm ueber
+alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner,
+Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass dieser Schutz
+sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in dieser Zeit
+die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und wenig
+ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern
+das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und
+Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich
+empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen,
+kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege
+gegen Philippos zu bestimmen, einem der gerechtesten, die die Stadt je
+gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich
+entschloss und sich weder durch die Erschoepfung des Staates noch durch
+die Impopularitaet einer solchen Kriegserklaerung abhalten liess, seine
+Anstalten zu treffen - schon 553 (201) erschien der Propraetor Marcus
+Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von 38 Segeln in der
+oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen
+ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk
+gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu
+einsichtig gewesen waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in
+Philippos' Art gering zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos
+nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewaehrt haben sollte, war
+offenbar nicht erweislich. Die roemischen Untertanen in der illyrischen
+Landschaft beschwerten sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die
+makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter
+an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos' Scharen aus dem
+illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten
+des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn
+frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben
+nichts als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine
+Nachbarn uebte; eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen
+Augenblick zur Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt.
+Mit den saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die
+roemische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen
+Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und
+Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe
+zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn
+auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die
+Vormundschaft ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch
+auch nicht eben sich beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer
+roemischer Intervention zwar die augenblickliche Bedraengnis zu
+beendigen, aber zugleich der grossen westlichen Macht das Ostmeer zu
+oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst
+in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit
+Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um so
+mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens
+in die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb
+nichts uebrig, als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten
+abzuordnen, um teils von Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach
+nicht schwer war, dass es die Einmischung der Roemer in die griechischen
+Angelegenheiten geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu
+beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, teils endlich den
+Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der
+griechisch- asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553
+201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der
+Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus
+aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als "Vormund des
+Koenigs" dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche
+Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp
+nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche
+sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt
+durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien nicht intervenieren zu
+wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und liess die Dinge in
+Griechenland und Kleinasien gehen. Darueber war das Fruehjahr 554 (200)
+herangekommen, und der Krieg hatte aufs neue begonnen. Philippos
+warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die saemtlichen
+Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos besetzte;
+er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen Landung
+gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an,
+an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz
+von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere
+Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte
+der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese
+beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das schwaechere makedonische
+Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos beschraenkte zur
+See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros,
+Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier
+gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter
+ueber bei Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich
+die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess.
+Es waere wohl moeglich gewesen, den Abydenern, die sich heldenmuetig
+verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein die Verbuendeten ruehrten
+sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle
+Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der Kapitulation ein
+grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, der Gnade
+des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist
+gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf
+die roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in
+Syrien und Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet
+hatte, mit dem Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat
+erhaltenen Auftraege: der Koenig solle gegen keinen griechischen Staat
+einen Angriffskrieg fuehren, die dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen
+zurueckgeben und wegen der den Pergamenern und Rhodiern zugefuegten
+Schaedigung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des
+Senats, den Koenig zur foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward
+nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom
+Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schoenen
+roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte
+zugute halten wolle. Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte
+Veranlassung von einer anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten
+in ihrer albernen und grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen
+hinrichten lassen, weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien
+verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von
+Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser
+das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und
+gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und
+mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika
+einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern
+es liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die
+drohenden Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten
+sofort seine Truppen den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es
+war zu spaet. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den
+Angriff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und
+aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm
+bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen
+Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische Gebiet
+zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. Der Senat
+hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die
+Kriegserklaerung "wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten Staat"
+vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast einstimmig
+verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten ueber
+den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war
+einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der
+Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward
+durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist
+bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der
+Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen
+Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen
+- die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien,
+zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
+Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber
+entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg
+aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand,
+meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst
+555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von Apollonia
+hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von
+denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium
+nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem Konsul Publius
+Sulpicius Galba. So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt,
+dass fuer die weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom
+durch seine Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen
+mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen
+schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen
+in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch
+notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der
+latinischen Bundesgenossen fuehrte. Philippos' Lage war sehr uebel.
+Die oestlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms haetten
+zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden auch vielleicht
+zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine Schuld so
+untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder
+nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps
+natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt
+worden und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und
+den syrischen Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein
+dringendes Interesse daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern
+blieb; selbst jetzt noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom
+sehr deutlich zu verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den
+Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der
+zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber
+Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme
+und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in
+die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
+Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter
+gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos,
+Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel
+das Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber
+Philippos' grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu
+einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung
+wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln. Im
+eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort eine
+zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls
+vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei,
+den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette Philippos die
+letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 (206) in
+ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aufgeheilten
+Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die
+wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen
+thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des
+phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die
+Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei
+den Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie
+zauderten, sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund
+wohl hauptsaechlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und
+den Roemern. Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das
+makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten,
+Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter
+unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die
+roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig
+der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den
+Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils
+viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
+Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens
+(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen
+regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich
+selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos' Zeit, blind
+der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische
+Eidgenossenschaft, die von Philippos' Vergroesserungssucht weder
+Nutzen noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom
+unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff,
+was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit
+den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und
+begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern
+zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
+einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
+Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen;
+die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste
+Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen -
+es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht
+aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. Im Herbst des
+Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit seinen
+beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten,
+die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche
+Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte.
+Indes teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung
+des roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts
+weiter vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die
+naechstliegenden Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie
+Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward
+mit den noerdlichen Barbaren, namentlich mit Pleuratos, dem damaligen
+Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich
+eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff
+auf Makedonien verabredet. Wichtiger waren die Unternehmungen der
+roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zaehlte.
+Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den Winter Station
+nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem
+Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento
+indes die attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen
+Besatzung und die makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand,
+segelte er weiter und erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea,
+dem Hauptwaffenplatz Philipps in Griechenland, wo die Magazine, die
+Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Kommandant
+Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff erwartete. Die
+unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, die
+Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an
+Truppen, um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem
+ueberfall brach Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von
+Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis, und da er hier nichts von dem
+Feind mehr fand als die Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit
+Gleichem zu vergelten. Allein die Ueberrumpelung misslang und auch
+der Sturm war vergeblich, so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das
+Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her
+zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in
+Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich
+gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen;
+und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus
+sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung
+der Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen
+und nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem
+Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem
+Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der
+kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen
+Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen:
+in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in
+oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der
+Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
+sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme
+am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge,
+die der Apsos (jetzt Beratino) durchschneidet, ueberschritten hatte und
+durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an
+die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese
+uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm
+entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevoelkerten
+Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich,
+bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren
+aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen Landesgrenze
+aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager schlugen.
+Philippos' Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der noerdlichen
+Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuss
+und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die
+Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend
+und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt
+erhielten, waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten,
+dass diese es nicht wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu
+zerstreuen. Der Konsul bot die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig
+versagte sie beharrlich und die Gefechte zwischen den leichten Truppen,
+wenn auch die Roemer darin einige Vorteile erfochten, aenderten in
+der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, sein Lager abzubrechen und
+anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von
+wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier
+wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der
+Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe
+kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit
+vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der
+Koenig selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung
+eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage
+befreite die Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten
+Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der
+makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet
+moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer
+und andere Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht,
+ausser den Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer,
+womit er selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen,
+und ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der
+pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der
+Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete Verwuestung
+der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine
+Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos und
+der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte
+Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte
+Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich
+dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen
+vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier
+die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und die roemische Flotte
+unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in den oestlichen
+Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der
+Istrier sich mit ihr vereinigten. Philippos gab hiernach freiwillig
+seine Stellung auf und wich in oestlicher Richtung zurueck: ob es
+geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der Aetoler
+zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins Verderben
+zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu
+tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug
+so geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu
+folgen, seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass,
+der die Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen
+zu erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen
+einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten
+Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich
+unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier
+wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute.
+Indes wenn auch Philippos' Heer nach diesem ungluecklichen Treffen nicht
+laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu wehren, so
+scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land,
+weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck
+nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens
+Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt
+von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem
+gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war die einzige
+makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im illyrischen
+Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen Zufluessen
+des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem aehnlichen Zug
+kuenftig als Basis zu dienen. Philippos stoerte die roemische Hauptarmee
+auf ihrem Rueckzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen
+die Aetoler und Athamanen, die in der Meinung, dass die Legionen
+den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des Peneios furcht- und
+ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und noetigte, was
+nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, retten.
+Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen,
+die in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die
+Streitkraft der Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner
+wurden von dem Fuehrer der leichten Truppen Philipps, Athenagoras,
+ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber die Berge zurueckgejagt.
+Die roemische Flotte richtete auch nicht viel aus; sie vertrieb die
+makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und Skiathos heim
+und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber die
+makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des
+Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die
+entschlossene Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert
+ward. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig
+bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen.
+Fruehzeitig gingen diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem
+Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat. Im
+ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich
+Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst
+beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling
+aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler
+und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea haette
+von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet
+wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck
+verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet vom
+Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich vergeblichen,
+Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze gelegene und
+die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern zu
+entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den
+Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte
+er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke
+dieser sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte
+einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von den Roemern
+militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich nicht, den
+Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten Gesandte, die
+in der Tat es erreichten, dass Attalos' Gebiet geraeumt ward. Von daher
+hatte Philippos nichts zu hoffen. Indes der glueckliche Ausgang des
+letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder Uebermut so gehoben, dass,
+nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der Treue der Makedonier
+sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des verabscheuten
+Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten Fruehling
+556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische
+Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos (Viosa)
+zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohlverschanztes
+Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue
+Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul
+des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198)
+der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl
+fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann,
+gehoerte zu der juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen
+Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing
+und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an sich und an das
+Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und besserer Diplomat, war
+er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der schwierigen griechischen
+Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere es vielleicht fuer
+Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf einen minder
+von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein Feldherr
+dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen
+noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit
+der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und
+kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst
+behandelt, den Roemern aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen
+nachzustreben. Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig
+sogleich eine Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich
+gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich,
+alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen
+Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu
+unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
+namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen.
+Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass
+Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den
+Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige
+Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die
+Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten
+Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten
+auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300
+Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie alsdann
+der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
+Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden
+roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und
+Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass
+Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab
+er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht
+verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die
+Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils durch diese Erfolge der
+roemischen Waffen, teils durch Flamininus' geschickte Milde bestimmt,
+traten zunaechst die Epeiroten vom makedonischen Buendnis ab. In
+Thessalien waren auf die erste Nachricht vom Siege der Roemer sogleich
+die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die Roemer folgten bald; das
+platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die festen Staedte, die gut
+makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstuetzung empfingen,
+fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem
+ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo
+in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese
+thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit
+ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition. Dagegen war der
+Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der
+makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung unterhielten,
+und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in
+makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu
+spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst
+Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte,
+die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen
+hatte, war bisher damit beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf
+Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen;
+worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem
+makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt
+wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem
+oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von
+der anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die
+Landschaft, in der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt;
+diese Gegend, namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum
+Winterquartier ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die
+roemischen Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte
+schon an ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich
+ehrenwerte, aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die
+Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme,
+Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss
+dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und
+andere Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die
+Truppen der Achaeer vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte
+und eilten, Korinth zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die
+Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren
+Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die makedonische
+Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus italischen
+Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare
+Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung
+von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das
+Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch
+gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn
+solcher Hingebung war, dass der Koenig die treuen Argeier der
+Schreckensherrschaft des Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den
+bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der
+Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er
+war hauptsaechlich nur deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil
+er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem
+Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos' Angelegenheiten standen
+zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu
+schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an,
+allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus,
+welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg
+begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den
+Spartanern und Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate
+vermittelte. So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals,
+um womoeglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz,
+die in Nikaea am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der
+Koenig persoenlich und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung
+zu gelangen, indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit
+Stolz und Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die
+Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche
+Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um
+durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen
+die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten
+gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht
+ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen
+Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand
+zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen
+Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle seine
+auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos' Gesandte
+in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie Vollmacht
+haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und
+Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort
+die Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des
+Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so
+nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das
+Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende Verstaerkung, und die
+beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius
+wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu stellen. Auch Philippos
+entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu
+sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Boeoter
+gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf
+6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des
+erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die
+Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000
+makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So begann der vierte
+Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der Flotte gegen die
+Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland
+bemaechtigte er sich durch List der boeotischen Hauptstadt Thebae,
+wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen Makedonien
+wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die
+Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er
+sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen
+Schwierigkeiten der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und
+grossenteils oeden Lande, die schon oft die Operationen gehemmt hatten,
+sollte jetzt die Flotte beseitigen, indem sie das Heer laengs der Kueste
+begleitete und ihm die aus Afrika, Sizilien und Sardinien gesandten
+Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung kam frueher, als Flamininus
+gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und zuversichtlich wie er war,
+konnte es nicht aushalten, den Feind an der makedonischen Grenze zu
+erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rueckte
+er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm
+entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen.
+Beide Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege
+der Apolloniaten und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser,
+besonders aber durch einen ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt
+worden war, zaehlten ungefaehr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000
+Mann; doch waren die Roemer an Reiterei dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts
+Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf waehrend eines trueben
+Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den feindlichen, der
+einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen Huegel, die
+Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene,
+erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen
+und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun
+ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck.
+Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer
+gesamten Reiterei und dem groessten Teil der leichten Infantrie; die
+Roemer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit grossem
+Verlust bis hart an ihr Lager zurueckgejagt und haetten sich voellig zur
+Flucht gewandt, wenn nicht die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf
+so lange hingehalten haetten, bis Flamininus die schnell geordneten
+Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die
+Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig nach und
+ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder
+Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den
+Huegel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war.
+Der rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam
+frueh genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung
+zu stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten
+Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel
+heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der
+Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem
+linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte
+der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten
+Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig
+die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die
+Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der
+Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke Fluegel der
+Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel liess Nikanor,
+als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der Phalanx
+schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und waehrend die
+ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten Fluegel
+folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen,
+gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der
+Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen
+linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen,
+vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend hier ein
+fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener roemischer
+Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen auf
+den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken
+verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
+Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos
+und mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen
+Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils
+gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene,
+weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das
+Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der Sieger war
+gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere
+verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte er Thessalien
+und ging in seine Heimat zurueck. Gleichzeitig mit dieser grossen
+Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nachteile auf allen
+Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen die rhodischen
+Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen dasselbe, sich
+in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward von
+Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das
+akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos
+war vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen,
+ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. Es
+lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren:
+sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich
+Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies
+Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess
+das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten
+niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das
+bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern
+gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft.
+Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der
+griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu
+bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen
+Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
+hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso
+sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl
+verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der "Sieger von
+Kynoskephalae", wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es
+nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie
+ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein
+Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen
+Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf
+die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus
+gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter
+seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt,
+den Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
+hinauszuschlagen. Die definitive Regulierung der verwickelten
+griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn
+Personen uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war.
+Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago
+gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in
+Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen
+Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf
+einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei
+erklaert ward - eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich
+fiel, allein die die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da
+bei seinem Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber
+einmal von ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde
+ferner verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms
+abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner nicht
+ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt gegen
+roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber 5000 Mann,
+keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu unterhalten, die
+uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den
+Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu
+senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den
+Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von
+1000 Talenten (1700000 Taler). Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger
+politischer Nullitaet herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen
+war, als es bedurfte, um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu
+hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen
+zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass
+ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die
+ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen
+hatten, nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch
+ihre Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
+Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren;
+und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu
+den Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196).
+Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein
+verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der
+Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die
+Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1.
+--------------------------------------------------- ^1 Wir haben
+noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift "T.
+Quincti(us)", unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in
+Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist
+eine bezeichnende Artigkeit.
+---------------------------------------------------- Ausgenommen waren
+von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften oestlich
+von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, fielen und
+diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land-
+und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen
+Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften
+im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm
+liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer
+seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und
+Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre
+karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb,
+versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt
+durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den verschiedenen
+Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch
+am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
+scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter
+allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen
+Besitzungen Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich
+Korinth, wurden ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte
+man wenig Umstaende; sie durften die phokischen und lokrischen Staedte
+in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch
+auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden
+zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die thessalischen
+Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften
+geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos
+und Lemnos, der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute.
+Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse
+Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten
+in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern
+und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den
+Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis
+zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm
+ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb
+Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
+Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer
+und auf Antiochos' Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung
+von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf
+einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit
+der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter
+auch einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung
+lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta,
+Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner
+durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken,
+wurden nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit
+Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst
+umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht.
+Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter
+5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein
+vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der
+ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
+befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen
+Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm
+gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen,
+verwarf "das Volk", das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte
+Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege
+fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit
+der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler und der
+Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden, und der
+Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu
+einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern erstiegen,
+als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur
+Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein
+Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen,
+die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde
+beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis
+selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswaertigen
+Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte und ueberdies
+noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder auswaertige
+Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine anderen
+Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut wieder
+abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine Kriegskontribution
+zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte an der
+lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im
+Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der "freien
+Lakonen" nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr
+Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen
+angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen
+verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider deren Willen
+in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch
+diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren
+dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefuerchteten
+und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der Emigrierten und die
+Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet.
+Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass Flamininus diese
+schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es
+moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische
+Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung
+zwischen den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas
+in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer
+gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der
+Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten und die vollstaendige
+Restauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments wuerde nur
+ein Schreckensregiment an die Stelle eines anderen gesetzt haben; der
+Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide
+extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich
+gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte
+und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde
+unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den
+Nabis kannte und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche
+Beseitigung war, davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und
+nicht durch unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen
+Eindruck seiner Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies
+an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen
+Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste
+Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig
+wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu
+fuerchten. Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen
+griechischen Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren
+Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen
+Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung
+selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus Griechenland
+offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos'
+Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward
+der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas,
+zum Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst
+Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser
+Geduld: indes die roemisch gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem
+Abzug der Roemer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und
+Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten,
+sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf
+die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern
+auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten
+auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg;
+Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten
+auf, und da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden
+Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich
+auf Bitten; in der Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer
+und Athener gegen eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und
+obwohl die makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft
+am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts
+entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland
+begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging,
+auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden
+einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren
+und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
+staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde
+nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der
+betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu
+knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus
+versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen
+griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem
+Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige
+Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die
+waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden
+waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
+Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis
+nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth,
+also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von
+Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den
+saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die
+Heimat. Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
+Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
+Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb
+der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte,
+einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen
+Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine
+maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre
+Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren Interessen
+zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur vollen Freiheit
+fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von fremder Schatzung
+und fremder Besatzung und die unbeschraenkte Selbstregierung verlieh;
+bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung.
+Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung Griechenlands
+moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und
+vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen
+Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie
+alle und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken
+des Senats ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die
+Erbaermlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen
+Umfang zu erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in
+sich und gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu
+handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner
+gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig,
+dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort
+und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu
+machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren
+Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein
+wuerde. In Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord,
+wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen
+hatte, die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den
+roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher
+Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen
+dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne
+den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere
+ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den
+Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen.
+Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten
+Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. 9. Kapitel Der
+Krieg gegen Antiochos von Asien In dem Reiche Asien trug das Diadem der
+Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der Koenig Antiochos der Dritte, der
+Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er war gleich Philippos
+mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und
+Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten
+entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu
+heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des
+aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm
+gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen
+und zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den
+von Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat
+wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich
+entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im
+Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig
+zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit
+Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn auch
+ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549 205)
+schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu machen;
+Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte sich
+auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen Staedte
+angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen Augenblick,
+als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache
+machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich
+brachten. Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung
+der Roemer in die Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie
+zurueckzuweisen, glaubte Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren,
+wenn er Philippos' leicht vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die
+Roemer dazu nutzte, um das Aegyptische Reich, das er mit Philippos
+hatte teilen wollen, nun fuer sich allein zu gewinnen. Trotz der engen
+Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen Hof und dem koeniglichen
+Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, wirklich, wie er
+sich nannte, dessen "Beschuetzer" zu sein; fest entschlossen, sich um
+die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall
+zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des
+Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig
+machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt
+als getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein;
+dagegen ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach
+der andern zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die
+syrischen und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre
+556 (198) am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen
+Feldherrn Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz
+dieses Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern
+schreckte die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass
+dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich
+zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der
+Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also
+das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr,
+dem der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von
+100 Deck- und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals
+aegyptischen Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in
+Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese
+Distrikte, die faktisch in Philippos' Haenden waren, im Frieden an
+Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen
+Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die
+kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich
+sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. Dieses Beginnen
+war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an Philippos
+die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien
+wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den
+Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an
+Philippos' Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten.
+Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos
+durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum
+Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich suchten sie die
+Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben beendigten zu verwickeln.
+Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern militaerische Hilfe
+begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, waehrend Attalos'
+Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. Die energischeren
+Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557
+(197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass
+sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der lykischen
+Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich
+hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende
+Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und
+die wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner
+die Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den
+halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt,
+allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna,
+Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der
+Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu
+widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen
+der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
+ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten,
+schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen
+Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer
+sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen,
+doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten insofern alle
+Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu willfahren und in
+Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich dazu wenig
+geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg
+waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer
+Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch
+nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos
+und Philippos in Haenden gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz
+genommen werden, und die Freiheit der asiatischen Staedte Myrina,
+Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den roemischen Aktenstuecken,
+allein man tat nicht das Geringste, um sie durchzusetzen und liess es
+geschehen, dass Koenig Antiochos die gute Gelegenheit des Abzugs der
+makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um die seinigen
+hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in
+Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen
+Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm
+und laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren
+und die Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu
+seinem Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie
+Thrakien ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung
+dieser Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an
+den Koenig Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets
+und von der Freiheit der saemtlichen Hellenen redeten; allein es
+kam dabei nichts heraus. Der Koenig redete wiederum von seinen
+unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von seinem Ahnherrn Seleukos
+eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, dass er nicht
+beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet seines
+angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in
+seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien
+ab. Mit Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede
+geschlossen sei und es den Roemern insofern an einem formellen Grund
+fehle zu intervenieren ^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach
+Asien, veranlasst durch die falsche Nachricht von dem Tode des jungen
+Koenigs von Aegypten und die dadurch hervorgerufenen Projekte einer
+Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, beendigte die Konferenzen,
+ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, geschweige denn zu einem
+Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos
+wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und
+beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er
+seinem Sohne Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von
+Karthago hatte landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle
+Empfang, der ihm zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung
+gegen Rom. Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus
+saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies
+unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit,
+wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen;
+denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur
+den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas
+ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
+Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten.
+Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden
+Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen
+und jede Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten
+fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in
+Griechenland, der schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen
+des erbitterten Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen
+gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche
+Anzeichen des Herannahens einer neuen Schilderhebung des hellenischen
+Ostens, deren Ziel mindestens sein musste, Griechenland aus der
+roemischen Klientel in die der antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen
+und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich weiter gesteckt
+haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen
+konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend,
+aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den
+Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
+nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig
+und vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen
+Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen
+die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte.
+------------------------------------------------------ ^1 Nach einem
+kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, S. 95)
+schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den
+roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und
+dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden
+moege (op/o/s symperil/e/phth/o/men [en tais synth/e/kais] tais
+genomenais R/o/maiois pros ton [basilea]), welche der Senat, wenigstens
+nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im
+uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten
+dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die
+Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber
+den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
+Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
+Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und
+positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich
+bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um
+Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den
+Gesandten erteilten. Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss
+auf die troische Legende zurueckgehende "Bruederschaft" der Lampsakener
+und der Roemer und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung
+der Bundesgenossen und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den
+Lampsakenern durch die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren.
+^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der
+syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198)
+setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian
+(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561
+(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die
+aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene war.
+----------------------------------------------------- Antiochos
+nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn die
+Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu
+dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der
+Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig
+von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich
+seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen
+versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits behauptet, allein
+wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb faktisch das Land bei
+dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im Jahre 557 (197)
+seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, die
+Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner
+Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle.
+Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien
+und gewann die Galater durch Geschenke, waehrend er die stets
+aufruehrerischen Pisidier und andere kleine Voelkerschaften mit den
+Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden ausgedehnte Privilegien bewilligt;
+in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte erklaerte der Koenig, dass
+er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos,
+zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen wolle mit einer
+bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar
+zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu
+unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und
+hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt
+ein Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von
+Antiochos eine Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu
+Fuss und 1000 Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten
+Punischen und sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg
+erwecken sollte; tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die
+Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der
+spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf
+ihrem Hoehepunkt stand. ------------------------------------------
+^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
+Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai)
+irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden
+wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach
+Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel
+geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil
+die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war;
+und eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit.
+------------------------------------------- Waehrend also von langer
+Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom vorbereitet ward, waren
+es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten Hellenen, die am
+wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten taten. Die
+erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu
+glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden
+worden sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in
+Griechenland einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die
+Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe
+eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen Rom begehrte: die werde er
+selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische Heer am Tiber lagern werde.
+Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des syrischen Koenigs
+fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem Koenig
+vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten
+Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren
+wollten, dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war.
+So gelang es ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum
+Losschlagen zu bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer
+zwei Jahre nach Flamininus' Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder
+anzufachen; allein sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf
+Gythion, eine der durch den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen
+Staedte der freien Lakonen und nahm sie ein, allein der kriegserfahrene
+Strateg, der Achaeer Philopoemen, schlug ihn an den Barbosthenischen
+Bergen und kaum den vierten Teil seines Heeres brachte der Tyrann wieder
+in seine Hauptstadt zurueck, in der Philopoemen ihn einschloss. Da
+ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um Antiochos nach Europa
+zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den Besitz von
+Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser
+wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst
+gedachte man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler
+Alexamenos, unter dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit
+1000 Mann in die Stadt einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus
+dem Wege raeume und die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei
+einer Heerschau erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt
+zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu
+sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt
+liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen
+Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also
+verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den
+entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den
+Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig
+besser, indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die
+chalkidischen Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von
+Eretria und Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte
+die Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen
+war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem
+Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei;
+es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem
+Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
+gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen
+wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf
+die Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden
+geltend zu machen. Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so
+sehr man auch bemueht war, ihn durch das diplomatische Palliativ der
+Gesandtschaften hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden.
+Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat
+in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen
+die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum
+ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem
+Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
+der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen
+zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz
+und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch
+einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius
+und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man
+sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht
+mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im
+Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte von 30 Segeln mit
+3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus vor Gythion, wo
+ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den Achaeern und
+Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste wurde
+stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein;
+fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet.
+Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192)
+Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu hintertreiben und
+soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands wiedergutzumachen.
+Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass die Tagsatzung
+foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang es dem
+Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine Besatzung
+von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner einen
+Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn
+auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des
+grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er
+durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die
+Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch
+die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland zwei Jahre zuvor
+aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und Truppen zusammen, die
+er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 Deckschiffe und 10000
+Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und brach vom
+thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 (192)
+bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das
+nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein
+roemisches Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei
+Apollonia. Also war von beiden Seiten der Krieg begonnen. Es kam darauf
+an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als deren
+Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan
+betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so
+traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine
+grossartigen und hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und
+niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung
+geschah nichts, als dass man einige karthagische Patrioten
+kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als sich den
+Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte eben
+den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und
+nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel
+den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des
+Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang
+es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf
+seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu
+beherrschen war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen
+Gedanken zu bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann
+duerfe verdunkeln lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den
+Phoeniker kuenftig nur fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu
+verwenden, vorbehaltlich natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal
+raechte sich an dem Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden
+glaenzend ausfuehrte. In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig;
+dagegen trat Prusias von Bithynien wie immer auf die Seite des
+Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der alten Politik seines Hauses
+getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen sollte. Er hatte
+Antiochos' Anerbietungen nicht bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern
+auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, von dem er die
+Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier
+und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat
+auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an,
+welche man indes roemischerseits nicht annahm. In Europa kam es vor
+allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien einnehmen
+wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, sich,
+alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos
+zu vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche
+Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung,
+und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den treulosen
+Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im Stich
+gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute einzuziehen
+und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als seinen
+Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam
+hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten
+auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei
+Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen
+Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem
+Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht
+Griechenlands hielt die zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am
+roemischen Buendnis; von den kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei
+die Thessaler und die Athener, bei welchen letzteren eine von
+Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung die ziemlich starke
+Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es
+womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos'
+Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der
+benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der
+Athamanen, Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die
+makedonische Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die
+Opposition gegen Rom noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die
+Eleer und Messenier, gewohnt, mit den Aetolern gegen die Achaeer
+zu stehen. Das war denn freilich ein erbaulicher Anfang; und der
+Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den die Aetoler dem
+Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man hatte
+sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren
+Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark
+wie ein gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen
+Arme, die saemtliche Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch
+entgegenstrecken sollten, trugen ein paar Klephtenhaufen und einige
+verliederlichte Buergerschaften dem Koenig Waffenbruederschaft an.
+Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
+Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen
+Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck;
+allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht
+davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu
+besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war
+fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter Antiochos in
+Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch, Thessalien zu
+gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und andere Staedte
+genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von Apollonia heran,
+entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des Winterfeldzugs
+muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis
+zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner
+fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen
+Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91),
+ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in Griechenland hin-
+und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und Feder, sagte
+ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563 (191) traf der
+roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius Acilius
+Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den
+Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral
+Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato,
+der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus, die nach
+altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln,
+wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit sich
+brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter
+numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und
+die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu
+5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des
+Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose
+Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von
+Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst
+den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in
+Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen
+ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das schwache und nun noch
+durch Krankheit und Desertion in den liederlichen Winterquartieren
+dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres bei Pteleon
+gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen hatten ins Feld
+stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn nicht
+mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die
+Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem
+makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen
+Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul
+mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich
+in Larisa. Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder
+Hinsicht ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos,
+sich in den von ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die
+Ankunft des grossen Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte
+in dem Hauptpass sich auf und befahl den Aetolern, den Hochpfad zu
+besetzen, auf welchem es einst Xerxes gelungen war, die Spartaner zu
+umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem
+Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen
+sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern
+Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das roemische
+Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten
+Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten
+auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische
+Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob
+auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke
+fielen. Da Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht
+gedacht hatte, so ward das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf
+der Flucht vernichtet; kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der
+Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich
+nach Ephesos ein; Europa war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm
+verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis
+ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung
+fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls
+aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis
+ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im
+eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der
+dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in
+Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen
+Frieden zu machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr
+zweideutiges Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade,
+die Eleer und Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben,
+sich den Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig
+vorhergesagt hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich
+unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die
+Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach
+hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den
+schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen
+Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
+einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch
+einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in
+Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und
+die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus,
+fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen
+ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen
+zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen
+Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland,
+vorlaeufig wenigstens, die Waffen. Ein ernsterer Krieg stand in Asien
+bevor, den nicht so sehr der Feind, als die weite Entfernung und
+die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr bedenklichem Licht
+erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos' kurzsichtigem Eigensinn
+der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im eigenen Lande
+des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der See
+zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs
+in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen
+Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen
+war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen einen starken
+asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt,
+den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das naechste Jahr vorzubereiten
+und zunaechst die feindliche Flotte aus dem Aegaeischen Meer zu
+vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem suedlichen Ufer der
+gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die roemische
+sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs
+karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der
+syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70
+Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch
+die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene
+Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und sidonischen Schiffe
+vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang zwar gelang es den
+Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu versenken; allein sowie
+es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und nur der
+Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass
+sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens
+stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die
+Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun zwiefach
+entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig im Hafen
+von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten Schlacht zu
+bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte fuer den Winter
+sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen von Kane
+in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters
+fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer
+suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen:
+Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen,
+beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf
+und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst
+gewann die roemische Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen,
+den Roemern womoeglich den Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er
+eifrig zur See ruestete und teils durch Polyxenidas die bei Ephesos
+stationierende Flotte herstellen und vermehren, teils durch Hannibal
+in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue Flotte ausruesten liess,
+ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen Gegenden seines
+weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im naechsten
+Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder auf.
+Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel
+stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von
+Ephesos beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und
+den pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag
+gemaess durch die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des
+Landheeres vorzubereiten. Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs
+Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde von der Niederlage der rhodischen
+Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert
+durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu
+wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst
+war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und
+zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese
+Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
+Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte
+teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit
+zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten,
+ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos
+einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei
+der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der
+Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts
+uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung ging
+inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den Rhodiern
+gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten Angriffe
+Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte,
+die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als
+dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue
+Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom
+angelangt war und bei Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich
+darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum
+gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs begreiflich zu machen, dass
+es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara ankomme, sondern auf die
+Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur Umkehr nach Samos zu
+bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte mittlerweile Seleukos
+die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos mit dem
+Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer
+auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden
+fertig zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische
+Flotte ging nach Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den
+Bundesgenossen zu helfen; allein da es dem Admiral an Truppen fehlte,
+richtete er nichts aus. Pergamon schien verloren; aber die schlaff und
+nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem Eumenes, achaeische
+Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren kuehne und
+glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen
+Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den
+suedlichen Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt.
+Die von Hannibal geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie
+lange durch die stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich
+in das Aegaeische Meer zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon
+vor Aspendos in Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader
+unter Eudamos, und in der Schlacht, die die beiden Flotten sich
+hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber die numerische
+Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere
+den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte
+Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche
+rhodische Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die
+beabsichtigte Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen
+Meer ward die roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch
+die Entsendung der pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur
+Unterstuetzung des dort eben anlangenden Landheers sich geschwaecht
+hatte, nun ihrerseits von der des Polyxenidas angegriffen, der
+jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am 23. Dezember des
+unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende August 564
+(190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und
+Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und
+umzingelten den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen
+genommen wurden oder sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte
+den Roemern die Inschrift in saturnischem Mass ueber dem Tempel der
+Seegeister, der zum Andenken dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward,
+wie vor den Augen des Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die
+Flotte der Asiaten geschlagen worden und die Roemer also "den grossen
+Zwist schlichteten und die Koenige bezwangen". Seitdem wagten die
+feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen
+und versuchten nicht weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu
+erschweren. Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent
+war in Rom der Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den
+Oberbefehl fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen
+geistig unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio.
+Die bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das
+Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe
+befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem
+Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu
+fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden
+die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu
+beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen
+sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
+verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus' grenzenlose Ruecksichten
+gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die
+Wahl gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen
+Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die
+Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs-
+und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das unbequeme
+Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen Waffenstillstandes
+und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die eine feindliche Flotte
+in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und die zweite, die aus
+dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung beauftragten
+Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den
+Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den
+Hellespont zu gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu
+erwarten, da Koenig Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig,
+auch Koenig Prusias von Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und
+die roemische Flotte leicht sich in der Meerenge festzusetzen vermochte.
+Der lange und muehselige Weg laengs der makedonischen und thrakischen
+Kueste ward ohne wesentlichen Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte
+teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche Aufnahme bei den thrakischen
+Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, teils auf dem Marsch
+soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht
+von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios
+wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in
+Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der
+Schlacht bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass
+er in Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia
+von der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu
+ergebenen Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die
+Besatzungen aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die
+reichen Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der
+Roemer nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend
+derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu
+schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht
+mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein
+grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt
+worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
+einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. Waehrend
+die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
+stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
+zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte
+des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos
+bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen
+Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen
+griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die
+Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren
+annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch
+diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo
+das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des
+Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art
+den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
+Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche
+Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze
+Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung
+Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig
+sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das
+innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein
+guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos, gereizt
+durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer jede
+dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
+ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto
+lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos
+bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190)
+die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann,
+darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und
+makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei weitem
+nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass sie nicht
+einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen Feldherrn
+abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando uebernahm. Um
+nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, bildete Antiochos
+zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, die
+Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der
+Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die
+Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere
+Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art Kuerassiere), neben ihnen im
+Mitteltreffen das gallische und kappadokische Fussvolk und im Zentrum
+die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des
+Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand und sich in
+Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum der
+beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx
+und der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken
+Fluegel, wo der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der
+Reiterei und die saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten,
+den Eumenes fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes
+begann die Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen
+die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten;
+in kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die
+naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im
+zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren Reiterei
+in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen Reiterei,
+die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im zweiten
+Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren
+Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung
+geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen
+durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die roemischen
+Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in der Flanke
+gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden Seiten Front zu
+machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten kam. Waere die
+schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette die Schlacht
+wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel war zersprengt,
+und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die kleine, ihm
+gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, das
+roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe
+erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden
+Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit
+den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und
+Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging.
+Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck,
+bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten scheu wurden und
+die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer sich auf in wilder
+Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang und mehrte nur
+die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des Verlustes des
+Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung nicht
+unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen
+waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte,
+24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst
+Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die
+Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von
+den Roemern gestellten Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen
+waren als die vor der Schlacht gebotenen, als namentlich die Abtretung
+Kleinasiens enthielten. Bis zu deren Ratifikation blieb das Heer in
+Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf nicht weniger als 3000
+Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber nach seiner
+liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines
+Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der
+Muehe, ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete.
+Aber Asien war mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten
+gestrichen; und wohl niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig
+und so schmaehlich zugrunde gegangen wie das Seleukidenreich unter
+diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst ward bald darauf (567 187)
+in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei der Pluenderung des
+Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu fuellen
+gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. Die roemische
+Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die Angelegenheiten
+Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die roemische
+Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu
+keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt
+hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt
+worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen und aeolischen
+Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige pergamenische Koenigreich
+waren allerdings die natuerlichen Traeger der neuen roemischen
+Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als Schirmherr der
+stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren Kleinasien und
+an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von Asien
+laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos
+allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war
+unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der
+roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem
+ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen Hellenen zu den seit
+einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten. Diese hatten die
+kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich verteilt und
+ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die
+festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter
+der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten
+Vorsteher sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene
+Nachbluete der hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder
+entstiegen ist, ist erwachsen aus diesen letzten, von nationalem
+Buergersinn getragenen hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger
+Gegenschlag, kein entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die
+Pergamener ihren staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden
+Horden aus den oestlichen Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt,
+und die grosse Mehrzahl der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich
+in der alten Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft
+ueber die Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so
+musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt
+werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit
+verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel
+mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb
+in der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms
+Machtgebiet gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei
+den Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die
+neue Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen.
+---------------------------------- ^4 Aus dem erwaehnten Dekret von
+Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit hervor, dass die Lampsakener
+bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom erbaten, sondern auch
+Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger
+genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift
+CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind
+wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen
+Krieges diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).
+--------------------------------- Dies hat der neue roemische
+Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den Lucius Scipio in
+Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf gemacht
+worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat
+vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel
+gegen diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt;
+derselbe war vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die
+hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war, eingemischt
+hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das hellenische
+Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in Zweifel gezogen
+werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den Flamininus und
+die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war die
+Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie
+der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem
+rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit
+Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem
+Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel
+entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer roemischen
+Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur unter ganz
+ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte und, wenn
+einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer sprach,
+sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen Heere
+auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus
+und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der
+Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von
+Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander
+und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die
+Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf
+den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit
+Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden
+verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum Abzug zwaenge.
+Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und Schuetzen, die gegen
+die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag gaben, fast wie in
+neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, erzwangen die
+Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie sie gar
+oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden
+sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des
+nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die
+Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden
+Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu
+dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff.
+Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen Leiter der
+roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten. Phrygien, Bithynien,
+Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die weiter oestlich
+gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. Die Regulierung der
+kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den Frieden mit
+Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen
+Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von
+Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach
+dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000
+euboeischen Talenten (25 Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich,
+der Rest in zwoelf Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos
+auferlegt die Abtretung seines gesamten europaeischen Laenderbesitzes
+und in Kleinasien aller seiner Besitzungen und Rechtsansprueche
+noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von der Muendung des Kestros
+zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien
+nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat
+ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es
+natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an
+gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht,
+gegen die westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines
+Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das
+Recht, das Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit
+Kriegsschiffen zu befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu
+bringen, ueberhaupt Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall
+eines Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich
+das Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder
+politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die
+Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten und
+die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden, lieferte er
+aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel eines Freundes
+der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu Lande
+und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer;
+es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des
+Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen
+Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite
+Entscheidung durch die Waffen begehrt hat. Die beiden Armenien, bisher
+wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, verwandelten sich, wenn
+nicht gerade in Gemaessheit des roemischen Friedensvertrages, doch unter
+dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias
+und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. Koenig Ariarathes
+von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den Roemern
+bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600
+Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines
+Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. Koenig
+Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die
+Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber
+die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen
+Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht,
+diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit
+goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu vergelten. In
+Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da
+hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa
+kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen.
+Allen griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei
+und den Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt
+und sie alle mit Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der
+Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben.
+So wurden namentlich frei die Staedte Dardanos und Ilion, die alten
+Stammgenossen der Roemer von Aeneas' Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna,
+Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, Miletos und andere altberuehmte
+Namen. Phokaea, das gegen die Kapitulation von den roemischen
+Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt zum Ersatz dafuer,
+obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie fiel,
+ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den
+meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies
+Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward
+natuerlich Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und
+den groesseren Teil von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem
+garantierte Antiochos in seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und
+ihre Forderungen sowie die bisher genossene Zollfreiheit. Alles uebrige,
+also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die Attaliden,
+deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege
+bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall
+der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein
+Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa
+den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon
+besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und
+Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles
+und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von
+Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und
+als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber
+Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten,
+inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also
+jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft
+und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht
+unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt,
+dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht
+werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350
+Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war,
+dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler)
+fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen.
+Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos
+abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
+wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch
+war das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was
+Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit
+absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien
+in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen
+roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische
+Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und
+nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen
+Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren
+Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich
+nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des
+Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung
+des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer
+sie erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem
+festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen
+zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine Expedition nach
+Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die Sklaverei verkauften
+Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und Landheer im Nachsommer
+566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder durch Thrakien zog,
+durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs von den Ueberfaellen
+der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten nichts heim aus
+dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon beide in der
+praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, zusammenzufinden
+pflegten. Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen
+Krieg erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die
+immer noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden,
+hatten nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen
+Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren
+den Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher
+gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes,
+getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in Asien,
+die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen athamanischen
+Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten
+aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen,
+wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass
+hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus
+Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565 (189) bei den
+Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer
+die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die
+Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber
+die Aetoler herfielen. Von eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede
+sein; auf die wiederholten Friedensgesuche der Aetoler standen denn
+auch die Roemer vom Kriege ab und gewaehrten Bedingungen, welche solchen
+erbaermlichen und tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden
+muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den
+Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge
+einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und
+selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso
+traten sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden
+zu schliessen und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen
+Beziehungen Roms abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme.
+Kephallenia setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte
+sich erst, als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner
+von Same, die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch
+eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten
+Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus,
+worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in
+die Sklaverei verkauft wurden. Rom blieb auch hier dabei, sich
+grundsaetzlich auf Italien und die italischen Inseln zu beschraenken.
+Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden Inseln Kephallenia
+und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen Seestationen am
+Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb
+kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben,
+Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen
+an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
+verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
+Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und
+der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen
+Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem
+er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm
+zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing
+er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den
+Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in seinen
+Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil von
+Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben worden
+waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer Klientel,
+aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und Lemnos,
+die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der
+Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht
+schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa
+empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall
+niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler Hinsicht
+ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht Schikane,
+was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche politische
+Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht
+ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt
+hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen
+Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht
+wiederkehre. Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des
+Krieges gegen Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den
+Peloponnes ganz in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst
+Sparta, dann, nach der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch
+Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die
+Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar geduldet, dass
+man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr.
+Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu
+unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und
+diese darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu
+Gemuete zu fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der
+Beute an sich unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern
+mehr als unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen
+Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren
+Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von
+ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt
+Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten,
+nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer
+Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten
+Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur
+widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig
+Flamininus' guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie
+glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates
+um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man sprach von
+Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den Kriegen
+der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der achaeischen
+Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia ja nicht
+nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also gesprochen,
+wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das alles
+wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel
+laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und
+ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit
+der Hellenen zu gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht
+war, dennoch ihnen nichts gab als die Anarchie und nichts erntete
+als den Undank. Es lagen auch den hellenischen Antipathien gegen die
+Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle zugrunde, und die persoenliche
+Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum
+bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine
+wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen
+Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten
+Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
+Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem
+Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn
+der Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig
+nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss
+womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, "um die Formen
+zu retten"; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn
+das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem patriotischen
+Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht auf Billigung
+doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf entschlossen gewesen
+waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft vorgezogen
+haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen solchen
+politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn doch
+vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die
+die gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten
+Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie
+die Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern
+bringen. Der von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer
+Zeit bis zum Ekel wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen
+waeren, inneren Zwist in Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten
+Abgeschmacktheiten, welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen
+haben. Nicht die Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich
+Eulen nach Athen -, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom.
+Namentlich die Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich
+uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus
+die aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt
+hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren
+Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden
+in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter
+charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
+Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen
+Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten
+Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier
+Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam
+es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen
+Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis mit dem Buergerrecht
+beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft verkauft und aus dem
+Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis gebaut,
+ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt,
+die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern
+niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward
+dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch
+aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe fuer die
+befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel in diese
+Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die Nadelstiche
+der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter Indifferenz,
+sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher
+Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als
+nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der
+Senat darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die
+Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert
+ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig
+bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die
+Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren
+Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen
+Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut
+in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber
+die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
+Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier
+Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam
+der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen
+Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf,
+als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von
+Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die
+Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin beschied, dass er
+sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen koennten, was sie wollten
+(572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht recht; wie die Roemer einmal
+standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung, hier
+mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener
+Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn
+ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und
+gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger
+getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik
+wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. So umfasste die Klientel
+der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten von dem oestlichen
+zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein Staat, den
+man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein
+Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der
+erst den ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen
+gebracht hatte und der vielleicht nur gescheitert war, dort an der
+ehrlosen Aristokraten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos
+hatte sich im Frieden verpflichten muessen, den Hannibal auszuliefern;
+allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien entronnen
+^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in
+seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie immer siegreich
+zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den Prusias
+zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie
+erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar
+der roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem
+letzten Asyl aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch
+den Senat beschuldigt, scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber
+Flamininus, der in seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer
+grosse Taten suchte, auf seine eigene Hand es unternahm, wie die
+Griechen von ihren Ketten, so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den
+groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht
+diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu richten. Prusias,
+der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte sich ein
+Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit
+zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein
+Haus von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst
+darauf, fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort
+der Koenige. Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er
+in der zweiten Haelfte des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt.
+Als er geboren ward, stritt Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz
+von Sizilien; er hatte gerade genug gelebt, um den Westen vollstaendig
+unterworfen zu sehen, um noch selber seine letzte Roemerschlacht gegen
+die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann
+zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der
+Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande
+war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen,
+als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den
+Knabenschwur gehalten. -------------------------------------------------
+^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs
+Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528;
+Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie
+Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen
+ist. ------------------------------------------------- Um dieselbe Zeit,
+wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den die Roemer
+seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das
+Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt
+blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien,
+Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die
+erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der
+zivilisierten Welt. Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren
+ueberblieben fuer seinen Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte
+auch ihn durch seine letzten Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig
+ueber fuenfzig Jahre alt, in freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an
+die Seinigen, seine Leiche nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer
+die er gelebt hatte und in der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht
+genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen
+Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und mehr noch
+gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige
+Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren;
+obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine
+Rechnungsbuecher, statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen,
+im Angesicht des Volks und der Anklaeger zerriss und die Roemer
+aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag
+seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Anklaeger stehen
+und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies der letzte
+schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein
+anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr
+entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius
+den widerwaertigen Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und
+nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die
+Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss und zerfrisst auch den
+urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit
+solcher, aus echtem Gold und schimmerndem Flitter seltsam gemischter
+Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der
+Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber
+zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer
+selbst erwacht. ---------------------------------------------------
+^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.
+--------------------------------------------------- 10. Kapitel Der
+Dritte Makedonische Krieg Philippos von Makedonien war empfindlich
+gekraenkt durch die Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos
+von den Roemern erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge
+war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in
+Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem
+makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem
+roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen
+Grossmacht all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos' des
+Zweiten Zeiten von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut
+und der wohlfeile antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser
+Zeit machte sich Luft auf den Tagsatzungen der verschiedenen
+Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen Beschwerden bei dem
+roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden worden,
+was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler
+angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der
+Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der
+thessalischen Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn
+und der perrhaebischen, den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden
+zurueckverlangt wurden aus dem Grunde, dass Philippos diese Staedte nur
+befreit, nicht erobert habe. Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit
+begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos
+im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia,
+obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos
+ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose
+geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des
+Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte
+Kontrakte und geraubtes Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen
+Senat musste der Koenig von Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich
+verklagen lassen und Recht nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste
+sehen, dass das Urteil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend
+von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen und perrhaebischen
+Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen Kommissare
+hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles
+vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert
+gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem
+makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte hier nicht so
+ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber im Grunde war die Lage
+Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indes Philippos
+war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer Geduld ueber sich
+ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach
+seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem
+ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern
+persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos
+nichts gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem
+Alliierten, der ihn schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte,
+augenblicklich zu raechen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein
+die Roemer, die sehr gut begriffen, dass den Makedonier nicht die
+Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos
+bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der
+Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl
+gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos' Gunsten zu tun, und
+hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an
+mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos
+politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden,
+die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu beigetragen hatten,
+Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die roemische Klientel auf den
+Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos
+es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz
+willen wohl mit Rom hatten halten muessen, hatten diese Attaliden dazu
+benutzt, um im wesentlichen das Reich des Lysimachos wieder aufzubauen,
+dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der makedonischen Herrscher
+nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat an die Seite
+zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient war.
+Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen,
+ein weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich
+entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen;
+allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das
+Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war
+taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und
+naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen.
+Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf
+den thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten,
+antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte
+Sonne nicht untergegangen sei ^1.
+------------------------------------------------- ^1 /E/d/e/
+gar phrasd/e/ panth' alion ammi ded?kein. (1, 102).
+------------------------------------------------- Philippos bewies bei
+der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse eine Ruhe, einen
+Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie bewaehrt
+haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung gegeben
+haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er
+sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen
+Mann eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen
+freilich und die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das
+unglueckliche Maroneia, buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon
+im Jahre 571 (183) schien der Krieg ausbrechen zu muessen; aber
+auf Philippos' Geheiss bewirkte sein juengerer Sohn Demetrios eine
+Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige Jahre als Geisel gelebt
+hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich Flamininus, der
+die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien eine
+roemische Partei zu bilden, die Philippos' natuerlich den Roemern nicht
+unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte
+zu deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den
+juengeren, leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man
+gab mit absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem
+Vater um des Sohnes willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge
+war, dass im koeniglichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und
+namentlich des Koenigs aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter,
+aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den
+kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass
+Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der falsche
+Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da
+beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom.
+Indes Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte
+Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat
+das uebrige und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege
+zu raeumen. Zu spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen
+hatte, und der Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu
+strafen und von der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre
+575 (179) in Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich
+hinterliess er zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen
+Herzens gestand er sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel
+vergeblich gewesen waren. Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung
+an, ohne in Makedonien oder bei dem roemischen Senat Widerspruch zu
+finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesuebungen wohl
+erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem
+Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn
+reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines
+Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein
+Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe
+Koenig und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck
+begleitet, war vom Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus
+bestieg den Thron in seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon
+als Knabe mitgenommen worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg,
+wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken
+einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit
+dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen.
+In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des
+vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen
+war, zum Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es
+wahrlich nicht die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische
+Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den
+Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen
+gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten
+in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu
+haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet
+und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die
+das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der
+Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge
+gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und
+ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte
+sie mit unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug
+und das, was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen
+Wirklichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie
+es beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er
+haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer
+im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu
+trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst
+eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu
+vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In
+gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut und
+besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht geschaffen,
+ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein
+ausserordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht
+gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war
+ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch den Hader
+politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der monarchischen
+Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank
+beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen
+herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung
+begonnen mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen
+Bankerottierer und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige
+Haerte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern
+auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Luecken in der
+makedonischen Bevoelkerung teils von selbst ausgefuellt, teils der
+Regierung gestattet, hierfuer als fuer den eigentlichen wunden Fleck des
+Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier
+an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen
+er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von
+zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden
+Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine
+Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
+das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte
+in den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer
+Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal
+gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und
+die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den
+bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es,
+dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu
+organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was
+den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer
+unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen,
+die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte,
+und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
+die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
+makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und
+fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und
+fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso
+lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer
+ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war
+Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den Ausbruch
+des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des Reiches war
+in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht
+weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in seine Grundfesten
+zu erschuettern. Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse.
+Es lag in der Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von
+Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich
+an die Spitze einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms
+Suprematie zu stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu
+Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der
+Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder
+Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der
+Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen
+Konferenzen makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat,
+die Massinissa in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und
+einsichtige Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es
+sehr moeglich ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und
+Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das
+makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts
+heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender
+mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte.
