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If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 3 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3062] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + +Römische Geschichte + +Drittes Buch +Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der +griechischen Staaten + +von Theodor Mommsen + +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Contents + + Drittes Buch—Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung + Karthagos und der griechischen Staaten + KAPITEL I. Karthago + KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago + KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen + KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal + KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae + KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama + KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode + KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg + KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien + KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg + KAPITEL XI. Regiment und Regierte + KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft + KAPITEL XIII. Glaube und Sitte + KAPITEL XIV. Literatur und Kunst + + + + +Drittes Buch +Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der +griechischen Staaten + + +arduum res gestas scribere + +arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben + +Sallust + + + + +KAPITEL I. +Karthago + + +Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der +Voelker der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im +Osten, fuer diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die +Grenze verschoben und die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und +scheidet ein tiefes Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen +Voelker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies +gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein +anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre +Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen +Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit +diesem Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der +christlichen Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; +den Hellenen aber hiess Kanaan das “Purpurland” oder auch das “Land der +roten Maenner”, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, +Phoeniker oder Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das +Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die +vortrefflichen Haefen und der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel +guenstig, der hier, wo das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an +die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische +See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen +aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben +die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der +Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben +und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden +wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika +und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr +Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis +oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und +die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, +die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische +Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle +Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, +das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was +es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum, +um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz +haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt +zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch +an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das +Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die +grossartigen und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen +Gebiete innerhalb des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren +nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem +Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen eigen und den +Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch weder die +phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst, +soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen +Rang eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind +formlos und unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und +Grausamkeit mehr zu naehren als zu baendigen bestimmt; von einer +besonderen Einwirkung phoenikischer Religion auf andere Voelker wird +wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen. +Ebensowenig begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn +derjenigen der Mutterlaender der Kunst vergleichbare phoenikische +Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der wissenschaftlichen +Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon oder doch das +Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem Lauf der +Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier +begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur +wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der +Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die +Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten +babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der Sternbeobachtung +fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der Ordnung der Masse +fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen wichtigen Keim der +Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das Alphabet oder +irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes ihnen +eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie +von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das +haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die +Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie +sich beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die +Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern +gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen +Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die +Berber Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der +Hannos und der Barkiden. Aber vor allem mangelt den Phoenikern, wie +allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der +staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden +Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros ist das +phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil +herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern +untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte sich +unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner, +berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten oder +der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der +schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel +nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders +sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie +die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie +auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der +kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre +Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den +Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in +fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame +Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten +vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem +oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen +und in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft +im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) +und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die +Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz +einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen +will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere +oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker +zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit +offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen +Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei +Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als +gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem +Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen +des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der +Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen +lassen. + +Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und +mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter +den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch +weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; +vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein +indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald +mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre Nationalitaet +gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen alle +Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den +Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an +staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei der +treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der +Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es geluestete +sie nicht nach der Herrschaft; “ruhig lebten sie”, sagt das Buch der +Richter, “nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und im +Besitz von Reichtum”. + +Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und +sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste +Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden +weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der +griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen +gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den Europaeern. Unter den +zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten an diesen Gestaden +ragte vor allem hervor die “Neustadt”, Karthada oder, wie die +Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die frueheste +Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich +vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten +Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die +Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege +Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des +Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas +durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern +besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung +des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite +als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von +Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten +Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares +Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und +die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die +tyrische Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, +sondern auch in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, +die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht +guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten +Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und +gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in +solcher Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber +fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu +einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere +phoenikische Stadt besessen hat. + +Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in +Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. +Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, +den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm +der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste die Stadt +hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen Maechte, +scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch nur dem +Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um sich die +Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. + +Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten +doch Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere +Politik draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich +unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem +eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben +sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das +gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn +sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit +griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, +genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel +und Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und +Kyrene gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden +der Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu +ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und +hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine +Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste +von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die +phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der +Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der +maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins +zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des +Mittelmeers den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten +hatte, von selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine +veraenderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse +Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen +Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. Wesentlich trug +wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Soeldnerei, die +in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in +Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit +aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das +auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen +Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist. + +Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche +die Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum +Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) +scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu +haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten muessen. +Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher +hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre Kapitalien +auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen Massstab zu +betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein grosser +Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn +dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen +libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen +Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land +- wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. +Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau +scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der +phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu +sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen +Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der +Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen +karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem +unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (νομάδες) an +den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine +verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene +zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die +karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu +stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse +Stadt Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den +Karthagern erobert. Dies sind die “Staedte und Staemme (έθνη) der +Untertanen”, die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; +jenes die unfreien libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. + +Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen +Phoeniker in Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu +diesen teils die von Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und +einen Teil der Nordwestkueste gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die +nicht unbedeutend gewesen sein koennen, da allein am Atlantischen Meer +auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die +besonders an der Kueste der heutigen Provinz Constantine und des Beylik +von Tunis zahlreichen altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel +Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis +(suedlich von Susa) - die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, +Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie +es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter karthagische +Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den +Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr +nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager +selbst in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern +hatten niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu +leisten hatten. Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der +Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft +und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von +465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit +den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig +Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der +Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal +entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; +wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von +der griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht +hegten. Selbst im auswaertigen Verkehr sind es stets “Karthago und +Utica”, die zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht +ausschliesst, dass die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber +Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die +Hauptstadt eines maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der +tripolitanischen Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im +westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher +Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren +oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das +Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden +vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller +bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische +Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien +die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit +gleicher Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch +gesprochen und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen +Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie +vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation +noch in der Politik Karthagos. + +——————————————————————— + +^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in +dem karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz +einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen +heissen: οι Καρχ ηδονίων ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst +heissen sie auch Bundes- συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder +steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium +mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium folgt aus +den “gleichen Gesetzen”. Dass die altphoenikischen Kolonien zu den +Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer +libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es +hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum +Beispiel im Periplus des Hanno: “Es beschlossen die Karthager, dass +Hanno jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der +Libyphoeniker gruende”. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker +bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche +Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch +die mit Libyern gemischten Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz +zum Text des Polybios); wie denn in der Tat wenigstens bei der Anlage +sehr exponierter Kolonien den Phoenikern haeufig Libyer beigegeben +wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie im Namen und im +Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den Libyphoenikern +Karthagos ist unverkennbar. + +^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit +die Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines +der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint +allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das +phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer die +Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern +erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen +Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr +wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer +Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der die +auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben +wurden. + +————————————————————————- + +Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von +Libyen stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die +Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte +Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies +derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er +nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen +Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms +ausgefuellt hat. + +Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen +phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, +dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die +Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im +ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert +Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten +Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der gesicherten +und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre +Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit Rom in +Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste +kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. + +Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der +karthagischen Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte +gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt. + +In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische +Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und +oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das Gebiet der +Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder +doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland den +einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht +bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der +Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte +Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es +ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch +waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den +tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen +Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von +Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und die +Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades +beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern +selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als +Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten +Kaempfe gefuehrt wurden. + +Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts +Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen +von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem +gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen +wie die Numidier in Afrika an dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis +(Cagliari) und anderen wichtigen Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt +und die fruchtbaren Kuestenlandschaften durch eingefuehrte libysche +Ackerbauern verwertet. + +In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere +oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende +gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der +Karthager teils die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, +Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich +und bluehend war, teils die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie +von Motye, spaeter von Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von +Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der +Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, +Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der +Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher Zustand +hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der +Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) +nicht auf die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf +die attische Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden +rivalisierenden Nationen bequemten sich, einander zu dulden, und +beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr Gebiet. + +Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; +allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler +der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, +der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in +Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an +der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der Syrten +machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer +geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur das +Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern +Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die +Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den +ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar +gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der +etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen +Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden +bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe +des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische +Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus +an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich +ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden +auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. +Das naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen +ihnen und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios +von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der +sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und die +Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die +bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, +Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern +von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das +Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, +gestuetzt auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien +angeworbenen Soeldner, die veroedeten oder mit Militaerkolonien +belegten Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der +nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) +abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Staedte Thermae +(das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des +Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um +den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; +immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den +Nebenbuhler ganz zu verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren +Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles +445 (309), in der pyrrhischen 476 (278) - waren die Karthager Herren +von ganz Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen +Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tuechtigen +Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren, +ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu +verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die +Seite der Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und +die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, +doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und Energie den Angriff +betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt +die Verteidigung. Mit Recht durften die Phoeniker erwarten, dass nicht +immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreissen +wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf schon +entschieden: Pyrrhos’ Versuch, die syrakusanische Flotte +wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, +beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze +westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu +besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand +damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl +dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu monopolisieren; +und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum Zwecke +fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse der +Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560 +275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach +Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den +Karthagern in die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und +damit stimmt es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen +Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch +den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre +448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich +schloss. + +Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig +Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als +uebergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine +zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt +er sie. Die Leitung der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der +Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden +jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig +Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der +Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen +die Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege +trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt +und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig +die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen +adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist +zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig +scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben; +hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten +auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des +Feldherrn; Isokrates, Aristoteles’ aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die +Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten +und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen +Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm +beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht +beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine +den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine +feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist +derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden +gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch +war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern +ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann +zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. + +Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft +der Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das +Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen +karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich +dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen +Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der +Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten +Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen +hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die +Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden +zu vereinigen; dies fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu +einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen +Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab +zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer +Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende +Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich +vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere +Zeit, ja lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern +und Griechen gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das +einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus +aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine +vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben +dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren +sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich +die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten +und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen +und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit +dem Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die +Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft +gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten +auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils +dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum +Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und +dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem +Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie +den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. + +Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta +ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen +beschraenkt, doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade +von Einfluss gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein +offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines +Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch +Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in +anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer gut +fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in +Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward +wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; +die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den +spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch +geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen +“Stadtbuergern” und “Handarbeitern” wird erwaehnt, der auf eine sehr +niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen +laesst. + +Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die +karthagische Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es +begreiflich ist bei einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse +und bestehend einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den +Mund lebenden staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, +Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das System, die +heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen +zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die +abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen +einer verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago +nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der +erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen Verfassung. Bis auf seine +Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten eine nennenswerte +Revolution stattgefunden; die Menge blieb fuehrerlos infolge der +materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen +ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward +abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst +von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition +konnte freilich bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit +des Ersten Punischen Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin, +zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr +politischer Einfluss im Steigen und in weit rascherem, als gleichzeitig +der der gleichartigen roemischen Partei: die Volksversammlungen +begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu geben und +brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des +Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, +dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im +Amte sein koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche +allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, +wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte +ein maechtiger patriotischer und reformierender Schwung; doch darf +darueber nicht uebersehen werden, auf wie fauler und morscher Grundlage +sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die von kundigen Griechen +der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, dass sie +insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte +gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie +in Karthago, die Buben sie machen halfen. + +In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter +den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des +Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis +des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten +finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs +verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der +Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und +Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben und +zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische +Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen und +roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen +Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, +sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und +den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. +Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- +mit der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der +phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als +man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes +an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner +Nomadenwirtschaft es nach Polybios’ Zeugnis vielleicht allen uebrigen +Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in +der Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer +waren, wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese +floss nach Karthago mittelbar die Grundrente “des besten Teils von +Europa” und der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an +der Kleinen Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen +Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes +Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und +Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen +Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher schon +bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte +Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland +allen Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel +zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu +konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, +wie spaeterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss +bestimmt, aber nicht vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine +ansehnliche phoenikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden +sich reiche, freilich nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den +sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche +Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des +Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich +die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte +Werk des Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in +einem der karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des +Admirals Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. +Selbst die allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der +Kunde fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit +dem kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der +durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in +Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der +Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des +Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen +Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des +kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert +hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts +dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben +vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben +wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht +des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine +jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne +Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte +Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem +Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen +sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe +der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen +Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer +spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter +allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen +Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und +Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in +dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat +eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe +geloest als Karthago. + +—————————————————— + +^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach +der Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, +17), lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des +Plautinischen ‘Poeners’ heisst es von dem Titelhelden: + +Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn’ + +Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr? + +——————————————————- + +Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren +Acker- und Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus +untergeordnete und durchaus praktische Stellung von Kunst und +Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, nur dass in dieser +Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als Rom. Aber in Karthago +hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals noch die +Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die +karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer +waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der +Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war +in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und dem +Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In +Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene +Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch +altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die +karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren +Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren +zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes +Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo +man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist +bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende. + +Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten +die Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die +strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde +den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich +des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit +einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu +verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische +Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne +streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung +erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig. +Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete +und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und +brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen +beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die +Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein +Wesen war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er +weder sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch +unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der +roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die +Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und +Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte +Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen +nationalen Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau +einstuerzen liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher +ist der tuechtige Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit +seiner Regierung, in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den +Herren daheim und gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu +widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche +Sache zu machen. + +Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche +stammfremde Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in +sein Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst +gesetzlich Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus +aus sich ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die +Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den +stammverwandten Gemeinden Anteil an den Fruechten des Sieges, +namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den uebrigen +untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und +Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; +Karthago behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten, +sondern entriss sogar den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit. +Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen Gemeinden die +Selbstaendigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago +sandte seine Voegte ueberall hin und belastete selbst die +altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die unterworfenen +Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im +karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit +Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und +materiell sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen +nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die +materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die politische +Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum Kampf +herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als zu +gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die +phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten +Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das +karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen +kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung +bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren +Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken, +die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches +Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. +von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem +Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen +Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege +gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder +aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. +Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im +Handel mit dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von +Anfang an und ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei +weitem freier sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt +ward. Waere Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich +dies bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der +wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen +Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine +ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach +dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte +des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im +ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen +ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den +Roemern die Samniten und Tarentiner. + +Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel +um vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder +dadurch aus, dass die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und +Zoelle weit eher und eben, wenn man sie am noetigsten brauchte, +versiegten als die roemischen, und dass die karthagische Kriegfuehrung +bei weitem kostspieliger war als die roemische. + +Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr +verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die +karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 +Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des +fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte +im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten +auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer hatte Rom +schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen Verhaeltnissen +ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des Buergergebiets +im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der waffenfaehigen +Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als +der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des +Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es +sich angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, +so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den +kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen +der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert +focht in den sizilischen Heeren noch eine “heilige Schar” von 2500 +Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den +karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit Ausnahme der +Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die roemischen +Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf den +Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der +beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere +Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker +ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise +noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den +Heeren, indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit +vermutlich mit Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer +von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann +und auch diese nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der +karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren +Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden +liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu +kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften +Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, +deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die +Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland +angeworbene Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne +Muehe fast auf jede beliebige Staerke gebracht werden und auch an +Tuechtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem +roemischen sich zu messen; allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner +angenommen werden mussten, ehe dieselben bereit standen, eine +gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden Augenblick +auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend +die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der +Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an +das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen +Schlages galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern +ungefaehr soviel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher +Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der libyschen Truppen +durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen gefaehrlichen +Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort +gewordene Ruf der “punischen Treue”, der den Karthagern nicht wenig +geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere ueber +einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und +mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als +seine Feinde. + +—————————————————————————- + +^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht +auf den Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe +berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, +namentlich in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist +dagegen zu erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, +nicht staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass +dabei also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder +in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland +sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl +in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus +gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies +als die der in Gades ansaessigen Buerger war. + +——————————————————————— + +Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht +verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. +Man hielt auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit +Soeldner ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was +bei den Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in +welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen +finden, und die Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren +Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten Karthagos befanden +sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu +befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen +lassen, dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen +Lande auch die Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu +Italien, wo die meisten unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten +hatten und eine Kette roemischer Festungen die ganze Halbinsel +beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der Hauptstadt bot man auf, +was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat +nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch +und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung +niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die +Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie +in der Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen +ueberlegen; in Karthago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei +Ruderverdecken, und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit +meistens Fuenfdecker, waren in der Regel bessere Segler als die +griechischen, die Ruderer, saemtlich Staatssklaven, die nicht von den +Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitaene gewandt und +furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Roemern +ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbuendeten Griechen und +den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in der offenen See +auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten das +westliche Meer beherrschte. + +Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der +beiden grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil +eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, +da der Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen +waren. Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass +Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um +kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, +aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden +eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie +in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien, +Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich +nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem +solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit +der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, +sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; +dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See +schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in +Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin +gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und +waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg +begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich +in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, +auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. + + + + +KAPITEL II. +Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago + + +Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den +Karthagern und den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. +Von beiden Seiten ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem +Propagandismus, indem Karthago Verbindungen unterhielt mit der +aristokratisch-republikanischen Opposition in Syrakus, die +syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago +zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit +Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre +Schlachten schlugen wie die phoenikischen Feldherren. Und wie man auf +beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten +mit gleicher, in der okzidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und +Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende Partei waren die +Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich +beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und +Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber +saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos’ Vertreibung aus +Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem groessere Haelfte +der Insel und vor allem das wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den +Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der Suedosten der Insel. +In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in Messana, hatte eine +fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt und behauptete die +Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Es waren +kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das bei den in und um +Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, 368) hatte +im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was spaeter +Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die +soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen +Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit +des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen Staedten, die +politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie verurteilte, +ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung ueber sich +selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die kampanische +Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es +versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf +hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an +Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den +Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer +Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, +vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, +leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in +Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre +Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden +die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in +Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien +gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in +solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein +kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach +dessen Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, +sich fest in Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und +dem Hauptsitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen +beherrschten Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder +vertrieben, die Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die +Soldaten verteilt und die neuen Herren der Stadt, die “Marsmaenner”, +wie sie sich nannten, oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht +der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach +Agathokles’ Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern +diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer +stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen +Stadt einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten; +mit karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos +und der unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. + +Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, +durch den sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, +dass der Gott, der die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, +nicht der Gott der Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden +anderer zu richten, mag die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es +heilbringend sein, dass hier eine streitkraeftige und der Insel eigene +Macht sich zu bilden anfing, die schon bis achttausend Mann ins Feld zu +stellen vermochte und die allmaehlich sich in den Stand setzte, den +Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen +entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit +gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen. + +Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der +durch seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen +verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie +durch die Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten +hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen +Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward +durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den Buergern +hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge Verwaltung, +sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er schnell sich die +Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs +gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er +entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen +Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs +mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen +und frischen und lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische +Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis +mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der Insel vertrieben hatten, +war damals Friede; die naechsten Feinde der Syrakusier waren die +Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem ausgerotteten +Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer des +syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge +kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um +diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, +die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich +gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig +der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in +ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem die Belagerung einige Jahre +gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs aeusserste gebracht und +ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit eigenen Kraeften zu +behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht moeglich war und +das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen hatte, +ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die +einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die +Karthager oder an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein +musste an der Eroberung des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen +Bedenken hinwegzusehen. Ob es vorteilhafter sei, den Herren Afrikas +oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach langem +Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet der kampanischen +Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den Roemern +anzutragen. + +Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als +die Boten der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles +an dem ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand +ahnen; aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz +andere und wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen +der bisher vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der +ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche +Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu +ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit +Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen Kampaner +mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre +nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und +zur Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten +Strafe zu entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den +Gegnern Stoff zu Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter +ernstlich empoeren musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem +die politische Moral keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, +wie man roemische Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische +Bundesgenossen hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit +Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, +diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur +darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana +geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. +Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; +schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben +darin lag es begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu +haben und zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer +Syrakus und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, +die Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie +Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den +Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu +gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt +in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in +seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht +erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward, +sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es +gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so +nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen +Italien und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus +guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit +dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass +zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens +aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch +Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und +Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago +fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, +Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit +dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen +und rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches +die Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen, +dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der +Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den +eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die +Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu +folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber +den Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu +fuehren; er kam zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der +Buergerschaft, an welche die Sache verwiesen ward, lebte das frische +Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung +Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den Makedoniern, wie +die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische Bahn zu +betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch +die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die +ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft +aufgenommen ^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft +beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 265). + +——————————————————————- + +^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die +italischen Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. +Verr. 5, 19, 50) und besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der +Silberpraegung nicht. + +——————————————————————- + +Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in +die Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher +dem Namen nach mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe +aufnehmen wuerden. Hieron hatte Grund genug, die an ihn ergangene +Aufforderung der Roemer, gegen ihre neuen Bundesgenossen in Messana die +Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu behandeln, wie die Samniten +und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von Capua und Thurii +aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung zu +antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit +und von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man +erwarten, dass er in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn +Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien dies nicht. Eine +roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben Jahre nach dem +Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu bemaechtigen, nach +Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu verlangen; die nicht +unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten auf einmal +wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen +Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit +Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie +die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu +reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass +die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der +Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der +zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen +Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des +karthagischen Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht +hatte, nebst den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen +Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt +gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens als +Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die +italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als +innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann, +und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische +Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war. Als +die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner +endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den +Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des +roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion +erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete +Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen +Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und +den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben +sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg +karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals +Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische +Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig +gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass man +sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte und +verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging +nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen +die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; +doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, +keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten +Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als +haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie +die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken, +und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, +berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch +erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer +waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der +Versammlung selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und +Hanno sowie die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der +Burg waren kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum +Abzug zu geben, diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen +und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in +den Haenden der Roemer. + +Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und +Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den +Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen Platz +wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, +Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend sie selber +die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte karthagische +Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf das +Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu +beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana +und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. + +Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius +Caudex mit dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen +Nacht gelang die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit +und Glueck waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf +einen Angriff des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, +wurden von den aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln +geschlagen und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber +behauptete das roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch +auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch die +Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und +Karthago) mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das +roemische Heer zurueck nach Messana und von da unter Zuruecklassung +einer starken Besatzung nach Italien. Die Erfolge dieses ersten +ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen daheim der Erwartung nicht +ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht triumphierte; indes konnte +das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht verfehlen, auf die +Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden Jahre +betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die +Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem +Feldzug “der von Messana” (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden +Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach +dieser Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das +Feld zu halten wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und +ueberhaupt die kleineren griechischen Staedte den Roemern zu, sondern +Hieron selbst verliess die karthagische Partei und machte Frieden und +Buendnis mit den Roemern (491 263). Er folgte einer richtigen Politik, +indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es den Roemern mit dem +Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen anschloss, als es +noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu erkaufen. Die +sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene Politik +nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und +karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die +erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht +die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht +von Karthago erobern zu lassen, und auf alle Faelle anstatt des +karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems von Rom eine +leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu erwarten war. +Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und geachtetste +Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. + +Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das +Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen +Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr +schwierige Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher +bedenkliche und unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines +waglichen Charakters. Man machte denn auch fuer denselben nicht +groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in Samnium und Etrurien; +die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492 262) nach der +Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den +sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen +zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons +Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in Akragas, um diese +wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste zu verteidigen. +Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten die Roemer sie mit +verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die Eingeschlossenen, +die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am Notwendigen. Zum +Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia und +schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf +beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer +Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit +herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische Reiterei +ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen Infanterie +das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg, allein die +Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg der +gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der +Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der +belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu +erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in +die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit +Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar, +Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und +weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg spann +von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus den +sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen +Kuesten. + +In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen +Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie +erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer +warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen +koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war +diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne +Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen +Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern +bedrohte auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort +eine konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer +groesseren Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere +karthagische Abteilungen an den italischen Kuesten und brandschatzten +die Bundesgenossen und, was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel +Roms und seiner Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht +lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus +vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die +Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden +sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, +was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso +leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie +zu ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu +schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert +Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen +Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende +Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst die +Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase; +Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und +auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren +dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich +gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von +Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der +Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die +Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein +Seestaat von Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von +Linienschiffen; und eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein +fremdes Linienschiff zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die +Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere +als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, +mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen +koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien +durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden +die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die +Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen +Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name +(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den +Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der +Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere +Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man +teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des +Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, +wird es begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon +gescheitert ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, +innerhalb eines Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig +Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam +dieselbe der karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs +gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik +dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete +und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen +von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser +Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf +bestand im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die +Vorderteile mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die +kaempfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder +dem andern der Stoss gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb +befanden sich unter der Bemannung eines gewoehnlichen griechischen +Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 +Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa +300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis. + +Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen +bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an +Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, +dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle +zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende +Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen +werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren versehen und +hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche Schiff zum +Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss vermieden +war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen Verdeck +nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; wodurch +nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen +Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche +Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. +Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis +die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in +einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte zugleich +die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den einzelnen +Schiffen fechten. + +So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen +war. Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein +Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss +begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Roemer war eben gar +nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch Einsicht in das +Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch Energie in +Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen ward, +die uebler war, als sie zunaechst schien. + +Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, +der Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn +segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), +meinte auf der Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu +koennen. Allein eine Abteilung der bei Panormos stationierten +karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in dem die roemischen +Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem +Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht +ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana +unter Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf +sie auf ein schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem +sie das Glueck hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden +Verlust zuzufuegen, und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von +Messana ein, wo der zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der +Stelle seines gefangenen Kollegen uebernahm. An der Landspitze von +Mylae, nordwestlich von Messana, traf die karthagische Flotte, die +unter Hannibal von Panormos herankam, auf die roemische, welche hier +ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in den schlecht +segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte Beute +erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber +die neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die +roemischen Schiffe fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie +einzeln heransegelten; es war ihnen weder von vorn, noch von den Seiten +beizukommen, ohne dass die gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf +das feindliche Verdeck. Als die Schlacht zu Ende war, waren gegen +fuenfzig karthagische Schiffe, fast die Haelfte der Flotte, von den +Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren das Admiralsschiff +Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch +groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht +geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich +hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, +energisch zu Ende zu fuehren. + +Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den +italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und +Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut +kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies +durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung +dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht +genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder +man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht +auf Afrika werfen, nicht in Agathokles’ abenteuernder Art die Schiffe +hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines +verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die +Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in +diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach +den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man +wollte, mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung +noetigen. + +Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der +Schlacht von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den +Hafen Aleria auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des +Feldherrn, der dieser Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine +Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser +Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte an +Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit +besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste +gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es +nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte +energisch und geschickt den Krieg nicht bloss mit Waffen zu Lande und +zur See, sondern auch mit der politischen Propaganda; von den zahllosen +kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von den Roemern ab und +mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und in den +Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten, +namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen +Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen +Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites +grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide +Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge. +In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem +geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen +liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer +Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen +strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall +nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den +Angreifer ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im +Anfang der wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig +stellten. Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der +italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht +viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der +Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss +der Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im +Fruehjahr 498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel +nach der libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am +suedlichen Ufer Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren +vier Legionen unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius +Regulus und Lucius Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der +karthagische Admiral liess es geschehen, dass die feindlichen Truppen +sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die +Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in +Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. +Nicht leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser +Schlacht gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln +zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa +40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen +trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass gegen +dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, um +zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die +Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken +Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins +Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in +schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite +Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei +gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck +schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer +folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige +Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst +angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die +Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die +Admirale mit den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem +karthagischen Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, +schwenkte der linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager +auf das dritte roemische Geschwader ein, welches durch die +Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, und +draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; +gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen +Fluegel auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste +dieser drei Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen +Mitteltreffens, offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie +fechtenden roemischen Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile +hatten die beiden anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand +gegen den ueberlegenen Feind; allein im Nahgefecht kamen die +gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit deren Hilfe gelang +es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit ihren Schiffen +herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft, und +die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der +Uebermacht das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der +Roemer entschieden, fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem +hartnaeckig seinen Vorteil verfolgenden karthagischen linken Fluegel in +den Ruecken, so dass dieser umzingelt und fast alle Schiffe desselben +genommen wurden. Der uebrige Verlust war ungefaehr gleich. Von der +roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von der karthagischen 30 +versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz des +betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu +diesem Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung +erwartete und eine zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die +Roemer landeten statt an der westlichen Seite der Halbinsel, die den +Golf bilden hilft, vielmehr an der oestlichen, wo die Bai von Clupea +ihnen einen fast bei allen Winden Schutz bietenden geraeumigen Hafen +und die Stadt, hart am Meere auf einem schildfoermig aus der Ebene +aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche Hafenfestung darbot. +Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und setzten sich +auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes Schiffslager +errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die +roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis +20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten +Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen +Opfern gelungen; man schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer +sich fuehlten, beweist der Beschluss des Senats, den groessten Teil der +Flotte und die Haelfte der Armee nach Italien zurueckzuschicken; Marcus +Regulus blieb allein in Afrika mit 40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und +500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht nicht uebertrieben. Die +karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene nicht wagte, erlitt +erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen sie ihre +beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden +konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und +ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den +naechsten Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu +welchem Ende er dicht bei derselben, in Tunes sein Winterlager +aufschlug. + +Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die +Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien +und Sardinien, sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, +welches die Karthager verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine +zu verzichten und zu den roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese +Bedingungen, welche Karthago mit Neapel und Tarent gleichgestellt haben +wuerden, konnten nicht angenommen werden, solange noch ein +karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte auf der See, und +die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie +sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen, bei dem +Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese +Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man +sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in +Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt +hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sizilischen Truppen, die +fuer die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern abgab; die +Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten ihnen ferner die +trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso zahlreiche +griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von +Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen +neuen Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des +Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische +Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich +ueber seinem Haupt zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl +ihm zu tun verbieten, was seine Lage erheischte - statt zu verzichten +auf eine Belagerung, die er doch nicht imstande war, auch nur zu +versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea, blieb er +mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt +stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern +versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen +fehlte und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der +Numidier so leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. +Mutwillig brachte er sich und sein Heer also in dieselbe Lage, in der +einst Agathokles auf seinem verzweifelten Abenteurerzug sich befunden +hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), hatten sich die Dinge schon so +veraendert, dass jetzt die Karthager es waren, die zuerst ins Feld +rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; natuerlich, denn es lag +alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, ehe von Italien +Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die Roemer +zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im +offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren +Staerke - denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten +ungefaehr dieselbe war, gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und +100 Elefanten ein entschiedenes Uebergewicht - und trotz des +unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich auf einem weiten +Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, der an +diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei +auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der +Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu +vor den feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah +sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen, +hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor gegen die +feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben aufgestellte +Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der Roemer hemmte, +fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den Elefanten +vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten feindlichen +und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die +roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den +Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar +ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden +doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche +linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo die +libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der +Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei +ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte; +nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang +zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die +roemischen Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit +Not Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul +selbst, der spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, +dass er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden +sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste +Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die +Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3. + +————————————————————— + +^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos’ militaerisches Talent +Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen +Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu +lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der +Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen +Wendungen, dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst +Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern +ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, +vielleicht in aegyptische Dienste. + +^3 Weiter ist ueber Regulus’ Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst +seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt +wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem +Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer +Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen wie aus +Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge obligat +erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwaertige +Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten +Geschichte. + +—————————————————————————- + +Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge +natuerlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen +Mannschaft. Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und +nach einem schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die +Karthager 114 Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur +rechten Zeit, um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee +aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die +Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg +verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein +Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer +den Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea +saemtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig +den wichtigen und leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen +die Moeglichkeit der Landung in Afrika sicherte, und der Rache der +Karthager ihre zahlreichen afrikanischen Bundesgenossen schutzlos +preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre +leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue +deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 +Talenten Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben +und in saemtlichen abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz +geschlagen - es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses +entsetzliche Wueten der karthagischen Beamten wesentlich den Grund +gelegt haben zu der Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika +ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das +Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der +Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe +mit der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli +499 255). Die Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die +improvisierten roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen. + +Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange +eingestellte Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, +landete in Lilybaeon mit einem starken Heer, das besonders durch die +gewaltige Elefantenmasse - es waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt +wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; die letzte Schlacht hatte +gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten Fussvolks durch +Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die Roemer +nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des +Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, +im roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die +den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln +allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer +Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei +Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine +neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde auf einmal +der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele zu bauen +unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei Monaten +standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) erschien die +roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe zaehlend, an +der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von der +Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, +Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, +Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen +noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. +Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer auf Sizilien. +Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen standen vor +Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen Befehlshaber, +die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine Hauptschlacht zu +erzwingen versucht haetten. + +Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die +sicheren Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika +zu machen, nicht um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu +pluendern. Ungehindert kamen sie damit zustande; allein nachdem sie +schon in den schwierigen und ihren Piloten unbekannten Gewaessern der +Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit Muehe wieder +losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien ein +Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die +Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der +Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges +durch das offene Meer nach Ostia zu steuern muessen. + +Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die +Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die +Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken. +Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine +guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte +Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige +Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im Jahre +darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von +Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 +251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im +Stadtgraben aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und +stuerzten teils in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen +Leute, die in wilder Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum +Strande draengten, um von den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu +werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das karthagische Heer, +dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum in die +Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den +Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den +Karthagern nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum +zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg des Metellus und die +Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei im Senat die +Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, die +Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen und zu +diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu lassen. +Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die Rom +unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, +wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer +Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von +der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, +vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden +und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der +Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige +Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen +Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem +karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren, +Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu +werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher +war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die +Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien +sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein +der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff +ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall +erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis +anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang +den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall +abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die +roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die +Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser +und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf +Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen +Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel +leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der +Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte +Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen, +die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen. +Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um +geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der +Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius +Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu +gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu +aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die +karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte +unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das +Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um +Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten +Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit +Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische +Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht +und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die +roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden +Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite +seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb +desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die +vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und +sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber +dieser rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner +Aufstellung und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils +von der feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit +gebrach, die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, +teils so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder +zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu +Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie +begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass +sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, +indem er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei +Viertel der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an +Bord, fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige +grosse Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. +Lilybaeon war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch +die Truemmer der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung +zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie +ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem +Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den +Beistand des Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen +und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in +dem langen und aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; +und was dessen Uebermut noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen +hatte, ging kurz darauf durch den Unverstand seines Kollegen zugrunde. +Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus, der den Auftrag erhalten +hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten Zufuhren in Syrakus zu +verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen Kueste der Insel +mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, +beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten +Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu +folgen. Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit +hundert auserlesenen Schiffen die roemische Flotte im Hafen von +Lilybaeon blockierte, davon Nachricht erhielt, wandte er sich nach der +Suedkueste der Insel, schnitt die beiden roemischen Geschwader, sich +zwischen sie legend, voneinander ab und zwang sie, an den unwirtlichen +Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die +Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern tapfer +zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon +seit laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an +Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken +war, konnte Karthago die Vollendung seines Werkes den Elementen +ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete denn auch beide +roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden vollstaendig, waehrend +der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen unbeschwerten und +gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft und die +Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249). + +Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte +Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als +im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde +gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes +ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet +die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien +die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert +hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus +zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um +etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die +Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und +daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer +traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse +ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der +unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare durch +die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein +schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man +den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit +frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich +gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen +unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden +gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als +je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt +gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die +Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel- +und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als +die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber +ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu +den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte die +Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den +Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen +bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. +Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht +anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu +beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch, +seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst +kostspielige Anstalten erforderte. + +Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen +Gegner zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der +Kraefte gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, +konnten die phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass +die Karthager den Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, +nicht haetten offensiv und nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein +die karthagische Regierung war eben nicht energisch, sondern schwach +und laessig, wenn nicht ein leichter und sicherer Gewinn oder die +aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte los zu sein, +liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem +Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in +und um Sizilien zu beschraenken. + +So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die +ruhmlosesten, welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts +kennt, und ruhmlos auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von +diesen dachte und handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt +Barak oder Barkas, das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender +Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es +fehlte in seiner Armee wie in jeder karthagischen an einer +zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die Regierung, obwohl +sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden Fall es +zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den +Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans +Kreuz heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er +wusste es wohl, dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie +Rom, und dass er von seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche +Konskribierte, sondern im besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, +mit seinen Leuten das Vaterland auf eigene Faust zu retten, +vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er kannte auch sich und die +Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich nichts; aber der +echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des Vaterlandes +seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der junge +General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und +Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er +auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer +Festung das umliegende Land beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und +liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen und Kindern sich einrichten +und das platte Land durchstreifen, waehrend phoenikische Kaper die +italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte er seine Leute +reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und bedrohte, mit +Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige Panormos in +naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die Roemer +nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der +Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine +zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben +Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite +trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus +Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte das +Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits +blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels +gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein +schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel +pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die +Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht +wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der +Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der +sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die +Roemer zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und +seine Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war +schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, +und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner +sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener +zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte +gegen eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor +ausruecken muessen. Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus +mit der Flotte, was spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn +unternahm. + +Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei +der Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen +sich eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch +ohne Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg +ein Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht +den Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die +Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, +Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern vor +Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch +Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so +grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und +patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer +den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften +abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als +dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine +Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges +zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen +freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in +den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die +Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand +dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen +Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, +und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon +und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch +begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die +beiden Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. +Man ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das +Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt +haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften +Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine +Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker +hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die +fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; +allein die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, +da sie von der heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln +wollten, bei der kleinen Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht +anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der Ausgang war keinen Augenblick +zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und bemannt und, da die +vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das Lager +fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto +vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen, +schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden +versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein in den Hafen von +Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen Patrioten hatte +Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den Frieden. + +Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die +Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen +Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. +Hamilkar, der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler +vernichtet sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne +darum weder seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe +aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die +See beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere +Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen +versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die +roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab +also die Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet +des karthagischen Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der +ueblichen Form, dass Rom sich verpflichtete, nicht mit der +karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen Bundesgenossenschaft, +das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und abhaengigen +Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder in +diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. +Was die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche +Rueckgabe der roemischen Gefangenen und die Zahlung einer +Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung des Catulus, dass +Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer ausliefern solle, +wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit Erfolg. Catulus +verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den Phoenikern freien +Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 Denaren (4 +Taler) fuer den Mann. + +——————————————————————————- + +^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das +Gebiet der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, +vielleicht selbst nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt +glaublich genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. +3, 27). + +——————————————————————————- + +Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert +erschien, so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu +sein. Es kann sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit +dem Triumph auch den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und +den wechselvollen Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein +patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, +sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht selbst +Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu +solcher Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit +dem Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne +Zweifel unter dem Einfluss der Patrioten, die die letzte +Schiffsruestung durchgesetzt hatten, anfaenglich die Ratifikation +verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen wir nicht und +vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den Frieden nur +verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen, +oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf +die politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, +den Krieg fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht +mehr um Frieden handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die +Weigerung in dem ersten Sinne, so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen +den Gewinn Siziliens verschwand jedes andere Zugestaendnis, und es war +bei Hamilkars Entschlossenheit und erfinderischem Geist sehr gewagt, +die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen +die gegen den Frieden opponierende Partei in der vollstaendigen +politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische +Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie +politischen Takt und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms +Kraefte noch ausreichten, um den Zug des Regulus zu erneuern und soviel +nachzusetzen, als erforderlich war, um nicht bloss den Mut, sondern die +Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu brechen, ist eine andere Frage, +welche in dem einen oder dem andern Sinn zu beantworten jetzt niemand +wagen kann. + +Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer +Kommission, die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie +bestaetigte im wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die +Kriegskosten von Karthago zu zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente +(5½ Mill. Taler), davon ein Drittel gleich, der Rest in zehn +Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung von Sizilien +auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den +definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine +redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es +Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte besetzte +Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, +und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika absichtlich eine +zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, ist ein unwuerdiger +und unwahrscheinlicher Verdacht. + +So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen +Nation stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den +neuen Herren der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens +vierhundert Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von +deren Mauern alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der +Westen hatte Frieden (513 241). + +Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die +roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel +einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer +gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende Schlacht +schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht geboren. +Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, die er +darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer +militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt +haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines Wechsels +der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden +italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der +roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich +organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese +hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in +der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten +Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die +Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und +Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten; +der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen +kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man +nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen +der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine +Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben +Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen +Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus in +unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils +hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde +eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die +Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der +die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer +jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem +Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu +schaffen und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die +wahren Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu +vereinigen und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu +berechnen und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch +der taktisch weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner +besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments +der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern +entschluepften? + +Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst +im Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen +Systems eine nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das +Fehlen einer festen militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der +Feldherren, die vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil +half man ihnen ab durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer +Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger +Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine +roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach und +behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering +geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die +Seeoffiziere waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung +Untertanen oder gar Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und +blieb wasserscheu; unter den drei Dingen, die Cato in seinem Leben +bereute, war das eine, dass er einmal zu Schiff gefahren sei, wo er zu +Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil wohl in der Natur der +Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der Ruderdienst kaum +geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens haette man +bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes +hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend, +allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl, +sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht +herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten +Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah +nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen +in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung +dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag +gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die +sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der +Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem +System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler +beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der +Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte +belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu +zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu +liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von +Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne +Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau +einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den +Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand +noch in die neue Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die +Feldherren. Regulus’ Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in +dem Gedanken befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles +entscheide. Es gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie +ihm die Erfolge in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) +genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal +und keine erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat +zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen +Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf +diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und +nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich +ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in +seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die +Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war +die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem +Bereiche ganz richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General +tauge, war irrig geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur +Feldherren von militaerischer Schule und militaerischem Blicke +brauchen, und das freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel +aerger aber war es, dass man das Oberkommando der Flotte als eine +Dependenz des Oberbefehls der Landarmee behandelte und der erste beste +Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, sondern auch Admiral +spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem +Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch weniger die +Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. + +Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren +Gewinn, als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die +energische Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen +sehr deutlich die Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie +des Friedens; und wenn Rom gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar +auch der Gunst der Goetter und der Energie seiner Buerger, aber mehr +als beiden den die Maengel der roemischen Kriegfuehrung noch weit +uebertreffenden Fehlern seiner Feinde. + + + + +KAPITEL III. +Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen + + +Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften +Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte +unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis +an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende +ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin +ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres +italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im +Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits im +Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem +grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen +Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena +namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde +in Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national +italischen Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen +Rechten und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr +die augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende +politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber +begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen +Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine neue +und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche +Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch +und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem +niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige +Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der +Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und +Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung +der Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten +sich mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung +des Werkes zu erleichtern. + +In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als +das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse +fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen +Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer uebergegangen. +Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten zweiundzwanzig +Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis festgehalten +hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch gehabt; +allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss begonnen +hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei +Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz +Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das +heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von +Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine +Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung, +ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang gelassen ward, und +dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem voelligen Sturz +der einen oder der anderen geendigt hatte und also fuer die sizilische +Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des Bestehens blieb. In +dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in Panormos, +Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein. +Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht +ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu +verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete +sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch +diese zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In +Afrika hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die +Soeldner und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich +empoert. Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die +karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren +seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen +Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim +erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach +Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er +sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise +abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber +hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht +so sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang +und dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer +wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem +versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter +den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte +den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren +gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen +Distrikten; sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung +dekretierte Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der +fuerchterliche Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und +kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie +wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten +Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago +sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht +anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die +Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen +trugen ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; +eine Menge karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten +Offiziere des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten +Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der +Stadt ausrueckende karthagische Heer durch die Verkehrtheit des +ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen. + +Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin +groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn +gebracht hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 +(241) zu bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt +wenigstens allen voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft +damals der eigene Staat gewesen war, wie maechtig der karthagische +damals dagestanden hatte. Die Scham verbot zwar, mit den karthagischen +Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man gestattete den +Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien Werbungen zu +veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den Libyern +zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom +mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als +nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den +roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr +wieder an die Spitze der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte, +eine Anzahl dabei betroffener italischer Kapitaene aufgriff und +einsteckte, verwandte sich der Senat fuer dieselben bei der +karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch die +Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen +Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich +der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert +hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die +Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, +den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche +Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an +dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars aufs +aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom +zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen +Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische +Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die +Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, +was von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238). +Mit schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft +die Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft +es nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu +machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann, dem +Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn +nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der +Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig +ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider +Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars +Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle +Herrschaft eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom +karthagische Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein +die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten +mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber +allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt +haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in +der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner +unverhuellten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die +Karthager, den gebotenen Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre +zuvor auf Sardiniens Abtretung bestanden, der Krieg wuerde +wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein jetzt, wo beide +Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den +vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen +entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man +wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem +die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die mutwillig veranlassten +Kriegsruestungen eine Entschaedigung von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) +nach Rom zu zahlen, standen die Roemer widerwillig vom Kriege ab. So +erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man Korsika fuegte, die alte +etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom letzten Kriege her +einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten die Roemer, +eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr noch +in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den +Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr +man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte +die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche +Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst willen hatte man die +Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. Seit sie die drei +grossen Eilande besass, konnte die Eidgenossenschaft das Tyrrhenische +Meer das ihrige nennen. + +——————————————————————- + +^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden +Inseln, die der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die +Abtretung Sardiniens nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es +ist aber auch schlecht beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der +Insel drei Jahre nach dem Frieden damit motivierten. Haetten sie es +getan, so wuerden sie bloss der politischen Schamlosigkeit eine +diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben. + +——————————————————————- + +Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das +roemische Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach +aus blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig +entstanden, aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der +tiefsten Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und +der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen +Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen. +Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die +Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern +ihr Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische +Regiment; wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie +faktisch sich in das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst +versteht, dass sie in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die +dafuer bestehenden Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die +Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu +ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen Gemeinden die +bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch +Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische +Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in +Rom lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet +wurden. Man scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die +Karthago abgenommenen Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien +einige Jahre durch Quaestoren unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu +haben; allein sehr bald wusste man sich praktisch von der +Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die ueberseeischen +Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der roemischen +Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der +Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke +stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste +jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration in +der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen +ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst +Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang +und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber, +gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in +seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. +Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den +Konsuln, so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder +mehrere Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet +und in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch +die Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres +Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. + +Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die +ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die +Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien +organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf die ausseritalischen +Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne Ausnahme die +Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht sich von +selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein +Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes +Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. +Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen +Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative +Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit +einem unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen +war es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf +den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs +scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, +wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht, +in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen +blieb nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der +Satz, dass das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu +Privateigentum verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, +sondern es behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen +Gemeinden die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich +nicht in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern +provisorisch zugelassen ward. Wenn die demokratischen +Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in jeder Stadt die Macht in +die Haende des die staedtische Aristokratie repraesentierenden +Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die sizilischen +Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen Zensus +korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides +nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat, +welcher mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen +und militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der +Tat nicht regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war +in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche geschehen. + +—————————————————————————- + +^2 Dahin fuehren teils das Auftretender “Siculer” gegen Marcellus (Liv. +26, 26 f.), teils die “Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden” +(Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte +Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden +commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des +concilium noch keineswegs. + +^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den +Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf +roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch +sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer- +oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am +besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die +Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, +wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen. + +——————————————————————— + +Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen +den italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein +folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen +Staedten abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu +dem Heer oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den +ueberseeischen Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt +nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie +verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen +Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden +konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen +in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der +Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des +Wertes aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden +Handelsartikel nach Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben +nichts Neues. Die Abgaben, welche die karthagische Republik und der +persische Grosskoenig sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten +wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland war eine solche +Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der Tyrannis und +oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten +laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach +Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer +eigene Rechnung erhoben. “Wir haben”, sagt Cicero, “die sizilischen +Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen, +dass sie bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten, +und unter denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten, +wie sie bisher ihren eigenen Herren gehorcht hatten.” Es ist billig, +dies nicht zu vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht +tun. Nicht fuer die Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl +fuer ihre neuen Herren war das Aufgeben des ebenso weisen wie +grossherzigen Grundsatzes der roemischen Staatsordnung, von den +Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben Geldentschaedigung +anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle Milderungen +in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im +einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach +gemacht. Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner +ein und stellte wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent +zu der roemischen Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht +der Eintritt in die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen +Beguenstigungen Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass +ihre Stellung in finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als +die der italischen Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche +zuerst unter den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen +Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das +bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu +ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien +griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor +allem Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und +jetzt bestimmt, die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer +Politik, die abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen +verschiedenen Rechts zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf +Sizilien an; aber durchschnittlich standen die sizilischen und +sardinischen Gemeinden nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem +offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit. + +—————————————————————————- + +^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, +dass die Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als +roemischer oder latinischer bedienten und “Auslaender” nur hoechstens +unter den Leichtbewaffneten verwendeten. + +^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die +merkwuerdige Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise +gestattet blieb, sich in ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als +roemische Aufpasser der freiesten Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa +auch unter den ersten zu Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein +(Diod. 1, 23 p. 501). + +————————————————————————— + +Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und +den steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit +dem Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich +notwendiger Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der +italischen Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit +den italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst +der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und +Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits +des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts +entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische +Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich +ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen +die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie +die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem +hellenisch zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische +Ansiedelungen roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der +roemischen Regierung ohne Zweifel schon jetzt fest, das barbarische +Land zwischen Apennin und Alpen nicht bloss sich zu unterwerfen, +sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort neue Gemeinden +italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. Also +wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland, +sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben; +dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder, +was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues +und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen Meere +reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich +geographischer Begriff mit dem politischen der italischen +Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, teils +enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur +Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges +Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika +geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie +mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch +vorzuschieben ^6. + +—————————————————————- + +^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder +dem konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder +den Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten +Jahrhundert in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass +gewisse Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward +dahin ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu +ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. +11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert +hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul +nur “auf roemischem Boden” den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 +vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz Italien in sich +(Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen +und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und +einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert +erst Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass +schon im sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als +“Amtsbezirk” (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird. +Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter +allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen +Oberbeamten unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen +Konsul zunaechst durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter +Mitwirkung des Senats festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind +haeufig einzelne norditalische Landschaften oder auch Norditalien +ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden. + +—————————————————————— + +Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst +vorbereitete Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit +Karthago gegruendet worden war (510 244), war Roms Suprematie von +vornherein entschieden. In der Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen +muessen; in der oestlichen sorgte schon die hellenische Zwietracht +dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig +blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der makedonische, war +unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die +Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und +kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie +sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen +Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie +sich anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, +beweist das merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges +mit Karthago dem Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem +Kriege zu unterstuetzen, den er wegen Berenikes Ermordung gegen +Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und +bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den letztern Partei genommen +hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den hellenistischen +Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und +verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten +Ilier. + +Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen +Maechte bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, +die im Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des +Aratos, die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene +Makedonierreich hielten selber einer den andern nieder; und +ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals eher in Rom, als dass +man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie +allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der +Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die +Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein +da die Aetoler darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst +unverschaemte Antwort erteilten, ging das antiquarische Interesse der +roemischen Herren doch keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg +anzufangen, durch den sie die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit +haben wuerden (um 515 239). + +Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge +begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen +Kueste bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden +hatte, liessen sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer +gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlechten +Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig gefallen. Allein +endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung Makedoniens, das keine +Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der Beschirmung des +hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten seiner +Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen +Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und +Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil +vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, +der bekannten “liburnischen” Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg +gegen jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen +Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und +Pharos (Lesina), die wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und +Apollonia (noerdlich von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem +zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber +noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, +setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten +die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine +unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die +Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was +sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener +Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren griechischen +Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte endlich sogar +die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. Die Klagen +der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten +Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten +endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu +schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem +Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur +Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes +Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei +zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich +angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht +beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik +wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der +Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder +verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr +525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit +einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, +waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres +Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes +fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die +Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden +wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes +Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte, +sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die +Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen; +suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten +kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte +nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem +Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur +vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische +Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte +sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden +tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten +wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische +getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse +eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und +die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der +Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des +Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen +Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach +anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt +und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche +Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten +gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im +Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es +auch anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen +Adriatischen Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer +nicht gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen +Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne +Zweifel, was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu +versichern; im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand +imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen +Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die +Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen +Eidgenossenschaft, der streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt +zweihundert Segel der Barbaren in ihre Haefen einliefen und mit einem +Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen zukam und an der diese so +klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich schaemte, dass die +Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen muessen, +so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die +Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen +Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen. + +—————————————————————- + +^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. +22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher +von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des +Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des +Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in +der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren +Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese +“Stellvertreter” aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, +der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur +die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen +Makedonien und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen +dieser beiden Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, +der Kern des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu +Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte. + +———————————————————— + +Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu +protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand +traf man nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die +Schluessel zum Hause des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen +Gegner geschaffen, von dem, wenn er wieder zu Kraeften oder eine +guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich erwarten liess, dass er sein +Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der kraeftige und besonnene +Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl er schon den +hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre spaeter +der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog, +im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und +die von den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich +unterwarf, machte Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios’ Truppen +fochten mit in Antigonos’ Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222). +Allein Antigonos starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger +Philippos, noch ein Knabe, liess es geschehen, dass der Konsul Lucius +Aemilius Paullus den Verbuendeten Makedoniens angriff, seine Hauptstadt +zerstoerte und ihn landfluechtig aus seinem Reiche trieb (535 219). + +Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war +tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit +Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen +Norden dehnte zwischen dem Gebiet der Eidgenossenschaft und der +Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch eine weite Strecke sich aus, +die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze Italiens galt an der +adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb Ancona. +Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich +gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise +wie das eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die +Senonen, die hier ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72 +(283/82) ausgerottet und die einzelnen Ortschaften entweder als +Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder als Bundesstaedte, sei es +latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen, wie Ravenna, mit +Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna bis zu +der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po +behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis +Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von +Parma) die Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier +stehende keltische Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, +begannen die Ligurer, die mit einzelnen keltischen Staemmen gemischt +auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und Pisa an sitzend, das +Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts vom Po hatten +die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl illyrischer +Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im Besitz; +zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um +Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und +wohl stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), +dieser der bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger +Verbindung nicht bloss mit den kleineren, in den Alpentaelern +zerstreuten Gemeinden teils keltischer, teils anderer Abkunft, sondern +auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die Pforten der Alpen, der +maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare Strom, die groesste +und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas, waren nach +wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl +gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach +abhaengig und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei +verharrten und duenngesaet in den weiten Flaechen ihre Herden- und +Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte erwarten, dass die Roemer +eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu bemaechtigen; um so mehr als die +Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen in den Feldzuegen von +471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu regen, ja was +noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue begannen, +diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im Jahre +516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und +Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner +aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich +waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236) lagerte ein +Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen hatte. Die +Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht zu +versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu gewinnen, +Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von +Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des +Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem +Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, +unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr +eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; +es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und +nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen +waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern +in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den +Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein +es ward vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der +Friede gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben +den Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem +dieser durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es +die richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die +Alpen so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. +Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen +Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer +beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den +Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste +(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt +gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges +mit Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht +das Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder +einmal des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten +beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten +und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische +Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern +Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals +oder vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu +Ross oder zu Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der +Kelten auf den Apennin zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom +sich des Angriffs nicht versehen und nicht erwartet, dass die Kelten +mit Vernachlaessigung der roemischen Festungen an der Ostkueste und des +Schutzes der eigenen Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt +vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher +Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die +Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass +Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom +Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter +der Menge so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht +unter ihrer Wuerde hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch +einen noch krasseren zu bannen und zur Erfuellung des Schicksalspruchs +einen gallischen Mann und eine gallische Frau auf dem roemischen Markt +lebendig begraben zu lassen. Daneben traf man ernstlichere Anstalten. +Von den beiden konsularischen Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu +Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter Gaius Atilius +Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei +Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem +zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom +verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der +Heimat zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer +angewiesen, von den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier +einzuruecken und dem Feinde auf seinen eigenen Aeckern jeden +erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr der Etrusker und Sabiner +sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren, bis die regulaeren +Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine Reserve von 50000 +Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer +sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und +Kriegsmaterial zusammengebracht. + +——————————————————————- + +^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als “die Kelten in den Alpen und +an der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) +nenne”, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich +ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten +genannt und erst die historische Spekulation der caesarischen und +augustischen Zeit die Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus +“Germanen” zu machen. Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den +Fasten auf gleichzeitige Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle +dies die aelteste Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch +nicht an die spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen, +sondern an einen keltischen Schwarm. + +——————————————————————— + +Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln +lassen, und wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten +fanden den Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die +reichen Ebenen des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. +Schon standen sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer +von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien, +waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung +des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch +der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich +gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische +Fussvolk ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab +auf der Strasse gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die +Nacht hindurch die Vorposten und folgte am andern Morgen der +Hauptmacht. Als die tuskische Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, +seines Abzugs inneward, meinte sie, dass der Schwarm anfange sich zu +verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben darauf hatten die +Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk empfing auf +dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet und +aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach +heftigem Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf +einem Huegel Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht +rechtzeitig das konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die +Gallier, sich nach der Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter +Plan, die Vereinigung der beiden roemischen Heere zu hindern und das +schwaechere einzeln zu vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt +schien es ihnen geraten, zunaechst die betraechtliche Beute in +Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus +der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste und +marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg +verlegt fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae +gelandet waren und, da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren, +sich sofort auf demselben Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in +der entgegengesetzten Richtung in Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon +(an der Muendung des Ombrone) trafen sie auf den Feind. Waehrend das +roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der grossen Strasse +vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber +gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und +so bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von +ihrem Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, +in dem mit vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht +umsonst hatte er sein Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus +gewahrte das Gefecht und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er +seine Scharen und von beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf +das Keltenheer ein. Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die +Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen des Papus, die alpinischen +Taurisker und die Boier gegen das sardinische Fussvolk; das +Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang. Die +Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die +verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr. +Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den +Geschossen der roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere +Staehlung der roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich +entschied der Flankenangriff der siegreichen roemischen Reiterei den +Tag. Die keltischen Berittenen entrannen; fuer das Fussvolk, das +zwischen dem Meere und den drei roemischen Heeren eingekeilt war, gab +es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig Concolitanus wurden +gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld; Aneroestus und +sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod gegeben. + +Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die +Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der +Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand +ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier nebst den Lingonen, +das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war das Flachland bis zum +Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe kostete die Eroberung +des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in dem +neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531 +223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am +anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im +Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um +freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise +zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der +Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der +Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es +sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen +Feldzeichen, “die unbeweglichen” genannt, und mit ihrem ganzen +Aufgebot, 50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die +Lage dieser war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss +(vielleicht dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche +Gebiet und fuer den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie +angewiesen auf die unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab +keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf +das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber, +stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den +unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu +werden. + +Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur +Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der +roemischen Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das +Heer schlug sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die +strategischen Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und +Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des +Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer +Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit +war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen +Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern +derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im +folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das +ihrige einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte +Gefecht; bei einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische +Festung Clastidium (Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer +versuchten, fiel der gallische Koenig Virdumarus von der Hand des +Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer halb von den Kelten schon +gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht +erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der Insubrer, +Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der +Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig +besiegt, und wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg +den Unterschied zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung +gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens +Pforten anders gegen den Landraub zu wahren wusste als Makedonien die +Tore Griechenlands und dass trotz allen inneren Haders Italien dem +Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie Griechenland zerrissen +dastand. + +Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po +entweder den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und +venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es +bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen +und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei nicht in +derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in den +entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im +ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die +namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen +mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und +Taeler den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch +hier kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) +scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten +Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der +Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem +anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die +Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung +rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen +Nation nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der +italischen Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht +bloss ihre Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres +natuerlichen Erbes. Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte +schon das gesamte Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen +Kolonisten gefuellt, die ohne kommunale Organisation in Marktflecken +und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, +und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur +nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, +wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse +Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber +Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete +Festung Spoletium (514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534 +220) unter dem Namen der Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten +Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlopass an die +Kueste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum +gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den Apennin ueberschritt +und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig beschaeftigt, +das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu +bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem +rechten Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht +weit davon am linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern +abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit +vorgeschritten; schon bereitete man weitere Landanweisungen und die +Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches Ereignis die Roemer +in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach. + + + + +KAPITEL IV. +Hamilkar und Hannibal + + +Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um +einen teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien +jetzt in den Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische +Staatskasse, war der geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass +man nicht bloss die Hoffnung hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung +so nahe geschienen, die saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in +das westliche Mittelmeer zu monopolisieren, sondern dass das ganze +handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschliesslich +beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens Verlust +fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem +phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen +sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen +vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit +den Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen +muessen, was man frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch +hatte, Afrika, Spanien, die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte +aus, um maechtig und wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte +dafuer, dass wenigstens dies blieb? + +Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er +forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und +wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg +unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, +wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer Gluecksfall +dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; +aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden die Ratifikation +verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche Meinung in Rom +diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass Rom an die +Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm +genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser +Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, +dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen +fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber +doch zu vertilgen? + +Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen +Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung +fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene +Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um das Verlorene +zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem Gutfinden des +Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein wenn einem +schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach unbestimmter +Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, entschlosseneren, +hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich +fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die +politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken +moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse +der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur +Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur den +letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab es +auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie +natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen und +den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand ihre +Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der +Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand, +diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, +und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge +unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, +doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der +ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen +diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen +sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden. Nachdem +die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle +Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung +angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen +Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und +endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers +Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes +gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in +der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen +ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und +dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man +ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben +heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche +Bitte der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und +trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den +Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs, +sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich +kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika +zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). + +Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt +sprach sie um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die +ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an +den Tag gekommen, ihre Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre +Hinneigung zu den Roemern; anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens +und die drohende Stellung, welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem +geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der roemischen +Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago +unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser +notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur +Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an +der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den +Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber +edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die Nation sich selber zu bergen, +und grosse Naturen geniessen das Vorrecht, aus dem, worueber die Menge +der Guten verzweifelt, Begeisterung zu schoepfen. Man nahm die neuen +Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es blieb nichts uebrig, als +sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten schlagend ihn +sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer +gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen +Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man +sich hinreichend ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im +letzten Krieg weder ihren Groll vergessen noch groessere Weisheit +gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans Naive grenzende +Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess machten als +dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der +Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. +Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle +dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago +selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf +desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von Karthago +schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten. Zu allen +uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die Mittel +zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass weder +die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum +gewahr wurden. + +—————————————————————————- + +^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, +sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen +Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in +unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind +Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen +die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen +Klatsch, mit dem die “revolutionaere Verbindung” (εταιρεία τών +πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei +Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch +finden. + +—————————————————————————— + +So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im +vollen Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss +beantragt und durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende +des libyschen Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, +Hanno und Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum +Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu +ernennen, dass er eine von den Regierungskollegien unabhaengige +Stellung - eine verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die +Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er nur von der +Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden durfte +^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der +Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als +Gerusiasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei +Vertraegen neben dem Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der +Volksversammlung daheim das Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation +sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die Kriegspartei das Heer +als ihre Domaene ansah und behandelte. + +——————————————————————- + +^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die +Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom +protestiert bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der +Barkas zu Karthago hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen +die Generalstaaten. + +—————————————————————————— + +Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. +Die Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor +kurzem erst war im Binnenland die “Stadt der hundert Tore” Theveste +(Tebessa) von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser +Grenzfehden, die dem neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich +nicht von solcher Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die +man ja in ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von +der Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen +koennen, waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht +einmal erkannten. + +So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und +im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder +keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm +ist vielleicht niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das +Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den Staat retten; aber was +fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr hatte unter Hamilkars +Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht geschlagen; allein er +wusste wohl, dass es ein anderes ist, die Kaufleute und Fabrikanten +einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt, einmal zum Kampf +hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu bilden. Die +karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, aber +in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse +vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige +libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus +den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie +Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten +puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die +karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren +Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere, +hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich selber +ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte +Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war +nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die +unversoehnliche und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und +geduldig harrende Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich +stuetzen, und mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die +Masse war tief verdorben und durch das unselige Korruptionssystem +gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug +wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall +selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar +fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren +durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde +dauernd sich sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch +regelmaessige Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter +Laune zu erhalten. So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die +Erlaubnis, sie zu retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem +Uebermut der Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten +durch Demut und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist +abzudingen; genoetigt, den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich +die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu +bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden +zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von innen, auf die +Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich beide +taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und +Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das +Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu +ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch ein junger Mann, wenig +hinaus ueber die Dreissig; aber er schien zu ahnen, als er sich +anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht vergoennt sein werde, das +Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfuellung anders als +von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal hiess er, da +er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen +Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne +Hasdrubal und Mago, die “Loewenbrut”, wie er sie nannte, im Feldlager +auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses. + +Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung +des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er +schien einen Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; +sein Heer, das besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin, +neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen +Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei bei den Saeulen des Herkules +ueber das Meer gegangen und in Spanien gelandet, wo er Krieg fuehre mit +den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts zuleide getan und ohne +Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen Behoerden. Sie +konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen +Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal +aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu +Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher +unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in +Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten +Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in Spanien die noch +frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie trotz allem Poenerhass +den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben Hamilkar Barkas genannt +zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im allgemeinen +noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den neun +letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist, +bis er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend +den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen +begannen, und was alsdann waehrend der naechsten acht Jahre (527-534 +227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene, sein Tochtermann +Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des Meisters weiter +geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den Handel, die nebst +dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der spanischen Kueste +allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte, ward ein +karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst +begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt. +Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden +phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an +dem einzigen guten Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena) +von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders praechtiger “Koenigsburg”; +der Ackerbau bluehte auf und mehr noch die Grubenwirtschaft in den +gluecklich aufgefundenen Silberminen von Cartagena, die ein Jahrhundert +spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill. Sesterzen) jaehrlich eintrugen. +Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden abhaengig von Karthago und +zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die Haeuptlinge auf alle +Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische Interesse zu +ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine Fabriken +eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht +bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und +fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte +zugleich die Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden +regelmaessige Aushebungen statt; die Kriegsgefangenen wurden +untergesteckt in die karthagischen Korps; von den abhaengigen Gemeinden +kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man begehrte. In dem langen +Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat und als Ersatz +fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte +Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den +tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen +Reiterei ein brauchbares Fussvolk. + +Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft +regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer +sie noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in +Sizilien und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das +spanische Heer mit seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen +bald so populaer, dass es sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum +Beispiel nach Hamilkars Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer +Truppen nach Spanien durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder +uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen musste, unter sich und +gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere und den Poebel +zu schelten. + +Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten +ernstlich eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste +Ursache der Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre +Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche +sicher auch die Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur +Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch +moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen, +mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um Erkundigungen +an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien +entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die +roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im +Senat unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von +Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den +Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt +einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion +Italiens von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die +ganze Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass +unter der Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht +sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein, +ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen +Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde +aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu +beschleunigen; und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche +Parteidenunziationen mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich +allerdings musste die unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung +der karthagischen Macht in Spanien die Aufmerksamkeit und die +Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr denn auch in den letzten +Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat Schranken zu setzen +versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres jungen +Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder +halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder +Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, +und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis +setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu +ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um +einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, +der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils +um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich zu +werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien +Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter +seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, +dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. +Fuer den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen +Unvermeidlichkeit der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von +den spanischen Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man +genoetigt werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und +dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde, +als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen, +wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht +anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu +beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu +kamen in den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die +Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von +dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm +gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings +zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des +Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit +den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung +bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm, +benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs +neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen +Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische +Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten, +versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die +spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. +Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber +ebensowenig laesst sich leugnen, dass der roemische Senat diese +Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie +seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch +viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst +mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als +durch eine grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin +ihr vielmehr die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft +ueberlegen gewesen sind. + +So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel +zum Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer +und eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der +rechte Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte +der Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter +einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war nicht +mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger +Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht +gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der +Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir +nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von +Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des +spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den +Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals +im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. +Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande +fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, +die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen +Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager +gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter +Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und +einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn +nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu +entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die +Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er, +wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten +Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache +selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer +seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu +tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte +er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und +durch glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent +sich ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, +die Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun +ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. +Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben +auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den +Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste +er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein +Feldherr, dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl +suchen zu haben. Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine +Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und grosse Bild nicht +zu trueben vermocht. Von schlechten Erfindungen, die sich selber +richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld seiner +Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des +Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber +ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach +dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie +alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer Besonnenheit und +Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu vereinigen +verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische +Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters +bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und +Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der +Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage +ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er +von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man +haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes +auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der +Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen +Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der +karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss +bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der +oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, +beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und +vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn +gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm +die Blicke aller. + +Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den +Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland +noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der +Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen, +wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie es ihnen +bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald +marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab +gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als +Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des +patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen +als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des +Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der +Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars Plaene +beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint, den +unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf +Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal +scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit +gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die +Saguntiner zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in +Rom Klage zu fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission +erschien, nun diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu +treiben; allein die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie +schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim +zu berichten, dass Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der +Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem +Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal +ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die Gruendung +der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den +Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom +sich an, im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag +war kostbar; Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach +Karthago, dass die Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten, +zu nahe traeten und er sie darum angreifen muesse; und ohne die Antwort +abzuwarten, begann er im Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom +verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago +dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den +Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle “angesehenen +Maenner”, heisst es, missbilligten den “ohne Auftrag” geschehenen +Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von Auslieferung des +dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die naehere +Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass +man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan, +zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein +bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu +nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch +fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte +sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen +Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend +der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden illyrischen +Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der See und +geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und nicht +gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere +Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich +erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, +ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon +bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede +Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine +roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des +Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als der +roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die +Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er +darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da +ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen +lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm man +ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen +Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den +Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, +um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von +Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den +Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz +der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner +Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd; +ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker +ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit +Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem +karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser +einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst +ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue +der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen +ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen +Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen +phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische +Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden. +Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition +bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der +Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an +die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 +Mann zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der +Elefanten, ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und +das Regiment uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das +unmittelbar karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach +besetzt, da die Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso +genuegte in Spanien, wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit +veranstalten liessen, fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, +waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich +afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die +Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien +und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und +Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die +Treue der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten +Geiseln der spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb +ihrer Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend +nach Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach +Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was +den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20 +Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste +segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich sich +wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von +Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit +der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das +ohne Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein +entscheidender Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf +Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem +letzteren begann, so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von +vornherein entweder auf ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum +Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung beschraenken - die +Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht +aber der Sieg die gleiche Frucht. + +Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die +Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug +nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische +Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren +Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und +eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das +Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der +italischen Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie +zu ganz anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss +des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das +Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; +zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen +Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt. +Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer +Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen +ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf +gaerenden Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer +Existenz bedroht, um die eben jetzt sich die ersten Ringe der +roemischen Festungs- und Chausseenkette legten, mussten in dem +phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen +zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als +Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche +Vertraege mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich +anheischig machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, +ihnen gute Aufnahme bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs +auszuwirken und gegen die Roemer sich zu erheben, sowie das +karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend +fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch den +Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte, +stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der +das roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von +den Roemern vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am +makedonischen Hof, und dieser hatte den Roemern die begehrte +Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die Heere vom +Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den +gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies +alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet +gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer +grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren. + +Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den +Vorzug gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund +mit Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und +hat die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese +Frage genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es +ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. +Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten +und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des +Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, +lieber die unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier +und Insubrer anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete +Heer noch die Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er +genau wissen, wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua +darbietet als die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er +einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme +die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und Erretter des +Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. + +So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit +dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann +zu Fuss und 12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein +Drittel Spanier - die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt +sein, den Galliern zu imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals +Fussvolk war nicht mehr wie das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, +sich hinter einen Vorhang von Elefanten zu verbergen, und der Feldherr +einsichtig genug, um dieser zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die +Niederlage des eigenen wie die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt +hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere +brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena auf gegen den Ebro. +Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den Kelten +angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges +liess er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen +militaerischen Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren +Blick und die sichere Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen +ihm in die unbekannte Weite folgte; und die feurige Rede, in der er die +Lage des Vaterlandes und die Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte, +die gewisse Knechtung der teuren Heimat, das schmachvolle Ansinnen der +Auslieferung des geliebten Feldherrn und seines Stabes, entflammte den +Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen aller. + +Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in +festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man +wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht +noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit +den Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene +offen. Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen, +wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das +nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede +ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos +Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren. +Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn +hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die +Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt +haben; ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun +begann der Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen +lassen; und im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer +Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten +Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer +Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und +verhaeltnismaessig minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein +Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der +roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen +Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte keiner der von diesem Kriege +beruehrten Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die +natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden Uebermacht +ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg +eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere +Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige +Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht +die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem +Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu +Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor allen Dingen ein +roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel; allein man +versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht +Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte +Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das +Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften +nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern +auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen +schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu +Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; +wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen Kriegserklaerung die +Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, konnte Hannibal den +roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. + +Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte +fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul +Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich +Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur +Einschiffung bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die +spanische Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den +heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward +er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war +als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee +in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass +durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal +aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die +Zoegerung selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere +selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) +nicht geahnt haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in +Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein +spanisches “Koenigreich” aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach +Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die +Unterwerfung Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das +er zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den +Pyrenaeen zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches +Heer ihm den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht +begnuegt haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die +Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um +einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die +Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische +Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab. + +An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen +in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den +Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem +Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von denen sei, von +welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und +9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg ohne +Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber Narbonne +und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils die +frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils +die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon +gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher +Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach +Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet +worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro, +sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche +zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert +zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition +vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den +keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der +Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an +der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den +Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand +gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der +keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von +22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier +Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen +Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit +der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und +bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass +nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den +zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem +Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten +Baeumen gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an +einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine +starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen +stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon +gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier +ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den +Fluss, um dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu +fassen, die dem Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des +fuenften Tages nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos +Abmarsch, stiegen die Rauchsignale der entsandten Abteilung am +gegenueberliegenden Ufer auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete +Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier, sehend, dass die +feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen eilten, +loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht +und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem +Uebergang zu wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht. + +Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die +geeignete Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal +durch die dringenden Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch +bestimmen. Er traute ihren Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine +schwache roemische Reiterabteilung zur Rekognoszierung auf dem linken +Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits die gesamte feindliche Armee +auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die allein noch am +rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem sie in +der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu +koennen, einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht +geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem +Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um +im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf +mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als er dort eintraf, +war selbst die zur Deckung des Uebergangs der Elefanten +zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen +abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten +Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die “feige +Flucht” des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal +durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige +Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten +Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne +irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer +einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, +den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal +diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, +dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste +Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen +war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die +schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort +dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss +verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es +fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei +es die militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den +Umstaenden gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter +seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger +Mannschaft zurueck nach Pisae. + +Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen +Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt +und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch +den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen +ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben +er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die +Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit +Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste er +einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die +Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende +Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen +konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel +auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das +immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch +notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem +Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn +sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, +fuehrten in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte +Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in +das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und +der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach +Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an, +wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und +unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen +Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen +mindestens sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat +erst Pompeius hier angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen +gallischen Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen. + +————————————————————————- + +^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine +Heerstrasse geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber +die Poeninische Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch +erst durch Caesar und Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich +hier nicht in Betracht. + +————————————————————————- + +Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein +nachdem er die erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand +ueberstiegen hat, haelt er sich in dem Tale der oberen Isère, das von +Grenoble ueber Chambéry bis hart an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, +das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht und unter allen +Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist. Es ist +ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen +Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; +obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch +im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen. +Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den +aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das +italische Land gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der Tat +keine Wahl; es war ein glueckliches Zusammentreffen, aber kein +bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm verbuendeten keltischen +Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard wohnten, waehrend +ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet der Tauriner +gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in Fehde +lagen. + +So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf +gegen das Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf +dem naechsten Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von +Valence nach Grenoble, sondern durch die “Insel” der Allobrogen, die +reiche und damals schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und +westlich von der Rhone, suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen +umfasst wird. Es geschah dies wieder deshalb, weil die naechste Strasse +durch ein unwegsames und armes Bergland gefuehrt haette, waehrend die +Insel eben und aeusserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand +sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch an der Rhone in und +quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in sechzehn +Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst +wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei +allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der +bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass derselbe den Karthagern +nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern auch ihnen +die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit Waffen, Kleidung und +Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste Alpenkette, +die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger +gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt, +waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte +den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen +Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang +die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf +er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf +dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget +hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die +Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die +marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das +in Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als +Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben herab auf die +Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust +den Berg hinuntergejagt, allein die Verwirrung, besonders in dem Train, +ward noch erhoeht durch den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust +in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, +um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen +Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach +einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee an der +Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund +durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am +vierten Tage eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige +Tarantaise), wo allmaehlich das Tal sich verengt, hatte man wiederum +mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu sein. Die Ceutronen empfingen das +Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) mit Zweigen und Kraenzen, +stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie durch Freundesland +zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar am Fuss +der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch +ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem +Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der +Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links +den Pass einschliessenden Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und +das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal, dessen sicherer Takt in all +jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts gesehen hatte als die +Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche Beute zu +gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die +Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten +Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er +nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des +Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder herabgerollte Steine +sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem “weissen Stein” (noch +jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des Bernhard einzeln +stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden Kreidefels, +lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die ganze Nacht +hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu decken, und +erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am +folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die +sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung +von etwa 2½ Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die +Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu +bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende +gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen +des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die +hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der +Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch +erscheinende Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen +Veteranen zu wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich +immer gleich; zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die +befreundeten Gallier waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem +Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; +nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und +schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward +das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte +Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem +Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner +bereitet hatten. Auf dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der +Doria, wo der frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben +hatte, verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die +Abgruende; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an +eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil +darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen +und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk +kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten +Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees +sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und +den Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das +Lager. Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen +den Weg fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren +dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten +endlich die halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war +nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach +einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und +fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die +Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten +und ihre Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des +September in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den +Doerfern einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine +vierzehntaegige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. +Haetten die Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten +und kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort +erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan; +zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, +und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so +sehr bedurften ^4. + +—————————————————————- + +^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte +Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als +geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren +Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls +Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen +stehen. + +Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, “fingen die Spitzen +schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken” (Polyb. 3, 54); auf dem +Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht +frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem +Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; +als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden +sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die +Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September +auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass er +dort eintraf, “als schon der Winter herannahte” - denn mehr ist +ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der +Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C. L. +Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241. + +Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so +ist auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen +Ende Dezember (περί χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen +Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten +Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in +einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν (Polyb. 3, 34), also gegen +Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch +fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also +Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von +der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August +eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers +(Polyb. 3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs +sich sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere +Zeit gesessen haben muss. + +—————————————————————— + +Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, +den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem +Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der +Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal +zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss - +davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil +wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust +nicht minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht +wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese +ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33 +maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen +besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr +nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler +des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer +kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie +einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist +eine militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in +Frage gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. +Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn +knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten +Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, +sie vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes +Barbarenland -, und ob ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse +einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschiffen, ihn +geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde. Die umsichtige und +meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf jeden Fall +bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr durch +die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des +Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom +aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen +Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und +grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat auch der sichere +Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der grossen Kette von +vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die Alpen, stets mit +groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am Trasimenischen See +und auf der Ebene von Cannae. + + + + +KAPITEL V. +Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae + + +Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war +mit einem Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische +Kriegsplan gesprengt. Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die +eine in Spanien gelandet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie +zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich. Die zweite, die unter dem +Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach Afrika bestimmt war, +stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische Zauderei bewies +sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach Italien +und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm +zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den +syrakusanischen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich +versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor +diesem Hafen den kuerzeren gezogen. Doch war das Verweilen der +feindlichen Geschwader in den italischen Gewaessern so unbequem, dass +der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika ueberfuhr, die kleinen +Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien operierende +karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und dem +Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen +Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die +brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines +geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der +Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie +moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte +noch in Lilybaeon. + +Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an +Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal +verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht +gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter den +Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen +Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia +und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die +Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon +im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die +Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. +Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, +ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor +Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig +mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu +entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem +Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen +und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine +zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer +und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer den +Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der +einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, +Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, +dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. +Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine +20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu +halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren +Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul Publius +Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und +vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen +allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden +Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer +Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die +Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger +Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden +im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor +Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg +trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend +geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen +der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende +keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, +ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, +waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts +marschierte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene +zwischen dem Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische +Reiterei, die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten +Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke +ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in Person. +Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes +an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter +aufgestellt war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei +aus und waehrend diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, +nahm die leichte numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten +Scharen des feindlichen Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die +roemischen Reiter in die Flanken und den Ruecken. Dies entschied das +Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr betraechtlich; der Konsul +selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr gefehlt hatte, +empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur der +Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde +hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater +heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke +des Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer +schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss +aufzustellen und entschloss sich, unter den Augen des Gegners auf das +rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die Operationen sich auf einen +engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der roemischen +Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes +militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit +verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick +paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht bereit +machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher +ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte +Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei +freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische +Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes +konnte, da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es +diesem nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf +einer Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten +Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene +vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer +keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue +ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu +raeumen und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was +ohne namhaften Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden +numidischen Reiter mit dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen +Lagers die Zeit verdarben. In dieser starken Stellung, den linken +Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den Po und die Festung +Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit nicht +unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von +Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche +Armee abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast +aller gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen +nicht abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und +derselbe genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen; +ferner hinderte die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung +der insubrischen Grenzen durch die Cenomanen die Hauptmasse der +gallischen Insurgenten, sich unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und +gab dem zweiten roemischen Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in +Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten durch das insurgierte +Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen und mit der +Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe +vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an +40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, +doch an Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu +bleiben, wo es stand, um den Feind entweder zu noetigen, in der +winterlichen Jahreszeit den Flussuebergang und den Angriff auf das +roemische Lager zu versuchen oder sein Vorruecken einzustellen und den +Wankelmut der Gallier durch die laestigen Winterquartiere auf die Probe +zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war es nicht minder +unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem Verfahren +zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius +Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein +fuehrte und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte +den Mann und versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den +Roemern treugebliebenen keltischen Doerfer wurden grausam verheert und +als darueber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete Hannibal den +Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. Bald darauf, an einem rauhen +regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, zu der +Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten +Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese +wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die +hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. +Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand sich auf dem +von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten +Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros der Armee +schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und durchnaesst +kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; die +Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die +leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen +das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei +sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die +Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und die weit +zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts ueberfluegelten. +Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines Namens wert; es focht zu +Anfang der Schlacht mit der entschiedensten Ueberlegenheit gegen die +feindliche Infanterie, und selbst als die Zurueckdraengung der +roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den Leichtbewaffneten +gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu kehren, stand +dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu +bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, +1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago, +Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der +roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die +Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen Zentrums +wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. Das erste +Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng zusammenschliessend, +die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde sich +seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den +gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe +gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse +ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, +von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht; +nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des Fussvolks +vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die +Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls Placentia +^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre als +diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage +gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht +vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende +Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen +sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg +teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf +die keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den +infolge des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine +Menge von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf +einen einzigen. + +—————————————————————- + +^1 Polybios’ Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen +klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung +in den Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert +ward, waehrend das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was +beides wohl bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar +ist -, so mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um +Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein +bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile +der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg +bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss +ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia +bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps +mehrere Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer +roemischen Festung angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich +nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte +und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der placentinischen Garnison +besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die erste Passage ebenso +schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, Militaer wie er +war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, dass es +in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6), +ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken. + +Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische +Lager auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia +verlegt, ist neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch +daran erinnert werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen +Casteggio jetzt durch Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen +5117). + +————————————————————— + +Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die +nationale Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob +und organisierte. Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in +die Festungen Placentia und Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der +Heimat, mussten sie ihre Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur +wie durch ein Wunder entging der Konsul Tiberius Sempronius der +Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen +nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in der rauben +Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, +bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein +ernstlicher Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt +haben wuerde, durch Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und +andere kleinere roemische Positionen den Feind zu necken. +Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den gallischen Aufstand zu +organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 Berittene sollen von +den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben. + +Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine +ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und +nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch +keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die +nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach +Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius +und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die vier +Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde +verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb +an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und +von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum +endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier +zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, +wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um in +der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive +uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich +die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das +Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer +selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der +Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der +Trebia; er wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, +von dem zaehen roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch +Ueberraschung zu erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche +Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich +ihm, dem von daheim nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung +zukam und der in Italien zunaechst nur auf das schwankende und +latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische +Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen +Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe +der phoenikische Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte +die Defensive Scipios und der glaenzende Rueckzug der geschlagenen +Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. Aus dieser Einsicht +flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals ganze Handlungsweise in +Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel des +Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu +fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen +Erfolgen, sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung +und der endlichen Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu +erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das einzige, was Hannibal +gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu werfen hatte, sein +militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins Gewicht fiel, wenn er +seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen deroutierte, und er +verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel war das von +der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige +Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale +ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer +den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen +Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie +hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine +bewundertsten Schlachten. + +Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn +nicht bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine +neugewonnene Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess +und den Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er +alle Gefangenen sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit +Sklavenfesseln belasten - dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die +ihm hier und sonst in die Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist +ohne Zweifel mindestens stark uebertrieben; dagegen wurden die +saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um +daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, +sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte +Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den +Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. +In der Tat bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um +sich einen Weg durch die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. +Gaius Flaminius mit der etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei +Arezzo, um von hier aus zur Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse +etwa nach Lucca abzuruecken, sowie es die Jahreszeit erlaubte. Allein +Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang ward in moeglichst +westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse +Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen +dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die +Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu +marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen +trockenen Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und +die gefallenen Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich, +namentlich das gallische Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den +schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte laut und waere ohne +Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die karthagische Reiterei +unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht unmoeglich gemacht +haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen +haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal selbst +verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward +erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch +bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren. +Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der +Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu +verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen +Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, bis das zweite, nun +bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer herankam. Indes er +selber urteilte anders. Er war ein politischer Parteifuehrer, durch +seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu beschraenken, in die Hoehe +gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner Konsulate gesponnenen +aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, durch die wohl +gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian +fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte, +berauscht zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso +sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit +der fixen Idee behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein +Feldzug gegen die Insubrer von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler +nur bewies, dass tuechtige Soldaten oefters gutmachen, was schlechte +Generale verderben, galt ihm und seinen Anhaengern als der +unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius Flaminius an die Spitze +des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein schnelles Ende zu +bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat verschafft, und +solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von unbewaffneten +Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der +Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier +ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit +entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess durch +die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die zahlreiche +Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen und die +Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter den +Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen des +Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, vor +der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen solchen +Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem +unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist +ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch +des Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal +gegen Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo +Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit +gehabt hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen +zwei steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang +der Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte +er den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden +Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen +in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die +Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein +Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich +schloss die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des +Passes und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden +Nebel ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur +eine Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von +den Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast +ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, +in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen +Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche +Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der +Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, +marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf +einem Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen +Reiterkorps umzingelt und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug +versprach, von Hannibal verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen +behandelt. 15000 Roemer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das +heisst das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 +Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht +genug, so ward gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die +Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann +stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig +seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer +umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war +verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort +machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken +ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern +instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein +Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt +der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall +einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt. + +———————————————————————- + +^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, +muss nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius +seine Diktatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, +31, 7; 32, 1) niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die +Kalenderverwirrung war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg. + +———————————————————————— + +Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf +Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, +seine Armee mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt +unversehrt erhalten und vielleicht den Gegner sich gegenueber +festgehalten haben wuerde. Es geschah wieder einmal etwas ganz +Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren Ueberrumpelung +fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte entsetzlich +das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und +machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde +in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht +verwunden; hier hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend +und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein +libysches Fussvolk in roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die +Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier +aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen Verbindungen mit der +Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine Siegesbotschaften nach +Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich +wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, +brach er auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das +suedliche Italien hinein. + +Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der +Infanterie sich jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig +eines Angriffs auf die Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm +mindestens vier Wochen ungestoerter Musse zur Verwirklichung des +beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des feindlichen Landes +mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein +militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu +machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen +gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft +nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die +Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise +mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten +an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer +Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und +mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine +Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische +Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer +viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie +unvorsichtig es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine +solche Probe zu stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. +Der Diktator Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten +Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an +der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten +sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr +Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war +ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die +nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger +Verehrer der guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und +des Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst +Opfern und Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer +Gegner des Gaius Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen +toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze der Geschaefte gerufen, ging er +ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, um jeden Preis eine +Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden Preis eine +solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten +Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange +das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht +schwer halten werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche +Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. +Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen in Rom und im roemischen Heer, +erfuhr den Stand der Dinge sofort und richtete wie immer seinen +Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des feindlichen Anfuehrers. +An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den Apennin in das +Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an der +Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, +das als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen +Staedten und die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck +des roemischen Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er +hatte dort Verbindungen angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom +roemischen Buendnis hoffen liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm +fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend schlug er die Strasse nach +Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses ganzen Zuges der +karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte seine Soldaten zu +der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand zuzusehen, +wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen +pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. +Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich +herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den +Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem +heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des Volturnus diese Stadt +stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden Hoehen mit seiner +Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 Mann auf der am +Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein Hannibal hiess +seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der Strasse +sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit +angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es +schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei +Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich +umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend, +zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch +freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab, +ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und +mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte +und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in +nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die +Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner +ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute +und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die +Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen +Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, +dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen +Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den +Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde +einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische +Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner +ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er +hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich +von Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel +des Heeres taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, +waehrend Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die +ausgesendeten Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus +Minucius, der im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den +Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um +naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen +Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die +Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres +hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen +gegen einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst +bestanden, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte +und sie noetigte, sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht +von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht +verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. +Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war, sich +roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem +Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es +doch ein seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem +Feind gestattete, unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen +Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu verwuesten und durch eine +geordnete Fouragierung im groessten Massstab sich fuer den Winter +hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius Scipio, als er im +Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, und der +Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine +Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff +gab. Es war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht +wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die +Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat; allein wie lange +konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich +unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer eigenen Kontingente +auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische Heer anlangte, so +konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser Kriegfuehrung +noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen Legionen von +Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls +dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten +Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig +ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, “Hannibals Lakai”, ihm zuwies, +und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es +kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den +eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der +gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten sich des Haders - +wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator tatsaechlich vom +Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium der +konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen Soldaten +und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und +sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, +in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu +beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen +bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die +roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei +abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht +bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften +Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte +Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei +seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen +Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt +und mit geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn +nicht hier sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines +frischen Korps groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte +Wendung der Dinge gab dem System des passiven Widerstandes +gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in diesem +Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden +konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der +stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine +Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im +wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei +Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht der Zauderer +hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner Eidgenossenschaft +und vielleicht nicht minder der Nationalhass der Okzidentalen gegen den +phoenikischen Mann. + +———————————————————————— + +^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei +Gerunium dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei +sacrom M. Minuci(us) C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei +S. Lorenzo aufgefunden worden. + +———————————————————————— + +Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht +als die roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron +von Syrakus und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten +Feldzug anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die +uebrigen italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer +stellten -, wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen +zeigte man an, dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des +Tributs; ja man beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die +Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war +trotz der Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem +Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von +dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden +Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner +energischeren Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht +mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man eine halbe Massregel +getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. Diesen Fehler +beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie Rom noch +keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel ueber die +Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl Bundesgenossen, +genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken. Ausserdem +ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal +bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der +Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur +darauf an, auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das +starre Auftreten des Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden +demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und ueberhaupt den Senat +unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl nicht ohne Schuld +seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den Krieg +absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines +Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln +angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst +recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner +Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) +den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure +Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der +Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur durch +seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als +Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, +und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine +rohe Unverschaemtheit. + +Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen +wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die +Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach +Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich +nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an +Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das Kastell von Cannae +(zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische Ebene beherrschte +und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient hatte. Die roemische +Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des Herbstes +verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus +Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln +kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden +gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es +immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht +zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch +die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des +Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen und dem +entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten, stieg +die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb +Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei +Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 +Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte +nichts mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher +eroerterten Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite +apulische Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner +Reiterei zu entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen +Armee, hart an dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen +gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald +ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen +Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen +und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die +einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten +daher, zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um +ihn zum Abzug und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder +guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten +Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses +auf, so dass die Hauptmacht am linken Ufer zu stehen kam, ein starkes +Korps aber am rechten unmittelbar dem Feind gegenueber Stellung nahm, +um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht auch Cannae zu bedrohen. +Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu kommen, +ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem +linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem +demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es +war so viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu +stehen, sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den +Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben fand. Nach der alten +toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die entscheidende Stimme +im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um Tag; man musste also am +folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der Gasse seinen Willen +tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der ueberlegenen +Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch er +nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen +Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den +karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses ernstlich +bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 Mann blieb +in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das karthagische +waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen Heere den +Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der roemischen Armee +ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem +unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser +Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich +hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager +westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee folgte +und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte roemische wie +der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische Reiterei +stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem rechten +am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische auf +dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen stand +das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl des +Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete +Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die +keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die +vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten +die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die +gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach +der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem +Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im +Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere +Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier +ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die +Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen +vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren +Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck +sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel +der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen +regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und +diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen +Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt +und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem +Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu +teilen. Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche +Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine +Angriffskolonne verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche +Zentrum. In dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links +einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen +und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die +Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken +kam und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse +nun gar nicht mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte +Hasdrubal, nachdem er mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine +Reiter aufs neue gesammelt und geordnet und sie hinter dem feindlichen +Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen +italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend beschaeftigt, +stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, die +Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum +drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den +Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht +moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein +Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit so geringem Verlust des +Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet worden wie das roemische +bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei +Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoss der Legionen traf. +Dagegen von den 76000 Roemern, die in der Schlachtlinie gestanden +hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul Lucius Paullus, der +Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der Stabsoffiziere, achtzig +Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus Varro rettete sein +rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er ertrug es +zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark, +ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus +diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als +sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel +noch vor Ablauf desselben die nach Gallien gesandte Legion in einen +Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das +naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern gaenzlich vernichtet. + +Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische +Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen +war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein +in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in +seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des Westens und +Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen Stadt den +Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die +gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das +kuehne und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn +Gnaeus Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone +war dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste +zwischen den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch +des Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 +217) die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, +hatte, nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals, +mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro +ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar hatte +Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika +Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders +gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen +verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn +vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae +siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche +andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt; diese +beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die +zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von +Spanien aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu +erwarten. + +Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so +viel geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader +bedrohten die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten +Afrika vor einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren +Beistand verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu +finden sei, und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die +langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, +vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer +die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des +Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich +leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen +an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae +selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische +Senat beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld +und Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 +numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in +Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben. + +Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien +war anfangs durch Antigonos’ ploetzlichen Tod, dann durch seines +Nachfolgers Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner +hellenischen Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 +220-217) verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen +Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem +Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie +massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt +schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, +eine Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm +die Rueckgabe der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. + +In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit +es mit Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik +eingehalten, und auch den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen +nach dem Frieden mit Rom namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig +erwiesen. Es ist kein Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen +Karthago und Rom hoechst ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er +nicht, und als er eintrat, hielt er mit wohlberechneter Treue fest an +Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann +nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger +des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich +mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit +machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische +Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel +vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess +mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, +die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei +Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln +postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf +einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung +nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen +Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden +musste. + +Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude +der roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es +die Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden +hatte. Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in +Messapien, zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und +Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der +Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der +Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner +groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; +die Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und +vornehmlich Capua, die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss +und 4000 Berittene ins Feld zu stellen vermochte und deren Uebertritt +den der Nachbarstaedte Atella und Calatia entschied. Freilich +widersetzte sich die vielfach an das roemische Interesse gefesselte +Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem Parteiwechsel sehr +ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die hierueber +entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von diesen +Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen +der Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem +Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht, +festnehmen und nach Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst +sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was es auf sich habe mit der von +dem karthagischen Feldherrn soeben den Kampanern feierlich +zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen hielten die +sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die +roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch +der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker +selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und +ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus +zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine +ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen +Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe +taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung +Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden +von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur +Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf +brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die +sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, +unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie +doch die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem +Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie +zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen +Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von +ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo +latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als +Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im +karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht +ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in +die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte +gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden. + +Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der +Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der +gesamten Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine +grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen +Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss einzelne toerichte oder +elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft selbst hatte zu +Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt zugeschnittene +Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht +moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen +Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des +Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine gruendliche +Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war, jetzt +wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der +einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche +Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung +des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle +Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen +auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem +Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits +an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der +italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, +dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf +das “Volk” Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen +Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide “neue +Maenner” und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur +Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt +entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, +und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei +Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt +besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika +zurueckberief, die Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und +jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er +hatte, als die erste jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick +das Ruder in die Hand gab, gleichfalls nicht unbefangen von +Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus Fabius mit jenen +roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch er den +Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive +vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und +in der Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, +was an ihm lag, um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. +Die Folge war erstlich, dass das wichtigste Instrument, das eben fuer +solche Faelle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben +hatte, die Diktatur ihm unter den Haenden zerbrach; und zweitens +mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. Den jaehen Sturz der +roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius noch Gaius +Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den Regierten, +die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und +Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit +Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, +was schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller +an sich gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und +unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro - allein von +allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten - nach Rom +zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm +entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes +nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen +Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen +Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den +Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs +verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, +wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen +zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt +hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren +gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf +sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und +strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten, +um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die +Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu +begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben +und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an +den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser +gewiesen, die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage +beschraenkt, damit der Dienst der freudigen Goetter, von dem das +Trauergewand ausschloss, nicht allzulange unterbrochen werde - denn so +gross war die Zahl der Gefallenen, dass fast in keiner Familie die +Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes +durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio +den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch +seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter +seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken +zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes +ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer +Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort +etwa zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu +schimpflichem und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der +unfaehige Feldherr ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom +zurueckberufen; der in den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus +Claudius Marcellus, der bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia +nach Sizilien abzugehen, uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten +Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige Armee zu organisieren. +Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; +Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die ganze Mannschaft +bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und +die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate angekaufte +Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten +Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall +in Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche +Patrioten forderten, aus den Latinern, sondern aus den +naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot die Loesung der +Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes an; man lehnte sie +ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen angelangten +karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht scheinen, als +denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen sollten +nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es +musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer +ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei. + + + + +KAPITEL VI. +Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama + + +Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der +italischen Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe +erreicht, soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen +und die latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie +durch den Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht +dem Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und +der verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und +rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen +den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den +Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem +Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, +so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, +als habe auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften +Resultate fuer Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, +dass Hannibal das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger +zwangsweise unter die Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht +vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten war, und meinten +toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen +Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht +mehr, was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze +der sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das +roemische Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, +sondern es hatte auch die vieljaehrige roemische Herrschaft die +Einwohner der Waffen entwoehnt - nur maessiger Zuzug kam von hier zu +den roemischen Heeren -, den alten Hass beschwichtigt, ueberall eine +Menge einzelner in das Interesse der herrschenden Gemeinde gezogen. Man +schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem Roms Sache +einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht +mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des +italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern +Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter +solchen Umstaenden stockte in Italien der Krieg. Hannibal, der den +suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis hinauf zum Volturnus und +zum Garganus und diese Landschaften nicht wie das Keltenland einfach +wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls eine Grenze zu decken, +die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die gewonnenen +Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und die von +Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die +schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine +Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen +Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er +andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt, +gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der +Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer +Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere +Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen +Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den +Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen +Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten +Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da +an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung +fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius +Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von +Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die +Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen. +Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine +Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein +Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. +Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten +Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den +feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige +roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den +beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am +Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn die +Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines +einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und +vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei +dem gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. + +Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte +Rom besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint +haben, dass er mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf +haette beendigen koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den +Krieg auf dem Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der +Angriffskrieg gegen die Festungen weit minder entwickelt war als das +Verteidigungssystem, ist unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im +Feld an den Mauern der Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft +in Karthago waren weitaus nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in +Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus’ erstem Feldzug unendlich dringender +als die Roms nach der Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte +standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein konnte man +meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder +auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche +leeren Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen +oder die Zeit zu verlieren mit der Belagerung der paar tausend +roemischer Fluechtlinge in den Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal +sofort nach Capua begeben, bevor die Roemer Besatzung hineinwerfen +konnten, und hatte durch sein Anruecken diese zweite Stadt Italiens +nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte hoffen, von +Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu koennen, +um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine grossartigen +Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer erfuhren, +wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo nur +eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen +gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den +zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum +Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen +an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus Junius mit der +schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte, bis an den +Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten. Dies zwar +fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen Versuche +auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert, und +die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine +Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen +groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der +Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an +die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die +Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an +den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend, +erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die +inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal +selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste +Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer +Bedeutung war als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in +Kampanien Nuceria, Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins +folgende Jahr (539 215) sich hinziehenden Belagerung auch der +Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von Hannibal erobert und +ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten hatten, die +schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht schlechte +Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer +Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden. +Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und +Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit +drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im +naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen. +Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus und Tiberius Sempronius +Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als Reiterfuehrer des +Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus Fabius Maximus +traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln, an die +Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und +Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt, +Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend, +Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum +Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien von Cumae, +ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von Gracchus +nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte auszuwetzen, +vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht den kuerzeren, +und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert ward, +unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht +bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und +andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals +oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem +Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in +Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen +der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von +Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen. +Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen +taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht unter den +Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die phoenikische +Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt zu haben, +um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich zu +steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius +Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere +in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff +auf Capua ueberzugehen. + +Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer +deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche, +jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen +Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der +Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die unumgaengliche +Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich gemacht. An die +Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war schwierig und +drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht verleugnen, +dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung der +Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen +Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung +stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei +den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien, +Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen +den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz +ward fuer die Heere und Flotten von Westen, Sueden und Osten, so konnte +er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, was die Vorhut unter seiner +Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das Natuerlichste und Leichteste +waere gewesen, ihm von daheim genuegende Unterstuetzung zuzusenden; und +der karthagische Staat, der vom Kriege fast unberuehrt geblieben und +von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden kleinen Zahl +entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe +gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich +gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke +bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen +von Syrakus den Karthagern offenstand und durch Makedonien die +brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die ungehinderte +Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem Hannibal um diese +Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr noch Hannibals +ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen war. +Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt +hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit +war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu +erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der +Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um +nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb +tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich +Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom +erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen +Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette +stuetzen koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel +zur Rettung der Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im +Ausland suchen. + +Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen +auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus +angeknuepften Verbindungen und auf Philippos’ Intervention. Es kam +alles darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue +Streitkraefte gegen Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und +um dies zu erreichen oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien, +Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum +Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer +die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe +ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in +Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung +zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese +Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich +entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und +zur Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. +Der italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und +loest sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache +nichts entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die +Phoeniker ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der +Operationen, und alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich +daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder +zu verewigen. + +Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht +alle die Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung +machen durfte, so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein +in Spanien war Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so +bedenklich, dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der +cannensische Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte, +groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage +der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen +verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro +an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich +karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. +In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die +Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, +die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit +gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen +Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische +Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den +unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien +geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der +Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, +welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch +Moerderhand seinen Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die +Ratifikation des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an +Hannibal gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen +Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die +gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die +wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit +dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten +Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen +Einfall in Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien +der Kampf zum Stehen und Stocken kam, war ausserhalb Italien +karthagischerseits nichts geschehen, was neue Heere oder Flotten rasch +nach Italien gefoerdert haette. Roemischerseits hatte man sich dagegen +mit der groessten Energie ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und +in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit +Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den +der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht +unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte, +waren, sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch +ungeschickte Ausgleichung der verschiedenen, im Rat laut gewordenen +Meinungen, so zersplittert worden, dass sie nirgend wesentlich +foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen waeren, eben der +kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch der +besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr +vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf +saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um +zum Ziel zu gelangen. + +Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst +in Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, +sondern halb zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit +des unverstaendigen Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, +dessen, ohne Zweifel eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit +besonderem Eifer sich annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215) +getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei +der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt, +so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager +ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber +ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von +Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann +glauben konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die +drohenden Anstalten der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige +Insel, die Bruecke zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in +ihre Gewalt zu bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren +besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten, +zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch +rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen +zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo +nach Hieronymos’ Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten +Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf +den erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der +fremden Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren, +fanden Hannibals gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes +Gelegenheit, die Friedensversuche zu vereiteln. Durch den Namen der +Freiheit regten sie die Masse auf; masslos uebertriebene Schilderungen +von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben wieder unterworfenen +Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte, erweckten auch +in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet +sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den +Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, +meistens durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass +der Friede der Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die +Vorsteher der Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen +und Hippokrates und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es +blieb dem Konsul nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes +die geschickte Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter +Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur Archimedes sich +besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher Belagerung, +dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln. +Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten +die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der +abermaligen Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes +Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert +bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige Stadt Akragas +besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte der kuehne und +faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; Marcellus’ Lage +zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden feindlichen Heeren +fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger Verstaerkungen, +die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der Insel +und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als +die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer +auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls +verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung +daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in +die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern von Syrakus +waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen verlassenen +Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die Vorstaedte +einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt am Strande +(Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die Festung +Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen, +diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse +deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so +die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen +begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und Hippokrates zum +Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen, ueberdies noch mit +einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und einem Ausfall der +syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die roemischen +Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die beiden +Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager +aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im +Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen +erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die +Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei +phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern +durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das +Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus’ +Heer, in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die +Fieber die phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, +desgleichen Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der +beiden Heere, groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die +benachbarten Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die +Stadt von der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich, +als die roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst +Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann +nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die +Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten +sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten +wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener +Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von +den fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte +Marcellus mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen +der beiden noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; +worauf die Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina +auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die +offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die +ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden +Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen +des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger +Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke +Marcellus seine Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen +Pluenderung der reichen Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen +Buergern auch Archimedes den Tod fand, sondern es hatte auch der +roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten Beschwerden der +Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den einzelnen +die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die frueher +von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern +steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten +das Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene +und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem +den Hafen beherrschenden Stadtteil, der “Insel”, durfte fortan kein +syrakusanischer Buerger wohnen. + +Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals +Genie war auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem +karthagischen Heer, das unter Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei +Akragas stand, einen libyschen Reiteroffizier, den Muttines, der den +Befehl der numidischen Reiterei uebernahm und mit seinen fluechtigen +Scharen den bitteren Hass, den die roemische Zwingherrschaft auf der +ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend, einen +Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten +Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und +roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck +einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal +und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen. +Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit eifersuechtigem Neid den +von Hannibal gesandten Offizier und bestand darauf, dem Prokonsul eine +Schlacht zu liefern ohne Muttines und die Numidier. Hannos Wille +geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines liess sich +dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes, besetzte +mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht +unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen +allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich +der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, +ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte +Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun +seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte, +fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter, +die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in +Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus +und lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging +nach Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen +Offiziers den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der +Stadt ward von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die +Sklaverei verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen +Ueberfaellen, wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die +Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene +Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also +ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt, +dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte. +Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen +und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals +Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr +Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der +Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter +die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu +erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen. + +Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse +eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick +weder Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, +Philippos’ natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden +Siege der Aegypter bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen +muessen, von dem schlaffen Philopator Frieden auf Basis des Status quo +ante zu erhalten; teils die Rivalitaet der Lagiden und der stets +drohende Wiederausbruch des Krieges, teils Praetendentenaufstaende im +Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien, Baktrien und den +oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen antiroemische Allianz +sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische +Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544 +(210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu +erwarten, dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde. +In den grossen italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, +waren somit Makedonien und Griechenland durch nichts gehindert als +durch die eigene Zwietracht; sie konnten den hellenischen Namen retten, +wenn sie es ueber sich gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den +gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl gingen solche +Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos prophetisches +Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt die +Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste +Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass +eine staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des +gleichen Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu +beigetragen, den Frieden zwischen Philippos und den Aetolern +herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz war es bezeichnend, +dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu seinem Strategen +ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in Griechenland wie in +Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen hellenischen +Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines solchen +Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die +Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg +allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe +nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands +umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit +Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen +Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art +der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu +erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der +cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia +zu bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem +Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete +Geruecht, dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. +Dies geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser +endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische +Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine +roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen; +Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von +leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein als +es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten +Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen +Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um +doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die +roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). +Im besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer, +die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als die +defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben +mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte +fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward dem +Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das +makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur +voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem +Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, +der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine +Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann +die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit +Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die +zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten, +veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den +Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen +Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der +nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten +Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und +Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, +fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien +eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz +zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf +deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung +des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen +hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen +auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so dass +das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern +gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die +antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten +an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber +Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein +dreister Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter +dem Namen des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren +und ein auf gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu +begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die +Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und +endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden +griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil +mit Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich +der roemischen Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme +noch etwas wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den +Wechselfaellen dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er +jedem einzelnen seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin +die Angriffe mit Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb +sich dennoch auf in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich +gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen +Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris und +Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die +noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die +aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos +von Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren +vereinigten Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land +in Euboea. Der Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen +seinen Bewegungen; es kam so weit, dass er von seinem Bundesgenossen +Prusias in Bithymen, ja von Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen +das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem, womit er haette +anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen; Gebrauch ist +indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der +Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und +ein Herz dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem +Griechenlands letzte Kraefte sich selbst zerfleischten und der +Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt hatten die +Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja selbst +Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe +genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler, +auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel +unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der +Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien +den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen gingen +allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und verderbliche +Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es ging ein +Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als die +Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften, +wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei +verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten +viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und +fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung +der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den +sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und +Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese +sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der +Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede +zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen +uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt; +indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des +erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition +aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu +ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der +Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten +fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu +beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen +wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen +atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der +epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos +sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein +es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen +liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit +widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland +gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und +richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland +einen Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war. + +In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der +Kampf ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die +eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie +mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal +und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen +Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem +wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm +zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt +nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und +gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne +Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle +scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied +gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder +die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres +oder kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen +ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich +spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie +Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg +wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder +die Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich +gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten +festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall +entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen +Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder +aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am +Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht +mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils +weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes +von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl +ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter +zuverlaessiger Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und +namentlich in der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht +wohl moeglich, von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende +Darstellung zu geben. + +Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius +Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche +Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht +bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet und der +Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen +Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig +zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende +Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen +Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch +die roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck +gefochten. Der Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch +groesserem Erfolg wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu +den Saeulen des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien +aus und sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und +Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie +vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation +soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus +Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika +selbst einen gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen +westafrikanischen Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und +Algier, welcher mit den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere +es moeglich gewesen, ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man +auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben +damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um +sich zu teilen. Indes schon Syphax’ eigene Truppen, geschult und +gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen +Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende +Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem +Kern der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat +dort eine Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz +Constantine, seit langem der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer +Karthago, und sein tapferer Sohn Massinissa schlug den Syphax und +noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist uebrigens von diesem +libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der grausamen Rache, die +Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den Aufstaendischen +nahm. + +Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den +spanischen Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden +(543 211), wohin bald betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa +selbst ihm folgten. Die Scipionen, die waehrend der Abwesenheit des +feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im karthagischen Gebiet +Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen sich +unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie +entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten +mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold, +worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas, +Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten +und nicht einmal ihre roemischen Truppen zusammenhielten. Damit +bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend Gnaeus mit seinem Korps, +einem Drittel der roemischen und den saemtlichen spanischen Truppen, +Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne Muehe durch +eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen +nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch +erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. +Dem roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile +seinen Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. +Mittlerweile sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den +beiden anderen phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und +Mago lebhaft angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten +die Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager +fast eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen +spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig +umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten +Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke +in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren +wohl anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den +Ausfallenden rasch waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und +hemmten sowohl die Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als +auch den Rueckmarsch, bis dass die phoenikische Infanterie herankam und +endlich der Fall des Feldherrn die verlorene Schlacht in eine +Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen war, fand Gnaeus, +der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen Heeres muehsam +erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen und durch +die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen +nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein +Lager zu schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder +kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde +vernommen. Eine kleine Abteilung allein rettete ein trefflicher +Offizier aus Gnaeus’ Schule, Gaius Marcius, hinueber auf das andere +Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem Legaten Titus Fonteius, den +von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil in Sicherheit zu +bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten roemischen +Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro +herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick +schien nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und +die Verbindung mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not +im roemischen Lager den rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der +Soldaten berief mit Umgehung aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum +Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und +vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den drei karthagischen +Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges. +Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen +und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues +Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies +die Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es +kam eine starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius +Claudius Nero, die das Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine +Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544 210) hatte den besten +Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und eingeschlossen und entrann +der Kapitulation nur durch unfeine List und offenen Wortbruch. Allein +Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war +ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulaerer +Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen und +neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, +womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im +Jenseitigen Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der +Senat, der die Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen +Krieges richtig beurteilte und durch die von der roemischen Flotte +gefangen eingebrachten Uticenser von den grossen Anstrengungen erfahren +hatte, die man in Karthago machte, um Hasdrubal und Massinissa mit +einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden, beschloss, nach +Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen ausserordentlichen +Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke anheimzugeben +fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich +niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts, +bis endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius +Scipio, der Sohn des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, +gewesener Kriegstribun und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso +unglaublich, dass der roemische Senat in diesen von ihm veranlassten +Komitien eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben +sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben +gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich +angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf +den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen +Tagen am Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem +aber noch der erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von +gewesenen Praetoren und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, +diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den +einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und +zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition +bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich +improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der +Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor +am Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann +mit den langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines +Besseren sich darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache +Kriegstribun, den nun auf einmal die Stimmen der Zenturien zu der +hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles machte auf die roemischen +Buerger und Bauern einen wunderbaren und unausloeschlichen Eindruck. +Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte und begeisternde +Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen Willen die +Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise +zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen, +bis die Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des +Senats Schlachten gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner +militaerischen Lorbeeren auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende +Stellung eingenommen; aber es ist weit von da bis zu Alexander und +Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande wenigstens nicht mehr +gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn auch +vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich +deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet, +als er ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein +besonderer Zauber auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren +und sicheren Begeisterung, die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor +sich hertrug, ist sie durchaus wie von einer blendenden Aureole +umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die Herzen zu erwaermen, +und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall entscheiden und das +Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug, um den +Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch +schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig +ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem +Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht +minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts und koeniglichen +Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels sich zu erniedrigen +meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die Verfassung der +Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass er nichts wusste +von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte, fremde +Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter +Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs, +hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen +Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio +die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute und der +Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren +karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der +Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien. + +Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem +Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen +Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem +Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit +einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. +Gleich sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und +gluecklichsten Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei +karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, +Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen +des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von +der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 +(209), ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach +Scipio gegen diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen +Tagen auf dem Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von +ungefaehr 30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht +ueber 1000 Mann starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten +Angriff zu Wasser und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen +hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei +Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von den Legionen +bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago +wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da +die Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein +Ausfall versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen +und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung +sich die Zeit zu nehmen, den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig +draengten die Stuermenden auf dem schmalen Landweg gegen die Stadt; +immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten ab; die schwache Besatzung +war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg hatten die Roemer +nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm hatte +bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er, +unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken +liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite +der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das +Watt, “wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige”, und sie hatte in der Tat +das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden. So war am ersten +Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg kapitulierte. Mit der +karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn abgetakelte Kriegs- und 63 +Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende Getreidevorraete, +die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler), zehntausend +Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter, und +die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die +Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur +Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten +sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein +Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu bringen, indem er die +neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der Zahl, fuer das +roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der Freiheit bei +der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die faehigen +Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger aber +wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung +gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen +wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen +Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss +durch eine Besatzung zu sichern. + +So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es +Scipio nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung +den Befehl erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen +auszufuehren beschaeftigt war, und weil die schwache, am Ebro +zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande war, ihm dies ernstlich +zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur verzoegerte. Indes er +war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro gezeigt hatte; das +gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er seine +naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich +auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus +und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme +der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, +was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, +dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf +unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf +die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse +zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss +die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch +jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel +mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08) +dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten +sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und +im Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, +und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf +Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem +Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur +Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000 +Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit +Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit +seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen +schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean +hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten +Pyrenaeenpaesse und stand noch vor dem Eintritt der schlechten +Jahreszeit in Gallien, wo er Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass +Scipios Entschluss, mit der ihm aufgetragenen Defensive die Offensive +zu verbinden, unueberlegt und unweise gewesen war; der naechsten +Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss Scipios Vater und Oheim, +sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln +geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze einer +starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er +verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207), +als Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich +dennoch sich realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres +Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich +vorueber; man liess sich das Bulletin des zweideutigen Sieges von +Baecula gefallen und gedachte, als neue Siegesberichte aus Spanien +einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den faehigsten +Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien zu +bekaempfen gehabt hatte. + +Nach Hasdrubal Barkas’ Entfernung beschlossen die beiden in Spanien +zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal +Gisgons Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue +Verstaerkungen aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei +in Spanien streifen zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit +so grossem Erfolge getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt +der Roemer. Im folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika +Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich +wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und +Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen. +Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und +verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio +in diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker +schienen ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf +(548 206) wieder ein gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, +4000 Mann zu Pferde, 70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil +zusammengeraffte spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur +Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des +feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio +stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass +sie nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen +zu verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst +auf die Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten +endlich die Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die +Niederlage eines solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen +Aufloesung desselben - einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach +Gades. Die Roemer standen jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die +wenigen nicht gutwillig sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen +und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der +afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja +selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika +Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen +entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht +davon den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, +wo Mago den Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick +schien es, als ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft +angetreten und die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach +Beendigung des phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste +loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend +widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die +Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms +vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei +eines seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren +rueckstaendigen Sold, beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas +schneller als man gemeint hatte und daempfte mit Gewandtheit den +Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die bei der Nationalerhebung +vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden, ehe die +Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch +auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung +dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich +vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung +zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass +er seine Flotte aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm +anvertraute Beschirmung der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern +anheimstellen. Unbehindert verliess der letzte von Hamilkars Soehnen +die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab sich auch Gades, die aelteste +und letzte Besitzung der Phoeniker auf spanischem Boden, unter +guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war nach +dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische +Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets +besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer +fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern +gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um +sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von den +erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten. + +Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, +Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen +Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, +nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an +Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des +Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker +folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach +Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon +zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum. +Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der +Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der +Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die +Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im +brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme +geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das +die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt +worden waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne +zunaechst einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische +Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius +und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu +versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in +der Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in +Tarent und Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen +Landung durch eine Legion verstaerkt worden war, endlich die starke, +das Meer ohne Widerstreit beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die +roemischen Heere in Sizilien, Sardinien und Spanien, so laesst sich die +Gesamtzahl der roemischen Streitkraefte, auch abgesehen von dem +Besatzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort +angesiedelte Buergerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000 Mann +anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr neu einberufene Leute +und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf annehmen, dass die +gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre unter den +Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, +von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden. +Dass unter solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten +Verlegenheit waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man +hauptsaechlich angewiesen war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig +ein. Aber trotz dieser Not um Mannschaft und Geld vermochten die Roemer +dennoch, das rasch Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller +Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren, +waehrend die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische +Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie +die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von +Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich +Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus +begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die +Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu +bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr +auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der +Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als +abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung +ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden, +und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich +unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen +Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie +kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es +ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann +die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in +gleicher Vollkommenheit geloest hat. + +Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal +erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er +hinderte; allein weder vermochte er irgendeine der kampanischen +Staedte, die die Roemer besassen, den starken roemischen Besatzungen zu +entreissen, noch konnte er wehren, dass ausser einer Menge minder +wichtiger Landstaedte auch Casilinum, das ihm den Uebergang ueber den +Volturnus sicherte, von den beiden Konsularheeren nach hartnaeckiger +Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Hannibals Tarent zu gewinnen, +wobei es namentlich auf einen sicheren Landungsplatz fuer die +makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer +der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien mit der +roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit +Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit +Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich +ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen des Volks die +Freiheit und das Buergerrecht. + +Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige +Arpi zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten +sich in die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die +karthagische Besatzung gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt +lockerten sich die Bande der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der +vornehmsten Capuaner und mehrere brettische Staedte gingen ueber zu +Rom; sogar eine spanische Abteilung des phoenikischen Heeres trat, +durch spanische Emissaere von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in +Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische Dienste. + +Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue +politische und militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht +unterliess. Die Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen +Staedten unterhielt, hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; +nur die in Rom befindlichen tarentinischen und thurinischen Geiseln +liessen sich durch seine Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch +bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen Posten wieder +aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der Roemer +foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der +saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren +Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie +Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward Tarent durch +Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die Nachlaessigkeit des +roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt; kaum dass die +roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents +folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung +der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen. +Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass +Rom sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten +griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen +zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von Syrakus und der +guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit gewaehrte. Auf +dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr abwechselndem +Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten Legionen +hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch +die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr +gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend +bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport +zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu +nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus und +Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport +deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und +der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen +darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen +Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber +der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen +Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein +Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen +Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So fand +Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein +unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene +Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen +ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als +Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen +nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von +Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig +befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren in +Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des +nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in +Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber +das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden +Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie +Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, +zogen die roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli +und Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus +Fulvius, auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius +Nero; die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander +verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend +verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht +entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein +Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch +die Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande +waren, durch die wohlbewachten roemischen Linien sich +durchzuschleichen, begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit +der Belagerung der Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen +brach er mit 33 Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach +Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein +Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung, +dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die +Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, +ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich +nicht und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen +Seite die kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen +Schwaerme an ihre Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte +Hannibal nicht denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald +die anderen roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn +nicht schon frueher der Mangel an Futter in dem systematisch +ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich +nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der +seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu +retten. Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von +seinem Vorhaben Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, +von Capua auf und schlug die Strasse nach Rom ein. Mit derselben +gewandten Kuehnheit wie in seinen ersten italischen Feldzuegen warf er +sich mit einem schwachen Heer zwischen die feindlichen Armeen und +Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und auf der +Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er +passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile +von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn +ihnen erzaehlt ward von “Hannibal vor dem Tor”; eine ernstliche Gefahr +war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt +wurden von den Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die +gegen sie ausrueckten, verhinderten die Berennung der Mauern. Durch +einen Handstreich, wie ihn Scipio bald nachher gegen Neukarthago +ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal uebrigens nie gemeint +und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht; seine Hoffnung +war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des +Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also +Gelegenheit geben werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach +kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein +Wunder der goettlichen Gnade, die durch Zeichen und Gesichte den argen +Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die roemischen Legionen freilich +zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo Hannibal der Stadt am +naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem zweiten +Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren +Glaeubigen dem Gott “Rueckwender Beschuetzer” (Rediculus Tutanus) einen +Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und +schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren +hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte; +unbeweglich standen die Legionen in den Linien um Capua und nur ein +schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals Marsch nach Rom +detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er sich ploetzlich +um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom her unbesonnen +gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu schlagen, +ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer +Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die +Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit +bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom +feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische +Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die +Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne +Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod; die +uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich +erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich +von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es +klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des +Hochverrats auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch +rasche Exekution der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius +Claudius und der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die +weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere +und Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl +und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und +enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil der +Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der +Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella +und Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, +was Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der +Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, +sind sie begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in +Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar +nach dem uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil +gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um +die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten Staedten +Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der +kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin +vollstaendig politisch zu vernichten. + +Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er +nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen +Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung +herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der den +Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor der +Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war. +Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf +die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion +oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu +ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war +der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader +den Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte +jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das +Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu +ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger +als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es +gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager +gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des +Ansehens und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen +Verbuendeten genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr +kompromittierten Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische +Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer +Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die +schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein +schon zu schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen +Truppen der Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - +so wurden ihm im Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 +auserlesene numidische Reiter niedergemacht; oder die unsicheren +Staedte zu schleifen und anzuzuenden, um sie dem Feind zu entziehen, +was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Klientel nicht heben +konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des endlichen Ausganges des +Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten betraechtliche +Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die +Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum +erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der +Gesamtzahl der Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden +Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis +auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward denn auch im naechsten Jahr +(544 210 ) der italische Krieg laessiger als bisher von den Roemern +gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des sizilischen +Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er +betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den +Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische +Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal +die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae. +Das Jahr darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten +Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich +wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen +Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in +einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am +zweiten einen schweren und blutigen Sieg; waehrend der Konsul Quintus +Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner zum Wechsel der +Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen bestimmte; +waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten, den +bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus +Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den +Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem +nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung +der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in der von den erbitterten +Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der Besatzung oder von der +Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht und die Haeuser +gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven verkauft, 3000 +Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen sein. Es war die +letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam zum +Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont. + +Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst + +hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel +beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr +(546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem +tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen +entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten fochten +seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte ihn der +eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien. Allein das +Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei einer +unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von +Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus +focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar, +vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde +sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden +(546 208). + +Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden, +die einige Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur +um so mehr fuehlte man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden +Druck des endlosen Krieges. Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man +hatte nach der Schlacht von Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission +(tres viri mensarii) aus den angesehensten Maennern niedergesetzt, um +fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren Zeiten eine dauernde +und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben, was moeglich +war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle Finanzweisheit +daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die +Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des +Silberstueckes um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit +ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man +musste von den Lieferanten auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die +Finger, weil man sie brauchte, bis der arge Unterschleif zuletzt die +Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem Volk an einigen der +schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den Patriotismus der +Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten litten, +oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren +Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, +freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des +Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach +dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der +Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende +des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung +der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein +Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die +diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben +vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz +wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe bei +den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man +verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der +Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 +Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen +nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den +entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis +des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes. +ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, +fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des +Medimnos (1 preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 +1/3 Taler), mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen +Mittelpreises, und viele waeren geradezu Hungers gestorben, wenn nicht +aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und nicht vor allem der in Sizilien +wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not gesteuert haette. Wie aber +solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer +zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden Doerfer in +Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus +denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben. + +Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung +der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut +frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an. +Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die +latinische Nation zu Rom stand; an ihrer groesseren oder geringeren +Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an +zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen in Etrurien, Latium, dem +Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, also eben in denjenigen +latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von dem Kriege +gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen Senat, +dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und +es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten +Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein +fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen. +Zum Glueck handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die +gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze +das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass +sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen - freilich war +es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem gegenwaertigen +Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele stand als die +der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer Rom, +sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens +nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war +sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und +Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit +den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es +eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf +die unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In +Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im +Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward +entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen +marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung +zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen +Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr +schreckten. + +In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die +Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die +Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen +muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen +Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen schweren +Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese +Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte, +das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst +Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch +phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; +wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem +Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen +zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; +der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund +gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und +Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines +Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von +ihm und dem Lande abwandte. + +Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig +Legionen auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich +vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man +ueberrascht. Freunden und Feinden ueber alle Erwartung frueh stand +Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207); die Gallier, der Durchmaersche +jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld willig ihre Paesse und +lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom beabsichtigt hatte, +die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit wieder zu +spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die +Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, +dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus +Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien. +Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort +verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog aus +Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem +Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. Dieser +sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der grossen, +von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei +Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in +welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte +wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen +geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert +Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei +Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war, +dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und +nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint +nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter +noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen +Hannibals mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, +die wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig +gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete +Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass +Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also +zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den +Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu +treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung +der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische +Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der +Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, +dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde, +ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis, +mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in +Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit +dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn +das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um +Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten +und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er +abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind +erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie +beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal +wuenschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu +entziehen; allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich +auf dem ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der +roemischen Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das +roemische Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. +Hasdrubal stellte die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn +Elefanten, die Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte +das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier +befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation +taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind +stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern +in die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr +blutige Sieg war vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, +ward vernichtet, das Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich +geleitete Schlacht verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater +einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert, +Hannibals Bruder zu sein. + +Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum +vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber, +den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die +Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den +der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also dem grossen +Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung +des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal erkannte, dass +er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er gab Apulien und +Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen zurueck in das +brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug waren. Durch die +Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine beispiellos +glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Groesse +Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der +Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel +in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in +Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden +sei. + +Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat +und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und +materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und +der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen +und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die +Kasse durch den Verkauf eines Teils der kampanischen Domaene gefuellt. +Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und die eingerissenen +Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige Kriegsanlehen +zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen latinischen +Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu genuegen. + +Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von +Hannibals strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit +der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da +an noch durch vier Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und +von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in +die Festungen einzuschliessen noch sich einzuschiffen. Freilich musste +er immer weiter zurueckweichen, weniger in Folge der ihm von den +Roemern gelieferten, nichts entscheidenden Gefechte, als weil seine +brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden und er zuletzt nur +auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So +gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios +Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten +seine Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die +sie ihm verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung +erhalten, suchten diese in der Angst vor der erwarteten Landung der +Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548, 549 206, 205) und +sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien Verstaerkung und +Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien aufs neue zu entflammen +und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser und der +karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine +Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des +Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein +es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden +geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm +zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es +ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika, das nach der +Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte; begreiflich +waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der spaetere Verlauf +der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine makedonische +Landung in Italien ward nicht gedacht. + +Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit +den Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca +gefuehrt hatte, landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die +Stadt und rief die Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und +die Neuheit des Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine +Verbindungen gingen sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen +Prozesse nicht ruhten. Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu +wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das eigentliche Italien, +und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein Einfluss in +Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette +vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der +Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten, +war sie nicht mehr moeglich. + +Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg +Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms +gegen Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische +Expedition, so unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man +bedurfte dazu vor allem eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man +hatte keinen. Die besten Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld +gefallen oder sie waren, wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer +einen solchen ganz neuen und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. +Die Sieger von Sena, Gaius Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe +schon gewachsen gewesen, allein sie waren beide im hoechsten Grade +unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde, +ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon, dass die +Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -, +und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem +erschoepften Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius +Scipio aus Spanien zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von +ihr empfangene Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt +zu haben schien, ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul +gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die +schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition jetzt zu +verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der +methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange +nichts wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch +die Majoritaet dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. +Seine griechische Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den +strengen und etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und +gegen seine Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken +wie gegen seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er +gegen seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald +die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die +Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der +aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den +Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs +und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel +Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen +Privatabsichten in Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu +schieben, und dass er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich +aeussersten Falls der Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und +seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat +nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken, +ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg +und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm +gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die +eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu +beschwichtigen geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten +Einsicht genug, um es nicht zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der +Senat konnte nicht verkennen, dass die afrikanische Expedition +notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins Unbestimmte +hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst faehiger +Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet +war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung +seines Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten +Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den +gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der +hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht wenigstens der Form +nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des Senats unterworfen +hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen, um den Bau der +Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die Bildung der +Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika +landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene +beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen - +zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache +Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm +gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich, +dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr +geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man +einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige +Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung +behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der +Majoritaet des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und +Volontaers, deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. + +Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die +afrikanische Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht +unternommen werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die +Bedingungen ein, wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten +Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das +Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der Popularitaet der +Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die +betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine +sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das +heisst durch eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch +gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die +sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen war die Flotte +segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige, deren bis +siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten +Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei +starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400 +Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne +den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der +Naehe von Utica. + +Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die +Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten +Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein +ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren, +nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu +bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer zu +empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden +Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der +Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von +Oran), dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem +maechtigeren und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und +Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den +alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen +liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten +Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem +letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern +in der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand +ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 +Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt +worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des +in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag +eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine +Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet. + +Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem +Lager des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind +gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte +zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und +die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten +doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich +sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug. +Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war +er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur +Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich +mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung +aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen +Utica und Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier +verging dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der +ziemlich unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er +sich durch einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner, +eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig als ehrlich +angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und +derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der +Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu +helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die +Fluechtenden von den roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser +naechtliche Ueberfall war verderblicher als manche Schlacht. Indes die +Karthager liessen den Mut nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der +Furchtsamen, oder vielmehr der Verstaendigen, Mago und Hannibal +zurueckzurufen. Eben jetzt waren die erwarteten keltiberischen und +makedonischen Hilfstruppen angelangt; man beschloss, auf den “grossen +Feldern”, fuenf Tagemaersche von Utica, noch einmal die offene +Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen; mit leichter +Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die +zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die +Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach +hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach +dieser doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff +auf das roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte, +lieferte zwar kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes +Resultat und ward weit aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax, +die dem Scipio sein beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche +Massinissa das fuer die Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern +gewesen war. + +Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die +seit sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt +erheben und sich offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der +Patrioten. Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum +Tode verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand +und Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen +Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des +Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig +und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) - +Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass +die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in +Roms Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen +dieselben an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es +ging eine karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die +karthagische Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf +den Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen +auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte, +feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede +notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den +Untergang bringen musste. In der Buergerschaft hatte die +Patriotenpartei das Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber +den Frieden verhandeln zu lassen und mittlerweile sich zu einer letzten +und entscheidenden Anstrengung vorzubereiten. An Mago und an Hannibal +erging der Befehl, schleunigst nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit +drei Jahren (459-551 205-203) daran arbeitete, in Norditalien eine +Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben damals im Gebiet der +Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen Doppelheer +unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk ins +Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager +zu erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die +feindlichen Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des +geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das +phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste zurueckweichen. Hier +erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog ihn; Mago aber starb +waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal waere dem Befehl +wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten Verhandlungen mit +Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem Vaterland in +Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in Kroton, wo +er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er nicht, +ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die +italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen, +und bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft +stehenden Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der +gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch +niemand sich getraute, also freiwillig dem italischen Boden den Ruecken +wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen ueberlebenden unter den +roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit mit Ehren bestanden +hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat und +Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach +roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter +darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste +Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und +der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben +Jahre aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne +Zweifel nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein +durch seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und +betrat, der letzte von Hamilkars “Loewenbrut”, hier abermals nach +sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, +fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch so +durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts +ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See +einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er +hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft, +jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne +zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei +offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue +Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit +angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in +der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch +die Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten +roemischen Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines +roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der +Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus +seinem Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des +Bagradas (Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr +gewaehrte, sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in +Masse aufgreifen und verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland +eingedrungen und stand bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, +an der Grenze von Tunis und Algier), als Hannibal, der ihm von +Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm zusammentraf. Der +karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer +persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein +Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse +gegangen war, konnte nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich +zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen, und es ist nicht glaublich, +dass Hannibal bei diesem Schritt etwas anderes bezweckte, als der Menge +zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs unbedingt gegen den Frieden +seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und so kam es zu der +Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei +Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die +karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und +die phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das +dritte die Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie +standen die achtzig Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio +stellte gleichfalls seine Legionen in drei Glieder, wie die Roemer +pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten durch und neben der +Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu sprengen. Dies gelang nicht +bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts ausweichenden Elefanten +brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in Unordnung, so dass +gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das Eintreffen von +Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes Spiel +hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der +Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den +beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge +gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten an den zweiten +Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die karthagische +Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass sich die +Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der karthagischen +Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was von den +beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob +seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte +dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch +kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und links +an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben Walstatt +ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte Soldaten +wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei der +Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen +feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war +nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer +vernichtet; dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae +gewichen waren, hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer +Handvoll Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum. + +———————————————————————————- + +^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der +westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, +derjenige der Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit +ist der Fruehling oder Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des +Tages auf den 19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist +nichtig. + +——————————————————————————— + +Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur +Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des +roemischen Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, +die weder gedeckt noch verproviantiert war, und, wenn nicht +unberechenbare Zwischenfaelle eintraten, das Schicksal, welches +Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen, jetzt ueber Karthago walten zu +lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte den Frieden (553 201), +freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen. Ausser den +Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie fuer +Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig +Jahre eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler) +aufgelegt und mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder +seine Verbuendeten und ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in +Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis +Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich darauf hinauslief, dass +Karthago tributpflichtig ward und seine politische Selbstaendigkeit +verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden +verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen. + +Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des +schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an +einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige +Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein, wenn der +erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten scheint sie +nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse so, dass +der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung +ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege ein +Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser +entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen +selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also +die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt +war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie +zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste +ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte Krieg +viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago und dass +der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht erneuern +liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken, dass nur +die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten +und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und +Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der +vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das +Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, +gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen +Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen +Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen, +die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen +Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings +nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges +haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles +unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der +ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem +Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon +vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden +grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung +stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der +ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem +Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu +setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen +Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das +Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem +Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der +hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es +denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der +Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und +Ackerbaus voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen +Zivilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht +gekommen, wo die ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der +Zivilisation der Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig +glaubten von sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen. + +So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger +nennen, der Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom +Hellespont bis zu den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften +verheert hatte. Vor diesem Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht +hoeher gesteckt als bis zu der Beherrschung des Festlandes der +italischen Halbinsel innerhalb ihrer natuerlichen Grenzen und der +italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg auch beendigte mit dem +Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am Mittelmeer oder die +sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen gefaehrlichen +Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn gegeben +zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss +deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des +Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig +entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche +Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die Roemer in der +Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft ueber Italien +haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt haben; die Hegemonie +und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das Mittelmeergebiet ist +ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die Verhaeltnisse +zugeworfen worden. + +Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die +Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung +begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen +syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die +Begruendung des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die +bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung +Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; +mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den Westen des +Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige +Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das +im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das +demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte +der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das +Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang +bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution +vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft war +die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden +latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner +Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr +geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht +latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker +und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder +vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und +letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft +der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus +der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar +die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. +Den gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen +Auswaertiger oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur +oeffentlichen Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute +parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die Picenter am Silarus +behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die Bewohner zerstreut +in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch haerter; sie +wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht und +fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die +uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen +Staedte mit Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten +hatten, wie die kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel +weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer apulischer, +lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils Stuecke ihrer +Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker wurden neue +Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe +Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen +Sipontum (bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum +in dem ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur +Zwingburg bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der +vornehmen Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels +ward. Ferner ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia +(560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen +Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien +wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln +angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der +vornehmen Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der +Bauern. Es versteht sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der +Halbinsel die namhaften, nicht gut roemisch gesinnten Leute soweit +beseitigt wurden, als dies durch politische Prozesse und +Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien fuehlten +die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie +fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine +zweite Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller +Uebermut des Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen +Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte +roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon die Spuren; wenn die +niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem zuegellosen Witz der +roemischen Posse polizeilich freigegeben und die letztere geradezu +deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter darueber spassten, +dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste Rasse der +Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon +gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen +Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der +zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt die +aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen +Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die +Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200), +Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom +aus zugesandt wurden. + +Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen +Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen +Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um den vierten Teil +geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg +gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint danach durchaus nicht +uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust vorwiegend auf den Kern +der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse der Streiter +stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt die +Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123 +Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine +ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen +Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der +zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier +Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im +tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur +Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der +Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische +Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; +allein durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich +der Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten +gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge +bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und +verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung +durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition +buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das +letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in +Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff +gibt, dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 +Menschen wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich +ausdehnenden Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten +diese heillose Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich +in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege +aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst +geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt +werden koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden +hatten, das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die +Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Es war viel +verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk, dessen gesamte +dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch Schild und Schwert nicht +abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes wenn auch durch +wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen friedliche und +freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel +der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum +fremd: damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf +der Sieger war der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde +ihn zu benutzen, die latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, +Italien allmaehlich zu latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen +als Untertanen zu beherrschen, nicht als Knechte auszunutzen, die +Verfassung zu reformieren, den schwankenden Mittelstand neu zu +befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen; wenn man es +verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in denen +der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete +Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die +damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein +gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent +eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn nicht, nicht. +Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen Stimmen und die +trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die Krieger und Sieger in +ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke +an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die geloesten +Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und +endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die +geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus +des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen +zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen +hatte. + + + + +KAPITEL VII. +Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode + + +In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, +wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der +Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den +Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, +dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die +Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses mit +Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier die +Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den +eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden eines +karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in +Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554 +200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst +bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die +naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische +Jugend hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen +Behoerden als auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von “den +beiden Riegeln gegen die gallischen Zuege”, Placentia und Cremona, ward +der erste niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft +retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig +marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. +Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und +kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers +vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; +dem Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den +Toten, welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der +karthagische Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; +dasselbe roemische Heer, welches bei Cremona gesiegt, wurde das +naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch die Schuld des sorglosen +Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und erst 556 (198) konnte +Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der Bund der zu +dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die +Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten +nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch +Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, +indem sie waehrend einer Schlacht, die die Insubrer den Roemern am +Mincius lieferten, ihre Bundes- und Kampfgenossen von hinten angriffen +und aufreiben halfen (557 197). So gedemuetigt und im Stich gelassen, +bequemten sich die Insubrer nach dem Fall von Comum gleichfalls zu +einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche Rom den +Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie +den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden +pflegten; namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen +Italikern und Kelten gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass +nie ein Buerger dieser beiden Keltenstaemme das roemische Buergerrecht +solle gewinnen koennen. Indes liess man diesen transpadanischen +Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale Verfassung, so dass +sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und legte ihnen +auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen +Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden +Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige +Razzias in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien +abhalten. Uebrigens griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung +mit grosser Schnelligkeit um sich; die keltische Nationalitaet +vermochte offenbar bei weitem nicht den Widerstand zu leisten wie die +der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der gefeierte lateinische +Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586 (168) starb, war +ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang des +sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht +nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer +unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen +ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben. + +Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften +begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der +transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der +Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze zu +machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den +naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war, +zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der +Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen, +sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, +welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die +Helvetier (zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder +Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die +beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die +Versuche einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in +friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in +welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat +um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, +ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., +575 186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia +schon angelegt hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge +gestattete der Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die +Alpentore fuer die keltische Nation fortan geschlossen seien, und +schritt mit schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen +ein, die solche Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst +hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern +wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres +stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von +Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in +Italien einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem +aeussersten nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen +Kolonie Aquileia (571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den +Fremden fuer immer zu verlegen, sondern auch die fuer die dortige +Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene Meeresbucht zu sichern und der +immer noch nicht ganz ausgerotteten Piraterie in diesen Gewaessern zu +steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias veranlasste einen Krieg +gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der Erstuermung einiger +Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt war und durch +nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die Kunde +von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll +Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief. + +Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der +roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, +die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter +Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und +ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen +(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und +wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die +ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward +die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer +siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern +eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald +das roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der +Bevoelkerung sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom +berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier +nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie +sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer +forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht +verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den +Boiern blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren +Besiegern ^1. + +———————————————————- + +^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern +ueber die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung +im heutigen Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche +in der augustischen Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten +angegriffen und vernichtet wurde, dieser Landschaft aber den Namen der +boischen Einoede hinterliess. Dieser Bericht passt sehr wenig zu der +wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen Jahrbuecher, nach der man +sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des halben Gebietes; +und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in +der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden +doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und +Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger +rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen. +Anderseits fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am +Neusiedler See herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals +in Bayern und Boehmen sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts +draengten. Ueberall aber ist es sehr zweifelhaft, ob die Boier, die man +bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet, wirklich auseinandergesprengte +Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine Namensgleichheit +obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen als auf +einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den +Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten. + +———————————————————— + +Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die +Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen +Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert +und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei +dem ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; +570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen +boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) +und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem +Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch +diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage +der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische +Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der +Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die +Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon +laengst Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 +(171) von der roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon +567 (187) aber die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia +bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine +kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch +diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des +keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und +ersetzt durch den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die +italische Stadt-, jenseits desselben wesentlich die keltische +Gauverfassung, und es war ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das +Gebiet zwischen Apennin und Po zur keltischen Landschaft gerechnet +ward. + +In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel +hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen +waren, verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst +nordwaerts vom Arno wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich +die Apuaner, die, auf dem Apennin zwischen dem Arno und der Magra +wohnend, einerseits das Gebiet von Pisae, anderseits das von Bononia +und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was hier nicht dem Schwert der +Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend von Benevent +uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die +ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr +eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das +Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577 +(177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit +Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen +die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen vortrefflichen +Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia und nach Spanien +die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der Kuesten- oder +Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber Florenz +nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und +Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit. + +Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen +Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren +unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die +Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren +Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden +indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht +bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen +Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine +Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von +Luna ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen +freizumachen - jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den +roemischen Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die +Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen +Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und +verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als +Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. + +Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die +Korsen und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche +die gegen sie gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der +Kuestenstriche vergalten. Im Andenken geblieben ist die Expedition des +Tiberius Gracchus gegen die Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der +Provinz den “Frieden” gab, sondern weil er bis 80000 der Insulaner +erschlagen oder gefangen zu haben behauptete und Sklaven von dort in +solcher Masse nach Rom schleppte, dass es Sprichwort ward: +“spottwohlfeil wie ein Sarde”. + +In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, +ebenso kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der +karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt +bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer +roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des +Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert +bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen +garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der +karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere +sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu +erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat +den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische +Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags +sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen +Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen +und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse +ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie +ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter +und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit +war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago +sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil +seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von +den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So +gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die +Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in +den groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren, +erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig +Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging +nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder +zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein +Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu +regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel +sie einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen +Untertanen zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. +Aber die roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten +geradezu Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in +Aussicht gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm +bestimmte Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das +allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das +Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser +Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt +worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass +entweder roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach +gruendlicher Untersuchung zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den +Verhandlungen in Rom Massinissas Beauftragte Mangel an Instruktionen +vorschuetzten und die Sache vertagt ward. Nur phoenikische Geduld war +imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu schicken, ja dabei +den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie begehrten und +nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen und +namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen. + +Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und +Ergebung. Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer +Spitze stand der Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den +Roemern furchtbar blieb. Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung +der leicht vorauszusehenden Verwicklungen zwischen Rom und den +oestlichen Maechten noch einmal den Kampf aufzunehmen und, nachdem der +grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne wesentlich an der +karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen Kampf vor +allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der Not +und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen +maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die +Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den +grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener Einnahme Roms und +Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer verbrecherischen +Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte Oligarchie wurde auf +Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein demokratisches +Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der Buergerschaft +angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch Beitreibung der +rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch Einfuehrung einer +besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die roemische +Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit +ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben +damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien +zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es +war keine eingebildete Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien +landen und ein zweiter Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen +koenne, waehrend die roemischen Legionen in Kleinasien fochten. Man +kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach +Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt war, Hannibals +Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen Oligarchen, die +Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie gestuerzt, +wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten dem +Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen +waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener +Gesandtschaft ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des +maechtigen Volkes vor dem einfachen Schofeten von Karthago lag, so +begreiflich und ehrenwert es ist, dass der stolze Sieger von Zama im +Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden Schritt, so war doch +jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte Wahrheit, +und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische +Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats +dulden konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der +feindlichen Regierung fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. +Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg gefuehrt hatte, so +hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Besiegten trifft. Die +Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem Stern danken, +dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient +die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die +mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat +verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. +Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter +sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz +verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt. + +Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich +verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht +aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort +die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des +ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet +haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als +in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche +damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an +Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der +Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch +gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb +das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie +nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig die +Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit +Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom +wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die +regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der +gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die +roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch +jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten +Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu +erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die +karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201) +stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, +denen an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an +den Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die +Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die +Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen +Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald +hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago +blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen +Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer +nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus +Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, +die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). +Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als +hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber +waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von +roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die +Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in +ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht +fertig zu werden sei. + +Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso +dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben +ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage +ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich +selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die Griechen und Roemer +die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, die Araber Berber +nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als “Hirten” (Schâwie) +bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt sind. +Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner +anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten +diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar +an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, +aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die +Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das +phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation +ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs +ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen +Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte +unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen +Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz +entbehren zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem +dieselbe auf Afrika beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der +gequaelten Stadt jede freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man +suchte, fand man bei den eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des +Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen Eingeborenen unter +drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge Fuersten +gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom +Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der +marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler, +Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge +(Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran +und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der von dem +Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der heutigen +Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der Koenig von +Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und Karthago +ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in der +Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der +Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den +Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte +(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht +um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. +Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft hat +Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt. +Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter, +maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu +ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und +vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen +Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als +Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der +schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande +Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer +ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar +ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den +Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern +aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch +bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, ward +dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es +schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in +ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie +in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er +starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im +sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz +seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen +einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und +gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt +worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer +Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer +Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende +Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und +stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem +einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere +Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem +Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte +er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass +sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze +erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste +und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet +keinen Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die +libysche Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die +Schmaelerung des Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden +Hirten wurden durch ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem +Beispiel des Koenigs, der weithin die Felder urbar machte und jedem +seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess, fingen auch seine +Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie +seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in +Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, +und hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, +ein wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz +Cirta (Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen +Staates und ein Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem +Hofe des Berberkoenigs eifrige und wohl auch auf das kuenftige +karthagisch-numidische Reich berechnete Pflege fand. Die bisher +unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch in ihren eigenen +Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie Gross-Leptis, +drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an, unter der +Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die +karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika +Fremdlinge seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der +nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende +phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger +das Werk der Karthager als das des Massinissa. + +In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der +Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so +bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber +ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen +zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem +bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte, +durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als +Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde, +sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen +machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs +an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren +Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine +deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine +weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des +Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in +mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe +Zeit hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das +phoenikische Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um +Sevilla) ist sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein +metrisches Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche +Aufzeichnungen besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die +zivilisierteste unter allen spanischen genannt und zugleich die am +wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit +fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl auch +Polybios’ Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand des +Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an +Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, +und von den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen +Kruegen voll “Gerstenwein”. Auch die Kulturelemente, die die Roemer +mitbrachten, fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass +frueher als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in +Spanien die Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in +dieser Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei +den Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach +weit frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht +bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen +Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das +sogenannte “Silber von Osca” (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst +spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195) +erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb +nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen +Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und +oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen +Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, +dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war +dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von +zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei +Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um 600 +(154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und sich +ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen. +Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der +Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn +in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von +den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste +Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren +gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von +Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern +wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein +bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner +bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel +und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig +Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine +keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem +roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen +Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde +es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig es +nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die +Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden +Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der +Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, im +Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: +entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische +Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte +sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu +Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu +brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz +in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon +zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei +den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen +aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens +Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der +seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae +an der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren +spanischen Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der +Spitze der Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer +getrennt wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer +Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten +bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische +Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur +zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll +Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote +sollten denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt +werden. Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die +Spanier nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter +Hannibals Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht +sich als nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen +Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren +gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die +roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich +militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so +haetten sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich +entledigen koennen; aber ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als +des Soldaten und es mangelte ihr voellig der politische Verstand. So +kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem +ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz +richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer +erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen +fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein +geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und +zu zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich +genuegende, eine umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen +Ziel der roemischen Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit +Palliativen verfahren. + +Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in +Spanien erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals +karthagische Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften +Andalusien, Granada, Murcia und Valencia umfasste, und die +Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und Katalonien, das +Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten Krieges; aus +welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und +Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den +beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen +Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische +Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen +Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und dem +spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet +abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den +Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich +beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war +indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem +Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der +Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner +jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein +roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr aus +Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur +Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der +Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von +grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem +Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend und +infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte +roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche +Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen +Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu +halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der +unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war +schlechterdings unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr +gefaehrlich, sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische +Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein +fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch +fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen +Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich +weigerten, die Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten, +meuterten diese und drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, +ihn sich selber zu nehmen. + +Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, +kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit +Scipios Abreise und waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. +Nach dem Frieden mit Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel +die Waffen, jedoch nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in +beiden Provinzen eine allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der +Jenseitigen ward hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig +ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst +anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor Quintus +Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der +Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu +senden. Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze +Diesseitige Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese +Hafenstadt und im inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet +wurden. Es kam zur offenen Feldschlacht zwischen den Insurgenten und +dem konsularischen Heer, in der nach hartem Kampf Mann gegen Mann +endlich die roemische Kriegskunst mit der gesparten Reserve den Tag +entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte darauf seine +Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich +gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom +sofort der Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch, +und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt +hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei verkauft hatte, +ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in der diesseitigen +Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der Eingeborenen von +den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre Mauern an einem und +demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie weit das Gebot sich +erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen; die meisten +Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen wagten es +nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern +erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. + +Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen +Erfolg. Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der +“friedlichen Provinz” ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam +zu bringen, und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige +Provinz fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum +Beispiel 563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager +im Stich lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften +zurueckkehren musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius +Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der +tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die +Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen +Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber +die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus +Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) +wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und +besonders durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, +178), welcher mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert +spanische Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen +auf die Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge +erreichte. Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer +Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den +schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die +spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem +Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der +einzelnen Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise +Vertraege regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger +Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, +und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches +Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein. + +————————————————————- + +^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer +in der Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum +aufbewahrten Kupfertafel zum Vorschein gekommen: “L. Aimilius, des +Lucius Sohn, Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta +[durch Muenzen und Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] +wohnhaften Sklaven der Hastenser [Hasta regia, unweit Jerez de la +Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die Ortschaft, die sie zur +Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und haben, so lange es +dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im Lager am +12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. “ (L. Aimilius L. f. inpeirator +decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana habitarent, +leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent, +item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet. +Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische +Urkunde, die wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als +der bekannte Erlass der Konsuln des Jahres 568 (186) in der +Bacchanalienangelegenheit. + +———————————————————- + +Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem +sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung +ward wie hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die +zuerst im Jahr 557 (197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die +Grenzregulierung und die definitive Organisierung der neuen Provinzen +faellt. Die verstaendige Anordnung des Baebischen Gesetzes (573 181), +dass die spanischen Praetoren immer auf zwei Jahre ernannt werden +sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den hoechsten +Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung +der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und +es blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen +eintraten, auch hier bei dem fuer diese entfernten und schwer +kennenzulernenden Provinzen besonders unvernuenftigen jaehrlichen +Wechsel der roemischen Statthalter. Die abhaengigen Gemeinden wurden +durchgaengig zinspflichtig; allein statt der sizilischen und +sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von den +Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen +Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen +auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat +infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr 583 +(171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als +gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter +nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der +eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht +einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen +Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz +andere Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es +ward dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das +Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den +spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier +keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch +genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr der +Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst +schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von +Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen +Kuestenplaetze griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, +wie Saguntum, Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der +roemischen Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen +wurden. Im ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch +sowohl wie finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage +liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik +der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser +beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden +Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, +selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, +welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung +namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel +mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die +Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an +Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in +Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht +loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs der +Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben. + +————————————————————————- + +^3 1. Makk. 8, 3: “Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im +Lande Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben +daselbst.” + + + + +KAPITEL VIII. +Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg + + +Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein +Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, +den ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der +Zeit, bei wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den +Orient zu hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau +eines hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- +und Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute +nach Massalia und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt +hatte, hielt jetzt fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in +dem alten Reich der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen +griechische Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den +grossen Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander +und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen +selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten +ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und +Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 +(220) dort den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, +was es gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: +ein gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der +Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, +nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die +Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen +Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss +ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil +desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum +Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel +Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika +und im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge +Sunion, Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle +diese Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und +empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen +Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, “die +drei Fesseln der Hellenen”. Die Macht des Staates aber lag vor allem in +dem Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung +dieses weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller +Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als +ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es +ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von +der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall +hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im +eigentlichen Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation +zerruettet war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben +kaum mehr der Muehe wert schien, selbst von den Besseren der eine ueber +dem Becher, der andere mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe +den Tag verdarb, waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen +unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente +aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft +und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum +genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die +Schulmeister zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand +rein griechischen Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand +dagegen im noerdlichen Griechenland noch ein guter Teil der alten +kernigen Nationalitaet, aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen +waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die Makedonier, die +Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als ein +besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene +Rolle, welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia +spielen. Die Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der +laengere Zeit in Makedonien gelebt und dort Landessitte und +Landestracht angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt +heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Sklaven +achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte Nationalsinn +kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und geordnetsten +der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier der +Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische +Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien +keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt +sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, +wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und +die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten +Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines +dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare +grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion +gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu +unvergaenglicher Ehre. + +Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das +oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des +“Koenigs der Koenige”, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine +Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben +Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und mit +derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder +abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien +griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum +Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze +Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den +Haenden einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen +Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von +Pergamon, und die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils +frei, so dass dem Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere +Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu +realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und +gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem +Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen +Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in +dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern, +in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig +gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den +Emanzipationsversuchen der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen +Griechen zu steuern, und in den Familienzwisten und +Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem der +Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die +absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein +die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil +sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung +einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren +pflegten. + +Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein +festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst +der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen und +religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft +begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder +Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte. +Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf +ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in +Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und +diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in +Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den +Staat laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der +erste Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich +aeusserst brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens +vor den beiden grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik +nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke +verfolgte. Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem +Alexander seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als +unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten +und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht +her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine +Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung +getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und +dem Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und +machten Aegypten zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und +zum Herrn des oestlichen Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es +ist bezeichnend, dass Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen +freiwillig an Seleukos Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von +Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch die guenstige geographische +Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine +vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. +Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande +war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich +zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene +sich festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der +phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von +Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch +die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren +Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen +ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie +einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner +auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente +Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster +Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und +diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen +und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte +nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den +Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, +sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und +grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen +Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur +Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. +Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische Kunst +und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu +fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr +der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet +Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen +unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister +Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten. + +Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem +Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer +monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen +Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter +hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes +und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, +waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander +rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren +gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten +oder doch haetten zusammenhalten sollen. + +Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens +mit dem Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, +welche vom suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich +hinziehend das Innere und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: +Atropatene (im heutigen Aserbeidschan suedwestlich vom Kaspischen +Meer), daneben Armenien, Kappadokien im kleinasiatischen Binnenland, +Pontos am suedoestlichen, Bithynien am suedwestlichen Ufer des +Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen Perserreiches und +beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen Dynastien, die +entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte +Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug +spurlos voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen +und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die +in Asien an die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte. + +Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der +Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne +zwischen Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei +keltische Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich +ansaessig gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und +Sitte noch von ihrer Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. +Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem der vier Kantone eines der drei +Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem Rate von dreihundert Maennern +die hoechste Autoritaet der Nation und traten auf der “heiligen +Staette” (Drunemetum) namentlich zur Faellung von Bluturteilen +zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den Asiaten +erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die +Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren +unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils +die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder +brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der +allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der +asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische +Heer von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I. +Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) +zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden. + +Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden +verdankte es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von +seiner Vaterstadt den Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen +vererbte. Dieser neue Hof war im kleinen was der alexandrinische im +grossen; auch hier war die Foerderung der materiellen Interessen, die +Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung und das Regiment +eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren wesentlicher +Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen festlaendischen +Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen Griechenstaat im +westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz trug viel +zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den +syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter +unter den roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst +Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, +das die verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den +Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen hatten, von den +Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente (51000 Taler) +an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und des +Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom +staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich +mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de’ +Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, und +das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des +Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach +sehr ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. + +In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen +Besitzungen an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich +in Kerkyra roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem +unmittelbar makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine +eigene Politik zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im +noerdlichen, die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die +Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen +waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher +Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie +der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch +makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine +von ihnen. Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum +Teil aussah, dafuer mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo +es freilich am aergsten zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, +das nicht in gerader Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu +vermachen, und es fuer die Bewerber um die Staatsaemter manches +Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich verpflichteten, +keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die Ausklagung seiner +Schuldner zu gestatten. + +Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt +zu werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes +waren voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und +Poesie hob diese unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter +einer Reihe von Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. + +Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das +kraeftige Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich +ausgeartet in wueste Zucht- und Regimentlosigkeit - es war +Staatsgesetz, dass der aetolische Mann gegen jeden, selbst gegen den +mit den Aetolern verbuendeten Staat als Reislaeufer dienen koenne, und +auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen, dies Unwesen +abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man +Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem +Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem +Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte +Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der +achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen +den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten. + +Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des +eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, +Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten +Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit +derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch +Aratos’ diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch die +leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung +makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie +so vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der +Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort +jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die +schwaecheren Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden +durch ihre alte, namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte +Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft in ihrer Politik +bestimmt und waren aetolisch und antimakedonisch gesinnt, weil die +Achaeer es mit Philippos hielten. Einige Bedeutung unter diesen Staaten +hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des +Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer +dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen er nicht +bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der +Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss +geradezu eine Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung +mit der grossen Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er +auch einige Ortschaften besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine +Piratenschiffe am Vorgebirge Malea waren weit und breit gefuerchtet, er +selbst als niedrig und grausam verhasst; aber seine Herrschaft breitete +sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama war es ihm sogar +gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen. + +Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die +freien griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis +sowie auf der ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des +Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich die lichteste Seite in dieser +trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen Staatensystems, namentlich +drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode wieder volle Freiheit +genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu einer achtbaren +politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt waren: +Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die +Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer; +Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin +Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich +und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die +makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren durch ihre glueckliche +Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des Verkehrs in dem ganzen +oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige Flotte wie der in der +beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der Buerger setzten +sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle +vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und +wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit +den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu +gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze +Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen +womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen Kueste +nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten ihn, +wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten hin, +mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten standen +sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung bei +den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten ihre +Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich der +griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen, +Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den +Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige +gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, +Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. +Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren +nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu +erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten; gegen +etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald +energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren die +Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos +nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben +durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen +Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre +nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit der +Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die +Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten oder +nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser +eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, +sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen +verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen +die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern +herum die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe +Buergersinn und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier +Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten +oder von der Hofluft korrumpiert zu werden. + +Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand +zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte, +zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst wurden, in die +Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah und wie der +Erste Makedonische Krieg (540-549 214-205) verlief, ist zum Teil schon +erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im Hannibalischen Kriege +haette tun koennen und wie wenig von dem geschah, was Hannibal hatte +erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder einmal sich gezeigt, +dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist als die +absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien +damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein +rechter Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das +lebhafte Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug +seines Wesens; er war stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf +ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit +des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch einen hohen Sinn +in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten, wo immer sein +makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz gewann +er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und +gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein +guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang +gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und +frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er +pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die Goetter; aber es +schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen sein +Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die +Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben +seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch +verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos +durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu +befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den +Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass +ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes +Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den +Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren +und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein +Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur +Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten +Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann +niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei +und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich +erklaert, dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher +berufen ward und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch +Widerreden und Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle +selbstaendigen Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele +mitgewirkt haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des +Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen - +vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die +nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst +Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und +Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass +sein spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an +dessen Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte. + +Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49 +(206/05) in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu +machen und sich kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens +zu widmen. Es leidet keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche +Ueberwaeltigung ungern sah; es kann auch sein, dass Hannibal auf eine +zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im +stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein +sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich +einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das +voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie +doch nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass +Philippos keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn +Jahre zuvor haette tun sollen. + +Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos +Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen +Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die +Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich +vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen den +Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte +aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und +die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos’ Art, der ueber +solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss +ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, “eben wie die grossen Fische +die kleinen auffressen”. Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig +gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des +naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen +Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf +diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo +Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine +von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord +nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward +Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu +Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit +den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit +Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert. +Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig +Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half +Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen. +Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und dem +Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose +Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu +besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische +Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals +die Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, +deren Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig +vereitelt worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen +die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich +konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische +Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit +dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich +nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, +dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen +Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. +Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios; man +musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos, +ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr +zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln +einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und +erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der +hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos’ persoenlicher und +politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der +aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der +seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst +vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich +begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit +zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit +zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um +sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein +die rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht +in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war +geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus +und Philippos’ Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er +endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, +wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 +Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden +gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann +und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von +seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff +bei Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von +Rhodos, dessen Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht +entschieden hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So +konnte, waehrend Attalos’ Flotte in die Heimat ging und die rhodische +vorlaeufig bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg +zuschrieb, seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um +die karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten +die Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen +Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel Lade +vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich +zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn +waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, +besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos +die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland +die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen +Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht +vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, +so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken +koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und +Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; aber +jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der +Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu +geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte +den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in +der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und +die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder +Zwang. Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; +Philippos musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig +gegeben hatte, und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu +bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der +Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des +Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden +ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den +Rueckzug abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu +nehmen, waehrend doch die Angelegenheiten daheim, namentlich die +drohende Intervention der Aetoler und der Roemer, seine Rueckkehr +dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr; er liess Besatzungen, +zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in Schach zu +halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia, +Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in +Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der +Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten, +gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor dem Winter +553/54 (201/00) zu Hause zu sein. + +In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, +welches ihm nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen +Aegyptens fortzusetzen. Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den +Frieden mit Karthago auf ihre Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen +an, sich ernstlich um diese Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es +ist oft gesagt worden, dass sie nach der Eroberung des Westens sofort +daran gegangen seien, den Osten sich zu unterwerfen; eine ernstliche +Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil fuehren. Nur die stumpfe +Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser Zeit noch keineswegs +nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts +weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland ungefaehrliche +Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war Makedonien +nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist +augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49 +(206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern +gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien +in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe und doch +nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom +den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl eine +Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in +Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm zu +teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort +freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch +nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen +Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer +Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der +gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der +Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen, +der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber +jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre +549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein +unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des +kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die +neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. +Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die +Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel +tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig +zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen +Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen +Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies +die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn +schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und +Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm +ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die +Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, +dass dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, +dass in dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede +andere Nation und wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es +ist seltsam, den Roemern das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte +Behandlung der Kianer und Thasier in ihren menschlichen wie in ihren +hellenischen Sympathien sich empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in +der Tat alle politischen, kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom +zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen, einem der +gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur +hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die +Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen +Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553 +(201) erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der +sizilischen Flotte von 38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die +Regierung in Verlegenheit, einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu +machen, dessen sie dem Volk gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn +sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen waere, um die +rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos’ Art gering zu +schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom +den Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. +Die roemischen Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten +sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe. +Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter an der Spitze des +illyrischen Aufgebots Philippos’ Scharen aus dem illyrischen Gebiet +hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten des Koenigs 552 +(202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn frueher finden, als +ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts als die +gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte; +eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur +Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den +saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische +Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen +den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und Pergamon, die +begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe zu erbitten, +waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn auch alexandrinische +Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft ueber das +koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich +beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention +zwar die augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der +grossen westlichen Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber +haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden +muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit Asien und Makedonien zugleich +verwickelt haben, was man natuerlich um so mehr zu vermeiden wuenschte, +als man fest entschlossen war, wenigstens in die asiatischen +Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig, als +vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von +Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es +die Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten +geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem +man ihm Syrien preisgab, teils endlich den Bruch mit Philippos +moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der +griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553 +201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der +Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus +aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als “Vormund des Koenigs” +dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche +Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit +Philipp nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten +Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus +Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien +nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und +liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen. + +Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte +aufs neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, +wo er die saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, +Elaeos, Sestos besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor +einer roemischen Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der +asiatischen Kueste Abydos an, an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, +da er durch den Besitz von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen +Antiochos in festere Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten +brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus +Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das +schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte; +Philippos beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen, +Andros, Kythnos und Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe +auszuruesten. Die Rhodier gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo +Attalos, der den Winter ueber bei Aegina gestanden und mit den +Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben hatte, mit seinem +Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen, den +Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen; +allein die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich +die Stadt, nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und +nach der Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand +gefallen waren, der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den +Abydenern drei Tage Frist gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. +Hier im Lager von Abydos traf die roemische Gesandtschaft, die nach +Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und Aegypten die griechischen +Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem Koenig zusammen und +entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der Koenig solle +gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die dem +Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den +Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein +Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur +foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der +roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die +feine Antwort, dass er dem jungen schoenen roemischen Mann wegen dieser +seiner drei Eigenschaften das Gesagte zugute halten wolle. + +Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer +anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und +grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen, +weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die +Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von Philippos begehrten, dass er +ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner +treuesten Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen, in +Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren eigenen Leuten +ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika einzufallen. Zwar war dies +nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es liess auch der Fuehrer +der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden Worte der gerade in +Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen den +Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine +athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps +auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie +der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand; +weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen +Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische +Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. + +Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) +die Kriegserklaerung “wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten +Staat” vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast +einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen +querulierten ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; +aber der Krieg war einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, +so dass der Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft +ward durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist +bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der +Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen +Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen - +die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien, +zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom +Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber +entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg +aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher +fand, meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im +Herbst 555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von +Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen +gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei +in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem +Konsul Publius Sulpicius Galba. + +So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die +weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine +Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren +kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen schlechterdings +nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen in die +Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch +notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der +latinischen Bundesgenossen fuehrte. + +Philippos’ Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede +Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen +Umstaenden auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren +hauptsaechlich durch seine Schuld so untereinander verhetzt, dass sie +die roemische Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu foerdern +geneigt waren. Asien, Philipps natuerlicher und wichtiger +Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden und ueberdies +zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen Krieg an +taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse +daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt +noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu +verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den Roemern die +Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der zwischen Asien +und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber Aegypten warf +diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme und erzwang die +Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in die +Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit +Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter +gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, +Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das +Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber +Philippos’ grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu +einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung +wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln. +Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort +eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, +gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der +antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und +Aetolern, haette Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, +da der Friede von 548 (206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen +tiefen und keineswegs aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen +von den alten Differenzen, die wegen der von Makedonien der aetolischen +Eidgenossenschaft entzogenen thessalischen Staedte Echinos, Larissa +Kremaste, Pharsalos und des phthiotischen Thebae zwischen den beiden +Staaten bestanden, hatte die Vertreibung der aetolischen Besatzungen +aus Lysimacheia und Kios bei den Aetolern neue Erbitterung gegen +Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten, sich der Ligue gegen ihn +anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich in der +fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern. + +Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das +makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, +Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter +unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die +roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig der +Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den +Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils viele +verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der +Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens +(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen +regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich +selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos’ Zeit, blind +der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische +Eidgenossenschaft, die von Philippos’ Vergroesserungssucht weder Nutzen +noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom +unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff, +was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit +den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und +begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern zu +vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der +einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen +Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; +die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste +Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - +es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht +aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. + +Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius +Galba mit seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar +mit Elefanten, die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei +Apollonia; auf welche Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach +Thessalien zurueckkehrte. Indes teils die schon weit vorgerueckte +Jahreszeit, teils die Erkrankung des roemischen Feldherrn bewirkten, +dass zu Lande dies Jahr nichts weiter vorgenommen ward als eine starke +Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden Ortschaften, namentlich +die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden. +Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren, namentlich +mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten +Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, +ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet. + +Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck- +und 80 leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei +Kerkyra fuer den Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius +Claudius Cento nach dem Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand +zu leisten. Da Cento indes die attische Landschaft gegen die +Streifereien der korinthischen Besatzung und die makedonischen Korsaren +schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und erschien +ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in +Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen +aufbewahrt wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen +roemischen Angriff erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen, +die Besatzung niedergemacht, die Gefangenen befreit und die Vorraete +verbrannt; leider fehlte es an Truppen, um die wichtige Position zu +halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach Philippos in +ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf nach +Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die +Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. +Allein die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich, +so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius +Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum +Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in Griechenland; aber +politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich gering. Umsonst +versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen; und ebenso +vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus sowie ein +zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als seine +begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der +Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und +nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem +Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem +Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der +kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen +Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen: +in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in +oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der +Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her +sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme +am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, +die der Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und +durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an +die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, +diese uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war +ihm entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach +bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige +Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer +fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen +Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die +Lager schlugen. Philippos’ Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung +der noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa +20000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso +stark. Indes die Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in +der Heimat fechtend und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe +den Proviant zugefuehrt erhielten, waehrend sie sich so dicht an die +Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht wagen konnten, zu +ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot die +Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und +die Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin +einige Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba +war genoetigt, sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei +Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von wo er leichter sich +verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier wurden die +ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der Reiterei +der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen und +trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen +war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst +das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner +Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die +Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten Nebenangriffe der +Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der makedonischen +Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet moeglichst starke +Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere Soeldner +hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den +Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er +selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und +ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der +pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der +Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete +Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen +Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von +Thasos und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias +aufgestellte Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als +zweifelhafte Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten +diese ploetzlich dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit +den Athamanen vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die +Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und +die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in +den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der +Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten. + +Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in +oestlicher Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich +unvermuteten Einfall der Aetoler zurueckzuschlagen oder um das +roemische Heer sich nach und ins Verderben zu ziehen oder um je nach +den Umstaenden das eine oder das andere zu tun, ist nicht wohl zu +entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so geschickt, dass +Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen, seine Spur +verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die +Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu +erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen +einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten +Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich +unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier +wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute. +Indes wenn auch Philippos’ Heer nach diesem ungluecklichen Treffen +nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu +wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und +feindlichen Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und +kehrten zurueck nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren +Landschaften Hochmakedoniens Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und +die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer +Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war +die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im +illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen +Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem +aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen. + +Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht, +sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen, +die in der Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das +reiche Tal des Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug +sie vollstaendig und noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den +wohlbekannten Bergpfaden zu, retten. Durch diese Niederlage und ebenso +sehr durch die starken Werbungen, die in Aetolien fuer aegyptische +Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der Eidgenossenschaft +nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der leichten +Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber +die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel +aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea +und Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische +Halbinsel, die aber die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig +zurueckwies. Der Rest des Sommers verging mit der Einnahme von Oreos +auf Euboea, welche durch die entschlossene Verteidigung der +makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache +makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und +wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen +diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und +Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat. + +Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich +Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst +beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling +aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der +Aetoler und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea +haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet +wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck +verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet +vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich +vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze +gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den +Aetolern zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos +vergeblich zu den Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm +vereinigte, so durfte er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen +Augenblick, als schicke dieser sich dazu an; sein Heer erschien in +Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von +den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich +nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten +Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos’ Gebiet geraeumt +ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen. + +Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut +oder Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer +und der Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen +Plaetze und des verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert +hatte, im naechsten Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive +ergriff und in die atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen +Pass, wo sich der Aoos (Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos +durchwindet, ein wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber +lagerte das durch neue Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, +ueber das zuerst der Konsul des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann +seit dem Sommer 556 (198) der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius +Flamininus den Oberbefehl fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst +dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der juengeren Generation, welche +mit dem altvaeterischen Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von +sich abzutun anfing und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an +sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und +besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der +schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch +waere es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn +die Wahl auf einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann +gefallen und ein Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine +Schmeichelei bestochen noch beissende Spottrede verletzt haette, der +die Erbaermlichkeit der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber +literarischen und kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der +Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern aber es erspart haette, +unausfuehrbaren Idealen nachzustreben. + +Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine +Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich +gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich, +alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen +Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu +unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen, +namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. +Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne +dass Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder +den Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige +Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die +Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten +Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten +auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300 +Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie +alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das +Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen +herabsteigenden roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor +Lager und Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis +an den Pass Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen +anderen Besitz gab er auf bis auf die Festungen; die thessalischen +Staedte, die er nicht verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur +Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils +durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch Flamininus’ +geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom +makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht +vom Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen, +und die Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt, +allein die festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von +Philippos Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand +oder widerstanden sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am +linken Ufer des Peneios, wo in der Bresche die Phalanx statt der Mauer +stand. Bis auf diese thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen +Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition. + +Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die +durch das Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die +Verbindung unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch +immer wesentlich in makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss +sich, da es doch zu spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien +einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte gegen Korinth und die +Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen und +pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit +beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und +Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes +ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem makedonischen +Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt wurden. Die +vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem oestlichen +Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der anderen +Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in +der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend, +namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier +ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen +Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte schon an +ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte, +aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am +engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme, Megalopolis und Argos +die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss dieselbe den Beitritt zu der +Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere Fuehrer der +makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer +vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth +zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen +die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde +zugesichert worden war. Die makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann +stark war und grossenteils aus italischen Ueberlaeufern bestand, +verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam +von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung von 1500 Mann, die +nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das Gebiet der Achaeer +eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch gesinnten +Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung +war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des +Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der +Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen +Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur +deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den +Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich +befand. Allein Philippos’ Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als +dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu schlagen Lust +verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, allein er +verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus, welcher in +der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg begriffenen +Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und +Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte. + +So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich +einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea +am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich +und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen, +indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und +Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die Roemer als +die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche +Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um durch +die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen die +Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten +gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht +ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen +Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen +Waffenstillstand zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. +Im roemischen Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle +seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos’ +Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie +Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, +Chalkis und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach +man sofort die Unterhandlungen ab und beschloss die energische +Fortsetzung des Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem +Senat, den so nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und +Flamininus das Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende +Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba +und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu +stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu +wagen. Um Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme +der Akarnanen und Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die +Besatzung von Korinth bis auf 6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, +die letzten Kraefte des erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder +und Greise in die Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, +darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So +begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der +Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im +eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der +boeotischen Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen +sahen, dem Buendnis gegen Makedonien wenigstens dem Namen nach +beizutreten. Zufrieden, hierdurch die Verbindung zwischen Korinth und +Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach Norden, wo allein die +Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten der Verpflegung +des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die schon +oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen, +indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika, +Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die +Entscheidung kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, +ungeduldig und zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten, +den Feind an der makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion +sein Heer gesammelt hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien +ein und traf mit dem ihm entgegenrueckenden feindlichen Heer in der +Gegend von Skotussa zusammen. Beide Heere, das makedonische und das +roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten und Athamanen und die von +Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen ansehnlichen +aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr gleich +viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei +dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des +Karadagh, traf waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab +unvermutet auf den feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern +gelegenen, hohen und steilen Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt +hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung +aus dem Lager von den leichten Truppen und dem trefflichen Korps der +aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits den makedonischen +Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden wiederum die +Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem groessten +Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich +vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager +zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht +die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten +haetten, bis Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte. +Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes +fordernden Truppen gab der Koenig nach und ordnete auch seine +Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder Feldherr noch +Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu +besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der +rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh +genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu +stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten +Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel +heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der +Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem +linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte der +Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten +Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und +gleichzeitig die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und +ihnen in die Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche +Angriff der Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke +Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel +liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der +Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und +waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen +rechten Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in +Unordnung kamen, gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der +rechte Fluegel der Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem +feindlichen linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel +standen, vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend +hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener +roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen +auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken +verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im +Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und +mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen +Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 +teils gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens +gefallene, weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der +Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der +Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle +seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte +er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck. + +Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch +andere Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in +Karien schlugen die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische +Korps und zwangen dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die +korinthische Besatzung ward von Nikostratos und seinen Achaeern mit +starkem Verlust geschlagen, das akarnanische Leukas nach heldenmuetiger +Gegenwehr erstuermt. Philippos war vollstaendig ueberwunden; seine +letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben sich auf die Nachricht von +der Schlacht bei Kynoskephalae. + +Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: +sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich +Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies +Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess +das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten +niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das +bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern +gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft. +Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der +griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu bieten, +dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen +Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine +hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso +sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl +verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der “Sieger von +Kynoskephalae”, wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass +es nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien +sie ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein +Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen +Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf +die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus +gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter seines +Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den +Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien +hinauszuschlagen. + +Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen +Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn Personen +uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. Philippos +erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago gestellt worden +waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in Kleinasien, Thrakien, +Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; dagegen blieb +das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige unbedeutende +Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward - +eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die +die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem +Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von +ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner +verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms +abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner +nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt +gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber +5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu +unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat +Philippos mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf +Verlangen Zuzug zu senden, wie denn gleich nachher die makedonischen +Truppen mit den Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine +Kontribution von 1000 Talenten (1700000 Taler). + +Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet +herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte, +um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man +dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die +Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass ueberseeische +Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die ueberhaupt +keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen +nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre +Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten +Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; +und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den +Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). +Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein +verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der +Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die +Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1. + +—————————————————————————- + +^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der +Inschrift “T. Quincti(us)”, unter dem Regiment des Befreiers der +Hellenen in Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen +Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit. + +—————————————————————————— + +Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen +Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, +Pleuratos, fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern +gedemuetigten Land- und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten +unter all den kleinen Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner +einige Ortschaften im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt +hatte und die man ihm liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und +Imbros, welche Athen fuer seine vielen Drangsale und seine noch +zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk +erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und +Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den +Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu +befreiten Staedte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten +wurden die Achaeer bedacht, die doch am spaetesten der Koalition gegen +Philippos beigetreten waren; wie es scheint, aus dem ehrenwerten +Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen griechischen der +geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen Philipps auf +dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden ihrem +Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende; +sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie +aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und +Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils +in die Ferne geschoben, und die thessalischen Staedte vielmehr in vier +kleine selbstaendige Eidgenossenschaften geordnet. Dem Rhodischen +Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos, der thrakischen +und kleinasiatischen Staedte zugute. + +Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse +Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten +in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern +und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den +Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis zum +Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm +ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb +Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen +Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer +und auf Antiochos’ Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung +von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf +einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit +der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch +einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung +lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta, +Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner +durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden +nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit +Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst +umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. +Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000 +Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein +vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der ihm +verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue +befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen +Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus +ihm gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen +anzunehmen, verwarf “das Volk”, das heisst das von Nabis in Sparta +angesiedelte Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem +Siege fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die +Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler +und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden, +und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern +und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern +erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden +wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige +Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward +weder gezwungen, die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem +Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische +Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis +seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte +und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder +auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine +anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut +wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine +Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die +Staedte an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, +die im Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der +“freien Lakonen” nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund +einzutreten. Ihr Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, +indem die ihnen angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen +ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider +deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer, +obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen +erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung +des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der +Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen +Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass +Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht +regelte, wie es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und +ungerechte politische Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und +tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern waere die +Einverleibung Spartas in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung +Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht +minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten +und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren +beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle +eines anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war +eben darum der rechte, weil er beide extreme Parteien nicht +befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich gesorgt, dass es mit dem +spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte und das Regiment +daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde unbequem fallen +konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte und +wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war, +davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch +unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner +Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein +Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen Eidgenossenschaft im +Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste Vorwurf trifft einen +Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig wahrscheinlich, dass +die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten. + +Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen +Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der +einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die +Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung selbst noch nach der +Verdraengung der Makedonier aus Griechenland offen zur Schau; nachdem +Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos’ Diensten gestandenen +Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward der entschiedenste der +makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum Vorstand der Boeotischen +Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf alle Weise +gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch +gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer +warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen +Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens +nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf die Boeoter sich +nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern auch den einzeln +durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten auflauerten und deren +an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; Flamininus legte ihnen +eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und da sie diese +nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und +belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der +Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen +eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die +makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder +blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts entgegen +als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland begnuegte +sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging, auf die +inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden +einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren und +die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die +staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde +nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der +betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu +knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus +versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen +griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem +Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige +Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die +waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden +waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten +Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis +nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und +Akrokorinth, also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln +Griechenlands von Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und +zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen +in die Heimat. + +Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen +Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung +Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, +weshalb der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude +lieferte, einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und +staatlichen Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, +dass eine maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte, +als ihre Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren +Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur +vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von +fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte +Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts +als politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern +die Befreiung Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch +die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst +unbeschreiblich maechtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf +die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle und vor allem den +Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats ueberwand, der +Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des +damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu +erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und +gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch +sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten. +Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig, dieser ebenso +kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort und Stelle +dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu machen; die +schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren Humanitaet +weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In +Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht +veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte, +die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den +roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher +Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen +dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne +den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere +ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den +Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen. +Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten +Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. + + + + +KAPITEL IX. +Der Krieg gegen Antiochos von Asien + + +In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531 +(223) der Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der +Dynastie. Auch er war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur +Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug +namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten entwickelt, um ohne +allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu heissen. Mehr indes +durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des aegyptischen +Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm gelungen, +die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und +zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von +Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat +wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich +entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im +Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig +zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit +Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn +auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549 +205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu +machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte +sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen +Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen +Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos +gemeinschaftliche Sache machen, wie die Lage der Dinge und der +Buendnisvertrag es mit sich brachten. Allein nicht weitsichtig genug, +um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die Angelegenheiten des +Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte Antiochos +seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos’ leicht +vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das +Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer +sich allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem +alexandrinischen Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat +keineswegs die Absicht, wirklich, wie er sich nannte, dessen +“Beschuetzer” zu sein; fest entschlossen, sich um die asiatischen +Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall zu bekuemmern +und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des Herakles und dem +Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig machen. Mit der +Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als getan war, +mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen ging +er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern +zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen +und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198) +am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn +Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses +Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte +die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass dieselben, +um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich zum Frieden +bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der Tochter des +Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also das +naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem +der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck- +und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen +Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen +- wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese Distrikte, die +faktisch in Philippos’ Haenden waren, im Frieden an Antiochos +abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen Besitzungen +zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die kleinasiatischen +Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich sammelte sich ein +starkes syrisches Landheer in Sardes. + +Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von +Anfang an Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen +aus Kleinasien wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, +den Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und +nun an Philippos’ Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen +mussten. Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von +Antiochos durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre +zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich +suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben +beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den +Roemern militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet +besetzt habe, waehrend Attalos’ Truppen in dem roemischen Kriege +beschaeftigt seien. Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem +Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der +kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass sie die Ueberschreitung +der Chelidonischen Inseln (an der lykischen Kueste) als +Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich hieran +nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende Kunde +von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die +wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die +Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den +halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, +allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, +Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der +Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu +widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen der +Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er +ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, +schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die +aegyptischen Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in +Europa fuer sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht +zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten +insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu +willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie +bezeigten sich dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange +der Makedonische Krieg waehrte, und gab dem Attalos nichts als den +Schutz diplomatischer Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam +erwies; sondern auch nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die +Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden gehabt, nicht von +Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit der +asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in +den roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um +sie durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die +gute Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben +benutzte, um die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich +selbst dessen Landung in Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein +Einruecken in den Thrakischen Chersonesos gefallen zu lassen, wo er +Sestos und Madytos in Besitz nahm und laengere Zeit verwandte auf die +Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die Wiederherstellung des +zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem Hauptwaffenplatz und zur +Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien ausersehen hatte. +Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser Angelegenheiten sich +befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig Gesandte, die von +der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit der +saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der +Koenig redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das +alte, von seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos, +setzte auseinander, dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern, +sondern einzig die Integritaet seines angestammten Gebiets zu wahren, +und lehnte die roemische Vermittlung in seinen Streitigkeiten mit den +ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit Recht konnte er +hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei und es +den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren +^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch +die falsche Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und +die dadurch hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar +in Alexandreia, beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu +einem Abschluss, geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das +folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit +verstaerkter Flotte und Armee und beschaeftigte sich mit der +Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne Seleukos bestimmte; +in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte landfluechtig +werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm zuteil +ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom. +Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus +saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies +unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit, +wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen; +denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur +den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas +ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des +Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. +Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden +Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu +bringen und jede Intervention der Roemer in die asiatischen +Angelegenheiten fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die +gaerende Opposition in Griechenland, der schwaechliche Uebermut des +Asiaten, das Verweilen des erbitterten Roemerfeindes, der schon den +Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, +alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens einer neuen +Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein +musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der +antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht +worden waere, sofort sich weiter gesteckt haben wuerde. Es ist +einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen konnte. Indem +Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend, aus +Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den +Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er +nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und +vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen +Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen +die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte. + +——————————————————————————— + +^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, +1891, S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps +Gesandte an den roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den +zwischen Rom und dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit +einbezogen werden moege (όπως συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς +γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν [βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens +nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im +uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten +dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die +Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber den +Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die +Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und +Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und +positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so +ausfuehrlich bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die +unterwegs um Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen +Befehlshaber den Gesandten erteilten. + +Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische +Legende zurueckgehende “Bruederschaft” der Lampsakener und der Roemer +und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen +und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch +die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren. + +^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der +syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) +setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian +(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 +(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die +aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene +war. + +——————————————————————————- + +Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen +Nachbarn die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen +wuerde, zu dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, +je mehr der Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem +jungen Koenig von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; +dass er zugleich seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen +Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits +behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb +faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der +im Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon +gefolgt war, die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und +gleichfalls eine seiner Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem +roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem +Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die Galater durch +Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und andere +kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden +ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen +Staedte erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten +Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der +uebrigen sich begnuegen wolle mit einer bloss formellen Anerkennung +seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar zu verstehen, dass er +bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu unterwerfen. Im +europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und hoffte auch +Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein Plan +Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine +Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 +Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und +sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte; +tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst +einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der spanischen +Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf ihrem +Hoehepunkt stand. + +————————————————————— + +^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere +Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) +irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden +wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach +Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel +geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil +die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war; und +eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit. + +—————————————————————- + +Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen +Rom vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung +verwickelten Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten +und ungeduldigsten taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler +fingen nachgerade selber an zu glauben, dass Philippos von ihnen und +nicht von den Roemern ueberwunden worden sei, und konnten es gar nicht +erwarten, dass Antiochos in Griechenland einruecke. Ihre Politik ist +charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem +Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen +Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische +Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger +des syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, +indem sie dem Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach +ihm als ihrem rechten Erloeser, ausstreckten, und denen, die in +Griechenland auf sie hoeren wollten, dass die Landung des Koenigs +naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es ihnen in der Tat, den +einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu bestimmen und damit +in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach Flamininus’ Entfernung, +im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein sie verfehlten damit +ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch den letzten +Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und nahm +sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen, +schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil +seines Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in +der Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht +genuegte, um Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler, +sich selber in den Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen +und durch den Gewinn dieser wichtigen Staedte den Koenig zur +Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte man sich Spartas dadurch +zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter dem Vorgeben, +bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt +einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und +die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau +erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern, +sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und +machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt liess darauf von +Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen Bund einzutreten. +Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also verdientermassen nicht +bloss gescheitert war, sondern gerade den entgegengesetzten Erfolg +gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den Haenden der Gegenpartei +zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser, indem die +roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen +Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und +Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die +Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen +war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem +Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei; es +kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem +Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition +gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen +wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die +Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden +geltend zu machen. + +Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht +war, ihn durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften +hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden. Schon im +Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat in den +oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen die +Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum +ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem +Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht +der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen +zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz +und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) +noch einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius +Sulpicius und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten +hatte man sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche +Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg +beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte +von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus +vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den +Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische +Ostkueste wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche +gesichert zu sein; fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer +erwartet. Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr +562 (192) Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu +hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands +wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass +die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang +es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine +Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte +ferner einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten +schwankten. Wenn auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor +dem Beginn des grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch +widerstanden, er durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern, +wofern er nicht die Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen +wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland +zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und +Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 +Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs +Elefanten - und brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland +auf, wo er im Herbst 562 (192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen +an das Land stieg und sofort das nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um +dieselbe Zeit landete auch ein roemisches Heer von etwa 25000 Mann +unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also war von beiden +Seiten der Krieg begonnen. + +Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen +Rom, als deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was +zunaechst den Plan betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde +zu erwecken, so traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos +das Los, seine grossartigen und hochherzigen Plaene fuer +kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu +ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige karthagische +Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als +sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte +eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, +und nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum +Beispiel den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder +schreckten, des Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu +bezichtigen, gelang es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle +unbedeutenden Monarchen auf seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat +und mit nichts so leicht zu beherrschen war wie mit der Furcht, +beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu bringen, dass er sich +nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln lassen; worauf +denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur fuer +untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich +natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem +Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte. + +In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von +Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes +blieb der alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die +rechte Frucht tragen sollte. Er hatte Antiochos’ Anerbietungen nicht +bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu +einem Kriege gedraengt, von dem er die Vergroesserung seines Reiches +erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier und die Byzantier sich ihren +alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat auf die Seite Roms und bot +Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, welche man indes +roemischerseits nicht annahm. + +In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von +Makedonien einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik +fuer ihn gewesen, sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen +ungeachtet, mit Antiochos zu vereinigen; allein Philippos ward in der +Regel nicht durch solche Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung +und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den +treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im +Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute +einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als +seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es +kam hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter +Praetendenten auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle +Bestattung der bei Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den +leidenschaftlichen Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze +Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso +entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die zweite, die +Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den +kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die +Athener, bei welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte +achaeische Besatzung die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft +brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen +recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos’ Seite ausser den Aetolern +und den Magneten, denen ein Teil der benachbarten Perrhaeber sich +anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen, Amynander, der sich +durch toerichte Aussichten auf die makedonische Koenigskrone blenden +liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom noch immer am +Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt, mit den +Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein +erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter +Gewalt, den die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem +Schaden der Spott. Man hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits +belogen: statt der unzaehlbaren Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine +Armee heran, kaum halb so stark wie ein gewoehnliches konsularisches +Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche Hellenen ihrem +Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen ein paar +Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig +Waffenbruederschaft an. + +Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen +Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den +griechischen Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung +zurueck; allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen +Macht davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um +sie zu besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea +also war fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter +Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch, +Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und +andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von +Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, +des Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach +Chalkis zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz +seiner fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer +huebschen Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63 +(192/91), ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in +Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und +Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563 +(191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr +Manius Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein +tuechtiger, von den Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter +Feldherr, der Admiral Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus +Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus, +die nach altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene +Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit +sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter +numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und +die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu +5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der +roemischen Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im +Anfang des Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine +zwecklose Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die +Nachricht von Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in +allem Ernst den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner +Stellvertreter in Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm +alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das +schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den liederlichen +Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres +bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen +hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem +Oberfeldherrn nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen +hatten bereits die Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in +Verbindung mit dem makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus +den thessalischen Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen +besetzte. Der Konsul mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht +der Roemer sammelte sich in Larisa. Statt eilig nach Asien +zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht ueberlegenen Feind das +Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von ihm besetzten +Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen Heeres aus +Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und +befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst +Xerxes gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte +des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn +nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt +Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern Teil nahmen, als dass +sie versuchten, waehrend derselben das roemische Lager zu ueberfallen +und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten Aetoler betrieben +den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten auf dem Kallidromos +liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische Phalanx, die der +Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob auseinander, als +ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da Antiochos +fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward +das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet; +kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500 +Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa +war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal +die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer, +Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung fuer die fast schon von +ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls aufgegebene Eroberung +der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis ward, sich der +saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im eigentlichen +Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der dolopischen und +aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in Griechenland +fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu machen: +die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges +Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und +Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den +Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt +hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen +wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die Aetoler +versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach +hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den +schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen +Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos +einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch +einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in +Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und +die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, +fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen +ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen +zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen +Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland, +vorlaeufig wenigstens, die Waffen. + +Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind, +als die weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in +sehr bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei +Antiochos’ kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als +durch einen Angriff im eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte. +Es galt zunaechst, sich der See zu versichern. Die roemische Flotte, +die waehrend des Feldzugs in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die +Verbindung zwischen Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und +der es auch gelungen war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen +einen starken asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war +seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das +naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus dem +Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf +dem suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; +dort suchte die roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 +pergamenischen und sechs karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung +des Gaius Livius. Der syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer +Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die +roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas +auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und +sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang +zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu +versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische +Tapferkeit und nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten +es die Gegner, dass sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch +waehrend des Nachsetzens stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische +Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun +zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig +im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten +Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte +fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem +Hafen von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend +des Winters fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen +bemueht. Die Roemer suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre +Seite zu bringen: Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich +zu bemaechtigen, beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit +offenen Armen auf und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, +Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische Partei die Oberhand. +Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den Uebergang nach +Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils durch +Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und +vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine +neue Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer +aus allen Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien +zusammentrieb. Frueh im naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische +Flotte ihre Operationen wieder auf. Gaius Livius liess durch die +rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel stark, rechtzeitig erschienen +war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos beobachten und ging mit +dem groessten Teil der roemischen und den pergamenischen Schiffen nach +dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch die Wegnahme der +Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten. Schon +war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die +Kunde von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der +rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert durch die +Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu wollen, +hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst war +gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und zwei +troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese +Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen +Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte +teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit +zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, +ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos +einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei +der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der +Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts +uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung +ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den +Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten +Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche +Flotte, die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer +abzusperren. Als dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, +erzuernte der neue Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20 +Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei Samos den Gaius Livius +abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte +dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs +begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von +Patara ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres, +und ihn zur Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen +Festland hatte mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon +begonnen, waehrend Antiochos mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet +und die Besitzungen der Mytilenaeer auf dem Festland verwuestete; man +hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig zu werden, bevor die +roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach Elaea und dem +Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da es +dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien +verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung +gestattete dem Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die +Stadt zu werfen, deren kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der +Belagerung beauftragten gallischen Soeldner des Antiochos dieselbe +aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen Gewaessern wurden die +Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal geruestete und +gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die stehenden +Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer zu +gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in +Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in +der Schlacht, die die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber +Hannibals Taktik und ueber die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit +der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies +die erste Seeschlacht und die letzte Schlacht gegen Rom, die der grosse +Karthager schlug. Die siegreiche rhodische Flotte stellte darauf sich +bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte Vereinigung der beiden +asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die roemisch-rhodische +Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der pergamenischen +Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben anlangenden +Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des +Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der +Gegner. Am 23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem +berichtigten etwa Ende August 564 (190), kam es zur Schlacht am +Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und Kolophon; die Roemer durchbrachen +die feindliche Schlachtlinie und umzingelten den linken Fluegel +gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder sanken. +Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in +saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken +dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des +Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten +geschlagen worden und die Roemer also “den grossen Zwist schlichteten +und die Koenige bezwangen”. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe +nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen und versuchten nicht +weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu erschweren. + +Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der +Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl +fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig +unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die +bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das +Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe +befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem +Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu +fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden +die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu +beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen +sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern +verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus’ grenzenlose Ruecksichten +gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl +gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen +Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter +die Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser +Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das +unbequeme Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen +Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die +eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und +die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer +Fernhaltung beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, +schien es ratsam, den Landweg durch Makedonien und Thrakien +einzuschlagen und ueber den Hellespont zu gehen; hier waren keine +wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig Philippos von +Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von Bithynien +mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich in +der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg +laengs der makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen +Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer +freundliche Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils +mit den Aetolern, teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das +Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht von Myonnesos an dem +Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios wunderbares Glueck +raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in Asien alle +Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht +bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in +Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von +der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen +Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen +aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen +Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer +nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend +derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu +schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht +mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein +grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt +worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in +einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. + +Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage +stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten +zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte +des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos +bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen +Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen +griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die +Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren +annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch +diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo das +Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des +Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art +den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner +Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche +Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze +Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung +Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig +sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das +innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein +guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos, +gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer +jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine +ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto +lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des +Hermos bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 +(190) die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 +Mann, darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern +und makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei +weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass +sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen +Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando +uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, +bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten +Truppen, die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen +Schuetzen der Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren +Dromedaren und die Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden +Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art +Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und +kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete +Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen +Raum nicht Platz fand und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief +aufstellen musste. In dem Zwischenraum der beiden Treffen standen 54 +Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und der schweren Reiterei +verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo der Fluss +Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die +saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes +fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die +Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen die +Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten; in +kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die +naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im +zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren +Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen +Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im +zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der +schweren Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in +Unordnung geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten +Truppen durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die +roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in +der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden +Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten +kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette +die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel +war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, +die kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich +hertreibend, das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit +grosser Muehe erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im +entscheidenden Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, +die Phalanx mit den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die +Schuetzen und Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein +Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und +geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten +scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer +sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang +und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des +Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen +Verwirrung nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum +Schlagen gekommen waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten +Weltteil ueberlieferte, 24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien +unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig +fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um +Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten Bedingungen, +die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht +gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu +deren Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs, +was ihm auf nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen +kam. Antiochos selber nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald +den Verlust der Haelfte seines Reiches; es sieht ihm gleich, dass er +den Roemern fuer die Abnahme der Muehe, ein allzugrosses Reich zu +regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war mit dem Tage. von +Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl niemals +ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde +gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er +selbst ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen +Meerbusens bei der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er +seine leeren Kassen zu fuellen gekommen war, von den erbitterten +Einwohnern erschlagen. + +Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die +Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier +die roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so +genuegte dazu keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in +Vorderasien entsagt hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind +oben dargelegt worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen +und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige +pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen Traeger der +neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als +Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren +Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den +Koenigen von Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der +Vertrag mit Antiochos allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das +Binnenland. Es war unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen, +innerhalb deren der roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte. +Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen +Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten. +Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich +verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem +Brandschatzungsgebiet die festgesetzten Tribute. Wohl hatte die +Buergerschaft von Pergamon unter der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch +zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher sich des unwuerdigen +Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der hellenischen Kunst, +welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist erwachsen aus +diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen hellenischen +Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein entscheidender +Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren staedtischen +Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen +Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl +der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten +Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die +Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so musste dieser +Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt werden; und +da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit verknuepfte +stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel mehr als auf +der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in der Tat +nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet +gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den +Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue +Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen. + +————————————————— + +^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher +Sicherheit hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss +Verwendung in Rom erbaten, sondern auch Verwendung bei den +Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger genannten Kelten in +dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift CIG 3536, den +aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind wahrscheinlich +die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges diesem Gau +zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16). + +————————————————- + +Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, +der den Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum +schweren Vorwurf gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik +abgeneigten Maenner im Senat vermissten bei dem Kriege den Zweck wie +den Grund. Den ersteren Tadel gegen diesen Zug insbesondere zu erheben, +ist nicht gerechtfertigt; derselbe war vielmehr, nachdem der roemische +Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war, +eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das +hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in +Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den +Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen +hatten, war die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der +Klugheit wie der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur +Zeit an einem rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn +eigentlich im Bunde mit Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern +ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen. +Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer +roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur +unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte +und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer +sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen +Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des +Flamininus und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 +(189) der Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul +brach von Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen +Maeander und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts +gegen die Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager, +hatte sich auf den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den +Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie +sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum +Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und +Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag +gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden +Voelker, erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener +Schlachten, wie sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine +geliefert worden sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze +Auftreten des nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen +Nationen. Die Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen +war an beiden Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber +den Halys zu dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul +nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen +Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten. +Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die +weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. + +Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch +den Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen +einer roemischen Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der +Stellung von Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, +und einer nach dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen +Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten (25½ Mill. Taler), +davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf Jahreszielern zu +entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines gesamten +europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner +Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und +westlich von der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in +Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien nichts blieb als das oestliche +Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat ueber die vorderasiatischen +Koenigreiche und Herrschaften war es natuerlich vorbei. Asien oder, wie +das Reich der Seleukiden von da an gewoehnlich und angemessener genannt +wird, Syrien verlor das Recht, gegen die westlichen Staaten +Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines Verteidigungskrieges von +ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das Meer westlich von +der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu befahren, +ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt +Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines +Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das +Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder +politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die +Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten +und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden, +lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel +eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war +hiermit zu Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen +verdraengt und fuer immer; es ist bezeichnend fuer die kraft- und +zusammenhanglose Organisation des Seleukidenreichs, dass dasselbe +allein unter allen von Rom ueberwundenen Grossstaaten nach der ersten +Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung durch die Waffen begehrt +hat. + +Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische +Satrapien, verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des +roemischen Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in +selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias und Zariadris +wurden Gruender neuer Dynastien. + +Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von +den Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse +von 600 Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte +seines Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. + +Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso +die Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen +ueber die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der +kleinasiatischen Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen +ermangelten nicht, diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene +Wohltat mit goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu +vergelten. + +In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, +zumal da hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der +griechischen Hansa kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender +Art zu verstaendigen. Allen griechischen Staedten, die am Tage der +Schlacht von Magnesia frei und den Roemern beigetreten waren, wurde +ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit Ausnahme der bisher dem +Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten +fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die Staedte +Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von Aeneas’ +Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, +Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die +Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war, +erhielt zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag +bezeichnete Kategorie fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark +zurueck und die Freiheit. Den meisten Staedten der +griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies Gebietserweiterungen und +andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich Rhodos bedacht, das +Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil von Karien +suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in +seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die +bisher genossene Zollfreiheit. + +Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die +Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem +Kriege bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den +Ausfall der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie +ein Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa +den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon +besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und +Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles +und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von +Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und als +Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber +Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten, +inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also +jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft +und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht +unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, +dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht +werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350 +Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war, +dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler) +fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen. Endlich +erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos +abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt +wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war +das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was +Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit +absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien +in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen +roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische +Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und +nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen +Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren +Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich +nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des +Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung +des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie +erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem +festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen +Besitzungen zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine +Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die +Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und +Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder +durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs +von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer +brachten nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser +Zeit sich schon beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem +goldenen Kranze, zusammenzufinden pflegten. + +Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg +erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer +noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten +nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen +Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren den +Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher +gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes, +getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in +Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen +athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem +besetzten aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich +herumzuschlagen, wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht +sich, dass hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des +Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565 +(189) bei den Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung +durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia, +waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die +Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von eigentlichem +Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten +Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab +und gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und +tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden muessen. Die +Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den Haenden ihrer +Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge einer gegen Marcus +Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und selbstaendig ward, +ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten sie +Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen +und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms +abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia +setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst, +als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner von Same, +die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch eine roemische +Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten Unterwerfung +wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus, worauf die +Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in die Sklaverei +verkauft wurden. + +Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die +italischen Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer +sich als die beiden Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz +von Kerkyra und anderen Seestationen am Adriatischen Meer +wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb kam an die +Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben, Philippos +und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen an der +Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund +verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen +Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und +der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen +loyalen Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, +indem er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln +ihm zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, +empfing er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das +er den Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in +seinen Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil +von Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben +worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer +Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und +Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, +der Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war +nicht schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in +Europa empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im +Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler +Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht +Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche +politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal +eine Macht ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss +Krieg gefuehrt hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund +als gegen Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht +wiederkehre. + +Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen +Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz +in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach +der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene +mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die Roemer hatten dies +geschehen lassen und es sogar geduldet, dass man dabei mit +absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr. Flamininus hatte, +als Messene erklaerte, sich den Roemern zu unterwerfen, aber nicht in +die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese darauf Gewalt +brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu fuehren, +dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich +unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als +unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen +Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren +Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von +ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt +Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten, nicht +fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer +Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des +letzten Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. +Nur widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr +unmutig Flamininus’ guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu +begnuegen. Sie glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit +ihres Staates um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man +sprach von Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den +Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der +achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia +ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also +gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. +Das alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es +nicht noch viel laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe +Gerechtigkeit und ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so +ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu gruenden und den Dank der +Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen nichts gab als die +Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch den +hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle +Gefuehle zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner +tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser +achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine wahre +historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen +Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten +Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach +Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem +Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der +Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig +nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss +womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, “um die Formen +zu retten”; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn +das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem +patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht +auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf +entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der +Knechtschaft vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas +dachten an einen solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich +frei sein, aber denn doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es +niemals die Roemer, die die gefuerchtete roemische Intervention in die +inneren Angelegenheiten Griechenlands hervorrufen, sondern stets die +Griechen selbst, die wie die Knaben den Stock, den sie fuerchten, +selber einer ueber den andern bringen. Der von dem gelehrten Poebel +hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel wiederholte +Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in +Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten, +welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die +Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen +-, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die +Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen, +wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus die +aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt +hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren +Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden in +Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter +charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die +Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen +Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die +wuetendsten Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der +Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die +Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum +Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis +mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft +verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt +Megalopolis gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta +wiederhergestellt, die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen +ersetzt, die Mauern niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese +Wirtschaft ward dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum +Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe +fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel +in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die +Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter +Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher +Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als +nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat +darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die +Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert +ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig +bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die +Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren +Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen +Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut +in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber +die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des +Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier +Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam +der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen +Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf, +als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn +von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat +zuletzt die Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin +beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen +koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht +recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und +politische Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen +leidlichen Zustand herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im +Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn ueber die Zustaende im +Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und gehaltene Intervention +zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein +Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich begruendet +hat; aber er hatte recht. + +So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen +Staaten von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; +nirgend bestand ein Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu +fuerchten. Aber noch lebte ein Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: +der heimatlose Karthager, der erst den ganzen Westen, alsdann den +ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und der vielleicht nur +gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an der +kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten +muessen, den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach +Kreta, dann nach Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des +Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes +zu unterstuetzen und wie immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es +wird behauptet, dass er auch den Prusias zum Kriege gegen Rom habe +reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie erzaehlt wird, sehr wenig +glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der roemische Senat es +unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl aufjagen zu +lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt, +scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in +seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte, +auf seine eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten, +so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner +Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber +ihn zu schleifen und zu richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den +Jammerprinzen Asiens, machte sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen +Gesandten die kleine Gefaelligkeit zu erweisen, die derselbe mit halben +Worten erbat, und da Hannibal sein Haus von Moerdern umstellt sah, nahm +er Gift. Er war seit langem gefasst darauf, fuegt ein Roemer hinzu, +denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige. Sein Todesjahr ist +nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte des Jahres +571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt Rom +mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade +genug gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch +selber seine letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch +gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie +Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der Sturm das fuehrerlose +Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande war, es zu lenken. Es +konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, als er starb; aber +redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den Knabenschwur gehalten. + +————————————————————————- + +^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs +Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; +Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie +Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen +ist. + +————————————————————————- + +Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der +Mann, den die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius +Scipio. Ihn hatte das Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die +seinem Gegner versagt blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und +nicht gehoerten. Spanien, Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht +und Rom, das er als die erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei +seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt. Er selbst hatte der +Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen Bruder und +seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten Jahre +bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in +freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche +nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in +der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der +Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener +Gelder, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius +gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige Verleumdungen, die solche +Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; obwohl es charakteristisch +fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher, statt sich einfach +aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der Anklaeger +zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu +begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk +liess den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber +es war dies der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, +seine Meinung, ein anderer und besserer zu sein als die uebrigen +Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik, die namentlich in +seinem Bruder Lucius den widerwaertigen Strohmann eines Helden +grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz +das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem +Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn. +Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold +und schimmerndem Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine +war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der Jugend beduerfen, um +ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber zu schwinden +anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht. + +—————————————————————————- + +^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus. + + + + +KAPITEL X. +Der Dritte Makedonische Krieg + + +Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die +Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern +erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge war nicht geeignet, +seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in Griechenland und +Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem makedonischen Namen +nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem roemischen, machten es +sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht all die Tritte +zurueckzugeben, die sie seit Philippos’ des Zweiten Zeiten von +Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile +antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft +auf den Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in +unaufhoerlichen Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von +den Roemern zugestanden worden, was er den Aetolern abgenommen habe; +allein foermlich an die Aetoler angeschlossen hatte sich in Thessalien +nur die Eidgenossenschaft der Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die +Philippos in zwei anderen der thessalischen Eidgenossenschaften, der +thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen, den Aetolern +entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem +Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe. +Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch +Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien +besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden +mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos ausdruecklich zugesprochen +war. All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner saemtlichen +Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber +Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes Vieh +stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von +Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht +nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil +stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste, +aus den thessalischen und perrhaebischen Staedten die Besatzungen +wegziehen und die roemischen Kommissare hoeflich empfangen, welche +nachzusehen kamen, ob auch alles vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. +Man war in Rom nicht so erbittert gegen Philippos wie gegen Karthago, +ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man +verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber +im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von +Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit +phoenikischer Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie +er war, hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen +Bundesgenossen gezuernt als dem ehrenwerten Gegner, und seit langem +gewohnt, nicht makedonische, sondern persoenliche Politik zu treiben, +hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts gesehen als eine +vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn schmaehlich +im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen. Dies +Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass +den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft +gegen Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen +Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, +hatten sich wohl gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos’ +Gunsten zu tun, und hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten +Erhebung an mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig +Philippos politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die +Attaliden, die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu +beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die +roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem +letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, +um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten muessen, +hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des +Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg +der makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien +einen Staat an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht +ebenbuertig und Roms Klient war. + +Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein +weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich +entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; +allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das +Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war +taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und +naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen. +Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den +thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, +antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne +nicht untergegangen sei ^1. + +————————————————————————- + +^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102). + +————————————————————————- + +Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner +Entschluesse eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er +in besseren Zeiten sie bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der +Welt eine andere Richtung gegeben haben wuerden. Namentlich die +Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er sich die unentbehrliche Frist +erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann eine schwere Pruefung, +die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und die +unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia, +buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien +der Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos’ Geheiss bewirkte +sein juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo +er einige Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der +Senat, namentlich Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten +leitete, suchte in Makedonien eine roemische Partei zu bilden, die +Philippos’ natuerlich den Roemern nicht unbekannte Bestrebungen zu +paralysieren imstande waere, und hatte zu deren Haupt, ja vielleicht +zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren, leidenschaftlich an +Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit absichtlicher +Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes +willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen +Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs +aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher +Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler +zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass Demetrios sich in die +roemischen Intrigen einliess; erst der falsche Verdacht des Verbrechens +zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da beabsichtigte er, wie es +scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes Perseus sorgte +dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein +untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige und +lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu +spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der +Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von +der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in +Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er +zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er +sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel vergeblich +gewesen waren. + +Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder +bei dem roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher +Mann, in allen Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und +des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater herrisch und nicht +bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn reizten nicht der Wein und +die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments nur zu oft vergass; er +war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig und +leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten +zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom +Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in +seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen +worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen +war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen +Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit dem Reich +seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. In der Tat +griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des vaeterlichen +Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum +Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht +die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit +Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an +der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine +Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten in ihm den rechten +Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war +nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet und Philipps +Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die das Glueck +verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der Not wieder zu +Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge gehen; aber +wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und ernstlichem +Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit +unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was +er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit +entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es +beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er +haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer +im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu +trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst +eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu vernichten, +der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In +gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut +und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht +geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, +wenn nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte. + +Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen +das Haus der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier +allein nicht durch den Hader politischer Parteien paralysiert. Den +grossen Vorteil der monarchischen Verfassung, dass jeder +Regierungswechsel den alten Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera +anderer Menschen und frischer Hoffnungen herauffuehrt, hatte der Koenig +verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen mit allgemeiner +Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer und Erlass +der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters brachte +also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig +Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung +teils von selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer +als fuer den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge +zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe und +Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen er die +Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von +zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden +Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine +Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an +das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in +den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer +Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal +gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und +die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den +bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, +dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu +organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was den +Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer +unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, +die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte, +und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz, +die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im +makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und +fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und +fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso +lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen +fuer ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der +Tat war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den +Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des +Reiches war in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in +jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in +seine Grundfesten zu erschuettern. + +Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der +Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von +Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze +einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu +stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen +Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der Italiker +schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder Freund noch +Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der Samnitenkriege +nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen +makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa +in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige +Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich +ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien +suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das makedonische +Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts heraus, als dass +die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender mit Liebschaften +erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den Eumenes, den +gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten Perseus’ Agenten +gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo er gegen +Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der +saubere Plan misslang. + +Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen +Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den +Plan entworfen, die alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem +heutigen Serbien, zu erdruecken durch einen anderen, vom linken Ufer +der Donau herbeigezogenen, noch wilderen Schwarm deutscher Abstammung, +den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen dadurch in Bewegung +gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem Landweg zu ziehen +und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse bereits +erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen +auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es +ist mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen +Festung Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos’ letzte Zeit +faellt (573 181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren +italischen Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes +an dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen +naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen +und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden +Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen +des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen +Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus’ Vorwissen +kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch +Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe +des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in +Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt +auf einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig +Perseus mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in +heimlichem Einverstaendnis stehe und Genthios’ Gesandte in Rom dem +Perseus als Spione dienten. + +In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu +stand der maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst +der Orysen und Herr des ganzen oestlichen Thrakiens von der +makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den mit griechischen +Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere Kotys, mit +Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren Haeuptlingen, +die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer, +Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten +Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von +hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen +Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. + +Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und +Perseus lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher +Propagandakrieg lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils +- man gestatte den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite +Makedoniens zu bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter +den asiatischen wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen +makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner +Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung +der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in +sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es +begriff, dass die abscheulichste makedonische Regierung minder +unheilvoll fuer Griechenland war als die aus den edelsten Absichten +ehrenhafter Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die +tuechtigsten und rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom +Partei ergriffen, war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die +feile Aristokratie und hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der +ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht +taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der +Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich +behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; +vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen +mit wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste +vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines +schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle +frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln +eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus’ Name auf allen Lippen +war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch +gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen +Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl +innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes, +sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und +empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier +anschloss; waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig +Perseus seine syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im +Aegaeischen Meer sich nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen +praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt +und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum Schiffbau, wieder +heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte, also der +Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten +geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte +schien wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der +Koenig Perseus unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei +Delphi den Hellenen sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass +der Koenig sich auf diese nationale Propaganda bei dem bevorstehenden +Kriege zu stuetzen gedachte, war in der Ordnung. Arg aber war es, dass +er die fuerchterliche oekonomische Zerruettung Griechenlands benutzte, +um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der Eigentums- und +Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der +beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im +europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas +besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden +Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und +auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum Beispiel die Athener +Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern, den Thessalern lieferten +die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich foermliche Schlachten. +Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen Zustaenden von +selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung +verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine +Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer +versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter +Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die +Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes +mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der sentimentale +Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er von Anfang an +laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte sich dieser +Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts, am +wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess nicht +bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern +liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche +saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer +Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach +Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und +Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso +dass in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in +offene Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um +Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit +solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer +Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des +Preises wert sei. + +Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es +Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des +thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis +stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und +einem Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des +Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle +Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im +Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu +verwandeln und Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. +Schon 581 (173) sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen +Tagsatzung es ziemlich unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus +mit dem Abfall von dem roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 +(172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom mit einem langen +Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im Senat auf, +worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die +Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit +Besatzungen versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach +Makedonien, deren Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend, +dass er nicht zurueck koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues +wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag +von 557 (197) sehe er als aufgehoben an, und die Gesandten anwies, +binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit war der Krieg +tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus wollte, +konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei +ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende +roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und +den Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon +vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem +Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus, ueber die +Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und +sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch einmal +einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, der Senat +nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus Italien +und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren der +aelteren Schule die “neue Weisheit” ihres Kollegen und die unroemische +List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss, ohne dass +Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen Diplomaten +die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu +berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei +daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war +noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer +weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen; +und ueberdies war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei +ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische +Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten; +aber der unter den Augen der roemischen Gesandten gewaehlte neue +Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer selbst. Auch bei +den Thessalern behielt die roemische Partei die Oberhand. Sogar die von +Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs tiefste +zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer +Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae, +Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die +Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen +Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener, +dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und +welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und +daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu auseinander. +Es ist nicht wahr, dass Epaminondas’ grosser Bau von den Roemern +zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie daran +ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung der +uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2. Mit +der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte der +roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe die roemische +Flotte im Aegaeischen Meer erschien. + +———————————————————- + +^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte +uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung +Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.) + +———————————————————- + +Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit +epeirotischer Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle +an der makedonischen Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius +besetzt, und sowie die Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine +Besatzung von 2000 Mann. Perseus sah dem allem untaetig zu und hatte +keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines eigenen Gebietes inne, als im +Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im Juni 583 (171) die +roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist zweifelhaft, ob +Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch wenn er +soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen +Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen +Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. +Karthago, Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen +Freistaedte, selbst das mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz, +boten den Roemern Kriegsschiffe an, welche diese indes ablehnten. +Eumenes machte sein Landheer und seine Schiffe mobil. Koenig Ariarathes +von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln nach Rom. Perseus’ +Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb neutral. In ganz +Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von Syrien, im +Kurialstil “der Gott, der glaenzende Siegbringer” genannt zur +Unterscheidung von seinem Vater, dem “Grossen”, ruehrte sich zwar, aber +nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges das +syrische Kuestenland zu entreissen. + +Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht +veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 +Phalangiten und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest +groesstenteils Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland +betrug zwischen 30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber +10000 Mann numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und +besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 +Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus, +dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete +erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann +Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen +mitzuwirken bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das +Landheer der Konsul Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine +starke Abteilung in Illyrien, um von Westen aus Makedonien zu +beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie gewoehnlich von +Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran, den +schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien +einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete +er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den +beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden +entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte die +italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen und +zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an Toten, +600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich +schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus +benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten +hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er +bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden +nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings +folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes +anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man zog +hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah. +Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht +gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch +Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen +glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen +Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines +Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein +guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf +einen Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders +gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die +Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er +zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen +Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu +raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer +hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen +lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von +beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus +ueberwand den Koenig Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch +Kotys die roemisch gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus +Thrakien hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige +illyrische Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien +von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen +Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am +schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen +boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von +Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral +Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die +Tore schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die +Sklaverei verkauft, Koroneia von dem Konsul Crassus gar der +Kapitulation zuwider ebenso behandelt. Noch nie hatte ein roemisches +Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter diesen Befehlshabern. +Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584 +(170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen +nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich +ebenso unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte +lief ohne allen Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die +Westarmee unter Appius Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im +dassaretischen Gebiet war, erlitt eine Schlappe ueber die andere; +nachdem eine Expedition nach Makedonien hinein voellig verunglueckt +war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit den an der +Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich +gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche +Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit +dem Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien +einzufallen, waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer +Festung, die er vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess. +Die roemische Hauptarmee machte ein paar Versuche, erst ueber die +Kambunischen Berge, dann durch die thessalischen Paesse in Makedonien +einzudringen, aber sie wurden schlaff angestellt und beide von Perseus +zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte der Konsul sich mit der +Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen Dingen noetig +war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier +erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die +Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer +einquartiert, und wie die Offiziere im grossen Stil, stahlen die +Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften wurden in +schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der +schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der +aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur +Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. +durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte +wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und +wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger +hingerichtet oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in +Chalkis. Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die +Befreiung der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den +roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den +Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft +einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das +Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch +ein Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten +nicht zum wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen +Suendenwirtschaft gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. +Haette an Perseus’ Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg +vermutlich mit der Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der +meisten Hellenen begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den +Fehlern stets von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus +begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre +Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu +verschanzen. + +—————————————————————————- + +^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), +der die Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. +278 f.; AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese +Verhaeltnisse. + +—————————————————————————— + +Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, +Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund +des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht +gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter +Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe +den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen +die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der +Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich +bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss +konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann +an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand +er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark +befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine +schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu +fouragieren, in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in +seinem ersten Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem +seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein +wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus’ Unfaehigkeit. Als +ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als +durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich +seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben +erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu +verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser +freiwillige Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch +nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste +aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder +rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur Besinnung kam und +schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position wieder +einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr geraten, +wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe kapituliert und +seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die Verbindung +mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert; +aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten +Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert +und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das +roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter eingeklemmt in den +aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die Ueberschreitung der Paesse +allerdings ein Erfolg und der erste wesentliche in diesem Krieg war, so +verdankte man ihn doch nicht der Tuechtigkeit des roemischen, sondern +der Verkehrtheit des feindlichen Feldherrn. Die roemische Flotte +versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete ueberhaupt gar +nichts aus. Perseus’ leichte Schiffe streiften kuehn zwischen den +Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten Kornschiffe und +griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand es noch +weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung +nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch +die Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass +Genthios sich von Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme +hatte erkaufen lassen, mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten +einkerkern liess; worauf uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig +fand, die zugesicherten Gelder zu zahlen, da Genthios nun allerdings +ohnehin gezwungen war, statt der bisherigen zweideutigen eine +entschieden feindliche Stellung gegen Rom einzunehmen. So hatte man +also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der nun schon drei +Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu trennen +vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken +koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und +ebenso viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste +zu nehmen; allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in +Hellas gaerte es so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger +Geschicklichkeit und einer vollen Kasse leicht haette entzuenden +lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu geben und die Griechen +nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig. + +Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland +zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen +Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem +Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem +Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich +ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168) +zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon +eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein +vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und +seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, +ein unbestechlicher Beamter - “einer der wenigen Roemer jener Zeit, +denen man kein Geld bieten konnte”, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und +ein Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die +Gelegenheit benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. + +Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess +er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier +beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius +Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach +Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder +am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein +kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses +Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue +Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig +die Vorposten handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die +eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu +liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der +greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so +stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der +doch manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er +gezittert habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte +ward niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen +eilig zurueck, bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das +roemische Lager. Hier wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und +die eilige Verfolgung hatte die Glieder der Phalanx geloest; in +einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede Luecke ein, griffen von +der Seite und von hinten an, und da die makedonische Reiterei, die +allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald sich in +Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in +weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000 +erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten +Mann; es war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht +bei Pydna schlug, hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar; +20000 Makedonier lagen auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der +Krieg war zu Ende, am fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl +uebernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der +Koenig fluechtete mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente +(10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von +wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch einen ermordete, +den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten +Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die +koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte +er, dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, +dass er sich an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu +fluechten, misslang. So schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward +nicht angenommen, da er sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte +sein Schicksal und lieferte auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus +mit seinen Kindern und seinen Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den +Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit +der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der +Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr +heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als +Staatsgefangener in Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in +spaeteren Jahren in derselben italischen Landstadt als Schreiber. + +———————————————————————— + +^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein +Leben verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des +Schlafs getoetet, ist sicher eine Fabel. + +———————————————————————- + +So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und +hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. + +Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig +auch der Krieg gegen den “Koenig” Genthios von Illyrien von dem Praetor +Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die +Piratenflotte genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden +Koenige, der Erbe des grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen +nebeneinander gefangen in Rom ein. + +Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren +duerfe, die Flamininus’ unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte. +Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon +verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des +festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates in +vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften +zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von +Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der +chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und +den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den +Angehoerigen der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und +keiner durfte in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle +koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land +verlassen und sich nach Italien begeben, bei Todesstrafe - man +fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten +Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens +bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt +und innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der +Vornehmen gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den +Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und +Silbergruben, ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; +doch ward 596 (138) wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder +gestattet ^5. Die Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz +wurden verboten. Die bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel +weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den Gemeinden +ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte +der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten +Satz, zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu +entrichten ^6. Das ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die +Festung Demetrias geschleift; nur an der Nordgrenze sollte eine +Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren bestehen bleiben. Von den +abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der +Rest verbrannt. + +————————————————————— + +^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen +Bergwerke wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung +durch die Muenzen. Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht +vorhanden; die Goldgruben also blieben entweder geschlossen oder es +wurde das gewonnene Gold als Barren verwertet. Dagegen finden sich +allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens (Amphipolis), in +welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze Zeit in +der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl +derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr +energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des +alten Koeniggeldes. + +^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der +“herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward” (Polyb. 37, 4), +so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser +Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios’ +Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der +Fortbestand der der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung +bis wenigstens in die augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) +wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der Steuer vereinigen lassen. + +———————————————————— + +Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf +den Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen +gegriffen, und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag +ohne Geschichte geblieben. + +Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei +kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die +Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme +der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten und dafuer +Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen Makedonien +keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward konfisziert +und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser Kueste +geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den Nachbarn +namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens auf +lange hinaus ein Ende. + +Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen +Eumenes zu brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn +zurueck. + +So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien +endlich von dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland +war freier als je, ein Koenig nirgend mehr vorhanden. + +Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven +zu zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen +hellenischen Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich +zu machen und sie miteinander in dieselbe demuetige Klientel +hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich rechtfertigen lassen; allein +die Art der Ausfuehrung namentlich gegen die maechtigeren unter den +griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht nicht wuerdig und +zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist. Am +schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom +geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und +dessen man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr +bedurfte, das Reich der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den +klugen und besonnenen Eumenes einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um +ihn aus seiner bevorzugten Stellung zu verdraengen und ihn in Ungnade +fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die Zeit, da die Roemer im Lager +bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber ihn in Umlauf; er +stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte +wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm +500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und +nur an Perseus’ Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die +pergamenische Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die +roemische sich ins Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er +dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte +ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine heutige Zeitungsente; +denn dass der reiche, schlaue und konsequente Attalide, der den Bruch +zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172) zunaechst +veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus’ Banditen ermordet +worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten +eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er +ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil +an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft und das Werk +langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist +denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. Dass kein +Beweis weder in Perseus’ Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher +genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen laut +auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt das +Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes’ Bruder, der die +pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit +offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und +aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten - +gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat +nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine +vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er +aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der +Senat zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter +sich nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht +war, wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen +Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute; +hatte man nach Antiochos’ Besiegung Philippos gegenueber noch die +Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese +Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und +Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger +war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des +Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus +Galatien vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, +mit den galatischen Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu +wollen, jetzt, ohne Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den +Roemern eingetretene Spannung, wenn nicht geradezu von diesen +veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich ueberschwemmten und +ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische Vermittlung; +der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der +das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden +nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, +ja er erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden +erst recht erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die +Unabhaengigkeit der Galater von dem Senat ausdruecklich anerkannt und +gewaehrleistet. Eumenes entschloss sich, persoenlich nach Rom zu gehen +und im Senat seine Sache zu fuehren. Da beschloss dieser ploetzlich, +wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige kuenftig nicht mehr nach +Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach Brundisium einen +Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu +fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige +Abreise gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte +er endlich, weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es +stand: die Epoche der halbmaechtigen und halbfreien +Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann die der ohnmaechtigen +Untertaenigkeit. + +Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; +sie standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem +gleichen Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse +jeder Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen +Zuzug zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb +ihr Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die +ersten Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des +Aufstandes der nach Antiochos’ Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier +gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in +grausamer Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen, +sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im +roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den +zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte +indes ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl +das meiste getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man +liess diesen wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit +Perseus ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen +verstaendigen Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter +desselben war uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei +der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie +nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die es wie +allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch +585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, +beweist die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich +erschienen kurz vor der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im +roemischen Hauptquartier und im roemischen Senat mit der Erklaerung, +dass die Rhodier nicht laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf +ihren makedonischen Handel und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass +sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu schliessen, selbst den +Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende bereits mit +Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen +haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich; +aber diese wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst +beschlossen sein kann, als man in Rhodos den Fall des Tempepasses +kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl +beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus Marcius, jener Meister +der “neumodischen Diplomatie”, im Lager bei Herakleion, also nach +Besetzung des Tempepasses, den rhodischen Gesandten Agepolis mit +Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht hatte, den +Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit taten +das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette +gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt - +Verbindungen mit Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von +makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie sagen sollten; und man war +gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel groesstenteils selbst von jenen +Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame Botschaft mit +begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute Gelegenheit +zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger Praetor +ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu +beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber +das andere kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen +Freundschaft mehr als des einen Verstosses zu gedenken; umsonst +schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei auf das Schafott +oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren Goldkranz zum Dank +fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche Cato bewies zwar, +dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen haetten und fragte, +ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und ob man den +Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles +erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine +Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre +Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120 +Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege +gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr nach und +der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen Rhodos +gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die Errichtung +des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis dahin +jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank in +kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber +waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und +kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. +Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 +(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber +machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. + +Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen +beiden war Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und +Palaestina. Nach der Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei +der Vermaehlung der syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; +was der Hof von Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in +Abrede stellte. Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die +Steuern der koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und +war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste +der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die +Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu +sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit +gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung +Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch +einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien +ihm guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. +Philometor, der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter +ueberschritten und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der +syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in +welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet +seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. +Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen, +sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm +deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner +Stelle den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum +Koenig. Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus +Aegypten ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die +Brueder sich miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den +Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der +Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius +Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl +des Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer +bestimmten Frist zu raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der +Konsular zog mit dem Stabe einen Kreis um ihn und hiess ihn sich +erklaeren, bevor er den Kreis ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass +er gehorche und zog ab nach seiner Residenz, um dort als der Gott, der +glaenzende Siegbringer, der er war, die Bezwingung Aegyptens nach +roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des Paullus zu parodieren. + +Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch +die Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch, +ihre Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg +des Perseus, so machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen +und gleich letzten Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; +aber es ist bezeichnend fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass +dort die Legionen, hier das barsche Wort eines Diplomaten entschied. + +In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die +boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die +Molotter zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an +einem Tage siebzig Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und +verkaufte die Einwohner, 150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die +Aetoler verloren Amphipolis, die Akarnanen Leukas wegen ihres +zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die fortfuhren, den +bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss Delos und +Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um die +oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil +ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer +die Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also +begannen durch ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in +Perseus’ Heer gedient hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward +beschieden, wen die Papiere des Koenigs oder die Angabe der zum +Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner konpromittierten - der +Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos zeichneten sich aus in +diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten unter den +Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der Heimat +entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so +sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die +kindische Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die +wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten, +die sie ahnten, erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten +um Einleitung der Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter +die Leute in Italien bleiben wuerden. Sie wurden hier in den +Landstaedten interniert und leidlich gehalten, Fluchtversuche indes mit +dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der aus Makedonien +weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge einmal +standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der +ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig +zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es +deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 +der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen +zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess +es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen +Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber +man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, +jenes italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im +eigentlichen Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von +Rhodos oder Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung +weiter nicht, sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, +freilich im roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten +Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen. + +Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen +Klientel vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich +Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe +geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten +stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck zu +wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt +wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf +ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen, +liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den +Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches +betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm +uebrig lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias +von Bithynien aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die +Palme in diesem Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als +er in den Senat gefuehrt ward, und huldigte den “rettenden Goettern”. +Da er so sehr veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige +Antwort und schenkte ihm die Flotte des Perseus. + +Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von +der Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen +Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein +zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt +gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder +Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der +roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. +Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen Senat den +obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz zwischen +Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und Sitte sich +anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom verweilen. +Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu +entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem +grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber +auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der +Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine +Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene +zahllosen Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in +Ordnung zu halten. Dieselben durften also weder sich in voellige +Schwaeche und Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland +geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen +Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien +versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich +auf eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die +gleiche, oft eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte +als der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, +aber wer selber sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, +Makedonien nach dem Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die +Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren +ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es erwies sich auch das +roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von vorn wieder +beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines +Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur +Mittelstaaten in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu +dulden, zeigen sich schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der +Vernichtung der makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer +unvermeidlichere Intervention in die inneren Angelegenheiten der +griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen +wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die +Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, +endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien +und Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der +Klientelstaaten in Untertanen Roms. + +Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der +Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen +Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von +unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter Riesenplan, +sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung sich ohne, ja +wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene Auffassung +nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates sagen, dass +die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen aus einer +und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden Begierde nach +Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht hat man +dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine +geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede +nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung +waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die +Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht +uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus +Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl, +den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich +ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich +Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die +Umstaende jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder +wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben +stets behauptet, dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die +Angegriffenen gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine +Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um +Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als +zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch +einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der +bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der +Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg +sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse +Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung +Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der +halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen, +schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug. +Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago, +teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel; +Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen, +dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. +Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen +gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter +vererbt, sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas +beschraenkten Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder +Napoleons Sinn zu entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig +und des richtigen Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens +viel zu viel gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem +letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Altertums +ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht +und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt hatte, ihre +Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die +hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was +denn freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. +Aegypten ist vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die +ernstlich ein System des Gleichgewichts verfolgt hat; in dem +entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio +zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, dass all die andern +reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums haben +vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am +letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens +Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die +geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die +militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern die +notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums +ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden, +sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich +erfuellt hat. + + + + +KAPITEL XI. +Regiment und Regierte + + +Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen +aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf +hingewiesen worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben +gleichfalls, ja in gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als +das Patriziat; denn wenn innerhalb des alten Buergertums die unbedingte +Gleichberechtigung gegolten hatte, so ging die neue Verfassung von +Anfang an aus von dem Gegensatz der in den buergerlichen Rechten wie in +den buergerlichen Nutzungen bevorzugten senatorischen Haeuser zu der +Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der Beseitigung des +Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen +Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben +entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie +jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum +auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den +letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge +dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte +Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese +innere Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege +und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr +Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte +dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und +unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue +roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue +Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden +und langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer +sich geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, +deren historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen +Katastrophe tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen +geschichtlichen Anschauung zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der +Untergang der bisherigen Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den +kuenftigen Revolutionen fallen in diese Epoche; und die Schilderung +derselben sowie der Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, +wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die +Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem +furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen +zu lassen. + +Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der +Zeit des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen +ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie +selbstverstaendlich, von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es +knuepften sich daran schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste +derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, +im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die +Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben +aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im +Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die +Verehrung des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als +unrepublikanisch galt, und die roemische Staatspolizei darum die +Ausstellung der Bilder von Lebenden ueberall nicht duldete und die der +Bilder Verstorbener streng ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei +aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen durch Gesetz oder +Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene Fingerring der +Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der +Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben +^1 - geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die +buergerliche Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng +festgehalten und noch waehrend des Hannibalischen Krieges ein Buerger +eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis gehalten ward, weil er +unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte oeffentlich +erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in der +Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des +Patriziats noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den +ersteren als aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit +erhielten sie sicher erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387 +(367), wo durch zu den jetzt wohl schon durchgaengig Ahnenbilder +fuehrenden patrizischen die zum Konsulat gelangenden plebejischen +Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten. Jetzt stellte +ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese erblichen +Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die +ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern +lediglich das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an +der gemeinen Rechtspflege, also an der Ausuebung der +Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl +diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes sich erst hat +bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den Plebejern +geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen von +vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil +laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche +Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze +kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen +Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen Ahnen +geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich +koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und +ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem +Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss +eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in +der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und +musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden +Geschlechtern und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen +abermals beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet +begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern +rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die +wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, +aus Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu +verwandeln. + +———————————————————————- + +^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst +wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen +Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher +Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt +worden sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen +Fingerring, den im fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. +33, 1, 18), im sechsten schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, +36), im siebenten jeder von Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder +Freigeborene traegt; ferner von dem silbernen Pferdeschmuck, der noch +im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von +dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den Soehnen der +kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin denen +aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des +Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet +ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen +der Senatorenkinder in der Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. +a.a.O.; Liv. 26, 36), in der ciceronischen der Kinder von Ritterzensus +(Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die Geringeren das Lederamulett +(lorum) tragen. + +Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und +der Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese +schmal trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. + +^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, +ward durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, +41), das unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie +wenn heute jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden +anlegen wuerde. + +^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer +Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere +mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen +Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches +Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der +Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die +plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den +kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, +dass sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward. + +———————————————————————- + +Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, +namentlich des weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, +hatte sich rasch gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch +die Revolution von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der +Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in +den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor allem die +gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten auf +Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten +berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft +in ein so gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber +ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, +durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen +Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der Sache nach beide +bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser Epoche die +Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus dem Senat +vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft noch zu +verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng +aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen +Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei +Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch +namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten +und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die +Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, +zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in +demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der +Nobilitaet. + +Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen +Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. +Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte, sich des +Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade +wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der +Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu +jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der +Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die +achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden +verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten +diese die Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den +Musterungen alle durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt +unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die +Ritterpferde vorzugsweise den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen +der Einrichtung selbst, und ueberall war den Zensoren nicht leicht zu +wehren, dass sie mehr auf vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit +und den einmal aufgenommenen ansehnlichen Leuten, namentlich den +Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen. Vielleicht ist es +sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator dasselbe +behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens +tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien +stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen +Maenner der Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter, +weniger noch durch die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz +geringen Teils der Legionarreiterei, als durch die dadurch +herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen Gleichheit, indem die +vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk mehr und mehr +zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen Ritterschaft +wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und Vermoegen +hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man wird es +danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des +Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit +den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und +weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei +eine ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese +Umwandlung der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte +dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der +Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss ein +gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb. + +————————————————————————————————- + +^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 +die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht +haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten +aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; +jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu +erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst +von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle +Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den +Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme +einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die +Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die +Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs, endlich +seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die +Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich +zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. +243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, +sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser +sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und +durchaus nicht nach Livius’ Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) +und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung +MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero +deutet zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige +Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. +Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil +uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu +nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden +ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der +Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., +S. 238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der +Ritterpferde auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung +der oben vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. +Die geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden +bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage +derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der +zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch +Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes +neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, +stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem +Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste +Zensusklasse; sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten +sonst als Ritter und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls +in Anspruch. + +In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das +erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des +Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte +Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als solche +die Ritterbenennung weg. + +————————————————————————————————- + +Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des +senatorischen Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge +den Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem +zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine +Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien; +und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin liegende +offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und +Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch +auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und +nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der +Aristokratie ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen +Gleichheit zu verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus +erklaert es sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren +republikanischen Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs +in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich +durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz +einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der +Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen +Laufbahn erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, +ihre Maenner in dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder +nach seiner Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur +Verantwortung zu ziehen, als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und +gegen jedes derartige Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es +genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung +Catos um die Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich +ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die +gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 +(204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur +sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr +wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus +notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- +und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem +Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt +werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat zu +beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig +vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren, +ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das +Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der +blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab. +Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die +Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf +Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem +Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers +gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, +indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur +Pflicht machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe +schriftlicher Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein +gleichsam gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen. + +In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur +gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das +Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in +ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die +Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig wie +irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die +Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert +haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig +abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor +verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der +eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen +unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, +im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer +die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und +Korsika (527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die +allzu summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der +steigende Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil +zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der roemischen +Magistratur. + +Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil +sie fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der +bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten +am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der +Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe +der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich von +Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt und +Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der +Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache +nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom +Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es +weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen +jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier +ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden. +Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den +Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom +Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung +von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen +dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen +wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der +Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl von +Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das +Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den jungen +Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn +hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig eludiert +und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des +demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen +Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen +Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) es +notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu +suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu +ueberlassen. + +Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die +Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies +allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name +werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl +zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur +Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser +Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, +dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre +537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher +aber davon nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses +Zeitabschnitts die Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter +erging gegen das Ende dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, +der die Bewerber um Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer +festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten +und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst +vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der +Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben +und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen +Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den +Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit +der Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren +und geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die +regierenden Behoerden sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht +zu der erblichen Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht +gerade aus der Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten +Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten +wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der +sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und +wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. +Aber auch die Zahl der Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom +Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des Perseischen Krieges zum +ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten erscheinen, ist +aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten derselben, wie zum +Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, Laelier lassen +sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf +besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius +Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die +Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch die +Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein +aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht +laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die Spitze +der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht +wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der +kurulischen Haeuser sich bewegten und ein “neuer Mensch” nur durch eine +Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine +gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen +Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der +Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, +insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von +dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der +Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust +rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die +roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in +der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm +und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem +konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des +Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre +Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der +aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem +gewissen Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt +gewesen war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst +kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller +Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den +gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich +mit reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, +von ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat +und Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge +sich ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so +weit war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen +Uebel der Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt +durch einzelne Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen +Hauspolitik des Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen +Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und +Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und +der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter und +aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit +gereichte in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der +Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren +Konsul geworden war, war ohne Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; +aber wenn jetzt Scipio mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit +dreissig zum Konsulat gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig +Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine +ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon dahin gelangt, den +einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre +Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen; +und das ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der +Oligarchie opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand +bot. + +——————————————————————————— + +5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die +patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen +Fasten deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 +(366-173) (mit Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in +denen beide Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer +das Konsulat bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen +Aedilen in den varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang +des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt +worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, +555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese +patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach +den Geschlechtern: + + +Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener + + (366-254): (253-173): 16 patrizische + Kollegien + + +Cornelier 15 15 14 + +Valerier 10 8 4 + +Claudier 4 8 2 + +Aemilier 9 6 2 + +Fabier 6 6 1 + +Manlier 4 6 1 + +Postumier 2 6 2 + +Servilier 3 4 2 + +Quinctier 2 3 1 + +Furier 2 3 - + +Sulpicier 6 2 2 + +Veturier - 2 - + +Papirier 3 1 - + +Nautier 2 - - + +Julier 1 - 1 + +Foslier 1 - - + +————————————————————————— + + 70 70 32 + +Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit +der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne +wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch +Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum +Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen +Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes +auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier, +Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in der +entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor. + +——————————————————————————— + +Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den +Stempel das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren +Angelegenheiten ueberwog in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit +und Energie, durch welche die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber +Italien gegruendet worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um +Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die +Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen +lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung +geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so +legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, +aber klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen +Sturmes und der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und +bewies es der Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen +Staaten zu beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in +vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit +den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden +roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht +uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit +wichtigeren und weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten +des Staates sowohl die Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die +neuen Einrichtungen einen fast entgegengesetzten Geist offenbaren, +oder, richtiger gesagt, die entgegengesetzte Richtung hier bereits das +Uebergewicht gewonnen hat. + +Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, +was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; +und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr +eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich +nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie +in dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der +Standesgenossen und die Gunst der Menge durch strenge Worte und +ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit +altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie +zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des +Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass +Paullus, als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, +statt nach beliebter Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken, +derselben erklaerte, er setze voraus, dass sie ihn zum Feldherrn +gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den faehigsten zum Kommando +gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht kommandieren zu +helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms Suprematie und +Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der Strenge +seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch, +im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten +hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen +Beziehungen damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge +Dinge auch in Rom vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und +zwar nicht etwa von der Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius +Flaminius und Gaius Varro, sondern gut aristokratischer Maenner, +bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl des Staates auf das +Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in welcher Art +die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt der +Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia +(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten +Fechterspiele in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr +einen in das roemische Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen +lassen und ihn mit eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer +als der Vorgang selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen +liesse, war es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht +gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste +der Senatoren strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im +Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich +war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten +Koteriehaeupter des Senats. + +Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher +zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im +Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen +infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es +zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der +kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra +(Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der +neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen Distrikten Italiens +abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es nicht laenger +moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten roemischen +Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes die +roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum +Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese +Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die +Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von +dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von +Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert +noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern +es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen +Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das +von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und +an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation +von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten; +wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle +entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen +spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den +Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu. +Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende +Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem +Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 +Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die +je auf einmal in die roemische Kasse gelangt ist. + +Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben +groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme +Siziliens, kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die +Ausgaben fuer Wege- und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der +Ausdehnung des Gebiets; auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen +Buergern waehrend der schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse +(tributa) lastete noch manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. +Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die schlaffe +Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr +namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von +ihrer ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen +namentlich am Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und +Erpressungssystem wird unten noch die Rede sein. Wie der Staat bei den +Verpachtungen seiner Gefaelle und den Akkorden ueber Lieferungen und +Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr danach ermessen, dass +der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb der an Rom +gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die Grubenpaechter +doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen wuerden +- freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde +sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward, +die Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, +sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und +sonst auf oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser +aus den oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es +machte sehr boeses Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche +Kontravenienten ernstlich einschritt und sie zwang, entweder auf die +Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten oder dafuer das +gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde gegenueber +bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine +merkwuerdige Weite. “Wer einen Buerger bestiehlt”, sagt Cato, +“beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber, +wer die Gemeinde bestiehlt.” Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche +Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und +Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten +in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und +da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; wie der +roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort hin +ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland der +kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen +aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, +dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch +viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch +nicht wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. +Das allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am +deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem +Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen +finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel +der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade +reichlich gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie +mit den nicht in die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern +wohl manches fuer die Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, +fuer die Chaussierung der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage +oeffentlicher Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser +Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im +Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des +hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 +Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache +nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber +allem Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen +von den schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten +Abschnitt der vorigen zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist +in Rom keine neue Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm +freilich zu: die letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich +genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, +171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe +an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. +Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem +Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen +Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre +Niedrigkeit als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als +duerftigen Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, +zeigen die roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der +Einnahme ueber die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein +glaenzendes Gesamtergebnis. + +————————————————————- + +^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger +geworfen worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht +abgeschafft; es muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den +Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden +(Cato agr. 2). + +————————————————————- + +Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in +der Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der +roemischen Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die +gewoehnlichen und die latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die +roemischen Passiv- und die roemischen Vollbuerger. Von diesen vier +Klassen wurde die dritte im Laufe dieser Periode so gut wie +vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon fuer die +Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, jetzt +auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und +diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi +und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua +nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines +Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige +wenige Gemeinden, wie Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in +Kampanien, in dem frueheren Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, +so darf doch, im grossen und ganzen betrachtet, dies Buergerrecht +zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten. + +Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der +Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den +Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu +namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet +gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen +Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen +geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen +Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch +die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner +aus diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen +duerfen, hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. + +Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon +frueher angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu +ihrem Nachteil veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie +zum Beispiel Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller +Wechselfaelle dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden +und darum ihr bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem +die meisten mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige +Revision der bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten +Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus +ihren Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten +und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen, +wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000 +samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie +Fregellae uebergesiedelt seien. + +Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des +roemischen Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur +und Praeneste, die ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie +namentlich einzelne der Herniker, und die durch ganz Italien +zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt noch besser gestellt waren, +ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im Verhaeltnis kaum weniger +sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten wurden unbillig +gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von der +Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen +gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel +Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des +Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen +verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und +den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk +577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit +den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des +ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten +Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei +Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je +drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den +latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die +Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche +Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde +zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache +Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der +Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer +Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die +Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu +leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche +Ausweisungen aus der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, +577 187, 177). Die Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum +nicht weniger schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen +Binnenland angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt +des latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur +hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast +regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende +Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183) +begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche +mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig +ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577 +184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war +offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen +Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten +wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen +Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren +Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit +Erwerbung bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen +latinisches Recht zu vertauschen. + +Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt +in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere +Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben, +hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch uebermaessige +Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr zu +dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet. +Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die +Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche +entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf das +aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden +gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung +Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das +bundesgenoessische mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, +laesst sich nicht nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem +keine mehr dieses erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in +das roemische Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die +latinischen Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer +einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen +Nichtbuerger ^7. + +——————————————————————— + +^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der +Gruendung der Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der +Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. +20, 79); worauf er denn auch nach bekannter Sitte dessen Vornamen +annahm. Von Rechts wegen erwarben, wenigstens in dieser Epoche, die in +die Buergerkolonie mit deduzierten Nichtbuerger dadurch die roemische +Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig dieselbe sich anmassten +(Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung einer Kolonie +beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen +Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte +Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48). + +——————————————————————— + +Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse +der italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und +Folgerichtigkeit nicht abgesprochen wer den. Die Lage der +Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung +durchgaengig verschlechtert und, waehrend die Regierung sonst die +Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln bemueht +gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die +verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen +Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den +oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog und die Ehren und +Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die Buergerschaft +ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber und schloss +diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus, waehrend sie +an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil ueberkam. Wie +die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die Buergerschaft +gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des +verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner +Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die +starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der +Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert +auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu +eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes +Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden +des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen +Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte +Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den +Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die +bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten +Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu +empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden +begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig +wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten, +zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten, +ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass +ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen +eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der +Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den +Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung +innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den +frueheren Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden +italischen Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe +Verstimmung bemaechtigte sich der gesamten italischen +Eidgenossenschaft, und nur die Furcht hielt sie ab, laut sich zu +aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei Cannae im Senat +gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das +roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur +Unzeit gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit +welcher Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das +Verhaeltnis zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter +Hannibal den Krieg nach Italien getragen haette, so durfte man +zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten Widerstand des latinischen +Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein wuerde. + +Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das +roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche +am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen +Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht +kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen +Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft oder in der +roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis zugelassen, das +ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit +sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen in Sizilien, Sardinien +und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren frueheren Herren gesteuert +und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal behalten wollte, war es +nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste und unzweifelhaft +das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den bisherigen Normen +zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische +Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch +diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den +Barbaren entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. +Ohne Zweifel war es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung, +durch die Abgaben der Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, +sondern nur die Kosten der Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; +doch wich man auch hiervon schon ab, als man Makedonien und Illyrien +tributpflichtig machte, ohne daselbst die Regierung und die +Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit weniger +darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass +man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer +den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich +den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das +neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren +Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit +der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die +roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des frueheren +Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt; wie denn +auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen Palast zu +Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der Vogt +nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und +Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in +den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener +begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als +er von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er +vorher sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die +Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist +auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich +nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die +Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil +durch ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten +herrschende ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene +Amts- und Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die +schlimmsten unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen +Steuerpaechter und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde +ihres Auftretens den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und +haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten. Auch die +Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man +war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht +verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den +nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu +erinnern; es ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste +Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit der Provinzialherrschaft +erschien. Aber es war auf die Laenge nicht durchfuehrbar, zugleich +Republikaner und Koenig zu sein. Das Landvogtspielen demoralisierte mit +furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen Herrenstand. Hoffart und +Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der Rolle, dass daraus +dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon +war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem +alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass +der Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass +Paullus, der Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas +Besonderes angemerkt. Die ueble Sitte, dem Amtmann “Ehrenwein” und +andere “freiwillige” Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die +Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches +Erbstueck sein; schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556 +(198) sich begnuegen, diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen. +Das Recht der Beamten und ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden +auf freies Quartier und freie Befoerderung ward schon als Vorwand zu +Erpressungen benutzt. Das wichtigere Recht des Beamten, +Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute Unterhalt (in +cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei anderen +besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz +auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen +der Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des +Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich +veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei +den Untertanen requiriert zu werden; die masslosen Tribulationen, die +der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus fuer die von ihm auszurichtende +Festlichkeit ueber italische wie ausseritalische Gemeinden ergehen +liess, veranlassten den Senat, offiziell dagegen einzuschreiten (572 +182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am Schlusse dieser +Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst +gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das +zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die +heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. +Die Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es +an jeder ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses +militaerischen Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche +Kontrolle mangelte nicht ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem +allgemeinen und mehr als bedenklichen Grundsatz: gegen den +Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu +gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn +das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine Kriminal- als +eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste +ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die +Sache in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die +Zivilklage wurde von dem Senator, der die betreffende Praetur +verwaltete, an eine nach der damaligen Gerichtsverfassung aus dem +Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen. Dort wie hier lag also die +Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes, und obwohl dieser noch +rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete Beschwerden nicht +unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar verschiedene Male auf +Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines Zivilverfahrens selber +zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen von Niedrigen +und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie vor +weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch +mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen +von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und +schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. +Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten freilich in den +erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und Landschaften +der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher getretenen +Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden es, dass an +Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; und dass die +Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der Spanier, +Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum +Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen +Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen +Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber +wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige +Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der +Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und +gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten, +sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von +Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen +Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. +Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten +die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen +meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft, +wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich +fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der +roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts +wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; +woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen +nicht unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng +gewesen, wie sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche +Rechenschaft nur den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre +Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in der strengen und +gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und +hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten +machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments +sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit strengeren +und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die +italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, +wo das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten +gesteigert werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber +das Ganze bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte +herrschten so gut wie souveraen, und das wichtigste der fuer den +letzteren Zweck dienenden Institute, die Reichsschatzung, wurde noch +auf Sizilien, aber auf keine der spaeter erworbenen Provinzen mehr +erstreckt. Diese Emanzipation der obersten Verwaltungsbeamten von der +Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische Vogt, an der +Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender Finanzmittel, +dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von der +Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen +Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse +von dem der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, +glich weit mehr einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des +roemischen Senats in der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte +der Mann, der eben im Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis +gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck in die buergerliche +Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht +Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass die +beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie +und die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr +hier unter den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der +Regierung gegen Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze +Vogteiwesen, der Einrichtung der Provinzialquaesturen, die wenigstens +die Finanzgewalt den Voegten aus den Haenden zu nehmen bestimmt waren, +der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen Einrichtung laengerer +Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis hervor, welche +die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier gesaeten +Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment +der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen +Richtung, und der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die +Vorbereitung kuenftiger Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn +nicht unbemerkten, doch ungehemmten stetigen Fortgang. + +Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte +Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene +nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss der politischen +Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite Zuruecksetzung +nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als die erste. An +Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die Opposition +ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf dem Senat; um +jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische Buergerschaft +nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern. + +Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem +bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert +werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine +einsichtige Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes +Herz in guten und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit +des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das +Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem +Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede +Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der +gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze +Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber +beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige +Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, +auch in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl +oft geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in +buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde +die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der +oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und +wuchsen ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse +vollstaendig ueber den Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die +meisten bisherigen Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche +Anzahl neuangelegter Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht +empfingen, ist schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die +roemische Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im +weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an +der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; +innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, +Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die +Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das +roemische Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und +transapenninischen Kolonien der juengsten Zeit, denen das Buergerrecht +hatte eingeraeumt werden muessen, und eine sehr betraechtliche Anzahl +roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, gesonderte Gemeinwesen zu +bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et conciliabula) durch ganz +Italien zerstreut lebten. Wenn man der Unbehilflichkeit einer also +beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der Rechtspflege ^8 und +der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten +stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch +schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen und +transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer +staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde +wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen +politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz +allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer +Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was +sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche +Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen +weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam +hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser +Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den +Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in +neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass +allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische +Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie +diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr, +die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen +Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung +und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst +werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte +voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit. +hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und +geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche +die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber +zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das +entscheidende Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und +Staatsvertraege in letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder +die Gruende noch die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber +eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die +roemischen Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle +gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen +Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie +zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so +machte sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und +kuemmerlich auslaufende Opposition. + +————————————————————————- + +^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von +Venafrum sich beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die +rechtliche Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen +bestimmten Fall nach Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die +Winterweide an den Besitzer einer Schafherde verpachtet, also mit einem +in der Regel nicht in der Gegend domizilierten Paechter zu tun hat +(agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen +Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, +die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, +sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden. + +————————————————————————- + +Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel +formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur +Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit +unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine +Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von +denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen, +wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder +verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, und +sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der +Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht +bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus +den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der +Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die +Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete +finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten +Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen +Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten, +jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in +Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei +ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu +erheben. Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich +beschraenkt (550 204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen +von ihren Klienten regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen +Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu +beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche +maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem +selbstaendigen Mittelstand machte. + +Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der +Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst +nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen +beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem +sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in +den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges +vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen +Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und +den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern +der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser +als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom +uebersiedelnden Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale +Servilitaet ebenso unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. + +Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem +Aufkommen eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder +die Nobilitaet noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen +werden, systematisch denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei +und noch schlimmere Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, +unterwuehlt zu haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu +achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette +zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die +Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der +Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und +die Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus +endlich die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels +hervorging: Brot umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, +welche entweder die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen +Marktbehoerde stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei +einzelnen roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom +lieferten, machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den +Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das +Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte +Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch +habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender +Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem +Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste +roemische Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites +Volksfest und einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich +mit diesen Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen +Festes: “plebejische Spiele” hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis +erkauft haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch +ging man weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der +Ceres, der Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch +nur wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung +der Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein +viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren +der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter +hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen +Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft +von dem Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich +italische Deisidaemonie war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht +an solchen, welche sie nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in +Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und Vertretung sich der Menge +zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die Regierung, welche der +Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in solchen Dingen +nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in +ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres Volksfest, +die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen +Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste +beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen +zu dem alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der +Flora, die plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der +staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die +neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen, +sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat waere es weit +weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer Anzahl +unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die Ausrichtung +einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die +Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen +Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele +einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche +steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in +Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige +“Leistung” (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. +Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die +Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die +Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges +Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte +gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn +verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, +sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr +hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die +Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe +heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus, +warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie aus +- es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen +Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten +Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits +durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, +auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der +Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein +unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner +mit Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass +auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu +geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben +verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die +durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten +Freiwilligen, nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre +des Triumphes aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von +drei ligurischen Doerfern wegwarf. + +————————————————————————- + +^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der +plebejischen Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der +falsche Asconius (p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem +Flaminischen Circus gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst +sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen +(Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen. + +————————————————————————- + +Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft +unter diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man +an den Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise +offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg +(576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft +vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer, +ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten +ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. +Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des +Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, +gegen die Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit +ernsten Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? +180) stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn +Dienstjahren als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden +Gemeindeamtes fest, um die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt +in das Heer zu noetigen. + +Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten +Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen +nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen +gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des +Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel +aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in offener +Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten +verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben +die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man +musste es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, +welche vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom +Senat oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens +auf dem Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon +war kein Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu +unbedeutend, um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den +friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 +(184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des +Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens +5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter +durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den +vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs +vom Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen +Jahres es sich zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab +seines Nachfolgers einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration +gegen die neumodische Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius +Sempronius Longus (560 194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als +Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen +Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien +jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der +Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass +ihm, wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging, +ausnahmsweise ein Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und +Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des Geehrten errichtet, wurden so +gemein, dass man es spoettisch fuer eine Auszeichnung erklaeren konnte, +ihrer zu entbehren. Aber nicht lange genuegten derartige bloss +persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen Siegen dem Sieger +und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen; welchen +Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich +selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter +den von Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die +Niederen nach. Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die +Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und dem gewesenen Zensor +ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte man es den +Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten, wenigstens +ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken zu duerfen. +Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht bloss den +Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, sondern auch +den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener von +dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem +gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem +gemeinen Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was +gut und gross, das Werk der buergerlichen Gleichheit war! + +———————————————————————————- + +^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das +des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von +Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in +aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen +Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus +gleichartig. + +———————————————————————————- + +Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der +Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den +lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge +beginnt die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht +voellig trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es +doch notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern. + +Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person +des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte +Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem +Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster +des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird +man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen +Mittelstandes gegen die neue hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet. +Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der +wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in +die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem +rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich +entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter +Flaccus’ Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den +Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum +Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten +Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen +Hannibalischen Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der +bei Zama durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und +Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, +Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich +tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. +Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender +Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen +Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper +machten ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem +er auf dem Markt und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren +Schauplatz getreten war, zu dem einflussreichsten Sachwalter und +Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius +Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen +hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem einreissenden +Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, +und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem +neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen +- gruene Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und +kein grosser Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. +Politisch und sittlich gruendlich borniert und stets das Ideal der +guten alten Zeit vor den Augen und auf den Lippen, verachtete er +eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen sich vor sich selber +legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, +rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der +polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden +Pflicht, ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und +Genialitaet und vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie +einen Versuch gemacht, die Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein +Leben lang gegen nichts gefochten als gegen Symptome und namentlich +gegen Personen. Die regierenden Herren sahen zwar auf den ahnenlosen +Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, ihn weit zu +uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat +zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer +republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem +Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem +Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner +vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor, +allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und +allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich +gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er +oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und +jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose +Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich den +Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener +unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt +worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie +maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige +Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den +ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen niemals +fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen +Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im +voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende +Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen +beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der +Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und +derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest +stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der +Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste +gestrichen wurden. + +Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz +und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die +Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den +Strom der Korruption auf eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es +bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz oder vielmehr dadurch seine +politische Rolle zu spielen vermocht hat, so ist es ebenso bezeichnend, +dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der Gegenpartei wie diesen +ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem Gesinnungsgenossen vor +der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse wenigstens in den +politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso erfolglos +geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr +als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich +zur Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und +ordentlichen Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen +wurden und die zum Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu +beruehren sein werden. + +Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem +einreissenden Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die +Ausweisungen von neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel +den ersten Platz einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem +ersten und zweiten Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des +letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl +und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind +die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im +Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 +(194) und vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen +dem Apennin und dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte +Placentia, Cremona, Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien +Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und +565-577 (189-177). Bei weitem die meisten dieser segensreichen +Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden. Hinweisend +einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen Krieg +und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der +freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, +neben und gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im +Cisalpinischen Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen +Landschaft haben Cato und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und +obwohl die roemische Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht +in dem Massstab nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so +blieb sie doch nicht taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen +Mannes. + +Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem +Verfall der Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen +Reiterstellen Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der +Staatskasse nicht gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem +exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die +nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu +verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die schweren +Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem +gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach +orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der +fuer den Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des +Minimalzensus von 11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. +Abgesehen davon, dass man die zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen +(43 Taler) geschaetzten Freigeborenen und saemtliche Freigelassene zum +Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus fuer den Legionaer auf +4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall auch sowohl die +Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 +Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk +miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang +dieser Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig +wie die servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen +hervorgegangen; allein sie taten doch der demokratischen Partei +insofern wesentlichen Vorschub, als mit den buergerlichen Belastungen +zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann auch die buergerlichen +Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die Armen und +Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit sie +ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten +Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der +Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre +erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende ging (513 241). + +Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn +auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die +Ansaessigen gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten +zuerst die Ritter gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel, +sodann die Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen +von mindestens 100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten +^11; und diese beiden Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, +jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der +vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, +deren Schaetzung unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 +Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen +Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen +behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der +ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die +Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug +angeschlagen werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der +Einfluss des Adels auf die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. +War doch selbst der eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit +maechtig genug, um die gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern +offenstehende zweite Konsul- und zweite Zensorstelle, jene bis an den +Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch ein Menschenalter +darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu besetzen, +ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt +hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen +gesetzlich erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, +des Plebejers Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod +erledigten Konsulstelle einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig +zu machen. Dabei ist es freilich charakteristisch fuer das Wesen auch +dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den +Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den Ritterzenturien entzogene +Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus der ganzen +Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die +erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben +wie sie waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der +Weise verschoben, dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der +Legion so auch fuer das Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 +Asse herabgesetzt ward. Ueberdies lag schon in der formeller +Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem allgemeinen Steigen des +Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des Stimmrechts im +demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb gleichfalls +unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn +Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien +allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten +Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch +bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur +Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche Schwerpunkt der +Reform war die Verbindung, in welche die neuen Stimmabteilungen mit der +Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die Zenturien aus den +Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus angehoerte, +von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste. +Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben +worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend +sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen +Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der Zenturien mit +den ansaessigen Buergern formell das gleiche Recht, wenngleich +wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der Zusammensetzung der +Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus eingeschriebenen +Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung gewaehrte. +Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in +der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse +jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen +Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den +vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern das Uebergewicht +eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die bisherige +Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im Stimmrecht +in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen Freigelassenen +in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im Jahre 534 +(220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei, den Zensor +Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius Sempronius +Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen Revolution, +fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese +Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von +Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung, +die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der +eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der +Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in der +Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits der +Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung der +Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden +Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, +Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung +der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die +Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht +leicht anders zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig +notwendig oder doch ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren +zu waehlen und um einen Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also +durch diese Reform nicht ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, +sondern ein laengst in der praktisch haeufigeren und wichtigeren +Kategorie der Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner +Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische +Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen +Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der +Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung +dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden +Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz +hat die gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten +Standes nicht verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich +erschwert. Es ist sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften +Ueberlieferung, dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der +vielbesprochenen Reform auf den politischen Verlauf der Dinge +nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform +noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht +stimmberechtigten roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches +Aufgehen in die Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem +nivellierenden Geiste der Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb +des Mittelstandes zu beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern +und Nichtbuergern sich gleichzeitig breiter und tiefer zog. + +———————————————————————- + +^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, +etwas Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als +Minimalzensus der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier +uebrigen Klassen in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½, +¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und +verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 +Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch +in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere +Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen +Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 +(312) die Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann +sich dabei nicht des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) +aufkam. Entweder also hat er dieselben Betraege in schweren Assen +ausgedrueckt und sind diese bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt +worden, oder er stellte die spaeteren Ziffern auf, und es blieben +dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine +Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben +wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; +doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter +Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des +fuenften Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss +administrativen Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz +aus der Ueberlieferung verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder +40000 Sesterzen koennen uebrigens fueglich als Aequivalent der +urspruenglichen roemischen Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen +werden; so dass danach die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, +nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden. + +———————————————————————- + +Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und +erreicht ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem +Einschwinden des Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen +und sparsamen Sitte, aber auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss +der neuen Nobilitaet unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern +sich bemueht und bis zu einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man +vermisst ein hoeheres politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der +sittliche Unwille der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren +angemessenen und kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine +deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im +grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht +hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die +rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den +Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden +konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser +Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu +sein und den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen +Kosmopolitismus auf ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und +spiessbuergerlich gefuehrt zu haben. + +Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so +trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die +volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, +die an der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der +Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig +einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu +hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen +anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem +Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen und +witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; zu +nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als +Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer +ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der +Tat, diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese +vor allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung +drang, so hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der +Regierungs- und Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer +Beziehung ist die wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der +Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 +(217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren +Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 +216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit +aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie +dies doch in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein +paar Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der +zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer +staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne +foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit +ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem +ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr +wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der +das Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, +durchaus und in der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden +Diktators abgehangen hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur +unvollkommen ward dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in +Anspruch genommene Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich +bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen +hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die +Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, +und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand +herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in +der Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen +in bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die +politisch wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich +nach altem Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit +diese Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war +fuer diese zur Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von +Geschlecht zu Geschlecht bestimmten Institute die einzige ihrem Geist +entsprechende Wahlform die Kooptation. Es ist darum zwar nicht von +grossem politischen Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende +Desorganisation der republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit +(vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber +wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus +dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde +ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler +Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der +Bezirke, also nicht das “Volk” den Wahlakt vollzog. Von groesserer +Bedeutung war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in +persoenliche und sachliche Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung +und der aeusseren Politik. Hierher gehoert der Uebergang der Ernennung +der ordentlichen Stabsoffiziere vom Feldherrn auf die Buergerschaft, +dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen der Fuehrer der +Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der verfassungs- +und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch das +hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem +populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn +geteilt ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der +Buergerschaft verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger +und unredlicher Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon +noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen +seiner militaerischen Befaehigung vor dem Publikum der Hauptstadt +auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren Versuche, dem Sieger von +Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph abzuerkennen; hierher +die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung eines Privatmanns +mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); hierher die +bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat +ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu +lassen (549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb +naerrischen Menschen, der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine +in jeder Hinsicht ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier +zu entreissen (587 167); hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass +jeder Staatsvertrag erst durch Ratifikation der Gemeinde vollgueltig +werde. Dieses Mitregieren und Mitkommandieren der Buergerschaft war in +hohem Grade bedenklich, aber weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in +das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss, weil die Macht des Senats in +der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf das aelteste und +wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche Verwaltung des +Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der wichtigsten +hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der Gemeindedomaenen, +unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit der +Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut +unbeschraenkt in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist +reicht bloss verkehrt, sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert +die bestgesinnte Buergerschaft und gibt dem Antragsteller eine mit +keinem freien Gemeinwesen vertraegliche Macht. Wie heilsam auch die +Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen Tadels darum der Senat +wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige Aufteilung des +okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel +abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf +Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die +Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr +geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte +zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt; +aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach +zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als +Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber +regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung +eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa +bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische, +administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats +und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in +unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu +machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der +beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige +Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke +zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu +bedauern, aber bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach +der Ansicht der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und +seine Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, +welche in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von +ihnen gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum +Beispiel die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, +mittelbar oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat +abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die +Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine +boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines +angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not +in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten +Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der +Marcellus sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich +durchfallen und waehlte den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende +Jahr; auch von der Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die +Versammlung sich ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die +Wahl des Paullus und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber +zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines +besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem +naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. + +Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr +wirkt, schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen +Volksversammlung schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im +Senat konnte der Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die +Komitien appellieren. Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst +besass, unmuendigen Ohren zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, +war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu verschaffen oder einen +Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und Regierung formell +gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, +im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres +angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst +herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem +hauptstaedtischen Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst +galt, vor allen Dingen in Masse verabschiedet werden mussten - und +daher die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae und die +schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward +die Regierung durch jene unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse +gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie +am meisten in ihrem guten Recht war. + +Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch +die geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden +Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der +verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der +einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten +Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als +das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus +einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und +Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das +gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer +abhingen? Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und +dichter ballten die Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege +rollten bereits durch die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach +bedenklicher Weise die scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in +ihren aeussersten Spitzen sowohl hinsichtlich der Zwecke wie +hinsichtlich der Mittel zusammen. In der Poebelklientel und dem +Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich eine +gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt +den Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner +derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir +hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution hervorging. +Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, der +Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in seiner +persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf die +Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet +bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die +Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, +und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und +niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der +Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, +liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als der +erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen. + +Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen +sein, wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des +Staats an Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von +keiner Seite dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. +Zwar im einzelnen geschah von seiten des Senats wie von seiten der +buergerschaftlichen Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die +Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die +Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die +schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht +verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis +auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen +und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten +und selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung +der Justiz und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und +umfaenglich genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine +boese Zukunft zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen +waehrend es Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den +spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, +erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms +und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die +Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen +Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in +England; und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern +der Nation wieder in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick +hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; man sieht die +Arbeiter geschaeftig, bald sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; +von Vorbereitungen aber zu einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt +man nirgend eine Spur, und es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur +noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die +roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom +Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein +Menschenalter darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war +hier wie ueberall nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern +der beginnenden Erkrankung und der Vorbote der Revolution. + + + + +KAPITEL XII. +Boden- und Geldwirtschaft + + +Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen +pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so +treten auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit +groesserer Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die +Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise +und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden +liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- +und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich der +Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende +Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die +innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen +Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern. + +Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder +Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato entworfenen +Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt. + +———————————————————————— + +^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, +ist es notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch +hier durch die neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten +ward im Altertum Roggen nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten +Hafers sah man in der Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich +zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien zuerst am Ende des +fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des siebzehnten +Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus +Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur +entstandene Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in +ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen +oder die “griechische Nuss”, der Pfirsich oder die “persische”, auch +die “weiche Nuss” (nux mollusca) sind zwar Italien urspruenglich fremd, +aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor Christus. Die +Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus dem +Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten +kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward +in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47; +Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13, +4, 26), sondern eben wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der +Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist +die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in +der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt zu werden anfing, obwohl +der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist; noch juenger vielleicht +die Aprikose oder die “armenische Pflaume”. Der Zitronenbaum ward erst +in der spaeteren Kaiserzeit in Italien kultiviert; die Orange kam gar +erst durch die Mauren im zwoelften oder dreizehnten Jahrhundert dahin, +ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe (Agave americana). Die +Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut worden. Auch der +Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten Italien +eigen. + +Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen +Produkte, die uns recht “italienisch” scheinen; und wenn das heutige +Deutschland, verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein +suedliches Land genannt werden kann, so ist auch Italien in nicht +minderem Grade seitdem “suedlicher” geworden. + +Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet, +durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte +ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die +sogenannte Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht +betrieben ward, wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato +setzt fuer diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer +mehr Kapital in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht +sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der +Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von +zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist. + +———————————————————————— + +Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen +Gemeindewirtschaft fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie +vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme +als auch in der Art, dass der Paechter alle Betriebskosten trug und +dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte der Fruechte, +empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein +eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3. +Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner +Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern +erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan +festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und seinen Leuten die +Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward, teils eine Anzahl +Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach Umstaenden den +Staatsgeschaeften zu widmen. + +——————————————————————- + +^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der +Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten +Futters, zwischen Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den +zwischen ihnen ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel +gleich waren, laesst die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und +der aehnlichen italienischen Pachtung auf halb und halb sowie die +Abwesenheit jeder Spur anderer Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig +hat man den politor, der das fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen +geteilt wird, den sechsten bis neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. +136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht Teilpaechter, sondern ein +in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen +Gesellschaftsvertrag erhaelt. + +^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die +roemischen Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem +Umfang zu erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine +Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3). + +———————————————————————————- + +Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse +gebaut; daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum +Viehfutter, Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. +In der Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. +Fuer die Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum +Beispiel die Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch +Wiesen zur Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden +sie haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer +wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und der +Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf +eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und +andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, +teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen, +Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den +Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur +ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch +kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der +heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des +Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der +Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung +von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur +gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe +nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens +auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide +Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; +haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen +grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde +einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von +Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen. +Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -, +Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis +gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und +ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so +unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung. + +——————————————————————————- + +^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern +hoechstens leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus +Cato (agr. 33, vgl. 137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, +3) bei dem Weinberg keinen anderen Nebengewinn als den Ertrag der +verkauften Ableger. Dagegen die Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes +Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen +Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen diesen Getreide. + +——————————————————————————- + +Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, +die besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt +wurden; auch ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd +gehalten. Man zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; +durchgaengig waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das +Gut von 100 Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, +ein juengerer Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden +nach Catos Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das +groessere vier erfordert. + +Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der +Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter +(vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die +Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit +anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin (vilica), die +Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag besorgt; +eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, +ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, ein Schafhirt. Die Zahl +schwankte natuerlich je nach der Bewirtschaftungsweise. Auf ein +Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und +sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und +neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit Olivenpflanzungen und +Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten gerechnet. Fuer +den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut +von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und +zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen +Knechte; die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und +eigene Kasse zu gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu +verheiraten; er allein wird auch Aussicht gehabt haben, im Fall des +Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu erlangen. Im uebrigen +bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. Die Knechte wurden +eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, sondern in +arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn sie +durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem +Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude +(villa rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die +Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer +den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) +eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der Wirtschafter selbst, +erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des Herrn in gewissen Fristen +nach festen Saetzen geliefert, womit er dann auszukommen hatte; so +Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden und von denen +die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so monatlich +eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner Salz, +Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete +sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der +leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing. +Alles Backen und Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen +gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu +fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder einen Entweichungsversuch +befuerchten liess, ward angeschlossen auf die Arbeit geschickt und des +Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. Regelmaessig reichten diese +Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von selbst versteht, die +Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern aus. Fremde +Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in +besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den +Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden, +und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte +nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm man gedungene +Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem Eingebrachten die +sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, das fuenfte Korn +empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische Arbeiter in +grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte einbringen zu +helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem +Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, +gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht +einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen +besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig +verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig und +liess den Kaeufer die Einbringung besorgen. + +——————————————————————- + +^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die +Sklaven nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als +zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und ein aehnliches Verfahren muss auch +Cato im Sinn gehabt haben, wie der Personalbestand seiner +Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht geradezu sagt. +Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2) +ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8) +beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der +Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden, +ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil des +regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst +betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf +aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte +charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche +Dienerschaft (familia urbana). + +^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der +Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen +auch bei Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst +mahlen koennen, statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56). +Sogar in der Kaiserzeit tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig +noch auf als eine definitiv von dem Herrn, provisorisch von dem +Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; +Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder durch +gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem +vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit +vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu +erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck +des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass +die Lage der Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und +darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich +vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens +auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten liessen, soll damit +nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin angedeutet, dass die +Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden Nachteile nicht +ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber Gefesselten +verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte +eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde +gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. +Berlin 1856, S. XXXI). + +^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro +(rust. 1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch +fehlerhaft gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der +Erntearbeiten einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es +dennoch geschehen waere, die Trauben auf dem Stock verkauft haben, was +doch haeufig vorkam (Cato agr. 147). + +—————————————————————————- + +Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten +Ruecksichtslosigkeit der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer +Linie; ein guter Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, +muss nicht zu freundlich gegen seine “Mitsklaven” sein. Man naehrt +gehoerig den Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil +es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft +sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden +sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu +behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier +mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den +gebotenen Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist +bezeichnender fuer den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als +die Art, wie sie die Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach +einschaerften und der Sache nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug +an jenen Tagen allerdings ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht +ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen Tagen die +Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr +keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos +Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch +menschliche Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu +knuepfen, ward nicht einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in +unverhuellter Scheusslichkeit, und man machte sich keine Illusionen +ueber die Folgen. “Soviel Sklaven, soviel Feinde”, sagt ein roemisches +Sprichwort. Es war ein oekonomischer Grundsatz, Spaltungen innerhalb +der Sklavenschaft eher zu hegen als zu unterdruecken; in demselben +Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und nicht minder das Orakel +der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven gleicher +Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche +Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie +schon gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, +wie die roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den +“Landguetern des roemischen Volkes”, den Provinzen; und die Welt hat es +empfunden, dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem +Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig +beneidenswerten Hoehe des Denkens emporgeschwungen hat, wo in der +Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital, so +kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der Folgerichtigkeit, +Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht versagen. +Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen +Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf +und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine +Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber +auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl +versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie +ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist, nicht borgt noch +verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen Gottesdienst als um +den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als rechter +Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn +anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden +begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und +ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein +schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er auf +seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei Tage +vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass das +Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag tut, +was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber der, +welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst. Auch +die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl sind +es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum +Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor +Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu +frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse +Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der +rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig +die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar +bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte +anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten +griechische, afrikanische und spanische erscheinen. + +——————————————————————— + +^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- +und Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. +14) die Zahl der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der +christlichen Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt +dann die Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche +Columella auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel +durchgaengig das wandelbare “Saatfest” (feriae sementivae; vgl. 1, 201 +und Ov. fast. 1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. +epist. 8, 21, 2 und sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht +verwechselt werden. + +——————————————————————— + +Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur +verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und +seine Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. +Der Viehstand zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die +Kosten des Pfluges und seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke +ein. Oel- und Weinbau traten zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe +Roms oder eines anderen groesseren Absatzplatzes bestanden auch +sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie +man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen Ertrag. + +Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der +Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich +mehr Flaechenraum haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800 +Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche +ausgedehnt werden. Nach den klimatischen Verhaeltnissen Italiens +ergaenzen sich daselbst gegenseitig die Sommerweide in den Bergen und +die Winterweide in den Ebenen; schon in jener Zeit wurden, eben wie +jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden, die Herden im +Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck von da +nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt +ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum +Teil Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, +hauptsaechlich um den Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so +weiter die benoetigten Tiere zu liefern; auch Schweine- und +Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber und weit hoeher +entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von Wollstoffen +die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im +ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister +pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen +die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft +meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter Schuppen und +Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten +Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und ihnen eine bei +weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei der Gutsmannschaft +geschah. + +Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu +wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise +dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum +Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld der roemischen +Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre +Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche Beguenstigung des +hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der italischen Bauernschaft, +zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist. Es handelt sich +hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des italischen +Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich, +teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung +geliefert ward, wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur +Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und der roemischen Heere +verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art abgetreten, dass diese +dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch es uebernahmen, gewisse +Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst erforderlich war zu +liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die roemischen +Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn dies +auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss +sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen +Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, welche laengst +wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt hatte und bei +drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im Ausland +eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der +Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich +groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten, +und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches +Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu +erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu +ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich +oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon in +den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf +Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs +Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die +Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre +nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu +dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst +eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie +mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr +haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die +Regierung oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren +Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht +auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, +drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die +Getreidemassen, die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne +Zweifel in der Regel von diesen so billig erworben, dass sie beim +Wiederverkauf unter dem Produktionspreis weggegeben werden konnten; +sondern wahrscheinlich war auch in den. Provinzen, namentlich in +Sizilien, teils infolge der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der +ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der +Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der +Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium +wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin +aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im +natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel +stroemen und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen +durch die leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen +Verhaeltnissen waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten +des italischen Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu +legen; aber es scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten +der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein +Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr +einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere +Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die +Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und +also das ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden +sein. Die Wirkungen dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr +ausserordentlicher Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der +Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht +mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 +roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, +72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft +wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in +Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos +Zeit heisst Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde +in den italischen Haefen das sizilische und sardinische Korn um die +Fracht losgeschlagen. In den reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, +in der heutigen Romagna und Lombardei zahlte man zu Polybios’ Zeit fuer +Kost und Nachtquartier im Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen +halben As (1/3 Groschen); der preussische Scheffel Weizen galt hier +einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere Durchschnittspreis, etwa +der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9, zeigt mit +unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen +Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen +das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war. + +————————————————————— + +^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer +das siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer +den roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel +Weizen, wofuer heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den +Provinzen Brandenburg und Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 +Silbergroschen gezahlt wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz +der roemischen und der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder +dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden. + +Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und +der spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, +als dies heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben +angefuehrten von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen +der aergsten Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im +Hannibalischen Kriege der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 +Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: +Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf +218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) +stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme +sind wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen +Bedingungen auch heute noch sich wiederholen. + +——————————————————————- + +In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht +zu ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder +doch nicht unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land +wie Italien, wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus +Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den +Interessen der wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, +der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des +Ganzen auf die schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt +es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie +unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik +war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu +ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels +gefuehrt; aber in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles +andere eher sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden +Patrioten. Jede Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von +selber eingeschritten sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in +gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des +Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine hatten ja +wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die +republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff +ungehindert in die Brandung hinein. + +Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr +lieferte, war die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, +als allmaehlich auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen +Staenden, die sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren +republikanischen Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie +rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den +groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden. + +Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. +Derselbe produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein +Land nicht nach dem aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab, +sondern es nach dem neueren durch seine Knechte bewirtschaften liess; +wo dies also nicht schon frueher geschehen war, zwang die Konkurrenz +des sizilischen Sklavenkorns den italischen Gutsherrn, zu folgen und +anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne Weib und Kind zu +wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher durch +Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten +gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich +begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der +nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der +roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten des Getreidebaus, der +vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das Arbeiterpersonal +erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint ^10, und die +Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. Diese +hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens die +auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das +italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen +Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein +Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit +Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die +oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. +Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in +Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen +schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren +durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht +lieferte im ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser +rentierte am besten der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die +Olivenpflanzung, am wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird +die Betreibung einer jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr +angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem naturgemaessen Boden +vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon aus, um +allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die +Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen +entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das +spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die +senatorischen Haeuser von der Spekulation ausschloss und dadurch deren +ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden +sich anzulegen, das heisst die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und +Viehweiden zu ersetzen. Es kamen ferner der dem Staat weit +nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem Gutsbetrieb, noch +besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als die einzige +Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen +erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem +Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht +die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein +haeufiges Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter +nicht wohl und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten +Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den +Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon +an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu +verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, +vielleicht um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu +kamen die Folgen der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden +nicht bloss, da regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, +ausschliesslich grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die +Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich +immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken, +namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war, +dass man diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte. + +————————————————————————- + +^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg +Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf +keineswegs bloss Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr +gebaut ward. Waeren freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des +Weinbergs angewiesen wird, sich mit Faessern zu versehen (11), das +Maximum einer Jahresernte, so muessten alle 100 Morgen mit Reben +bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei fuer den Morgen schon +ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro (rust. 1, 22) +verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der Weinbergbesitzer +in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen, bevor die +alte verkauft ist. + +^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich +sechs Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen +genaueren Anschlag fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den +Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen folgende Kostenberechnung +aufstellt: + +Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen + +Kaufpreis der Arbeitssklaven + +auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen + +Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen + +Verlorene Zinsen waehrend + +der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen + +Zusammen 4640 Sesterzen + + = 336 Taler. + +Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 +Sesterzen (65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent +darstellen wuerde. Indes ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch +von Missernten abgesehen, die Kosten der Einbringung und die fuer +Instandhaltung der Reben, Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen +worden sind. + +Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt +auf hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher +auf weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von +25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem +hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht +mehr als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der +Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als +gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen +vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht +ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten +machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. + +Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach +Catos Tod. Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich +Viehwirtschaft besser rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; +Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. +21); was natuerlich nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, +Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist +dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst +geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem in die +Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen +trage. Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass +die mangelnde Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland +weniger nachteilig wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und +Olivenkultur. Innerhalb des Ackergutes stellt sich nach Cato die +Bodenrente folgendermassen in absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. +Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der Rebenkultur hohen Ertrag +abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. +Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun +Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter +saemtlich wiederkehren. + +Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt +auch, dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den +ihr zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von +dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins +empfaengt. + +———————————————————————- + +Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine +zusammenfassende Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von +Fachschriften aus dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre +Natur selbst, die bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als +die Bodennutzung. Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen +nach vielleicht weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern +eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken +Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die +heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das +kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von +den Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe +der Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so +eigentuemlich roemisch, dass der Geist der roemischen Oekonomie und +ihre Grossartigkeit im Guten wie im Schlimmen vor allem in der +Geldwirtschaft sich offenbart. + +Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das +Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den +Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen +Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers +(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der +Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten +auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt +und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland ihre +Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit +vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die +Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die +kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und +Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing +schon im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu +werden. + +Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das +System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen +roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine +komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen +eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder +Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig +in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die +Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und der +Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die +saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva +vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und +nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. + +Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der +ueberseeische Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit +gezeigt worden; von dem weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser +Periode nahm, zeugt die steigende Bedeutung der italischen Hafenzoelle +in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser den keiner weiteren +Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die Bedeutung des +ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich gesteigert +durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische Nation +in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen +Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende +Zollfreiheit. + +Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke +waren freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass +sie bis zu einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn +Cato dem kampanischen Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung +und Schuhzeug, an Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. +Auch kann bei dem starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und +Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch +zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in +Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur +sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in +Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere +Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall +ueberwog hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und +milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation. + +————————————————————————————————- + +^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich +schon aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen +Komoedie spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato +(bei Plut. Cato mai. 21). + +————————————————————————————————- + +Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf +ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst +den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge +dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden +Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in +diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten +Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren, doch +wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen +Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die +Haende zu geben. + +Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte +durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier +richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und +Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die +Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte fuer +das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven und +Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte sich +Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder +Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte +oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum +Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine +Waren auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder +Freigelassenen kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im +Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der +Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt +zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht +beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen; +dennoch befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die +Industriesklaven sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie +hatten haeufiger Familie und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die +Moeglichkeit, Freiheit und eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen +nicht fern. Daher waren diese Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der +Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand, welche durch Bediententugend und +oft durch Bedientenlaster in die Reihen der roemischen Buerger und +nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch +und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des +roemischen Gemeinwesens beigetragen haben. + +Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen +politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art +nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der +Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht +nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, +in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne +gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen +Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die +Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den +Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt +voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen +Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge +der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze +beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens +neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald +ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso +rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in +Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere +Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die +spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. +Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, +ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im +westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und +etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und +Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im +Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art +unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber +durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre +Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, +den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der +Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen +begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte +nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische Gebiet, +sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen +Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die +Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis +hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des +Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare +roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht; +dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des +internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die +roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen +von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des +Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran +fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber zu +schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse +angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht +auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in +der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder +ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne +Zweifel fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen +Kapitalisten die edlen Metalle wesentlich in dem gleichen +Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das Gold im Grossverkehr die +erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter geschlossen werden +darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und namentlich +mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant +uebergegangenen Osten. + +—————————————————————- + +^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund +ungepraegten, 18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des +Goldes zum Silber war 1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91. + +——————————————————————— + +Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen +Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel +dieselben auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht +leicht dauernd an, sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach +Rom, indem sie ihr gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in +Italien anlegten oder auch mit den erworbenen Kapitalien und +Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die +Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch +vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische. +Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber +wie heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem +juengeren Scipio Africanus sagt, dass er “fuer einen Roemer” nicht +reich gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum +verstand, kann man ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei +einem Vermoegen von 100000 Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen +Senator galt, und dass eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren +Scipio Africanus sie erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als +angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens angesehen ward, +waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr als eine +halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte. + +Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der +Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -, +dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und +Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie +das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu werden. Die +Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein Teil der +oeffentlichen und der Privatmoral. “Einer Witwe Habe mag sich mindern”, +schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten Lebenskatechismus, +“der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige ist ruhmwuerdig und +goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei seinem Tode +nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat”. Wo darum +Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne +irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und +wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und +Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht +zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in +der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, +schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt einen +Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht. Sogar +die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in allem +Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von +Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden +in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die +Erbschaften, wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, +wenigstens besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die +kaufmaennische Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das +ganze roemische Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu +fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn +auch in jedem wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer +(tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten +Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato +in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne +Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir +sie den kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach +roemischer Uebung jenen Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des +unbescholtenen Mannes galt nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu +seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter rechtschaffenen Leuten +war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der einen Partei +geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, womit +sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb +eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst +fuer den unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei +gleicher Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu +sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in +der scharfen und immer schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass +kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen +lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht bloss Beamte, Offiziere, +Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit oeffentlichen +Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere Verguetung +fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen, +sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich +untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung +(depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten +Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und +Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass es +unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage +selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der +Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des +Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch +die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche +Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem +Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden +Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die +Tatfrage in aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die +Annahme einer solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger +angebotenen Wette war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum +Zweikampf rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu +vermeiden. + +———————————————————————- + +^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, +Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht +formalen klagbaren Vertraegen. + +^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. +Auch fuer den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die +Eintragung des Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers +basierte Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der +persoenlichen Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr +Zeugnis in eigener Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, +als spaeter diese kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen +Leben entwich, der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, +aber von selber verschwunden. + +——————————————————————— + +Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann +schwer fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die +ungemeine Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe +noch besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der +Regierung, ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; +denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl +auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, +dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften +diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser +Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden +sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische +Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur +gemeinschaftlichen Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern +vorgekommen ist ^16. Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit +bedeutendem Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen +eine solche Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem +Altertum unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als +das sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch +Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer +von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt +kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber +ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen +Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu +spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit +seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern +Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum +fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte +groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische +Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen +Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem +vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese +kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie +eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios’ Zeugnis kaum +einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller +Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um +soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil +seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken +gehabt haben. + +——————————————————————— + +^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen +der Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender +Paragraph: “Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] +niemand zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse +teurer verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] +sofort als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein +scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm +bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit +welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu +jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den Eid +nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.” Dass der +Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird +stillschweigend vorausgesetzt. + +——————————————————————- + +Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die +vielleicht noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher +hervorgehobene, in dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der +Bestand der grossen Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast +gleich bleibt, findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden +Grundsaetzen der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. + +Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen +Oekonomie konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft +unzertrennlichen Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche +Gleichheit, welche bereits durch das Emporkommen des regierenden +Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich +schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende +soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach +unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, +anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von +Kapitalistenuebermut und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, +dass es schimpflich sei, fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich +damit die Scheidewand nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und +Handwerker und dem respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern +ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und dem +Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach +oben hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius +veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und +Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum Transport des +Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich auch sich bei +den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt ihnen alles +das zu betreiben verbot, was die Roemer unter “Spekulation” (quaestus) +verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den Senatoren +hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen Opposition, +welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte, dass +Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es +kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft, +mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die +Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die +Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr +unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege +genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat +dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder +doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen +gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an +die Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen +Rivalitaeten mit dem Herrenstand die Geschichte des folgenden +Jahrhunderts erfuellen. + +——————————————————————————- + +^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der +Verordnung ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen +(redemptiones) dem Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius +(tog. cand. p. 94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach +Livius “jede Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward”, +so hat das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht. + +—————————————————————————— + +Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das +unverhaeltnismaessige Hervortreten eben der sterilsten und fuer die +Volkswirtschaft im ganzen und grossen am wenigsten produktiven +Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster Stelle haette erscheinen +sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel bluehte; aber er war +durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze scheint man +imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den keltischen +und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den +anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben; +wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das +Keltenland von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun +gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die +Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die +Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; +mehr wollte man eben auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie +jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt, +mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen - besass man doch Geld +genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte und nicht brauchte. +Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der Geldhandel und das +Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der roemischen +Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung +eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten +war, verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im +besten Fall zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei. + +Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen +Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des +Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch +den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr +lebendig, welche Saat des Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; +und vor allem richteten sich der instinktmaessige Hass des grossen +Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit +langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach +immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem +Lustspiel dieser Zeit: + +Wahrhaftig gleich eracht’ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; + +Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte. + +Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut’ ihr beide. + +Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen; + +Ihr bracht’ sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden. + +Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr. + +Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der +Reformpartei Cato sich aus. “Es hat manches fuer sich”, heisst es in +der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, “Geld auf Zinsen zu leihen; +aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und +in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer +vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, +ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen +erachtet ward”. Der Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem +Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man muss es ihm +lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen Reden +zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine strenge +Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande +hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt +seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten +mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich +rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute, +sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel +der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer +Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die +Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer war, +dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu +ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung +zu geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato +war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. “Wenn unsere +Vorfahren”, faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, “einem +tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen +tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, +schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich fuer +wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und +Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die +tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie +dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich +abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken”. Von sich selber +pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei +Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und +wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit +gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen +wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers +gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche +Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene +Heilmittel der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der +Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der +Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei +der Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber +wie war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis +zum fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der +Art gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den +arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die +Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die +Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in +Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet +taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte +Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und +eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die +senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem +Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise +das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der +zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im +Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war +der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde +und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf +Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen +Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht +radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und +verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. +Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die +Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. +Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und +vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die +er schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht +selten gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato +beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit +der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien +ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig +groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um +die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit +selber bis zum Verwechseln aehnlich. + +——————————————————————- + +^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer +in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht +seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in +Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch +Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter +Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das +Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein +verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu +den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften. + +————————————————————————- + +Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten +Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der +Zustand der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar +gut. Die bei der Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und +dem Po in grosser Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen +verschwanden nicht so schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende +dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und +kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es +wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur +Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der +sogenannte “gallische Acker” durch die Aufteilungen des Domaniallandes +in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche +Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg +mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die +inneren Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines +freien Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die +Vorteile des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden +konnten und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, +sowie in den abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. +Sueditalien dagegen hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht +und ausser einer Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten +Staedte, Capua und Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann +ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren +Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung +von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als +die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem +roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. +Allein der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und +die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, +obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch +uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis +dahin wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet +worden. In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein +die hier angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb +die schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der +anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz +und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern +kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen +Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne +Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran +sich reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah +nicht viel, um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit +Ausnahme etwa von Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort +angelegten Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der +politischen und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen +Landschaften und dem verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner +derselben ist im ganzen doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird +durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand +Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin ueberein, dass +Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende +des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen +aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende +Schwierigkeit der Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum +Dienst in den Legionen herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen +ueber die Hoehe der von ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen +diese Angaben; und was die roemische Buergerschaft anlangt, so reden +die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus’ Zug nach +Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor +dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 +Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem +Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel +gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine +ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage +besonders der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen +fuehlbaren ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum +die Ziffer wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser +Periode gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die +italische Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel +ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das +Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von +landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch +aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben +wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien +und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den +Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier +recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so +unsicher gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; +im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, +auch mit dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung +entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in +Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren +(558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und +Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte +ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen +und loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- +und Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen +Kriege mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die +Bundesgenossenschaft dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken +der italischen Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten +ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann +niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber +erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils +wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie +nicht einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die +Ahnung von der ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine +roemische Dame vom hohen Adel, die Schwester eines der zahlreichen +Buergeradmirale, die im Ersten Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde +zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem roemischen Markt ins +Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden aus, dass es +hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu +stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte +Luft zu machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die +wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch nichts als der +schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die +gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und Bauernschaft +herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man liess es +geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger und +verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen +bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. + + + + +KAPITEL XIII. +Glaube und Sitte + + +In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer +er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte +bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und +ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, +traurig und schwer gelebt zu haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr +und keiner weniger zu tun, als sein Haus in guter Zucht zu halten und +in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem +aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der +Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem +einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging zugleich +mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein +Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes +folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das +Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien zu jenem gewaltigen +Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat +und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns +gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. Zwar gehoerte zu +dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes auch dies, +dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit +waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in +die schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode +sich aeussern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis +des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die +mehr als jede andere Erscheinung im roemischen Leben geeignet ist, uns +Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es +war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Buergerschaft geladen ward +durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener Wehrmann ist Todes +verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das Geleite zu +geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten ihn die +Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen +letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei +erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann +noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der +grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, die +Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, dass +wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, die +Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher +gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet +oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs +getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben +gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der +Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in +hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der +hoechste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie +eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden +Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das +Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei +Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im +goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten +Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, +alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren +purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern +ueberspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen +Schmuck des hoechsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den +Ruestungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm +gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in +schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit +verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die Verwandter. und +Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. So ging +der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet; +die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen +Stuehlen sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste +Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbuehne, um in schlichter +Aufzaehlung die Namen und Taten eines jeden der im Kreise +herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst Verstorbenen der +versammelten Menge zu verlautbaren. + +Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende +Nation haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, +sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation +hinein ertragen; aber selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig +geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die +grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten +Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit +des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die +abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem +gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und +der Ehren satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst +auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. + +Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht +sich nicht mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten +und Westen uebergriff, war es auch mit der alten italischen +Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende +Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluss hatte Italien gestanden, +seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es ist frueher dargestellt +worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien, +beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, geistige +Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr +aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der +Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der +Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie +in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis +nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen +geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst +kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in +den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht haben, sich der +armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu bedienen, so +kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit brennendem +Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der +geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas +Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den +hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte +wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr +humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete +vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem +geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu +gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom +ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des +Grossen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss +Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark +der italischen Nation. Natuerlich straeubte die lebenskraeftige +italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem +heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer dem weltbuergerlichen +Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische Frack den +germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der +Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in +einer den frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem +griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig +in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. + +Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser +Kampf der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst +die politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche +Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter +Schiffbruch frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls +hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen +gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische +Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit +massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben +wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die +letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem +Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so +zum Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich +in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, +sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, +den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und +beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere +Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum +war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den +Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, +soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, +um das die Roemer sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in +dieser Epoche der Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und +die dortige lokale Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich +ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; +aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer Aufschrift +versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft +und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter +Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig +eingegangen in griechische Art und griechische Kunst. + +—————————————————————————- + +^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia +und seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften +festgestellt; wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so +stellt sich dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht +gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener Beiname nichts sein als eine +Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer +schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den +geborenen Asiaten. + +—————————————————————————— + +Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen +Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens +und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht +unterlassen werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen +zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung +zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine Darstellung zu +versuchen. + +Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, +zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies +Problem der italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen +erregte. Bei dem Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische +Oberfeldherr zu hoeren, dass er waehrend der Schlacht nichts getan habe +als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas +platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit +dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat +nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und +dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien. + +Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine +Antiquitaet war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon +sichtlich an, sich zur Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht +tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in +den veraenderten oekonomischen Verhaeltnissen des Gottesdienstes und +der Priesterschaft. Der oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss +immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger. +Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse +zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien +der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei +Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht +bloss die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes +bedurfte es hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner +Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliss. Neben den +klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunitaet nicht. Die +Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedraengnis es als ihr Recht +in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht beizutragen und liessen +erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der +rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die Gemeinde wurde +auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein +kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der +Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken +war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den +katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie +von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet +der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben und sonstigen +Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast betrachtet +wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast zu werden - +“Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern sprichwoertlich +gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das Geluebde des Zehnten +der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male infolgedessen +auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit +dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem +gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, +von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. +Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig +nichts fuer nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, +wenn auf der roemischen Buehne in der ehelichen Gardinenkonversation +neben der Kuechen-, Hebammen- und Praesentenrechnung auch das fromme +Konto mit erscheint: + +Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag + +Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge +Frau; + +Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, schick’ ich +nichts. + +Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. + +Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so +jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den +hoechsten wie in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der +alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer +oekonomischen Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber +gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind +von Vernunft und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die +ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche +Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist +damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des +Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit +der natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese +Pflicht den Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass +ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis +dreissigmal hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja +auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder +vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, +als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben +Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In dieser +Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre +Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der +Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen +Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu +befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb - +freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der +Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser +Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt +werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und +Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit +geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine +Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene +Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener +und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen +Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios’ +Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren +Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die +hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden +Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der +Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu +schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende +Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was +geradezu durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum +Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem +roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch +hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen +war die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in +Rom. Die poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus +den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von +Megara (um 280 470) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens +groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen +Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein +Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, +aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren +allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war +sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der Landesreligion +einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die +“heiligen Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form +von Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland +getanen Reisen die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten +gruendlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf +hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch gebe. Zur +Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die Geschichte +von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der in aeltester Zeit +bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften Menschenfresserei. +Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das +Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in +Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion +begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und +wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen +Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven +Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische +uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit +gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen +und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war +ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese +Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm +eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen +Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. + +So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und +wie man die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der +Boden mit wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem +Unkraut. Inlaendischer Aberglaube und auslaendische Afterweisheit +gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer +Stamm blieb frei von der Umwandlung alten Glaubens in neuen +Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und Blitzweisheit, so +stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des +Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei der +latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier +verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so +die praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die +merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des +Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst +vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und dass die Buecher sehr +neu ausgesehen haetten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem +Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und liess +die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische Fabrikation +reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden +Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran +genuegen zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von +orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den +Unglauben so auch den Aberglauben in seinen aergerlichsten und +gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben als auslaendischer +hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die +chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren schon im +sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit +bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme +der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter +der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten +bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen +muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, +einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, +den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den +Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der +Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das +froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit +umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das +beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit +der Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der +Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch +streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter +Kelten (Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer +Buerger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch +der wueste Apparat der “Grossen Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an +der Spitze unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in +orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus +zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische +Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des +Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu +schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft +der scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine +geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen +griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein +Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz +Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten +Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde +hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, +grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die +Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu +werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende +Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende +sich absehen lasse. + +Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie +gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich +einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen +Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte +seinem Wirtschafter in die Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und +Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich darbringen +lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar, +und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei einem +Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem +Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, +das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein +Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen +Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt +Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren +Anhang: + +Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack, + +Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, + +Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, + +Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. + +Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die +Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die +frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede +auslaendische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung +untersagt, selbst die Befragung des verhaeltnismaessig unschuldigen +Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von Amts wegen verhindert +und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn +die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch der hoehere +Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch +nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem +Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in +vorkommenden Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf +die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen +etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die +Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschraenkten +Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, unschuldigen +und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer +Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des +Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem +neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht +auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist +es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch +Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, +erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den +Behoerden eingeschritten ward. + +Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das +roemische Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im +wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato +ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, +Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das +Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein guter +Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht +war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus +verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. +Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer +gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf +es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven +wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren +gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum +Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der +Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig +mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und +Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder +und an die Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer +suendhaft. Bei der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und +empfahl, auf gute Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im +Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit +der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall +in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als +ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden +gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene +Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” - meinte +der alte Herr - und “waeren die Menschen der Weiber los, so moechte +unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung der +ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen +Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel +selbst, und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen +liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst deren Kinder an die eigene +Brust - einer der wenigen Zuege, worin das Bestreben hervortritt, durch +menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die +Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der +Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend moeglich, selber zugegen. Mit +Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der +vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner +Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu nehmen und +nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn diese +bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes +ist wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach +ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige +Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben +selbst zu allen Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, +schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand +auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, wo der Roemer damit +auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den +nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben musste, +wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm +Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum +lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen +und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten +Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass +er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, +seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze +Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein +Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben +eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge +Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn +mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 +Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den +Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe +Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse +(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der +Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder +nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind +von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als +auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei +Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger +Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er +auch weder die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem +Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit +fuer den Fall, dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen +allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf +war Taetigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und +jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber +gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen +Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder +fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden +abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als +die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. + +So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der +rechte roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem +griechischen Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die +roemische, allerdings etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit +gleichsam verkoerpert erschienen - wie denn ein spaeter roemischer +Dichter sagt: + +Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei; + +Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt; + +Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir. + +Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber +wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus +dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt +sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen als zu +mildern. + +Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. +Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und +wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich +dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als +Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven +legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein paar Jahre +darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich ein. Die +Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) schwere +Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im +Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle +Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von +seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl +zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt +zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die +Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau +von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen +gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft +ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig +nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose +Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt +fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu +streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch +Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die +Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der +Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des +Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von +Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den +Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten +Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen +gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst +willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden +Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso +wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche +und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur +Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon +an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, “die +Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der Buergerschaftsversammlung +war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den +Provinzen Statuen roemischer Damen. + +Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und +in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre +564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und +Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- +und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren +die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch, +dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) gefasste +Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die bunten +Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 +195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, +als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse +neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes +Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten +attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt +ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue +Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage +warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck (prandium) +nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die Hauptmahlzeit +reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten die +Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur +bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, +der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen +begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein +eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem +Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um +583 (171) entstanden die ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber +die Kunst, gut zu essen, mit langen Verzeichnissen der essenswertesten +Seefische und Meerfruechte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei +der Theorie. Auslaendische Delikatessen, pontische Sardellen, +griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, und Catos +Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des +koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich +erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der +Gaeste und ihrer Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen +Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer +getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das +foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder gar nicht +gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit +obligater Nachfolge regierte, das “griechisch Trinken” (Graeco more +bibere) oder “griechen” (pergraecari, congraecare), wie die Roemer es +nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Wuerfelspiel, das +freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche Verhaeltnisse an, +dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. Die +Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato +schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den +Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam +der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der +erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche +wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, abgesehen von einigen +unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien beizuzaehlenden +Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein einziges +allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest +bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses +Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies +daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten +megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das +Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese +bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, +bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand +diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter +denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., +391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor +allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines +der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten +Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), +gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des +Zweiten Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon +erwaehnten Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit +550 204), unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit +537 217); beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten +des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem +idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben +konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie +fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige +Geniefeen von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei +machten innerhalb dieser Festlichkeiten die schlechten und +demoralisierenden Elemente mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und +Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich nach wie vor noch die +Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr anschaulich die +Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn er den +Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die +bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte +nach neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und +Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. +Von den dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war +wohl auch ein Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall +der beste bei dieser Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische +Komoedie und Tragoedie nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und +Fuechse vor dem Publikum laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon +lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden +foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und +Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach +Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen +Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren +Fechterspiele, wie sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden +jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem +roemischen Markt Menschenblut zum Spasse vergossen. Natuerlich trafen +diese entsittlichenden Belustigungen auch auf strengen Tadel; der +Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, sandte seiner +Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt hatte; +die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der +auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward +und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten keine +Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei es die +rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie es scheint, +die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von Fechterpaaren bei +Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht unterdrueckt. +Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem Tragoeden den +Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer den +Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze +des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den +szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein +preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht +darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn +auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten zu +erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder +einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere +Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen +waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die +ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien +durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren +miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. + +———————————————————— + +^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das +derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig +Witz, aber mit grosser Anschaulichkeit: + +Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt, + +Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht + +Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann. + +Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich. + +Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. + +[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar; + +Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.] + +Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf. + +Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt, + +In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind. + +Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; + +Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus + +Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. + +Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn; + +Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt; + +Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil; + +Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch, + +Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin: + +Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. + +Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des +ersten roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz. + +Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in +dieser Zeit Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. +v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. +407). Dasselbe gilt von den Fleischern. Leucadia Oppia mag ein +schlechtes Haus gehalten haben. + +———————————————————————————- + +Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die +roemischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die +Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland +unbekannt waren, fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), +der Roemeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl +sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum +anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort +ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch. + +Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine +oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der +Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten +stiegen zu unerhoerter Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit +Schwindelpreisen bezahlt; das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen +Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein +huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher +Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung fuer hoch und +niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die +Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem +Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser +Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen +Notstuetzen versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den +Sachwaltern untersagt werden, fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine +schoene Ausnahme machten nur die Rechtsverstaendigen, die bei ihrer +ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, nicht durch +Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womoeglich +nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu +gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug +und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische +Ausnutzung rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der +Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der +Spekulation; Geldheiraten waren gewoehnlich und es zeigte sich noetig, +den Schenkungen, welche die Ehegatten sich untereinander machten, die +rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser +Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen Ecken +anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr +in der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum +Genuss zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher +wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das +Schicksal ueber die Roemer mit voller Hand ausgeschuettet; aber +wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert. + + + + +KAPITEL XIV. +Literatur und Kunst + + +Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art +kaum bei einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie +richtig zu wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht +und die Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. + +Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor +allem fuer Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel +bedeutete, wo der Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen +Begriffen noch Knabe ist, bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter +Verwaltung ueberkam und in den Fall kommen konnte, vor der versammelten +Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat man nicht bloss auf den +freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher grossen Wert +gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den Knabenjahren +sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der +hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren +Kreisen war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten +Zivilisation laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die +veraenderte Weltstellung ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit +Auslaendern und im Auslande, dem Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht +notwendig, doch vermutlich schon sehr wesentlich. Durch die italische +Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu einem sehr grossen Teil +aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang griechische +Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein auch in +die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung. +Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben +der nicht vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war, +welches zum rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig +voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische +^1. Die Maenner der senatorischen Familien aber redeten nicht bloss +griechisch vor einem griechischen Publikum, sondern machten auch diese +Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von +ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben in der hannibalischen Zeit +ihre Chroniken griechisch, von welcher Schriftstellerei spaeter noch zu +sprechen sein wird. Einzelne gingen noch weiter. Den Flamininus ehrten +die Griechen durch Huldigungen in roemischer Sprache; aber auch er +erwiderte das Kompliment: der “grosse Feldherr der Aeneiaden” brachte +den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit griechischen +Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator rueckte +Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische +Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht +geschaemt habe. + +————————————————————————————— + +^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, +machaera, nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, +malacus, morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert +durchaus zum Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden +selten dazu gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene +Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im +‘Wilden’ (1, 1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter +eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia [Edelmut ist +Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der +‘Casina’ (3, 6, 9): + +πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor; + +ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‘Die beiden Bacchis’ +(240): + +opus est chryso Chrysalo; + +wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, +Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). +Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, +plagipatida, pugilice oder im ‘Bramarbas’ (213): + +euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! + +Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur! + +^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet +also: Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse! + +Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn! + +Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe, + +Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. + +————————————————————————————— + +Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische +Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung +der elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich +zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven +wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem +Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die +Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht +sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in +sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche aber +gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss +aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher +hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und +geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in +einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn +gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter +den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der +Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach +Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem +Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als +Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar +nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder +Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche +Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich +in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der +Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien +unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten +Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische +Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei +die klassische Literatur, namentlich die ‘Ilias’ und mehr noch die +‘Odyssee’ zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze +hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet +vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung +des Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen +Sprach- ein hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die +Literatur sich knuepfende allgemeine Bildung den Schuelern in +gesteigertem Mass ueberliefert, dass die erlangte Kunde von diesen +benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der Zeit beherrschende +griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die Lustspiele +Menanders. + +In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein +groesseres Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft +Roms das Beduerfnis zu empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der +griechischen zu vertauschen, doch wenigstens zu veredeln und dem +veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch hierfuer sah man in +jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die oekonomische +Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere geringe +und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in +der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen +oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3; +es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet +dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig +verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit tiefer griff die +formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den lateinischen +ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer die hoehere +geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete Formen zu +finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal gefundenen +Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem +Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu +genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, +welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf +den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage +in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die +lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor. + +——————————————————————- + +^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, +der als Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. +20). + +——————————————————————- + +Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. +Lateinisch lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln +lernen; aber eine lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und +eine solche war in Rom nicht vorhanden. + +Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit +ist frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die +Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die +eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal, +am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem +Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden diese +Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel; die +improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, waren +ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich nach +einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten +standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent des +Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu +Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in +Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; +dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres +Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen +Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim; +allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom +Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den +Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war; +und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem +Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe +und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches +Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man +wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. + +Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre +Mangelhaftigkeit war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle +wirkliche Kunst beruht auf der individuellen Freiheit und dem +froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu einer solchen hatten in +Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische Entwicklung die +Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das +Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und +musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der +roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. Erst als die +roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die +hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, +stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum +steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf +griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch +roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst +gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den +aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher, +und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide +Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch +antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem +Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein +Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem +roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen +Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und +keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche +Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die +notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer +das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden +die wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, +weil sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen +und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber +gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze +innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der +erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen +Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich +belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar +politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie +der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im +engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben. + +Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die +spaetere Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor +482 bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 +Livius Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) +unter den anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des +Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). +Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, +teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, +welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben +vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete +sich dabei so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, +die sich seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der +gluecklichen Wendung des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die +Verfertigung des Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn +der Poeten- und Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen +Gottesdienst im Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine +Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als +Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den +lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen +bei seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat +dieses aelteste roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch +Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie +jeder andere sich die Texte selbst, sondern er machte sie auch als +Buecher bekannt, das heisst, er las sie oeffentlich vor und verbreitete +sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger war, er setzte an die +Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das griechische +Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten +Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne +aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer +Komoedie in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als +Grieche war, war geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen +Wert der Arbeiten kann nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden +Anspruch an Originalitaet; als Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie +von einer Barbarei, die nur um so empfindlicher ist, als diese Poesie +nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung +des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken +Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der +Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, +bald schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne +Muehe, was die alten Kunstrichter versichern, dass, von den +Zwangslesern in der Schule abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum +zweiten Male in die Hand nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in +mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die +roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten die griechischen +Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen geschah +und die Livische ‘Odyssee’ vielmehr in dem nationalen saturnischen +Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben und +Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen +nachbilden liessen als die epischen Daktylen. + +———————————————————————————— + +^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen +des Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. + +^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es: + +quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem. + +Milchfuell’ ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt’ ich ihn. + +Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) + +Ούδ' άρα Κίρκην + +εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα + +ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή + +σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον. + +aber verborgen + +Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig + +Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun + +Brot ihr und Fleisch in Fuell’ und den tiefrot funkelnden Wein her. + +werden also verdolmetscht: + +tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae: + +simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis. + +mília ália in ísdem - ínserínúntur. + +In Eil’ geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. + +Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen + +Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge. + +Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die +Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus +vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch +laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von αιδοίοιςιν έδωκα +(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist auch +geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der +Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden +Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er +gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich +Muttersprache gewesen sein kann. + +——————————————————————— + +Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald +ueberschritten. Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und +ohne Zweifel mit gutem Recht, gleich den daedalischen Statuen von +bewegungs- und ausdrucksloser Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als +Kunstwerke. In der folgenden Generation aber baute auf den einmal +festgestellten Grundlagen eine lyrische, epische und dramatische Kunst +sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher Wichtigkeit, dieser +poetischen Entwicklung zu folgen. + +Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das +Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein +stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in +Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der +jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen +Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit +Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte +oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die +Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt +dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer +die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund +(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der +Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss +abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich +mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen +frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze +beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht +geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward, +den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte. + +——————————————————————- + +^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen +Spiele am Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, +Topographie der Stadt Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf +wieder niedergerissen. + +^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, +Parerga zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, +214; vgl. O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der +Republik. Leipzig 1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser +der plautinischen Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf +ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. +E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle +mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben. + +——————————————————————- + +Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die +besseren Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten +zurueck; die Vaeter der Stadt scheinen sogar anstandshalber +verpflichtet gewesen zu sein, sich bei denselben zu zeigen. Aber wie es +im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden zwar Sklaven und wohl auch +Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit Frau und Kindern der +Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die +Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie +heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. +Natuerlich ging es denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder +schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier und da machte eine +Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die Gerichtsdiener +hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag und Gelegenheit +genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute zu wirken. + +——————————————————————— + +^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater +zugelassen worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; +Cic. har. resp. 12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber +Sklaven waren von Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; +Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den +Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die +unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, +10; Suet. Aug. 44). + +——————————————————————— + +Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die +Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten +kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal +in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. +Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; +der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der “Schreiber”, der +Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu +der an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden +auch vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste +Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich +hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der +Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der +Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, +ihre Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns +genannt werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering +- ein Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz +nach dem Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, +sondern ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn +das Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von +Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in +Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie bei +uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein +einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen +Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der +Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische +Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich +entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die +attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im +ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man +nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu +entfalten vermocht hat. + +——————————————————————— + +^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine +Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. +229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, +nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der +Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber +Preisgerichte und Preise ist entscheidend. + +Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die +Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach +dem Ende nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man +kam, wie dieselben Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins +Theater und war zur Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das +Schauspiel also nach unserer Rechnung etwa von Mittag bis halb drei +Uhr, und so lange mag ein Plautinisches Stueck mit der Musik in den +Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn +Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer “ganze Tage” im Theater zubringen +laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren Zeit. + +——————————————————————— + +In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie +ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des +gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass +diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, +aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter +den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein +Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen +I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den +Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und +damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der +neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter +Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von +Athen (412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die +roemische Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so +wichtig geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu +verweilen. + +————————————————————— + +^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der +Attiker kommt geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als +das minder entwickelte menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der +aelteren Komoedie mangelt jede Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die +Gattung des Plautinischen Amphitryon, heisst zwar den roemischen +Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die neueren Attiker +dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen, warum die +Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden +Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben +sollten. + +————————————————————— + +Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme +drehen sie sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines +Vaters oder auch des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von +unzweifelhafter Anmut und sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. +Der Weg zum Liebesglueck geht regelmaessig durch irgendeine +Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der die benoetigte Summe +und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der Liebhaber ueber +seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad des +Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude +und Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, +die vor Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder +vielmehr die Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der +eigentliche Lebenshauch der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die +wenigstens bei Menander unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer +Erbauung und Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich +herauszustellen pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie +unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden gekommene +Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute +Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn +zum Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der ‘Strick’ sich um +Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das ‘Dreitalerstueck’ und ‘Die +Gefangenen’ gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die +edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer +den Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei +wie auf einer Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht +herauskommt aus den Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an +die Haustueren, aus den mit irgendeinem Gewerbe durch die Strassen +fegenden Sklaven; die stehenden Masken, deren es eine gewisse feste +Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben Bedientenmasken gab, aus +denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur auszuwaehlen hatte, +beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine solche +Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor, +wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation +beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element, +sondern ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. +Auf eine grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die +Stuecke auch verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand +zunaechst in der Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei +die neuere Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die +groessere innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche +Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders durch die +Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte +Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums +war. Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in +den tollen, oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum +Beispiel die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als +Braut aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze, +Schnurren und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser +Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden +Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien +aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes +fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie +andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende +Zirkel, in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie +geben darum auch kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen +und geistigen Bewegung derselben ist in diesen Komoedien nichts zu +spueren, und man muss erst daran erinnert werden, dass Philemon und +Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander und Aristoteles gewesen +sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild der gebildeten +attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals +heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir +sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig +verwischt und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter +diesen Dichtern, dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der +Dichter leben sah und selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen +und Verzerrungen, als in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig +widergespiegelt. Die freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen +Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und Diener, mit ihren +Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so allgemeingueltig +abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht verfehlen; der +Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der ‘Stichus’ schliesst, ist in +der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht der beiden +Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von +unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten +Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im +bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf +der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die +Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie +deren eine im ‘Curculio’ auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter +Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen +Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig +besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge und +geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige +gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme +Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen +den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen +zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und da +begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die +Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister, +der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das +impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr +zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der +Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des +Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu +belustigen, auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen +zu lassen hat - es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, +und sicher ist es auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher +Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich +eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der Koch, der nicht +bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern auch wie +ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit +Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im ‘Luegenbold’ ein +Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die +Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der +gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige +Wechsler, der feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer +und dergleichen mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen +Charakterrollen, wie der Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der +Plautinischen Topfkomoedie. Die nationalhellenische Poesie hat auch in +dieser ihrer letzten Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft +noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier doch schon mehr +aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr, je mehr +die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend, +dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische +Wahrheit grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten +wird, der Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene +Traene als verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer +Charakteristik und ueberhaupt die ganze poetische und sittliche +Hohlheit dieser neueren Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern +zur Last als der gesamten Nation. Das spezifische Griechentum war im +Verscheiden; Vaterland, Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und +Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und Philosophie innerlich +erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als die Schule, der +Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, +wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt +ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das +Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie +die Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben +einigermassen den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in. +schulmaessige Nachdichtung zu verfallen, sofort sich am Ideal staerkt +und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest des parodisch-heroischen +Lustspiels dieser Zeit, in Plautus’ ‘Amphitryon’ weht durchaus eine +reinere und poetischere Luft als in allen uebrigen Truemmern der +gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen +Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die possierlich feigen +Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und nach dem +drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter +Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe +der Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und +poetisch, verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der +Zeit schildernden Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom +geschichtlich-sittlichen Standpunkt aus gegen die Poeten keineswegs +erhoben und dem einzelnen Dichter kein individueller Vorwurf daraus +gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche steht; die Komoedie war +nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben waltenden +Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser +Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen, +notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit +und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar +Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen Poeten +kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die grauenvolle +Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der Rausch sind, +die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie Enthusiasmus +aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene +Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer +gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche +Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke +staffiert sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und +etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit +zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische ‘Dreitalerkomoedie’ +und mehrere Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven +hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von +ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend +womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden +Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte +Sittensprueche sind gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden +Finale, wie das in ‘Die beiden Bacchis’ ist, wo die prellenden Soehne +und die geprellten Vaeter zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell +kneipen gehen, steckt eine voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis. + +Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische +Lustspiel. Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch +aesthetische, sondern wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche +Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der betraechtlichen Masse der +lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns bekannt sind, findet +sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung eines +bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen +Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit +genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die “Neuheit” eines +Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon +frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss +haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die +ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach benannt, dass der +Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist und dass die +handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. Selbst im +einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der +ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische +Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer +vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch +“Auslaender” (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male +vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal +die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten +Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung, +wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse +und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne +Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die +Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die +neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der +hannibalischen Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen +buergerliche Ordnung und Sitte gewesen sein. Da aber die Schauspiele in +dieser Zeit regelmaessig von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden, +die gaenzlich vom Senat abhingen, und selbst die ausserordentlichen +Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele, nicht ohne +Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei +ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu +machen gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese +Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten +aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte +und gleichsam in das Ausland verbannt blieb. + +Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden +lobend oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf +die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und +nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht +zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei +dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen +Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen +Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende +Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und +merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber +das schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in +den Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und +Verhaeltnisse der Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die +Kriegfuehrung ^12 oder zu den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle +gegen Korn- und Zinswucher, gegen Verschwendung, gegen +Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe, gegen die +gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende +Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges +Mal - im ‘Curculio’ - eine an die Parabasen der aelteren attischen +Komoedie erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe +ueber das Treiben auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen +hoechst polizeilich normal patriotischen Bestrebungen unterbricht sich +wohl der Dichter: + +Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, + +Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum? + +und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu +denken, als das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13. +Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische +Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische +Originallustspiele schrieb, so sind doch noch die wenigen Truemmer, die +wir von ihm besitzen, voll von Beziehungen auf roemische Zustaende und +Personen. Er nahm es unter anderm sich heraus, nicht bloss einen +gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen, sondern selbst an den +Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren Aristophanes sich +nicht haette schaemen duerfen: + +Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, + +Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, + +Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. + +Wie in den Worten: + +Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, + +so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan +haben, wie zum Beispiel: + +Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert? + +worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum +Beispiel: + +Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf. + +————————————————————————————————- + +^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich +ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner +(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern +tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der +pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher +damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 +passierten natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment +fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). + +^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, +die hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des +Hannibalischen Krieges in der auf uns gekommenen Literatur: + +Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt + +Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. + +Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds, + +Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess, + +Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob, + +Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. + +Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die +den saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten +Nachleistungen (Liv. 29, 15; oben 2, 175). + +^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von +Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen +verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung +beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien, +welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. +192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus +den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der ‘Casina’ und einigen anderen +Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und +besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit +geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien +zu reden. + +————————————————————————- + +Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen +die Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder +auch nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle +in den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien +oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, +wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch +sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich +an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius +der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt, +was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung +Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung eine +volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen +Farblosigkeit entstand. + +Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen +Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte +Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und +Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert +nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich bestimmt durch die +Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und das Talent des +einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen +Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen +Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele +denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst +wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im +hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die +Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten, +und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische +Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene +auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von +dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut +und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere. +Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein +Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen, +oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern +die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in +Athen gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter +Lustspiele in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle +des pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische +Publikum solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht +vertrug. Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber +und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die +Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische +Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und +originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die +Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und +sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit +welchen der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische +Tafelluxus sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler +und der Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender +Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel +dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem +roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen +Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu +setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der +eleganten attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen +Teil nicht brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft +Athens stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der +deutsche Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die +eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die +Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr +zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei +und die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische +Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der +griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so +grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine +verlorene Spur. + +—————————————————————- + +^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem ‘Maedel von +Tarent’ nicht bedeuten: + +Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, + +Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt - + +Wie viel besser als hier der Freie hat’s darin der Knecht! + +^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum +Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen: + +Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: + +Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als + +Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt. + +————————————————————- + +Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht +auf ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, +draengte sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und +Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition +sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des +Originals herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen +Lustspielen desselben oder auch eines anderen Dichters wieder +einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition +der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so +arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der +aelteren Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die +seltsamsten Lizenzen. Die Handlung des sonst so vortrefflichen +‘Stichus’ (aufgefuehrt 554 200) besteht darin, dass zwei Schwestern, +welche der Vater veranlassen moechte, sich von ihren abwesenden +Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis die Maenner mit +reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den Schwiegervater mit +einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der ‘Casina’, die +bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt die Braut, von der +das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum Vorschein, +und die Aufloesung wird ganz naiv als “spaeter drinnen vor sich gehend” +vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die Verwicklung ueber das +Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen und was +dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache +hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der +roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des +roemischen Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes +bildete sich der Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus +offenbar mehr Sorgfalt auf die Komposition gewendet und ‘Die +Gefangenen’ zum Beispiel, der ‘Luegenbold’, ‘Die beiden Bacchis’ sind +in ihrer Art meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem +wir keine Stuecke mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich +vorzugsweise durch die kunstmaessigere Behandlung des Sujets +auszeichnete. + +In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, +seinen roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu +bringen, und die Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu +halten, die wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, +die sakralen, militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer, +nehmen sich seltsam aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander +gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und +Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den +Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine +solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den +griechischen Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven +Art oft sehr spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als +die durchgaengige Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der +keineswegs attischen Bildung des Publikums den Bearbeitern notwendig +schien. Freilich mochten schon von den neuattischen Poeten manche in +der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen; Stuecke wie die +Plautinische ‘Eselskomoedie’ werden ihre unuebertreffliche Plattheit +und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer verdanken. Aber es walten +doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in einer Weise vor, +dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder mindestens sehr +einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen Pruegelfuelle +und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche +erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische +Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der +Weiber. Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die +roemischen Bearbeiter die elegante attische Konversation zu wuerzen +fuer gut befunden haben, finden sich manche von einer kaum glaublichen +Gedankenlosigkeit und Roheit ^16. + +—————————————————————————— + +^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem +Plautinischen ‘Stichus’ der Vater mit seinen Toechtern ueber die +Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage +eingelegt, ob es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, +bloss um darauf mit einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der +Sprecherin geradezu unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu +antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In +Menanders ‘Halsband’ klagt ein Ehemann dem Freunde seine Not: + +A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst + +Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert + +Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, + +Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns; + +Zur Last ist sie all’ und jedem, nicht bloss mir allein, + +Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss, + +So ist es. + +In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner +grossen Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog +geworden: + +B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! - + +B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm’ ich etwa dir + +Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir + +Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie’s schon; + +Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst. + +————————————————————————- + +Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der +geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die +jambischen Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem +maessigen Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen +Bearbeitung sehr haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter +ersetzt worden sind, so wird auch hiervon die Ursache weniger in der +Ungeschicklichkeit der Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar +wohl zu handhaben wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des +roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang der Langverse auch +da gefiel, wo er nicht hingehoerte. + +Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel +der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die +aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon +wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage auf ein +eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern +besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des +Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in +akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und +Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den +Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. +Dennoch wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in +Rom auffuehren sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel +viel kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern +abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung +der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme ueber +die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst +unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke +durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen +und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes +Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber +ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in +wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte +regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte +keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem +mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere, +das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene +hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen, +und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles, +sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird. + +—————————————————————————— + +^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die +Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler +unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8). + +—————————————————————————— + +So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. +Die Art und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom +uebertrug, gewaehrt von dem verschiedenartigen Kulturstand ein +geschichtlich unschaetzbares Bild; in aesthetischer wie in sittlicher +Hinsicht aber stand das Original nicht hoch und das Nachbild noch +tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch die roemischen +Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten, erschien doch +in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik gleichsam +weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der +Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein +Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein +Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion, +die imstande war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel, +Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen und schliesslich +denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem Publikum, welches, +wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem Schauspiel weglief, +wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar Fechter zu sehen gab, +mussten Dichter, wie die roemischen waren, Lohnarbeiter von +gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die eigene +bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der +herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist +alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische +Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in +der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen +Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen +vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der +es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn +erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein +Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und +bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war +des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit +begann bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem +Hannibalischen Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er +war, wie das in gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von +seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und +Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an +ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine +ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und +kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber +unbescholtener Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden +Kampaniens, und Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im +Gegensatz zu Livius ist Naevius’ Sprache bequem und klar, frei von +aller Steifheit und von aller Affektion und scheint selbst im +Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu gehen; die +Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen, spaeterhin +beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die +Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein +aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der +Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und +traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus +denen allein in Italien eine volkstuemliche Dichtung entspringen +konnte: die Nationalgeschichte und die Komik. Die epische Dichtung +lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein Lesebuch, sondern wandte +sich selbstaendig an das hoerende und lesende Publikum. Die +Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein +Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben +gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der +Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet +seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es tritt am +bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und in seinem +Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch in den +Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die seinem +Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein +scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere +Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den +griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, +in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine +Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter +sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des +Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und +in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen +ist: + +Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, + +Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen; + +Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied, + +Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede. + +————————————————————————- + +^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im +Ersten Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren +sein. 519 (235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm +gegeben (Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie +gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60) +gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des +Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die +Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama +geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) +setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen +Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und +vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische +Herkunft deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer +der Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht +roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen +latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass +ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler +war er auf keinen Fall, da er im Heere diente. + +^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck +aus Naevius’ Trauerspiel ‘Lycurgus’: + +Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, + +Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf, + +Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch. + +Oder die beruehmten Worte, die in ‘Hektors Abschied’ Hektor zu Priamos +sagt: + +Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann. + +und den reizenden Vers aus dem ‘Maedel von Tarent’: + +Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. + +Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im +Arm. + +——————————————————————— + +Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die +Kaempfe gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils +selber mitfocht, und der fuer die tief bewegte und in gewaltigem +Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade den poetisch hoechsten, aber +wohl einen tuechtigen, gewandten und volkstuemlichen dichterischen +Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in welche Haendel mit den +Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich dadurch von Rom +vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das +individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem +Nuetzlichen zugrunde. + +In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs +scheint ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - +570 254-184). weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, +urspruenglich umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten +Staedtchen Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er +den damit gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder +eingebuesst hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer +Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein +und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu +machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in +Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen +sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten +^20, so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich +erhielt, ging spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, +des Plautus. Die Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis +hundertunddreissig solcher “plautinischer Stuecke”, von denen indes auf +jeden Fall ein grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz +fremd war; der Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes +Urteil ueber die poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu +faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale +uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie +schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem Publikum +gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die +aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr +Publikum und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine +umstimmte, sind Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik +als gegen den einzelnen Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem +Plautus eigentuemlich gelten die meisterliche Behandlung der Sprache +und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation +buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und +oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische +Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen +Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft +mimischen Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - +Vorzuege, in denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. +Ohne Zweifel hat der Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der +Originale festgehalten als selbstaendig geschaffen - was in den +Stuecken sicher auf den Uebersetzer zurueckgefuehrt werden kann, ist +milde gesagt mittelmaessig; allein es wird dadurch begreiflich, warum +Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der rechte Mittelpunkt +der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach dem +Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn +zurueckgekommen ist. + +———————————————————————— + +^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich +in der Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit +der Plautinischen Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem +eigentlichen Schriftsteller des roemischen Altertums begegnet eine auch +nur annaehernd aehnliche Ungewissheit ueber das literarische Eigentum. +Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen +besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare. + +————————————————————————- + +Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den +dritten und letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus +ohne Erfolg - namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius +Caecilius, zu gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand +er mit Plautus gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von +Mediolanum kam er unter den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und +lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung +griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich +fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei +seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt +ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine +Stuecke nur schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen +Plautus und Terenz den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der +eigentlichen Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen +Epoche, unter den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem +Caecilius die erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu +beruhen, dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der +geistesverwandten poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den +Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur +deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus +und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit +geringer als beide gewesen sein kann. + +Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr +achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen +Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine +kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das +geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem +haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde +liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau +der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber +war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis +schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des +Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit +wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe +usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen +und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen +Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit +und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt +roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche +empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen +‘Gefangenen’: + +Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: + +Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, + +Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; + +Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. + +Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien, + +Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel, + +Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein: + +Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel. + +Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das +griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden, +dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die +Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld +gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele +der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander +an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen +Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm +sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, +muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens +wegen Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein +Handwerk; wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen +griechischen Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis +es geschah. Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, +dass sie fuer diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe +ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber +damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu +errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, +dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung +der Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die +Komoedie wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier +haette walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine +einigermassen selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen; +denn die Poesie ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe +Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah +auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die +politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei +hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation das +Ihrige beigetragen. + +Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht +gestattete, die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine +Mitbuerger auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die +Entstehung eines lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt +abgeschnitten; denn die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch +nicht mit der latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem +Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in +den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der +Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula +togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, +Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch +diese Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen +Intrigenstuecks; aber sie war nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung: +der Schauplatz des Stuecks war in Italien und die Schauspieler +erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga. Hier waltet das +latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die Stuecke +bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie +schon die Titel zeigen: ‘Die Harfenistin oder das Maedchen von +Ferentinum’, ‘Die Floetenblaeserin’, ‘Die Juristin’, ‘Die Walker’, und +manche einzelne Situationen noch weiter bestaetigen, wie zum Beispiel +ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe nach dem Muster der +albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender Weise treten +die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt nationalem +Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges und +sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn, + +Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht. + +————————————————————— + +^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der +technischen Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem +Auslaender, sondern auch zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen +Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21; 50) das Verzeichnis +derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die nicht in den Legionen +dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder Diesseitigen +Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und nicht +lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet, +bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung, +insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die +grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen. +1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern +nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben. + +Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu +erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in +Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das +Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die +Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt. +Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts +spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres +Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum, +Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg +latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die +Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den +Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das +Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen +Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu +fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat +verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen +Gemeinden Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und +insofern ist die fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der +togata. + +^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser +dass, nach einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als +Terenz (558-595 196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. +1, S. 194) - denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht +entnommen werden koennen und, wenn auch von den beiden hier +verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen +aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht +gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als +der juengste der aelteren. + +^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs +nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, +varus), neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, +privigna, psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, +Ulubrana ?), von denen zwei, die ‘Juristin’ und die ‘Floetenblaeserin’ +offenbar Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet +die Frauenwelt vor. + +———————————————————— + +Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das +griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen +Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht +haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro +hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher +Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von der +attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das +Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit +gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht +mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische +Nationallustspiel. + +Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im +Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in +gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die +Grundlage des Trauerspiels, das griechische, namentlich das Homerische +Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits mit ihrer eigenen +Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der empfaengliche Fremde +weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen Mythen als +auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur +minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende +Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war, +dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von +Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen +Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt +erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber die geistige +Bewegung der spaeteren griechischen und der griechisch-roemischen +Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es unerlaesslich ist, sein +Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren. Euripides gehoert zu +denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine hoehere Stufe +heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige Gefuehl +dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu +erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe +aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer +die antike Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber +eigentliche Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene +Grossheit, womit der Kampf des Menschen und des Schicksals bei +Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf, dass jede der +ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das wesenhafte +Menschliche ist im ‘Prometheus’ und ‘Agamemnon’ nur leicht angehaucht +von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl die +Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den Greis, +die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner +Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten zu +Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das +hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die +Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer +hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, +gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene +Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen +darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem +Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat die +antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen +vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch +welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins +Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des +Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel +unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert +feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das +frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt, +sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt +der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen +gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging +mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab +und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren +Auffuehrungen sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke +wegliess - aber doch hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden +der Wirklichkeit gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. +Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit +einerseits der grossartigsten geschichtlichen und philosophischen +Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen +und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit +der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des +Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes +der aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht +uebt, so erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der +Spekulation so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe +Leidenschaften zucken wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der +alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum +regiert als aeusserlich despotische Macht, und knirschend tragen die +Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde +Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. +Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber +ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft +poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die +Komposition seiner Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, +ja hierin nicht selten geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in +einer Handlung noch in einer Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben +hat - die liederliche Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen +und durch eine Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu +loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt +bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von +allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer +Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten +Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und +oft noch durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung +von Liebesstoffen mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die +Schilderungen der willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem +Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch +verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit; +aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes’ +Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern vermoege, +vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen +Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten +Heroen, wie der Menelaos in der ‘Helena’, die Andromache, die Elektra +als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, +widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so +machen dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der +gemeinen Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das +ruehrende Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie +uebergehen, wie die ‘Iphigenie in Aulis’, der ‘Ion’, die ‘Alkestis’ +vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste +Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter +das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die +verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die +aeltere Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde +zu spannen; dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener +oft geradezu unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die +Blumen im Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; +dahin vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf +unmittelbar menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller +Erwaegung beruht. Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben +geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen +wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der +unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist +in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch +die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen +einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen +ins Auge fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen +Konsequenzen zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und +philosophischen Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der +neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit aufloesenden +kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition, auf die +der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, +so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere +Generation und das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der +Sentenz und der Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich +hingab. Das griechische Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich +selber hinaus und brach also zusammen; aber des weltbuergerlichen +Dichters Erfolg ward dadurch nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die +Nation ueber sich hinausschritt und gleichfalls zusammenbrach. Die +Aristophanische Kritik mochte sittlich wie poetisch vollkommen das +Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal geschichtlich +nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse, wie +sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist +Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn +fleissig las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im +Hinblick auf ihn entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende +Kunst in Attika aus ihm gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel +nichts tat, als den Euripides ins Komische uebertragen, und die in den +spaeteren Vasenbildern uns entgegentretende Malerschule ihre Stoffe +nicht mehr den alten Epen, sondern der Euripideischen Tragoedie +entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem neuen Hellenismus +wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und das +Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder +mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt ward. + +Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten +Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer +mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die +tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden +als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten der +tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des +Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist, +als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der +Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien +nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art +moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig +erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus +juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke +schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den +Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden. + +Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als +die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, +die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire +ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke +hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den +unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil +dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den +Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die +sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den +‘Eumeniden’, im ‘Alkmaeon’, im ‘Kresphontes’, in der ‘Melanippe’, in +der ‘Medeia’, die Jungfrauenopfer in der ‘Polyxena’, den ‘Erechthiden’, +der ‘Andromeda’, der ‘Iphigeneia’ - man kann nicht umhin, sich dabei zu +erinnern, dass das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen +zuzuschauen gewohnt war. Frauen- und Geisterrollen scheinen den +tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die bemerkenswerteste Abweichung +der roemischen Bearbeitung von dem Original betrifft ausser dem Wegfall +der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische +chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz +(orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor +sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine +Art Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit +der Musik und der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen +sein, und wenn der Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. +Im einzelnen fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an +Verkuerzungen und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen +Bearbeitung der Euripideischen ‘Iphigeneia’ zum Beispiel ist, sei es +nach dem Muster einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung +des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute +Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des +sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden ^24, doch gab +wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen +Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches +Lustspiel von dem des Menander. + +Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels +in Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig +gleichartig; und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit +sich bringt, in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger +und reinlicher auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser +Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener +die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur +Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der +einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener +Latiner, sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und +hellenischer Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre +nach Rom ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als +Buerger in beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im +Lateinischen und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke, +teils von den Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie +Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt +waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen, +der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von +ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden +Grosstaten bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das +Klientennaturell, das fuer einen solchen Beruf erforderlich war, hat er +selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus aus und seiner ganzen +Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, die Nationalitaeten, +unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar die oskische +sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben; und +wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr +folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr +deutliches Ziel gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder +wenigstens versucht hatten, sich auf einen volkstuemlichen Boden zu +stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner revolutionaeren Tendenz mit +merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet sichtlich darauf hin, die +neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern energisch zur Geltung +zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die Tragoedie. Die Truemmer +seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte tragische Repertoire +der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles sehr wohl +bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die +meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides +nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn +freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann +es veranlasst sein, dass er so entschieden den Euripides im Euripides +hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte als sein Original, die +sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche akzentuierte, dass er +Stuecke aufgriff wie den ‘Thyestes’ und den aus Aristophanes’ +unsterblichem Spott so wohlbekannten ‘Telephos’ und deren Prinzenjammer +und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie ‘Menalippe die Philosophin’, +wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht +und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu +befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen +ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten Stellen ^26, die +schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende ist: + +Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch; + +Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los, + +Sonst ging’s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so. + +wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. +Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet +wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm +mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die +hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition ^27, +die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die +Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie, +des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen +Hexameter. Dass der “vielgestaltige” Poet alle diese Aufgaben mit +gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch +angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss +der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten +Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr +griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst, +verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische +Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres +Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die +freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu +fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift +den Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen +herabsieht, “in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen”, +und die Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert: + +Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen + +Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust. + +———————————————————————————————————— + +^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der +Ennianischen ‘Medeia’: + +Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος + +Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας + + +Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Utinam ne in nemore Pelio +securibus + +Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας Caesa accidisset abiegna ad +terram + + trabes, + + Neve inde navis inchoandae + exordium + + Coepisset, quae nunc nominatur + + nomine + +Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος Argo, quia Argivi in ea dilecti + + viri + + Vecti petebant pellem inauratam + + arietis + +Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή Colchis, imperio regis Peliae, +per + + dolum. + +Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας Nam nunquam era errans mea domo + + efferret pedem + +Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος. Medea, animo aegra, amore saevo + +saucia. + + +Nie durch die schwarzen Symplegaden + +haette hin + +Fliegen gesollt ins Kolcherland der + +Argo Schiff, + +Noch stuerzen in des Pelion O waer’ im Pelionhaine von den + +Waldesschlucht jemals Beilen nie + +Gefaellt die Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt + +sie die Hand der Tannenstamm + + Und haette damit der Angriff + + angefangen nie + + Zum Beginn des Schiffes, das + + man jetzt mit Namen nennt + + +Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos + +dem Pelias auserlesne Schar, + + Von Kolchi nach Gebot des + + Koenigs Pelias + +Zu holen gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes + +waere mir Widdervliess! + +Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den Fuss mir + +dann Herrin setzte nie, + +Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, krank im Herzen, wund +von + +hinweggeschifft. Liebespein. + +Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht +bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung +oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der +Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche +Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten. + +^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des +Dichters die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den +Vertrauten zu sich ruft, + +mit welchem er gern und + +Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung + +Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen, + +Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch + +Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; + +Welchem das Gross’ und das Klein’ und den Scherz auch er mitteilen + +Durft’ und alles zugleich, was gut und was uebel man redet, + +Schuetten ihm aus, wenn er mocht’, und anvertrauen ihm sorglos; + +Welcher geteilt mit ihm viel Freud’ im Hause und draussen; + +Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit + +Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben, + +Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, + +Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, + +Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge, + +Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit, + +Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch, + +Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen. + +In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges +divumque hominumque. + +^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. +Aul. 956), dass er ein Mann sei, + +Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt + +Im besten Fall; und trifft er’s nicht, es geht ihm hin. + +hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die +Horoskopsteller gemacht: + +Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo + +Jovis Zieg’ oder Krebs ihm aufgeh’ oder einer Bestie Licht. + +Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum. + +^27 Im ‘Telephus’ heisst es: + +Palam mutire plebeis piaculum est. + +Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort. + +^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der +Bearbeitung des Euripideischen ‘Phoenix’ an: + +Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt’s zu wirken in der Welt + +Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl. + +Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz; + +Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat. + +In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte +einverleibten ‘Scipio’ standen die malerischen Zeilen: + +— munduscaeli vastus constitit silentio; + +Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit, + +Sol equis iter repressit ungulis volantibus, + +Constitere amnes perennes, arbores vento vacant. + +[Iovis winkt’;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum. + +Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun, + +Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott, + +Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind. + +Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter +seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung +der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie +‘Hektors Loesung’ ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander +Zuschauender spricht: + +Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant. + +Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind. + +und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. + +^29 So heisst es im ‘Phoenix’: + +- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit. + +Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, + +und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch +akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111). + +—————————————————————————— + +Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu +fahren; das griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum +der launischen Nation. + +Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer +Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss +gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische +Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein +ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu +schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er +brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der +gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart +sind seine ‘Erziehung des Romulus und Remus’ oder der ‘Wolf’, worin der +Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein ‘Clastidium’, worin der Sieg +des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem +Vorgang hat auch Ennius in der ‘Ambrakia’ die Belagerung der Stadt +durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung +geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und +die Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und +die farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis +nicht auf die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der +Stuecke haben wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention +im ganzen in Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen +Literatur wenige Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung +eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur die griechischen +Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher fuehlenden +Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, +die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen +der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns +lebendig entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie +wirkten; so ist es hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die +Schlachten, die er sang, selber geschlagen, die Koenige und Konsuln +Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der man bis dahin einzig Goetter +und Heroen zu sehen gewohnt war. + +Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius +buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation +vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom +wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da +die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward +dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst +der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind +auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art als +Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die +rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der +szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der +Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch +ein eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in +sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach +vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie. Die +religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit +allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert +halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche +das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der +eigentlichen Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere +Poesie erscheint, tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter +dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem +alten, seit Livius durch das griechische Drama von der Buehne +verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der +rezitativen Poesie einigermassen unseren “vermischten Gedichten” +entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive +Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht +epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem, meist subjektivem +Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter noch zu erwaehnendem +‘Gedicht von den Sitten’, welches vermutlich, anknuepfend an die +aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie, in saturnischen +Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die kleineren +Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare +Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert +veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen +Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen +Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden +naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von +Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen +dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von +Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe +Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die +didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, +wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess. + +———————————————————— + +^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei “Konsulare und Poeten” +genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und +Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob +sie ihre Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres +zweifelhaft sein. + +———————————————————— + +Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche +in Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es +Naevius, der dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der +gleichzeitigen Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig +war und namentlich den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so +schlecht und recht, wie die Dinge waren, ohne irgend etwas als +unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie, namentlich in der +Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung oder gar +Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit +berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass +heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe, +was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die +epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und +wesentlich in der heroischen Zeit; es war ein durchaus neuer und +wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert grossartiger Gedanke, mit +dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu durchleuchten. Mag immerhin in +der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel mehr gewesen sein als +die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen Reimchroniken, so +hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz besonderes +Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer +Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen +Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber +die Taten der Zeit und der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht +gedichtet und daneben die grossartigsten Momente daraus ihnen +dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben. + +———————————————————————————- + +^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der +Dido: + +Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas + +Von Troia schied. + +spaeter: + +Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig + +Amulius, dankt den Goettern - + +aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist: + +Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, + +Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. + +bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256): + +Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel + +Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte. + +endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: + +Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius + +Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne + +Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben. + +———————————————————————————— + +Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die +Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen +Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so +greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine neue +Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des +hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, die +aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende +Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend +angeht, wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die +Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung +des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern +fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als +der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse +wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im +Gange; nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in +vollem Goetterrat den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach +erlangter ehefraeulicher Einwilligung den endlichen Sieg ueber die +Karthager. Auch die neologische und hellenistische Tendenz ihres +Verfassers verleugnen die ‘Jahrbuecher’ keineswegs. Schon die bloss +dekorative Verwendung der Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem +merkwuerdigen Traumgesicht, womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf +gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte +Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem Pfau sesshaft +gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der Dinge +und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst +die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die +hellenischen Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe +fuer ihre griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der +Zurechtmachung der roemischen Geschichte gefunden. Ennius betont es, +dass man die Roemer + +Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. + +Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den +frueheren Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im +allgemeinen leicht abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die +grosse Zeit der Punischen Kriege dem italischen Volksgefuehl gab, auch +dieser lebhaft mitempfindende Poet sich gehoben fuehlte und er nicht +bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich traf, sondern auch noch +oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit aus seinen +Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die +Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und +gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war, +einem sonst verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch +nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren die ‘Jahrbuecher’ ohne +Frage Ennius’ verfehltestes Werk. Der Plan, eine ‘Ilias’ zu machen, +kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem +Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die +Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als +Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht. +Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich +mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer als +Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr +noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der +roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den Ennius, +sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen +altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen +mehr ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, +der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der +Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische +Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle +Parallelisierung der Homerischen ‘Ilias’ und der Ennianischen +‘Jahrbuecher’ so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin +und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht +stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders +fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des +Dichters blieben die ‘Jahrbuecher’ das aelteste roemische +Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen +lesenswert und lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise +gekommen, dass in diesem durchaus antinationalen Epos eines +halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit das rechte roemische +Mustergedicht verehrt hat. + +Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener +Weise entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser +sowohl die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die +Buehne vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die +kuenstliche Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der +strengen und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese +schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem “Baenkelsaenger” +anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann +getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei +weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige +poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie +fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger +vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, +so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht +senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten +Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, +die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative +und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei +vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier, und +namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der +Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form +maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. + +Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine +Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs +gehoerten zu den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von +Haus aus auf jede Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist +bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass +trotz der weit ueber die Grenzen Italiens ausgedehnten Macht der +roemischen Gemeinde und trotz der stetigen Beruehrung der vornehmen +roemischen Gesellschaft mit den literarisch so fruchtbaren Griechen +dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das Beduerfnis +sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf +schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen. +Als nun aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die +roemische Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an +einem fertigen Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren +erforderlich, um beide zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese +Schwierigkeiten gewissermassen umgangen dadurch, dass man die +Landesgeschichte entweder in der Muttersprache, aber in Versen, oder in +Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen Chroniken des +Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581 173) +ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten +historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das +ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden. +Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen Geschichtsbuecher +des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines waehrend des +Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes aus +vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius +Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem +gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das +nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die +fertigen griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie +schon das weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende +stoffliche Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete +Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die +vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des +Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und +Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in +franzoesischer Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche +Kriegslieder, die Koenige und Feldherren franzoesische +Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen Chroniken, noch die +griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche lateinische +Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor dem +Schluss dieser Epoche publizierte ‘Ursprungsgeschichten’ zugleich das +aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste bedeutende +prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33. + +———————————————————————- + +^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen +Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) +ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen +von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen +Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass +unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des +pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes +die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der +roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus +der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch +lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es +dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren +Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) +obwaltet, oder ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen +des Acilius und des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung +existiert, oder ob es zwei Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben +hat. + +Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, +beigelegte, ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben +und ein Machwerk aus augustischer Zeit. + +^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein +Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der +frueheren Buecher der ‘Ursprungsgeschichten’ faellt nicht vor, aber +wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114). + +———————————————————————- + +Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl +aber im Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs +pragmatische Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr +oder minder geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen +saemtlich, die Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit +des Schreibers, obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den +ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten +betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der +Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer +die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser +Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu +ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig +unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in +den Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert +war, und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen +Chronikschreibern nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom +an Alba, diese Rom an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem +albanischen Koenigssohn Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas +erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius +oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der +albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird +zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber +dafuer die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze +Lavinium, sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte +Metropole Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und +ungeschickt erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie +man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in +dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein, +und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter +erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes +die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen +Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden +Tendenz Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit +bereits stark im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und +so wurde dies die stereotype und bald die offizielle +Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde. + +———————————————————————- + +^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es +hervor, dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine +Geschichte pragmatisch zu schreiben. + +———————————————————————- + +Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen +Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht +gekuemmert, so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte +vorwiegend aus einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in +der uns zugekommenen duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander +traete, welcherlei Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten +Chronisten zu Gebote gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen +hinzugetan haben. Die aus Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen +aeltesten Annalisten wohl noch fremd gewesen und eine unmittelbare +Entlehnung griechischen Stoffes in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. +Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei dem Griechenfeind +Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom +an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein +urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus +Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach +Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger. + +—————————————————————————- + +^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen +Anekdoten von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, +eine Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten +der Herodotischen Erzaehlung von Kyros’ Jugend geschlagen. + +————————————————- + +Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und +lose geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die +Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber +versiegte die Sage ganz, und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl +geradezu unmoeglich, aus den Beamtenverzeichnissen und den ihnen +angehaengten duerftigen Vermerken eine irgendwie zusammenhaengende und +lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten empfanden dies die Dichter. +Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit sogleich auf den Krieg um +Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im dritten seiner achtzehn +Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos +beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in +den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch +schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen +eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie +er selber sagt, “zu berichten, was auf der Tafel im Hause des +Oberpriesters steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und +Sonne sich verfinstert haetten”; und so bestimmte er denn das zweite +und dritte Buch seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die +Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden und deren Eintritt in die +roemische Eidgenossenschaft. Er machte sich also los aus den Fesseln +der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach Voranstellung der jedesmaligen +Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich hierher wird die Angabe +gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge “abschnittsweise” +erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke auffallende +Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in die +oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das +hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien +stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde +Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den +Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung +Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte. + +Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und +eingehend behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, +Fabius den zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens +dreizehn von den achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von +Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und +fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen +bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten, wahrscheinlich +anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den letzten +zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag +Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im +ganzen aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder +Mitteilungen von Augenzeugen, teils einer auf dem andern. + +Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang +dazu begann die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato +eroeffnet - denn aus der frueheren Zeit besass man nichts als einige, +meistenteils wohl erst in spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an +das Licht gezogene Leichenreden, wie zum Beispiel diejenige, die der +alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als Greis seinem im besten +Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete +von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und taetigen +oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem +Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils +in seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige +Nachtraege dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon +gegeben. + +Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als +eine gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln +durfte; schon von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die +roemischen, sondern auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und +dass Cato den Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt +fleissig las, ist bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- +und Spruchsammlung absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere +fuer sich zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen +Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. + +Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine +harmlose Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder +Schriftsteller noch Leser nahmen an inneren oder aeusseren +Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius der Zweite, obwohl bei +dem Tode seines Vaters schon erwachsen und neununddreissig Jahre nach +demselben zur Regierung gelangend, besteigt nichtsdestoweniger noch als +Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein Menschenalter vor +Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen +Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre +262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln +dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348 +406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in +der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich +in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche festgestellten - +roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre vor die Einweihung +des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den gallischen Brand und das +letztere, auch in griechischen Geschichtswerken erwaehnte Ereignis nach +diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. +98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. +Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden +Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436; +nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms +der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann +hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch +aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu +haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der +albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her. + +Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem +gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte +trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen +welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit +Karthago von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit +durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als +der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen +Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu +verlangen; eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der +naive Patriotismus nicht von selber eine solche einschliesst, ist den +Vaetern der roemischen Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. + +Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender +Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige +Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die +Kenntnis des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den +Roemern in der innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer +allgemeineren Bildung auf und regte sich das Bestreben, nicht gerade +diese griechische Bildung unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber +doch nach ihr die roemische einigermassen zu modifizieren. + +—————————————————————- + +^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder “lesen +und die Rechte und Gesetze kennen lehren”; und dasselbe zeigt Plut. +Cato mai. 20. + +—————————————————————- + +Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur +lateinischen Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft +uebertrug sich auf das verwandte italische Idiom. Die grammatische +Taetigkeit begann ungefaehr gleichzeitig mit der roemischen +Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint ein Schreiblehrer Spurius +Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem ausserhalb +desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich +gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen +okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der +Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend +gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben ihre +schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten neben +der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius hat, auch +hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende Etymologienspiel +schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch fuer die +bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die +genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und +Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen +Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so +gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen. + +———————————————————- + +^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod +invat, Ceres davon quod gerit fruges. + +———————————————————— + +Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die +Rede stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen +Lebens, als dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; +der echte Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische “ewig reden +lernen und niemals reden koennen” die ganze Schale seines zornigen +Spottes aus. Die griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung +der lehrhaften und vor allem der tragischen Poesie einen gewissen +Einfluss auf die Roemer gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer +Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. +Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen Schwaetzer und einen als +Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat mit Recht +hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie +geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius +aussprechen: + +Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie; + +Gut ist’s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm. + +Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur +Redekunst, die sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen +werden als die roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das +roemische Caput mortuum der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die +naechsten Quellen Catos waren fuer das Sittengedicht neben der +selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen Vaetersitte vermutlich +die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch die +Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle +Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man +ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den +Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, “an +die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen” ^38. + +——————————————————————————- + +^38 Rem tene, verba sequentur. + +——————————————————————————- + +Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch +fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die +Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder +unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und +Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden +Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in +Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) +der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich +niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches +Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen +und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen +scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden +Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache +wuerdig war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung +und daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen +zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte +wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war. Die +Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um dieses +eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der +eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und +Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. + +Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die +Zeitmessung behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. +Mit der Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im +Jahre 491 (263) fing die griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den +Roemern an gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man +in Rom eine fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane +gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach +richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme +Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius +Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch +ein Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach +Ermessen Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen +Zweck verfehlte, ja uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl +weniger in dem Unverstand als in der Gewissenlosigkeit der roemischen +Theologen. Auch der griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior +(Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung +des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der +nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch +ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der +selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, +wurde deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und +des Scharfsinnes angestaunt. + +Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte +und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und +spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur +Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich +aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in den +hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der +lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann +schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz +unberuecksichtigt geblieben sein. + +Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der +Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging +noch wesentlich auf in der Bescheidung der anfragenden Parteien und in +der Belehrung der juengeren Zuhoerer; doch bildete in dieser +muendlichen Unterweisung schon sich ein traditioneller Regelstamm und +auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht ganz. Wichtiger als +Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das von Sextus +Aelius Paetus, genannt der “Schlaue” (catus), welcher der erste +praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner +gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560 +194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte “dreiteilige Buch”, das +heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze +derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und +unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular +hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der +griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte +die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und +die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an. + +Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser +Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn +aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen +Saetzen darlegen sollten, was ein “tuechtiger Mann” (vir bonus) als +Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein +Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch +nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig +und nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert. +Ausgeschlossen ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also +damals noch nicht diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, +welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, +teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und physischen +Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar +Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und +schlicht zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei +wohl benutzt, aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne +brauchbare Erfahrungssaetze zu gewinnen - “die griechischen Buecher +muss man einsehen, aber nicht durchstudieren”, lautet einer von Catos +Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, +die freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch +den griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch +fuer die Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer +alle Zeiten massgebend geworden sind. + +So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom +ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden: + +Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt + +Der Quiriten hartem Volke sich die Mus’ im Kriegsgewand. + +Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es +gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn +Trauerspiele in etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse +mit oskischen Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der +griechischen Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht +gleichzeitig mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine +gleich der roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung +begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und +die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen. + +Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch +verstattet ist, wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker +erscheinen mag, bleibt dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms +erkennen will, von einzigem Wert als das Spiegelbild des inneren +Geisteslebens Italiens in dem waffenklirrenden und zukunftsvollen +sechsten Jahrhundert, in welchem die italische Entwicklung abschloss +und das Land anfing einzutreten in die allgemeinere der antiken +Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige Zwiespaeltigkeit, die +ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation durchdringt und +die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit der +hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den +ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen. +Die roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche +Orangerie neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich +erfreuen, aber nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an. +Womoeglich noch entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei +in der fremden Sprache gilt dies von derjenigen in der Muttersprache +der Latiner; zu einem sehr grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk +von Roemern, sondern von Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald +auch Afrikanern, die das Latein sich erst aeusserlich angeeignet hatten +- unter denen, die in dieser Zeit als Dichter vor das Publikum traten, +ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein nachweislich vornehmer Mann, +sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das eigentliche Latium +waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch; schon Ennius +nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht +bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln +behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern +und der grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie +die Komoedie durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch +vergroebert wurde, ja in poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner +gezeigt worden, dass zwei der einflussreichsten roemischen +Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst folgeweise Poeten waren, +und dass, waehrend die griechische erst nach dem Abbluehen der +volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten Koerper +experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung +der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus +Hand in Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische +Literatur des sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene +handwerksmaessige, jeder eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene +durchgaengige Nachahmung eben der flachsten Kunstgattungen des +Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen Wechselbalg von Epos, +so fuehlt man sich versucht sie rein zu den Krankheitssymptomen dieser +Epoche zu rechnen. + +———————————————————- + +^39 Vgl. 2, 445: + +Enni poeta salve, qui mortalibus + +Versus propinas flammeos medullitus. + +Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt +ποιητής - wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist +charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den +Verfasser epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter, +welcher in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333 +M.). + +————————————————————- + +Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr +einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass +diese gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss +keine volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer +solchen gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie +des Individuums fremd ist, faellt die schoepferisch poetische +Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche Zeit des Werdebangens und +der Werdelust der Nation; unbeschadet der Groesse der griechischen +Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass ihr Dichten +wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von +menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der +antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt +gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel +der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und +Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die aeusserliche +staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf einem Punkte +angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem Ausschluss +aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende roemische +Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren. +Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und +denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung +der Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien +beruht die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der +roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht +ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat +den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein +aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine +gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige +Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten +Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert, +ist der antiken Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht +bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den +Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem +roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele +zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen +gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen +bekannt waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch +die Buehne ins Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der +hellenischen Dichtung wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit +tiefer noch wirkte, worauf schon die geistreichsten Literatoren des +Altertums mit Recht den Ton gelegt haben, die Einbuergerung +griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium. Wenn “das +besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst ueberwand”, so +geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen lateinischen Idiom +eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward, dass +anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der +Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden +Anapaeste, die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das +lateinische Ohr in der Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der +Schluessel zu der idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel +zu der poetischen Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das +lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben +nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst +gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl +sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von +der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen +sie guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig +angeregten latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. +Man sage auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der +griechischen Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische +Publikum ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache +ueber den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur +Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern +einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die +hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser +Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den +Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter +entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, +ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium +an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten +Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen +Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder +widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre +historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus +laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar +nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit +gewissermassen sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein +Missverhaeltnis zwischen dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt +und der verhaeltnismaessig vollendeten Form, aber die eigentliche +Bedeutung dieser Poesie war auch eben formeller und vor allen Dingen +sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht schoen, dass die Poesie +in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und Auslaendern und +vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die Poesie +zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so +waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in +Rom und die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es +war noch weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe +auf die verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in +diesem Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie +der Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich +betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des +kosmopolitischen Hellenismus wie die ‘Ilias’ und die ‘Odyssee’ +diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die +Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen +Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige +Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter +bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten +und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; +denn waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen +ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die +Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer +verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des +sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den +sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in der +aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren +reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt, +wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe man +auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen +Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als +reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und +sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen +aufgewogen durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen +Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius +getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, +als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen Dichtern des +sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. +Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen +Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde +Land zu verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten +Jahrhunderts und flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem +durchaus gehobenen Geiste dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte +Hellenismus sah auf die poetischen Leistungen derselben mit einer +gewissen Verachtung herab; eher vielleicht haette er zu den Dichtern +hinaufsehen moegen, die bei aller Unvollkommenheit doch in einem +innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen Poesie standen und der +echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher gebildeten Nachfahren. +In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden Rhythmen, selbst in +dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr als in +irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende +Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich +nicht taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie +selber sich gefeiert hat, dass sie den Sterblichen + +das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust. + +——————————————————————————- + +^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst +untergeordnete Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), +Autolykos (Bacch. 275), Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten +Umrissen muessen ferner zum Beispiel die thebanische und die +Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus +(Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. +1247) bekannt gewesen sein. + +——————————————————————————- + +Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich +tendenzioes ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die +gleichzeitige nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und +nichts weniger wollte, als die latinische Nationalitaet durch +Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in Form und Geist +hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und reinste +Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die +entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und +Bann tun. Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur +gegenueber ungefaehr wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum: +Freigelassene und Fremde bildeten den Kern der poetischen wie spaeter +den Kern der christlichen Gemeinde; der Adel der Nation und vor allem +die Regierung sahen in der Poesie wie im Christentum lediglich +feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind Plautus und +Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und die +Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden. +Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die +Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte +sind ihm der gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks +^41, und mit unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen +Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man hat ihn und seine +Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt und allerdings sind +die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten bezeichnet von der ihm +eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung indes wird man +nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern auch +anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr +als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden +Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus +Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den +Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon +griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der Vorrede zu +seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit +verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht +voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei, +Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe +des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und +Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, +als sie es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior +vorzuruecken, dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen +die roemischen Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und +auch den Cato selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner +kuenftigen Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache +die Griechen, die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich +elendes Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der +Zeit und den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition +aber gegen die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato +keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der +Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit +begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die +Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer +Absicht nach die lateinische Schriftstellerei nicht nach der +griechischen abgeklatscht und der roemischen Volkstuemlichkeit +aufgezwaengt, sondern unter griechischer Befruchtung der italischen +Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem genialen Instinkt, +der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem Schwung der +Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem +gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur +Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom +war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen +Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte, +mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und einem roemischen +Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der lateinischen Prosa +durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und Heroen der Sage +durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem Unterfangen der +Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu stuermen; +ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes Drama, +und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger +ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der +Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren +roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine +didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem +Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen +guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch die +ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine +prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies +Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein +Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in +seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine +‘Ursprungsgeschichten’, seine aufgezeichneten Staatsreden, seine +fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste +getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts +weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich +in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem +Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes +ist den griechischen “Gruendungsgeschichten” (κτίσεις) entlehnt. +Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates +verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. +Seine ‘Enzyklopaedie’ ist wesentlich das Resultat seines Studiums der +griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische +Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem +Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl +verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er +fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der +wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen, in +ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren +‘Ursprungsgeschichten’ auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so +ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische +Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der +Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll +sei. + +———————————————————————— + +^41 “Von diesen Griechen”, heisst es bei ihm, “werde ich an seinem Orte +sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung +gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre +Schriften einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine +grundverdorbene und unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie +ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles +verderben und ganz besonders, wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie +haben sich verschworen, alle Barbaren umzubringen mit Arzeneiung, aber +sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit man ihnen vertraue und sie +uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen sie Barbaren, ja +schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf die +Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.” + +Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im +Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz +unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste Weise +dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen. + +———————————————————————- + +Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und +bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende +Luxus sich weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen +bemerklich. Erst gegen den Schluss dieser Periode, namentlich mit der +Catonischen Zensur (570 184) faengt man in jenem an, neben der gemeinen +Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus +den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen +(570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem +die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken +nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren +entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde +von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann +rasch andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des +Marktes die Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen +Hallen ersetzt waren. Tiefer aber griff in das taegliche Leben die +Umwandlung des Hausbaues ein, welche spaetestens in diese Epoche +gesetzt werden muss: es schieden sich allmaehlich Wohnsaal (atrium), +Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen (peristylium), der Raum zur +Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und +in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im +Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen +verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert +oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; “unsere +Vorfahren”, sagt Varro, “wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten +nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament”. + +Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die +Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und +Malern die Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und +Hieron, den er im Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der +Seitenwand des Rathauses abschildern - die ersten historischen Fresken +in Rom, denn viele gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden +Kunst das sind, was nicht viel spaeter das Nationalepos und das +Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es werden als Maler +genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete, + +verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum + +die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz. + +Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem +Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter +griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate +Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel +zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt +doch eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht +bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern +dass sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie, +den Griechen und Halbgriechen anheimfiel. + +——————————————————————————— + +^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, +da die Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als +hexametrisch nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die +Schenkung des ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem +Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine +Selbstaendigkeit verlor. + +———————————————————————————- + +Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des +spaeteren dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon +die Pracht der korinthischen und athenischen Tempel und sah die +altmodischen Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit +Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos +Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des +Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den +eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den +ersten Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); +und obwohl dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und +zum Beispiel der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von +Tarent (545 209) die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern +den Tarentinern ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch +dergleichen Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus +Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei +Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus +(587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den +Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die +Ahnung auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen +wesentlichen Teil der hellenischen Bildung, das heisst der modernen +Zivilisation ausmache; allein waehrend die Aneignung der griechischen +Poesie ohne eine gewisse poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien +hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen auszureichen, und darum +ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur +Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch gemacht +worden. + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3062-0.txt or 3062-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3062/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. +</p> + +<h2>Contents</h2> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#part03"><b>Drittes Buch—Von der Einigung Italiens bis auf +die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten</b></a></td> +</tr> + + +<tr> +<td> <a href="#chap01">KAPITEL I. Karthago</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap10">KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap11">KAPITEL XI. Regiment und Regierte</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap12">KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap13">KAPITEL XIII. Glaube und Sitte</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap14">KAPITEL XIV. Literatur und Kunst</a></td> +</tr> + + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part03"></a>Drittes Buch<br/> +Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der +griechischen Staaten +</h2> + +<p> +arduum res gestas scribere +</p> + +<p> +arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben +</p> + +<p class="right"> +Sallust +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/> +Karthago</h2> + +<p> +Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der +alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese +am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die +Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefuehl der +Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den syrischen, israelitischen, +arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr +als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. +Ihre Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen +Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem +Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte +der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hiess Kanaan +das “Purpurland” oder auch das “Land der roten +Maenner”, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder +Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet +zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und der +Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo das ueberreiche +oestliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und +hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen +Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und +Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was +aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle +Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher +Zeit finden wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in +Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr +Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis oestlich zur +malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und die Perlen des +Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Loewen- und +Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen +Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das +spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen +die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und +ueberall kommen sie herum, um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, +an der ihr Herz haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte +genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch +an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das Altertum +die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen und dauernden +Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramaeischen +Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn +Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen +eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch +weder die phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst, +soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen Rang +eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und +unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu +naehren als zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung +phoenikischer Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich +klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der +italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst +vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der +wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon +oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem +Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier +begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur wirkenden +Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der Astronomie und +Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl +von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre +Industrie, von der Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift +und der Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen +wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das +Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes +ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie +von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben +sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat +ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich +beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und +selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im +Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und +die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch +dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem +mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den +indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich +selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros +ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil +herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern untertan. Mit +der halben Macht haetten hellenische Staedte sich unabhaengig gemacht; aber die +vorsichtigen sidonischen Maenner, berechnend, dass die Sperrung der +Karawanenstrassen nach dem Osten oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher +zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre +Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es +nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. +Und wie die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie +auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmaennischen +mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind +Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und +zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Laendern zu erwerben und daselbst die +schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren +Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem +oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und in den +grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im westlichen +Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind +es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die Schwere des Kampfes gegen die +Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man +sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch +gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind +die Phoeniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der +aelteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen +sizilischen Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage +bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als +gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen +die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens +ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr +sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen lassen. +</p> + +<p> +Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und mit +bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den +Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel +an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; vielmehr haben die +Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je +erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich +zu sein duenkt, ihre Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen +Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und +okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute +verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten +Stammgefuehl, bei der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das +eigenste Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es +geluestete sie nicht nach der Herrschaft; “ruhig lebten sie”, sagt +das Buch der Richter, “nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut +und im Besitz von Reichtum”. +</p> + +<p> +Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer +als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste Spaniens und an der +nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden weder der Arm des +Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der griechischen Seefahrer +reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika +die Indianer den Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen +Staedten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die “Neustadt”, +Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht +die frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich +vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten Phoenikerstadt +in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch +die unvergleichlich guenstige Lage und die rege Taetigkeit ihrer Bewohner. +Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des Bagradas (Medscherda), der die +reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchstroemt, auf einer fruchtbaren +noch heute mit Landhaeusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern +bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und +an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen +Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den +besten Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares +Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und die +Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische Ansiedlung +daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch in der roemischen +Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde +und noch heute unter nicht guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger +gut gewaehlten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und +gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher +Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die +Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen +Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt besessen +hat. +</p> + +<p> +Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in Karthago nicht +verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis +in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, den die Stadt einnahm, +Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und +obwohl das Meer und die Wueste die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem +Angriff der oestlichen Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des +Grosskoenigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich +gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu +sichern. +</p> + +<p> +Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch +Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik draengten. +Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen +ergoss, der die Phoeniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von +Italien verdraengt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja +in Libyen selbst das gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo +standhalten, wenn sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo +sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, +genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und +Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene +gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der Griechen; es +war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die +Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem +Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich +westwaerts der Wueste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe +erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze +Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die +Klientel der maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins +zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers +den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst +die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische Stellung. +Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft +ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. +Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der +Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der +Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit +aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das +auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen Geldspekulation, +die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist. +</p> + +<p> +Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche die +Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur +Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen +Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den +Einheimischen hatten entrichten muessen. Dadurch ward eine eigene +Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher hatten die Phoeniker es sich +angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den +Feldbau im grossen Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; +wie denn ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um +Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen +libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen +Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - wir +finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging +weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau scheint bei den +Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung, +vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu sein - wurden mit Waffengewalt +unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren +Herren den vierten Teil der Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur +Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmaessigen +Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen +(νομάδες) an den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine +verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene +zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die karthagische +Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit +des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den +Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die +“Staedte und Staemme (έθνη) der Untertanen”, die in den +karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien libyschen +Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. +</p> + +<p> +Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in +Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von +Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste +gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein koennen, +da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft +gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste der heutigen Provinz +Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphoenikischen +Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), +Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - die zweite Stadt der +afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich +von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter +karthagische Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen +vor den Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr +nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst +in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten +niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. +Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, +sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum +Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner +lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in +gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als +durch die Pietaet der Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen +Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; +wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der +griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst +im auswaertigen Verkehr sind es stets “Karthago und Utica”, die +zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass +die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie +behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines maechtigen +nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wueste sich erstreckte +bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum +Teil oberflaechlicher Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem +reicheren oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch +das Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden +vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend +sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische Zivilisation herrschte in +Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zuegen +Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Hoefen der +Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen und geschrieben und die +zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische +Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste +der Nation noch in der Politik Karthagos. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem +karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu +den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heissen: οι Καρχ ηδονίων +ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst heissen sie auch Bundes- +συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; +Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das +Commercium folgt aus den “gleichen Gesetzen”. Dass die +altphoenikischen Kolonien zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die +Bezeichnung Hippos als einer libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits +heisst es hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum +Beispiel im Periplus des Hanno: “Es beschlossen die Karthager, dass Hanno +jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker +gruende”. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern +nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es +recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten +Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in +der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den Phoenikern +haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie +im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den +Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. +</p> + +<p> +^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die +Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der +zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings +diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das phoenikische; aber es folgt +daraus noch keineswegs, dass die Libyer die Schrift nicht von den Phoenikern, +sondern von aelteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise +aelteren Formen der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten +verbieten. Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem +phoenikischen einer Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als +die, in der die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache +geschrieben wurden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen +stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die Veraenderung +ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte Schriftsteller nennt +als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit +des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen +Systems angesehen werden, dessen Durchfuehrung vermutlich das vierte und +fuenfte Jahrhundert Roms ausgefuellt hat. +</p> + +<p> +Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen +phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen +Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von aussen, +namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im +zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die +edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils +ueber nach der gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin +ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit +Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste +kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. +</p> + +<p> +Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen +Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder +gewaltig sich entwickelt. +</p> + +<p> +In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische Ansiedlung in +Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und oestlich davon eine Kette +von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das +heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Kueste davon +innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen +abzugewinnen war man nicht bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der +Bergwerke und der Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang +und hatte Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. +Es ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch +waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den tributpflichtigen +Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoeniker tatsaechlich +unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die +Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer +Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen +wurden dagegen von den Karthagern selbst in frueher Zeit besetzt, teils der +Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von +hier aus die heftigsten Kaempfe gefuehrt wurden. +</p> + +<p> +Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich +fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen +ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der +Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an +dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen +Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften +durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. +</p> + +<p> +In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere +oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende +gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils +die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter +denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils die +West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von Lilybaeon aus +die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien +unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der +Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere +Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher +Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der +Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf +die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische +Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen +bequemten sich, einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede +auf ihr Gebiet. +</p> + +<p> +Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein +noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der +karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, der +Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der +Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostkueste als +auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der +nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten +die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die +Phoeniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, +solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit +den ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar +gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen +Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbuendnissen, Karthago wohl +schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der +Vereitelung der grossen Entwuerfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand +als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die +Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und +zugleich ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden +auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das +naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen und ihrem +ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389 +406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der sizilischen Mittelstaaten, +die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den +Syrakusanern und den Karthagern. Die bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, +Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von +den Karthagern von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das +Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt +auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, die +veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu +beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei +Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen +Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen +Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um +den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer +von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu +verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der +Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 +(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und +scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner +unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos +waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu +verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die Seite der +Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und die, wenn sie auch +nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer +Planmaessigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien +zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die +Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die +Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf +schon entschieden: Pyrrhos’ Versuch, die syrakusanische Flotte +wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte +die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und +ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte +und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel +dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen +gegenueber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor +irgendeiner zum Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein +Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes +(479-560 275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach +Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in +die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt es voellig +ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die spanischen, +sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348) +freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des +eigenen karthagischen saemtlich schloss. +</p> + +<p> +Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor +dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der +monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende +Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte +stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia +bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und +achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der +Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die +Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die +Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl +Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber +genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem +kleinen Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er +viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss +zugestanden zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie +sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt +des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles’ aelterer Zeitgenosse, sagt, dass +die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und +so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen +Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen +Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und +ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche +Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des +Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig +unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich +unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den +Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann +zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. +</p> + +<p> +Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der +Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der +karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand +sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen +aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. +Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten +Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen +hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung +in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies +fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung +und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der +Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch +der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende +Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich +von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja +lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen +gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar +erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation +hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische +Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad +bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, +die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die +Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen +und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode +bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden +unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt +der Macht ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es +begreift sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung +eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den +Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig +nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie +den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. +</p> + +<p> +Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta +ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, +doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen +zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem +Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl +erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt +war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer +gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago +nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich +durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen +Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien +verglichen werden, moegen oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar +ein Gegensatz zwischen “Stadtbuergern” und +“Handarbeitern” wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige, +vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst. +</p> + +<p> +Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische +Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer +Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus +einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden staedtischen Menge, +anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das +System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu +Vermoegen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die +abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer +verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles +bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der +karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben +noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb +fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie +allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward +abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem +Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich +bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen +Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss +der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und +in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei: +die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung +zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung +des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, +dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein +koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der +Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt +noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und +reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, auf wie +fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die +von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, +dass sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte +gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in +Karthago, die Buben sie machen halfen. +</p> + +<p> +In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den +Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges +war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers +der Griechen allen griechischen Staaten finanziell ueberlegen und werden ihre +Einkuenfte denen des Grosskoenigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste +Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche +Feldherren und Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu +betreiben und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die +agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen +und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen +Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, sondern +auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen +Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge +Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als +eine Hauptmaxime der phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu +erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des +Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner +Nomadenwirtschaft es nach Polybios’ Zeugnis vielleicht allen uebrigen +Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der +Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, wurden +sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss nach Karthago +mittelbar die Grundrente “des besten Teils von Europa” und der +reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte, +ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in +Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels +aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der +Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher +schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte +Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen +Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem +Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren +verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom, +zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht +vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische Literatur +und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago +geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und +betraechtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des +Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die +agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des +Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der +karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von +seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die allgemeine +Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen ^3, +worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem kaiserlichen Rom auf einer +Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche +der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings +unmoeglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in +diesem London des Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den +oeffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des +kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte, +und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die +Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben vollstaendig +deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch +nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen +war, die laufenden Ausgaben und eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von +340000 Talern ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte +Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der +Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen sechsunddreissig Termine sich +erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe der Einkuenfte, in der sich die +Ueberlegenheit der karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die +oekonomischen Grundsaetze einer spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden +wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von +auslaendischen Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben +Gold- und Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in +dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine +Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe geloest als +Karthago. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der +Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen +koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen +‘Poeners’ heisst es von dem Titelhelden: +</p> + +<p> +Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn’ +</p> + +<p> +Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr? +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und +Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus +praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich +dieselbe, nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als +Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals +noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die +karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer waren, +bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der Buergerschaft noch selber +das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war in Rom besitzend, das ist +konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf +der Demokraten zugaenglich. In Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen +Handelsstaedten eigene Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens +aeusserlich noch altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als +die karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren +Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren zueinander alle +Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus fuer +den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder +begegnet. Der Spott ist bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen +Zustaende. +</p> + +<p> +Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die +Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge +Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde den einzelnen +Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich des Erlernens der +griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur +vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben +Geiste geflossen wie das roemische Regierungssystem; aber gegen die grausame +Haerte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen +Staatsbevormundung erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und +verstaendig. Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich +oeffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und +brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte +auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und +vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Misstrauen +noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, dass das Volk +ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. +Daher der feste Gang der roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt +zurueckwich und die Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit +und Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte +Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen +Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen +liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige +Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, in Karthago +haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedraengt, sich ihnen +verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei +gemeinschaftliche Sache zu machen. +</p> + +<p> +Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde +Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Buergerrecht +aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugaenge zu +demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich ab und liess den +abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige +Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den +Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den +uebrigen untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und +Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago +behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar +den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht +einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner +eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin und belastete +selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die +unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im +karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit +Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell +sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen nicht eine einzige, +die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen +sorgfaeltig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch +aeusserste Massregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren +gehabt haette als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, +die phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten +Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische +Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen kaufmaennischen Kalkuel +dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung bewies, dass die roemische +Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie +eine Mauer aus Felsenstuecken, die karthagische dagegen wie Spinneweben +zerriss, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah +es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im +Soeldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, +dass die libyschen Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum +Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder +aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie +gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit +dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und +ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier sich +bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere Syrakus in ihre +Haende gefallen, so haette sich freilich dies bald geaendert; indes dazu kam es +nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen +Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in +Sizilien in der Tat eine ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum +Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die +Geschichte des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im +ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren +phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Roemern die +Samniten und Tarentiner. +</p> + +<p> +Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um +vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass +die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, +wenn man sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass +die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die roemische. +</p> + +<p> +Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr verschieden, +jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische +Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Koepfe mit Einschluss +der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des fuenften Jahrhunderts +wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fuenften Jahrhundert im +Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein +ebenso starkes Buergerheer hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts +unter gleichen Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen +Erweiterungen des Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die +Zahl der waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit +mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des +Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich +angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie +doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des +Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem +Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren +noch eine “heilige Schar” von 2500 Karthagern als Garde des +Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in +dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. +Dagegen standen die roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, +sondern auch auf den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den +Stammverwandten der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht +mindere Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker +ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit +weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die +zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften. +In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine +einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus +Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher. +Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes +Fussvolk bilden liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen +war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen +Voelkerschaften Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den +Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die +Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene +Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede +beliebige Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an +Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; allein +nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, ehe dieselben +bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden +Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend +die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der +Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an das +gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages +galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie +heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der +Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen +gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum +Sprichwort gewordene Ruf der “punischen Treue”, der den Karthagern +nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere +ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und +mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als seine +Feinde. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den +Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet. +Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer +Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu erinnern, dass die +Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht staedtisch, ebenso wie die +roemischen Zensuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezaehlt sind, +mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen +Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich +eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in +Gades aus gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies +als die der in Gades ansaessigen Buerger war. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen +und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf +gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner ausstatten zu +koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige +Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den +Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die Elefanten, seit diese im +Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten +Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte +zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen, +dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die +Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten +unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette roemischer +Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der +Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete +den Staat nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom +politisch und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung +niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die +Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der +Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago +zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die +karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in +der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich +Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und +die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago +entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der +verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in +der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten +das westliche Meer beherrschte. +</p> + +<p> +Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden +grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen +und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen +begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir koennen nicht +unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und +Reichtum vermochten, um kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung +sich zu erschaffen, aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel +des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden +Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien, +Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich nicht +verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff +nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der +Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich +herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; dass selbst maechtige +Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwaecheren Feinden die Landung +zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit +Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn +finden, und waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der +Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in +eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, auch der +hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/> +Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</h2> + +<p> +Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und +den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten ward +der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Karthago +Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen Opposition in +Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago +zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit +welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die +phoenikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln +focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen +Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende +Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich +beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und Himera +und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber saemtliche oestliche +Staedte anerkannt. Pyrrhos’ Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 +275) liess die bei weitem groessere Haelfte der Insel und vor allem das +wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als +Tauromenion und der Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der +Ostkueste, in Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich +festgesetzt und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von +den Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das +bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, +368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was +spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die +soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen Griechen dort +ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua +und den uebrigen kampanischen Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die +roemische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes +Regiment die Verfuegung ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles +dies trieb die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der +Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose +Selbstverkauf hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung +an Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den +Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer Hut +anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, vorausgesetzt +nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, leuchtete diesen Kampanern +nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer +Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise +begruendet. Nirgend luden die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen +Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen +Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und +Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein +kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen +Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in +Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz der +antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Teile der +Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und +die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt und die neuen Herren der +Stadt, die “Marsmaenner”, wie sie sich nannten, oder die Mamertiner +wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den +wuesten Zeiten nach Agathokles’ Tode sich unterwarfen. Die Karthager +sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer +stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt +einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten; mit +karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der +unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. +</p> + +<p> +Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den +sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der +die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der +Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag +die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier +eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die +schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmaehlich +sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich +immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu +rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen. +</p> + +<p> +Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der durch +seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen +verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie durch die +Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke +seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt +hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die +Spitze des mit den Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch +seine kluge Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er +schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs +gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte +sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen Soeldnerheeres, +regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als +Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen und frischen und +lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. +Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos +von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der +Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem +ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer +des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge +kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um diese +Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner +in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch +einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen +ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und +nachdem die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich +aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit +eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht +moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen +hatte, ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die +einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder +an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung +des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es +vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben, +war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet +der kampanischen Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den +Roemern anzutragen. +</p> + +<p> +Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten +der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem +ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; aber +dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere +Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher vom Senat gefassten +Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein. +Streng rechtliche Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei, +ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das +Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen +Kampaner mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre +nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur +Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu +entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu +Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren +musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral +keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische Buerger, die +den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen hinterlistig gemordet +hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, +wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe. +Haette es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in +Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. +Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; +schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es +begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten +wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus und Messana - und dass +sie, als dies unmoeglich geworden war, die Grenzplaetze lieber sich goennten +als der anderen Grossmacht. Wie Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion +und Tarent von den Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte +fuer sich zu gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot +jetzt in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine +Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die +Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward, sondern man warf sie selbst +den Phoenikern in die Arme. War es gerechtfertigt, die Gelegenheit +entschluepfen zu lassen, die sicher so nicht wiederkehrte, sich des +natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien und Sizilien zu bemaechtigen und +ihn durch eine tapfere und aus guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu +sichern? gerechtfertigt, mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den +letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit +Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch +Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und +Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago fuehren +musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn +nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueberschreiten der +See abwich von der bisherigen rein italischen und rein kontinentalen Politik; +man gab das System auf, durch welches die Vaeter Roms Groesse gegruendet +hatten, um ein anderes zu erwaehlen, dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand +vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der +Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut +gibt, die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu +folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den +Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam zu +keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche die Sache +verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten +Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den +Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische +Bahn zu betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch +die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die +ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen +^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu +senden (489 265). +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen +Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und +besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in die +Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach +mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron +hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen ihre +neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu +behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von +Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung +zu antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit und +von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er +in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. +Unmoeglich schien dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 +265), sieben Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu +bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu +verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten +auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen +Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit Kriegsgruenden zu +fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie die Roemer es pflegten, die +Rolle des angegriffenen Teils zu reservieren. Wenigstens das konnte man mit +vollem Rechte sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf +Messana der Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur +der zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen +Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen +Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst den +erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen Gegenbeschuldigungen, die +natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt gehalten und unterliessen es, die +beabsichtigte Invasion Siziliens als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es +indes; denn wie Rom die italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen +Angelegenheiten als innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff +gestatten kann, und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die +phoenikische Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung +war. Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner +endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den +Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des +roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion +erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete +Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen Partei +in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den +Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben sei und +dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische +Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals Hanno. Die jetzt vom +karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische Buergerschaft liess, unter +verbindlichem Dank fuer die schleunig gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen +Befehlshabern anzeigen, dass man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. +Der gewandte und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging +nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen die +roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; doch sandte +der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, keine Veranlassung +zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten Freunden jenseits der +Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als haetten die Roemer vor Messana +sich ebenso nutzlos kompromittiert wie die Karthager vor Tarent. Aber Claudius +liess sich nicht abschrecken, und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. +Kaum angelangt, berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen +Wunsch erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer +waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung +selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie die +schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren kleinmuetig +genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese, dem Befehl +des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war +der Brueckenkopf der Insel in den Haenden der Roemer. +</p> + +<p> +Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und Schwaeche +ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den Roemern den Krieg. +Vor allem galt es, den verlorenen Platz wiederzugewinnen. Eine starke +karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe +von Messana. Waehrend sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans +Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der +nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu +beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana und +uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. +</p> + +<p> +Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit +dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang die +Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck waren mit den +Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesamten +roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt +ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen und damit die Belagerung +aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das roemische Heer das Feld und machte +sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch +die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) +mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck +nach Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach +Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen +daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht +triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht +verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden +Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die +Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug +“der von Messana” (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden +Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach dieser +Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten +wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren +griechischen Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die +karthagische Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). +Er folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es +den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen +anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu +erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene +Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und +karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die erstere +vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer +sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu +lassen, und auf alle Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und +Monopolisiersystems von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der +Handelsfreiheit zu erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, +standhafteste und geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. +</p> + +<p> +Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das +Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen +Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige +Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher bedenkliche und +unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte +denn auch fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in +Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492 +262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den +sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen zurueckzutreiben. +Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern +seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs +aeusserste zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten +die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die +Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am +Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia +und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf +beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht, +um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte +sich die numidische Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der +phoenikischen Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den +Sieg, allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg +der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der +Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der belagerten +Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen; dennoch +war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in die Haende der Roemer und +damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in +denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich +bis an die Zaehne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu +vertreiben war. Der Krieg spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der +Karthager aus den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den +italischen Kuesten. +</p> + +<p> +In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen Schwierigkeiten des +Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie erzaehlt wird, vor dem Ausbruch +der Feindseligkeiten die Roemer warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben, +denn wider ihren Willen koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer +waschen, so war diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte +beherrschte ohne Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen +Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte +auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine +konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren +Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen +an den italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, was +schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war +voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, +Neapel, Tarent, Syrakus vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die +Karthager ueber die Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die +ausbleibenden sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren +jetzt, was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso +leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu +ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu schaffen +und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert Fuenfdeckern +herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen Beschlusses war nicht +leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende Darstellung, die glauben +machen moechte, als haetten damals zuerst die Roemer die Ruder ins Wasser +getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens Handelsmarine musste um diese +Zeit sehr ausgedehnt sein, und auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es +keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in +frueherer Zeit ueblich gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, +besonders von Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich +in der Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die +Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von +Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und eben +wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff zum Muster +nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine +gestrandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer, +wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller +zum Ziele gelangen koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um +Italien durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden +die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die Schiffsoffiziere, +die man groesstenteils aus der italischen Handelsmarine genommen haben wird, +als fuer die Matrosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine +Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden +spaeter Sklaven, die der Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald +auch die aermere Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und +wenn man teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des +Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es +begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert ist, eine +Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines Jahres loesten und +ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom +Stapel lief. Freilich kam dieselbe der karthagischen an Zahl und +Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, +als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass +Schwergeruestete und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass +Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht +dieser Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand +im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile mit +schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe pflegten +einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss gelang, der +gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der Bemannung eines +gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn +Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers +zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis. +</p> + +<p> +Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen bei +ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an +Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man +den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zuteilte. Man +brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende Bruecke an, welche nach +vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden +Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. +Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, +nachdem der Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke +auf dessen Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; +wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen +Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche Verdeck +hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. Eine eigene +Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis die Landtruppen zu +diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht, +wo freilich die roemische Flotte zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis +120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten. +</p> + +<p> +So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war. +Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, +und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der +Flottenbau der Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo +durch Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch +Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen +ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. +</p> + +<p> +Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der +Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen +Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der Fahrt +Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine Abteilung der +bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in +dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre +mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht +ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter +Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein +schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck +hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen, +und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der zweite +Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen Kollegen +uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von Messana, traf die +karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos herankam, auf die +roemische, welche hier ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in +den schlecht segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte +Beute erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber die +neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe +fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war +ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die +gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als die +Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, fast die +Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren +das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war +gross; noch groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht +geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich +hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, energisch +zu Ende zu fuehren. +</p> + +<p> +Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den +italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und +Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut +kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies +durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung dieser +Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht genuegte, der +zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder man konnte die Inseln +vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in +Agathokles’ abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbrennend und +alles setzend auf den Sieg eines verzweifelten Haufens, sondern durch eine +starke Flotte die Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien +deckend; in diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde +nach den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, +mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. +</p> + +<p> +Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht von +Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria auf +Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser Tat gedenkt +- und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf +der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte +an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit +besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste gepluendert; +aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam +man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg +nicht bloss mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen +Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von +den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und +in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten, +namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffenplatz +Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen Hamilkar die Bewohner des +Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am Tyndarischen +Vorgebirg (497 257), in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte +nichts an der Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte +die Schuld nun an dem geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der +roemischen Truppen liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe +kleinerer Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen +strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall nach dem +damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer ueberhaupt (I, +426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der wissenschaftlichen +Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. Mittlerweile litt, wenn auch +die Brandschatzung der italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische +Handel nicht viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges +der Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der +Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr +498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der +libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer +Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der +Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Volso, +beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess es geschehen, dass die +feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika +fanden die Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in +Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. Nicht +leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht +gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens +100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa 40000 Mann starken +Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens +die gleiche Zahl, so dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage +aufgeboten waren, um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu +entscheiden. Die Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem +linken Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins +Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in schraeger +Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das +dritte mit den zum Transport der Reiterei gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in +der Linie, die das Dreieck schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den +Feind. Langsamer folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der +keilfoermige Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das +zunaechst angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die +Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit +den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Zentrum +nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der linke, an der Kueste +aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte roemische Geschwader ein, +welches durch die Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, +und draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; +gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel +auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei +Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, +offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen +Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden anderen +Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen Feind; allein +im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit +deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit +ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft, +und die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht +das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, +fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil +verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser +umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige Verlust +war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von +der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz +des betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu diesem +Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine +zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der +westlichen Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der +oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden Schutz +bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf einem +schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche +Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und +setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes +Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die +roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis 20000 +Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle +war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man +schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der +Beschluss des Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee +nach Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit 40 +Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht +nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene +nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen +sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden +konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und +ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten +Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht +bei derselben, in Tunes sein Winterlager aufschlug. +</p> + +<p> +Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die Bedingungen, +die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, +sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager +verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den +roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit +Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen +werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte +auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige +Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen, +bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese +Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den +Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen +Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit +der Elite der sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen +trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten +ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso +zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos +von Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen neuen +Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des Winters die +Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei +Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt +zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was +seine Lage erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch +nicht imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg +von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen +Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern +versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte +und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der Numidier so +leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich +und sein Heer also in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem +verzweifelten Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 +255), hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager es +waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; +natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, +ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die +Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im +offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke +- denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, +gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes +Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich +auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, +der an diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei +auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der +Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu vor den +feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah sich von demselben +ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, +gingen zum Angriff vor gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung +vor derselben aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum +der Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den +Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten +feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die +roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den Seiten und im +Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar ins Viereck und +verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden doch die geschlossenen +Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke Fluegel traf auf das +noch frische karthagische Zentrum, wo die libysche Infanterie ihm gleiches +Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der +feindlichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen +gefochten hatte; nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang +zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen +Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu +erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der spaeter in +Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von den Karthagern nicht +nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen +Gefangenen die empoerendste Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf +deren Anzeige die Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos’ militaerisches Talent Karthago +gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen Offiziere werden +schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu lernen, dass die leichte +afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der Ebene verwandt werde als in +Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen +Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem +Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging +freiwillig fort, vielleicht in aegyptische Dienste. +</p> + +<p> +^3 Weiter ist ueber Regulus’ Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst +seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt wird, ist +sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der +Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp +des ungluecklichen wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine +Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; +widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten +Geschichte. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich +gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine +roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem schoenen Sieg +am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbuessten, +gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, um die dort verschanzten +Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie +gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in +einen Sieg verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein +Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den +Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche +Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und +leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der Landung +in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen afrikanischen +Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit +nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue +deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten +Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen +abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer +dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der karthagischen +Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der Revolution, welche einige +Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, +so jetzt das Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt +der Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit +der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die +Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten +roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen. +</p> + +<p> +Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte +Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit +einem starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es waren +ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; +die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten +Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die +Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des +Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, im +roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den +afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln allmaehlich zu +unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige +zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen +Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen +Kriegsschiffen wurde auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher +gleichzeitig so viele zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen +Zeit von drei Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) +erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe +zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von +der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, Panormos, +erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, Kephaloedion, +Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen noerdlichen Gestade der +Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der +Hauptstationen der Roemer auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; +die beiden Armeen standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die +roemischen Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine +Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. +</p> + +<p> +Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren +Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht +um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie +damit zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten +unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit +Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien +ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die +Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der Kueste zu +waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges durch das offene +Meer nach Ostia zu steuern muessen. +</p> + +<p> +Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die Kriegsflotte +abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Kuestenverteidigung und +die Geleitung der Transporte zu beschraenken. Zum Glueck nahm eben jetzt der +stockende Landkrieg auf Sizilien eine guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 +(252) Thermae, der letzte Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, +und die wichtige Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht +im Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von +Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 251). Die +unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten +leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils in den Graben hinab, +teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den +Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von den phoenikischen +Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das +karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum +in die Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den +Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den Karthagern +nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden +an; allein der Sieg des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der +energischeren Partei im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und +beschlossen, die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft +anzugreifen und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen +zu lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die +Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, wurde +von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer Flotte gelang es, +sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von der Seeseite zu +blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, vermochten die Belagerer +nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden und trotz der sorgfaeltigsten +Bewachung unterhielten gewandte und der Untiefen und Fahrwaesser genau kundige +Schnellsegler eine regelmaessige Verbindung zwischen den Belagerten in der +Stadt und der karthagischen Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit +glueckte es einem karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen +einzufahren, Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt +zu werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher war +die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die Maschinen +wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien sechs Mauertuerme +eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein der tuechtige karthagische +Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff ab, indem auf seine Anordnung hinter +der Bresche sich ein zweiter Wall erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der +Besatzung ein Einverstaendnis anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit +vereitelt. Ja es gelang den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke +gemachter Ausfall abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht +die roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die +Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser und zu +Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf Erfolg sehr fern, +solange man nicht imstande war, den feindlichen Schiffen den Zugang gaenzlich +zu verlegen; und einen nicht viel leichteren Stand als in der Stadt die +Belagerten hatte das Landheer der Belagerer, welchem die Zufuhren durch die +starke und verwegene leichte Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden +und das die Seuchen, die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu +dezimieren begannen. Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig +genug, um geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit +der Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius +Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu gering; +es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu aendern und mit +seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die karthagische in dem nahen Hafen +von Drepana verweilende Flotte unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen +Blockadegeschwader, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, +fuhr er um Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten +Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit Sonnenaufgang den +Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische Admiral Atarbas. Obwohl +ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht und liess sich nicht in den Hafen +einschliessen, sondern wie die roemischen Schiffe in den nach Sueden +sichelfoermig sich oeffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der +noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich +ausserhalb desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als +die vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und +sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser +rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und musste +die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der feindlichen um fuenf +Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, die Schiffe wieder aus dem +Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils so dicht an die Kueste gedraengt war, +dass seine Fahrzeuge weder zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich +untereinander zu Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, +ehe sie begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass +sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem er +zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel der +Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, fielen den +Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse Seesieg, den die +Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon war der Tat nach von der +Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer der roemischen Flotte in ihre +fruehere Stellung zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um +den nie ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem +Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des +Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft +leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und +aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut +noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den +Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus, +der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten +Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen +Kueste der Insel mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu +geleiten, beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten +Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. +Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen +Schiffen die roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon +Nachricht erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die +beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab und +zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen +sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern +tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon seit +laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an Vereinigung und +Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die +Vollendung seines Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm +vernichtete denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden +vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen +unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft +und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249). +</p> + +<p> +Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte Jahr, und +von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als im ersten. Vier +grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde gegangen, drei davon mit +roemischen Heeren an Bord; ein viertes ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in +Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte +zur See, die in Sizilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die +Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, +ist daraus zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) +um etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die +Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und daneben +der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer traf, noch +nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse ist es nicht +moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der unmittelbare Schaden +an Schiffen und Material als der mittelbare durch die Laehmung des Handels +muessen ungeheuer gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die +Abnutzung aller Mittel, durch die man den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte +eine Landung in Afrika mit frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und +war gaenzlich gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen +unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen +Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als je zuvor. Was +sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt gewissermassen Recht. Die +Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die Sachen eben gehen, wie sie gehen +mochten, wohl wissend, dass ein ziel- und endlos sich hinspinnender Krieg fuer +Italien verderblicher war als die Anstrengung des letzten Mannes und des +letzten Silberstuecks, aber ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu +dem Glueck, um zu den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man +schaffte die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den +Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen bereit +waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. Der Landkrieg +ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht anders konnte; allein man +begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu beobachten, und was man besass, +notduerftig zu behaupten, was dennoch, seit die Flotte fehlte, ein sehr +zahlreiches Heer und aeusserst kostspielige Anstalten erforderte. +</p> + +<p> +Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner +zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte +gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, konnten die +phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den +Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und +nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung war eben +nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein leichter und +sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte +los zu sein, liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem +Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in und um +Sizilien zu beschraenken. +</p> + +<p> +So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten, +welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos auch +fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und handelte +anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, das ist der +Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) +den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee wie in jeder +karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die +Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden +Fall es zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den +Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans Kreuz +heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, +dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von +seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im +besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das Vaterland +auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er +kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich +nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des +Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der +junge General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon +gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte +(Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land +beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren +Frauen und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend +phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte +er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und +bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige +Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die +Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der +Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine zweite +aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben Hoehe die +gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite trug, hatten bis +dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar +nahm die Stadt weg und belagerte das Heiligtum, waehrend die Roemer von der +Ebene her ihn ihrerseits blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen +Posten des Tempels gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen +Heer, ein schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel +pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die +Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht wieder +aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der Besatzung von +Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der sizilische Krieg schien +eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer zu nehmen. Der roemische Staat +kam in demselben um sein Geld und seine Soldaten und die roemischen Feldherren +um ihr Ansehen: es war schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General +gewachsen war, und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische +Soeldner sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener +zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen +eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen. +Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was spaeter +auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. +</p> + +<p> +Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der +Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine +Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne +Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein Ende zu +machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den Mut der Nation +gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man +hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, Hippo an der afrikanischen Kueste +niedergebrannt, den Karthagern vor Panormos ein glueckliches Seegefecht +geliefert. Durch Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in +so grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und +patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer den +Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften abgaben und +die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als dies bisher bei dem +Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine Anzahl Buerger im +dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit +einer Bemannung von 60000 Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht +vielleicht ohne Beispiel da in den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius +Lutatius Catulus, dem die Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See +zu fuehren, fand dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit +denen Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, +und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon und +Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch begonnen ward. +Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden Festungen, schwach +verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man ruestete daheim an einer +Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien +karthagische Segel sich gezeigt haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241) +die zusammengerafften Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch +mehr eine Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die +Phoeniker hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die +fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein +die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der +heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen +Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der +Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und +bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das +Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto vortrefflich +gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen, schlecht und schwach +bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten +fuhren die Sieger ein in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung +der roemischen Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit +ihm den Frieden. +</p> + +<p> +Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die Sache +nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen Feldherrn +unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der, seine +siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, fuegte +hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder seine Soldatenehre noch +sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu +halten, seit die Roemer die See beherrschten, und dass die karthagische +Regierung, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten +zu fuellen versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die +roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die +Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen +Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass Rom sich +verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen +Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und +abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder +in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was +die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der +roemischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; +dagegen die Forderung des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen +Ueberlaeufer ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit +Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den +Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 +Denaren (4 Taler) fuer den Mann. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet +der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst +nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich genug; allein +der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27). +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien, +so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann sein, +dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch den Frieden +zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen Gang des Krieges, +die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg +entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht +selbst Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher +Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem +Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter +dem Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt hatten, +anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen +wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den +Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen, +oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf die +politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, den Krieg +fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden +handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, +so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes +andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und +erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke +zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende Partei in der +vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische +Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie politischen Takt +und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um +den Zug des Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, +um nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu +brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn zu +beantworten jetzt niemand wagen kann. +</p> + +<p> +Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, +die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im +wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu +zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente (5½ Mill. Taler), davon ein Drittel +gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung +von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den +definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redaktionelle +Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es Sizilien hingab, sich +die laengst von der roemischen Flotte besetzte Insel Lipara nicht konnte +vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf +Sardinien und Korsika absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag +gesetzt habe, ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. +</p> + +<p> +So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation +stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren +der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert Jahren +in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern alle Stuerme der +Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513 241). +</p> + +<p> +Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die roemische +Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel einfasst. Es ist +einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer gefuehrt haben; die +Soldaten, welche die entscheidende Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum +guten Teil noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich +grossartigen Momente, die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, +den die Roemer militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher +gefuehrt haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines +Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden +italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der roemische +Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich organisiert fuer die +rein italische Politik. Die Kriege, welche diese hervorrief, waren reine +Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen +Hauptstadt als der letzten Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen +Festungskette. Die Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; +Maersche und Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die +Schlachten; der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg +kamen kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man +nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen der +blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine Ratsversammlung +diese Operationen zu dirigieren und wer eben Buergermeister war, die Truppen zu +befehligen imstande war. Auf einen Schlag war das alles umgewandelt. Das +Schlachtfeld dehnte sich aus in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche +eines andern Erdteils hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle +war dem Feinde eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch +erwarten. Die Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, +an der die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer +jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und +mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen und, was +schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren Angriffs- und +Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf +lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen und ineinanderzupassen; +geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch weit schwaechere Feind leicht +den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines +solchen Regiments der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern +entschluepften? +</p> + +<p> +Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im +Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine +nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen +militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die vollstaendige +Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab durch Energie und +durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung +war ein grossartiger Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man +bildete eine roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach +und behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering +geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere +waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar +Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den +drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal zu +Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil +wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der +Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens +haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes +hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend, allmaehlich +darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch +Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem +waehrend des langen Krieges entwickelten Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon +gemacht war; allein es geschah nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das +roemische Flottenwesen in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die +genialste Schoepfung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom +den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen +Maengel, die sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass +der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System +der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging, wie +die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der Flotte waren; dass +der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte belagerte und sein Nachfolger, +statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte +oder ein Seetreffen zu liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl +jaehrlich von Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, +ohne Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau +einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines +solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue +Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren. +Regulus’ Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken +befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es gibt nicht +leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge in den Schoss +geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter +Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee +gegenueberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich +von der taktischen Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden +Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um +strategisch, und nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch +taktisch sich ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als +Regulus in seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die +Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die +Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz +richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig +geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von +militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das freilich war +nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, dass man das +Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls der Landarmee +behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, +sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die +Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch +weniger die Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner +Buergeradmirale. +</p> + +<p> +Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, +als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische +Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die +Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom +gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter und der +Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel der roemischen +Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner Feinde. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/> +Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</h2> + +<p> +Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften +Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter +roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das +Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende ging, waren +diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin ueberschritten, waren jenseits des +Apennin wie jenseits des Meeres italische, der Eidgenossenschaft angehoerige +Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu +raechen, bereits im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im +Sueden in dem grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der +sizilischen Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena +namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in +Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen +Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und +Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich +draengenden Ereignisse als eine umfassende politische Berechnung diese +Erweiterungen hervorgerufen haben; aber begreiflicherweise brach wenigstens +jetzt, nach den grossen, gegen Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der +roemischen Regierung eine neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche +die natuerliche Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. +Politisch und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem +niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige Scheidewand +Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der Herrschaft ueber +Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und Osten der Halbinsel zu +vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der Phoeniker aus Sizilien der +schwerste Teil getan war, vereinigten sich mancherlei Umstaende, um der +roemischen Regierung die Vollendung des Werkes zu erleichtern. +</p> + +<p> +In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das +Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse fruchtbare und +hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen Frieden zum groesseren Teil +in den Besitz der Roemer uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den +letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen +Buendnis festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen +Anspruch gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss +begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei +Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz +Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das heisst +ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton, +Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine Selbstaendigkeit gegen das +Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im +bisherigen Umfang gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte +nicht mit dem voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und +also fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des +Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in +Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein. +Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht +ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu verwandeln, +solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete sich bald nach dem +Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese zweite Insel des +Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika hatten unmittelbar nach +dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner und die Untertanen +gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. Die Schuld der gefaehrlichen +Insurrektion trug wesentlich die karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den +letzten Kriegsjahren seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher +aus eigenen Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim +erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach Afrika +senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig +in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise abloehnen oder +mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber hierauf den Oberbefehl +nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so sehr an den leeren Kassen als +an dem kollegialischen Geschaeftsgang und dem Unverstand der Buerokratie. Man +wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte +dann, den Leuten an dem versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand +eine Meuterei unter den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der +Behoerden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen +waren gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten; +sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte +Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche Steuerdruck dort +ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort +hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem +meuterisch erpressten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man +in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die +nicht anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die +Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen +ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge +karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des +sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago +von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende karthagische Heer +durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen. +</p> + +<p> +Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin +groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn gebracht +hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu +bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen +voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat +gewesen war, wie maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham +verbot zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja +man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien +Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den +Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom +mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als +nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den roemischen +Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze +der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener +italischer Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer +dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch +die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen Bundesgenossen +zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich der uebrigen +karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert hatten, boten, als +sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen +Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, den Besitz derselben den Roemern an +(um 515 239); und aehnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, +welche ebenfalls an dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen +Hamilkars aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in +Rom zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen +Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische +Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der +sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was von Sardinien in den +Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit schwererem Gewicht als in der +Angelegenheit der Mamertiner trifft die Roemer hier der Tadel, dass die grosse +und siegreiche Buergerschaft es nicht verschmaehte, mit dem feilen +Soeldnergesindel Bruederschaft zu machen und den Raub zu teilen, und es nicht +ueber sich gewann, dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen +Gewinn nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der +Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig ueber +die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider Erwarten und +wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars Genie abgewendet und +Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt worden war (517 +237), erschienen sofort in Rom karthagische Gesandte, um die Rueckgabe +Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder +herauszugeben, antworteten mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden +Beschwerden ueber allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten +zugefuegt haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass +in der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten +Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen +Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung +bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein +jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den +vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen entsetzlichen +Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man wohl sich fuegen. Nur +auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet +hatten, fuer die mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung +von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer +widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man +Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom +letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten +die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr +noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den Eingeborenen +im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr man trieb dort die +Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den +Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um +ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung +Italiens. Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die +Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die +der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens +nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht +beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden +damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie bloss der politischen +Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische +Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus blossen +Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, aber darum nicht +minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten Bedeutung geworden ist; den +Gegensatz der festlaendischen und der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um +die spaeter gelaeufigen Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und +der Provinzen. Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die +Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr +Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; wobei +es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in das +Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie in jedem +einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden Bestimmungen +gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger +ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen +Gemeinden die bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) +durch Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische +Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom +lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man +scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen +Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren +unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man +sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die +ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der +roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der +Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke stellvertretende +Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste jetzt (527 227) auch die +administrativ-militaerische Konzentration in der Person der Konsuln aufgegeben +werden. Fuer jedes der neuen ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie +fuer Sardinien nebst Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, +welcher an Rang und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, +uebrigens aber, gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, +in seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. Nur +die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln, so auch +diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere Quaestoren +zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und in der Rechtspflege +wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die Kassenverwaltung zu fuehren +und darueber nach Niederlegung ihres Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. +</p> + +<p> +Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die +ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach +denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden +grossenteils auch auf die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die +Gemeinden ohne Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, +versteht sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan +kein Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes +Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. Dagegen +gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen Staedten, die man +nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative Organisation und wohl selbst +allgemeine sikeliotische Landtage mit einem unschaedlichen Petitions- und +Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war es zwar nicht wohl moeglich, das +roemische Courant sofort auch auf den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; +aber gesetzlichen Kurs scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben +und ebenso, wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das +Recht, in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb +nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass +das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum +verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es behielten +auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden die +Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht in +rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch zugelassen +ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in +jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische Aristokratie +repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die +sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen +Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides +nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat, welcher +mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen und +militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht +regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war in dieser wie in +jener Hinsicht das gleiche geschehen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Dahin fuehren teils das Auftretender “Siculer” gegen Marcellus +(Liv. 26, 26 f.), teils die “Gesamteingaben aller sizilischen +Gemeinden” (Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils +bekannte Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden +commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium noch +keineswegs. +</p> + +<p> +^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den +Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf +roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch sind +unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer- oder +hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am besten +gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die Mamertiner, die +Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, wesentlich auch die Panormitaner +haben nur Kupfer geschlagen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den +italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein +folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten +abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer oder der +Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen Gemeinden, mit denen +eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug +nicht auferlegt, sondern sie verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach +Aufgebot des roemischen Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat +verwendet werden konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische +Truppen in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der +Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes +aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach Rom +entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die Abgaben, +welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig sich zahlen +liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland +war eine solche Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der +Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer +hatten laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach +Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene +Rechnung erhoben. “Wir haben”, sagt Cicero, “die sizilischen +Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie +bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten, und unter +denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher +ihren eigenen Herren gehorcht hatten.” Es ist billig, dies nicht zu +vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die +Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war +das Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen +Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben +Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle +Milderungen in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im +einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. +Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte +wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen +Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in die +italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen Freiheit von +Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in finanzieller Hinsicht +selbst noch guenstiger war als die der italischen Gemeinden. Es waren dies +Egesta und Halikyae, welche zuerst unter den Staedten des karthagischen +Sizilien zum roemischen Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen +Binnenland, das bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu +ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien +griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem +Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, +die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die +abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts zu +gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber durchschnittlich +standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden nicht im +bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger +Untertaenigkeit. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die +Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder +latinischer bedienten und “Auslaender” nur hoechstens unter den +Leichtbewaffneten verwendeten. +</p> + +<p> +^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die merkwuerdige +Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in +ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten +Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu Rom +uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501). +</p> + +<p> +————————————————————————— +</p> + +<p> +Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den +steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz +zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger Weise +zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen +Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den italischen +Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst der Neugruendung von +Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und Sardinien rechtlich so wenig +etwas im Wege wie in dem Lande jenseits des Apennin. Es konnten auch +festlaendische Gemeinden des Waffenrechts entbehren und tributaer sein, wie +dies fuer einzelne keltische Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter +in ziemlich ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach +ueberwogen die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande +wie die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch +zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen +roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne +Zweifel schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht +bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort +neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. +Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland, sondern +sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben; dagegen der neu +abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder, was dasselbe ist, das +festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues und weiteres Italien werden, +das von den Alpen bis zum Ionischen Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies +Italien als wesentlich geographischer Begriff mit dem politischen der +italischen Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, +teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur +Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges Gebiet +der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika geschah und +geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie mit der weiter +vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch vorzuschieben ^6. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem +konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den +Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert in +mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse Priester Rom +nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin ausgelegt, dass es +ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51; +Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59). +Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift, +dass der Konsul nur “auf roemischem Boden” den Diktator ernennen +duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz +Italien in sich (Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen +den Alpen und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen +und einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst +Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im +sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als +“Amtsbezirk” (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt +wird. Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter +allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten +unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst durch +Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats festgestellte +Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne norditalische Landschaften +oder auch Norditalien ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen +worden. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete +Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet +worden war (510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der +Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen sorgte +schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen +Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der +makedonische, war unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer +durch die Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden +und kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie +sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen +Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich +anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das +merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem +Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen, +den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. +507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den +letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den +hellenistischen Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und +verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. +</p> + +<p> +Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte +bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im +Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die +aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich hielten selber +einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals +eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, +dass sie allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der +Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, +versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler +darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort +erteilten, ging das antiquarische Interesse der roemischen Herren doch +keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die +Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). +</p> + +<p> +Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge +begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste +bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen +sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen +den Seekrieg und ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als +billig gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung +Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der +Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten +seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen +Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und Nordalbanesen, +zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil vereinigt; mit ganzen +Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten +“liburnischen” Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen +jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen +Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen +Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich von Avlona am +Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den +Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten +Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb +freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine +unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die Kuesten +unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen +hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den +Seeraeubern und deren griechischen Bundesgenossen geschlagen; die +Korsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra +(Korfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der +altverbuendeten Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer +noetigten endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu +schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem Koenig +Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur Antwort, dass nach +illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die Regierung +nicht das Recht habe, der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius Coruncanius +erwiderte, dass dann Rom es sich angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein +besseres Landrecht beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr +diplomatischen Replik wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des +Koenigs, einer der Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der +Moerder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr +525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit einer +Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, waehrend diese +die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die +Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes fuehrte, musste, in ihrem letzten +Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren +von Skodra wurden wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches +engbegrenztes Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen +Staedte, sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, +die Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen; +suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten kuenftig +illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte nicht ueber zwei +zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem Adriatischen Meer war in +der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch +die rasche und energische Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging +weiter und setzte sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra +wurden tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten +wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische +getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse eingesetzt; +die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der +Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknuepft. +Diese Erwerbungen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres waren nicht +ausgedehnt genug, um einen eigenen Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach +Kerkyra und vielleicht auch nach anderen Plaetzen scheinen Statthalter +untergeordneten Ranges gesandt und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den +Oberbeamten, welche Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. +Also traten gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im +Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch +anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen +Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht gewaehrten; +die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen Handelsstaedte, sahen in +den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel, was sie konnten, sich des +maechtigen Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Griechenland, war +nicht bloss niemand imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf +allen Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die +Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der +streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre +Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen +zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich +schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen +muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die +Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen +Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. 22,15, 6 +(falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher von Issa bei Liv. +43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des Praefectus pro legato insularem +Baliarum (Orelli 732) und des Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es +scheint danach ueberhaupt in der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, +fuer die entfernteren Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese +“Stellvertreter” aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten +voraus, der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur +die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien +und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden +Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern des spaeteren +roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu Caesars Verwaltungssprengel mit +gehoerte. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu +protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man +nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause +des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem, +wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich +erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der +kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl +er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre +spaeter der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog, +im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von +den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte +Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios’ Truppen fochten mit in +Antigonos’ Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos +starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess +es geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten +Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig aus +seinem Reiche trieb (535 219). +</p> + +<p> +Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war tiefer +Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) +ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem +Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch +eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze +Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb +Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich +gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise wie das +eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier +ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und +die einzelnen Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder +als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen, +wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna +bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po +behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis +Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die +Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische +Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit +einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und +Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts +vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl +illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im +Besitz; zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um +Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und wohl +stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der +bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss +mit den kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer, +teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die +Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare +Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas, +waren nach wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die, +wohl gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig +und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet +in den weiten Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man +durfte erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu +bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen +in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu +regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue +begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im +Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und Galatas, +freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner aufgefordert, mit +ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt +und im Jahre 518 (236) lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es +lange nicht gesehen hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um +die Schlacht zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu +gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von +Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des Brennus +wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem Krieg ein Ende, +bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, unzufrieden mit den ungebetenen +Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel +mit den Transalpinern; es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener +Feldschlacht, und nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten +erschlagen waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den +Roemern in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den +Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward +vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede gewaehrt +(518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den Wiederausbruch des +Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser durch die Abtretung +Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die richtige Politik der +roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen so rasch und so vollstaendig +wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor +einer solchen roemischen Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes +die Roemer beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den +Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste (522 +232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt gemacht hatten, +sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Rom um den Besitz der +Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das Wahrscheinlichste ist, dass das +ungeduldige Kelterwolk wieder einmal des Sitzens muede war und eine neue +Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den +Venetern hielten und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche +italische Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern +Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder +vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu +Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin zu +(529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht versehen +und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung der roemischen +Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen Stammesgenossen +geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange +vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland +ueberschwemmt; die Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der +Glaube, dass Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom +Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge +so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde +hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen +und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine +gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen. Daneben +traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen Heeren, deren +jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter +Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei +Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem +zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom +verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat +zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von +den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde +auf seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr +der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren, +bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine +Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten +Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und +Kriegsmaterial zusammengebracht. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als “die Kelten in den Alpen und an +der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) +nenne”, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich +ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und +erst die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die +Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus “Germanen” zu machen. +Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige +Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste Erwaehnung +dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die spaeter so genannten +deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen keltischen Schwarm. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und +wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den Apennin +kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen des tuskischen +Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen sie bei Clusium, drei +Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in +der Flanke erschien, waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der +Ueberschreitung des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem +Marsch der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich +gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk +ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse +gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die +Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische +Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte sie, dass +der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben +darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk +empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet +und aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem +Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel +Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das +konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der +Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der +beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu vernichten, +war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, zunaechst die +betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen +zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste +und marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt +fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, +da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben +Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in +Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) trafen sie +auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der +grossen Strasse vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus +selber gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so +bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem +Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit +vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein +Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und +ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von beiden +Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. Mutig stellte +dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen +des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier gegen das sardinische +Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang. +Die Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die verzweifelte +Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die +Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den Geschossen der +roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere Staehlung der +roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff +der siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen +entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei roemischen +Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig +Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld; +Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod +gegeben. +</p> + +<p> +Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die Wiederholung +solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der +Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) +sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit +war das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe +kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in +dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531 223); +allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am anderen Ufer +erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im Ruecken, in einer so +gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um freien Abzug kapitulierte, den die +Insubrer toerichterweise zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom +Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der +Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es sich +jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen Feldzeichen, +“die unbeweglichen” genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, 50000 +Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser war +gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht dem Oglio), +von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer den Beistand im +Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die unsichere Freundschaft der +Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen +fechtenden Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den +Insubrern gegenueber, stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab, +um von den unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu +werden. +</p> + +<p> +Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur Heimat +durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen Waffen und +der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch; +wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen Fehler gutgemacht. +Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen +den gerechten Beschluss des Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern +haetten die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte +Unterwerfung, und so weit war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe +der noerdlichen Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen +Soeldnern derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im +folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige +einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei +einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium +(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der gallische +Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer +halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer +entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der +Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der +Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig besiegt, und +wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied +zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie +jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub +zu wahren wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen +inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie +Griechenland zerrissen dastand. +</p> + +<p> +Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po entweder +den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von +abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die +Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man +verfuhr dabei nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens +und in den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im +ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die +namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen mehr +Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler den Roemern +sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier kaum mehr als ein +Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) scheint nicht viel mehr +bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu +vernichten und laengs der Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den +Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. +Dagegen die Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung +rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation +nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen +Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre +Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. Die +ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte Gebiet +zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt, die ohne +kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf +diesem Wege ging man weiter, und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem +Ackerbau nur nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende +Bevoelkerung, wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse +Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli +nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium +(514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der +Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei +Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von Fanum +(Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den +Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig +beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu +bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem rechten +Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am +linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der +Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere +Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches +Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/> +Hamilkar und Hannibal</h2> + +<p> +Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen +teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den +Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der +geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung +hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die saemtlichen +Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer zu monopolisieren, +sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher +ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens +Verlust fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem +phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen +sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen +vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den +Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man +frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien, +die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und wohlgemut zu +leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens dies blieb? +</p> + +<p> +Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er forderte, +zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den +Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte, jetzt +von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des +Feindes oder ein besonderer Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft +verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, +dass dem Frieden die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die +oeffentliche Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, +dass Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm +genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser +Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, dass die +Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden, den +afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber doch zu vertilgen? +</p> + +<p> +Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen Waffenstillstand +betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung fuer die unvermeidliche +Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht +einmal zunaechst, um das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine +nicht von dem Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. +Allein wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach +unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, +entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich +sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die +politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken moechten, +ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse der Geldesknechte, +der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur Zeit zu gewinnen, nur in +Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis +hinauszuschieben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und +eine Kriegspartei, die beide wie natuerlich sich anschlossen an den schon +zwischen den Konservativen und den Reformisten bestehenden politischen +Gegensatz: jene fand ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten +und der Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand, +diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, und in +den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars +Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten +einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen +schien. Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als +der libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon +erzaehlt worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, +alle Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung +angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems +diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und endlich durch ihre und +namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers Hanno militaerische Unfaehigkeit +das Land an den Rand des Abgrundes gebracht worden war, ward der Held von der +Eirkte, Hamilkar Barkas, in der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, +sie von den Folgen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando +an und dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm +den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimschickte, +vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte der Regierung zum +zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und trotz der Feinde wie trotz des +Kollegen durch seinen Einfluss bei den Aufstaendischen, seine geschickte +Behandlung der numidischen Scheichs, sein unvergleichliches Organisatoren- und +Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen +und das empoerte Afrika zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). +</p> + +<p> +Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie +um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und +Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre +Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; anderseits +zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom dabei +einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der +roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago +unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser +notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur Folge haben +muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an der Zukunft des +Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen +Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, +ohne die Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das +Vorrecht, aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung zu +schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es +blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten +schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer +gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen Reform ^1. +Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man sich hinreichend +ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll +vergessen noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans +Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess +machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der +Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. Wenn der +Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle dieses Missregiments +haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago selbst schwerlich auf grosse +Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf desto groessere in Rom, mit dem die +regierenden Herren von Karthago schon in Verbindungen standen, die an +Landesverrat grenzten. Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die +hinzu, dass die Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, +ohne dass weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht +darum gewahr wurden. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, sondern +auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen Friedenspartei die +der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in unsern zertruemmerten und +getruebten Berichten - die wichtigsten sind Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. +4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen die Verhaeltnisse der Parteien deutlich +genug. Von dem gemeinen Klatsch, mit dem die “revolutionaere +Verbindung” (εταιρεία τών πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern +beschmutzt ward, kann man bei Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen +suchen, vielleicht auch finden. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen +Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und +durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen Krieges +an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und Hamilkar, den +ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf +unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass er eine von den +Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine verfassungswidrige +monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er +nur von der Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden +durfte ^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der +Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten +oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem +Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das +Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet +deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und behandelte. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die +Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert +bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago +hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die +Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst +war im Binnenland die “Stadt der hundert Tore” Theveste (Tebessa) +von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem +neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher Bedeutung, +dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in ihrem naechsten Kreise +gewaehren liess, zu den darueber von der Volksversammlung getroffenen +Beliebungen haette stillschweigen koennen, waehrend die Roemer die Tragweite +derselben vielleicht nicht einmal erkannten. +</p> + +<p> +So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und im +libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder keinen zum +Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm ist vielleicht +niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. +Das Heer sollte den Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische +Buergerwehr hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht +schlecht geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die +Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt, +einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu +bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, +aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse vertreten +- Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige libyphoenikische +Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus den libyschen +Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar moeglich +war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten puenktlich und reichlich den +Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkuenfte in +Karthago selbst zu viel noetigeren Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen +den Feind fechtenden Heere, hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also +dieser Krieg sich selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf +dem Monte Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar +war nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche +und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende +Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und mochten +deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und +durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In +einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie +das ueberall selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber +Hamilkar fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren +durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich +sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige +Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten. So +genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu retten, zu +erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der Verhassten seines +Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und Schweigsamkeit die +unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, den verachteten +Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen +Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen +gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von +innen, auf die Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich +beide taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten +zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig +dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich +schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er +schien zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht +vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der +Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal +hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen +Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne Hasdrubal und +Mago, die “Loewenbrut”, wie er sie nannte, im Feldlager auf als die +Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses. +</p> + +<p> +Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung des +Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er schien einen +Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das +besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die +Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm +man, er sei bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien +gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts +zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen +Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen +Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal aufstanden, +trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu Paaren, dass auf +lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher unabhaengige Staemme sich +bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im +einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach +Hamilkars Tode in Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen +sie trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben +Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im +allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den +neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist, bis +er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, +wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann +waehrend der naechsten acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und +seiner Plaene, sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne +des Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den +Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der +spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte, +ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst +begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt. Die +schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden phoenikisches +Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an dem einzigen guten +Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit +des Gruenders praechtiger “Koenigsburg”; der Ackerbau bluehte auf +und mehr noch die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen +von Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill. +Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden +abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die +Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische +Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine +Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht +bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und fuer die +Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte zugleich die +Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen +statt; die Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; +von den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man +begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat +und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte +Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den tapferen +Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen Reiterei ein +brauchbares Fussvolk. +</p> + +<p> +Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft +regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie +noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien +und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit +seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es +sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars Fall, +bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien durchzusetzen, und +die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen +musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere +und den Poebel zu schelten. +</p> + +<p> +Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich +eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der Untaetigkeit +der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen +der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die Hauptursache gewesen ist, +weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst +wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die +Erklaerungen, mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um +Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien +entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die +roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat +unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von Hamilkars +Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den Handel der verlorenen +Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt einen Angriffskrieg der +Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens von Spanien aus, wie das +sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze Lage der Sache bezeugen, fuer +schlechterdings unmoeglich. Dass unter der Friedenspartei in Karthago manche +weiter sahen, versteht sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich +sehr geneigt sein, ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die +karthagischen Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde +aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; +und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen +mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die +unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in +Spanien die Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr +denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat +Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres +jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder +halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder Saguntum +(Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, und indem sie den +karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis setzten, wiesen sie ihn +zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu ueberschreiten, was auch zugesagt ward. +Es geschah dies keineswegs, um einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu +hindern - den Feldherrn, der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln +-, sondern teils um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die +gefaehrlich zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den +freien Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter +seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, dass eine +Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer den +bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit der Senat +sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen Ereignissen schwerlich +groessere Nachteile, als dass man genoetigt werden koenne, einige Legionen nach +Spanien zu senden, und dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser +versehen sein werde, als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest +entschlossen, wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar +nicht anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu +beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in den +ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die Kriegserklaerung +abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von dem Freunde und Feinde +urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm gestorben seien, endlich in den +letzten Jahren, wo der Senat allerdings zu begreifen anfing, dass es nicht +weise sei, mit der Erneuerung des Krieges noch lange zu zoegern, der sehr +erklaerliche Wunsch, zuvor mit den Galliern im Potal fertig zu werden, da +diese, mit der Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den +Rom unternahm, benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften +aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen +Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische +Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten, +versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die spanischen +Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich ist das Verhalten +Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich leugnen, dass der +roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat - +Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen +Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst +mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine +grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die +Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. +</p> + +<p> +So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum +Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine +stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte Augenblick, die +rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der Fuehrer. Der Mann, dessen +Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg +zur Rettung gebahnt hatte, war nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu +betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der +Zeitpunkt noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, +sich der Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir +nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von Moerderhand +gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heeres an +seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger +Mann - geboren 505 (249), also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er +hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im +entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des +Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen +Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager gefolgt; +bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Koerper machte aus +ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter; +sich den Schlaf zu versagen, griff ihn nicht an und Speise wusste er nach +Soldatenart zu geniessen und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen +Jugend besass er die Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im +Griechischen brachte er, wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung +seines Vertrauten Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in +dieser Sprache selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das +Heer seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu +tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er unter +seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch glaenzende +persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich ausgezeichnet. Jetzt +rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an +ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager +gelebt und gestorben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine +Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen +versucht: den Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich +hasste er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, +dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. +Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben, +sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von schlechten +Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld +seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des +Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber ihn +nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach dem damaligen +Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass +er wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft +miteinander zu vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die +erfinderische Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen +Charakters bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte +und Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der Gegner +studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage ohnegleichen - er +hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er von den Vornahmen des +Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man haeufig in Verkleidungen und mit +falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie +zeugt jedes Blatt der Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner +staatsmaennischen Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine +Reform der karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss +bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der +oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, beweist +seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und vielsprachiges Heer, +das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein +grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller. +</p> + +<p> +Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den Beginn +des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland noch in Gaerung +war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der Tuer schien, ungesaeumt +loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die +Roemer ihn begannen, wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein +Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab +gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als Lust, die +Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des patriotischer +Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen als der Platz des +Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des Friedens hatte jetzt daheim die +Oberhand und verfolgte die Fuehrer der Kriegspartei mit politischen Prozessen. +Sie, die schon Hamilkars Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war +keineswegs gemeint, den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien +befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und +Hannibal scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit +gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner +zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu +fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun diese +durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein die +Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien, um in +Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass Hannibal +schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon +traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig +mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die +Gruendung der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den +Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom sich an, +im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; +Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die +Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie +darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im Fruehjahr +535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg +gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen +nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle +“angesehenen Maenner”, heisst es, missbilligten den “ohne +Auftrag” geschehenen Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von +Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die +naehere Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass +man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan, +zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein bestimmtes +Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu nichts zu +entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch fuehren zu lassen. +Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte sich zu verteidigen +verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen Teil der Energie ihrer +Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung +Sagunts mit dem elenden illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten +sie, Herren der See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des +zugesagten und nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine +andere Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich +erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, ward der +Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon bisher nichts +gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede Versoehnung mit Rom ab. Als +daher nach der Zerstoerung Sagunts eine roemische Gesandtschaft in Karthago +erschien und die Auslieferung des Feldherrn und der im Lager anwesenden +Gerusiasten forderte, und als der roemische Sprecher, die versuchte +Rechtfertigung unterbrechend, die Diskussion abschnitt und, sein Gewand +zusammenfassend, sprach, dass er darin Frieden und Krieg halte und dass die +Gerusia waehlen moege, da ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass +man es ankommen lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, +nahm man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen +Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den Winter +535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, um alles teils +zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von Spanien und Afrika; denn +da er wie sein Vater und sein Schwager den Oberbefehl in beiden Gebieten +fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. +Die gesamte Masse seiner Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, +16000 zu Pferd; ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte +Fuenfdecker ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. +Mit Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem +karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser einigen +phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst ausgehobenen +karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue der letzteren sich zu +versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen ein Zeichen des Vertrauens, +allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen Winters; den Libyern versprach der +Feldherr, der den engherzigen phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, +eidlich das karthagische Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika +zurueckkehren wuerden. Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die +italische Expedition bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere +Teil nach der Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere +an die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann +zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten, +ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment +uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar +karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die Hauptstadt +im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien, wo neue +Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, fuer jetzt eine +maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker +Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort +zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen +zwischen Spanien und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und +Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue +der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der +spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer +Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach Spanien, +die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach Karthago kamen. So war +fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff anlangt, so sollte +von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord +nach der italischen Westkueste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 +Segeln womoeglich sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass +von Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit der +Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne Zweifel +schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender Angriff auf Rom +war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom +seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann, so gewiss durfte auch +Karthago sich nicht von vornherein entweder auf ein sekundaeres +Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung +beschraenken - die Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche +Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht. +</p> + +<p> +Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die Halbinsel +zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein +verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische Expedition mit +strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren Operationsbasis, als +Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte +Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer beherrschte. Aber +ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgendein +haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der +hellenischen Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu +erwarten, dass sie jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin +zusammenbrechen werde; zwischen dem roemischen Festungsnetz und der +festgeschlossenen Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel +erdrueckt. Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was +fuer Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen +ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden +Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, um die +eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs- und Chausseenkette +legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in +seinen Reihen zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als +Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege +mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig +machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme +bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Roemer +sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben +in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das +durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte, +stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das +roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern +vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser +hatte den Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, +die Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den +gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles nach +Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet gewesen, zeigt die +karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer grossen Verwunderung im +Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren. +</p> + +<p> +Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab; +denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit Massalia eine +Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat die Folge bewiesen. In +unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage genuegend zu entscheiden, nicht +wenige Faktoren, auf die es ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung +ergaenzen lassen. Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm +unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des +Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die +unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer +anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die Berge +haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen, wie viel +geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette +der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf +der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und +Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. +</p> + +<p> +So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit dem +Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und +12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - +die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu +imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie +das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von +Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser +zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie die des +feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu +bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena +auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den +Kelten angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges liess +er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen militaerischen +Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere +Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite +folgte; und die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die +Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren +Heimat, das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn und +seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen +aller. +</p> + +<p> +Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in festgegruendeten +und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man wollte, wusste man wohl; +es geschah auch manches, aber nichts recht noch zur rechten Zeit. Laengst +haette man Herr der Alpentore und mit den Kelten fertig sein koennen; noch +waren diese furchtbar und jene offen. Man haette mit Karthago entweder +Freundschaft haben koennen, wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich +einhielt, oder, wenn man das nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen +sein; jener Friede ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen +und Karthagos Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert +regenerieren. Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen +Gewinn hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die +Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben; +ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der Krieg, zu +dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und im wohlbegruendeten +Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang +der naechsten Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer +Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig +minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel +der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 +Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, +hatte keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende +entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden +Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg +eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere Wendung der +Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige Landung in Spanien in +den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den +Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch +Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, +vor allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel; +allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht +Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte Rom zur +Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das Land zwischen dem +Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften nicht bloss die +natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern auch von roemischen +Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen schleunigen Beistandes +empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel +weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten +foermlichen Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, +konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. +</p> + +<p> +Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte fuer +den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul Publius Cornelius +Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, und als am Po ein +Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung bereitstehende Heer dort +verwenden und bildete fuer die spanische Expedition neue Legionen. So fand +Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; +mit diesen ward er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch +kostbarer war als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner +Armee in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass +durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal +aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung +selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug +nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt haben +muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet worden. +Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches +“Koenigreich” aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu +werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung +Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur Besetzung des +neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen zurueckliess, +beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm den Besitz Spaniens +streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt haben wuerde, sich demselben zu +entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus +Spanien auch nur um einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der +Winter die Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische +Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab. +</p> + +<p> +An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen in die +Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den +Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, +dass sein Unternehmen eines von denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit +einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, +ward das Gebirg ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg +ueber Narbonne und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils +die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils die +Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon gegenueber an die +Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher Widerstand zu warten. Der +Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte +(etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spaet komme und +Hannibal schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. +Auf diese Nachrichten, welche zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel +Hannibals aufgeklaert zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische +Expedition vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den +keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der +Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an der +Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den Einmarsch in +Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand gegenueber dem Punkte, wo +er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der keltische Landsturm, waehrend der +Konsul selbst mit seinem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in +Massalia selbst vier Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten +des gallischen Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das +Heer mit der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und +bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass nicht +einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den zahlreichen +Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem Preise aufgekauft und +was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen gezimmert; und in der Tat +konnte die ganze zahlreiche Armee an einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend +dies geschah, marschierte eine starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in +Gewaltmaerschen stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb +Avignon gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier +ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um +dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem +Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages nach der +Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen die +Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer auf, fuer +Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier, +sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen +eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht +und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu +wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht. +</p> + +<p> +Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die geeignete +Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal durch die dringenden +Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren +Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung +zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits +die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die +allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem +sie in der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu koennen, +einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das +erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, +machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu +erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen +Avignon auf; allein als er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des +Uebergangs der Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit +drei Tagen abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit +ermuedeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die +“feige Flucht” des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum +drittenmal durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige +Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten Fehler +vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne irgendeine +Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer einige Tage zuvor +geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, den Fehler +wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal diesseits der Rhone +im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, dass er an die Alpen +gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin mit seinem ganzen +Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen war ueber Genua der Po zu erreichen +- und mit seinem Korps die schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte +er wenigstens dort dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht +bloss verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es +fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die +militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden gemaess zu +veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder Gnaeus nach +Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach Pisae. +</p> + +<p> +Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen +Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt und den +aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch den Dolmetsch +hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen ungehindert seinen Marsch +nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben er waehlte, darueber konnte weder +die Kuerze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, +wenngleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den +Weg musste er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die +Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel, +sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen konnte - denn obwohl Hannibal +Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel auf Saumtieren sich nachzufuehren, so +konnten bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann +zaehlte, diese doch notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von +dem Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn +sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten +in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenuebergaenge: +der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in das Gebiet der Tauriner +(ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und der ueber die Graische (Kleiner +St. Bernhard) in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist +der kuerzere; allein von da an, wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den +unwegsamen und unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen +Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens +sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier +angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen Provinz eine +kuerzere Verbindung herzustellen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse +geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische +Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und +Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die +erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er +sich in dem Tale der oberen Isère, das von Grenoble ueber Chambéry bis hart an +den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht +und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist. +Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen +Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; obwohl +dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 +ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss +ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die +grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die +karthagische Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches +Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm +verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard +wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet +der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in +Fehde lagen. +</p> + +<p> +So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf gegen das +Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf dem naechsten +Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von Valence nach Grenoble, +sondern durch die “Insel” der Allobrogen, die reiche und damals +schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, +suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies +wieder deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes +Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst fruchtbar ist +und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch +an der Rhone in und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in +sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst +wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen +Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu +verpflichten, dass derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene +das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit +Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste +Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger +gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt, waere fast +der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte den Pass stark +besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen Ueberfall zu vermeiden, und +lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Haeuser der +naechsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass einnahm. So war +die Hoehe gewonnen; allein auf dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe +nach dem See von Bourget hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und +die Pferde. Die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die +marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in +Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit +seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese +zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, allein die +Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch den Laerm des +Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal +sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und +zugleich seinen Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu +ersetzen. Nach einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee +an der Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund +durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage +eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich +das Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu +sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) +mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie +durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar +am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch +ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel +des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils +im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links den Pass einschliessenden +Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein +Hannibal, dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts +gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche +Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die +Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten Fussvolk; die +Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er nicht verhindern konnte, +dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch +geschleuderte oder herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. +An dem “weissen Stein” (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, +am Fusse des Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben +beherrschenden Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der +die ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu +decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am +folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die sich um +einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung von etwa 2½ +Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die Entmutigung hatte +angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu bemaechtigen. Die immer +schwieriger werdenden Wege, die zu Ende gehenden Vorraete, die Defileenmaersche +unter bestaendigen Angriffen des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten +Reihen, die hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der +Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende +Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu wirken. +Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich; zahlreiche +Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier waren nah, die +Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den +absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu +dem letzten und schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden +ward das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte +Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das +Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf +dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der frischgefallene +Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen +und Tiere und stuerzten in die Abgruende; ja gegen das Ende des ersten +Tagemarsches gelangte man an eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf +welche von den steil darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen +hinabstuerzen und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das +Fussvolk kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten +Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees sich +hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den Elefanten +nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag +bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg fuer Pferde und +Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger +Abloesung der Haende konnten endlich die halbverhungerten Elefanten +hinuebergefuehrt werden. So war nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee +wieder vereinigt und nach einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer +breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die +Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre +Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September in die +Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern einquartiert +wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige Rast von den +beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die Roemer, wie sie es +konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei +Turin gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so haette es misslich +ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glueck fuer ihn waren sie wieder +einmal nicht, wo sie sein sollten, und stoerten die feindlichen Truppen nicht +in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften ^4. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte +Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als geloest +gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren Wickham und +Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten, +moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen. +</p> + +<p> +Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, “fingen die Spitzen +schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken” (Polyb. 3, 54); auf dem Wege +lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht frisch +gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem Bernhard +beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August +die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden sie fast gar keinen +Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Bergabhaenge davon bedeckt. +Hiernach scheint Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein; +womit auch wohl vereinbar ist, dass er dort eintraf, “als schon der +Winter herannahte” - denn mehr ist ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν +(Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden +(etwa 26. Oktober); vgl. C. L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. +Bd. 1, S. 241. +</p> + +<p> +Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist auch +Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende Dezember (περί +χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die +Translokation des nach Afrika bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia. +Es passt dazu ferner, dass in einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν +(Polyb. 3, 34), also gegen Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht +ward und der Marsch fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. +Wenn also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von +der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August eingetroffen, +wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. 3, 41), also +spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich sehr verweilt oder in +Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit gesessen haben muss. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den +9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem +Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der Gefechte, +der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal zaehlte nach seiner +eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss - davon drei Fuenftel Libyer, +zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil wohl demontierte Reiter, deren +verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht minder fuer die Trefflichkeit der +numidischen Kavallerie spricht wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der +der Feldherr diese ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien +oder etwa 33 maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch +keinen besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr +nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler des +Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer kostete, sondern +die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie einer laengeren Rast +bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine militaerische Operation von +zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage gestellt werden, ob Hannibal sie +selber als gelungen betrachtete. Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen +Tadel des Feldherrn knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten +Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie +vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob +ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena oder +Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde. +Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf +jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr +durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn, +Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt +zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und +Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und grossartiger war als die von York und +Bluecher, so hat auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte +Glied der grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die +Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am +Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/> +Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</h2> + +<p> +Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem +Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. +Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort +schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich. +Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach +Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische +Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach +Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm +zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen +aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu +ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren +gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen +Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika +ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien +operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und +dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen Inseln +vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische Kueste +brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes an +der afrikanischen Kueste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl +des Senats, so schleunig wie moeglich zur Verteidigung der Heimat +zurueckzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybaeon. +</p> + +<p> +Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an Zahl +gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war man +hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein +roemisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der +karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gruendung der beiden +roemischen Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten +erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen +Lande hatten schon im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten +Zeit, die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort +anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, +ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius +Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig mit seiner +einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in +den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes uebrig, +als sich auf einem Huegel festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls +belagern zu lassen, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor +Lucius Atilius Heer und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand +fuer den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der +einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, Hannibals +Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, dass er das Potal +nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. Allein das roemische Korps, +dessen zwei stark dezimierte Legionen keine 20000 Soldaten zaehlten, hatte +genug zu tun, die Kelten im Zaum zu halten, und dachte nicht daran, die +Alpenpaesse zu besetzen, deren Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im +August der Konsul Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien +zurueckkam, und vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne +Beginnen allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden +Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer Vorposten; +Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner, +die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger Belagerung zu erstuermen und +alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen Potal zum Buendnis zu +bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen +hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit +einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das +Vordringen der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich +regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, +ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, waehrend +Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, um den +Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der +Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, die mit dem leichten +Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu +gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in +Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes +an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt +war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend +diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte +numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen +Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken und +den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr +betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr +gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur +der Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde +hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater heraushieb. +Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff +den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der +Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter +den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die +Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der +roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes +militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan +seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Waehrend +Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch +entworfenen und sicher ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit +verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, +wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische +Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der +obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem nicht verwehrt +werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer Schiffbruecke uebersetzte +und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat. +Dies hatte in der Ebene vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die +Meuterei einer keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs +neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen +und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften +Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem +Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser +starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den +Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit +nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von +Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee +abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller +gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen nicht +abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe +genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte +die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen +durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar +dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen Heer, das +mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten +durch das insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen +und mit der Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige +Aufgabe vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an +40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an +Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand, +um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den +Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder sein +Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die laestigen +Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war +es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem +Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius +Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte +und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und +versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen +keltischen Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht +sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. +Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, +zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten +Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese wich +langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die hochangeschwollene +Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die +roemische Vorhut fand sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner +zur Schlacht geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das +Gros der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und +durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; +die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die +leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen das +Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei sich +verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die Reiterei, welche die +Elefanten von vorn bedraengten und die weit zahlreicheren karthagischen Reiter +links und rechts ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich +seines Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten +Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die +Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den +Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu +kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu +bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, 1000 Mann +zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago, Hannibals +juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der roemischen Armee und +hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Fluegel der Armee und die +letzten Glieder des roemischen Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest +und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng +zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde +sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den +gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe gelangte also, +nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse ward zum groessten Teil +bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, von den Elefanten und den +leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und +einige Abteilungen des Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu +gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da +gleichfalls Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr +Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage +gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht +vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende +Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen sich +einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg teuer zu +stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die keltischen +Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge des rauhen und +nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten +Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen einzigen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Polybios’ Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen +klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den +Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend das +roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl bestritten +worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so mussten allerdings die +roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die +Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die +aufgeloesten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps +sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss +ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia +bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere +Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung +angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass +hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer +von der placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die +erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, +Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, +dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6), +ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken. +</p> + +<p> +Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische Lager +auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist +neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert +werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch +Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117). +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale +Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. +Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und +Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre Zufuhren +auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul +Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp +der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in +der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, +bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher +Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch +Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische +Positionen den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den +gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 +Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben. +</p> + +<p> +Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine ausserordentlichen +Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit Unrecht, trotz der +verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser +den Kuestenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den +Verstaerkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln +Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um +die vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde +verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb an den +beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und von denen die +westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum endigte; jene +besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die Truppen +aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und erwarteten +den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die Apenninpaesse zu +besetzen und, zur Offensive uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa +bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die +Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die +Roemer selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der +Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er +wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen +roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu erreichen sei, +sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag +klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und +unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in Italien zunaechst nur auf das +schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische +Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln +ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische +Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und +der glaenzende Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen +erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals +ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel +des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu +fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen Erfolgen, +sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung und der endlichen +Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war +notwendig, weil das einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die +Waagschale zu werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins +Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen +deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel +war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige +Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale ueberwand +und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer den Karthagern +ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen Feldherren. Dass Hannibal +selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie hierueber getaeuscht hat, ist +bewunderungswuerdiger als seine bewundertsten Schlachten. +</p> + +<p> +Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn nicht +bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene +Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und den +Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen +sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten +- dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die +Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark +uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne +Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien +Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte +Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten +der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. In der Tat +bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch +die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der +etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur +Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie +es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang +ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, +ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen +zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die +Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu +marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen trockenen +Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen +Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische +Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen +marschierte; es murrte laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn +nicht die karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die +Flucht unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche +ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal +selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward +erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch bei +Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren. Nachdem die +roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Konsul, der +vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu verteidigen, aber +sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts +Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig +gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein +politischer Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu +beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner +Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, +durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian +fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte, berauscht +zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem +bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit der fixen Idee +behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer +von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige +Soldaten oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und +seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius +Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein +schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat +verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von +unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der +Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier ueberstieg. Zum +Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen, +marschierte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten, die das Pluendern +gruendlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher +brandschatzen. Die Klagen und die Erbitterung der Menge, die sich musste +auspluendern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu bereichern +versprochen; das Bezeigen des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den +Entschluss zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, +mussten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln +und dem unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist +ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des +Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen +Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau +unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte, sein +Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen Bergwaenden, +das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der Trasimenische See schloss. Mit +dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Truppen und die +Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die +roemischen Kolonnen in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg +ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein +Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss die +Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes und auf den +Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel ueberall phoenikische +Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine Niederlage. Was ausserhalb des +Defilees geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt, der +Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, +darunter der Konsul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der +roemischen Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das +feindliche Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der +Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, +marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem +Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt +und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal +verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer waren +gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war vernichtet; der +geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier +^2. Und als waere dies nicht genug, so ward gleich nach der Schlacht am +Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius +Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, +vorlaeufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen +Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war +verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort machte man +sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken ab und ernannte +den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu setzen und +die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein Reserveheer gebildet ward. Zugleich +wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und +die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand +gesetzt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach +dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur +nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1) +niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon +in dieser Zeit in Rom sehr arg. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; +auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee +mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten und +vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es geschah +wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren +Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte +entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und +machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem +Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier +hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schoenen +Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in +roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen +Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange +unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine +Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich +wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, brach er +auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das suedliche Italien +hinein. +</p> + +<p> +Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich +jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die +Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter +Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des +feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein +militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu machen, den +unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenueberzustellen. Allein +seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern, +erfuellte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten +Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, +kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in +militaerischer Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen +Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. +Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige +italische Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer +viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig +es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen, +ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog +die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, +und als Hannibal an der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi +marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen +Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus +Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die +nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der +guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des +Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und +Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius +Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die +Spitze der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, +um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden +Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten +Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange das +roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht schwer halten +werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht +zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen +Spionen in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und +richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des +feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den +Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an +der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das +als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen Staedten und +die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck des roemischen +Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen +angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen +liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich +wendend schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend +dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte +seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand +zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen +pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. Endlich +eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich herbeigewuenschte +Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, +sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem +linken Ufer des Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die +kroenenden Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von +4000 Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein +Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der +Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit +angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es schien, als +zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei Fackelschein ab. +Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere +Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben +Anhoehen; auf der dadurch freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros +seiner Armee ab, ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne +Muehe und mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte +und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in +nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die +Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne +Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller +Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen +sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen Widerstand, aber +nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, dass ihm nichts uebrig +blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er +die schwierige Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von +den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache +nordapulische Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von +seiner ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er +hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von +Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres +taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend Hannibal mit +dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu +decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der im roemischen Lager in +Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die +Gelegenheit geeignet, um naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager +im larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die +Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres +hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen +einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, +die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte, +sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die +begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der +Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es +war, sich roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem +Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein +seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, +unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien +ungehindert zu verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten +Massstab sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius +Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, +und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine +Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff gab. Es +war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht wankten, als ihnen +Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe +so fuehlbar dartat; allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache +Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und +ihrer eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische +Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser +Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen +Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls +dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten Niederlagen +entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig ehrenvolle Aufgabe, die +sein Feldherr, “Hannibals Lakai”, ihm zuwies, und verlangte mit +lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es kam zu den heftigsten +Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; +seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius +Varro, bemaechtigten sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der +Diktator tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das +Palladium der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen +Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und +sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, in +Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu beseitigen, in +gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn +Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die roemische Armee, nachdem ihre +gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig +beseitigt worden war, nicht bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze +der beiden Haelften Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu +entgegengesetzte Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr +als je bei seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen +Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit +geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier sein +Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps groesseres +Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab dem System des +passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in +diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden +konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der stuermische +noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine Verproviantierung war, +wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im wesentlichen so vollstaendig +gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde +vorueberging. Nicht der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege +seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass der +Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium +dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) +C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden +worden. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die +roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus und +die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug anboten - die +letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen italischen +Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, wurden mit Dank +abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, dass sie nicht saeumen +moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den Koenig von +Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die +Majoritaet des Senats war trotz der Quasilegitimation, welche die letzten +Ereignisse dem Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, +von dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden +Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner energischeren +Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache +darauf, dass man eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen +gegeben habe. Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer +aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein +Fuenftel ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl +Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken. +Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal +bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimat +zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur darauf an, +auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des +Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten +die Diktatur und ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke +ging, wohl nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat +den Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines +Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln +angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst recht rege +machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner Kandidaten durch, den +Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) den Illyrischen Krieg +verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure Majoritaet der Buerger gab ihm zum +Kollegen den Kandidaten der Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen +Mann, der nur durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich +als Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, und +den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe +Unverschaemtheit. +</p> + +<p> +Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen wurden, +hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es +gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den +Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der +Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den +Aufidus und nahm das Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die +canusinische Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin +gedient hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des +Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus +Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln +kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden gewusst; +aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es immer notwendiger, +den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem +bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch die beiden neuen +Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien +ein. Mit den vier neuen Legionen und dem entsprechenden Kontingent der +Italiker, die sie heranfuehrten, stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu +Fuss, halb Buerger, halb Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel +Buerger, zwei Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 +Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts +mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten +Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische Blachfeld +ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu entwickeln und weil +die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an dem doppelt so starken und +auf eine Reihe von Festungen gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen +Reiterei sehr bald ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der +roemischen Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu +schlagen und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die +einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten daher, +zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug +und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu +noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus +schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am +linken Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem +Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht +auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu +kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem +linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem +demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es war so +viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, +sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo +und wie man ihn eben fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte +wechselte die entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag +um Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der +Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der +ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch +er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen Streitkraefte auf +dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den karthagischen Lager und Cannae +Stellung nehmend und dieses ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine +Abteilung von 10000 Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem +Auftrag, das karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem +feindlichen Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der +roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem +unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser +Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich hindernden +Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager westlich von Cannae sich +in Linie auf. Die karthagische Armee folgte und ueberschritt gleichfalls den +Strom, an den der rechte roemische wie der linke karthagische Fluegel sich +lehnten. Die roemische Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der +Buergerwehr auf dem rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere +bundesgenoessische auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im +Mitteltreffen stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem +Befehl des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete +Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die keltischen +und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die vorgeschobene Mitte, +die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten die zurueckgenommenen Fluegel +bildeten. An der Flussseite stellte die gesamte schwere Reiterei unter +Hasdrubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten numidischen +Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze +Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere +Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne +Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen +zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollstaendig; eilig +draengten die Sieger nach und verfolgten ihren Vorteil. Allein mittlerweile +hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck sich gegen die Roemer gewandt. +Hannibal hatte den linken Reiterfluegel der Feinde bloss beschaeftigen lassen, +um Hasdrubal mit der ganzen regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten +zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die +roemischen Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss +hinaufgejagt und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem +Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. Diese +hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu +verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne verwandelt, die +keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In dieser Stellung wurden sie +von dem rechts und links einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten +heftig angegriffen und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen +die Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam +und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht +mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit +dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt und +geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des +Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend +beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, +die Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum +drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu +fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier +ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so +vollstaendig und mit so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld +selbst vernichtet worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht +ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der +erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in der +Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul +Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der +Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus +Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er +ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark, +ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus diesen +Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem +Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben +die nach Gallien gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem +Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von +den Galliern gaenzlich vernichtet. +</p> + +<p> +Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische Kombination +zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen +Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der +ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit +der die Kraefte des Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um +der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die +die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne +und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus Scipio +ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war dieser nach +Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen den Pyrenaeen und +dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemaechtigt (536 +218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) die karthagische Flotte an der +Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der +tapfere Verteidiger des Potals, mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen +war, sogar den Ebro ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar +hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika Verstaerkungen +erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders gemaess eine Armee +ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen verlegten ihm den +Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, +wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die maechtige Voelkerschaft der +Keltiberer und zahlreiche andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich +zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die +zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien aus +fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. +</p> + +<p> +Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel +geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten die +Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor einer +roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte +nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, und der Mangel eines +Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische +Heer sich selbst genuege, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal +empfand schwer die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen +Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen +allmaehlich leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen +fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae +selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat +beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und Mannschaft, +teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 numidische Reiter und 40 +Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in Spanien wie in Italien den Krieg +energisch zu betreiben. +</p> + +<p> +Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war +anfangs durch Antigonos’ ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers +Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen +unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) verzoegert worden. Erst +jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei +Philippos mit dem Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien +abzutreten - sie massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst +jetzt schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine +Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe +der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. +</p> + +<p> +In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit +Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch +den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom +namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein Zweifel, +dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst ungern sah; +aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, hielt er mit +wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der +Tod den alten Mann nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und +Nachfolger des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich +sogleich mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit +machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische Grenze, +dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel vertragsmaessig +zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess mit der karthagischen +Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, die syrakusanische sich +vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei Lilybaeon, die schon mit dem +zweiten, bei den aegatischen Inseln postierten karthagischen Geschwader zu tun +gehabt hatte, ward auf einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur +Einschiffung nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen +Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. +</p> + +<p> +Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der +roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stoesse +zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. Es traten auf +Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte, durch die +roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die +saemtlichen Staedte der Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der +Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner +groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die +Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, +die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld +zu stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella und +Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das roemische +Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem +Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die +hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von +diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen der +Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einruecken der +Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach +Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu +liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben +den Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen +hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die +roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch der sehr +entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker selbst und deren neue +lucanische und brettische Bundesgenossen, und ihre Anhaenglichkeit an Rom, das +jede Gelegenheit, seinen Hellenismus zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen +die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden +die kampanischen Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; +dasselbe taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung +Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den +vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur Kapitulation +gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf brettische Kolonisten +jene wichtige Seestation besetzten. Dass die sueditalischen Latiner, wie +Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, unerschuettert mit Rom hielten, +versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Eroberer im +fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn +verfehdet; traf es doch sie zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und +jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt +dies von ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo +latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als Genosse der +Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im karthagischen Senat +unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht ein roemischer Buerger, nicht +eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses +Grundwerk der roemischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein +um Stein zertruemmert werden. +</p> + +<p> +Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der Soldaten und +Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten Zahl der +kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte +Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss +einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft +selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt +zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht +moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege +fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden +zu lassen. Da eine gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt +ausfuehrbar war, jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette +zunaechst der einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die +tatsaechliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und +Verlaengerung des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die +formelle Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen +auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem Wege +sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits an dem +aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der italischen +Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, dass die Vornehmen +mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf das “Volk” +Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen Koehlerglaubens, die Gaius +Flaminius und Gaius Varro, beide “neue Maenner” und Volksfreunde +vom reinsten Wasser, waren demnach zur Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der +Menge auf dem Markt entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge +beauftragt worden, und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen +See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt +besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die +Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich +widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste jener +beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand gab, +gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus +Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch +er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive +vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und in der +Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, +um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, +dass das wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der +Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter den +Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. +Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius +noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den +Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und +Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit +Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was +schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller an sich +gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und unvergaengliche Ehre des +roemischen Senats. Als Varro - allein von allen Generalen, die in der Schlacht +kommandiert hatten - nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis +an das Tor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des +Vaterlandes nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit +grossen Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen +Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten. +Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs verstummte das +demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, wie man gemeinsam die +Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen zaeher Mut in diesem +entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt hat als all seine +Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren gingen dabei in allem voran +und gaben den Buergern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurueck. Der +Senat bewahrte seine feste und strenge Haltung, waehrend die Boten von allen +Seiten nach Rom eilten, um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der +Bundesgenossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um +Verstaerkung zu begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien +preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge +an den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen, +die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit der +Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, nicht +allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der Gefallenen, dass +fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich +gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius +und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere +verstand es, durch seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen +Schwerter seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere +Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des +Vaterlandes ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit +einer Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa +zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem +und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr +ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in den +gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt +gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, uebernahm den +Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige +Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der +gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die +ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die +Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate +angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten +Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in +Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten +forderten, aus den Latinern, sondern aus den naechstberechtigten roemischen +Buergern. Hannibal bot die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen +Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der +Gefangenen angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht +scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen +sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es +musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer ihn wie +fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/> +Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</h2> + +<p> +Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen +Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht, soweit +es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die latinischen oder +latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den Tag von Cannae nicht +irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem Schreck, sondern nur der Gewalt +weichen wuerden, lag am Tage, und der verzweifelte Mut, mit dem selbst in +Sueditalien einzelne kleine und rettungslos verlorene Landstaedte, wie das +brettische Petelia, gegen den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was +seiner bei den Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf +diesem Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, +so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe +auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer +Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal das +Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die Waffen zu +rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten +war, und meinten toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen +Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht mehr, +was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der +sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische +Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch +die vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt - nur +maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten Hass +beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der herrschenden +Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem +Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht +mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des italischen +mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern Kleinmut warf die +sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte +in Italien der Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel +beherrschte bis hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften +nicht wie das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt +gleichfalls eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, +um die gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und +die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die +schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine +Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen Zuzuege zu +rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er andere Gegner sich +gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt, gingen die Roemer ueber zu +einem verstaendigeren System der Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere +an die Spitze ihrer Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf +laengere Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen +Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den Gegner, wo +sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen Zauderei und +Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten Lagern, unter den Mauern +der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da an, wo der Sieg zu Resultaten, +die Niederlage nicht zur Vernichtung fuehrte. Die Seele dieser neuen +Kriegfuehrung war Marcus Claudius Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach +dem unheilvollen Tag von Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und +krieggewohnten Mann die Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen +Oberbefehl uebertragen. Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen +Hamilkar seine Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten +sein Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. Obwohl +ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten Soldatenfeuer und +hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den feindlichen Feldherrn vom Pferde +gehauen - der erste und einzige roemische Konsul, dem eine solche Waffentat +gelang. Sein Leben war den beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden +Doppeltempel am Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und +wenn die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines +einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und vorzugsweise +dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem gemeinsamen Bau +mehr geschafft als Marcus Marcellus. +</p> + +<p> +Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom +besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er +mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen +koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem +Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die +Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist +unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der +Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus nicht +zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus’ +erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der Schlacht bei Cannae; +und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein +konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder +auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche leeren +Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu +verlieren mit der Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den +Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die +Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken diese +zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte +hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu +koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine +grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer +erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo +nur eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen gebliebenen +Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den zwei cannensischen +Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und +Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der +Diktator Marcus Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam +nachfolgte, bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu +retten. Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen +Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert, +und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine +Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen groesseren +Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der Kampf zwischen der +Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an die Karthager oder an die +Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die Oberhand gewinne, ging Marcellus +bei Caiatia ueber den Fluss und, an den Hoehen von Suessula hin um die +feindliche Armee herum marschierend, erreichte er Nola frueh genug, um es gegen +die aeusseren und die inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug +er Hannibal selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste +Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war +als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, +Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich +hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von +Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten +hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht +schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer +Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden. Der +Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und Hannibal in +Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter +Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) +erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus +Marcellus und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug +als Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus +Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln, +an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und +Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt, Maximus am +rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend, Gracchus an der Kueste, +wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche +nach Hamae, drei Miglien von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu +ueberrumpeln, wurden von Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um +die Scharte auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht +den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert +ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht +bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und andere +kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals oestlichen +Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem Praetor Marcus +Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in Gemeinschaft mit der +roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen der Makedonier zu +beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufstaendigen +Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, +wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; +allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden +Sieg ueber die phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder +ausgewetzt zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien +endlich zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius +Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere in +Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff auf Capua +ueberzugehen. +</p> + +<p> +Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer +deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche, jenes fast +abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im wesentlichen +seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere +Unternehmungen durch die unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast +unmoeglich gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war +schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht +verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung +der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen +Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei +dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Hoefen von +Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle +Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; +wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von +Westen, Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, +was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das +Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende +Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege fast +unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden +kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so +nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich gewesen +waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke bei Lokri oder +Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen von Syrakus den +Karthagern offenstand und durch Makedonien die brundisinische Flotte in Schach +gehalten ward, beweist die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die +Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr +noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen +war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt +hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war, +den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen, und die +in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der Buergerschaft treue Verbuendete +fand, die Bitten des Feldherrn um nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der +halb einfaeltigen, halb tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, +wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische +Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen +Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen +koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der +Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen. +</p> + +<p> +Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die +Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus angeknuepften +Verbindungen und auf Philippos’ Intervention. Es kam alles darauf an, von +Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen Rom auf den +italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen oder zu hindern, +sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind +alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher +angeschlagen. Fuer die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren +eigentliche Aufgabe ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische +Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung +zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese +Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich +entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur +Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der italische +Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest sich auf in +Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts entscheiden. Allein +Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker ueberhaupt die Offensive +festhalten, stets das Ziel der Operationen, und alle Anstrengung wie alles +Interesse knuepft sich daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien +aufzuheben oder zu verewigen. +</p> + +<p> +Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die +Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, so +konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war Hasdrubals +Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, dass die Leistungen +von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische Sieg die karthagische +Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden, +ohne dass doch die Lage der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die +Scipionen verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom +Ebro an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich +karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. In +Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die Karthager +hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, die als +Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit gewesen waere. +Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen Heer nach Sardinien +gesendet ward, vernichtete die karthagische Landungsarmee vollstaendig und +sicherte den Roemern aufs neue den unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). +Die nach Sizilien geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und +Osten der Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, +welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen +Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation des +Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal gesendeten Boten +auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So +unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer +gewannen Zeit, die wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann +auch mit dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten +Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in +Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen +und Stocken kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen, +was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette. +Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie ueberall in +Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie +fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige +Patriotismus, den der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht +unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte, waren, +sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung +der verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden, +dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen +waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch +der besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr +vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf saemtlichen +Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. +</p> + +<p> +Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in +Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb +zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen +Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel eben aus +diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich annahm. Nachdem +Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob +die Buergerschaft bei der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn +irgend eine Stadt, so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg +der Karthager ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft +ueber ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von +Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben +konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten +der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke zwischen +Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu bringen, und jetzt +fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach +Sizilien gesandt hatten, zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, +durch rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen +zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach +Hieronymos’ Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten +Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den +erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden +Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals +gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche +zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; masslos +uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben +wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte, +erweckten auch in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht +zu spaet sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den +Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens +durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der +Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der +Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates und +Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul nichts uebrig, +als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte Leitung der Verteidigung, +wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur +Archimedes sich besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher +Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln. +Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten die +Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der abermaligen +Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes Landheer unter Himilko +nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und +sofort die wichtige Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, +rueckte der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; +Marcellus’ Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden +feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger +Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der +Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als die +feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer auf der Insel +verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls verdaechtigen +Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung daselbst, den groessten +Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) +gelang es den Belagerern von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen +von den Wachen verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen +und in die Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen +Stadt am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die +Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen, +diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse deckte, war +hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so die Belagerung der +Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden +Heere unter Himilko und Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen +gleichzeitigen, ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen +Flotte und einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf +die roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die +beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager +aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im Hochsommer und +im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen erzeugen. Oft hatten diese +die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des +ersten Dionys waren zwei phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter +ihren Mauern durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das +Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus’ Heer, +in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die +phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen +Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere, +groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten Staedte. +Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von der Seeseite zu retten; +allein der Admiral Bomilkar entwich, als die roemische Flotte ihm die Schlacht +anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe +verloren und entrann nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern +ergeben; die Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal +scheiterten sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der +Soldaten wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener +Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den +fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus mit einem +von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden noch freien +Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die Buergerschaft ihm +freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo, +haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen +war und mehrfach die ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei +des fremden Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen +Grundsaetzen des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger +Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine +Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen +Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den Tod +fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten +Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den +einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die +frueher von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern +steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten das +Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene und die +bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem den Hafen +beherrschenden Stadtteil, der “Insel”, durfte fortan kein +syrakusanischer Buerger wohnen. +</p> + +<p> +Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war +auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter +Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen +Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei uebernahm +und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die roemische +Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend, +einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten +Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und roemische +Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck einige Gefechte +bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat +obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr +verfolgte mit eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und +bestand darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die +Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines +liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes, +besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht +unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen allmaehlich +ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich der Oberfeldherr, da +er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, ihn zu verdunkeln, demselben +kurzweg das Kommando ueber die leichte Reiterei abnahm und es seinem Sohn +uebertrug. Der Numidier, der nun seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren +die Insel erhalten hatte, fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er +und seine Reiter, die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in +Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und +lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach +Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers +den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward von den +Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei verkauft (544 +210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen, wie die Landung von +540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten +Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war +gewesen. Nachdem also ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits +dafuer gesorgt, dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel +zurueckkehrte. Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse +zusammen und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals +Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr +Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der Insel +in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter die Rede +davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu erneuern; allein es +blieb bei Entwuerfen. +</p> + +<p> +Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse +eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder +Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos’ +natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter +bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen +Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils die +Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des Krieges, teils +Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien, +Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen +antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der +aegyptische Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis +544 (210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, +dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen +italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien +und Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie +konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich gewannen, nur +fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl +gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos +prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt +die Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste +Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass eine +staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des gleichen +Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden +zwischen Philippos und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen +Tendenz war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu +seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in +Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen +hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines +solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die +Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg allein +gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe nicht, sich aus dem +Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands umzuwandeln. Schon sein Zaudern +bei dem Abschluss des Buendnisses mit Hannibal verdarb den ersten und besten +Eifer der griechischen Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom +eintrat, war die Art der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und +Zuversicht zu erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der +cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu +bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem Philippos +schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht, dass eine +roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies geschah, noch ehe es zum +foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser endlich erfolgt war, erwarteten +Freund und Feind eine makedonische Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) +standen bei Brundisium eine roemische Flotte und ein roemisches Heer, um +derselben zu begegnen; Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer +Flottille von leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. +Allein als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten +Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen Hannibal +gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um doch etwas zu +tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die roemischen Besitzungen +in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im besten Falle waere dabei +nichts herausgekommen; allein die Roemer, die wohl wussten, dass die offensive +Deckung vorzueglicher ist als die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie +Philippos gehofft haben mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die +roemische Flotte fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon +ward dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das +makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur voelligen +Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem Kriegszustand +verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, der umsonst solcher +Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine Klarheit einzuhauchen +versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann die Feindseligkeiten +erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit Hannibal einen vortrefflichen +Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die zunaechst sich zur Landung eines +makedonischen Heeres eigneten, veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu +parieren und den Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an +einen Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der +nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten +Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und +Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, fiel es +dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien eine Koalition +der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz zustande zu bringen. An +der Spitze derselben standen die Aetoler, auf deren Landtag Laevinus selber +erschienen war und sie durch Zusicherung des seit langem von ihnen begehrten +akarnanischen Gebiets gewonnen hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren +Vertrag die uebrigen Hellenen auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten +zu pluendern, so dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe +den Roemern gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland +die antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten an: +in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber Sparta, dessen +altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister Soldat Machanidas +ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen des unmuendigen Koenigs +Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf gedungene Soeldnerscharen +gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen +Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen +Staemme und endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden +griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit +Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen +Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas wert war. Es +ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen dieses ziellosen +Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen seiner Gegner +ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit Energie und +persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf in dieser heillosen +Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft +mit der roemischen Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris +und Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die +noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die +aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von +Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten +Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der +Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam +so weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von Hannibal +Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem, +womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen; +Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der +Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und ein Herz +dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte +Kraefte sich selbst zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; +wiederholt hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja +selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe +genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler, auf die +es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel unter dem Krieg +zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der Athamanen von Philippos +gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien den makedonischen Einfaellen +geoeffnet war. Auch von ihnen gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber +die ehrlose und verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis +verurteilte; es ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische +Nation, als die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische +Buergerschaften, wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die +Sklaverei verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie +wagten viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und +fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung der +Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den sie +ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und Nachteil +wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese sich doch, den +vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der Gegenbestrebungen der Roemer +kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede zwischen den griechischen Maechten +zustande. Aetolien hatte einen uebermaechtigen Bundesgenossen in einen +gefaehrlichen Feind verwandelt; indes es schien dem roemischen Senat, der eben +damals die Kraefte des erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen +Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu +ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der Aetoler die +Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten fuehren koennen, +erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu beendigen, durch den der +Zustand vor dem Kriege im wesentlichen wiederhergestellt ward und namentlich +Rom mit Ausnahme des wertlosen atintanischen Gebiets seine saemtlichen +Besitzungen an der epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste +Philippos sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; +allein es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen +liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit +widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland gebracht +hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und richtige Kombination, +die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen Augenblick geteilt hatte, +unwiederbringlich gescheitert war. +</p> + +<p> +In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf +ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die eigentuemliche +Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die +Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal und dem ueppig fruchtbaren +Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen Waldgebirgen durchschnittenen +Hochland zwischen jenem und diesem wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter +Landsturm zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und +ueberhaupt nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und +gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne +Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle scheinen +zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob +die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder die, welche am Guadalquivir +sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder kleineres Stueck der Halbinsel +besassen, mag den Eingeborenen ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von +der eigentuemlich spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen +Ausnahmen, wie Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem +Krieg wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die +Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich gefuehrt +hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten festgegruendete +Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall entschied, und der, wenn +er zu Ende schien, sich in einen endlosen Festungs- und Guerillakrieg +aufloeste, um bald aus der Asche wieder aufzulodern. Die Armeen erscheinen und +verschwinden wie die Duenen am Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man +heute seine Spur nicht mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der +Roemer, teils weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des +Landes von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl +ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger +Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in der +Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich, von einem +also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu geben. +</p> + +<p> +Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius Scipio, +beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche Verwalter, vollzogen +ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der +Pyrenaeen durchstehend behauptet und der Versuch, die gesprengte Landverbindung +zwischen dem feindlichen Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier +wiederherzustellen, blutig zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch +umfassende Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen +Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die +roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der Zug +dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg wiederholt; +die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen des Herakles, breiteten +ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und sicherten endlich durch die +Wiedergewinnung und Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf +der Linie vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der +Nation soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus +Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen +gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen Fuersten +Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit den Roemern in +Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen, ein roemisches Heer +ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in +Italien konnte man eben damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war +zu schwach, um sich zu teilen. Indes schon Syphax’ eigene Truppen, +geschult und gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen +Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende +Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern +der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine +Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem +der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn +Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist +uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der +grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den +Aufstaendischen nahm. +</p> + +<p> +Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den spanischen +Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald +betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, +die waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im +karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen +sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie +entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten mussten. Sie +waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um +den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und +Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen +Truppen zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend +Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den saemtlichen +spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne +Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was +ihnen nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch +erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem +roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen +Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile +sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen +phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft angegriffen, +und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die Karthager in entschiedenen +Vorteil. Schon war das roemische Lager fast eingeschlossen; wenn noch die +bereits im Anzuge begriffenen spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die +Roemer vollstaendig umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen +besten Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke +in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl +anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch +waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die Verfolgung +des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch, bis dass die +phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des Feldherrn die +verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen +war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen +Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen +und durch die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen +nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu +schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem +Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung +allein rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus’ Schule, Gaius +Marcius, hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem +Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil +in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten +roemischen Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro +herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick schien +nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung +mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den +rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung aelterer, +nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und +seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den +drei karthagischen Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des +wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde +zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein +neues Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies die +Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine +starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das +Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im +folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward +umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch unfeine List +und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den +Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender +unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen +und neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, +womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen +Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die +Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte +und durch die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von +den grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um +Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden, +beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen +ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke +anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich +niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts, bis +endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn +des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und +Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der roemische +Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von solchem Belang dem +Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom +so ausgestorben gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter +Offizier sich angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten +auf den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am +Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der +erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren und +Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg einzuschlagen, der +das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden +Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere +spanische Expedition bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser +angeblich improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der +Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am +Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den +langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich +darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf +einmal die Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das +alles machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und +unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte +und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen +Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise +zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen, bis die +Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten +gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren +auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist +weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande +wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn +auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich +deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet, als er +ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber +auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, +die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie +von einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die +Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall +entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug, +um den Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch +schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig ueberzeugt, ein +Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem Wort eine echte +Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein +Mann felsenfesten Worts und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen +Koenigtitels sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, +dass die Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass +er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte, +fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter +Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs, +hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen Nationalgefuehl, +redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio die Herzen der Soldaten +und der Frauen, seiner Landsleute und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat +und seines groesseren karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen +Lippen und er der Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt +schien. +</p> + +<p> +Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem +Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen +Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem Flottenfuehrer +und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit einer ueberzaehlig +starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich sein erstes Auftreten +bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten Handstreiche, die die +Geschichte kennt. Die drei karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas +an den Quellen, Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den +Saeulen des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von +der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), +ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen +diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem +Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr 30000 Mann +und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann starke +phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser und zu Lande. +Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah +sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von +den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago +wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da die +Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall +versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, +ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, +den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem +schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten +ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg +hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm +hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er, +unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen +zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, +sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das Watt, “wo Neptun ihnen +selbst den Weg zeige”, und sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern +hier unverteidigt zu finden. So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf +Mago in der Burg kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn +abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende +Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler), +zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter, +und die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die +Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, +sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und +nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und +in besseren Stand zu bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, +zweitausend an der Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das +Versprechen der Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen +Menge die faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die +Stadtbuerger aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige +Stellung gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen +wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen Hafen an +der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss durch eine Besatzung +zu sichern. +</p> + +<p> +So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio +nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl +erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt +war, und weil die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich +imstande war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch +nur verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro +gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er +seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich auszufuehren, +ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus und Scipio +gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme der phoenikischen +Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, was man daheim von dem +wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, dass jedes andere Urteil +verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf unbestimmte Zeit verlaengert; er +selber beschloss, sich nicht mehr auf die duerftige Aufgabe zu beschraenken, +der Hueter der Pyrenaeenpaesse zu sein. Schon hatten infolge des Falles von +Neukarthago nicht bloss die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, +sondern auch jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische +Klientel mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 +(209/08) dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten +sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im +Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, und +marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf Hasdrubal +Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem Bruder zu Hilfe zu +kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur Schlacht, in der sich die Roemer +den Sieg zuschrieben und 10000 Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal +erreichte, wenn auch mit Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen +seinen Zweck. Mit seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner +Truppen schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean +hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und +stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er +Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der ihm +aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und unweise +gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss +Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel +geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze +einer starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er +verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207), als +Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich +realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren +zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin +des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue +Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den +faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien +zu bekaempfen gehabt hatte. +</p> + +<p> +Nach Hasdrubal Barkas’ Entfernung beschlossen die beiden in Spanien +zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons +Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen +aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen zu +lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge getan. So +geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im folgenden Jahre (547 +207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch +Mago und Hasdrubal sich wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus +schlug Magos und Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst +gefangen. Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und +verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in +diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen +ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein +gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde, 70000 zu +Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte spanische Landwehr. +Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr +als die Haelfte des feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier. +Scipio stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie +nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu +verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die +Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die +Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines solchen +Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben - einzeln +retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen jetzt ohne +Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig sich fuegenden +Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft. +Scipio konnte sogar auf der afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch +abstatten und mit ihm, ja selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition +nach Afrika Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch +keinen entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon +den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den +Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als ob, +nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und die hier und da in +Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des phoenikischen Regiments auch der +roemischen Gaeste loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen, +hinreichend widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die +Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms +vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines +seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, +beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte +und daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die +bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden, +ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch +auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung dem Mago +zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich vorfinde, und +damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio +konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte +aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung +der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert +verliess der letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug +ergab sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf +spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war +nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische Provinz +verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets besiegte und nie +ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer fortfuehrte, aber doch im +Augenblick kein Feind den Roemern gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten +Moment der Scheinruhe, um sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom +persoenlich von den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu +berichten. +</p> + +<p> +Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, Scipio +in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen Halbinsel der +gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, nachdem die Cannensische +Schlacht geschlagen war und deren Folgen an Verlust und Gewinn sich allmaehlich +uebersehen liessen, im Anfang des Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, +die Roemer und Phoeniker folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten +die Roemer nach Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei +Legionen, wovon zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in +Picenum. Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der +Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der +Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die Festungen +Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im brettischen +Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme geworfen hatten und +wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das die Roemer von Messana aus +schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden waren, stand ein zweites +karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst einen Feind sich gegenueber zu +sehen. Die roemische Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln +Quintus Fabius und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas +zu versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der +Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und +Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion +verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit +beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien, +Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den +unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu versehen +hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr +neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf +annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre +unter den Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, +von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter +solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit +waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen +war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um +Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch Verlorene zwar +langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre +Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend die phoenikischen zusammenschwanden; +gegen Hannibals italische Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, +Brettier, die weder wie die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber +genuegten noch von Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, +jaehrlich Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus +begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die +Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu bringen. +Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr auf Siege wie am +Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der Buergergenerale waren vorbei. +Es blieb ihm nichts uebrig, als abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst +versprochene Landung ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand +reichen wuerden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit +moeglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen +Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie kaum ein +anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es ist +psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann die beiden +ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in gleicher Vollkommenheit +geloest hat. +</p> + +<p> +Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien +rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein +weder vermochte er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer +besassen, den starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er +wehren, dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum, +das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden +Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch +Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren +Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das +brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien +mit der roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit +Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei +dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den +Sklavensoldaten im Namen des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. +</p> + +<p> +Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi +zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die +Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung +gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der +Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere +brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische Abteilung des +phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere von dem Gang der +Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische +Dienste. +</p> + +<p> +Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue politische und +militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die +Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, +hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen +tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine Emissaere zu +einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen +Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der +Roemer foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der +saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes, und +die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen +moechten. Wirklich ward Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und +durch die Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern +besetzt; kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem +Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur +Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen. +Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass Rom +sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg +neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise +die Einnahme von Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die +Moeglichkeit gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit +sehr abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten +Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch +die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, dass +die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal brachte +also einen betraechtlichen Getreidetransport zusammen und wies die Kampaner an, +ihn bei Benevent in Empfang zu nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den +Konsuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der +den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines +Lagers und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen +darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen Strasse +aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber der tapfere Mann +fiel durch die schaendliche List eines treulosen Lucaners, und sein Tod kam +einer voelligen Niederlage gleich, da sein Heer, groesstenteils bestehend aus +jenen von ihm freigesprochenen Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers +auseinanderlief. So fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte +durch sein unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene +Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen ihre +Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als Besatzung in +Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen nachdruecklich geschlagen +worden war. Die totale Vernichtung der von Marcus Centenius, einem vom +Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig befoerderten Mann, angefuehrten +regulaeren Truppen und Freischaren in Lucanien, und die nicht viel weniger +vollstaendige Niederlage des nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus +Fulvius Flaccus in Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses +Jahres. Aber das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem +entscheidenden Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie +Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die +roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und Volturnum +unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius, auf der Nolanischen +Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero; die drei wohlverschanzten und +durch befestigte Linien miteinander verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, +und die grosse, ungenuegend verproviantierte Stadt musste durch blosse +Umstellung in nicht entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn +kein Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die +Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren, durch +die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen, begehrten +schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der Burg beschaeftigt, +in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33 Elefanten und seinen besten +Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf +und nahm sein Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren +Erwartung, dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin +die Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, +ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht +und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die +kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre Linien +anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht denken; er konnte +voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen roemischen Heere nach +Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon frueher der Mangel an Futter in +dem systematisch ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen +liess sich nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten, +der seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. +Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben +Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug +die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in seinen +ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen Heer zwischen die +feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und +auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er +passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile von der +Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward +von “Hannibal vor dem Tor”; eine ernstliche Gefahr war nicht +vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt wurden von den +Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, +verhinderten die Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio +bald nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal +uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht; +seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des +Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also Gelegenheit geben +werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder +auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die +durch Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die +roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo +Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem +zweiten Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren +Glaeubigen dem Gott “Rueckwender Beschuetzer” (Rediculus Tutanus) +einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und +schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren hatten den +Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen +die Legionen in den Linien um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die +Kunde von Hannibals Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies +erfuhr, wandte er sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm +von Rom her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu +schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer +Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die +Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit bangen +Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom feindlichen +Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische Verwaltung fast +ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die Verzweiflung Vornehme und +Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat +waehlten den freiwilligen Tod; die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden +eines unversoehnlich erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, +verstand sich von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob +es klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats +auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution der +Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und der roemische +Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger unmenschliche, siegte ob. +Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplaetzen +von Cales und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Prokonsuls Quintus +Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein +zahlreicher Teil der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der +Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und +Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was Capuas +Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn +nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht +durch den Mord der saemtlichen in Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden +roemischen Buerger unmittelbar nach dem uebertritt die Buergerschaft sich +selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit +benutzte, um die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten +Staedten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der +kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin +vollstaendig politisch zu vernichten. +</p> + +<p> +Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er nicht +durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen Anstrengungen +Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er +war ebenso sehr das Signal der den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in +Italien, wie sechs Jahre zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der +verlorenen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser +Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von +Rhegion oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu +ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der Mangel +zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den Hafen sperrte, +aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem Geschwader selbst die +Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum +genuegte, sein Heer zu ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite +nicht viel weniger als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den +Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager +gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens +und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten genossen, +und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten Gemeinde, auf leidliche +Bedingungen in die roemische Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit +empfindlicher fuer Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in +die schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu +schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der +Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im +Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische +Reiter niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden, +um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner +italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des +endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten +betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden +Scipionen die Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum +erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der +Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung +jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum +ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg laessiger als +bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des +sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er +betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den +Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische +Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal die +Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr +darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu +Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. +Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter +Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, +am ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg; +waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner +zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen +bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten, +den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus Fabius, +der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den Auftrag, Tarent +wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem nahen messapischen +Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte +ihm die Stadt, in der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. +Was von der Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde +niedergemacht und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als +Sklaven verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen +sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam +zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont. +</p> + +<p> +Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst +</p> + +<p> +hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel +beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr (546 208) +zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem tuechtigen Kollegen +Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen entscheidenden Angriff ein Ende +zu machen. Den alten Soldaten fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und +traeumend verfolgte ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu +befreien. Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. +Bei einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von +Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus focht +den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar, vor vierzehn +bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde sank; Crispinus +entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden (546 208). +</p> + +<p> +Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden, die einige +Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte +man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. +Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von Cannae +(538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den angesehensten +Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren +Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben, +was moeglich war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle +Finanzweisheit daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man +die Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des Silberstueckes +um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert +ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten +auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis +der arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem +Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den +Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten +litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren +Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, freiwillig oder +durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des Soldes aus. Die +Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach dem Treffen bei Benevent +freigesprochenen Sklaven erwiderten der Bankkommission, die ihnen Zahlung +anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende des Krieges anstehen lassen wollten (540 +214). Als fuer die Ausrichtung der Volksfeste und die Instandhaltung der +oeffentlichen Gebaeude kein Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die +Gesellschaften, die diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich +bereit, dieselben vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward +sogar, ganz wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe +bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man verbrauchte +die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der Eroberung von Tarent den +letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 Taler) an. Dennoch genuegte der +Staat seinen notwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte +namentlich in den entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die +Bedraengnis des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen +Notstandes. ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, +fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 +preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), +mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren +geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und +nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not +gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften +zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden +Doerfer in Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, +aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben. +</p> + +<p> +Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung der +Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut frass. Zwar +auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an. Der Krieg selber +bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die latinische Nation zu Rom +stand; an ihrer groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel +gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen +Kommunen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, +also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten +von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen +Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und +es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten Krieg +selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein fuer den +Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck +handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und +sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze das maechtige und patriotische +Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom +sich anschloessen - freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass +bei dem gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele +stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer +Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens +nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war sicherlich +nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und Erschoepfung; ohne Zweifel +wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit den Phoenikern mit Abscheu +zurueckgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Roemern und +Latinern, und der Rueckschlag auf die unterworfene Bevoelkerung der +Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche +Gaerung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete +Verschwoerung ward entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen +roemische Truppen marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese +Bewegung zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen +Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr +schreckten. +</p> + +<p> +In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die +Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die Pyrenaeen +ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen muesse, im naechsten +Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht +umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten +ausgeharrt; was die faktioese Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos +ihm versagt hatte, das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm +selbst Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch +phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er +die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem Bruder die Gallier, +vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien war aber +nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; der Staat und die einzelnen waren +erschoepft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem +Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte +die Gunst seines Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen +Fehlers von ihm und dem Lande abwandte. +</p> + +<p> +Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen +auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst +Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und +Feinden ueber alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 +207); die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld +willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom +beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit +wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die +Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, dass +Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus Livius sich zu der +Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien. Etrurien und Umbrien waren +in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort verstaerkten das phoenikische Heer. +Sein Kollege Gaius Nero zog aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an +sich und eilte mit einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu +verlegen. Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der +grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei +Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in welchem +Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens, wenn auch +mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen geschickten Seitenmaersche sich +dem Feinde zu entziehen und ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er +stehen und lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf +dem Fuss gefolgt war, dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig +stehenblieb und nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, +scheint nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter +noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals mit +Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die wir nicht kennen. +Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig gegenueberstanden, ward die +im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdrubals von Neros Posten +aufgefangen; sie ergab, dass Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse +einzuschlagen, also zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum +ueber den Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu +treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung der +beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische Reserve +vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der Hauptstadt kam und +dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, dass Hannibal die Absicht des +Bruders nicht kenne und fortfahren werde, ihn in Apulien zu erwarten, +entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis, mit einem kleinen, aber +auserlesenen Korps von 7000 Mann in Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und +womoeglich in Gemeinschaft mit dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu +zwingen; er konnte es, denn das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb +immer stark genug, um Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder +ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, +wenn er abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind +erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie +beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte die +Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen; allein +seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden +Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen Reiterei +angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische Fussvolk eintraf +und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte die Spanier auf den +rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die Gallier auf den linken, den er +versagte. Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul +Livius, der hier befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische +Operation taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind +stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die +Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war +vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das Lager +erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah, +suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und +als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu sein. +</p> + +<p> +Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum +vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber, den keine +Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die Botschaft brachte ihm +der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Roemer den feindlichen +Posten hinwerfen liess, also dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten +verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus +vergeltend. Hannibal erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles +vorbei war. Er gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen +Truppen zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug +waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine +beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren +Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der +Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel in Rom +war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in Friedenszeit; jeder +fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden sei. +</p> + +<p> +Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat und die +Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und materielle +Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. +Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen und latinischen Bauern auf +ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils +der kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und +die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige +Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen +latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu +genuegen. +</p> + +<p> +Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von Hannibals +strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm +gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da an noch durch vier +Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen +Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen +noch sich einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, +weniger in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden +Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden +und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt +hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios +Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten seine +Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die sie ihm +verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese +in der Angst vor der erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst +wieder hervor (548, 549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago +nach Spanien Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien +aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser +und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine +Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des Buendnisses und +zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein es war zu spaet. +Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden geschlossen; die +bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er +tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches +Korps nach Afrika, das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner +Tasche bezahlte; begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie +der spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine +makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. +</p> + +<p> +Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den +Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, +landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die +Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des +Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen sogar +durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten. Allein was er an +Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das +eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein +Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette +vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der Heimat nicht +gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten, war sie nicht mehr +moeglich. +</p> + +<p> +Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg +Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen +Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so +unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem +eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten +Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie +Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen und +wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius Nero und +Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen, allein sie waren +beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es +gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon, +dass die Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied +-, und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften +Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien +zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene Aufgabe so +glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien, ward sogleich fuer +das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem +festen Entschluss, die schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition +jetzt zu verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der +methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange nichts +wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet +dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische +Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und etwas +baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegfuehrung in +Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine Soldatenzucht. Wie +begruendet der Vorwurf war, dass er gegen seine Korpschefs allzugrosse +Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius +in Lokri veruebte, und die Scipio allerdings durch seine fahrlaessige +Beaufsichtigung in der aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. +Dass bei den Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen +Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel +Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in +Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass er sehr +deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der Regierungsbehoerde +gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen +gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche +Besorgnis erwecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden +Entscheidungskrieg und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an +die ihm gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die +eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen +geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht +zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, dass +die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins +Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst +faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet +war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung seines +Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten Kraefte zu +erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag +nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde +schuldige Ruecksicht wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem +Beschluss des Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien +gehen, um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die +Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika +landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene beiden aus +den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen - zur Disposition +gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache Besatzung und die Flotte +vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm gestattet, in Italien Freiwillige +aufzubieten. Es war augenscheinlich, dass der Senat die Expedition nicht +anordnete, sondern vielmehr geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte +der Mittel, die man einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben +dasjenige Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung +behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet des +Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers, deren Untergang +der Staat allenfalls verschmerzen konnte. +</p> + +<p> +Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische +Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen werden +muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein, wie sie immer +waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied +er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der +Popularitaet der Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die +betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine +sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das heisst durch +eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur +Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in +vierzig Tagen war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten +Freiwillige, deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des +geliebten Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei +starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400 +Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne den +geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der Naehe von Utica. +</p> + +<p> +Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die Pluenderungszuege, +welche die roemischen Geschwader in den letzten Jahren haeufig nach der +afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein ernstlicher Einfall folgen werde, +hatten, um dessen sich zu erwehren, nicht bloss den italisch-makedonischen +Krieg aufs neue in Gang zu bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um +die Roemer zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden +Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der Massyler, und +Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran), dem Herrn der +Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren und bisher den Roemern +befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen, +indem man den anderen, den alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der +Karthager, fallen liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der +vereinigten Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender +dem letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in +der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand ein +karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 Elefanten - +Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt worden - schlagfertig +zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des in Spanien erprobten +Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag eine starke Flotte. Ein +makedonisches Korps unter Sopater und eine Sendung keltiberischer Soeldner +wurden demnaechst erwartet. +</p> + +<p> +Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager des +Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind gegenuebergestanden +hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte zunaechst den Roemern nichts als +seine persoenliche Tuechtigkeit, und die Libyer, obwohl der Aushebungen und +Steuern herzlich muede, hatten doch in aehnlichen Faellen zu bittere +Erfahrungen gemacht, um sich sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann +Scipio den Feldzug. Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen +sich hatte, war er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen +Reitergefechten zur Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, +angeblich mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung +aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und +Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging dem +roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich unbequemen +Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch einen gluecklichen +Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig +als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und +derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der +Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu helfen, traf +ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den +roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war +verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut nicht +sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr der +Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren die +erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt; man +beschloss, auf den “grossen Feldern”, fuenf Tagemaersche von Utica, +noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen; +mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die +zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die +Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach +hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach dieser +doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff auf das +roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar +kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit +aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein +beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die +Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. +</p> + +<p> +Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit +sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich +offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. Hasdrubal, +Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode verurteilt und ein +Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und Frieden zu erlangen. Er +forderte Abtretung der spanischen Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres, +Uebergabe des Reiches des Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe +bis auf zwanzig und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. +Taler) - Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, +dass die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms +Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben an unter +Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine karthagische +Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische Patriotenpartei war +nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu verzichten; der Glaube an die +edle Sache, das Vertrauen auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das +Rom gegeben hatte, feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der +Friede notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang +bringen musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das +Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu +lassen und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung +vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst nach +Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203) daran +arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben +damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen +Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk +ins Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager zu +erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die feindlichen +Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und faehigen +Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die +ligurische Kueste zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung +und vollzog ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. +Hannibal waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten +Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem +Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in +Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er +nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die +italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen, und +bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft stehenden +Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche +Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also +freiwillig dem italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem +einzigen ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit +mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat +und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach roemischer +Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter darbrachte, von der +ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste Auszeichnung, die einem +roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und der letzte Ehrenschmuck des +alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre aus dem Leben schied (551 203). +Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des +Waffenstillstandes, sondern allein durch seine Schnelligkeit und sein Glueck, +ungehindert nach Leptis und betrat, der letzte von Hamilkars +“Loewenbrut”, hier abermals nach sechsunddreissigjaehriger +Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, fast noch ein Knabe, verlassen hatte, +um seine grossartige und doch so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu +beginnen und westwaerts ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die +karthagische See einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen +war, was er hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er +gedurft, jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne +zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei offen +auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue Verbindungen +mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit angeknuepft und nicht +bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in der Volksversammlung die +Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die Pluenderung einer an der +afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen Transportflotte, ja sogar durch +den ueberfall eines roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der +Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem +Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas +(Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, +sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und +verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand bei +Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis und +Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm +zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer +persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein Scipio, der +schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse gegangen war, konnte +nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit +sich verstehen, und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt +etwas anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs +unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und +so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1. +In drei Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die +karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und die +phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das dritte die +Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig +Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine +Legionen in drei Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die +Elefanten durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu +sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts +ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in +Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das +Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes +Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der Kampf +des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den beiderseitigen ersten +Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge gerieten endlich beide Teile in +Verwirrung und mussten an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer +fanden ihn; die karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, +dass sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der +karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was +von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob +seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte dagegen +in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch kampffaehig war und liess +das zweite und dritte Glied rechts und links an das erste sich anschliessen. +Abermals begann auf derselben Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres +Gemetzel; Hannibals alte Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, +bis die Reiterei der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der +geschlagenen feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit +war nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet; +dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren, hatten +ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll Leute gelangte +Hannibal fluechtig nach Hadrumetum. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der +westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der +Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder +Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den 19. Oktober wegen +der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur +Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen +Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt +noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle +eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen, +jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte +den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen. +Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie +fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig Jahre +eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und +mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und +ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen +Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich +darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine politische +Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden +verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen. +</p> + +<p> +Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des schwersten +Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger +abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage +moechte gegruendet sein, wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen +den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die +Verhaeltnisse so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die +Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege +ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser +entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen selbst +diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also die Haende +gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt war, nie auch nur +einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie zu entziehen, geschweige +denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, +dass der soeben beendigte Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war +als von Karthago und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich +schlechterdings nicht erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern +wenig duenken, dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in +Flammen aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und +Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der vernichtete +Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das Verbrechen, die Roemer +zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, gruendlicher zu bestrafen. Scipio +dachte anders und wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen, dass +in diesem Fall die gemeinen Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen +und hochsinnigen, die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der +etwaigen Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings +nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges haben +den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich +gelungen war, abgehalten, die Exekution an der ungluecklichen Stadt zu +vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem Adoptivenkel aufgetragen wurde +und die freilich wohl jetzt gleich schon vollzogen werde konnte. Es ist viel +wahrscheinlicher, dass die beiden grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die +politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um +dort der ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem +Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu setzen; der +Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht +minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das Unvermeidliche als in Scipios +weisem Zuruecktreten von dem Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. +Sollte er, der hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, +was es denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der +Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus +voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation +frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten +Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der Nachbarn und die +ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von sich mit einer muessigen +Traene abzuwaschen. +</p> + +<p> +So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der +Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu +den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem +Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu der +Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer +natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg +auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am +Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen +gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn +gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss +deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des Krieges, +namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig entsprachen; aber +die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche Absicht hinaus, und zu dem +Besitz von Spanien sind die Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig +gelangt. Die Herrschaft ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie +erstrebt haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das +Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die +Verhaeltnisse zugeworfen worden. +</p> + +<p> +Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die +Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung +begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen +syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die Begruendung +des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die bedeutendsten +numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen +Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene +Hegemonie ueber den Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das +notwendige Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, +das im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das +demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte der +alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das Keltenvolk, +wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang bestimmt, und es war +nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution vollzogen werden wuerde. Innerhalb +der roemischen Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schaerfere +Hervortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang +die trotz einzelner Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft +ueberstandene Gefahr geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende +Unterdrueckung der nicht latinischen oder nicht latinisierten Italiker, +namentlich der Etrusker und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf +die Strafe oder vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich +ersten und letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die +Landschaft der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua +aus der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar die +Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den gesamten +Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger oder roemisch +gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen Domaene und gab ihn +seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die +Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die +Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch +haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht +und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen +Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen Staedte mit +Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die +kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner +und eine Menge anderer apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die +grossenteils Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen +Aecker wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe +Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum (bei +Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem ehemaligen +Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg bestimmt, vor allem +aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen Villeggiatur und des +asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner ward Thurii latinische Festung +unter dem neuen Namen Copia (560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo +unter dem Namen Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und +Apulien wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln +angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen +Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht +sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht gut +roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch politische +Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien +fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie +fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine zweite +Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller Uebermut des +Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen +ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser +Zeit traegt davon die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und +Atella dem zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und +die letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter +darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste +Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon +gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen Spoettereien der +Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. +Wie die Dinge standen, zeigt die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des +folgenden Makedonischen Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben +ward, und die Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 +(200), Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom aus +zugesandt wurden. +</p> + +<p> +Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen Bevoelkerung +gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen Buergerschaft, deren Zahl +waehrend des Krieges fast um den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der +Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe +scheint danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust +vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse +der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt +die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123 +Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine ausserordentliche +Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen Normalstand gebracht ward. Dass +endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der zugleich in allen Landschaften Italiens +und nach allen vier Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die +Volkswirtschaft im tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen +klar; zur Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar +der Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische +Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein +durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der +Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten gewonnen hatte +durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge bluehender Ortschaften +- man rechnet vierhundert - war vernichtet und verderbt, das muehsam gesparte +Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung durch das Lagerleben demoralisiert, die +alte gute Tradition buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an +bis in das letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich +in Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt, +dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen wegen +Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden Weiden mit den +halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose Verwilderung des Landes. +Der italische Ackerbau sah sich in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in +diesem Kriege aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst +geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden +koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende +dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich +in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet +worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch +Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes +wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen +friedliche und freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das +Ziel der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: +damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war +der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die +latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu +latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, +nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden +Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen; +wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in +denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete +Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die damalige +zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, +jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben +wuerden. Freilich wenn nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die +bedenklichen Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die +Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und +Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die +geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und +endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die geschmueckten +Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus des Gottes +niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen zufluesterten, er zu Rat und +Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen hatte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/> +Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</h2> + +<p> +In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, wie man +jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der Ordnung und +Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den Hannibalischen +Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, dass man jetzt da +fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die Kelten begriffen es wohl. +Schon im Jahre des Friedensschlusses mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet +der zunaechst bedrohten Boier die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster +Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, +sowie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos +Expedition her in Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden +Jahr (554 200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst +bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die +naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend hoerte +diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als auf den Notruf +der bedrohten Stammgenossen. Von “den beiden Riegeln gegen die gallischen +Zuege”, Placentia und Cremona, ward der erste niedergeworfen - von der +placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der +zweite berannt. Eilig marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch +zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und +kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers +vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem +Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, +welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische +Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, +welches bei Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich +durch die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und +erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der +Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die +Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten nicht bloss +zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch Verzeihung von den +Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer +Schlacht, die die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und +Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So +gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach dem Fall +von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche +Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie +den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; +namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten +gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden +Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes liess +man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale +Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und +legte ihnen auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen +Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden +Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias +in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens +griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit +um sich; die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den +Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der +gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586 +(168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang +des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht nicht +ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer unter den +Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet +laenger behauptet zu haben. +</p> + +<p> +Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften +begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der transalpinischen +Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der Halbinsel und des inneren +Kontinents auch zur politischen Grenze zu machen. Dass die Furcht vor dem +roemischen Namen schon zu den naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der +Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der +dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute +zusahen, sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, +welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier +(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder Taurisker (in +Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die beschwerdefuehrenden +roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche einzelner keltischer +Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder +die demuetige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem +roemischen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen +Gebot, ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 +186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt +hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat +keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer die keltische +Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen +diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche Uebersiedlungsversuche von +Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis +dahin den Roemern wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen +Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von +Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien +einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem aeussersten +nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia +(571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu +verlegen, sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem +gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten +Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias +veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der +Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt +war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die +Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren +bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief. +</p> + +<p> +Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der roemische +Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, die dies zunaechst +traf, wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus +von ihnen ueberschritten und ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die +Waffen zu bringen (560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen +blockiert und wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam +gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward +die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer siegten +(561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern eine +Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das roemische +Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung sich zu fluechten +begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass +von der Nation der Boier nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So +freilich musste sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die +Roemer forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht +verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern +blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern ueber +die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen +Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen +Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde, +dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess. Dieser +Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen +Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des +halben Gebietes; und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren, +bedarf es in der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht - +verschwinden doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von +Krieg und Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger +rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits +fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See +herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen +sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr +zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet, +wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine +Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen +als auf einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den +Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die +Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen Jahre +grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert und neue +Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem ehemaligen +senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; 570 184) und Pisaurum +(Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen boischen Landschaft die +Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) und Parma (571 183), von denen die +Kolonie Mutina schon vor dem Hannibalischen Krieg angelegt und nur der +Abschluss der Gruendung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband +sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die +Flaminische Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der +Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die Strasse von +Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst Munizipalchaussee +gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der roemischen Gemeinde +uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber die Strecke von Arretium +ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt, +wodurch man eine kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. +Durch diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des +keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch +den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-, +jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war ein +leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und Po zur +keltischen Landschaft gerechnet ward. +</p> + +<p> +In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel +hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, +verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno +wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem +Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von +Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was +hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend +von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die +ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr eroberte +Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das Potal von dem des +Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals +apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze +gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich +den Roemern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach +Massalia und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der +Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber +Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und +Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit. +</p> + +<p> +Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen Apenninen und +die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren unbequeme Nachbarn, +die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die Pisaner und die Massalioten +hatten von ihren Einfaellen und ihren Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. +Bleibende Ergebnisse wurden indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, +vielleicht auch nicht bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem +transalpinischen Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine +Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna ueber +Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen - jenseits der +Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen Schiffen die Kuestenfahrt +und den Landreisenden die Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit +seinen unwegsamen Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber +gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als +Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. +</p> + +<p> +Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen +und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie +gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten. Im +Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden +577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den “Frieden” gab, +sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen zu haben +behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, dass es +Sprichwort ward: “spottwohlfeil wie ein Sarde”. +</p> + +<p> +In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso +kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der karthagischen +Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt bestaendig unter dem +Druck und unter dem Damoklesschwert einer roemischen Kriegserklaerung zu +erhalten. Schon die Bestimmung des Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar +ihr Gebiet ungeschmaelert bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle +diejenigen Besitzungen garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser +innerhalb der karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als +waere sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu +erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat den +Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische Bundesgenossen +Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags sie nicht einmal +befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen Gebiet den numidischen +Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen und bei der Unsicherheit der +afrikanischen Grenzverhaeltnisse ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber +einem ebenso maechtigen wie ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der +zugleich Schiedsrichter und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber +die Wirklichkeit war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah +Karthago sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil +seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von den +Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So gingen die +Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die Haende der Numidier, +und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den groesseren Ortschaften. +Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172), +seien ihnen wieder siebzig Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft +ueber Botschaft ging nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, +ihnen entweder zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein +Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu +regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie +einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen +zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die roemische +Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu Gebietserweiterungen, +natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht gestellt hatte, schien wenig +dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte Beute sich selber nahm; sie +maessigte wohl zuweilen das allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten +Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben +dieser Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt +worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder +roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung +zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas +Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt ward. +Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu +schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie +begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen +und namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen. +</p> + +<p> +Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und Ergebung. +Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der +Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. +Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden +Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den Kampf +aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne +wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen +Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der +Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen maechtiger +Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch +Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich +unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass +ihrer verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte +Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein +demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der +Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch +Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch +Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die +roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit +ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben damals im +Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien zu beginnen, +folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete +Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter +Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen +Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie +eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt +war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen +Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie +gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten +dem Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen waren +wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft +ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem +einfachen Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, dass +der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden +Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte +Wahrheit, und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische +Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden +konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung +fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago +den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den +Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem +Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem +Orient die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die +mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat +verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das +tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter sind, denen +sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also +an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt. +</p> + +<p> +Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich verantworten, dass +die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht aufhoerte, die Stadt zu +beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort die Parteien nach wie vor; allein +nach der Entfernung des ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der +Welt gewendet haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago +als in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche +damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an +Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der Phoeniker zu +machen. Allein weder die nationale noch die libysch gesinnte Faktion der +Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb das Regiment bei den roemisch +gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie nicht ueberhaupt aller Gedanken an die +Zukunft sich begaben, einzig die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und +die Kommunalfreiheit Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette +man in Rom wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die +regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der gruendlichen +Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die roemischen Kaufleute +aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch jetzt, wo ihre politische Macht +dahin war, im Besitz einer ausgedehnten Handelsklientel und eines +festgegruendeten, durch nichts zu erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 +(187) erbot sich die karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 +(201) stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen +an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den +Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die Ueberzeugung +gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die Stadt nicht ruiniert und +nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen Geruechte ueber die Umtriebe der +treulosen Phoeniker durch Rom. Bald hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von +Tyros, sich in Karthago blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung +einer asiatischen Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in +geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus +Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, die in +Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). Es ist nicht +wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als hoechstens die +Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber waren sie das Signal zu +neuen diplomatischen Misshandlungen von roemischer, zu neuen Uebergriffen von +Massinissas Seite, und die Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger +Sinn und Verstand in ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit +Karthago nicht fertig zu werden sei. +</p> + +<p> +Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank +wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben ihnen ein neuer +Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage ist das nordafrikanische +Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst +und welches die Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das +Weidevolk, die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als +“Hirten” (Schâwie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu +nennen gewohnt sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht +ist, keiner anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten +diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar an der +Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, aber auch bei +ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die Bewohner des Atlas +fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das phoenikische Alphabet und +ueberhaupt die phoenikische Zivilisation ihnen nicht fremd blieb und es wohl +vorkam, dass die Berberscheichs ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und +mit phoenikischen Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik +wollte unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen +Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren +zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika +beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede freie +Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den eingeborenen +Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen +Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge +Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom +Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der +marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler, Syphax, der +von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge (Siebenkap zwischen +Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig +der Massyler, Massinissa, der von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die +karthagische Grenze in der heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste +von diesen, der Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom +und Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in +der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der Sohn +des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den Roemern einen +kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte (554 200), vermochte +doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht um die Stellung des +bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. Massinissa ward der Gruender des +Numidischen Reiches; und nicht oft hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an +die rechte Stelle gesetzt. Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste +Greisenalter, maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu +ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und +vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen +Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als Soldat +und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der schwereren Kunst, +in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande Ordnung zu erhalten, +gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer ruecksichtslos zu Fuessen zu +werfen wie den schwaecheren Nachbar ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten +und zu alledem mit den Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den +vornehmsten Haeusern aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von +afrikanisch bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, +ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es schien, +im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in ihm gleichsam +verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie in allem so auch darin, +dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er starb im neunzigsten Jahr seines +Lebens (516-605 238-149), im sechzigsten seiner Regierung, bis an sein +Lebensende im vollen Besitz seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und +hinterliess einen einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der +beste und gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon +erzaehlt worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer +Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer Massinissa +hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende Erlaubnis, auf Kosten +Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und stetig benutzte. Das ganze +Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem einheimischen Herrscher gleichsam +von selber zu, und selbst das obere Tal des Bagradas (Medscherda) mit der +reichen Stadt Vaga ward dem Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich +von Karthago besetzte er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere +Strecken, so dass sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen +Grenze erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste +und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen +Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche +Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des +Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch ihren +grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs, der weithin die +Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess, +fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu +treiben. Wie seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in +Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und +hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein +wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta +(Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein +Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs +eifrige und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete +Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch +in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie +Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an, +unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die +karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge +seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der nivellierenden +Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale +Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das +des Massinissa. +</p> + +<p> +In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der Kueste, +wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so bereitwilliger +der roemischen Herrschaft, als sie sich selber ueberlassen, kaum imstande +gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen zu schuetzen; wie aus gleichen +Gruenden Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene +Staedte, es doch nicht versaeumte, durch engen Anschluss an die Roemer, denen +Massalia wieder als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach +nuetzlich wurde, sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen +dagegen machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs +an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren +Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine deutliche +Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weitverbreitete +nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrotals und die +andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in mannigfache +Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit hinaufzureichen +und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische Alphabet +zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar +ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von +6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen besassen; allerdings +wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter allen spanischen genannt und +zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege +regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl +auch Polybios’ Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand +des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an +Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von +den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll +“Gerstenwein”. Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten, +fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher als irgendwo +sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die Latinisierung +vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der +warmen Baeder nach italischer Weise bei den Eingeborenen auf. Auch das +roemische Geld ist allem Anschein nach weit frueher als irgendwo sonst +ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt +worden; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermassen +begreiflich wird. Das sogenannte “Silber von Osca” (jetzt Huesca in +Aragonien), das heisst spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon +559 (195) erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb +nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen Denare +nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und oestlichen +Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen Zivilisation und der +roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, dass diese dort nirgend auf +ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war dagegen der Westen und Norden und +das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen, mehr oder minder rohen +Voelkerschaften, die von keinerlei Zivilisation viel wussten - in Intercatia +zum Beispiel war noch um 600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers +unbekannt - und sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen. +Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der Maenner +und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn in die Schlacht +entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von den Taten seiner Ahnen, +und dem tapfersten Mann reichte die schoenste Jungfrau unaufgefordert als Braut +die Hand. Zweikaempfe waren gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie +zur Ausmachung von Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen +fuerstlichen Vettern wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten +vor, dass ein bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen +Gegner bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel +und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig Jahre +nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine keltiberische +Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem roemischen Feldherrn +Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen Mann ein Pferd, einen Mantel +und ein Schwert senden moege, sonst werde es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre +Waffenehre, so dass sie haeufig es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung +zu ueberleben, waren die Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und +fuer jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, +die ein der Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, +im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: entweder +nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische Dienste zu treten, +oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so +trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaren zusammen, um die +friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen +und zu besetzen, ganz in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das +Binnenland war, davon zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von +Cartagena bei den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen +aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens +Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der +seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der +oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen Nachbarn +pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der Halbinsel, von dem +spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt wohnten, liessen diese jede +Nacht durch den dritten Teil ihrer Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor +einen hoeheren Beamten bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die +griechische Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren +nur zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll +Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten +denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden. +Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier nicht +bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals Fuehrung, sondern +selbst allein und in offener Feldschlacht sich als nicht veraechtliche Gegner; +mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen +annahmen, und ihren gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten +selbst die roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich +militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so haetten +sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber +ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte ihr +voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, +aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie +Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im +Kriege tapfer erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den +Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein +geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und zu +zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich genuegende, eine +umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen +Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. +</p> + +<p> +Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien +erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische +Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia +und Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und +Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten +Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und +Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den beiden +Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen Keltiberien +zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische Botmaessigkeit zu +bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die +Lusitaner im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfaellen +in das roemische Gebiet abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der +Nordkueste, den Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht +sich beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war indes +nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des +diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der Keltiberer und dem des +jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner jaehrlich zu schaffen machten. Es +ward somit noetig, in Spanien ein roemisches Heer von vier starken Legionen +oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch +sehr haeufig zur Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften +der Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von +grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem Umfang, +die militaerische Besetzung des Landes bleibend und infolgedessen auch der +Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte roemische Weise, nur dahin Truppen +zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in +sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr +bei der Fahne zu halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der +unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings +unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich, sie auch nur +in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die +Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist, +sondern auch fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen +Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die +Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und +drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. +</p> + +<p> +Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur +eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und +waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit +Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch nur auf +kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine allgemeine +Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward hart gedraengt, der der +Diesseitigen voellig ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den +Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor +Quintus Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der +Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. +Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige +Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im +inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen +Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in der nach +hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst mit der +gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte +darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich +gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom sofort der +Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch, und nachdem Cato die +Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in +Masse in die Sklaverei verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung +der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen +Staedte der Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, +ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie +weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen; +die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen +wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern +erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. +</p> + +<p> +Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg. +Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der “friedlichen +Provinz” ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, und +die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz fuehrten +gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel 563 (191) ein +roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in +Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren musste. Erst ein Sieg, +den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch +bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569 +(185) ueber die Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im +diesseitigen Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer +ueber die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus +Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) +wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders +durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher mehr +noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich +unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die Weise der schlichten und +stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. Indem er angesehene Keltiberer +bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; +indem er den schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - +die spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem +Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen +Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege regelte, +verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger Empoerungen. Sein Name +blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande +seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches Mal unter dem Joch zuckten, doch +vergleichungsweise Ruhe ein. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der +Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten +Kupfertafel zum Vorschein gekommen: “L. Aimilius, des Lucius Sohn, +Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und +Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser +[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die +Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und +haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im +Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. “ (L. Aimilius L. f. +inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana +habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent, +item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet. Act. in +castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische Urkunde, die +wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass +der Konsuln des Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem +sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie +hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 +(197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die +definitive Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung +des Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf zwei +Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den +hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung +der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es +blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch +hier bei dem fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen +besonders unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die +abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt der +sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von +den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen Staedten +und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen auferlegt, welche +auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat infolge der Beschwerdefuehrung +der spanischen Gemeinden im Jahr 583 (171) untersagte. Getreidelieferungen +wurden hier nicht anders als gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei +durfte der Statthalter nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies +gemaess der eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht +einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen +Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere +Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward dieselbe +auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das Recht der Praegung +von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den spanischen Staedten sehr +haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier keineswegs so wie in Sizilien von +der roemischen Regierung in Anspruch genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte +man in Spanien zu sehr der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung +in moeglichst schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders +von Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze +griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum, Gades, +Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen Herrschaft auf der +Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im ganzen war Spanien fuer +die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie finanziell mehr eine Last als +ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren +damaliger Politik der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich +dieser beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden +Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, selbst im +fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, welche Rom wie +Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung namentlich Marcus Cato +regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel mitbestimmend gewesen sein; +allein die Hauptursache, weshalb man die Halbinsel in unmittelbarem Besitz +behielt, war die, dass es dort an Staaten mangelte, wie im Keltenland die +massaliotische Republik, in Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass +man Spanien nicht loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen +Koenigreichs der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 1. Makk. 8, 3: “Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande +Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst.” +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/> +Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</h2> + +<p> +Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein +Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den +ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei +wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu +hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines +hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und +Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia +und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt +fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich der +Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische Zivilisation sich +friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen Feldherrn beerbten, vertrugen +allmaehlich sich untereinander und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich +her, dessen Schwankungen selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den +drei Staaten ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und +Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort +den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es gewesen war +unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein gut arrondierter +Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der Nordgrenze hatten die +ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, nachdem die Fluten der +gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die Grenzwache hielt die +illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im +Sueden war Griechenland nicht bloss ueberhaupt von Makedonien abhaengig, +sondern ein grosser Teil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von +Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige +Insel Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und +im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion, +Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land- und +Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen makedonische +Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, +Chalkis auf Euboea und Korinth, “die drei Fesseln der Hellenen”. +Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen +Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses weiten Gebiets war auffallend duenn; +mit Anstrengung aller Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft +aufzubringen als ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen +zaehlte, und es ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch +nicht von der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall +hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen +Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und +dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert +schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere mit dem +Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, waehrend im Orient und +in Alexandreia die Griechen unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl +befruchtende Elemente aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre +Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum +genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister +zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen +Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen +Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet, aus der die +Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die +Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als +ein besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene Rolle, +welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die +Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in +Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und +nun, da er in seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die +Alexandriner gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der +ungeschwaechte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem +maechtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist +auch hier der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen +staendische Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien +keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt sich noch +selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, wie er auch heisse, +in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und die angestammte Regierung, in +mutigem Ausharren unter den schwersten Bedraengnissen steht unter allen +Voelkern der alten Geschichte keines dem roemischen so nah wie das +makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach +der gallischen Invasion gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie +leiteten, zu unvergaenglicher Ehre. +</p> + +<p> +Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das oberflaechlich +umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des “Koenigs der +Koenige”, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine Anmassung wie fuer +seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben Anspruechen von Hellespont +bis zum Pandschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein +Buendel von mehr oder minder abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen +Satrapien und halbfreien griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das +nominell zum Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze +Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden +einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von +dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und die Inseln +und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem Grosskoenig hier +wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse +Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und +Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers +ausser seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den +vergeblichen Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu +verdraengen, in dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und +Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig +gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen +der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in +den Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem +der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die +absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein die in +dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil sie hier bei +der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung einzelner Landesteile +auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren pflegten. +</p> + +<p> +Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener +Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter +geschickter Benutzung des alten nationalen und religioesen Herkommens eine +vollkommen absolute Kabinettsherrschaft begruendet hatte und wo selbst das +schlimmste Missregiment weder Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche +herbeizufuehren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der +Makedonier, der auf ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck +war, war in Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles +und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in +Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat +laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste +Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst +brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden +grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach Schatten +griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimat +Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegruendet hatte, +hoerten nicht auf, sich als unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen +Monarchie zu betrachten und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben, +dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben +nie eine Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung +getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem +Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten +zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen +Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass Ptolemaeos +III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos Kallinikos +zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch +die guenstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten +gegenueber in eine vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie +zum Angriff. Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum +imstande war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich +zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich +festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der +phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von Kleinasien, +ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose +Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und +durch eine die materiellen Interessen ernstlich und geschickt foerdernde und +ebenso ruecksichtslose wie einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische +Hof seinen Gegner auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die +intelligente Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach +ernster Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und +diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in +die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte nicht bloss +unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den Einfluss der +alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, sondern machte auch +diese neue geistige Macht, die bedeutendste und grossartigste, welche das +hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, soweit +sie sich ueberhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des +alexandrinischen Hofes. Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die +griechische Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, +sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr +der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo +die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschoepflich waren, die Koenige +Tragoedien und die Minister Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und +Akademien florierten. +</p> + +<p> +Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem Gesagten. +Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer monopolisierte, +musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen Trennung des +europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter hinarbeiten auf die +Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes und also auf die +Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, waehrend umgekehrt Makedonien +und Asien zwar auch untereinander rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in +Aegypten ihren gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber +zusammenhielten oder doch haetten zusammenhalten sollen. +</p> + +<p> +Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem +Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom +suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere +und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan +suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im +kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am +suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen +Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen +Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte +Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug spurlos +voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen und +oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die in Asien an +die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte. +</p> + +<p> +Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der +Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne zwischen +Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische +Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig +gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer +Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, +jeder einem der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit +ihrem Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und +traten auf der “heiligen Staette” (Drunemetum) namentlich zur +Faellung von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung +den Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die +Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren +unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils die +umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder brandschatzten. +Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der allgemeine Schreck der +verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der asiatischen Grosskoenige selbst, +welche, nachdem manches asiatische Heer von den Kelten war aufgerieben worden, +und Koenig Antiochos I. Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren +hatte (493 261) zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden. +</p> + +<p> +Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte +es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den +Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war +im kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung der +materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung +und das Regiment eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren +wesentlicher Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen +festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen +Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz +trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den +syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter unter den +roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst +Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, das die +verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, +den Achaeern, entrissen hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig +zufiel, um 30 Talente (51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des +Hofglanzes und des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer +etwas vom staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik +gewoehnlich mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo +de’ Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, +und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des +Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr ab +gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. +</p> + +<p> +In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen an +der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra roemische +Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar makedonischen Gebiet +noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik zu verfolgen, die +Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen, die Boeoter und Athener im +mittleren Griechenland und die Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im +Peloponnes. Unter diesen waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und +Boeoter in vielfacher Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die +Akarnanen, weil sie der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch +makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. +Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer +mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten +zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader Linie +vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die Bewerber um +die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich +verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die +Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. +</p> + +<p> +Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu +werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren +voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese +unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von +Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. +</p> + +<p> +Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige +Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste +Zucht- und Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann +gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als +Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen, +dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man +Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem Landrecht. Die +Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem Nutzen sein koennen, wenn +sie ihm nicht durch diese organisierte Raeuberwirtschaft, durch ihre +gruendliche Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft und durch die +unselige Opposition gegen den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet +haetten. +</p> + +<p> +Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des eigentlichen +Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, Nationalsinn und +friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten Eidgenossenschaft. Indes die Bluete +und namentlich die Wehrhaftigkeit derselben war trotz der aeusserlichen +Erweiterung geknickt worden durch Aratos’ diplomatischen Egoismus, +welcher den Achaeischen Bund durch die leidigen Verwicklungen mit Sparta und +die noch leidigere Anrufung makedonischer Intervention im Peloponnes der +makedonischen Suprematie so vollstaendig unterworfen hatte, dass die +Hauptfestungen der Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und +dort jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren +Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, +namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen +Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und +antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. Einige +Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum, +das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er +stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen +er nicht bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der +Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine +Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen +Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften +besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea +waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam verhasst; +aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama +war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen. +</p> + +<p> +Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die freien +griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der +ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie +sind zugleich die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des +hellenischen Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders +Tode wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu +einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt +waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die +Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer; Kyzikos an der +asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin Milets, in engsten +Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich und vor allen Rhodos. Die +Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben +hatten, waren durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler +des Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige +Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der +Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle +vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und wenn es +galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit den Waffen +zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu gestatten, und +ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. +Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der +gegenueberliegenden karischen Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen +erworben hatten, und fuehrten ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit +Soeldnern. Nach allen Seiten hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem +aber mit Aegypten standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen +hoher Achtung bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der +Grossstaaten ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie +sich der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen, +Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den Seleukiden +entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige gab, wie zum +Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios, +Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. Alle diese waren im wesentlichen +frei und hatten mit ihren Grundherren nichts zu schaffen, als die Bestaetigung +ihrer Privilegien von ihnen zu erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen +Zins zu entrichten; gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald +schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei +waren die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos +nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben durch die +Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen Staedte gegruendet +hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre nachher zwischen Antiochos und +den Roemern nicht ueber die Freiheit der Staedte selbst gestritten ward, +sondern darueber, ob sie die Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig +nachzusuchen haetten oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in +dieser eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, sein +Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen verhandelte +und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen die monarchischen +Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb +hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn und buergerlicher Wohlstand +heimisch, und es gediehen hier Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste +Soldatenwirtschaft zertreten oder von der Hofluft korrumpiert zu werden. +</p> + +<p> +Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem +Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos +von Makedonien, veranlasst wurden, in die Verhaeltnisse des Westens +einzugreifen. Wie es geschah und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 +214-205) verlief, ist zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was +Philippos im Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem +geschah, was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder +einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist +als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien +damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein rechter +Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte +Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war +stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er +bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, +sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten, +wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz +gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und +gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter +Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang gefaehrlich. +Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, +die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand +fuerchte als die Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter +dieselben, denen sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer +darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das +Leben seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch +verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch +Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es +wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den Vater ermorden lasse, +auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass ihm nicht eigentlich die +Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm +gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den Menschen allein ertraeglich macht, +fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer +den absoluten Koenig kein Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so +schroff und grell zur Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die +wesentlichsten Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann +niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und +Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert, dass er +schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward und dass sein +unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und Widerraten ihn in +seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen Ratgeber von ihm +verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag, um die schwache +und schmaehliche Fuehrung des Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen, +laesst sich nicht sagen - vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst +gegen die nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst +Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und Eifersucht auf +Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein spaeteres Benehmen +nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen Saumseligkeit Hannibals +Plan scheiterte. +</p> + +<p> +Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) +in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich +kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet +keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah; es kann +auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte +und dass Philippos im stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern +verstaerkte. Allein sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im +Osten sich einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das +voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch nach +Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos keineswegs im +Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor haette tun sollen. +</p> + +<p> +Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos +Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen Nachfolger +Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die Koenige von +Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich vereinigt, um den alten Groll +der Kontinentalmonarchien gegen den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der +aegyptische Staat sollte aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, +Kyrene, Ionien und die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos’ +Art, der ueber solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, +nicht bloss ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, “eben wie die +grossen Fische die kleinen auffressen”. Die Verbuendeten hatten uebrigens +richtig gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des +naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen +Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf diese +als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo Karthago mit Rom +den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine von den ihm untertaenigen +Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord nehmen und an der thrakischen +Kueste hinauf segeln. Hier ward Lysimacheia der aetolischen Besatzung +entrissen, und Perinthos, das zu Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, +gleichfalls besetzt. So war mit den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den +Aetolern, die soeben mit Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute +Einvernehmen gestoert. Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine +Schwierigkeiten, da Koenig Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; +zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet +bezwingen. Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und +dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose +Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu besitzen +wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste +erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg +in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem +Koenig schnoede und arglistig vereitelt worden waren. Aber waere auch dies +nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem +Spiel. Unmoeglich konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle +aegyptische Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, +mit dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich +nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, dass es +hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen Freibriefe handelte, +sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. Schon war Lampsakos gefallen +und Thasos behandelt worden wie Kios; man musste sich eilen. Der wackere +Strateg von Rhodos, Theophiliskos, ermahnte seine Buerger der gemeinsamen +Gefahr durch gemeinsame Abwehr zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass +die Staedte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss +sich und erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der +hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos’ persoenlicher und +politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der aeolischen +Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der seinigen Chios und Samos +wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst vor Pergamon, das er indes +vergeblich berannte; er musste sich begnuegen, das platte Land zu durchstreifen +und an den weit und breit zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer +Tapferkeit zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, +um sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die +rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der +Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war geringer, allein +die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus und Philippos’ +Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er endlich. Fast die Haelfte +seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, wurden versenkt oder genommen, 6000 +makedonische Matrosen, 3000 Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, +2000 wurden gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 +Mann und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von +seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei +Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen +Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden hatte, +starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, waehrend +Attalos’ Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig bei Chios +blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb, seine Fahrt weiter +fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die karischen Staedte zu besetzen. An +der karischen Kueste lieferten die Rhodier, diesmal von Attalos nicht +unterstuetzt, der makedonischen Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen +bei der kleinen Insel Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide +Teile sich zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn +waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, besetzten +jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos die Kykladen. +Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland die Eroberung der +rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen Staedte; haette er +Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht vorgezogen, sich auf die +Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, so wuerde er jetzt selbst an +einen Zug nach Aegypten haben denken koennen. In Karien stand zwar kein Heer +den Makedoniern gegenueber, und Philippos durchzog ungehindert die Gegend von +Magnesia bis Mylasa; aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und +der Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu geben +oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte den +Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in der +Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und die +griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang. Die +Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos musste heute den +pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, und dann wieder gegen +seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu +Ende, und in der Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und +auch die des Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden +ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug +abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch +die Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler +und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr; +er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in +Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia, +Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in Karien +sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit +welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten, gluecklich die thrakische Kueste +zu erreichen und noch vor dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. +</p> + +<p> +In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm +nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. +Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre +Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese +Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie nach +der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten sich zu +unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil +fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser +Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff, +sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland +ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war +Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist +augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49 (206/05), der +sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern gewaehrte; allein wie wenig +man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, +beweist am besten die geringe und doch nie gegen Uebermacht zu fechten +genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der +Senat haette wohl eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den +Preis eines in Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie +ihm zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort +freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch nichts +weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen Frieden in der +bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer Zeit wieder zu beginnen, +und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der gruendlichen Erschoepfung des +Staats und der aeussersten Unlust der Buergerschaft auf einen zweiten +ueberseeischen Krieg sich einzulassen, der Makedonische Krieg den Roemern in +hohem Grade unbequem kam. Aber jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen +Staat, wie er im Jahre 549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen +lassen; allein unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil +des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die +neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. Es kam +hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die +Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel tiefe +Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig zusehen, wie +der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen Kontinentalmaechten +abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen Bundesgenossen aus dem Ersten +Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies die Ehrenpflicht zu wahren und zu +hindern, dass Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn +nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den +schuetzenden Arm ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; +die Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass +dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in +dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und +wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern das +Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in +ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empoert zu +fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, kommerziellen und +sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen, +einem der gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat +zur hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die +Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen +Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553 (201) +erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von +38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen +ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk gegenueber +notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen +waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos’ Art gering +zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom den +Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. Die roemischen +Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten sich zwar schon seit +laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein +roemischer Gesandter an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos’ +Scharen aus dem illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den +Gesandten des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn +frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts +als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte; +eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur Demuetigung +und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den saemtlichen +kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische Gemeinde dem Namen nach +in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. +Allein Rhodos und Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die +roemische Hilfe zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn +auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft +ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich +beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention zwar die +augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der grossen westlichen +Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer +Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen +Krieg mit Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um +so mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens in +die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig, +als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von +Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es die +Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten geschehen liess, +teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, +teils endlich den Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die +Koalition der griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende +553 201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der Hof +hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus aufnehmen, den +der Senat abgesandt hatte, um als “Vormund des Koenigs” dessen +Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche Intervention moeglich +war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp nicht auf und gab den +Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens +aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer, +in Syrien nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und +liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen. +</p> + +<p> +Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte aufs +neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die +saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos +besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen +Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an, +an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz von Sestos und +Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere Verbindung kam und nicht +mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach +oder aus Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das +schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos +beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und +Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier +gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter ueber bei +Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben +hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen, +den Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein +die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, +nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der +Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, +der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist +gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf die +roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und +Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem +Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der +Koenig solle gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die +dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den +Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein Schiedsgericht +gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur foermlichen +Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus +Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen +schoenen roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte +zugute halten wolle. +</p> + +<p> +Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer anderen +Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und grausamen +Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich +zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher +Erbitterung von Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, +konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht +weigern und gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und +mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika +einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es +liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden +Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen +den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine athenische +Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps auf einen alten +Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, +sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im +Fruehling 554 (200) seinen Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, +das attische Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. +</p> + +<p> +Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die +Kriegserklaerung “wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten +Staat” vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast +einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten +ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war +einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der Senat +unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward durch Vorstellungen und +Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswert, dass diese +Konzessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im +aktiven Dienst befindlichen Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen +roemischen Maximen - die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und +Sardinien, zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom +Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber entlassen; +nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg aufgeboten werden +duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene +Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst 555 (199) einen bedenklichen +Militaeraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten +wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien +blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, +gefuehrt von dem Konsul Publius Sulpicius Galba. +</p> + +<p> +So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die weitlaeufigen +und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war, +die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall +abhaengigen Beschluessen schlechterdings nicht mehr passten und dass deren +verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der +militaerisch notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung +der latinischen Bundesgenossen fuehrte. +</p> + +<p> +Philippos’ Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede +Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden +auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine +Schuld so untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder +nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps +natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden +und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen +Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse +daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt noch gab +eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen, wie bereit +der alexandrinische Hof sei, den Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu +intervenieren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene +Teilungsvertrag ueber Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern +in die Arme und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es +in die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit +Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter gestellt +waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon, +Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das Ihrige getan, um +den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber Philippos’ grausame und +vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu einem ungleichen Kampf gezwungen, +in den sie ihrer Selbsterhaltung wegen alles anwenden mussten, die italische +Grossmacht zu verwickeln. Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen +Gesandten, die dort eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt +waren, gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der +antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette +Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 +(206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs +aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, +die wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen +thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des +phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die +Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei den +Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten, +sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich +in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern. +</p> + +<p> +Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das makedonische +Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, Akarnanen, Boeotern +und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter unerschuettert zu Philippos +standen. Mit den Epeiroten verhandelten die roemischen Gesandten nicht ohne +Erfolg und namentlich der Koenig der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich +fest an. Sogar von den Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos +teils viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der +Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens (502-571 +252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen regeneriert, in +gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich selber wiedergefunden +und folgte nicht mehr, wie zu Aratos’ Zeit, blind der makedonischen +Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische Eidgenossenschaft, die von +Philippos’ Vergroesserungssucht weder Nutzen noch zunaechst Nachteil zu +erwarten hatte, diesen Krieg vom unparteiischen und nationalhellenischen +Gesichtspunkte an; sie begriff, was zu begreifen nicht schwer war, dass die +hellenische Nation damit den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese +es wuenschten und begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den +Rhodiern zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der +einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen +Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; die +achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste Philippos die +Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - es war das die Nemesis +fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht aendern konnten und nicht +helfen mochten, blieben neutral. +</p> + +<p> +Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit +seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten, +die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche +Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte. Indes +teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung des +roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts weiter +vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden +Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern +besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren, +namentlich mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem +Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu +nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet. +</p> + +<p> +Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 +leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den +Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem +Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento indes die +attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen Besatzung und die +makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und +erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in +Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt +wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff +erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, +die Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an Truppen, +um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach +Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf +nach Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die +Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Allein +die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich, so sehr der +Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, +des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes +noch einige Zeit in Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine +Erfolge gleich gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu +bringen; und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den +Peiraeeus sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als +seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der +Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und nach dem +Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem Fruehjahr 555 (199) +brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem Winterlager auf, entschlossen, +seine Legionen von Apollonia auf der kuerzesten Linie in das eigentliche +Makedonien zu fuehren. Diesen Hauptangriff von Westen her sollten drei +Nebenangriffe unterstuetzen: in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner +und Illyrier, in oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und +der Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her +sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme am +Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, die der +Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und durch die +fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an die Gebirgskette, +die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese uebersteigend, das +eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm entgegengegangen; allein in +den ausgedehnten und schwach bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich +die Gegner einige Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen +Provinz, einer fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen +Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager +schlugen. Philippos’ Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der +noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu +Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die +Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend und mit +Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt erhielten, +waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht +wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot +die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und die +Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin einige +Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, +sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes +aufzuschlagen, von wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber +auch hier wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und +der Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen +und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen war, +mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst das Pferd +verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner Reiter das Leben +rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die Roemer der bessere Erfolg +der von Galba veranlassten Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die +Schwaeche der makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet +moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere +Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den +Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er selbst dem +Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und ueberdies noch, um dieses +zu bilden, die Nordpaesse in der pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. +Fuer die Deckung der Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm +angeordnete Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen +Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos +und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte Flotte. +Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte Neutralitaet der +Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich dem Bunde gegen +Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen vereinigt in Thessalien +ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften +ueberschwemmten und die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra +aufbrechend, in den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, +der Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten. +</p> + +<p> +Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in oestlicher +Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der +Aetoler zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins +Verderben zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu +tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so +geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen, +seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die +Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu erreichen und +zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen einen heissen Empfang zu +bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten Stelle zur Schlacht. Aber die langen +makedonischen Speere erwiesen sich unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen +Terrain; die Makedonier wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren +viele Leute. Indes wenn auch Philippos’ Heer nach diesem ungluecklichen +Treffen nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu +wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen +Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck nach +Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens Eordaea, +Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron +(jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen +ergeben hatte - es war die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre +Tore oeffnete. Im illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an +den oberen Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem +aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen. +</p> + +<p> +Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht, sondern +wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen, die in der +Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des +Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und +noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, +retten. Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, die +in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der +Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der +leichten Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust +ueber die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel +aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und +Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber +die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des Sommers +verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die entschlossene +Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache +makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und wagte +nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen diese in die +Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und +Pergamener in die Heimat. +</p> + +<p> +Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich Glueck +wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst beschwerlichen +Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling aufgebrochen waren, und +ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler und die unerwartet glueckliche +Schlacht am Pass von Eordaea haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann +das roemische Gebiet wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall +ihren Zweck verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes +Gebiet vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich +vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze +gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern +zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den +Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte er +grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke dieser sich +dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des +Koenigs Attalos, der von den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes +beeilten sich nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten +Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos’ Gebiet geraeumt +ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen. +</p> + +<p> +Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder +Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der +Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des +verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten +Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die +atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos +(Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein +wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue +Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul des +vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) der +diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl fuehrte. +Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der +juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen Wesen auch den +altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing und zwar auch noch an das +Vaterland, aber mehr an sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter +Offizier und besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung +der schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere +es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf +einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein +Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen +noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit der +hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und kuenstlerischen +Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern +aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen nachzustreben. +</p> + +<p> +Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine Zusammenkunft, +waehrend die beiden Heere untaetig sich gegenueberstanden. Philippos machte +Friedensvorschlaege; er erbot sich, alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und +wegen des den griechischen Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen +Austrag zu unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen, +namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. Vierzig Tage +standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass Philippos wich oder +Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den Sturm anzuordnen oder den +Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige Expedition wieder zu versuchen. Da +half dem roemischen General die Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst +gut makedonisch gesinnten Epeiroten, namentlich des Charops, aus der +Verlegenheit. Sie fuehrten auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu +Fuss und 300 Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie +alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das +Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden +roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und Verschanzung und +gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass Tempel die Pforte des +eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab er auf bis auf die +Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht verteidigen konnte, +zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem +Verderben. Teils durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch +Flamininus’ geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom +makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht vom +Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die +Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die +festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von Philippos +Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden +sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo +in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese thessalischen +Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland +in den Haenden der Koalition. +</p> + +<p> +Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das +Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung +unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in +makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu spaet war, +um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte +gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen +und pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit beschaeftigt +gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen +und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder +aufgegeben und von dem makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs +neue besetzt wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, +dem oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der +anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in +der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend, namentlich +Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier ausersehen. Die +Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen Legionen sich naehern, auf +der anderen die roemische Flotte schon an ihrem eigenen Gestade sahen, +verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte, aber politisch unhaltbare +Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften +Staedte Dyme, Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss +dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere +Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer +vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth zu Lande +einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen +roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die +makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus +italischen Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast +uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer +Abteilung von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das +Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch +gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung +war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des Nabis von +Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er +nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich +hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur deshalb roemischer +Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 +(204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos’ +Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf +seine Seite zu schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von +Philippos an, allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit +Flamininus, welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg +begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und +Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte. +</p> + +<p> +So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich einen +billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea am Malischen +Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich und versuchte, mit +Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen, indem er den petulanten +Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und Feinheit zurueckwies und durch +markierte Deferenz gegen die Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner +von diesen ertraegliche Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet +genug, um durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen +die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten gelernt +hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht ging nicht so +weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen Einraeumung von Phokis +und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand zu und wies ihn in der +Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen Senat war man sich laengst einig, +dass Makedonien alle seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher +Philippos’ Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob +sie Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis +und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort die +Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des Krieges. Mit +Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so nachteiligen Wechsel des +Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das Kommando zu verlaengern; er +erhielt bedeutende Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber +Publius Galba und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu +stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um +Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und +Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf +6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des erschoepften +Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die Phalanx einreihend, ein +Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die +Beine brachte. So begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte +einen Teil der Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im +eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der boeotischen +Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen +Makedonien wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die +Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach +Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten +der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die +schon oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen, +indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika, +Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung +kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und +zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten, den Feind an der +makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt +hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm +entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. Beide +Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten +und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen +ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr +gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei +dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf +waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den +feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen +Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die +Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen +und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits +den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden +wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem +groessten Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich +vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager +zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht die +aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten haetten, bis +Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf +der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig +nach und ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder +Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu +besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der rechte +Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh genug dort an, +um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu stellen; der linke aber +war noch zurueck, als schon die leichten Truppen der Makedonier, von den +Legionen gescheucht, den Huegel heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen +Haufen rasch an der Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, +bis auf dem linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte +der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten Speeren +den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig die wieder +geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die Flanke fallen. Der am +guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der Phalanx zersprengte das roemische +Fussvolk, und der linke Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem +anderen Fluegel liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere +Haelfte der Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und +waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten +Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen, +gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der Roemer +ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen linken fertig; die +Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen, vernichteten die aufgeloesten +makedonischen Scharen. Waehrend hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand, +nahm ein entschlossener roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf +sich mit diesen auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen +linken verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im +Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und mit +dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen Aufloesung der +beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils gefangene, teils +gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene, weil die roemischen Soldaten +das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht +kannten; der Verlust der Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und +nachdem er alle seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, +raeumte er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck. +</p> + +<p> +Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch andere +Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen +die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen +dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward +von Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das +akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos war +vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben +sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. +</p> + +<p> +Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: sie +nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich Alexanders +vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies Begehren von +aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess das anders als den +Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten niederreissen? Schon war +waehrend des eben beendigten Krieges das bluehende Lysimacheia auf dem +Thrakischen Chersonesos von den Thrakern gaenzlich zerstoert worden - eine +ernste Warnung fuer die Zukunft. Flamininus, der tiefe Blicke in die +widerwaertigen Verfehdungen der griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht +die Hand dazu bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der +aetolischen Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine +hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso sehr +gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl verletzt war durch +die Prahlerei der Aetoler, der “Sieger von Kynoskephalae”, wie sie +sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es nicht roemische Sitte sei, +Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie ja ihre eigenen Herren und stehe es +ihnen frei, mit Makedonien ein Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig +ward mit aller moeglichen Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit +erklaert hatte, auf die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm +von Flamininus gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter +seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den +Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien +hinauszuschlagen. +</p> + +<p> +Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen Angelegenheiten ward +vom Senat einer Kommission von zehn Personen uebertragen, deren Haupt und Seele +wieder Flamininus war. Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie +Karthago gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in +Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; +dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige +unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward +- eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die die +Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem Charakter es +unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von ihm abgefallene +Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner verpflichtet, keine auswaertigen +Buendnisse ohne Vorwissen Roms abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen +zu schicken; ferner nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten +noch ueberhaupt gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer +ueber 5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu +unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos +mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu +senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den Legionen +zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von 1000 Talenten +(1700000 Taler). +</p> + +<p> +Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet herabgedrueckt +und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte, um die Grenze von +Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig +abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien +erfuhren, dass ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und +die ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, +nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre +Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten +Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; und +Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den Isthmischen +Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). Ernsthafte Maenner +freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und +was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute; doch war der Jubel +gross und aufrichtig, wie die Absicht aufrichtig war, in der der Senat die +Freiheit verlieh ^1. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift +“T. Quincti(us)”, unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in +Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist eine +bezeichnende Artigkeit. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen +Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, +fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land- +und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen +Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften im +westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm liess, und +die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer seine vielen +Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller +Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten +und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen +nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den +verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die +doch am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es +scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen +griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen +Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden +ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende; +sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie aufnehmen, +allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, +wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die +thessalischen Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften +geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos, +der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute. +</p> + +<p> +Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse Griechenlands, +sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten in sich. Die +dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern und Achaeern seit 550 +(204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den Roemern notwendig zufiel. Allein +nach vielfachen Versuchen, Nabis zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der +von Philippos ihm ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, +blieb Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen +Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer und auf +Antiochos’ Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung von Argos +beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf einer grossen +Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit der Flotte und dem +roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch einem von Philippos gesandten +Kontingent und einer Abteilung lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen +Koenig von Sparta, Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den +Gegner durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden +nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit Vernachlaessigung +der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst umstellt; allein der +gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. Nabis hatte eine betraechtliche +Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine +Herrschaft durch ein vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in +Masse der ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue +befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen Armee +und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm gestellten +verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen, verwarf “das +Volk”, das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte Raubgesindel, +nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege fuerchtend und getaeuscht +durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das +Heranruecken der Aetoler und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn +gebotenen Frieden, und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor +den Mauern und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern +erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur +Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende. +Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen, die Emigranten +wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die +bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. +Dagegen musste Nabis seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die +kretischen Staedte und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich +verpflichten, weder auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren +und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles +Raubgut wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine +Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte +an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im +Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der “freien +Lakonen” nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr +Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen angewiesene +Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre +Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden +sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die +freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die +Beseitigung des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der +Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen +Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass +Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie +es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische +Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen +den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas in den Achaeischen +Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der +Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der +Emigranten und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren +beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle eines +anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der +rechte, weil er beide extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer +gruendlich gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende +hatte und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde +unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte +und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war, +davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch unabsehbar sich +fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner Erfolge zu trueben; +moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der +Achaeischen Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der +erste Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig +wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten. +</p> + +<p> +Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen Staaten +Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden +gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre +makedonische Gesinnung selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus +Griechenland offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in +Philippos’ Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet +hatte, ward der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum +Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf +alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch +gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer warte, +beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich +dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward +demnach ermordet; worauf die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu +verfolgen, sondern auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen +Soldaten auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; +Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und +da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und +belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der Tat +liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen eine sehr +maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die makedonische Partei +fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer +knabenhaften Opposition nichts entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im +uebrigen Griechenland begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne +Gewalttaetigkeit anging, auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der +neubefreiten Gemeinden einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der +Reicheren und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die +staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde nach +Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der betreffenden +Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu knuepfen. Im Fruehjahr +560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus versammelte noch einmal in +Korinth die Abgeordneten der saemtlichen griechischen Gemeinden, ermahnte sie +zu verstaendigem und maessigem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und +erbat sich als einzige Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen +Gefangenen, die waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft +worden waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten +Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst +den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth, also die +Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt, +tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und +den befreiten Gefangenen in die Heimat. +</p> + +<p> +Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen +Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung +Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb der +grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte, einzig zu +suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen Aufloesung der +hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine maechtige Nation das +Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre Urheimat und als das Heiligtum +ihrer geistigen und hoeheren Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm +ploetzlich zur vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die +Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte +Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als +politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung +Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom +und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen +Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle +und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats +ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des +damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu erkennen, und +dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und gegeneinander gaerenden +ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch sich ruhig zu halten +verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, +war es vielmehr noetig, dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit +durch eine an Ort und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein +Ende zu machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren +Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In +Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht +veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte, die +roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den roemisch +gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher Weise sich +selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen dieser Halbheit. Der +Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne den politischen Fehler der +Befreiung Griechenlands, und er waere ungefaehrlich geblieben ohne den +militaerischen Fehler, aus den Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die +Besatzungen wegzuziehen. Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer +den impotenten Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/> +Der Krieg gegen Antiochos von Asien</h2> + +<p> +In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der +Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er +war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte +Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen +im Osten entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse +zu heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des +aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm +gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und +zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von Achaeos +diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat wieder mit der +Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich entbehrte syrische +Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im Jahre der Trasimenischen +Schlacht von Philopator bei Raphia blutig zurueckgewiesen worden, und Antiochos +hatte sich wohl gehuetet, mit Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange +dort ein Mann, wenn auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach +Philopators Tode (549 205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten +ein Ende zu machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und +hatte sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen +Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen +Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache +machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich brachten. +Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die +Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte +Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos’ leicht +vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das +Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer sich +allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen +Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, +wirklich, wie er sich nannte, dessen “Beschuetzer” zu sein; fest +entschlossen, sich um die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im +aeussersten Notfall zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den +Saeulen des Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig +machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als +getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen +ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern zu +unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen und +palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198) am Berge +Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn Skopas erfocht, +gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses Gebiets bis an die Grenze +des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte die aegyptischen Vormuender des +jungen Koenigs so sehr, dass dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten +abzuhalten, sich zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels +mit der Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also +das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem der +Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck- und 100 +offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen Besitzungen an +der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte +die aegyptische Regierung diese Distrikte, die faktisch in Philippos’ +Haenden waren, im Frieden an Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die +saemtlichen auswaertigen Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um +ueberhaupt die kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich +sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. +</p> + +<p> +Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an +Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien +wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den Freistaedten die +bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an Philippos’ Stelle +sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten. Unmittelbar aber sahen +sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos durchaus mit derselben Gefahr +bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte; +und natuerlich suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben +beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern +militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, +waehrend Attalos’ Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. +Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im +Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf +segelte, dass sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der +lykischen Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos +sich hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende +Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die +wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die Insel +Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den halbfreien Staedten +hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, allein einige derselben, +namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, Alexandreia, Trogs und Lampsakos +hatten auf die Kunde von der Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, +sich dem Syrer zu widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit +denen der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er +ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, schon jetzt +es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen Besitzungen in +Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer sich zu erobern und einen +Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen. +Die Roemer hatten insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu +willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich +dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg +waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer Verwendung, +die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch nach dem Siege sprach +man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden +gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit +der asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den +roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um sie +durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die gute +Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um +die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in +Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen +Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm und +laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die +Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem +Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien +ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser +Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig +Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit +der saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der Koenig +redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von +seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, +dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet +seines angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in +seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit +Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei +und es den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren ^2. +Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch die falsche +Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und die dadurch +hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, +beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, +geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) +kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und +beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne +Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte +landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm +zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom. Nichtsdestoweniger +zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus saemtliche roemische Besatzungen aus +Griechenland heraus. Es war dies unter den obwaltenden Verhaeltnissen +wenigstens eine arge Verkehrtheit, wenn nicht ein straefliches Handeln wider +das eigene bessere Wissen; denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass +Flamininus, um nur den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten +Hellas ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des +Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. Der +roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden Versuch, +Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen und jede +Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten fuer einen +politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in Griechenland, der +schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen des erbitterten +Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im +syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens +einer neuen Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein +musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der antiroemisch +gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich +weiter gesteckt haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht +geschehen lassen konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen +ignorierend, aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch +an den Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er +nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und vergass +seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen Eitelkeit, die Rom den +Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen die Freiheit geschenkt zu haben +wuenschte und waehnte. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, +S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den +roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und dem +Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden moege (όπως +συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν +[βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens nach der Auffassung der Bittsteller, +denselben gewaehrte und sie im uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten +wies. Von diesem erbitten dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung +und Briefe an die Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; +ueber den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die +Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und +Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und positiv +garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich bei den +hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um Verwendung bei dem +Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den Gesandten erteilten. +</p> + +<p> +Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische Legende +zurueckgehende “Bruederschaft” der Lampsakener und der Roemer und +die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen und Freunde +Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch die gemeinsame +Mutterstadt Phokaea verbunden waren. +</p> + +<p> +^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der syrischen +Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) setzt, in Verbindung +mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian (Syr. 3) und mit dem +wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 (193) setzen es ausser Zweifel +dass die Einmischung der Roemer in die aegyptischen Angelegenheiten in diesem +Fall eine formell unberufene war. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn +die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu dem er +seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der Feind zu +zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig von Aegypten +dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich seinem Schwiegersohn +die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter +aegyptischerseits behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls +blieb faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im +Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, +die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner +Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso +vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die +Galater durch Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und +andere kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden +ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte +erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie +Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen +wolle mit einer bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er +gab sogar zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier +zu unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und +hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein +Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine +Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 Reitern +erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und sodann in +Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte; tyrische Emissaere +gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte +endlich auf Erfolge der spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago +verliess auf ihrem Hoehepunkt stand. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere +Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) irrt, +wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden wir, dass um +567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach Alexandreia zahlen (Ios. +ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel geschah dies unbeschadet der +Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil die Mitgift der Kleopatra auf diese +Stadtgefaelle angewiesen war; und eben daher entsprang spaeter vermutlich der +Streit. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom +vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten +Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten +taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu +glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden worden +sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in Griechenland +einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg +bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung +gegen Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische +Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des +syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem +Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten +Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren wollten, +dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es +ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu +bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach +Flamininus’ Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein +sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch +den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und +nahm sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen, +schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil seines +Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in der +Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um +Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den +Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser +wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte +man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter +dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt +einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und die Stadt +besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau erschlagen; allein +als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die +Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann +nieder. Die Stadt liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den +Achaeischen Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also +verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den +entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den +Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser, +indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen +Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und Karystos auf +Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die Besetzung von Demetrias, da +die Magneten, denen die Stadt zugefallen war, nicht ohne Grund fuerchteten, +dass sie von den Roemern dem Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos +versprochen sei; es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter +unter dem Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition +gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen wussten. So +traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die Seite der Aetoler, +und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden geltend zu machen. +</p> + +<p> +Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht war, ihn +durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften hinauszuschieben, liess +sich nicht laenger vermeiden. Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, +der fortfuhr, im Senat in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort +zu haben, gegen die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische +Ultimatum ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach +seinem Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht +der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen zu +lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz und +Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch einmal +zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius und Publius +Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man sich getrennt mit +der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom +war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine +roemische Flotte von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius +Serranus vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den +Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste +wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein; fuer +den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet. Flamininus bereiste im +Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192) Griechenland, um die Intrigen +der Gegenpartei zu hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung +Griechenlands wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit +gekommen, dass die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen +gelang es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine +Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner +einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn +auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des grossen +Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er durfte jetzt nicht +laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die Roemer all die Vorteile +wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen +aus Griechenland zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe +und Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 +Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und +brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 +(192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das +nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein roemisches +Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also +war von beiden Seiten der Krieg begonnen. +</p> + +<p> +Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als +deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan +betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so traf +Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine grossartigen und +hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung +entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige +karthagische Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, +als sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte +eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und +nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel den +Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des +Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang es ihr, +den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf seine +Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu beherrschen +war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu +bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln +lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur +fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich +natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem Gesindel, +indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte. +</p> + +<p> +In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von +Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der +alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen +sollte. Er hatte Antiochos’ Anerbietungen nicht bloss beharrlich +zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, +von dem er die Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die +Rhodier und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten +trat auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, +welche man indes roemischerseits nicht annahm. +</p> + +<p> +In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien +einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, +sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos zu +vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche Ruecksichten +bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein +Hass viel mehr den treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den +gemeinschaftlichen Feind im Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil +an der Beute einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, +als seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam +hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten auf die +makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei Kynoskephalae +bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen Mann tief verletzte. +Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur +Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die +zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den +kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die Athener, bei +welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung +die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben +sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf +Antiochos’ Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der +benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen, +Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die makedonische +Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom +noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt, +mit den Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein +erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den +die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man +hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren +Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark wie ein +gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche +Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen +ein paar Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig +Waffenbruederschaft an. +</p> + +<p> +Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen +Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen +Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck; allein die +Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht davorrueckte, und +eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu besetzen, wurde beim +Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war fuer die Roemer verloren. Noch +machte schon im Winter Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen +einen Versuch, Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, +Pherae und andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von +Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des +Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis +zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner fuenfzig +Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen Chalkidierin Hochzeit +machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91), ohne dass Antiochos viel mehr +getan haette als in Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg +mit Tinte und Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr +563 (191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius +Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den +Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral Gaius +Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens, +und Lucius Valerius Flaccus, die nach altroemischer Weise es nicht +verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in +das Heer einzutreten. Mit sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und +Mannschaft, darunter numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa +gesendet, und die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten +bis zu 5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des +Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose +Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von Glabrios +Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst den Feldzug zu +beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in Asien Saumseligkeit +waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er +nichts hatte als das schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den +liederlichen Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen +Jahres bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen +hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn +nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die +Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem +makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen Staedten +hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul mit der +Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich in Larisa. +Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht +ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von +ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen +Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und +befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst Xerxes +gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen +Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen +2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht +keinen andern Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das +roemische Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg +postierten Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten +auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische +Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob +auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da +Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward +das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet; kaum dass +ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis +erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa war bis auf die +thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu +verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als +Entschaedigung fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des +Konsuls aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis +ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im +eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der +dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in +Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu +machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges +Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und +Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den Achaeern. Es +erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt hatte, dass auf die +Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts +ankomme. Selbst die Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia +eingeschlossenes Korps nach hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen +worden war, mit den schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die +strengen Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos +einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch einmal +abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in Naupaktos +auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und die Erstuermung +oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, fortwaehrend bemueht, +jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen ihres eigenen Unverstandes +und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen zu bewahren, sich ins Mittel +schlug und zunaechst einen leidlichen Waffenstillstand zustande brachte. Damit +ruhten in ganz Griechenland, vorlaeufig wenigstens, die Waffen. +</p> + +<p> +Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind, als die +weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr +bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos’ +kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im +eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der +See zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs in +Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen Griechenland und +Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen war, um die Zeit der +Schlacht bei den Thermopylen einen starken asiatischen Transport bei Andros +aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien +fuer das naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus +dem Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem +suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die +roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs +karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der syrische +Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe +entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe +erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der +tyrischen und sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu +Anfang zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu +versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und +nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass sie +nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens stiessen zu +der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in +diesen Gewaessern war nun zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt +sich seitdem ruhig im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer +zweiten Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte +fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen +von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters +fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer +suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: Smyrna, das +alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen, beharrlich +zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf und auch in Samos, +Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische +Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den +Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils +durch Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und +vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue +Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen +Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im +naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder +auf. Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel +stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos +beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und den +pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch +die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten. +Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde +von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral +Pausistratos, eingeschlaefert durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von +Antiochos abfallen zu wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln +lassen, er selbst war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf +rhodische und zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf +diese Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen +Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte teils von +Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit zwanzig neue Schiffe +der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, ward Polyxenidas abermals +genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos einzuschliessen. Da er die angebotene +Seeschlacht verweigerte und bei der geringen Zahl der roemischen Mannschaften +an einen Angriff von der Landseite nicht zu denken war, blieb auch der +roemischen Flotte nichts uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. +Eine Abteilung ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den +Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten +Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte, +die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als dieses +Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue Admiral Lucius +Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei +Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der +ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs +begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara +ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur +Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte +mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos +mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer +auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig +zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach +Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da +es dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien +verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem +Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren +kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen +Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen +Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal +geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die +stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer +zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in Pamphylien +traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in der Schlacht, die +die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber +die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und +Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte +Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche rhodische +Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte +Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die +roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der +pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben +anlangenden Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des +Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am +23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende +August 564 (190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und +Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und umzingelten +den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder +sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in +saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken dieses +Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des Koenigs Antiochos +und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten geschlagen worden und die +Roemer also “den grossen Zwist schlichteten und die Koenige +bezwangen”. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf +der offenen See zu zeigen und versuchten nicht weiter, den Uebergang des +roemischen Landheers zu erschweren. +</p> + +<p> +Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der Sieger +von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl fuehrte fuer den +nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig unbedeutenden und +militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die bisher in Unteritalien +stehende Reserve ward nach Griechenland, das Heer des Glabrio nach Asien +bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe befehligen werde, meldeten sich +freiwillig 5000 Veteranen aus dem Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter +ihrem geliebten Fuehrer zu fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit +im Maerz fanden die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen +Feldzug zu beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt +dessen sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern +verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus’ grenzenlose Ruecksichten +gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl gelassen +zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen Kriegskontribution und +unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die Waffen getrieben hatte; es +war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen +werde. Scipio beseitigte das unbequeme Hindernis durch Verabredung eines +sechsmonatlichen Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an. +Da die eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und +die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung +beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den +Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den Hellespont zu +gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig +Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von +Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich +in der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg laengs der +makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen Verlust +zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche +Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, +teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit +der Schlacht von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber +Scipios wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in +Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht +bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in Europa die +starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von der Besatzung und +der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen Einwohnerschaft raeumen +liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen aus Aenos und Maroneia +gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen Magazine zu vernichten, am +asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer nicht den geringsten Widerstand +entgegensetzte, sondern waehrend derselben sich in Sardes damit die Zeit +vertrieb, auf das Schicksal zu schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er +nur bis zu dem nicht mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette +verteidigen und sein grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio +genoetigt worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in +einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. +</p> + +<p> +Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage +stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten +zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte des +Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos bot die +Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen Besitzungen +sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen griechischen +Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die Aufgebung von ganz +Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren annehmbar gewesen, wenn das +Heer noch vor Lysimacheia oder auch diesseits des Hellespont staende; jetzt +aber reichten sie nicht, wo das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die +Versuche des Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer +Art den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner +Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche Rueckgabe +seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze Buerger dem +Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung Frieden zu schliessen. +In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig sich zu entschliessen vermocht, +den Krieg in die Laenge und in das innere Asien zurueckweichend den Feind sich +nachzuziehen, so war ein guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein +Antiochos, gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und +fuer jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine +ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto lieber +dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos bei Magnesia +am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190) die roemischen Truppen +auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann, darunter 12000 Reiter; die +Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und makedonischen Freiwilligen etwa 5000 +Mann bei sich hatten, bei weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges +so gewiss, dass sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea +zurueckgebliebenen Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das +Kommando uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, +bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, +die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der Myser, +Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die Sichelwagen; im +zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten, +eine Art Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und +kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 +Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand +und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum +der beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und +der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo +der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die +saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes fuehrte; die +Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die Schlacht damit, dass er +seine Schuetzen und Schleuderer gegen die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, +auf die Bespannung zu halten; in kurzer Zeit waren nicht bloss diese +zersprengt, sondern auch die naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; +schon geriet sogar im zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der +schweren Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen +roemischen Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die +im zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren +Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung geratenen +Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen durchgelassen hatte und +sich fertig machte, gegen die roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den +Angriff der Reiterei in der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und +nach beiden Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl +zustatten kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so +haette die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel +war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die +kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, +das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe +erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden Augenblick +die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit den Legionen +anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und Schleuderer, denen in +der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich +nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen +stehenden Elefanten scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das +ganze Heer sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, +misslang und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des +Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung +nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen +waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte, 24 +Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo +der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes. +Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten +Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht +gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu deren +Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf +nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber +nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines +Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der Muehe, +ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war +mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl +niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde +gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst +ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei +der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu +fuellen gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. +</p> + +<p> +Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die +Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die +roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu +keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt hatte. Die +politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt worden. Die griechischen +Freistaedte an der ionischen und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich +gleichartige pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen +Traeger der neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als +Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren +Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von +Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos +allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war unabweislich +eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der roemische Einfluss fortan +massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der +asiatischen Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten +Kelten. Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich +verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die +festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter der +kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher +sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der +hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist +erwachsen aus diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen +hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein +entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren +staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen +Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl der +uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten Abhaengigkeit +verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die Hellenen auch in Asien mehr +als ein Name sein sollte, so musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen +Klienten ein Ziel gesetzt werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz +und die damit verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch +viel mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in +der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet +gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den Kleinasiaten +ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue Oberherrlichkeit mit der +Tat einzusetzen. +</p> + +<p> +————————————————— +</p> + +<p> +^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit +hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom +erbaten, sondern auch Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst +Tolistoboger genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen +Inschrift CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind +wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges +diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16). +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den +Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf +gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat +vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel gegen +diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt; derselbe war +vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse, +so, wie es geschehen war, eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser +Politik. Ob das hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann +gewiss in Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den +Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war +die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie der +Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem rechten +Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit Antiochos +hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande +Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass +die Sendung einer roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen +Buergerschaft nur unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen +werden konnte und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles +dafuer sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen +Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus +und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der Feldzug in +das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von Ephesos auf, +brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander und in Pamphylien +ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die Kelten. Der westliche +Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf den Berg Olympos, der +mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen, +in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter +die Fremden zum Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer +und Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag +gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, +erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie +sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden sind, +die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des nordischen +Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die Zahl der +Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden Stellen ungeheuer. +Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu dem dritten keltischen Gau +der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an +welcher die damaligen Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten +innezuhalten. Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig +werden; die weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. +</p> + +<p> +Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den +Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen +Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von Geiseln, +darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach dem Mass der +Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten +(25½ Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf +Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines +gesamten europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner +Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von +der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm +in Vorderasien nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem +Patronat ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es +natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an +gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht, gegen die +westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines +Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das +Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu +befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt +Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines Verteidigungskrieges, +und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das Recht, in den westlichen Staaten +Werbungen zu veranstalten oder politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus +bei sich aufzunehmen. Die Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl +besass, die Elefanten und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich +befanden, lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel +eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu +Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer; +es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des +Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen +Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung +durch die Waffen begehrt hat. +</p> + +<p> +Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, +verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des roemischen +Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und +ihre Inhaber Artaxias und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. +</p> + +<p> +Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den +Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600 +Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines +Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. +</p> + +<p> +Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die +Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber die +Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen Staedte +hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht, diese allerdings +allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit goldenen Kraenzen und den +transzendentalsten Lobreden zu vergelten. +</p> + +<p> +In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da +hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa +kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen. Allen +griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei und den +Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit +Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die +verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die +Staedte Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von +Aeneas’ Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios, +Kolophon, Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die +Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt +zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie +fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den +meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies +Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich +Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil +von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in +seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die bisher +genossene Zollfreiheit. +</p> + +<p> +Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die +Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege +bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall der +entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein Koenig seinen +Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa den Chersonesos mit +Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon besass, die Provinzen +Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und Sardes, den noerdlichen Streif +von Karien bis zum Maeander mit Tralles und Magnesia, Grossphrygien und +Lykaonien nebst einem Stueck von Kilikien, die milysche Landschaft zwischen +Phrygien und Lykien und als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt +Telmissos; ueber Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos +gestritten, inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und +also jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft und +das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht unbeschraenkt +die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, dass den Staedten ihre +Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht werden solle. Ferner musste +Antiochos sich anheischig machen, die 350 Talente (600000 Taler), die er dem +Vater Attalos schuldig geworden war, dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit +127 Talenten (218000 Taler) fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu +entschaedigen. Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von +Antiochos abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt +wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war das +Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was Numidien in Afrika +war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit absoluter Verfassung, +bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien in Schranken zu halten, ohne +anders als in ausserordentlichen Faellen roemischer Unterstuetzung zu +beduerfen. Mit dieser durch die roemische Politik gebotenen Schoepfung hatte +man die durch republikanische und nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene +Befreiung der asiatischen Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die +Angelegenheiten des ferneren Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest +entschlossen, sich nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die +Bedingungen des Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte +Weigerung des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie +erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem festgestellten +Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen zu erwerben. Nachdem +die roemische Flotte noch eine Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung +der dorthin in die Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen +Flotte und Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das +wieder durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs +von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten +nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon +beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, +zusammenzufinden pflegten. +</p> + +<p> +Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg +erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer noch +nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten nach dem im +Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen Waffenstillstand nicht bloss +durch ihre kephallenischen Korsaren den Verkehr zwischen Italien und +Griechenland schwierig und unsicher gemacht, sondern vielleicht noch waehrend +des Waffenstillstandes, getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand +der Dinge in Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen +athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten +aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, wobei der +Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass hiernach Rom ihre Bitte +um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er +traf im Fruehling 565 (189) bei den Legionen ein und nahm nach +fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle +Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die +Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von +eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten +Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab und +gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und tueckischen Gegnern +gegenueber billig genannt werden muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und +Gebiete, die in den Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches +infolge einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und +selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten +sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen und +wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms abhaengig; +endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia setzte sich auf eigene +Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst, als Marcus Fulvius auf der +Insel landete; ja die Einwohner von Same, die befuerchteten, aus ihrer +wohlgelegenen Stadt durch eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen +nach der ersten Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche +Belagerung aus, worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich +in die Sklaverei verkauft wurden. +</p> + +<p> +Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die italischen +Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden +Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen +Seestationen am Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige +Laendererwerb kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten +derselben, Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den +ihnen an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund +verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen +Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und der +Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen Beistand +ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem er ihm den noch +rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm zuruecksandte; allein +Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing er nicht. Er erhielt das +magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den Aetolern abgenommen hatte; +ausserdem blieben tatsaechlich in seinen Haenden die dolopische und +athamanische Landschaft und ein Teil von Thessalien, aus denen gleichfalls die +Aetoler von ihm vertrieben worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland +in makedonischer Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos +und Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der +Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht schwer zu +erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa empfing, um nicht +bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung +des stolzen und in vieler Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein +es war nicht Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche +politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht +ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt hatte: +man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen Karthago, sich +vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht wiederkehre. +</p> + +<p> +Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen +Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz in ihre +Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach der Vertreibung +der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen +beigetreten waren. Die Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar +geduldet, dass man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom +verfuhr. Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu +unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese +darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu +fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich +unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als unpassend +seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen Nachgiebigkeit gegen die +Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren Willen getan. Allein damit hatte +die Sache kein Ende. Die Achaeer, von ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht +gepeinigt, liessen die Stadt Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges +besetzt hatten, nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede +ihrer Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten +Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur widerwillig +gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig Flamininus’ +guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie glaubten es sich +schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates um so mehr zur Schau zu +tragen, je weniger daran war; man sprach von Kriegsrecht, von der treuen +Beihilfe der Achaeer in den Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen +Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, +da Achaia ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also +gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das +alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel +laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und ein noch +tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu +gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen +nichts gab als die Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch +den hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle +zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist +ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder +eine Torheit und eine wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all +jener nationalen Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum +letzten Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach +Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem Himmel, +wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der Senat zu verstehen +gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig nachzugeben, um es nicht gezwungen zu +tun; man tut, was man muss womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden +Weise, “um die Formen zu retten”; man berichtet, erlaeutert, +verschiebt, weicht aus, und wenn das endlich alles nicht mehr gehen will, so +wird mit einem patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch +wo nicht auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf +entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft +vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen +solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn +doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die die +gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten +Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie die +Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern bringen. Der +von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel +wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in +Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten, welche +politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die Roemer trugen den +Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen -, sondern die Griechen +ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die Achaeer, die ueber ihren +Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten +es gewesen, dass Flamininus die aetolisch gesinnten Staedte nicht der +Eidgenossenschaft einverleibt hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich +eine wahre Hydra inneren Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder +dieser Gemeinden in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, +darunter charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die +Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen Bunde in +Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten Emigrierten von +dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen +Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und +zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen +von Nabis mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft +verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis +gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt, die +Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern niedergerissen +wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward dann zuletzt von allen +Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung, +die die gerechte Strafe fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit +entfernt, sich zu viel in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat +nicht bloss die Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit +musterhafter Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit +straeflicher Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, +als nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat +darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die Lakedaemonier +geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert ueber den von den +Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig bis achtzig Spartanern, +der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die Spartaner nahm - freilich ein +empoerender Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines unabhaengigen +Staates! Die roemischen Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um +diese Suendflut in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen +ueber die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des +Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien +aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam der persoenliche +Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmaenner in Rom machten; +selbst Flamininus schuettelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas +vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so +weit, dass dem Senat zuletzt die Geduld voellig ausging und er die +Peloponnesier dahin beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie +machen koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht +recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische +Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand +herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat +ging, um ihn ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine +folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas +weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik +wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. +</p> + +<p> +So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten +von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein +Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein +Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der erst den +ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und +der vielleicht nur gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an +der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten muessen, +den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach +Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, +beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie +immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den +Prusias zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie +erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der +roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl +aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt, +scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in seiner +unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte, auf seine +eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten, so Rom von +Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar +nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu +richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte +sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit +zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein Haus +von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst darauf, +fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige. +Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte +des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt +Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade genug +gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch selber seine +letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt +zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand +gleichwie der Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein +imstande war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, +als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den +Knabenschwur gehalten. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs Artaxias +die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; Plut. Luc. 31), ist +sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie Hannibal, fast wie Alexander, +mit den orientalischen Fabeln verwachsen ist. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den +die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das +Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt +blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien, Afrika, +Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die erste Gemeinde +Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt. +Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen +Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten +Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in +freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche nicht in +der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in der seine Ahnen +ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die +Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und +mehr noch gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel +nichtige Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; +obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher, +statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der +Anklaeger zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu +begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess +den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies +der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein +anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr entschiedene +Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwaertigen +Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der +echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem +Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber +gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold und schimmerndem +Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes +und des Glanzes der Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn +dieser Zauber zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der +Zauberer selbst erwacht. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/> +Der Dritte Makedonische Krieg</h2> + +<p> +Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die Behandlung, die er +nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern erfahren hatte; und der weitere +Verlauf der Dinge war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine +Nachbarn in Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor +dem makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem +roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht +all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos’ des Zweiten Zeiten +von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile +antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft auf den +Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen +Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden +worden, was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler +angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der Magneten, +wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der thessalischen +Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen, +den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem +Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe. Auch die +Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die +Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich +Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische +Chersonesos ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose +geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias +gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes +Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von +Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen +oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil stets gegen ihn +ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen +und perrhaebischen Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen +Kommissare hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles +vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert gegen +Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn +sogar geneigt; man verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die +Formen, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von +Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer +Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach +seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem +ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern +persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts +gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn +schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen. +Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass +den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen +Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der +Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl +gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos’ Gunsten zu tun, und +hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien +in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos politisch und persoenlich +aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, die unter allen oestlichen +Maechten am meisten dazu beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu +zertruemmern und die roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die +Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit +Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten +muessen, hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des +Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der +makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat +an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient +war. +</p> + +<p> +Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein weiser und +sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich entschlossen, den ungleichen +Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; allein Philippos, in dessen Charakter +von allen edlen Motiven das Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am +maechtigsten waren, war taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der +Resignation, und naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu +werfen. Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den +thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, antwortete er +mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne nicht untergegangen +sei ^1. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102). +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse +eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie +bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung +gegeben haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er +sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann +eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und +die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia, +buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien der +Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos’ Geheiss bewirkte sein +juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige +Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich +Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien +eine roemische Partei zu bilden, die Philippos’ natuerlich den Roemern +nicht unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte zu +deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren, +leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit +absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes +willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen Hause +selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs aelterer und vom +Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus +in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint +nicht, dass Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der +falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da +beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes +Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise +erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige +und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu spaet +erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der Tod ereilte +ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von der Thronfolge +auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in Demetrias, im +neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er zerschmettert, das +Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er sich ein, dass all seine +Muehsal und all seine Frevel vergeblich gewesen waren. +</p> + +<p> +Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem +roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen +Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, +gleich seinem Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. +Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments +nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig +und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten +zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom Schicksal +verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in seinem +einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen worden war in +den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen war im Druck der +Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte +er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine +Hoffnungen. In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des +vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum +Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht die +Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit Stolz sah die +stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend +stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen +aller Staemme meinten in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen +Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte +Philipps Genialitaet und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen +Eigenschaften, die das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende +Macht der Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die +Dinge gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und +ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit +unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was er +angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit +entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es beschraenkten +Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er haeufte Schaetze auf +Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer im Lande standen, vermochte er +nicht von seinen Goldstuecken sich zu trennen. Es ist bezeichnend, dass nach +der Niederlage der Vater zuerst eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem +Kabinett zu vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich +einschiffte. In gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag +so gut und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht +geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn +nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte. +</p> + +<p> +Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus +der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch +den Hader politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der +monarchischen Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank +beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen +herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen +mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer +und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters +brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig +Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung teils von +selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer als fuer den +eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos +hielt die Makedonier an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die +Kuestenstaedte, aus denen er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen +Kolonisten von zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die +verheerenden Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden +eine Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an +das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in den +noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer Makedonien, +wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal gruendete. Die +Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und die Mietstruppen zu +rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den bestaendigen Grenzkrieg +gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, dass Philippos nicht wie +Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu organisieren; allein es begreift +sich, wenn man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, +aber doch noch immer unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen +Finanzquellen, die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen +hatte, und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz, +die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im +makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und fuer +10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in +den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso lange Zeit (18 Mill. +Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer ein dreifach so starkes +Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war Makedonien ein ganz anderer +Staat geworden, als da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom +ueberrascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen mindestens +verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es +vermocht, Rom bis in seine Grundfesten zu erschuettern. +</p> + +<p> +Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der Natur der +Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von Antiochos wieder +aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze einer Koalition aller +unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu stellen; und allerdings gingen +die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. +Dass die Treue der Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte +weder Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der +Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen +makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa in Rom +denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige Maenner nicht +erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich ist, voellig erfunden +waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch +Zwischenheiraten in das makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei +weiter nichts heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die +Laender mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den +Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten +Perseus’ Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo +er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der +saubere Plan misslang. +</p> + +<p> +Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und +die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die +alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken +durch einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen +Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der +ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem +Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse +bereits erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen +auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist +mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung +Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos’ letzte Zeit faellt (573 +181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen +Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an dem +verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen naechstwohnenden +Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen und der ganze Haufen +ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden Eise der Donau. Der Koenig +suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen des illyrischen Landes, des +heutigen Dalmatiens und des noerdlichen Albaniens, seine Klientel auszubreiten. +Nicht ohne Perseus’ Vorwissen kam einer derselben, der treulich zu Rom +hielt, Arthetauros, durch Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, +der Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater +in Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf +einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus mit +dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem Einverstaendnis +stehe und Genthios’ Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten. +</p> + +<p> +In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu stand der +maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr +des ganzen oestlichen Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros +(Maritza) bis an den mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge +und tapfere Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren +Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer, +Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten Raubzugs von +Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hierher hatte Philipp +zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger +Zahl zu Gebot. +</p> + +<p> +Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus +lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft +gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte den Ausdruck - +die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu bringen versuchte. Dass +alle national Gesinnten unter den asiatischen wie unter den europaeischen +Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht +wegen einzelner Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die +Herstellung der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in +sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, +dass die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer +Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter Auslaender +hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und rechtschaffensten +Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen, war in der Ordnung; +roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hier und da ein einzelner +ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der +Nation nicht taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, +der Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich +behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; +vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit +wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste vernehmen, +dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines schoenen Tages im +ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle frueher ihm errichteten +Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln eingeschmolzen habe (584 170), waehrend +Perseus’ Name auf allen Lippen war; waehrend selbst die ehemals am +entschiedensten antimakedonisch gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die +Aufhebung der gegen Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend +Byzantion, obwohl innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von +Eumenes, sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und +empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss; +waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine +syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich nicht +zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her +zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum +Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte, +also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten +geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte schien +wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der Koenig Perseus +unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen +sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese +nationale Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in +der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische +Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der +Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der +beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im europaeischen +Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas besser geordneten +Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam +vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu +machen, so zum Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den +Perrhaebern, den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden +sich foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen +Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung +verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine Anzahl +von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer versuchten zu +vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter Sache zurueck und +meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die Erbitterung nicht zu +bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes mehr als der Offizier und +der Scharfrichter; der sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu +werden, wie er von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber +bemaechtigte sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die +nichts, am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess +nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern +liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche saemtliche +wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer Schulden wegen +landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach Makedonien zu kommen und +volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und Gueter zu gewaertigen. Dass sie +kamen, kann man sich denken; ebenso dass in ganz Nordgriechenland die glimmende +soziale Revolution nun in offene Flammen ausschlug und die national-soziale +Partei daselbst um Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet +nur mit solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer +Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises +wert sei. +</p> + +<p> +Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es Zeit sei, +dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des thrakischen Haeuptlings +Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis stand, die Buendnisse Makedoniens +mit den Byzantiern, Aetolern und einem Teil der boeotischen Staedte waren +ebensoviel Verletzungen des Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das +offizielle Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im +Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und +Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) +sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich +unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem roemischen +gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom +mit einem langen Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im +Senat auf, worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die +Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen +versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren +Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck +koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis +mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben +an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit +war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus +wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei +ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende +roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und den +Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon vor dem Ernst +der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular +Quintus Marcius Philippus, ueber die Frivolitaet der roemischen +Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und sich durch diese bestimmen, den +Angriff zu verschieben und noch einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, +den, wie begreiflich, der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher +Makedonier aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die +Senatoren der aelteren Schule die “neue Weisheit” ihres Kollegen +und die unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter +verfloss, ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen +Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu +berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei +daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war noch +ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen +Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen; und ueberdies +war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, +die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen +inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der +roemischen Gesandten gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als +die Roemer selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die +Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs +tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer +Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae, +Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die +Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen +Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener, dass sich +am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und welche nicht, wenn +jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische +Eidgenossenschaft geradezu auseinander. Es ist nicht wahr, dass +Epaminondas’ grosser Bau von den Roemern zerstoert worden ist; er fiel +tatsaechlich zusammen, ehe sie daran ruehrten, und ward also freilich das +Vorspiel fuer die Aufloesung der uebrigen, noch fester geschlossenen +griechischen Staedtebuende ^2. Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten +boeotischen Staedte belagerte der roemische Gesandte Publius Lentulus +Haliartos, noch ehe die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte +uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung Korinths +(Paus. 7, 14, 4; 16, 6.) +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit epeirotischer +Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen +Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die +Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus +sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines +eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im +Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist +zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch +wenn er soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen +Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen +Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, +Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das +mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe +an, welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine +Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln +nach Rom. Perseus’ Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb +neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von +Syrien, im Kurialstil “der Gott, der glaenzende Siegbringer” +genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem “Grossen”, ruehrte +sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges +das syrische Kuestenland zu entreissen. +</p> + +<p> +Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht +veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten +und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils Soeldner. +Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen 30- und 40000 Mann +italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann numidischen, ligurischen, +griechischen, kretischen und besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die +Flotte, die nur 40 Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand +- Perseus, dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, +richtete erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann +Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken +bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul +Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um +von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie +gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran, +den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien +einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete er den +Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den beiderseitigen +Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden entschieden geschlagen. Kotys +mit der thrakischen Reiterei hatte die italische, Perseus mit der makedonischen +die griechische geworfen und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, +2000 Reiter an Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich +gluecklich schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. +Perseus benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten +hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er bereit. +Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden nach einer +Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings folgeweise den +Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes anzugreifen verstand der elende +roemische Feldherr auch nicht; man zog hin und her in Thessalien, ohne dass +etwas von Bedeutung geschah. Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die +Roemer schlecht gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht +durch Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen +glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen Insurrektion +der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines Guerillakrieges +unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein guter Soldat, aber kein +Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Verteidigungskrieg gefasst +gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen +unbedeutenden Erfolg, den die Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei +Phalanna davontrugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten +und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und +Thessalien zu raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken +einer hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen +lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden +Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig +Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch gesinnten +Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hinausschlagen. Dagegen +nahm die roemische Westarmee einige illyrische Staedte, und der Konsul +beschaeftigte sich damit, Thessalien von den makedonischen Besatzungen zu +reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von +Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut +die ungluecklichen boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner +sowohl von Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral +Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore +schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft, +Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso behandelt. +Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter +diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten +Feldzug 584 (170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen +nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso +unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen +Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius +Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, +erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien +hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit +den an der Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee +entbehrlich gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche +Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit dem +Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, +waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er +vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee +machte ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die +thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden schlaff +angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte +der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen +Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier +erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die Abteilungen daher +niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die +Offiziere im grossen Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten +Voelkerschaften wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die +Schuld der schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei +der aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur +Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. durch +falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte wurden, als +waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und wenn sie auf den +roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet oder zu Sklaven +verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis. Der Senat schritt sehr +ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung der ungluecklichen Koroneier und +Abderiten und verbot den roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats +Leistungen von den Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der +Buergerschaft einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das +Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein +Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum +wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft +gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus’ +Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der +Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen begonnen +haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets von seinen Gegnern +ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und +Westen eine wahre Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu +verschanzen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die +Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.; AM 4, +1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese Verhaeltnisse. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, Quintus +Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund des Koenigs, war +seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig +und unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass +Lapathus westlich von Tempe den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu +gewinnen, dass er gegen die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess +und mit der Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich +bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss konnte +eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen +Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand er mit der +makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark befestigten +Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale Strandebene und +ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren, in einer nicht minder +verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten Konsulat in den ligurischen +Engpaessen, die seitdem seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte +umzingeln lassen. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt +Perseus’ Unfaehigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen +die Roemer anders als durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er +sich seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben +erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu +verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser freiwillige +Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch nicht aus seiner +peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste aber nach vier +Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; +und da auch der Koenig zur Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die +verlassene Position wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse +Gefahr geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe +kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die +Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert; +aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten Stellung an dem +Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert und hemmte hier den +weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das roemische Heer den Rest des +Sommers und den Winter eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und +wenn die Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste +wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der +Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen +Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und +richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus’ leichte Schiffe streiften +kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten +Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand +es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung +nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die +Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von +Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, +mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf +uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder +zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der +bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen Rom +einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der +nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu +trennen vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken +koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso +viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; +allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es +so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen +Kasse leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu +geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig. +</p> + +<p> +Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland zu +senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen Konsuls, der +bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem Vermoegen und deshalb +auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem Schlachtfeld, wo er in +Spanien und mehr noch in Ligurien sich ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte +das Volk fuer das Jahr 586 (168) zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste +wegen, was damals schon eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung +der rechte: ein vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich +und seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein +unbestechlicher Beamter - “einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen man +kein Geld bieten konnte”, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein Mann von +hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit benutzte, um +Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. +</p> + +<p> +Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess er, +waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier +beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius Nasica +ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach Pydna +zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder am 22. Juni des +Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein kundiger roemischer +Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses Anzeichen darin gefunden +werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der +Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten handgemein, und beide Teile +entschlossen sich, die eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte +Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend +ordnete der greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so +stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch +manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert +habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward +niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, +bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier +wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung hatte die +Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede +Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die makedonische +Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald +sich in Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in +weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000 +erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten Mann; es +war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, +hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen +auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am +fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte; ganz +Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete mit seinem Golde +- noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach +Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch +einen ermordete, den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes +versuchten Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch +die koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, +dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich +an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So +schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er sich +darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte auf Gnade +und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen Schaetzen, +kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und +mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend +empfing der Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr +heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in +Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben +italischen Landstadt als Schreiber. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben +verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs +getoetet, ist sicher eine Fabel. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und +hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. +</p> + +<p> +Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch +der Krieg gegen den “Koenig” Genthios von Illyrien von dem Praetor +Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte +genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des +grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen in Rom +ein. +</p> + +<p> +Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren duerfe, +die Flamininus’ unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte. Makedonien ward +vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon verfuegte die roemische +Kommission die Aufloesung des festgeschlossenen, durch und durch monarchischen +Einheitsstaates in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften +zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von Amphipolis in +den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der chalkidischen +Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und den von Pelagonia im +Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen der verschiedenen +Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte in mehr als einer +derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene +Soehne mussten das Land verlassen und sich nach Italien begeben, bei +Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten +Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens +bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und +innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen +gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den +Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, +ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138) +wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die Einfuhr von +Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die bisher an den Koenig +gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den +Gemeinden ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte +der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, +zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das +ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; +nur an der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren +bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde +nach Rom gesandt, der Rest verbrannt. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke +wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. +Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also +blieben entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren +verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens +(Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze +Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl +derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr energischen +Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des alten Koeniggeldes. +</p> + +<p> +^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der +“herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward” (Polyb. 37, +4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser Steuer +angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios’ Worten, +dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der +der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die +augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem +Erlass der Steuer vereinigen lassen. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den Ruf +von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen, und ist +uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne Geschichte geblieben. +</p> + +<p> +Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei kleine +Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die Haelfte der +bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es +mit den Roemern gehalten hatten und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine +Ausnahme, die zu machen Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische +Piratenflotte ward konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an +dieser Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den +Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens +auf lange hinaus ein Ende. +</p> + +<p> +Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu +brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. +</p> + +<p> +So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von +dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, +ein Koenig nirgend mehr vorhanden. +</p> + +<p> +Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu +zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen hellenischen +Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie +miteinander in dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst +mag sich rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen +die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht +nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist. +Am schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom +geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und dessen +man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich +der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes +einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung +zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die +Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber +ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine +Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm +500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an +Perseus’ Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische +Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins +Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung +gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur +irgendeine heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente +Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172) +zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus’ Banditen +ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten +eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er ueberdies nie +ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil an der Beute seinem +Moerder um einige Talente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche +Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, +sondern sehr albern gelogen. Dass kein Beweis weder in Perseus’ Papieren +noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, +jene Verdaechtigungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man +wollte, zeigt das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes’ +Bruder, der die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. +Mit offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und +aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten - gern +werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat nichts als Aenos +und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine vorlaeufige Bitte sei und +gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er aber abreiste, ohne weitere +Forderungen gestellt zu haben, und der Senat zu der Einsicht kam, dass die +pergamenische Regentenfamilie unter sich nicht so lebe, wie es in den +fuerstlichen Haeusern hergebracht war, wurden Aenos und Maroneia zu +Freistaedten erklaert. Nicht einen Fussbreit Landes erhielten die Pergamener +von der makedonischen Beute; hatte man nach Antiochos’ Besiegung +Philippos gegenueber noch die Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen +und demuetigen. Um diese Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz +Eumenes und Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. +Wichtiger war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des +Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien +vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen +Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne Zweifel +rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene Spannung, wenn +nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich +ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische +Vermittlung; der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, +der das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden +nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er +erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht +erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater +von dem Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss +sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren. Da +beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige +kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach +Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn +zu fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise +gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, +weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche +der halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann +die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. +</p> + +<p> +Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie +standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen +Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder Art +einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug zu leisten. +Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr Einverstaendnis mit +Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten Zerwuerfnisse mit Rom +hatten stattgefunden infolge des Aufstandes der nach Antiochos’ +Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178) +als abtruennige Untertanen in grausamer Weise knechteten; diese aber +behaupteten, nicht Untertanen, sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und +drangen damit im roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den +zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes +ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste +getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen wie +anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus ausbrach, sahen ihn +die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen Griechen ungern, und +namentlich Eumenes als Anstifter desselben war uebel berufen, so dass sogar +seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein +dies hinderte sie nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die +es wie allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch +585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist +die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor der +Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier und im +roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht laenger diesen +Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel und auf die +Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu +schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende +bereits mit Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen +haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese +wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, +als man in Rhodos den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere +Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul +Quintus Marcius, jener Meister der “neumodischen Diplomatie”, im +Lager bei Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen +Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht +hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit +taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette gern +zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt - Verbindungen mit +Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten +mehr, als sie sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel +groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame +Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute +Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger +Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu +beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber das andere +kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des +einen Verstosses zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der +makedonischen Partei auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen +schweren Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der +ehrliche Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen +haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und +ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles +erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine Worte und +Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre Besitzungen auf +dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120 Talenten (200000 Taler) +abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon +die Verbote der Salzeinfuhr nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus +Makedonien scheinen gegen Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den +rhodischen Handel die Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische +Hafenzoll, der bis dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen +hatte, sank in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt +aber waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und +kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. Selbst das +erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 (164) nach +wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber machtlosen Kreter +kamen mit einem derben Verweis davon. +</p> + +<p> +Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war +Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der +Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der syrischen +Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von Babylon indes, der +sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte. Wie es scheint, gab die +Anweisung der Mitgift auf die Steuern der koilesyrischen Staedte die +Veranlassung zu dem Hader und war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch +des Krieges veranlasste der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem +spaetestens die Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten +begonnen zu sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die +Gelegenheit gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die +Erwerbung Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch +einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm +guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor, der Sohn +jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten und war schlecht +beraten; nach einem grossen Sieg an der syrisch-aegyptischen Grenze konnte +Antiochos in demselben Jahr, in welchem die Legionen in Griechenland landeten +(583 171), in das Gebiet seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in +seiner Gewalt. Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors +Namen, sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm +deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle den +juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig. Unruhen in +seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten ab; als er zurueckkam, +hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich miteinander vertragen, und er +setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht +lange nach der Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte +Gaius Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des +Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu +raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe +einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis +ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach seiner +Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der er war, die +Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des +Paullus zu parodieren. +</p> + +<p> +Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch die +Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre +Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so +machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten +Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend +fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das +barsche Wort eines Diplomaten entschied. +</p> + +<p> +In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die +boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter +zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig +Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, +150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die +Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die +fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss +Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um +die oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil +ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die +Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch +ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus’ Heer gedient +hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des +Koenigs oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen +Gegner konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos +zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten +unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der +Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so sehr +den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die kindische +Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich +sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, +erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der +Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien +bleiben wuerden. Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich +gehalten, Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage +der aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge +einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der ertraeglichste +und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig zufrieden damit, dass +man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es deshalb zweckmaessig gefunden, +in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 der vornehmsten Maenner der aetolischen +Patriotenpartei niederstossen zu lassen; die roemische Kommission, die den +Menschen brauchte, liess es hingehen und tadelte nur, dass man diesen +hellenischen Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. +Aber man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes +italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen +Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder Pergamon +bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht, sondern was man +tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im roemischen Sinne, zu ueben und +die aergerlichsten Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen. +</p> + +<p> +Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen Klientel +vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich Alexanders des Grossen, +gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe geworden, an die roemische +Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten stroemten die Koenige und die +Gesandten nach Rom, um Glueck zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals +kriechender geschmeichelt wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig +Massinissa, der nur auf ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu +erscheinen, liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den +Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