+Den Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten
+Perseus' Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom,
+wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden,
+allein der saubere Plan misslang. Von groesserer Bedeutung waren die
+Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom
+aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde
+Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken durch
+einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen
+Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen
+und der ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach
+Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen,
+wohin er die Alpenpaesse bereits erkunden liess - ein grossartiger,
+Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals
+Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich,
+dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung Aquileia
+zusammenhaengt, die eben in Philippos' letzte Zeit faellt (573 181)
+und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen
+Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an
+dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen
+naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen
+und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden
+Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen
+des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen
+Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus' Vorwissen
+kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch
+Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe
+des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in Buendnis
+mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf einer
+der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus
+mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem
+Einverstaendnis stehe und Genthios' Gesandte in Rom dem Perseus als
+Spione dienten. In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen
+die untere Donau zu stand der maechtigste unter den thrakischen
+Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr des ganzen oestlichen
+Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den
+mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere
+Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren
+Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst
+der Sagaeer, Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon
+gerichteten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben.
+Von hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen
+Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. Unter der
+ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus
+lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg
+lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte
+den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu
+bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter den asiatischen
+wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren,
+versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der
+roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen
+Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug,
+und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, dass
+die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer
+Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter
+Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und
+rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen,
+war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und
+hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich
+ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht taeuschte. Am
+schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der Traeger jener
+fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich behandelte er
+die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; vergeblich
+buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit
+wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste
+vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines
+schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle
+frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln
+eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus' Name auf allen Lippen
+war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch
+gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen
+Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl
+innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes, sondern
+von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und empfing,
+und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss;
+waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine
+syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich
+nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von
+Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich
+mit Holz zum Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der
+asiatischen Staedte, also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit
+makedonischen Abgeordneten geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der
+rhodischen Kriegsflotte schien wenigstens eine Demonstration; und
+sicher war es eine, dass der Koenig Perseus unter dem Vorwand einer
+gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen sich und seine
+ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese nationale
+Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in
+der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische
+Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine
+Umwaelzung der Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an
+Makedonien zu ketten. Von der beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden
+wie der einzelnen im europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in
+dieser Hinsicht etwas besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich
+einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die
+andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum
+Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern,
+den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich
+foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei
+solchen Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine
+Versoehnung verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem
+Zweck, eine Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden.
+Die Roemer versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten
+unverrichteter Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich
+schlecht und die Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der
+Tat nichts anderes mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der
+sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er
+von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte
+sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts,
+am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess
+nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer,
+sondern liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen,
+welche saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer
+Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach
+Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und
+Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso dass
+in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in offene
+Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um Hilfe
+zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit solchen
+Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer Sophokles und
+Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises wert sei.
+Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass
+es Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des
+thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis
+stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und einem
+Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des Friedens
+von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle Kriegsmanifest; der
+wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im Begriff stand, seine
+formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und Rom aus dem
+Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) sprachen
+die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich
+unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem
+roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes
+persoenlich nach Rom mit einem langen Beschwerdenregister und deckte
+die ganze Lage der Dinge im Senat auf, worauf dieser wider Erwarten
+in geheimer Sitzung sofort die Kriegserklaerung beschloss und die
+Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen versah. Der Form wegen ging
+noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren Botschaft aber derart
+war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck koenne, die Antwort
+gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu
+schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben
+an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen.
+Damit war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172);
+wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die
+makedonische Partei ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die
+bei Apollonia stehende roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus
+Sicinius erdruecken und den Roemern die Landung streitig machen. Allein
+der Koenig, dem schon vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess
+sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus,
+ueber die Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen
+ein und sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch
+einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich,
+der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus
+Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren
+der aelteren Schule die "neue Weisheit" ihres Kollegen und die
+unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss,
+ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen
+Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in
+Griechenland zu berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal
+die Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen
+einverstanden war noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der
+Sehnsucht nach einer weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus
+in die Arme zu werfen; und ueberdies war dort jetzt durch roemischen
+Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom
+anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von
+Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der roemischen Gesandten
+gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer
+selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die
+Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch
+aufs tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht
+offen fuer Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte,
+Thisbae, Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein.
+Da auf die Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der
+boeotischen Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte,
+erklaerte jener, dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es
+mit Rom halte und welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber
+ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu
+auseinander. Es ist nicht wahr, dass Epaminondas' grosser Bau von den
+Roemern zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie
+daran ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung
+der uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2.
+Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte
+der roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe
+die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien.
+--------------------------------------- ^2 Die rechtliche Aufloesung der
+Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte uebrigens wohl noch nicht jetzt,
+sondern erst nach der Zerstoerung Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)
+--------------------------------------- Chalkis ward mit achaeischer,
+die orestische Landschaft mit epeirotischer Mannschaft, die
+dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen Westgrenze
+von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die Schiffahrt
+wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus
+sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb
+seines eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen
+Kalender im Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste
+landeten. Es ist zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen
+gefunden haben wuerde, auch wenn er soviel Energie gezeigt haette,
+als er Schlaffheit bewies; unter diesen Umstaenden blieb er natuerlich
+voellig allein, und jene weitlaeufigen Propagandaversuche fuehrten
+vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, Genthios von Illyrien,
+Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das mit Perseus
+bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe an,
+welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine
+Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen
+Geiseln nach Rom. Perseus' Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien,
+blieb neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig
+Antiochos IV. von Syrien, im Kurialstil "der Gott, der glaenzende
+Siegbringer" genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem "Grossen",
+ruehrte sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend
+dieses Krieges das syrische Kuestenland zu entreissen. Indes wenn
+Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht veraechtlicher
+Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten
+und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils
+Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen
+30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann
+numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und besonders
+pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 Deckschiffe
+zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus, dem der
+Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete erst
+jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann Truppen an
+Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken bestimmt
+war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul Publius
+Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um
+von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht
+wie gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte
+nicht daran, den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich,
+in Perrhaebien einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am
+Ossa erwartete er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht
+zwischen den beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer
+wurden entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte
+die italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen
+und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an
+Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich
+schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus
+benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
+hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er
+bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden
+nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings
+folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes
+anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man
+zog hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah.
+Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht
+gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch
+Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
+glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen
+Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines
+Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein
+guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen
+Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen,
+fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Roemer
+in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er zum
+Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen Naturen
+eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu raeumen.
+Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer hellenischen
+Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen lassen, zeigt
+der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten
+geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig
+Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch
+gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien
+hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige illyrische
+Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien von den
+makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und
+Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten
+aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen boeotischen
+Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von Thisbae, das
+sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral Gaius Lucretius
+vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore schloss
+und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft,
+Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso
+behandelt. Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht
+gehalten wie unter diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so
+zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584 (170) der neue Konsul
+Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte,
+zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfaehig und
+gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen
+Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius
+Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet
+war, erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition
+nach Makedonien hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang
+des Winters der Koenig mit den an der Suedgrenze durch den tiefen,
+alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich gewordenen Truppen den Appius
+seinerseits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Gefangene
+ab und knuepfte Verbindungen mit dem Koenig Genthios an; ja er konnte
+einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, waehrend Appius sich
+in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er vergeblich belagert
+hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee machte
+ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die
+thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden
+schlaff angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich
+beschaeftigte der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die
+freilich auch vor allen Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann
+und einen namhafteren Offizier erforderte. Abschied und Urlaub waren
+kaeuflich geworden, die Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die
+Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die Offiziere im grossen
+Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften
+wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der
+schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der
+aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
+Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros.
+durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte
+wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und
+wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet
+oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis.
+Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung
+der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den roemischen
+Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den Bundesgenossen
+zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft einstimmig
+verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das Ergebnis dieser
+beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein Schandfleck
+fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum
+wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft
+gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus'
+Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der
+Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen
+begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets
+von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in
+Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre Bergfestung
+ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu verschanzen.
+--------------------------------------------------- ^3 Der kuerzlich
+aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die
+Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.;
+AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese
+Verhaeltnisse. ----------------------------------------------------
+Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte,
+Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund
+des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht
+gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter
+Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe
+den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen
+die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der
+Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
+bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss
+konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann
+an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand
+er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark
+befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale
+Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren,
+in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten
+Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem seinen Namen
+behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein wie damals
+ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus' Unfaehigkeit. Als ob er den
+Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als durch Sperrung
+der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich seltsamerweise verloren,
+sowie er die Roemer diesseits derselben erblickte, fluechtete eiligst
+nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu verbrennen und seine Schaetze zu
+versenken. Aber selbst dieser freiwillige Abzug der makedonischen Armee
+befreite den Konsul noch nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar
+ungehindert vor, musste aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an
+Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur
+Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position
+wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr
+geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe
+kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette.
+Die Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen
+Heere gesichert; aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren
+wohlgewaehlten Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark
+verbarrikadiert und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer.
+So verblieb das roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter
+eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die
+Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste
+wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der
+Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen
+Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu
+nehmen und richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus' leichte Schiffe
+streiften kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien
+bestimmten Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei
+der Westarmee stand es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit
+seiner geschwaechten Abteilung nichts ausrichten, und der von ihm
+begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die Eifersucht des Konsuls
+abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von Perseus durch das
+Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, mit Rom zu
+brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf uebrigens
+der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder
+zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der
+bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen
+Rom einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem
+grossen, der nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus
+sich von seinem Golde zu trennen vermocht, er haette den Roemern
+noch gefaehrlichere Feinde erwecken koennen. Ein Keltenschwarm unter
+Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso viele zu Fuss, bot in
+Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; allein man konnte
+sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es so, dass ein
+Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen Kasse
+leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte
+zu geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.
+Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland
+zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen
+Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem
+Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf
+dem Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich
+ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168)
+zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon
+eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein
+vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und
+seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein
+unbestechlicher Beamter - "einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen
+man kein Geld bieten konnte", sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein
+Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit
+benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. Sowie
+der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess
+er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
+beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius
+Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach
+Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder
+am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein
+kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses
+Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung
+- wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten
+handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die eigentlich erst auf
+den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm
+und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der
+Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stuermte die furchtbare
+Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten
+Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert habe. Die
+roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward niedergerannt
+und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, bis sie
+einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier
+wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung
+hatte die Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die
+Roemer in jede Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an,
+und da die makedonische Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen
+koennen, ruhig zusah und bald sich in Massen davonmachte, mit ihr unter
+den ersten der Koenig, so war in weniger als einer Stunde das Geschick
+Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten liessen sich
+niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle die Phalanx, die
+ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, hier selber untergehen.
+Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem
+Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am
+fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte;
+ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete
+mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in
+seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein
+da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta,
+der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft
+gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die koeniglichen Pagen und
+die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, dass das Asylrecht
+ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich an einen
+Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So
+schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er
+sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte
+auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen
+Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel.
+Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem
+gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der Konsul den vornehmsten
+Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr heimgebracht hat. Perseus
+starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in Alba am Fuciner
+See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben
+italischen Landstadt als Schreiber.
+------------------------------------------------ ^4 Dass die Roemer,
+um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben verbuergte, und
+Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs getoetet, ist
+sicher eine Fabel. -----------------------------------------------
+So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
+hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. Damit aber zu
+dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch der Krieg
+gegen den "Koenig" Genthios von Illyrien von dem Praetor Lucius Anicius
+binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte genommen,
+die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des
+grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen
+in Rom ein. Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht
+wiederkehren duerfe, die Flamininus' unzeitige Milde ueber Rom gebracht
+hatte. Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis
+am Strymon verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des
+festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates
+in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
+zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von
+Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der
+chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und
+den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen
+der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte
+in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten
+sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land verlassen und sich nach
+Italien begeben, bei Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und
+mit Recht, die Zuckungen der alten Loyalitaet. Das Landrecht und die
+bisherige Verfassung blieb uebrigens bestehen; die Beamten wurden
+natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und innerhalb der Gemeinden
+wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen gelegt. Die
+koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den Eidgenossenschaften
+nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, ein
+Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138)
+wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die
+Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die
+bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den
+Eidgenossenschaften und den Gemeinden ueberlassen, sich selber zu
+besteuern; doch hatten diese die Haelfte der bisherigen Grundsteuer
+nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, zusammen jaehrlich 100
+Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das ganze Land ward
+fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; nur an
+der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren
+bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die
+kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der Rest verbrannt.
+------------------------------------------ ^5 Die Angabe Cassiodors,
+dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke wieder eroeffnet
+wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. Goldmuenzen
+der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also blieben
+entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren
+verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten
+Makedoniens (Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen
+sind; fuer die kurze Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608
+158-146) ist die Zahl derselben auffallend gross und zeugt entweder
+von einem sehr energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter
+Umpraegung des alten Koeniggeldes. ^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen
+durch die Roemer der "herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet
+ward" (Polyb. 37, 4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein
+spaeterer Erlass dieser Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur
+Erklaerung von Polybios' Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt
+Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der der Provinz Makedonien von
+Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die augustische Zeit
+(Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der
+Steuer vereinigen lassen. ---------------------------------------- Man
+erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den
+Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen,
+und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne
+Geschichte geblieben. Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des
+Genthios ward in drei kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten
+die Ansaessigen die Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen
+Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten
+und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen
+Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward
+konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser
+Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den
+Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit
+wenigstens auf lange hinaus ein Ende. Kotys in Thrakien, der schwer
+zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu brauchen war, erhielt
+Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. So waren die noerdlichen
+Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von dem Joch der
+Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, ein
+Koenig nirgend mehr vorhanden. Aber man beschraenkte sich nicht
+darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu zerschneiden. Es war im Senat
+beschlossen, die saemtlichen hellenischen Staaten, Freund und Feind,
+ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie miteinander in
+dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich
+rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen
+die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer
+Grossmacht nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier
+und Scipionen zu Ende ist. Am schwersten traf dieser Rollenwechsel
+denjenigen Staat, der von Rom geschaffen und grossgezogen war, um
+Makedonien im Zaum zu halten, und dessen man jetzt nach Makedoniens
+Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich der Attaliden.
+Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes einen
+ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung
+zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen
+um die Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame
+Geruechte ueber ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen
+Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine
+Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm 500, fuer die Vermittlung des
+Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an Perseus' Geiz habe sich
+der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische Flotte anlangt, so ging
+der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins Winterquartier begab,
+gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte.
+Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine
+heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente
+Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise
+582 (172) zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus'
+Banditen ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen
+Schwierigkeiten eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem
+Ausgang er ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er
+seinen Anteil an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft
+und das Werk langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben
+sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen.
+Dass kein Beweis weder in Perseus' Papieren noch sonst sich vorfand, ist
+sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen
+laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt
+das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes' Bruder, der
+die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit
+offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
+aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten
+- gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat
+nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine
+vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er
+aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der Senat
+zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter sich
+nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht war,
+wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen
+Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute;
+hatte man nach Antiochos' Besiegung Philippos gegenueber noch die Formen
+geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese Zeit
+scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und Antiochos
+bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger war es, dass
+die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des Eumenes, nachdem
+derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien vertrieben
+und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen
+Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne
+Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene
+Spannung, wenn nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes
+erhoben, sein Reich ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten.
+Eumenes erbat die roemische Vermittlung; der roemische Gesandte war
+dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer
+befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden nicht zu verstimmen, und
+merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er erzaehlte bei der
+Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe.
+Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater von dem
+Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss
+sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren.
+Da beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt,
+dass Koenige kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen,
+und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen
+Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu fragen, was er wolle, und ihm
+anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der
+Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts
+und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der
+halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es
+begann die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. Aehnlich erging es den
+Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie standen mit
+Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen
+Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder
+Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug
+zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr
+Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten
+Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des Aufstandes
+der nach Antiochos' Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre
+Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in grausamer
+Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen, sondern
+Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im roemischen
+Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den zweifelhaften Sinn
+des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes ein
+gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste
+getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen
+wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus
+ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen
+Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter desselben war
+uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier
+in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie nicht, fest an Rom
+zu halten und die makedonische Partei, die es wie allerorts so auch
+in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch 585 (169) ihnen
+erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist die
+Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor
+der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier
+und im roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht
+laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel
+und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich
+weigere, Frieden zu schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen
+seien, auch zu diesem Ende bereits mit Kreta und mit den asiatischen
+Staedten ein Buendnis abgeschlossen haetten. In einer Republik mit
+Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese wahnsinnige Intervention
+einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, als man in Rhodos
+den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den
+Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus
+Marcius, jener Meister der "neumodischen Diplomatie", im Lager bei
+Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen
+Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand
+ersucht hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit
+und Eitelkeit taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich
+verloren, man haette gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den
+Vermittler gespielt - Verbindungen mit Perseus spannen sich an;
+rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie
+sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel
+groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die
+wundersame Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber
+die gute Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt.
+Ein kriegslustiger Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die
+Kriegserklaerung gegen Rhodos zu beantragen. Umsonst beschworen die
+rhodischen Gesandten einmal ueber das andere kniefaellig den Senat, der
+hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des einen Verstosses
+zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei
+auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren
+Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche
+Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen
+haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu
+strafen und ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die
+Roemer sich alles erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten
+wuerden. Seine Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den
+Rhodiern ihre Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag
+von 120 Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die
+Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr
+nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen
+Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die
+Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis
+dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank
+in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber
+waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
+kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen.
+Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590
+(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber
+machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. Mit Syrien und
+Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war Krieg
+ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der
+Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der
+syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von
+Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte.
+Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die Steuern der
+koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und war das Recht
+auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste der Tod der
+Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die Rentenzahlungen
+aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu sein; allein
+auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit gern, um das
+traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung Aegyptens,
+waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch einmal -
+es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm
+guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor,
+der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten
+und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der
+syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in
+welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet
+seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. Es
+gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen,
+sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
+deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle
+den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig.
+Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten
+ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich
+miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie
+er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der Schlacht von Pydna
+(586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius Popillius, ein harter,
+barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des Senats, alles Eroberte
+zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu raeumen. Der
+Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe
+einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis
+ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach
+seiner Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der
+er war, die Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den
+Triumph des Paullus zu parodieren. Aegypten fuegte sich freiwillig
+in die roemische Klientel; aber auch die Koenige von Babylon standen
+hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre Unabhaengigkeit gegen Rom
+zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so machten die
+Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten Versuch,
+sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend
+fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das
+barsche Wort eines Diplomaten entschied. In Griechenland selbst waren
+als Verbuendete des Perseus, nachdem die boeotischen Staedte schon
+mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter zu strafen. Auf
+geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig Ortschaften
+in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, 150000
+an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die
+Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die
+Athener, die fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu
+spielen, nicht bloss Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern
+sogar sich nicht schaemten, um die oede Staette von Haliartos zu
+petitionieren, die ihnen denn auch zuteil ward. So war etwas fuer die
+Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die Justiz. Eine makedonische
+Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch ganz Griechenland
+die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus' Heer gedient hatte, ward sofort
+hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des Koenigs
+oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner
+konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos
+zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren
+Patrioten unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so
+weiter aus der Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer,
+wobei man nicht so sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten
+den Prozess, als die kindische Opposition der Hellenen mundtot zu
+machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben,
+bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, erklaerte der Senat,
+ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der Untersuchung, endlich
+rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien bleiben wuerden.
+Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich gehalten,
+Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der
+aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die
+Dinge einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der
+ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig
+zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es
+deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500
+der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen
+zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess
+es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen Landesgebrauch
+durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber man darf
+glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes
+italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen
+Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder
+Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht,
+sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im
+roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten Ausbrueche des
+Parteihaders zu beseitigen. Es waren hiermit die hellenistischen Staaten
+saemtlich der roemischen Klientel vollstaendig untertan geworden und das
+gesamte Reich Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner
+Erben Erbe geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von
+allen Seiten stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck
+zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt
+wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf
+ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen,
+liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den Nutzniesser,
+die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches betrachte und
+dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig lassen
+wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien
+aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem
+Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat
+gefuehrt ward, und huldigte den "rettenden Goettern". Da er so sehr
+veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und
+schenkte ihm die Flotte des Perseus. Der Augenblick wenigstens fuer
+solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der Schlacht von Pydna rechnet
+Polybios die Vollendung der roemischen Weltherrschaft. Sie ist in der
+Tat die letzte Schlacht, in der ein zivilisierter Staat als ebenbuertige
+Grossmacht Rom auf der Walstatt gegenuebergetreten ist; alle spaeteren
+Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des
+Kreises der roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte
+Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen
+Senat den obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz
+zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und
+Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom
+verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu
+entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem
+grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
+auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
+Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
+Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen
+Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu
+halten. Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und
+Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus
+ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln,
+wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte
+ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Fuesse stellen;
+weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine
+bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue
+Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber
+sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem
+Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese
+Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie
+den Dienern, sondern es erwies sich auch das roemische Protektorat mit
+seiner undankbaren, stets von vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit
+als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines Systemwechsels und
+der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten in der ihnen
+moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich
+schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der
+makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere
+Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen
+Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie sozialen
+Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die Nordgrenze notwendig
+einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, endlich die beginnende
+Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind
+ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten in
+Untertanen Roms. Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den
+von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung
+durchmessenen Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs
+als ein von unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter
+Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung
+sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene
+Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates
+sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen
+aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden
+Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit
+Unrecht hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte
+Urteil als eine geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist
+offenbar fuer jede nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische
+Regierung waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte
+als die Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht
+uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus
+Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl,
+den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich
+ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich Asien
+in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende
+jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit
+unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet,
+dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen
+gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu
+allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem
+Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als zu denen mit
+Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch einen
+unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der
+bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der
+Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg
+sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse
+Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung
+Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der
+halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen,
+schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug.
+Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago,
+teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel;
+Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass
+sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall
+ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen gewaltigen
+Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt,
+sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten
+Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu
+entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen
+Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel
+gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde
+auf der staatlichen Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt
+kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und deshalb war jede Nation,
+die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu
+zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch
+unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch
+auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige
+Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts
+verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos,
+Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint,
+dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des
+Altertums haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und
+dass alle am letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen
+an Italiens Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss
+doch die geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht
+die militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern
+die notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums
+ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden,
+sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich
+erfuellt hat. 11. Kapitel Regiment und Regierte Der Sturz des Junkertums
+nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter
+keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen worden, dass die
+Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne
+noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb
+des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte,
+so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in
+den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten
+senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit
+der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der
+buergerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und
+die derselben entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt
+worden, wie jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte
+und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit
+den letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die
+Anfaenge dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte
+Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere
+Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege
+gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozess
+mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte dem Auge.
+Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und unvermerkt
+denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue
+roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
+Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und
+langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich
+geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren
+historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe
+tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung
+zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen
+Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen
+fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der
+Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht
+gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der
+Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Droehnen
+und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen. Die
+roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit
+des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen
+hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich,
+von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran
+schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl,
+dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal
+an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer
+erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder
+bei Todesfaellen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzufuehren;
+wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung des Bildes nach
+italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die
+roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden
+ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng
+ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und
+ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen
+sich an: der goldene Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene
+Pferdeschmuck der Juenglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und
+die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - geringe Dinge, aber dennoch
+wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche Gleichheit auch im
+aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend des
+Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im
+Gefaengnis gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz
+auf dem Haupte oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen
+moegen teilweise schon in der Zeit des Patrizierregiments bestanden
+und, solange innerhalb des Patriziats noch vornehme und geringe Familien
+unterschieden wurden, den ersteren als aeussere Abzeichen gedient
+haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher erst durch die
+Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt wohl
+schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat
+gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung
+hinzutraten. Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den
+Gemeindeaemtern, woran diese erblichen Ehrenrechte geknuepft waren,
+weder die niederen noch die ausserordentlichen noch die Vorstandschaft
+der Plebs gehoere, sondern lediglich das Konsulat, die diesem
+gleichstehende Praetur und die an der gemeinen Rechtspflege, also an der
+Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet
+^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes
+sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den
+Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht
+zu sagen von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne
+Zweifel weil laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich
+eine solche Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen
+Gesetze kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt
+einen Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen
+Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich
+koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und
+ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem
+Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
+eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in
+der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und
+musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern
+und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals
+beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte
+sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern rang
+nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die wichtigsten
+Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus
+Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln.
+----------------------------------------------- ^1 All diese Abzeichen
+kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst wahrscheinlich nur der
+eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer
+Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der
+Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt
+nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im fuenften
+Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon
+jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von
+Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von
+dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der
+Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga,
+der anfangs nur den Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen
+der Ritter, spaeterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch
+schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen
+der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene
+Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit
+des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der
+ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152),
+wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. Der Purpurstreif
+(clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so
+dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen;
+mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. ^2 Plin. nat.
+21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward durch
+Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das
+unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute
+jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde.
+^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer
+Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere
+mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen
+Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches
+Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular
+Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die
+plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den kurulischen
+Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass
+sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.
+----------------------------------------------- Die rechtliche
+Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des
+weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch
+gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution
+von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den
+Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den
+Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts
+gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den
+Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von
+ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhaengiges und in
+gewissem Sinn sich selber ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt;
+denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl
+zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der
+Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser
+Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus
+dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft
+noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
+aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
+Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren
+drei Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch
+namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten
+und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die
+Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen,
+zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung
+in demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der
+Nobilitaet. Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht
+unwichtigen Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft
+entwickelt. Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte,
+sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade
+wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der
+Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu
+jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen
+Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde,
+welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden verfassungsmaessig ebenfalls von
+den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die Ritter nach militaerischen
+Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle durch Alter oder
+sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr
+Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise den
+Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und
+ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf
+vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen
+ansehnlichen Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr
+Pferd liessen. Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden,
+dass der Senator dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So
+wurde es denn wenigstens tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den
+achtzehn Ritterzenturien stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben
+vorwiegend an die jungen Maenner der Nobilitaet kamen. Das
+Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch die effektive
+Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der Legionarreiterei,
+als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen
+Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk
+mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen
+Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und
+Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man
+wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend
+des Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit
+den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und
+weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine
+ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung
+der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte dem
+Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der
+Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss
+ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.
+----------------------------------------------------------------- ^4
+Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200
+die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht
+haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten
+aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler;
+jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu
+erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst
+von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle
+Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den
+Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme
+einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die
+Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die
+Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs,
+endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab.
+Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich
+zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S.
+243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen,
+sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser
+sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und
+durchaus nicht nach Livius' Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung)
+und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC,
+s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet
+zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige Bestand der
+roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also
+die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil uebertragen worden
+durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen
+Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden ja auch schon
+der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und
+der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238).
+Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde
+auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben
+vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die
+geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden
+bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage
+derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen
+Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht
+trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser
+geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit
+fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem Pferd
+pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse;
+sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter
+und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. In
+der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das
+erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des
+Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte
+Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als
+solche die Ritterbenennung weg.
+-----------------------------------------------------------------
+Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen
+Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den
+Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem
+zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine
+Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien;
+und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin
+liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und
+Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch auf
+Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und nicht
+nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie
+ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu
+verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es
+sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren republikanischen
+Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs in erster Reihe
+stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich durchaus
+nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen
+aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt
+und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn erschien;
+warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in
+dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner
+Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen,
+als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige
+Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser
+Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die
+Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich ruecksichtslosen und
+formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die gerichtliche
+Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204)
+verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
+sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
+wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus
+notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren-
+und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem
+Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt
+werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat
+zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig
+vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren,
+ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
+Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz
+der blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man
+ab. Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die
+Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf
+Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem Interzessionsrecht
+des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen
+Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, indem eine
+dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht
+machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher
+Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam
+gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen. In dieser
+hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
+gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das
+Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung
+in ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die
+Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig
+wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die
+Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert
+haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
+abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor
+verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der
+eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen
+unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm,
+im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer
+die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika
+(527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu
+summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende
+Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die
+materielle Unzulaenglichkeit der roemischen Magistratur. Unter den
+von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie
+fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der
+bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten
+am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der
+Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe
+der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich
+von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt
+und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der
+Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache
+nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es
+weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen
+jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier
+ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden.
+Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den
+Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom
+Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von
+der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen dabei
+zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen
+wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung
+der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl
+von Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das
+Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den
+jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn
+hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig
+eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden
+des demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen
+Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen
+Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171)
+es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu
+suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu
+ueberlassen. Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem
+die Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war
+dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name
+werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl
+zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur
+Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche
+nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, dass das
+Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217)
+fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon
+nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die
+Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende
+dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um
+Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge
+zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen
+einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst vorgeschrieben;
+aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass
+die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Waehlerschaft
+das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen Faellen sich ueber
+jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den Angehoerigen der
+regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der Eintritt in
+den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und geringeren
+Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden
+sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen
+Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der
+Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat
+und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und
+Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehoeriger
+Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger
+derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die
+in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des
+Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten
+erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten
+derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier,
+Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen
+zurueck auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des
+Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden
+ist. Die Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch
+die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein
+aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht
+laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die
+Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht
+wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
+kurulischen Haeuser sich bewegten und ein "neuer Mensch" nur durch eine
+Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag
+eine gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen
+Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der
+Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt,
+insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von
+dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der
+Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust
+rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die
+roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in
+der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm
+und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre,
+dem konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des
+Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre
+Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der
+aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen
+Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen
+war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst
+kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller
+Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
+gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit
+reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von
+ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und
+Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich
+ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit
+war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der
+Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne
+Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des
+Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit
+den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders
+zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und der Nepotismus der Flaminine
+war womoeglich noch unverschaemter und aergerlicher als der der
+Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte in der Tat weit mehr
+solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius
+Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne
+Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio
+mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat
+gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur
+zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die
+Republik. Man war schon dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm
+gegen die Familienregierung und ihre Konsequenzen in einem streng
+oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das ist der Grund,
+weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie opponierte,
+zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot.
+------------------------------------------------------ 5 Die Stabilitaet
+des roemischen Adels kann man namentlich fuer die patrizischen
+Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten deutlich
+verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit
+Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide
+Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat
+bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den
+varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten
+Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt worden und sind
+fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561,
+565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln
+und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den Geschlechtern:
+
+Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener (366-254):
+(253-173): 16 patrizische Kollegien
+
+Cornelier 15 15 14
+
+Valerier 10 8 4
+
+Claudier 4 8 2
+
+Aemilier 9 6 2
+
+Fabier 6 6 1
+
+Manlier 4 6 1
+
+Postumier 2 6 2
+
+Servilier 3 4 2
+
+Quinctier 2 3 1
+
+Furier 2 3 -
+
+Sulpicier 6 2 2
+
+Veturier - 2 -
+
+Papirier 3 1 -
+
+Nautier 2 - -
+
+Julier 1 - 1
+
+Foslier 1 - - -------------------------------------------------- 70 70
+32
+
+Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit
+der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne
+wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch
+Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis
+zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen
+Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes
+auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier,
+Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in
+der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
+------------------------------------------------------ Von diesem
+allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel das
+Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog
+in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche
+die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet
+worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte
+die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen
+Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen
+den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment
+verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie
+sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und
+feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und der
+daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der
+Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu
+beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in vieler
+Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit den
+grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden roemischen
+Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht uebersehen werden,
+dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit
+schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die
+Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen
+fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die
+entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat.
+Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr,
+was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern;
+und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr
+eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich
+nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in
+dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen
+und die Gunst der Menge durch strenge Worte und ruecksichtslose
+Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und
+alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel
+Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des Herrenstandes
+hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, als er zum
+Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art
+sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze
+voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer
+den faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun
+nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen.
+Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum
+wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege.
+Unzweifelhaft war es auch, im grossen und ganzen genommen, den
+ohne Ausnahme tief zerruetteten hellenischen, phoenikischen und
+orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich
+ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie
+die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der
+Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro,
+sondern gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen
+Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher
+erzaehlt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und
+wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls
+Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) - um seinen
+Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele in der
+Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische
+Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit
+eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang
+selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war
+es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht gestellt ward,
+sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren
+strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im Theater einluden,
+seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich war er der Bruder
+des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten Koteriehaeupter
+des Senats. Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser
+Epoche eher zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war
+zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom
+nicht - stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen
+Gebietes, welche es zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575
+(199, 179) an der kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros
+in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben
+Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen
+Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es
+nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten
+roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da
+indes die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe
+zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese
+Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die
+Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von
+dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von
+Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert
+noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern
+es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen
+Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das
+von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und
+an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation
+von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten;
+wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle
+entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen
+spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu
+den Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
+Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr
+bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem
+Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill.
+Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die je auf
+einmal in die roemische Kasse gelangt ist. Indes ward diese Zunahme
+der Einnahme durch die steigenden Ausgaben groesstenteils wieder
+ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl
+ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- und
+andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets;
+auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der
+schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch
+manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die
+verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem
+gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten
+der Beamten in den Provinzen, von ihrer ueppigen Wirtschaft aus
+gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem
+beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die
+Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den
+Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man
+ungefaehr danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss,
+von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen,
+weil die Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die
+Kasse bestehlen wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die
+kontrollierende Behoerde sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss,
+wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland
+stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen
+in der Hauptstadt und sonst auf oeffentlichen Grund und Boden
+uebergegriffen und das Wasser aus den oeffentlichen Leitungen zu
+Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses Blut, wenn einmal
+ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie
+zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten
+oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der
+Gemeinde gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen
+der Roemer eine merkwuerdige Weite. "Wer einen Buerger bestiehlt", sagt
+Cato, "beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und
+Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt." Wenn trotz dessen, dass das
+oeffentliche Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von
+Beamten und Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt,
+wie selten in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland
+kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife;
+wie der roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort
+hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland
+der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
+aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur,
+dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch
+viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht
+wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das
+allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten
+in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem Barbestand des
+Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen finden wir in
+Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkuenfte
+verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich gewesen zu
+sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die
+Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die
+Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung
+der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher
+Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten
+hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184)
+verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des hauptstaedtischen
+Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen)
+angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehoert, was
+von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach
+stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren
+Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen
+zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue
+Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die
+letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie
+anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze
+Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler
+in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. Allein bei den
+ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter
+nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen Staatskasse
+zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit
+als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen
+Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die
+roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber
+die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glaenzendes
+Gesamtergebnis. ----------------------------------------- ^6 Die Kosten
+von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen
+worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es
+muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die
+Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2).
+----------------------------------------- Am bestimmtesten tritt der
+veraenderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen
+und ausseritalischen Untertanen der roemischen Gemeinde. Man hatte
+sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die latinischen
+bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die roemischen
+Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser
+Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon
+fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen
+war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung
+fand und diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188)
+Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In
+Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer
+Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege
+aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im
+Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren
+Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und
+ganzen betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt
+gelten. Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der
+Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den
+Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu
+namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet
+gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen
+Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen
+geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen
+Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die
+in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus
+diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen,
+hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. Die Stellung
+der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher angedeutet
+ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil
+veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel
+Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle
+dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr
+bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem die meisten
+mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der
+bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung
+der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren
+Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und
+Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen,
+wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000
+samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie
+Fregellae uebergesiedelt seien. Dass die Latiner, das heisst jetzt
+die wenigen noch ausserhalb des roemischen Buergerverbandes stehenden
+Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich
+gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der Herniker,
+und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt
+noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie
+im Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten
+Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr
+und mehr von der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen
+Bundesgenossen gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt
+soviel Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des
+Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen
+verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und
+den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk
+577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit
+den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des
+ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten
+Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
+Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger
+je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den
+latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die
+Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche
+Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde
+zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache
+Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der Buerger
+der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behoerden
+ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die Unmoeglichkeit,
+unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu leisten,
+veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der
+Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die
+Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger
+schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland
+angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des
+latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin
+nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast
+regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende
+Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183)
+begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche
+mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig
+ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577
+184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
+offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
+Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten
+wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen
+Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren
+Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung
+bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht
+zu vertauschen. Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen,
+der Eintritt in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt.
+Das aeltere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen
+einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch
+uebermaessige Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr
+zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet.
+Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die
+Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche
+entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf
+das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden
+gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
+Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische
+mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht
+nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses
+erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in das roemische
+Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die latinischen
+Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer einzelne der
+bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen Nichtbuerger ^7.
+---------------------------------------------- ^7 So wurde bekanntlich
+dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der Buergerkolonien
+Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das
+Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach
+bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben,
+wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten
+Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch
+haeufig dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der
+Gruendung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in
+dem jedesmaligen Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an
+eine beschraenkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
+---------------------------------------------- Diesen tatsaechlichen und
+rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der italischen Untertanen
+kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht
+abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im
+Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert
+und, waehrend die Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch
+Uebergaenge zu vermitteln bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall
+die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Bruecken abgebrochen.
+Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke
+sich absonderte, den oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog
+und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die
+Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber
+und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus,
+waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil
+ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte
+die Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die
+Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch
+die Liberalitaet seiner Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt
+selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung
+der Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert
+auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu
+eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes
+Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden
+des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
+Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte
+Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den
+Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die
+bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten
+Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms
+zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden
+begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig
+wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten,
+zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten,
+ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass ferner
+in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen eine noch
+gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung
+und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern
+zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung innerhalb
+der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren
+Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen
+Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung
+bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die
+Furcht hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach
+der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen
+Gemeinde zwei Maennern das roemische Buergerrecht und Sitz im Senat
+zu gewaehren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht
+abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals
+in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis zwischen Latium und Rom
+blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien
+getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten
+Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert
+sein wuerde. Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese
+Epoche in das roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich
+diejenige, welche am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der
+bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere
+roemische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die
+ueberwundenen Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft
+oder in der roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis
+zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und
+die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen
+in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren
+frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen
+einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das
+Verstaendigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete
+lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also
+die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und
+organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man,
+wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriss. Es war das Hemd des
+Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfaenglich die
+Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht
+eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und
+Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als
+man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die
+Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es
+weit weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt,
+als darauf, dass man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht
+verwandelte; fuer den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel
+nimmt oder gleich den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf
+dem Fuss. Das neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von
+Voegten, deren Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien,
+sondern auch mit der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich
+war. Wie die roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des
+frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt;
+wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen
+Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der
+Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
+Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in
+den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener
+begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er
+von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher
+sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten
+desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage,
+dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von
+ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der
+Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre
+altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende
+ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und
+Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten
+unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter
+und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens
+den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen
+nachdruecklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter
+ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man war durch die karthagischen
+Voegte und syrakusanischen Herren nicht verwoehnt und sollte bald
+Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der
+gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklaerlich,
+wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit
+der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge
+nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das
+Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den
+roemischen Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen
+lagen so sehr in der Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum
+ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um
+so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz
+festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der Vogt ganz
+reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der Sieger
+von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt.
+Die ueble Sitte, dem Amtmann "Ehrenwein" und andere "freiwillige" Gaben
+zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und
+mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; schon Cato musste in
+seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, diese Hebungen zu
+regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und ueberhaupt
+der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie
+Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das
+wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und
+seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung
+des Heeres oder bei anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen
+Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg
+gemissbraucht, dass auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583
+(171) die Feststellung des Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den
+Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste
+in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die
+masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus
+fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie
+ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat,
+offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der
+roemische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen
+die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhaengigen
+Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das zeigen die Raubzuege des
+Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in
+Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte
+kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen
+Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen Willkuerregiments
+fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz.
+Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr
+als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der
+Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst
+dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so
+war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen
+ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste ein Volkstribun kraft der ihm
+zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an
+das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der
+die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der damaligen
+Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen.
+Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes,
+und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete
+Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar
+verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines
+Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch
+Klagen von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden
+Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld
+befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern
+und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das
+Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast
+gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten
+freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und
+Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher
+getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden
+es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff;
+und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der
+Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine
+Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um
+den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den
+Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber
+wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige
+Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der
+Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und
+gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten,
+sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen
+von Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen
+Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite.
+Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten
+die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen
+meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft,
+wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich
+fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der
+roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen
+straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; woraus
+denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht
+unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie
+sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur
+den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten
+Verwaltung liegt in der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht
+der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es
+vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten machte die Schlaffheit und
+Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts
+wegen haetten die Voegte einer weit strengeren und spezielleren
+Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die italischen
+Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo das Reich
+grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert werden,
+durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze bewahrte.
+Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie
+souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden
+Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine
+der spaeter erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation
+der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als
+bedenklich. Der roemische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und
+im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen
+Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsaechlich
+unabhaengig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin gefuehrt,
+sein und seiner Administrierten Interesse von dem der roemischen
+Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem
+persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in
+der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im
+Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den
+Weg wieder zurueck in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl
+Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied.
+Auch die Regierung empfand es, dass die beiden fundamentalen Saetze
+die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der
+Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Haenden
+zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung
+neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der
+Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus
+den Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so
+zweckmaessigen Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr
+deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden roemischen
+Staatsmaenner vor der hier gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist
+nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilitaet entwickelte sich
+weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der
+Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger
+Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch
+ungehemmten stetigen Fortgang. Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf
+als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese
+gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss
+der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite
+Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als
+die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die
+Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf
+dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische
+Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu
+schildern. Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht
+dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert
+werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige
+Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten
+und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen
+fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das Glueck der
+Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem Grade
+geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede
+Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der
+gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze
+Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber
+beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige
+Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch
+in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl oft
+geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in buergerlicher
+und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie,
+mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der oeffentlichen
+Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch
+ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den
+Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen
+Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter
+Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist
+schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische
+Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn,
+die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an der Westkueste
+noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses
+Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, Praeneste, Signia,
+Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den
+italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische Vollbuergerrecht
+besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der juengsten
+Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und eine
+sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche,
+gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora
+et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der
+Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die
+Zwecke der Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher
+schon erwaehnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf,
+teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen
+und transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer
+staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde
+wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen
+politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz
+allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer
+Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was
+sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche
+Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen
+weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
+hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser
+Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in
+den Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in
+neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass
+allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische
+Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie
+diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr,
+die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen
+Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung
+und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst
+werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte
+voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
+hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
+geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche
+die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber
+zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende
+Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in
+letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch
+die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche
+Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die roemischen
+Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle gespielt. In
+der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn
+sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei
+der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher
+die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und
+kuemmerlich auslaufende Opposition.
+------------------------------------------------- ^8 In der bekanntlich
+zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden
+landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Eroerterung
+der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach Rom
+gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer
+einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der
+Gegend domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich
+daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der
+Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden
+Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern
+entschieden wurden. -------------------------------------------------
+Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel
+formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur
+Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt.
+Seit unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine
+Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von
+denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen,
+wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder
+verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben,
+und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
+Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht
+bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus
+den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der
+Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand.
+Die Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete
+finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten
+Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen
+Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten,
+jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
+Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
+ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben.
+Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550
+204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten
+regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der
+Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der
+Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche maechtige Konkurrenz der
+abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem selbstaendigen Mittelstand
+machte. Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in
+der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst
+nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen
+beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich
+fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in den
+Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges
+vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen
+Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und
+den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern der
+Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als
+die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden
+Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso
+unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. Aber es wirkten
+nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines
+hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet
+noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch
+denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere
+Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu
+haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass
+unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette zeigen duerfen;
+aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die Gunst der
+Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten,
+namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die
+Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich
+die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot
+umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder
+die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde
+stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen
+roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten,
+machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Aedilen
+moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das Getreide zu
+Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, dass die
+Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch habe eben
+keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu.
+Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr
+und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische Demagoge von
+Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und einen
+zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen
+Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes:
+"plebejische Spiele" hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft
+haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man
+weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der
+Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur
+wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der
+Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes
+Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren der neu aus
+Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter hinzugefuegt. Es waren
+dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges - bei der ersten
+Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem Spielplatz weg
+zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie
+war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie
+nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch
+deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man
+es tadeln, dass die Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure
+Opfer zumuten musste, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal
+nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam
+noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora
+hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der
+Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln
+- so die kurulischen Aedilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der
+Goettermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das
+Ceresfest, der staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag
+damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht
+zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat
+waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer
+Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die
+Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation
+fuer die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen
+Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele
+einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche
+steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul
+in Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige
+"Leistung" (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab.
+Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die
+Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die
+Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges
+Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte
+gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
+verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt,
+sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr
+hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die
+Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe
+heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus,
+warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie
+aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen
+Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten
+Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
+durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr
+an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der
+Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein
+unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner mit
+Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass
+auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu
+geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr,
+da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die
+Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen,
+nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes
+aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen
+Doerfern wegwarf. ------------------------------------------------- ^9
+Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen
+Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius
+(p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus
+gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538
+(216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so
+wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.
+------------------------------------------------- Wie sehr die
+Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter diesem
+Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den
+Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise
+offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische
+Krieg (576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft
+vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer,
+ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten
+ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. Auch
+hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des Hannibalischen
+Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die
+Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten
+Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180)
+stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren
+als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um
+die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen.
+Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten
+Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen
+nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen
+gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des
+Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel
+aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in
+offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten
+verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die
+Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste
+es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche
+vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat
+oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem
+Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein
+Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend,
+um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen
+Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen
+waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den
+Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens 5000 Feinden das
+Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter durch falsche
+Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den vornehmen Haeusern
+manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld
+dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur
+Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers
+einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische
+Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560
+194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste
+nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der
+Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien jedes Verdienst eine
+bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494
+260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, wenn er abends durch
+die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackeltraeger und
+ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des
+Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer eine
+Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange
+genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den
+gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden
+Zunamen zu schoepfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama
+begruendet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder
+den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen liess ^10. Dem
+Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es
+nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und
+dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte
+man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten,
+wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken
+zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht
+bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven,
+sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn
+freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den
+Senatorensohn von dem gemeinen Buerger, den Sproessling eines
+kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator - und das in derjenigen
+Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das Werk der buergerlichen
+Gleichheit war! -------------------------------------------------------
+^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist
+das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von
+Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in
+aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen
+Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus
+gleichartig. -------------------------------------------------------
+Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der
+Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den
+lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt
+die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig
+trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch
+notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern. Die
+Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person
+des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte
+Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem
+Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster
+des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht
+wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen
+Mittelstandes gegen die neue hellenisch- kosmopolitische Nobilitaet.
+Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der
+wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in
+die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem
+rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich
+entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter
+Flaccus' Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den
+Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
+Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten
+Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen
+Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama
+durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient
+und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich
+als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt.
+Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und
+schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis
+des roemischen Rechts und der roemischen Verhaeltnisse, seine
+unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten ihn zuerst in
+den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in
+der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war,
+zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit.
+Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen
+Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er
+daran gesetzt, dem einreissenden Verfall redlich, wie er es
+verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem
+fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist
+Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene Augen
+habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser
+Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich
+gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den
+Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch
+seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser
+Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar,
+aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der
+kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Bueberei
+und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und vor allen Dingen
+der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen
+des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten
+als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren
+sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht
+mit Unrecht, ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und
+ausser dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer
+von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen
+aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator
+und dem Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern
+seiner vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister
+vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und
+allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich
+gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er
+oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden
+neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose
+Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich
+den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener
+unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt
+worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie
+maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige
+Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den
+ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen
+niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen
+Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und
+im voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende
+Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen
+beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der
+Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und
+derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest
+stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der
+Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
+gestrichen wurden. Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen
+Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie
+achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen,
+konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile
+zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz
+oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so
+ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen
+der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und
+seinem Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten
+Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Faellen
+durchgaengig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato
+gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die
+Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschraenkung des Luxus
+und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in
+dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in
+der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. Bei
+weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden
+Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von
+neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz
+einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten
+Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den
+Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl und in bedeutendem
+Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der
+picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die
+Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die
+umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem
+Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona,
+Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina,
+Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem
+die meisten dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei
+zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens
+durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender
+Bauernstellen und ueberhaupt der freien italischen Bevoelkerung,
+anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum
+besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in
+Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato
+und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische
+Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab
+nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht
+taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen Mannes. Verwandter
+Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der
+Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen
+Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht
+gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der
+Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht
+Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu
+sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die
+roemische Regierung zu dem gluecklicherweise verunglueckenden Versuch
+bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu
+rekrutieren, die Milderung der fuer den Dienst im Buergerheer bisher
+geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300
+Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die zwischen
+4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen
+und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der
+Minimalzensus fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt
+und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als
+sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten
+Freigeborenen in das Buergerfussvolk miteingestellt. Diese vermutlich
+dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehoerenden
+Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische
+Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten
+doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit
+den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und
+sodann auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht
+setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas
+zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus
+entsprang eine der wichtigsten Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die
+Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in
+demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende
+ging (513 241). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den
+Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des
+Appius Claudius, allein die Ansaessigen gestimmt, aber doch die
+Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das
+heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Hoechstbesteuerten,
+das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens 100000 Assen
+(2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden
+Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung
+entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden
+Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung
+unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben
+war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der
+Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das
+Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch
+das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die Wichtigkeit jenes
+adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal
+in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf die
+Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der
+eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die
+gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul-
+und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis
+582 172), diese noch ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131),
+lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefaehrlichsten
+Moment, den die roemische Republik erlebt hat, in der Krise nach der
+Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des
+nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der
+durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines
+Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich
+charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das
+Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen
+ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine
+etwa durch das Los aus der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung,
+sondern ausschliesslich auf die erste Klasse ueberging. Diese sowie
+ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze
+nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, dass der
+Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das
+Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward.
+Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze
+bei dem allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine
+Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der
+Abteilungen blieb gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie
+gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den
+193 Stimmzenturien allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der
+reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt
+und dadurch bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite
+Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche
+Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen
+Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind
+die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer
+Tribus angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben
+werden musste. Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus
+eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien,
+und waehrend sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier
+staedtischen Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der
+Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell das gleiche
+Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der
+Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die
+Landtribus eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der
+Zenturienversammlung gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die
+reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, dass von den 70
+Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach
+die nicht ansaessigen Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher
+Weise muss auch in den vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern
+das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die
+bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im
+Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen
+Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im
+Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei,
+den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius
+Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen
+Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft.
+Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit
+ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige
+Verfassungsaenderung, die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann,
+der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht
+teils in der Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in
+der Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits
+der Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung
+der Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden
+Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, Gesetzvorschlaege,
+Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung der Buergerschaft
+erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die Tributkomitien gebracht
+und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen
+wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch ueblich war,
+um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen
+Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht
+ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in
+der praktisch haeufigeren und wichtigeren Kategorie der
+Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner Geltung
+gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz
+zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen
+Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der
+Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser
+Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden Stimmordnung
+nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die
+gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht
+verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist
+sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung,
+dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen
+Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen.
+Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform noch die frueher
+schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten roemischen
+Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die
+Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der
+Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu
+beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern
+sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.
+----------------------------------------------- ^11 Ueber die
+urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas
+Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus
+der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen
+in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von _, , , 1/9 stehen.
+Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren
+Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint
+hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch in Beziehung auf das
+Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu Denar) in
+Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen Muenzwesens, S. 302).
+Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussaetze
+in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht des
+leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat
+er dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese
+bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte
+die spaeteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der
+Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der
+Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben wuerde. Gegen
+beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; doch scheint
+die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der
+demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften Jahrhunderts
+noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen Massregel
+wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung
+verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen
+uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen
+Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach
+die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im
+Wert gewechselt haben wuerden.
+----------------------------------------------- Fasst man zusammen, was
+von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie
+dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes
+und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem
+uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet unzweifelhaft
+patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu einem
+gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres
+politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille
+der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und
+kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in
+die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im grossen und ganzen zu
+bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese
+sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der
+Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit
+ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig
+dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen
+mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und den grossen
+Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer
+Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu
+haben. Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit
+emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche
+Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt
+das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der
+Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine
+freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne
+auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen
+anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem
+Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen
+und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen;
+zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
+Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer
+ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat,
+diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor
+allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so
+hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und
+Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die
+wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der Diktatur.
+Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 (217)
+hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren Institut den
+Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter
+dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem
+Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch
+in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar
+Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der
+zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer
+staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne
+foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit
+ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem ein
+fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr wuenschenswertes
+Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das Eintreten der
+Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in der
+Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen
+hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward
+dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene
+Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich
+ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten
+gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach
+Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, und damit einen
+dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand herbeizufuehren. Daneben
+dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in
+Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise
+sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten
+Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem Herkommen
+selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Koerperschaften
+ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur
+Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht
+bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die
+Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen
+Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der
+republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch
+nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung
+der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus dem Schosse dieser
+Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde ueberging; wobei
+ueberdies noch, mit echt roemischer formaler Goetterfurcht, um ja nichts
+zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, also nicht das
+"Volk" den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung war das zunehmende
+Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche Fragen aus
+dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher
+gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher
+die Wahlen der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal;
+hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss
+von 537 (217), wodurch das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren
+Generalissimus und seinem populaeren und ihm im Lager wie daheim
+opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen
+Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft verfuehrte tribunizische
+Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher Kriegfuehrung (545 209),
+welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt
+zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung vor dem
+Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren
+Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den
+Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste
+Bekleidung eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer
+Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den
+Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von
+der Buergerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch
+eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, der Buergerschaft
+wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte
+Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); hierher
+das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch
+Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und
+Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber
+weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde;
+nicht bloss, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde
+durch jeden Angriff auf das aelteste und wichtigste Recht der Regierung:
+die ausschliessliche Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil
+die Unterstellung der wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit,
+der Aufteilung der Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der
+Buergerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die
+Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt in den eigenen Beutel
+hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, sondern der
+Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft und
+gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche
+Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie
+zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess,
+durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste
+aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem
+er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre
+522 (232) an die Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem
+Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte
+zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt;
+aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach
+zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als
+Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber
+regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung
+eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa
+bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische,
+administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats
+und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in
+unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu
+machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der
+beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige Rolle
+zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke zugeteilt ward,
+so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei
+dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht
+der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine
+Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche
+in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen
+gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel
+die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar
+oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen.
+Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen
+konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine boeswillige
+Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen
+Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel
+in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten Schaedigungen
+und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus sich
+verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte
+den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der
+Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich
+ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus
+und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen
+Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines besonderen
+Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem naechsten
+Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. Im Staate wie in
+jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch
+schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung
+schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der
+Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren.
+Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren
+zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um
+sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken,
+denen gegenueber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu
+gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, im Weinhaus
+Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen
+strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen;
+daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen
+Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen
+in Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am
+Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung
+gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene
+unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und
+begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten
+Recht war. Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde
+selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich
+entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der
+verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der
+einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten
+Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als
+das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus
+einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung
+des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut
+von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? Das
+Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die
+Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch
+die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die
+scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen
+sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen.
+In der Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und
+Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz.
+Gaius Flaminius galt den Staatsmaennern der folgenden Generation als der
+Eroeffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und -
+setzen wir hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution
+hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart,
+der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in
+seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf
+die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet
+bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die
+Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb,
+und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und
+niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der
+Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht,
+liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als
+der erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen. Die
+Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein,
+wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an
+Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite
+dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen
+geschah von seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen
+Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritaeten noch
+wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die Parteien trennte,
+noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die schlimmsten
+Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte,
+so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis auf das dumpfe
+Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Daemmen
+arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und selbst
+diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz
+und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich
+genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft
+zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es
+Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren
+Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, erschien die
+Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als
+das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille
+vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmaessigkeiten, eine
+Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham
+fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische
+Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem
+alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald
+sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu
+einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und
+es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude
+einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die roemische Verfassung formell
+so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den
+Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darueber hinaus; aber
+die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall nicht ein Zeichen
+der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der
+Vorbote der Revolution. 12. Kapitel Boden- und Geldwirtschaft Wie mit
+dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen pragmatisch
+zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten auch
+in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer
+Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die
+Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise
+und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden
+liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden-
+und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich
+der Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende
+Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die innere
+Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen Verhaeltnisse
+hier zusammenfassend zu schildern. Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder
+Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato
+entworfenen Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt.
+------------------------------------------------ ^1 Um uebrigens von dem
+alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es notwendig, sich
+zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die neuere
+Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen
+nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der
+Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der
+Reis ward in Italien zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst
+zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln
+und Tomaten stammen aus Amerika; die Artischocken scheinen nichts
+als eine durch Kultur entstandene Varietaet der den Roemern bekannten
+Cardonen, aber doch in ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu
+sein. Die Mandel dagegen oder die "griechische Nuss", der Pfirsich oder
+die "persische", auch die "weiche Nuss" (nux mollusca) sind zwar Italien
+urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig
+Jahre vor Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie
+in Griechenland aus dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge
+des uralten kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den
+Orientalen, ward in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus
+gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte
+wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben wie heutzutage, als
+Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten
+sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am
+Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt
+zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist;
+noch juenger vielleicht die Aprikose oder die "armenische Pflaume".
+Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in Italien
+kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder
+dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika
+die Aloe (Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von
+Arabern gebaut worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem
+neuen, nicht dem alten Italien eigen. Wie man sieht, sind die mangelnden
+grossenteils eben diejenigen Produkte, die uns recht "italienisch"
+scheinen; und wenn das heutige Deutschland, verglichen mit demjenigen,
+welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt werden kann, so ist
+auch Italien in nicht minderem Grade seitdem "suedlicher" geworden.
+Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
+durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte
+ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte
+Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward,
+wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer
+diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital
+in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut,
+sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der Maximalsatz des
+Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von zwei oder
+drei Landguetern gedacht worden ist.
+------------------------------------------------ Vererbpachtung ist der
+italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft fremd; nur bei
+den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit,
+sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter
+alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die
+Haelfte der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und
+Notbehelf; ein eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht
+gebildet ^3. Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den
+Betrieb seiner Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich
+selbst, sondern erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den
+Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und
+seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward,
+teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich
+nach Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen.
+--------------------------------------------- ^2 Nach Cato (agr. 137,
+vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug
+des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen Verpaechter und
+Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen ausgemachten Teilen
+geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst die Analogie
+des franzoesischen bail a cheptel und der aehnlichen italienischen
+Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer
+Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das
+fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis
+neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen;
+er ist nicht Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener
+Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt.
+^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen
+Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu
+erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine
+Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
+------------------------------------------------------- Von Getreide
+wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut;
+daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter,
+Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der
+Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die
+Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die
+Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur
+Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie
+haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer
+wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und
+der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf
+eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und
+andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag,
+teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes,
+Ulmen, Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den
+Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur
+ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch
+kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der
+heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des
+Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der
+Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung
+von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur
+gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
+nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens
+auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide
+Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet;
+haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen
+grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde
+einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von
+Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen.
+Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -,
+Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
+gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und
+ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter
+so unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
+----------------------------------------------------- ^4 Dass zwischen
+den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens leicht im
+Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137)
+hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen
+anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die
+Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2,
+9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man
+auch zwischen diesen Getreide.
+----------------------------------------------------- Die Feldarbeit
+ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die besonders
+zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch
+ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man
+zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig
+waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100
+Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer
+Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos
+Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das groessere vier
+erfordert. Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft.
+An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der
+Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft
+und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen
+Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin
+(vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag
+besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein
+Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab,
+ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der
+Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne
+Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches
+mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240
+Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte
+und drei Hirten gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich
+mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen
+kommen ein Pflueger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand
+natuerlich freier als die uebrigen Knechte; die Magonischen Buecher
+rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato,
+ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht
+gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu
+erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand.
+Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen,
+sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch
+wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden
+waren, mit anderem Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das
+Wirtschaftsgebaeude (villa rustica) war zugleich Stallung fuer das
+Vieh, Speicher fuer die Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der
+Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes
+Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der
+Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des
+Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann
+auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft
+wurden und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber
+beschafften; so monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu
+mahlen hatte, ferner Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und
+Oel. Die Quantitaet richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel
+der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes
+Mass als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die
+Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war
+nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder
+einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf
+die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6.
+Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich
+von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer
+dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht
+verwandt, ausser in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft
+fand, den Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu
+verwenden, und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden
+Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm
+man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem
+Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen,
+das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische
+Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte
+einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel
+einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften,
+gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht
+einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen
+besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig
+verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig
+und liess den Kaeufer die Einbringung besorgen.
+--------------------------------------------- ^5 Mago oder sein
+Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven nicht zu
+zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und
+ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der
+Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es
+nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato
+(agr. 2) ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1,
+8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der
+Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen
+werden, ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil
+des regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst
+betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf
+aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte
+charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
+Dienerschaft (familia urbana). ^6 In dieser Beschraenkung ist die
+Fesselung der Sklaven und selbst der Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26)
+uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten
+Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, statt des
+Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt
+die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv
+von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung
+(Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die
+Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als
+eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum),
+ein Kellergeschoss mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus
+mit der Hand zu erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein
+notwendiges Stueck des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich
+dies dadurch, dass die Lage der Gutssklaven haerter war als die der
+uebrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen
+wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass
+grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten
+liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin
+angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden
+Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber
+Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie
+sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde
+gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht.
+Berlin 1856, S. XXXI). ^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht
+ausdruecklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in
+der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der
+Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten einzurichten, und am
+wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die Trauben
+auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).
+--------------------------------------------------- Die ganze
+Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit
+der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter
+Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu
+freundlich gegen seine "Mitsklaven" sein. Man naehrt gehoerig den
+Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil es nicht
+wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie
+die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden sind, weil
+es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu behalten.
+In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier mildernd
+eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest-
+und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer
+den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die
+Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache
+nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings
+ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten
+Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu
+beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet
+- der Sklave, lautet einer von Catos Wahrspruechen, muss entweder
+arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche Beziehungen die Knechte
+an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht einmal versucht.
+Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, und man
+machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. "Soviel Sklaven, soviel
+Feinde", sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer
+Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu
+unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles
+und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago,
+davor, Sklaven gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um
+nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte
+herbeizufuehren. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von
+den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die roemische Gemeinde die
+Untertanenschaften regierte in den "Landguetern des roemischen Volkes",
+den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, dass der herrschende Staat
+sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn
+man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des Denkens
+emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das
+darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das
+Lob der Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und
+Soliditaet nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt
+sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll,
+der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich
+ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt
+zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den
+Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber
+sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist,
+nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen
+Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert
+und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den
+Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben
+bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu
+wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der
+ist ein schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er
+auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei
+Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass
+das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag
+tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber
+der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst.
+Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl
+sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist
+zum Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also
+zuvor Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in
+allzu frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse
+Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der
+rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig
+die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar
+bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte anzueignen,
+wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
+griechische, afrikanische und spanische erscheinen.
+---------------------------------------------- ^8 Columella (2, 12, 9)
+rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und
+damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der
+heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen
+Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die
+Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella
+auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig
+das wandelbare "Saatfest" (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast.
+1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und
+sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
+---------------------------------------------- Die Bauernwirtschaft
+war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur verschieden durch den
+kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine Kinder arbeiteten
+hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich
+zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und seiner
+Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten
+zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen
+groesseren Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen-
+und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und
+gaben sehr reichlichen Ertrag. Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr
+ins Grosse getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste
+auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum haben als das Ackergut
+- man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das
+Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen
+Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die
+Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon
+in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf
+denselben Pfaden, die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und
+im Herbst wieder zurueck von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide
+indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem
+Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog
+Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den Gutsbesitzern,
+Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu liefern;
+auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber
+und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens
+von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft
+und war im ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister
+(magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer
+ueber kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern
+hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter
+Schuppen und Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die
+kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und
+ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei
+der Gutsmannschaft geschah. Um die oekonomischen Resultate dieser
+Bodenwirtschaft einigermassen zu wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse
+und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich
+sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld
+der roemischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht
+so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche
+Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der
+italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt
+worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des
+ueberseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den
+Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine maessige Verguetigung
+der roemischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an
+Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und
+der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art
+abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch
+es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es
+sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen
+Kriege wurden die roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne
+unterhalten, und wenn dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil
+gereichte, so verschloss sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer
+den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung,
+welche laengst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt
+hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im
+Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der
+Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich
+groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten,
+und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
+Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu
+erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu
+ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich
+oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon
+in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf
+Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs
+Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die
+Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8 Groschen) abgegeben; einige Jahre
+nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides
+zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst
+eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
+mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr
+haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung
+oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren Getreidegesetze
+geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht auf diesem
+ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drueckte es auf
+den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, die
+der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel
+von diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem
+Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich
+war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge
+der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross-
+und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis
+ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der Transport aber
+des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens
+ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien,
+Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im natuerlichen
+Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen
+und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die
+leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen
+waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen
+Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es
+scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des
+ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem
+in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet
+Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Verguenstigung
+gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den
+Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das ueberseeische
+Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen
+dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher
+Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische
+Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4
+Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot
+preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii
+(= 17 preuss. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner
+Ausserordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen
+andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst Sizilien die Kornkammer
+Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Haefen das
+sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den
+reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und
+Lombardei zahlte man zu Polybios' Zeit fuer Kost und Nachtquartier im
+Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der
+preussische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3 Groschen).
+Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen
+Normalpreises ^9, zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es
+der italischen Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und
+infolgedessen das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet
+war. ------------------------------------------ ^9 Als hauptstaedtischer
+Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das siebente und achte
+Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den roemischen Modius
+oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer heutzutage
+(nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und
+Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt
+wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und
+der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des
+Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden. Uebrigens
+duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der spaeteren
+Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies
+heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten
+von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten
+Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege
+der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9,
+44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92;
+214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5
+Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der
+Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend
+und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen
+auch heute noch sich wiederholen.
+--------------------------------------------- In einem grossen
+Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu ernaehren
+vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht
+unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien,
+wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache
+war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der
+wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich
+das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die
+schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich
+wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfaehig die
+Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das
+duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu ernstlichen
+Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber in
+jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher
+sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede
+Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten
+sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben
+in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des Volkes gesehen haben,
+und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die
+Griechen zu emanzipieren und die republikanische Koenigskontrolle zu
+besorgen - so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein. Seit
+der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war
+die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich
+auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die
+sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen
+Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen
+Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den groesseren
+Grundbesitz aufgehen wuerden. Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer
+imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger
+als jener, wenn er sein Land nicht nach dem aelteren System an kleinere
+Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte
+bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher geschehen
+war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen
+Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven
+ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner
+sich eher durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den
+Konkurrenten gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren
+Bodenrente sich begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz
+mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben.
+Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten
+des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das
+Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint
+^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht.
+Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens
+die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
+italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
+Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein
+Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit
+Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die
+oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird.
+Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in Grundstuecken
+angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien;
+was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren durchschnittlichen
+Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen
+bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten
+der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am
+wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer
+jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen
+und auf ihrem naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse
+reichten an sich schon aus, um allmaehlich an die Stelle der
+Bauernwirtschaft ueberall die Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem
+Wege der Gesetzgebung ihnen entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war
+es, dass man durch das spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz
+(kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser von der Spekulation
+ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang,
+vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst die alten
+Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen
+ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem
+Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie
+als die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb
+im grossen erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem
+Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht
+die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges
+Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl
+und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten Grenzen;
+wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den Eigentuemer
+wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon an, gutes
+Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu verwandeln - was
+die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht um diese
+Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen
+der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da
+regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich
+grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen
+auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich immer unsicheren Besitz
+bedeutende Bestellungskosten zu stecken, namentlich Reben und Oelbaeume
+zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man diese
+Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
+------------------------------------------------- ^10 Darum nennt Cato
+die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum)
+und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss Wein und Oel,
+sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren freilich die
+800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit
+Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten
+alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von
+8 culei fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3);
+allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe,
+dass der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun
+zu muessen, bevor die alte verkauft ist. ^11 Dass der roemische Landwirt
+von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, laesst
+Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag fuer Kosten und
+Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen
+folgende Kostenberechnung aufstellt: Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
+Kaufpreis der Arbeitssklaven auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
+Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen Verlorene Zinsen waehrend der ersten
+zwei Jahre 497 Sesterzen Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler. Den Ertrag
+berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65
+Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes
+ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen,
+die Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben,
+Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. Den
+Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf
+hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf
+weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von
+25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem
+hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr
+als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der
+Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als
+gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen
+vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht
+ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten
+machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. Alle diese
+Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. Von
+ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser
+rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl.
+2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich
+nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide
+zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die
+Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte
+Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem
+Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch
+noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde Taetigkeit und
+Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt
+als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des
+Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in
+absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der
+infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5.
+Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9.
+Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun Bestandteile in dem
+Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter saemtlich wiederkehren. Von
+dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch,
+dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr
+zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von
+dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins
+empfaengt. ----------------------------------------------- Von der
+roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende
+Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus
+dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die
+bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung.
+Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht
+weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an,
+sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation,
+deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige ueberall
+zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmaennische
+Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den Roemern nur
+aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der Durchfuehrung
+und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, dass
+der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten
+wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart.
+Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
+Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den
+Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen
+Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers
+(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der
+Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten
+auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt
+und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland
+ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit
+vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
+Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die
+kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und
+Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon
+im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden.
+Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise.
+Das System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den
+ganzen roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine
+komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen
+eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder
+Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig
+in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die
+Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und
+der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die
+saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva
+vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
+nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. Welche hervorragende Rolle in
+der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische Handel bereits
+frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren
+Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende
+Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft.
+Ausser den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen,
+durch die die Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe
+noch kuenstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die
+herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die
+wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Roemern und Latinern
+vertragsmaessig zustehende Zollfreiheit. Dagegen blieb die Industrie
+verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich,
+und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu einem gewissen
+Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen
+Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an
+Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem
+starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit
+der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine
+Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien
+bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande
+mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs
+gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie
+gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog
+hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und
+milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.
+----------------------------------------------------------------- ^12
+Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon
+aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie
+spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei
+Plut. Cato mai. 21).
+-----------------------------------------------------------------
+Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
+ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst
+den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge
+dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden
+Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon
+in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten
+Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren,
+doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
+Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die
+Haende zu geben. Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen
+Zweigen erfolgte durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der
+Bankier richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und
+Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die
+Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte
+fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven
+und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte
+sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
+Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte
+oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum
+Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren
+auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen
+kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Gross- oder
+Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich
+durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage
+dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgaengig
+unguenstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den
+letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen
+ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie und
+faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und
+eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese
+Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem
+Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster
+in die Reihen der roemischen Buerger und nicht selten zu grossem
+Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens
+ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens
+beigetragen haben. Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der
+gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und
+in seiner Art nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von
+der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht
+nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen,
+in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne
+gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen
+Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die
+Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
+Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt
+voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen
+Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge
+der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze
+beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens
+neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald
+ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso
+rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in
+Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
+Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die
+spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen.
+Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte,
+ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im
+westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und
+etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und
+Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im
+Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art
+unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
+durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre
+Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren,
+den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der
+Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen
+begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte
+nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische
+Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
+Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die
+Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis
+hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des
+Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare
+roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht;
+dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des
+internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die
+roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen
+von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des
+Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran
+fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber
+zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse
+angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht
+auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in
+der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder
+ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel
+fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die
+edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals
+also nahm das Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog,
+wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr
+derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp
+und Alexander dem Grossen zum Goldcourant uebergegangenen Osten.
+------------------------------------------- ^13 Es lagen in der Kasse
+17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, 18230 Pfund
+gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war
+1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
+---------------------------------------------- Der Gesamtgewinn aus
+diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen Kapitalisten floss
+ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins
+Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an,
+sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr
+gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten
+oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den
+Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms
+gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso
+entschieden wie seine politische und militaerische. Rom stand in dieser
+Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie heutzutage
+England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren Scipio
+Africanus sagt, dass er "fuer einen Roemer" nicht reich gewesen sei.
+Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefaehr
+danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000
+Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass
+eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie
+erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines
+vornehmen Maedchens angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses
+Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im
+Vermoegen hatte. Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische
+Geist sich der Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht
+neu in Rom -, dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen
+Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der
+Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu
+werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein
+Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. "Einer Witwe Habe mag
+sich mindern", schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten
+Lebenskatechismus, "der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige
+ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher
+bei seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat".
+Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird
+jedes auch ohne irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft
+respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische
+Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil
+das Klagerecht zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen
+ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt
+Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt
+einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht.
+Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in
+allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von
+Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden
+in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften,
+wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens
+besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische
+Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische
+Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder
+ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn auch in jedem
+wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab
+-, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten Willen aus der
+Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben
+bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne Testament gewesen sei.
+Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den kaufmaennischen
+Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen
+Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt
+nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei
+Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als
+sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen
+geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt
+galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in
+Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den unbescholtenen gegen den
+bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien
+fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet
+tritt namentlich in der scharfen und immer schaerferen Auspraegung
+des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche
+Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht
+bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle
+mit oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine
+andere Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz
+ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte
+(amici) sich untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess,
+Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten
+bestimmten Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung
+und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass
+es unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage
+selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der
+Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des
+Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch
+die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche
+Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem
+Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung
+gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller
+Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer
+solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette
+war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf
+rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden.
+----------------------------------------------- ^14 Darauf beruht die
+Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt
+die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. ^15 Die
+Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer
+den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des
+Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte
+Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen
+Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener
+Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese
+kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich,
+der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber
+verschwunden. ---------------------------------------------- Eine der
+wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer
+fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine
+Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch
+besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der Regierung,
+ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei
+dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl auch der
+groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, dass
+nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften
+diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser
+Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden
+sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
+Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen
+Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16.
+Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem
+Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche
+Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum
+unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als das
+sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch
+Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer
+von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt
+kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war
+aber ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen
+Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu
+spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff
+mit seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern
+Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum
+fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte
+groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische
+Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
+Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
+vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
+kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie
+eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios' Zeugnis
+kaum einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller
+Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und
+um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil
+seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken
+gehabt haben. ---------------------------------------------- ^16 In
+dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der
+Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph:
+"Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand
+zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer
+verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort
+als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein
+scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm
+bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit
+welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu
+jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den
+Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt." Dass der
+Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist,
+wird stillschweigend vorausgesetzt.
+--------------------------------------------- Auf allem diesem
+aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht noch
+merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in
+dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen
+Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt,
+findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen
+der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. Bei der
+einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie
+konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen
+Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche
+bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine
+toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag
+durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende soziale Abgrenzung
+der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach unten hin ist
+nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, anscheinend
+gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut und
+Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei,
+fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand
+nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem
+respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem
+Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber
+und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine aehnliche Schranke das
+von Gaius Flaminius veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218),
+welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum
+Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich
+auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt
+ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter "Spekulation"
+(quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den
+Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen
+Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen
+wollte, dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte
+machten; es kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie
+spaeter so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache
+gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der
+Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur
+sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege
+genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser
+Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht
+offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und
+der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite
+gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit
+dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen.
+----------------------------------------------------- ^17 Liv. 21, 63
+(vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung ueber die
+Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem
+Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p.
+94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius "jede
+Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward", so hat
+das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.
+---------------------------------------------------- Eine weitere Folge
+der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige Hervortreten
+eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und grossen
+am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster
+Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der
+Handel bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der
+Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven,
+welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern
+nach Ariminum und den anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit
+Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des
+Silbergeldes in das Keltenland von der roemischen Regierung untersagt.
+In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene,
+Karthago musste die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen.
+Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms
+Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und liess
+den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist,
+notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen -
+besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte
+und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der
+Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste
+Burg der roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen
+zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen
+Kleinstandes enthalten war, verkuemmerte unter dem unseligen
+Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des
+leidigen Freigelassenenstandes bei. Aber vor allem zehrte die tiefe
+Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem
+Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen-
+und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil
+der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in
+jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der
+instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des
+wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen
+verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpoente
+gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem Lustspiel dieser Zeit:
+Wahrhaftig gleich eracht' ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; Wenn
+jene feilstehn insgeheim, tut ihr's auf offnem Markte. Mit Kneipen die,
+mit Zinsen ihr, schindet die Leut' ihr beide. Gesetze gnug hat eurethalb
+die Buergerschaft erlassen; Ihr bracht' sie, wie man sie erliess; ein
+Schlupf ist stets gefunden. Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet
+das Gesetz ihr. Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der
+Fuehrer der Reformpartei Cato sich aus. "Es hat manches fuer sich",
+heisst es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, "Geld auf Zinsen
+zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also
+geordnet und in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen,
+der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus
+man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der
+Zinsnehmer von ihnen erachtet ward". Der Unterschied, meint er anderswo,
+zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man
+muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen
+Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine
+strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
+hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt
+seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten
+mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich
+rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute,
+sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel
+der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer
+Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die
+Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer
+war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
+ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu
+geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato
+war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. "Wenn unsere
+Vorfahren", faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, "einem
+tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen
+tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward,
+schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich
+fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und
+Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die
+tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie
+dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
+abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken". Von sich selber
+pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei
+Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und
+wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemaess
+war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der
+Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers gegolten. Leider
+ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche Wahrheit, dass
+dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel
+der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
+Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der
+Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der
+Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie
+war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum
+fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art
+gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den
+arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die
+Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die
+Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in
+Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet
+taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
+Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen;
+und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die
+senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem
+Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise
+das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der
+zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum
+wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der
+erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und
+menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf
+Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen
+Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und
+nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und
+verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft.
+Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die
+Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte.
+Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und
+vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er
+schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht selten
+gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato beschriebene
+vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten
+Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien ernaehrt
+hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig groesstenteils
+unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende
+Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis
+zum Verwechseln aehnlich. ---------------------------------------------
+^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer
+in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war
+nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in
+Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch
+Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter
+Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das
+Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein
+verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu
+den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.
+------------------------------------------------- Das Gesamtergebnis
+dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten Bevoelkerungsverhaeltnissen
+nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen
+Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der
+Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser
+Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so
+schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode
+die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und kraeftige
+Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es wohl
+moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur
+Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der
+sogenannte "gallische Acker" durch die Aufteilungen des Domaniallandes
+in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche
+Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
+mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren
+Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien
+Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile
+des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten
+und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den
+abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen
+hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer
+Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und
+Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen,
+zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fuenften
+Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung von 529 (225) war
+es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als die saemtlichen
+latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem roemischen
+Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein
+der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die
+Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres,
+obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch
+uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin
+wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden.
+In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier
+angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die
+schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen,
+im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz und waren
+die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern kleine
+Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet
+ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne Bevoelkerung
+von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden
+Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um
+hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von
+Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten
+Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen
+und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem
+verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen
+doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten
+Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und
+Polybios stimmen darin ueberein, dass Italien am Ende des sechsten
+Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende des fuenften bevoelkert und
+keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten
+Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung,
+die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen
+herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von
+ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die
+roemische Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte
+im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus' Zug nach Afrika, 298000
+waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des
+Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Koepfe, also um
+ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben
+Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel gesunken; und
+ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine ausserordentlichen
+Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der
+grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren
+ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer
+wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode
+gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische
+Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel ein
+verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken
+der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von
+landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
+aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben
+wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien
+und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den
+Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier
+recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher
+gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre
+569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, auch mit
+dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt
+und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien
+mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196,
+und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und Praeneste
+Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte ueberrumpelt zu
+werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und loeste
+die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und
+Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege
+mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft
+dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen
+Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel
+ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand
+sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber erschreckend und
+beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils wohlmeinenden und
+tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht einmal die
+Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen
+Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen
+Adel, die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten
+Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten,
+eines Tages auf dem roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es
+laut vor den Umstehenden aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder
+an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlass der
+Buergerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und
+sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch
+nichts als der schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit,
+womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und
+Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man
+liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger
+und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
+bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. 13. Kapitel
+Glaube und Sitte In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben
+und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die
+allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und
+Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen
+Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein
+Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in
+guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat
+seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch
+sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht
+der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher
+Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die
+Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die
+Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen
+Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien
+zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht
+wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir
+ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen.
+Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen
+Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche
+Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber
+gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass
+er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch
+in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen
+Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen
+Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist
+eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die
+Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde:
+"Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius
+Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause".
+Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und
+der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des
+Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend
+den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann
+folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit,
+die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand,
+dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben,
+die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher
+gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet
+oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
+getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
+gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der
+Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in
+hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste
+Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat,
+so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht
+geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis
+staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm
+gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der
+Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren
+Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem
+Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und
+goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag
+dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm
+bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten
+Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter
+der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne
+Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter
+ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde,
+Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde
+die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen
+herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des
+verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die
+Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines
+jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst
+Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. Man mag das
+Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette
+freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis
+in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber
+selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie
+zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet
+dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem
+gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen
+Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter
+fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln
+und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen
+Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen,
+um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. Aber man war jetzt an einem
+Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien
+beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es
+auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren
+Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem
+Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte
+hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche
+Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen
+Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen;
+wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache
+und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen
+bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in
+seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing
+an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und
+vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und
+wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die
+deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht
+haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu
+bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit
+brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat
+der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas
+Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den
+hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte
+wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr
+humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete
+vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem
+geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten;
+und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging,
+uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den
+Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch
+Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation.
+Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich
+gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der
+italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie
+bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben
+gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine
+Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus
+fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei
+ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. Es
+gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf
+der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die
+politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche
+Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch
+frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische
+Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die
+Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche
+beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend
+gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die
+Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die
+letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem
+Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum
+Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in
+griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern
+legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den
+freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe
+griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz
+dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass
+die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber
+Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht
+zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer
+sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der
+Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale
+Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt
+zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen,
+durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die
+hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll
+betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen
+uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische
+Kunst. --------------------------------------------------- ^1 Dass
+Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und
+seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt;
+wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich
+dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion.
+Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Asiagen/e/s.
+wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber
+nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.
+---------------------------------------------------- Aber der
+eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
+Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens
+und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen
+werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich
+bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen
+Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen. Wie der alte einfache
+Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten
+die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen
+Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste
+mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass
+er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und
+opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine
+Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht
+aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus
+lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der
+Menge willen sehr zweckmaessig seien. Aber wenn man in Italien noch
+besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale
+Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu
+verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung
+des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen
+Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der
+oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger,
+sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen
+Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im
+Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und
+Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones)
+hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch
+ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein
+jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und
+Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale
+Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer
+Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben
+nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen
+sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie
+fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit
+mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und
+ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen
+zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie
+heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen,
+namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten
+Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben
+und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast
+betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast
+zu werden - "Erbschaft ohne Opferschuld" ward bei den Roemern
+sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns "Rose ohne Dornen". Das
+Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar
+Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot
+abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten
+unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen
+wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten
+(stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und
+Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne
+Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in
+der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und
+Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: Gleichfalls,
+Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag Fuer die Kuesterin,
+fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; Saehst du nur,
+wie die mich anguckt! Eine Schand' ist's, schick' ich nichts. Auch der
+Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. Man schuf zwar in
+dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen
+Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie
+in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz
+der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen
+Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es
+auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft
+und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene
+beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den
+alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der
+Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum
+Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel,
+dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern
+genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes
+Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal
+hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch
+Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder
+vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte,
+als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu
+sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In
+dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
+Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der
+Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen
+Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu
+befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb -
+freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der
+Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche
+werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt
+werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und
+Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit
+geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum
+eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene
+Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener
+und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen
+Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios'
+Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren
+Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die
+hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
+Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse
+der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu
+schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende
+Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu
+durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel
+durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen
+Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber
+nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung
+der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische
+Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des
+alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470)
+ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben
+hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die
+Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese
+Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre,
+in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion
+wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der
+Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion
+lieferten die "heiligen Memoiren" des Euhemeros von Messene (um 450
+300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das
+wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern
+umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im
+Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch
+gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die
+Geschichte von Kronos' Kinderverschlingung erklaert wird aus der
+in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften
+Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und
+Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes
+Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort
+die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des
+ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und
+der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven
+Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische
+uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit
+gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
+und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war
+ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese
+Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der
+ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen
+Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. So ging es mit der
+alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen
+Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem
+Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer
+Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-,
+neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der
+Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern
+die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders
+den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens
+in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst
+begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch
+aehnliche Erscheinungen - so die praenestinischen Spruchlose und in
+Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der
+hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und
+seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies
+und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die
+Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die
+Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen.
+Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden
+billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man
+war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige,
+bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene
+Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen
+aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben
+als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen
+Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren
+schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
+bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme
+der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter
+der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten
+bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen
+muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer
+Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den
+die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden
+freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde
+eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis
+unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender
+Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende
+Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der
+Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der
+Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch
+streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten
+(Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger
+zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste
+Apparat der "Grossen Mutter", diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze
+unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer
+Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus
+bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom
+wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein.
+Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich.
+Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der
+scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine
+geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen
+griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein
+Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz
+Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten
+Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde
+hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell,
+grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die
+Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu
+werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte,
+dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich
+absehen lasse. Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso
+unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen
+Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der
+hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen.
+Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, "dass er ohne
+Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich
+darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem
+Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei
+einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
+Chaldaeer". Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange,
+das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist
+ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen
+Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt
+Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren
+Anhang: Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
+Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, Wollen
+andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, Schenken Schaetze
+dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. Aber in solchen Zeiten
+hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes
+Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden
+polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders
+konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des
+verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch
+512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das
+Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich
+verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die
+Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens
+nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte,
+die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen
+zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen
+Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen
+hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die
+Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der
+aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme
+auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des
+Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem
+neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch
+davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist
+es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch
+Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren,
+erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den
+Behoerden eingeschritten ward. Wie nach der Vorstellung der achtbaren
+Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein
+sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns
+von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als
+Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war
+und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein
+guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche
+Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus
+verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen.
+Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer
+gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf
+es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven
+wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu
+Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum
+Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der
+Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit
+dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder
+in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die
+Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei
+der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute
+Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines
+seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit
+auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern
+nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel.
+Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte,
+putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; "ueberlaestig und
+hoffaertig sind die Frauen alle" - meinte der alte Herr - und "waeren
+die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos
+sein". Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und
+Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen
+da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der
+Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst
+deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, worin das
+Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft
+und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei
+dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend
+moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche
+Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er,
+habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort
+in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter
+umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei.
+Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner
+mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz
+getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete
+der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und
+lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost
+ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war,
+wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und
+ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben
+musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
+Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum
+lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen
+und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten
+Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass
+er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete,
+seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze
+Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein
+Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben
+eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge
+Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr
+kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30
+Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den
+Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe
+Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse
+(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der
+Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder
+nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von
+Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf
+dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und
+wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu
+einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder
+die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch
+unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall,
+dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk
+getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit.
+Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte
+er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und
+getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer
+die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und
+Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem
+Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit
+und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. So lebte der Mann, der den
+Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger
+galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der
+griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas
+grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen -
+wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: Nichts ist an der fremden
+Sitt' als tausendfache Schwindelei; Besser als der roemische Buerger
+fuehrt sich keiner auf der Welt; Mehr als hundert Sokratesse gilt der
+eine Cato mir. Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich
+aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete
+Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird
+geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen
+als zu mildern. Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller
+Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft
+um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich,
+gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer,
+welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der
+Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein
+paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich
+ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234)
+schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich
+im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
+Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von
+seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl
+zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste
+Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die
+Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete
+Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen
+gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft
+ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig
+nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose
+Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt
+fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit
+zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch
+Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die
+Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der
+Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge
+des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von
+Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den
+Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten
+Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich
+zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst
+willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden
+Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso
+wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche
+und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur
+Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon
+an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, "die
+Herrscher der Welt zu beherrschen"; in der Buergerschaftsversammlung
+war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen
+Statuen roemischer Damen. Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und
+Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition
+nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus,
+wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und
+seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom.
+Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem
+Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215)
+gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die
+bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago
+(559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts
+uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184).
+Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich
+figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die
+sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat
+fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die
+dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal
+am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck
+(prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die
+Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus.
+Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber
+beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession
+besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte.
+Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten
+Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward
+notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und
+Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die ersten
+Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen
+Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden
+ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische
+Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in
+Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein
+mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den
+roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben.
+Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde
+verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in
+Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage
+nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der
+Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken
+ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das
+"griechisch Trinken" (Graeco more bibere) oder "griechen" (pergraecari,
+congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft
+nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war,
+solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen
+einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends
+um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu
+lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den
+Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her
+entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend
+dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward,
+abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien
+beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein
+einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
+bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
+Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies
+daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten
+megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni
+das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese
+bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen,
+bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand
+diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter
+denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391),
+die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem
+die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines
+der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten
+Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert
+wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten
+Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten
+Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204),
+unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217);
+beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des
+fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen
+Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte;
+und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle
+zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der
+Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb
+dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente
+mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste
+bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter
+dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der
+Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren
+zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten
+doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren.
+Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568
+186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen
+wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von
+zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser
+Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie
+nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum
+laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben;
+jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen,
+und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst
+nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um
+toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu
+dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und
+Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im
+Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse
+vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch
+auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius
+Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem
+Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die
+Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss
+untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten
+keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei
+es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie
+es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von
+Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht
+unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum
+dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem
+Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe
+in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden
+Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man
+von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und
+gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft
+wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten
+zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder
+einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere
+Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
+waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo
+die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien
+durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren
+miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
+---------------------------------------- ^2 Eine Art Parabase in dem
+Plautinischen 'Curculio' schildert das derzeitige Treiben auf dem
+hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser
+Anschaulichkeit: Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen
+finden moegt, Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen
+wuenscht Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
+Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick' ich Dich.
+Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. [Reiche wueste
+Ehemaenner sind zu haben im Bazar; Auch der Lustknab' ist zu Haus dort
+und wer auf Geschaeftchen passt.] Doch am Fischmarkt sind, die gehen
+kneipen aus gemeinem Topf. Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem
+untern Markt, In der Mitt' am Graben aber die, die nichts als Schwindler
+sind. Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; Mit der
+frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus Und doch liefern
+wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. Unter den alten Buden sitzen,
+welche Geld auf Zinsen leihn; Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen
+schlecht bekommt; Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten
+feil; Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
+Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
+Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. Die eingeklammerten Verse
+sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars
+(570 184) eingelegter Zusatz. Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor,
+woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und
+Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut.
+Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den
+Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.
+------------------------------------------------------- Schon verdarb
+nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten,
+sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu
+demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren,
+fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe
+von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem
+menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr
+Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und
+kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch. Selbstverstaendlich
+hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische
+Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer
+begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter
+Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt;
+das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen
+(120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000
+Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und
+nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat
+in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit
+unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg
+fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die
+Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum
+Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer
+ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die
+Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu
+geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten.
+Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu
+schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung
+und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und
+Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher
+Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere
+wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren
+gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die
+Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit
+abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige
+kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden.
+Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss
+arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es
+nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der
+Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller
+Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe
+von zweifelhaftem Wert. 14. Kapitel Literatur und Kunst Die roemische
+Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei einer
+anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu
+wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die
+Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. Alle geistige Bildung
+geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer Rom. In einer
+Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Buerger
+in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist,
+bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den
+Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten
+zu muessen, hat man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der
+Muttersprache von jeher grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich
+bemueht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die
+griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien
+allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen war die Kunde der
+allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation laengst haeufig
+gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung ungeheuer
+gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem
+Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon
+sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft
+aber, die zu einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder
+Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen
+bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich
+der hauptstaedtischen Bevoelkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann
+man sich ueberzeugen, dass eben der nicht vornehmen hauptstaedtischen
+Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verstaendnis das
+Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands
+Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der senatorischen Familien
+aber redeten nicht bloss griechisch vor einem griechischen Publikum,
+sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul
+577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben
+in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher
+Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen
+noch weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in
+roemischer Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der
+"grosse Feldherr der Aeneiaden" brachte den griechischen Goettern nach
+griechischer Sitte mit griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar
+^2. Einem anderen Senator rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen
+Trinkgelagen griechische Rezitative mit der gehoerigen
+Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe.
+---------------------------------------------------------- ^1 Ein
+bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera,
+nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus,
+morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum
+Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu
+gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen
+bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im 'Wilden' (1,
+1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter eingefuegten
+Verse heisst: phron/e/sis est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch
+griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der 'Casina' (3, 6, 9):
+pragmata moi parecheis - Dabo mega kakon, ut opinor; ebenso griechische
+Wortspiele, zum Beispiel in 'Die beiden Bacchis' (240): opus est
+chryso Chrysalo; wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von
+Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro
+ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen
+wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im 'Bramarbas' (213): euge!
+euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! Ei die Tenuere! Holla,
+seht mir den Farceur da, den Akteur! ^2 Eines dieser im Namen des
+Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: Dioskuren, o hoert,
+ihr freudigen Tummler der Rosse! Knaben des Zeus, o hoert, Spartas
+tyndarische Herrn! Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche
+Gabe, Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.
+---------------------------------------------------------- Unter dem
+Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische Unterricht.
+Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der
+elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
+zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den
+Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem
+Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die
+Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht
+sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in
+sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche
+aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss
+aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt.
+Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und
+geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in
+einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn
+gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter
+den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der
+Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach
+Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch
+mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck;
+und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht
+griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder
+Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche
+Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich
+in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der
+Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien
+unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten
+Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische
+Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die
+klassische Literatur, namentlich die 'Ilias' und mehr noch die 'Odyssee'
+zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze hellenischer Kunst und
+Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker
+da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des Unterrichts ergab
+es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein hoeherer
+Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende
+allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass
+die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den
+Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen
+Tragoedien und die Lustspiele Menanders. In aehnlicher Weise gewann auch
+der lateinische Unterricht ein groesseres Schwergewicht. Man fing an,
+in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu empfinden, die
+Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch
+wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen;
+und auch hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die
+Griechen. Die oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte,
+wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den
+Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Haende von
+Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen
+oder Halbgriechen ^3; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das
+lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen
+nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit
+tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den
+lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer
+die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete
+Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal
+gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man
+dem Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders
+zu genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems,
+welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf
+den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage
+in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die
+lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor.
+--------------------------------------------- ^3 Ein solcher war zum
+Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer
+fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20).
+--------------------------------------------- Aber leider fehlte es
+zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und
+schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine
+lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war
+in Rom nicht vorhanden. Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der
+roemischen Volkslustbarkeit ist frueher dargestellt worden. Laengst
+spielte bei denselben die Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen
+waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch
+durchgaengig nur einmal, am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage
+wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden
+diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel;
+die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden,
+waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich
+nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten
+standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent
+des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
+Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in
+Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater;
+dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres
+Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen
+Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim;
+allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom
+Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den
+Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war;
+und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem
+Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe
+und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches
+Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man
+wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. Auf diesen
+Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war
+damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht
+auf der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die
+Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem
+die roemische Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das
+Gemeingefuehl und das Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von
+ihr erdrueckt und musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der
+Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit.
+Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die
+hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
+stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum
+steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf
+griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch
+roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst
+gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den
+aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher,
+und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide
+Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch
+antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war
+dem Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags
+ein Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in
+dem roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen
+Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und
+keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche
+Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig
+exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer das
+Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die
+wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil
+sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen
+und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber
+gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das
+ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der
+erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen
+Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich
+belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar
+politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie
+der Maitre de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im
+engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.
+Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere
+Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482
+bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius
+Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den
+anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers
+von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein
+Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils
+der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen
+er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermoegender
+Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so
+aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich
+seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung
+des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des
+Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und
+Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im
+Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging
+hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er
+die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem
+lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu
+Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste roemische Schulbuch seinen
+Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler
+schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst,
+sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie
+oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch
+wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen
+Buehnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240),
+ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, dass das erste
+Schauspiel auf der roemischen Buehne aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung
+eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie in roemischer Sprache und
+von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war geschichtlich ein
+Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die
+Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als
+Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um
+so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene
+Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes
+schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original
+sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung
+hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwuelstig, die
+Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was die alten
+Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule
+abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand
+nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend
+fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur
+und buergerten die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur
+hinsichtlich der Dramen geschah und die Livische 'Odyssee' vielmehr in
+dem nationalen saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund
+offenbar, dass die Jamben und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie
+weit leichter sich im Lateinischen nachbilden liessen als die epischen
+Daktylen. -------------------------------------------------------- ^4
+Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des
+Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. ^5 In
+einem der Trauerspiele des Livius hiess es: quem ego nefrendem alui
+lacteam immulgens opem. Milchfuell' ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt'
+ich ihn. Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) O?d' ara Kirk/e/n ex Aide/o/
+elthontes el/e/thomen, alla mal' '/o/ka /e/lth' entynamen/e/. ama
+d? amphipoloi pheron ayt/e/ siton kai krea polla kai aithopa oinon
+erythron. aber verborgen Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern
+gar hurtig Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
+Brot ihr und Fleisch in Fuell' und den tiefrot funkelnden Wein her.
+werden also verdolmetscht: topper citi ad aedis - venimus Circae: simul
+duona coram (?) - portant ad navis. milia alia in isdem - inserinuntur.
+In Eil' geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. Zugleich vor uns die
+Gueter - bringt man zu den Schiffen Auch wurden aufgeladen - tausend
+andere Dinge. Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als
+die Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum
+Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch
+laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von aidoioisin ed/o/ka
+(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist
+auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe
+der Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden
+Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er
+gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht
+eigentlich Muttersprache gewesen sein kann.
+---------------------------------------------- Indes diese Vorstufe der
+literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. Die Livischen Epen
+und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht,
+gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser
+Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden
+Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine
+lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich
+ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen.
+Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das
+Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein
+stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht;
+in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der
+jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen
+Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit
+Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte
+oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die
+Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt
+dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer
+die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund
+(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der
+Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss
+abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich
+mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen
+frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze
+beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht
+geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward,
+den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.
+--------------------------------------------- ^6 Zwar wurde schon
+575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am Flaminischen
+Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom,
+S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. ^7 Noch
+599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga
+zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl.
+O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig
+1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen
+Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes
+Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a.
+E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle mitgebracht
+oder sich auf den Boden gesetzt haben.
+--------------------------------------------- Das Publikum war nichts
+weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Staende sich nicht
+von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter der Stadt
+scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei
+denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt,
+wurden zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem
+Buerger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8,
+und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen
+sein, als wie man sie heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und
+Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es denn auch nicht allzu
+ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier
+und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die
+Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag
+und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute
+zu wirken. ---------------------------------------------- ^8 Frauen und
+Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen worden
+zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp.
+12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von
+Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga,
+Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten,
+abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben
+den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet.
+Aug. 44). ---------------------------------------------- Durch
+die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
+Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten
+kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal
+in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden.
+Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts;
+der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der "Schreiber", der
+Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der
+an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch
+vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste Weise
+zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich hielten
+sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der Direktor
+der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel
+zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre
+Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt
+werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein
+Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem
+Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern
+ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das
+Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von
+Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in
+Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie
+bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein
+einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen
+Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
+Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
+Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch
+sich entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die
+attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im
+ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man
+nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu
+entfalten vermocht hat. ----------------------------------------------
+^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
+Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
+229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original,
+nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen
+der Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber
+Preisgerichte und Preise ist entscheidend. Dass an jedem Tage nur ein
+Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die Zuschauer am Beginn des
+Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende nach Hause gehen
+(Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben Stellen
+zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur Mittagszeit
+wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer Rechnung
+etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches
+Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl.
+Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer
+"ganze Tage" im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer
+spaeteren Zeit. ---------------------------------------------- In
+der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
+ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des
+gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass
+diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius,
+aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass
+unter den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein
+Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen
+I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den Stuecken,
+welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und damit
+fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der neueren
+attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter Philemon
+von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen
+(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische
+Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig
+geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen.
+------------------------------------------ ^10 Die sparsame Benutzung
+der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt geschichtlich nicht
+in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte menandrische
+Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede Spur.
+Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon,
+heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber
+auch die neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht
+abzusehen, warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf
+diese naechstliegenden Dichter, vielmehr auf Rinthon und die
+aelteren zurueckgegriffen haben sollten.
+------------------------------------------ Die Stuecke sind von
+ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie sich darum,
+einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch des
+Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und
+sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck
+geht regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte
+Bediente, der die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei
+liefert, waehrend der Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert,
+ist das eigentliche Triebrad des Stueckes. Es ist kein Mangel
+an obligaten Betrachtungen ueber Freude und Leid der Liebe, an
+traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor Herzenspein sich
+ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die Verliebtheit
+war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch der
+Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander
+unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und
+Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen
+pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das
+Maedchen selbst als die abhanden gekommene Tochter eines reichen Mannes,
+demnach als eine in jeder Hinsicht gute Partie. Neben diesen liebes-
+finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum Beispiel unter den
+Plautinischen Komoedien der 'Strick' sich um Schiffbruch und
+Asylrecht bewegt, das 'Dreitalerstueck' und 'Die Gefangenen' gar keine
+Maedchenintrige enthalten, sondern die edelmuetige Aufopferung des
+Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den Herrn schildern. Personen
+und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer Tapete bis ins
+einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den Apartes
+ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit
+irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden
+Masken, deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-,
+sieben Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens,
+der Dichter nur auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die
+schablonenartige Behandlung. Eine solche Komoedie musste wohl das
+lyrische Element in der aelteren, den Chor, wegwerfen und sich von Haus
+aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation beschraenken - mangelte ihr
+doch nicht bloss das politische Element, sondern ueberhaupt jede
+wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine grossartige
+und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch
+verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der
+Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere
+Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die groessere
+innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche Verschlungenheit
+der Fabel unterschied, als besonders durch die Ausfuehrung im Detail,
+wobei namentlich die fein zugespitzte Konversation der Triumph des
+Dichters und das Entzuecken des Publikums war. Verwirrungen und
+Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, oft
+zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel
+die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut
+aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren
+und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser Zeit in
+Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden Unterhaltungstoffe
+hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien aus. Die Dichter
+derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes fuer eine grosse
+Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie andere geistreiche
+und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, in Rebusraten und
+Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch kein Bild
+ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung
+derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst
+daran erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen
+von Alexander und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso
+elegantes wie treues Bild der gebildeten attischen Gesellschaft,
+aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals heraustritt. Noch in dem
+getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir sie hauptsaechlich kennen,
+ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt und namentlich
+in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, dem
+Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und
+selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als
+in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die
+freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann
+und Frau, Herrn und Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen
+Krisen sind so allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre
+Wirkung nicht verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der
+'Stichus' schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und
+der Eintracht der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner
+Art von unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die
+eleganten Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz
+und im bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser
+noch auf der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die
+Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie
+deren eine im 'Curculio' auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter
+Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen
+Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig
+besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge
+und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige
+gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
+Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen
+den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen
+zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und
+da begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die
+Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister,
+der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das
+impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr zahlreichen
+Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der Spassmacher
+(parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des Reichen
+mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen,
+auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat
+- es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es
+auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus
+seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte
+Rollen sind ferner der Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu
+renommieren versteht, sondern auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen;
+der freche, zu jedem Laster sich mit Vergnuegen bekennende Bordellwirt,
+wovon der Ballio im 'Luegenbold' ein Musterexemplar ist; der
+militaerische Bramarbas, in dem die Landsknechtwirtschaft
+der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der gewerbsmaessige
+Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der
+feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen
+mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der
+Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie.
+Die nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten
+Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die
+Seelenmalerei ist hier doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich
+nachempfunden und um so mehr, je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft
+poetischen naehert - es ist bezeichnend, dass in den eben angefuehrten
+Charakterrollen die psychologische Wahrheit grossenteils durch die
+abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der Geizige hier die
+Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als verschwendetes
+Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und
+ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren
+Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten
+Nation. Das spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland,
+Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen,
+Poesie, Historie und Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener
+nichts uebrig geblieben, als die Schule, der Fischmarkt und das Bordell
+- es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, wenn die Poesie, die die
+menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt ist, aus einem solchen Leben
+nichts weiter machen konnte, als was das Menandrische Lustspiel uns
+darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die Poesie dieser Zeit, wo
+immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen den Ruecken zu
+wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu verfallen,
+sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest
+des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus'
+'Amphitryon' weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als
+in allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die
+gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus
+der Heroenwelt, die possierlich feigen Sklaven machen zueinander den
+wundervollsten Gegensatz und nach dem drolligen Verlauf der Handlung die
+Geburt des Goettersohnes unter Donner und Blitz eine beinahe grossartige
+Schlusswirkung. Diese Aufgabe der Mythenironisierung war aber auch
+verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, verglichen mit der des
+gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden Lustspiels. Eine
+besondere Anklage darf vom geschichtlich- sittlichen Standpunkt aus
+gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein
+individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner
+Epoche steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem
+Volksleben waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um
+den Einfluss dieser Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu
+beurteilen, notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener
+Feinheit und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche
+zwar Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen
+Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die
+grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der
+Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie
+Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der
+eigene Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit
+einer gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche
+Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke staffiert
+sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige
+Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit zugedeckt. Es
+gibt Stuecke, wie die Plautinische 'Dreitalerkomoedie' und mehrere
+Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven hinab eine
+Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von ehrlichen
+Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend womoeglich,
+von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden Liebhabern; moralische
+Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind gemein wie
+die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in 'Die beiden
+Bacchis' ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter zu
+guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine
+voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis. Auf diesen Grundlagen und aus
+diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. Originalitaet ward
+bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern wahrscheinlich
+zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der
+betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die
+uns bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als
+Nachbildung eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert
+zum vollstaendigen Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und
+Verfassers mit genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die
+"Neuheit" eines Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob
+dasselbe schon frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt
+nicht etwa bloss haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende
+Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach
+benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist
+und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind.
+Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch
+der ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische
+Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer
+vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch
+"Auslaender" (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male
+vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal
+die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten
+Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung,
+wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse und
+sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne Zweifel
+durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die Verlegung
+solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die neuattische
+Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen Epoche
+wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte
+gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig
+von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat
+abhingen, und selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel
+die Leichenspiele, nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da
+ferner die roemische Polizei ueberall nicht und am wenigsten mit den
+Komoedianten Umstaende zu machen gewohnt war, so ergibt es sich von
+selbst, weshalb diese Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen
+Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die
+Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland verbannt blieb. Noch
+viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend
+oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf
+die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und
+nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht
+zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den
+bei dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen
+Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen
+abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende Hohn auf
+die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und merkwuerdigerweise
+verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das schlechte
+Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den Plautinischen
+Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der
+Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu
+den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher,
+gegen Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu
+haeufigen Triumphe, gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter
+Geldbussen, gegen pfaendende Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der
+Oelhaendler, ein einziges Mal - im 'Curculio' - eine an die
+Parabasen der aelteren attischen Komoedie erinnernde, uebrigens wenig
+verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben auf dem roemischen
+Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal patriotischen
+Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: Doch bin ich nicht
+naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, Da die Obrigkeit da ist, die
+sich hat zu kuemmern drum? und im ganzen genommen ist kaum ein
+politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als das roemische des sechsten
+Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein
+der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn
+er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so sind
+doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von
+Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter
+anderm sich heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen
+zu verhoehnen, sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu
+richten, deren Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: Jenen
+selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, Dessen Taten
+lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, Den hat nach
+Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. Wie in den
+Worten: Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, so mag er
+oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, wie
+zum Beispiel: Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch
+ruiniert? worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet
+ward, zum Beispiel: Es taten neue Redner sich, einfaeltige
+junge Menschen auf.
+----------------------------------------------------------------- ^11
+Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
+ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner
+(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern
+tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der
+pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher
+damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten
+natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment
+fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). ^12 So schliesst der Prolog der
+Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die hier stehen moegen als die
+einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen Krieges in der auf
+uns gekommenen Literatur: Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und
+siegt Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. Bewahret eure
+Verbuendeten alten und neuen Bunds, Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten
+Schluss gemaess, Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und
+Lob, Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. Die vierte Zeile
+(augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den saeumigen
+latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen (Liv.
+29, 15; oben 2, 175). ^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit
+der Annahme von Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein.
+Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung
+beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien,
+welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 192),
+zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus den
+Erwaehnungen des Bacchusfestes in der 'Casina' und einigen anderen
+Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
+besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
+geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien
+zu reden. ------------------------------------------------- Allein
+die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die
+Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch
+nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in
+den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien
+oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel,
+wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch
+sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich
+an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius
+der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt,
+was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung
+Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung
+eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
+Farblosigkeit entstand. Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng
+und peinlich gezogenen Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht
+mit Unrecht mochte Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der
+Lagiden und Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom,
+beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich
+bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und
+das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen
+Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
+Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele
+denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst
+wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen
+im hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die
+Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten,
+und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische
+Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene
+auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von
+dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut und
+Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere. Die
+Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein Stueck
+Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen, oder
+der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern die
+roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen
+gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele
+in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des
+pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum
+solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug.
+Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber
+und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die
+Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische
+Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
+originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
+Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und
+sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen
+der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus
+sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der
+Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender Vorliebe
+und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel dazu darin,
+dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem roemischen
+Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen Spassmacher zu
+halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu setzen noetig
+fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten
+attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht
+brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens
+stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche
+Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche
+Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die Esspartien blieben
+freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr zahlreich, aber
+ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und die
+raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische
+Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der
+griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so
+grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine
+verlorene Spur. ------------------------------------------- ^14 Etwas
+anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem 'Maedel von Tarent' nicht
+bedeuten: Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, Dass das kein
+Koenig irgend anzufechten wagt - Wie viel besser als hier der Freie
+hat's darin der Knecht! ^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum
+dachte, kann man zum Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728)
+sehen: Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: Der Name; in
+allem andern ist nicht schlechter als Der freie Mann der Sklave,
+welcher brav sich fuehrt. ----------------------------------------- Die
+Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf
+ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte
+sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und
+Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition
+sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals
+herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen Lustspielen
+desselben oder auch eines anderen Dichters wieder einzustuecken; was
+freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition der Originale und
+ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so arg war, wie es
+scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren Zeit sich
+die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. Die
+Handlung des sonst so vortrefflichen 'Stichus' (aufgefuehrt 554 200)
+besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen
+moechte, sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die
+Penelopen spielen, bis die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als
+Praesent fuer den Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder
+nach Hause kommen. In der 'Casina', die bei dem Publikum ganz besonders
+Glueck machte, kommt die Braut, von der das Stueck heisst und um die es
+sich dreht, gar nicht zum Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv
+als "spaeter drinnen vor sich gehend" vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt
+wird sehr oft die Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein
+angesponnener Faden fallengelassen und was dergleichen Zeichen einer
+unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich weit
+weniger in der Ungeschicklichkeit der roemischen Bearbeiter zu suchen
+als in der Gleichgueltigkeit des roemischen Publikums gegen die
+aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der Geschmack.
+In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf
+die Komposition gewendet und 'Die Gefangenen' zum Beispiel, der
+'Luegenbold', 'Die beiden Bacchis' sind in ihrer Art meisterhaft
+gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke mehr
+besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die
+kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. In der Behandlung
+des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen roemischen
+Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die
+Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die
+wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen,
+militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam
+aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen
+Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und Demarchen; in Aetolien
+oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den Zuschauer ohne Bedenken
+nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine solche klecksartige
+Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen Grund ist
+eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr spasshaften
+Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige Umstimmung
+der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung des
+Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von
+den neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe
+beduerfen; Stuecke wie die Plautinische 'Eselskomoedie' werden ihre
+unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer
+verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen
+Motive in einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder
+interpoliert oder mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen.
+In der unendlichen Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken
+der Sklaven schwebenden Peitsche erkennt man deutlich das catonische
+Hausregiment, sowie die catonische Opposition gegen die Frauen in dem
+nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. Unter den Spaessen eigener
+Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die elegante attische
+Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich manche
+von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.
+---------------------------------------------------- ^16 So ist zum
+Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem Plautinischen
+'Stichus' der Vater mit seinen Toechtern ueber die Eigenschaften einer
+guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob es besser
+sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit
+einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu
+unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist
+Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In Menanders 'Halsband' klagt ein
+Ehemann dem Freunde seine Not: A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du
+weisst Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert Und
+die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, Gott weiss es! von
+allem Ungemach das aergste uns; Zur Last ist sie all' und jedem, nicht
+bloss mir allein, Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings,
+ich weiss, So ist es. In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius
+ist aus diesem, in seiner grossen Einfachheit eleganten Gespraech der
+folgende Flegeldialog geworden: B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht?
+- A: Ei schweig davon! - B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren.
+Komm' ich etwa dir Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie
+mir Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie's
+schon; Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.
+------------------------------------------------- Was dagegen die
+metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der geschmeidige und
+klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen Trimeter,
+die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen Konversationston
+allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr haeufig
+durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so
+wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der
+Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben
+wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums,
+dem der praechtige Vollklang der Langverse auch da gefiel, wo er nicht
+hingehoerte. Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den
+gleichen Stempel der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums
+gegen die aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne,
+welche schon wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage
+auf ein eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit
+Maennern besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des
+Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in akustischer
+Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und Schallmasken.
+Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den Dilettantenauffuehrungen
+erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch wurden den
+Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren
+sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel
+kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern
+abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung
+der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme
+ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst
+unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke
+durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen
+und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes
+Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
+ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in
+wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte
+regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte
+keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem
+mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere,
+das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene
+hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen,
+und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn
+alles, sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.
+---------------------------------------------------- ^17 Selbst als man
+steinerne Theater baute, mangelten diesen die Schallgefaesse, wodurch
+die griechischen Baumeister die Schauspieler unterstuetzten (Vitr. 5,
+5, 8). ---------------------------------------------------- So war das
+roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art und
+Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt
+von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares
+Bild; in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das
+Original nicht hoch und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften
+Gesindels, wie sehr auch die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat
+des Inventars antraten, erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig,
+die feine Charakteristik gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand
+nicht mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, sondern die Personen und
+Situationen schienen wie ein Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig
+gemischt; im Original ein Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein
+Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande war, einen griechischen Agon
+mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen
+und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem
+Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem
+Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar
+Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren,
+Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider
+die eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich
+der herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist
+alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische
+Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte
+in der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen
+Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen
+vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der
+es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn erhaltenen
+Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein Urteil
+gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und
+bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war
+des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann
+bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen
+Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in
+gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger
+aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und Lustspiel,
+zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an ihn an.
+Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine ungeheure
+Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und kein
+Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener
+Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und
+Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist
+Naevius' Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von
+aller Affektion und scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam
+absichtlich aus dem Wege zu gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen
+Hiatus und mancher anderen, spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen
+leicht und schoen ^19. Wenn die Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns
+die Gottschedische aus rein aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus
+am Gaengelbande der Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die
+roemische Poesie und traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters
+diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine volkstuemliche
+Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die Komik.
+Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein
+Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und
+lesende Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der
+Kostuemverfertigung, ein Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine
+Handlangerei fuer denselben gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis
+sich um und der Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus
+bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es
+tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und
+in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch
+in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die
+seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein
+scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
+Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den
+griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert,
+in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine
+Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit
+hinter sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des
+Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und in
+seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen ist:
+Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, Den Dichter Naevius
+klagten - goettliche Camenen; Dieweil, seit er hinunter - zu den
+Schatten abschied, Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen
+Rede. ------------------------------------------------- ^18 Die
+Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten
+Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519
+(235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben
+(Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie
+gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15,
+60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des
+Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die
+Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
+geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194)
+setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen
+Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und
+vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische Herkunft
+deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer der
+Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht
+roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen
+latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass ihn
+die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler war er
+auf keinen Fall, da er im Heere diente. ^19 Man vergleiche zum
+Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus Naevius' Trauerspiel
+'Lycurgus': Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, Sogleich zum
+laubesreichen Platze macht euch auf, Wo willig ungepflanzt emporsprosst
+das Gebuesch. Oder die beruehmten Worte, die in 'Hektors Abschied'
+Hektor zu Priamos sagt: Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem
+vielgelobten Mann. und den reizenden Vers aus dem 'Maedel von Tarent':
+Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. Zu diesem
+nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm.
+---------------------------------------------- Und solcher Maenner- und
+Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe gegen Hamilkar und
+gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und der fuer die
+tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade
+den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und
+volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt
+worden, in welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und
+wie er, vermutlich dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica
+beschloss. Auch hier ging das individuelle Leben ueber dem gemeinen
+Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen zugrunde. In der aeusseren
+Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint ihm sein
+juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254- 184).
+weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich
+umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen
+Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit
+gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst
+hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer Lustspiele,
+ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein und
+wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu
+machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in
+Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen sind,
+zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, so
+gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging
+spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die
+Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig
+solcher "plautinischer Stuecke", von denen indes auf jeden Fall ein
+grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der
+Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die
+poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr
+schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind.
+Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug,
+dass sie der Polizei wie dem Publikum gegenueber untertaenig und
+untergeordnet dastand, dass sie gegen die aesthetischen Anforderungen
+sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum und diesem zuliebe
+die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind Vorwuerfe,
+die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen
+Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich
+gelten die meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen
+Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation buehnengerecht zu
+gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und oft vortreffliche
+Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische Lustigkeit, die
+in gluecklichen Spaessen, in einem reichen Schimpfwoerterlexikon, in
+launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen Schilderungen und
+Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in denen man
+den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der
+Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als
+selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer
+zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein
+es wird dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische
+Volkspoet und der rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und
+geblieben, ja noch nach dem Untergang der roemischen Welt das
+Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen ist.
+------------------------------------------------ ^20 Diese Annahme
+scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der Art, wie
+die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen
+Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller
+des roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche
+Ungewissheit ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht
+wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen besteht die
+merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare.
+------------------------------------------------- Noch weit weniger
+vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und letzten
+- denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg
+- namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu
+gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus
+gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter
+den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave,
+spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung griechischer Komoedien
+fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich fruehen Tode (586 168).
+Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei seiner Herkunft begreiflich;
+dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt ward, um strengere
+Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur schwer
+Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz
+den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen
+Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter
+den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die
+erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu beruhen,
+dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten
+poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den Vorzug gibt.
+Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur deshalb unter ihre
+Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus und kraeftiger als
+Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit geringer als beide
+gewesen sein kann. Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung
+des sehr achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem
+reinen Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende
+noch eine kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das
+geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem
+haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde
+liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau
+der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber
+war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis
+schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des
+Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
+wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
+usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen
+und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen
+Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit
+und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt
+roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche empfunden.
+Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen 'Gefangenen': Dieses
+Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: Nicht
+wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, Keine
+Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; Nicht kauft drin der
+Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. Selten nur ersinnt ein
+Dichter solcherlei Komoedien, Die die Guten besser machen. Wenn drum
+euch dies Stueck gefiel, Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies
+das Zeichen sein: Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns
+unserm Spiel. Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform
+ueber das griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt
+werden, dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen,
+die Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld
+gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele
+der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander
+an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen
+Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm
+sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, muesse
+man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen
+Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk;
+wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen
+Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah.
+Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer
+diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete.
+Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch
+nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu errichten. Es war mehr eine
+Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, dass man das hellenisierende
+Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der Personen und
+Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie
+wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette
+walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen
+selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie
+ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so
+vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem
+Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die politische Halbheit
+und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei hat zu der furchtbar
+raschen Aufloesung der roemischen Nation das Ihrige beigetragen. Wenn
+indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete,
+die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger
+auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines
+lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn
+die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der
+latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei,
+seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in den italischen
+Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der Tat entstand auf
+diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula togata ^21; der
+nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, Titinius, bluehte
+wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese Komoedie ruhte
+auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war nicht
+Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in
+Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande,
+in der Toga. Hier waltet das latinische Leben und Treiben in
+eigentuemlicher Frische. Die Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen
+Leben der Mittelstaedte Latiums, wie schon die Titel zeigen: 'Die
+Harfenistin oder das Maedchen von Ferentinum', 'Die Floetenblaeserin',
+'Die Juristin', 'Die Walker', und manche einzelne Situationen noch
+weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine
+Schuhe nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In
+auffallender Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck
+^23. Mit echt nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit
+des Pyrrhischen Krieges und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,
+Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.
+------------------------------------------ ^21 Togatus bezeichnet in der
+juristischen und ueberhaupt in der technischen Sprache den Italiker im
+Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch zu dem roemischen
+Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21;
+50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die
+nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder
+Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius
+vorkommt und nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch
+wieder verschwindet, bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer
+rechtlichen Stellung, insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum
+Jahre 705 (49) die grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht
+besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die
+er neben den Roemern nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben.
+Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu
+erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in
+Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das
+Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die
+Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt.
+Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts
+spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres
+Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum,
+Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
+latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch
+die Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den
+Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das
+Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen
+Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu fern
+lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat verschwunden
+zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden Italiens,
+wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die fabula
+Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. ^22 Ueber Titinius
+fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach einem
+Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595
+196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) -
+denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden
+koennen und, wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die
+zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste
+(Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht gerade der aelteste der
+juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als der juengste der aelteren.
+^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs
+nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus),
+neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna,
+psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?),
+von denen zwei, die 'Juristin' und die 'Floetenblaeserin' offenbar
+Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet
+die Frauenwelt vor. ---------------------------------------- Der
+hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
+griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
+Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht
+haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro
+hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher
+Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von
+der attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das
+Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit
+gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht
+mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische
+Nationallustspiel. Wie das griechische Lustspiel kam auch das
+griechische Trauerspiel im Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war
+ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb
+als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, das griechische,
+namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits
+mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der
+empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der
+heroischen Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das
+Trauerspiel, nur minder schroff und minder gemein, die antinationale
+und hellenisierende Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten
+Wichtigkeit war, dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit
+vorwiegend von Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen
+merkwuerdigen Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit-
+und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber
+die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und der
+griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass
+es unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu
+skizzieren. Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie
+zwar auf eine hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei
+weitem mehr das richtige Gefuehl dessen, was sein sollte, als die
+Macht offenbaren, dies poetisch zu erschaffen. Das tiefe Wort, welches
+sittlich wie poetisch die Summe aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden
+ist, gilt freilich auch fuer die antike Tragoedie; den handelnden
+Menschen stellt sie dar, aber eigentliche Individualisierung ist ihr
+fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der Kampf des Menschen und
+des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf,
+dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das
+wesenhafte Menschliche ist im 'Prometheus' und 'Agamemnon' nur leicht
+angehaucht von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl
+die Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den
+Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner
+Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten
+zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
+hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die
+Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer
+hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind,
+gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene
+Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen
+darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem
+Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat
+die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen
+vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch
+welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen
+ins Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie
+des Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel
+unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert
+feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das
+frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt,
+sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt
+der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen
+gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging
+mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab und
+seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen
+sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch
+hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit
+gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach
+allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit einerseits der
+grossartigsten geschichtlichen und philosophischen Bewegung, anderseits
+der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen und schlichten
+Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit der aelteren
+Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels
+ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der
+aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so
+erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation
+so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken
+wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche
+Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich
+despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln.
+Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus
+diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also
+der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen
+Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im
+ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele
+gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu
+gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer
+Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche
+Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine
+Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht
+eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail,
+und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles
+aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu
+verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in
+der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen
+besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen
+mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der
+willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden
+Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen
+sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit; aber sie sind weder
+kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes' Vorwurf, dass der
+Dichter keine Penelope zu schildern vermoege, vollkommen begruendet.
+Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen Mitleids in die
+Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten Heroen, wie der
+Menelaos in der 'Helena', die Andromache, die Elektra als arme
+Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, widerwaertig oder
+laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen
+dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen
+Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende
+Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie
+uebergehen, wie die 'Iphigenie in Aulis', der 'Ion', die 'Alkestis'
+vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste
+Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter das
+Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die verwickelte
+Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere Tragoedie
+das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen;
+dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu
+unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im
+Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin
+vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar
+menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht.
+Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als
+sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem
+Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der unbefangene
+Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist in den
+Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch die
+tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen einzutreten
+und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge
+fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen
+zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und philosophischen
+Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der neuen, die alte
+attische Volkstuemlichkeit aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet.
+Hierauf beruht wie die Opposition, auf die der ungoettliche und
+unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, so auch der
+wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und das
+Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der
+Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische
+Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach
+also zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch
+nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt
+und gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte
+sittlich wie poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung
+wirkt nun einmal geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten
+Wertes, sondern in dem Masse, wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen
+vermag, und in dieser Hinsicht ist Euripides unuebertroffen. So ist es
+denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig las, dass Aristoteles den
+Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn entwickelte, dass
+die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm gleichsam
+hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides
+ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns
+entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen,
+sondern der Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das
+alte Hellas dem neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss
+mehr und mehr stieg und das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie
+in Rom, unmittelbar oder mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt
+ward. Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten
+Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer
+mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die
+tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden
+als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten
+der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des
+Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist,
+als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
+Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien
+nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art
+moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig
+erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus
+juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke
+schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den
+Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden.
+Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als
+die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen,
+die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire
+ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke
+hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und
+den unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar
+weil dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den
+Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die sinnlich-
+grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den 'Eumeniden', im
+'Alkmaeon', im 'Kresphontes', in der 'Melanippe', in der 'Medeia', die
+Jungfrauenopfer in der 'Polyxena', den 'Erechthiden', der 'Andromeda',
+der 'Iphigeneia' - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass
+das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war.
+Frauen- und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu
+haben. Die bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung
+von dem Original betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor.
+Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische chorlose Spiel
+eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz (orchestra) mit
+dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor sich bewegte, oder
+vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art Parkett; danach
+muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und der
+Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der
+Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen
+fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen
+und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen Bearbeitung der
+Euripideischen 'Iphigeneia' zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster
+einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters,
+aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem
+Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts
+freilich nicht genannt werden ^24, doch gab wahrscheinlich ein
+Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen Original ein weit minder
+getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von dem des Menander.
+Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in
+Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig;
+und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt,
+in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher
+auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser Zeit und
+ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener die
+antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur Schau.
+Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der einflussreichste
+Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, sondern
+von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer
+Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom
+ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in
+beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen
+und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den
+Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio,
+Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt waren, den modernen
+Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen, der ihr eigenes und
+ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von ihnen, gewissermassen
+als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten bestellter Hofpoet,
+ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer einen solchen
+Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus
+aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es,
+die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische,
+ja sogar die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich
+zu eigen zu geben; und wenn bei den frueheren roemischen Poeten
+der Hellenismus mehr folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit
+hervorgegangen als ihr deutliches Ziel gewesen war, und sie darum
+auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, sich auf einen
+volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner
+revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet
+sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den
+Italikern energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug
+war die Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das
+gesamte tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos
+und Sophokles sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig,
+dass er bei weitem die meisten und darunter alle seiner gefeierten
+Stuecke dem Euripides nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung
+bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht
+dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so entschieden den
+Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte
+als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche
+akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den 'Thyestes' und den aus
+Aristophanes' unsterblichem Spott so wohlbekannten 'Telephos' und deren
+Prinzenjammer und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie 'Menalippe
+die Philosophin', wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der
+Volksreligion dreht und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen
+Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den
+Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten
+Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende
+ist: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt' ich sonst und sag' ich noch;
+Doch sie kuemmern keinesweges, mein' ich, sich um der Menschen Los,
+Sonst ging's gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.
+wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten.
+Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet
+wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm
+mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die
+hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition
+^27, die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die
+Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie,
+des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen
+Hexameter. Dass der "vielgestaltige" Poet alle diese Aufgaben mit
+gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch
+angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss
+der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten
+Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr
+griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst,
+verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische
+Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
+Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die
+freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu
+fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den
+Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht,
+"in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen", und die
+Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert: Heil Dichter
+Ennius! welcher du den Sterblichen Das Feuerlied kredenzest aus
+der tiefen Brust.
+------------------------------------------------------------------------
+^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und
+der Ennianischen 'Medeia': Eith' /o/phel' Argo?s diaspasthai skaphos
+Kolch/o/n es aian kyaneas Sypl/e/gadas
+
+M/e/d' ten napaisi P/e/lioy pesein pote Utinam ne in nemore Pelio
+securibus Tm/e/theisa pe?k/e/, m/e/d' eretm/o/sai cheras Caesa
+accidisset abiegna ad terram trabes, Neve inde navis inchoandae
+exordium Coepisset, quae nunc nominatur nomine Andr/o/n arist/o/n, oi
+to pagchryson theros Argo, quia Argivi in ea dilecti viri Vecti petebant
+pellem inauratam arietis Pelia met/e/lthon. Oy gar an despoin em/e/
+Colchis, imperio regis Peliae, per dolum. M/e/deia p?rgoys g/e/s epleysa
+I/o/lkias Nam nunquam era errans mea domo efferret pedem Er/o/ti thymon
+ekplageis' Iasonos. Medea, animo aegra, amore saevo saucia.
+
+Nie durch die schwarzen Symplegaden haette hin Fliegen gesollt ins
+Kolcherland der Argo Schiff, Noch stuerzen in des Pelion O waer' im
+Pelionhaine von den Waldesschlucht jemals Beilen nie Gefaellt die
+Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt sie die Hand der
+Tannenstamm Und haette damit der Angriff angefangen nie Zum Beginn des
+Schiffes, das man jetzt mit Namen nennt
+
+
+Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos dem Pelias
+auserlesne Schar, Von Kolchi nach Gebot des Koenigs Pelias Zu holen
+gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes waere mir
+Widdervliess! Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den
+Fuss mir dann Herrin setzte nie, Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea,
+krank im Herzen, wund von hinweggeschifft. Liebespein.
+
+Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht
+bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung
+oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der
+Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche Missverstaendnisse
+des Originals aber sind bei Ennius selten. ^25 Ohne Zweifel mit Recht
+galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters die Stelle im
+siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich
+ruft, mit welchem er gern und Oftmals Tisch und Gespraech und seiner
+Geschaefte Eroertrung Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen
+Dingen, Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch
+Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; Welchem das Gross'
+und das Klein' und den Scherz auch er mitteilen Durft' und alles
+zugleich, was gut und was uebel man redet, Schuetten ihm aus, wenn er
+mocht', und anvertrauen ihm sorglos; Welcher geteilt mit ihm viel Freud'
+im Hause und draussen; Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder
+aus Bosheit Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
+Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, Redend zur
+richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, Im Verkehre
+bequem und bewandert verschollener Dinge, Denn ihn lehrten die Jahre die
+Sitten der Zeit und der Vorzeit, Von vielfaeltigen Sachen der Goetter
+und Menschen Gesetz auch, Und ein Gespraech zu berichten verstand er
+sowie zu verschweigen. In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben
+multarum rerum leges divumque hominumque. ^26 Vgl. 2, 393. Aus der
+Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. 956), dass er ein
+Mann sei, Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt Im besten Fall;
+und trifft er's nicht, es geht ihm hin. hat der lateinische Uebersetzer
+folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller gemacht: Sterneguckerzeichen
+sucht er auf am Himmel, passt, ob wo Jovis Zieg' oder Krebs ihm
+aufgeh' oder einer Bestie Licht. Nicht vor seine Fuesse schaut man und
+durchforscht den Himmelsraum. ^27 Im 'Telephus' heisst es: Palam mutire
+plebeis piaculum est. Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
+^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren
+der Bearbeitung des Euripideischen 'Phoenix' an: Doch dem Mann mit
+Mute maechtig ziemt's zu wirken in der Welt Und den Schuldigen zu laden
+tapfer vor den Richterstuhl. Das ist Freiheit, wo im Busen rein und
+fest wem schlaegt das Herz; Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt
+die frevelhafte Tat. In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten
+Gedichte einverleibten 'Scipio' standen die malerischen Zeilen: --
+munduscaeli vastus constitit silentio; Et Neptunus saevus undis asperis
+pausam dedit, Sol equis iter repressit ungulis volantibus, Constitere
+amnes perennes, arbores vento vacant. [Iovis winkt';] es ging ein
+Schweigen durch des Himmels weiten Raum. Rasten hiess die Meereswogen
+streng die grollenden Neptun, Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck
+der Sonnengott, Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht
+der Wind. Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie
+der Dichter seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine
+Ausfuehrung der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen
+Tragoedie 'Hektors Loesung' ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem
+Skamander Zuschauender spricht: Constitit Credo Scamander, arbores vento
+vacant. Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der
+Wind. und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. ^29
+So heisst es im 'Phoenix': - - stultust, qui cupita cupiens cupienter
+cupit. Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, und es
+ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch
+akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
+---------------------------------------------------- Der geistreiche
+Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das griechische
+Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen Nation.
+Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer
+Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss
+gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische
+Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch
+ein ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu
+schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er
+brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der gleichzeitigen
+Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine
+'Erziehung des Romulus und Remus' oder der 'Wolf', worin der Koenig
+Amulius von Alba auftrat, und sein 'Clastidium', worin der Sieg des
+Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem Vorgang
+hat auch Ennius in der 'Ambrakia' die Belagerung der Stadt durch seinen
+Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung geschildert.
+Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die Gattung
+verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die farblose
+Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf die
+Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben
+wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in
+Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige
+Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen
+Nationalschauspiels war. Nur die griechischen Tragoedien der aeltesten,
+den Goettern noch sich naeher fuehlenden Zeit, nur Dichter wie
+Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, die von ihnen
+miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen der Sagenzeit auf
+die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig entgegentritt,
+was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es hier,
+wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber
+geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte,
+auf der man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war.
+Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius
+buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation
+vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom
+wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da
+die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward
+dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst
+der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind
+auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art
+als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
+rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit
+der szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der
+Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein
+eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in
+sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach
+vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie.
+Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit
+allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
+halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche
+das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen
+Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint,
+tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura
+auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem alten, seit Livius
+durch das griechische Drama von der Buehne verdraengten handlungslosen
+Buehnengedicht zukam, nun aber in der rezitativen Poesie einigermassen
+unseren "vermischten Gedichten" entspricht und gleich diesen nicht
+eigentlich eine positive Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern
+nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem,
+meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter
+noch zu erwaehnendem 'Gedicht von den Sitten', welches vermutlich,
+anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie,
+in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders
+die kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr
+fruchtbare Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert
+veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen
+Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen
+Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden
+naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von Gela,
+eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen
+dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von
+Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe
+Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
+didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete,
+wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.
+---------------------------------------- ^30 Ausser Cato werden noch
+aus dieser Zeit zwei "Konsulare und Poeten" genannt (Suet. vita Ter. 4):
+Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und Marcus Popillius, Konsul 581 (173).
+Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre Gedichte auch
+publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein.
+---------------------------------------- Groessere dichterische
+wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in Anspruch, die
+Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der
+dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen
+Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich
+den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie
+die Dinge waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und
+ohne irgendwie, namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit,
+auf poetische Hebung oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der
+gegenwaertigen Zeit berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen
+Nationalversmass heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit
+wesentlich dasselbe, was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters
+gesagt ward. Die epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die
+tragische voellig und wesentlich in der heroischen Zeit; es war
+ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert
+grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu
+durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik
+nicht viel mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten
+mittelalterlichen Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund
+der Dichter sein ganz besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke.
+Es war nichts Kleines in einer Zeit, wo es eine historische Literatur
+ausser den offiziellen Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab,
+seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und der Vorzeit einen
+zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die grossartigsten
+Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben.
+------------------------------------------------------- ^31 Den Ton
+werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: Freundlich
+und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas Von Troia schied. spaeter:
+Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig Amulius, dankt den
+Goettern - aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
+Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, Das wuerde Schmach
+dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. bezueglich auf die Landung in
+Malta im Jahre 498 (256): Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar
+die Insel Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.
+endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: Bedungen
+wird es auch durch - Gaben des Lutatius Zu suehnen; er bedingt noch, -
+dass sie viel Gefangne Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln
+geben. --------------------------------------------------------
+Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die
+Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen
+Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so
+greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine
+neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des
+hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers,
+die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende
+Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht,
+wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der
+bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung des Patroklos
+geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern fechtenden
+Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als der Homerische
+Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse wird dem Leser
+erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; nach der
+Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat
+den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher
+Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die
+neologische und hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die
+'Jahrbuecher' keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der
+Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht,
+womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet,
+dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros
+und noch frueher in einem Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut
+naturphilosophisch das Wesen der Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers
+zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst die Wahl des Stoffes dient den
+gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen Literaten aller
+Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre griechisch-
+kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen
+Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer Griechen ja
+immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. Der poetische Wert der
+vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren Bemerkungen ueber die
+Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht abzumessen.
+Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege dem
+italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet
+sich gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft
+gluecklich traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit
+und Ehrenhaftigkeit aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso
+natuerlich wie die Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die
+notwendig sehr lose und gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem
+Dichter moeglich war, einem sonst verschollenen Helden und Patron
+zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren
+die 'Jahrbuecher' ohne Frage Ennius' verfehltestes Werk. Der Plan,
+eine 'Ilias' zu machen, kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen,
+welcher mit diesem Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und
+Geschichte in die Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den
+heutigen Tag als Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in
+ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius
+gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer
+als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr
+noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der
+roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den
+Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
+altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr
+ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte,
+der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide,
+der Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische
+Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle
+Parallelisierung der Homerischen 'Ilias' und der Ennianischen
+'Jahrbuecher' so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin
+und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht
+stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders
+fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des Dichters
+blieben die 'Jahrbuecher' das aelteste roemische Originalgedicht,
+welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und lesbar
+erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem
+durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die
+spaetere Zeit das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. Nicht
+viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise
+entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl
+die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne
+vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche
+Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der strengen
+und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese
+schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem "Baenkelsaenger"
+anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann
+getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei
+weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige
+poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie
+fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
+vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint,
+so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht
+senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten
+Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen,
+die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative
+und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei
+vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier,
+und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der
+Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und
+Form maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. Bis in die Zeit des
+Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine Geschichtschreibung nicht;
+denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu den Akten, nicht zu
+der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede Entwicklung des
+Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit
+des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen Italiens
+ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen
+Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch
+so fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten
+Jahrhunderts das Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der
+roemischen Buergerschaft auf schriftstellerischem Wege zur Kunde der
+Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun aber dies Beduerfnis endlich
+empfunden ward, fehlte es fuer die roemische Geschichte an fertigen
+schriftstellerischem Formen und an einem fertigen Lesepublikum; und
+grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide zu
+erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen
+umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der
+Muttersprache, aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb.
+Von den metrischen Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und
+Ennius (geschrieben um 581 173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren
+zugleich zu der aeltesten historischen Literatur der Roemer, ja die
+des Naevius darf als das ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk
+angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen
+Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines
+waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes
+aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius
+Scipio (+ um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
+gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das
+nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen
+griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das
+weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche
+Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete Ausland.
+Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die vornehmeren
+Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des Grossen neben
+der vaterlaendischen Pastoren- und Professorenschriftstellerei eine
+aristokratische Literatur in franzoesischer Sprache stand und die
+Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und Feldherren
+franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen
+Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine
+eigentliche lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit
+Cato, dessen nicht vor dem Schluss dieser Epoche publizierte
+'Ursprungsgeschichten' zugleich das aelteste lateinisch geschriebene
+Geschichts- und das erste bedeutende prosaische Werk der roemischen
+Literatur sind ^33. -----------------------------------------------
+^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
+Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43)
+ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen
+von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen
+Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass
+unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des
+pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes
+die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der roemischen
+Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus der Zeit des
+Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch lateinische Annalen
+aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es dahingestellt
+bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren Annalisten
+Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder ob
+von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und
+des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei
+Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben hat. Das dem Lucius
+Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, ebenfalls
+griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk aus
+augustischer Zeit. ^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert
+erst in sein Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung
+auch der frueheren Buecher der 'Ursprungsgeschichten' faellt nicht vor,
+aber wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14,
+114). ----------------------------------------------- Alle diese Werke
+waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im Gegensatz
+zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische
+Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder
+geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die
+Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers,
+obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den ersten Krieg
+mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten betraf; danach
+zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der Sagenzeit, der
+Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer die
+Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
+Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit
+zu ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
+unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den
+Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war,
+und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern
+nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom
+an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn
+Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der
+gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius oder dem
+Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der albanische
+Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird zugleich
+Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer die
+roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium,
+sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole
+Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt
+erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher
+geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in dem zu
+Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein, und die
+griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter erst
+dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes die
+Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen Ursprung
+Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz
+Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark
+im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde
+dies die stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der
+maechtigen Gemeinde. ----------------------------------------------- ^34
+Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor,
+dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine
+Geschichte pragmatisch zu schreiben.
+----------------------------------------------- Von der Ursprungsfabel
+abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen Historiographen sich
+um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, so dass die
+weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus einheimischen
+Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen
+duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei
+Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote
+gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus
+Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl
+noch fremd gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes
+in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die
+ueberall, selbst bei dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit
+hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern
+Italiker und Griechen als ein urspruenglich gleiches Volk darzustellen
+- hierher gehoeren die aus Griechenland eingewanderten Uritaliker oder
+Aboriginer sowie die nach Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger.
+--------------------------------------------------- ^35 So ist die
+Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten von
+Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine
+Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten
+der Herodotischen Erzaehlung von Kyros' Jugend geschlagen.
+--------------------------------- Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in
+einem, wenn auch schwach und lose geknuepften Faden, doch einigermassen
+zusammenhaengend durch die Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung
+der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, und es war nicht
+bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den
+Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken
+eine irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten.
+Am meisten empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der
+Koenigszeit sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein;
+Ennius, der im dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit,
+im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten
+zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in den allgemeinsten Umrissen
+behandelt haben. Wie die griechisch schreibenden Annalisten sich
+geholfen haben, wissen wir nicht. Einen eigentuemlichen Weg schlug Cato
+ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er selber sagt, "zu berichten,
+was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters steht: wie oft der Weizen
+teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich verfinstert haetten"; und
+so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch seines Geschichtswerkes
+fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden
+und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er machte
+sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr
+nach Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet;
+namentlich hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk
+die Vorgaenge "abschnittsweise" erzaehlte. Diese in einem roemischen
+Werke auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden
+griff teils in die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher
+gegen das hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale
+Italien stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die
+mangelnde Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis
+auf den Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis,
+die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte.
+Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend
+behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den
+zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den
+achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den
+Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines
+Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus
+und in den beiden letzten, wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher
+angelegten die Ereignisse aus den letzten zwanzig Lebensjahren des
+Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag Ennius den Timaeos oder
+andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen aber beruhten
+die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von
+Augenzeugen, teils einer auf dem andern. Gleichzeitig mit der
+historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann die Rede- und
+Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der frueheren
+Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in spaeterer
+Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden,
+wie zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner
+Hannibals, als Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn
+gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er
+waehrend seiner langen und taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten,
+die geschichtlich wichtigen in seinem Alter auf, gewissermassen als
+politische Memoiren, und machte sie teils in seinem Geschichtswerk,
+teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege dazu, bekannt. Auch
+eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. Mit der nichtroemischen
+Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine gewisse Kenntnis
+derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon von dem
+alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern
+auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den
+Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist
+bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung
+absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere fuer sich
+zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen Taetigkeit
+auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. Dass durch diese beginnende
+historische Literatur insgesamt eine harmlose Unkritik durchgeht,
+versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser nahmen an
+inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius
+der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und
+neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt
+nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa
+ein Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den
+roemischen Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa.
+Die im Jahre 262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten
+verhandeln dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre
+nachher (348 406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive
+Akrisie hervor in der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach
+der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche
+festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre
+vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den
+gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken
+erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten
+Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die
+Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als
+kanonisch geltenden Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias
+Fall 436; nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der
+Gruender Roms der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter
+Finanzmann hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf
+den Widerspruch aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht
+vorgeschlagen zu haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene
+Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her.
+Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem
+gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte
+trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen
+welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago
+von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird.
+Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als der Vorwurf. Es ist
+einigermassen laecherlich, von den roemischen Zeitgenossen Hannibals
+ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; eine bewusste
+Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus nicht
+von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen
+Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. Auch von wissenschaftlicher
+Bildung und selbst von dahin einschlagender Schriftstellerei gehoeren
+die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige Unterricht hatte sich
+wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis des Landrechts
+beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der innigen
+Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf
+und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung
+unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die
+roemische einigermassen zu modifizieren.
+------------------------------------------- ^36 Plautus sagt (Most. 126)
+von den Eltern, dass sie die Kinder "lesen und die Rechte und
+Gesetze kennen lehren"; und dasselbe zeigt Plut. Cato mai. 20.
+------------------------------------------- Vor allen Dingen fing
+die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen Grammatik
+auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf das
+verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr
+gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234)
+scheint ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet
+reguliert und dem ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I,
+487) den Platz des entbehrlich gewordenen z gegeben zu haben, welchen
+derselbe noch in den heutigen okzidentalischen Alphabeten behauptet. An
+der Feststellung der Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister
+fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben
+ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten
+neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius
+hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende
+Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37,
+sondern auch fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der
+Doppelkonsonanten die genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt.
+Von Naevius und Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die
+volksmaessigen Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch
+in Rom sich so gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
+--------------------------------------- ^37 So heisst ihm in den
+Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, Ceres davon quod
+gerit fruges. ---------------------------------------- Rhetorik und
+Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede stand
+bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als
+dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte
+Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische "ewig reden lernen und
+niemals reden koennen" die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die
+griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und
+vor allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer
+gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem
+Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates
+unverbluemt einen Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und
+den Gesetzen seiner Heimat mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und
+wie selbst die der Philosophie geneigten Roemer von ihr dachten, moegen
+wohl die Worte des Ennius aussprechen: Philosophieren will ich, doch
+kurz und nicht die ganze Philosophie; Gut ist's von ihr nippen, aber
+sich in sie versenken schlimm. Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre
+und die Anweisung zur Redekunst, die sich unter den Catonischen
+Schriften befanden, angesehen werden als die roemische Quintessenz
+oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum der griechischen
+Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren fuer das
+Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen
+Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das
+Rednerbuch die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden,
+welche alle Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher
+kann man ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von
+den Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner,
+"an die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen"
+^38. ----------------------------------------------------- ^38 Rem tene,
+verba sequentur. -----------------------------------------------------
+Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch
+fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
+Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder
+minder unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik
+und Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden
+Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in Rom.
+Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) der
+erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich
+niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
+Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen
+und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen
+scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden
+Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig
+war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung und
+daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen
+zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte
+wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war.
+Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um
+dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
+eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und
+Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. Von der
+barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung
+behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der
+Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491
+(263) fing die griechische Stunde (/o/ra, hora) auch bei den Roemern an
+gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine
+fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr
+aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach richtete. Gegen Ende
+dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme Maenner, die sich fuer
+mathematische Dinge interessierten. Manius Acilius Glabrio (Konsul 563
+191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein Gesetz zu steuern,
+das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen Schaltmonate
+einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja uebel
+aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand
+als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der
+griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich
+Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders.
+Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der nicht bloss die
+Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch ausgerechnet
+hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der selbst als
+astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde deshalb
+von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des Scharfsinnes
+angestaunt. Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst
+die ererbte und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von
+selbst und spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen
+zur Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt
+sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in
+den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der
+lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann
+schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
+unberuecksichtigt geblieben sein. Dagegen gilt dasselbe nur in
+untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der
+Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der Bescheidung
+der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren Zuhoerer;
+doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein
+traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit
+mangelt nicht ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die
+Rechtswissenschaft das von Sextus Aelius Paetus, genannt der "Schlaue"
+(catus), welcher der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge
+dieser seiner gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur
+Zensur (560 194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte "dreiteilige
+Buch", das heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem
+Satze derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten
+und unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular
+hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der
+griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte
+die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und
+die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an. Im
+allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
+Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
+aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen
+Saetzen darlegen sollten, was ein "tuechtiger Mann" (vir bonus) als
+Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein
+Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch
+nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und
+nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen
+ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also damals noch nicht
+diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, welche der eigentliche
+wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, teils die Musik und der
+ganze Kreis der mathematischen und physischen Wissenschaften. Durchaus
+sollte in der Wissenschaft das unmittelbar Praktische, aber auch nichts
+als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht zusammengefasst werden.
+Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, aber nur um aus
+der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare Erfahrungssaetze zu
+gewinnen - "die griechischen Buecher muss man einsehen, aber nicht
+durchstudieren", lautet einer von Catos Weidspruechen. So entstanden
+jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die freilich mit der
+griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den griechischen
+Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die Stellung der
+Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten massgebend
+geworden sind. So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und
+Literatur in Rom ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu
+reden: Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
+Der Quiriten hartem Volke sich die Mus' im Kriegsgewand. Auch in den
+sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es gleichzeitig
+an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in
+etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen
+Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen
+Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig
+mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der
+roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung begriffen gewesen
+ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und die Geschichte
+kann hier nur die Luecke bezeichnen. Die roemische Literatur, ueber
+die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, wie problematisch ihr
+absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt dennoch fuer
+denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem Wert
+als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem
+waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die
+italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die
+allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige
+Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der
+Nation durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die
+Mangelhaftigkeit der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein
+unbefangenes und durch den ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende
+unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die roemische Literatur steht neben
+der griechischen wie die deutsche Orangerie neben dem sizilischen
+Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber nebeneinander sie
+auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch entschiedener als
+von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache gilt dies von
+derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr grossen Teil
+ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von Fremdlingen,
+von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein sich
+erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als
+Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht
+ein nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat
+erweislich das eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des
+Dichters ist auslaendisch; schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen
+Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht bloss auslaendisch, sondern
+sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln behaftet, welche da sich
+einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der grosse Haufe das
+Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie durch
+die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in
+poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der
+einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und
+erst folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst
+nach dem Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie
+nur am toten Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der
+Grammatik und Grundlegung der Literatur, fast wie bei den heutigen
+Heidenmissionen, von Haus aus Hand in Hand gegangen sind. In der Tat,
+wenn man diese hellenistische Literatur des sechsten Jahrhunderts
+unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder eigenen
+Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der
+flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire,
+jenen Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu
+den Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen.
+--------------------------------------- ^39 Vgl. 2, 445: Enni poeta
+salve, qui mortalibus Versus propinas flammeos medullitus. Die
+Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen po/e/t/e/s statt
+poi/e/t/e/s - wie epo/e/sen den attischen Toepfern gelaeufig war - ist
+charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser
+epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher
+in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.).
+----------------------------------------- Dennoch wuerde ein solches
+Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr einseitig gerecht sein.
+Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese gemachte Literatur in
+einer Nation emporkam, die nicht bloss keine volkstuemliche Dichtkunst
+besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen gelangen konnte. In dem
+Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums fremd ist, faellt
+die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche
+Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet der
+Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen,
+dass ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten
+Erzaehlungen von menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese
+Grundlage der antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die
+Goetterwelt gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die
+goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein
+Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die
+aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf
+einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem
+Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende
+roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich
+abzuwehren. Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und
+denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung der
+Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien beruht
+die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der
+roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht
+ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat
+den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein
+aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer
+eine gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige
+Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten
+zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken
+Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der
+wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den Hintergrund und oft
+selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem roemischen
+Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele zeigen, die
+Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen gelaeufig und
+von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt waren
+^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins
+Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung
+wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf
+schon die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den
+Ton gelegt haben, die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und
+griechischer Masse in Latium. Wenn "das besiegte Griechenland den rauhen
+Sieger durch die Kunst ueberwand", so geschah dies zunaechst dadurch,
+dass dem ungefuegen lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene
+Dichtersprache abgewonnen ward, dass anstatt der eintoenigen und
+gehackten Saturnier der Senar floss und der Hexameter rauschte, dass
+die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, die kunstvoll
+verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der
+Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der
+idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen
+Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis
+tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben nicht innerlich
+erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst gedichtet. Man
+sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl sich von selber
+verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von der Natur in
+die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie guenstigen
+Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten
+latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage
+auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen
+Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum
+ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber
+den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur
+Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern
+einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die
+hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser
+Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging,
+den Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter
+entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen,
+ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes
+Latium an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten
+Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen
+Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder
+widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre
+historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus
+laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar nimmermehr
+sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen sich
+rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen
+dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig
+vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch
+eben formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es
+war nicht schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden
+von Schulmeistern und Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder
+Nachdichtung war; aber wenn die Poesie zunaechst nur eine Bruecke
+von Latium nach Hellas schlagen sollte, so waren Livius und
+Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und die
+Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch
+weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die
+verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem
+Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie der
+Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich
+betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des
+kosmopolitischen Hellenismus wie die 'Ilias' und die 'Odyssee' diejenige
+des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die Vertreter
+dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen
+Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige
+Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter
+bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten und
+den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn
+waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen
+ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die
+Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer
+verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des
+sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den
+sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in
+der aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren
+reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt,
+wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe
+man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
+Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als
+reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und
+sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen
+durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer.
+Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn
+es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt
+wird, so kann auch den roemischen Dichtern des sechsten Jahrhunderts
+Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. Ein frisches und
+maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen Weltliteratur, eine
+heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu verpflanzen,
+durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und flossen in
+eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste
+dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die
+poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab;
+eher vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei
+aller Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der
+griechischen Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als
+ihre hoeher gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung,
+in den klingenden Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz
+der Poeten dieser Zeit ist mehr als in irgendeiner anderen Epoche der
+roemischen Literatur eine imponierende Grandiositaet, und auch wer ueber
+die Schwaechen dieser Poesie sich nicht taeuscht, darf das stolze Wort
+auf sie anwenden, mit dem sie selber sich gefeiert hat, dass sie
+den Sterblichen das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
+----------------------------------------------------- ^40 Aus dem
+troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete Figuren
+vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275),
+Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum
+Beispiel die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von
+Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele
+(Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. 1247) bekannt gewesen sein.
+----------------------------------------------------- Wie die
+hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes
+ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige
+nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger
+wollte, als die latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer
+lateinisch redenden, aber in Form und Geist hellenischen Poesie
+vernichten, so musste eben der beste und reinste Teil der latinischen
+Nation mit dem Hellenismus selbst die entsprechende Literatur
+gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. Man stand zu Catos
+Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr wie in der
+Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten den
+Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der
+Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie
+im Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben
+Ursachen sind Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum
+Gesindel gestellt und die Apostel und Bischoefe von der roemischen
+Regierung hingerichtet worden. Natuerlich war es auch hier vor allem
+Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die
+griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der gefaehrlichste Abschaum
+des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit unaussprechlicher
+Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man
+hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt
+und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten
+bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer
+Erwaegung indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht
+geben, sondern auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition
+auf diesem Boden mehr als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der
+bloss ablehnenden Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer
+Zeitgenosse Aulus Postumius Albinus, der durch sein widerliches
+Hellenisieren den Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel
+schon griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der
+Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit
+verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht
+voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei, Dinge
+zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe des
+fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und Protektion
+singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie es
+jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken,
+dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen
+Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato
+selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen
+Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen,
+die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich elendes
+Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der Zeit und
+den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition aber gegen
+die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato keineswegs sich
+schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der Nationalpartei,
+dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit begriff, eine
+lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die Anregungen des
+Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach die
+lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht
+und der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter
+griechischer Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt
+werden. Mit einem genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der
+einzelnen als von dem Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man,
+dass fuer Rom bei dem gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung
+der einzige Stoff zur Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der
+Geschichte lag. Rom war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und
+auf dieser gewaltigen Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den
+Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und
+einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der
+lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und
+Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem
+Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel
+zu stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein
+antikes Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und
+verstaendiger ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar
+verloren der Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der
+aelteren roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine
+didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem
+Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen
+guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch
+die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine
+prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
+Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein
+Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit
+in seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine
+'Ursprungsgeschichten', seine aufgezeichneten Staatsreden, seine
+fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste
+getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts
+weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich
+in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem
+Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes
+ist den griechischen "Gruendungsgeschichten" (ktiseis) entlehnt.
+Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
+verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht.
+Seine 'Enzyklopaedie' ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
+griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische
+Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem
+Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl
+verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er
+fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der
+wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen,
+in ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren
+'Ursprungsgeschichten' auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so
+ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische
+Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der
+Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
+sei. ------------------------------------------------ ^41 "Von diesen
+Griechen", heisst es bei ihm, "werde ich an seinem Orte sagen, mein Sohn
+Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung gebracht habe; und will
+es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften einzusehen, nicht sie
+durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und unregierliche Rasse -
+glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung
+herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, wenn es
+seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren
+umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen,
+damit man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen.
+Auch uns nennen sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren
+Namen der Opiker. Auf die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und
+Bann." Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der
+im Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz
+unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste
+Weise dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen.
+----------------------------------------------- Werfen wir schliesslich
+noch einen Blick auf den Stand der bauenden und bildenden Kuenste, so
+macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich weniger in dem
+oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den Schluss
+dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184)
+faengt man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine
+Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen
+gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge
+aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem die attischen Gerichts-
+und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken nach Rom zu uebertragen.
+Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren entsprechende Gebaeude,
+die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde von Cato im Jahre 570 (184)
+neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch andere sich anschlossen,
+bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die Privatlaeden durch
+diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. Tiefer aber
+griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, welche
+spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich
+allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und
+Gartenhallen (peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere
+(tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren
+Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im Wohnsaal zur
+Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen verwandt
+zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert oder doch
+benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; "unsere Vorfahren",
+sagt Varro, "wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten nur, um die
+Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament". Von roemischer
+Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die Wachsbossierung der
+Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die Rede: Manius
+Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im
+Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses
+abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele
+gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was
+nicht viel spaeter das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet
+der Poesie wurden. Es werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos,
+der, wie Naevius spottete, verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im
+heiligen Raum die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
+Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
+Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter
+griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate
+Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel
+zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch
+eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss
+ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern dass
+sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie,
+den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
+------------------------------------------------------ ^42 Plautius
+gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die
+Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch
+nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des
+ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg
+stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor.
+------------------------------------------------------- Dagegen
+zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren
+dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht
+der korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen
+Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an;
+selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse
+als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des Pheidias mit
+Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den eroberten
+griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten Anfang
+Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl
+dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel
+der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209)
+die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern
+ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen
+Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus
+(560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des
+roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus (587 167) fuellten
+sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den Meisterwerken des
+griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung auf, dass
+das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil der
+hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache;
+allein waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse
+poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen
+und Herbeischaffen auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in
+Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst
+aber nicht einmal ein Versuch gemacht worden.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by
+Theodor Mommsen
+
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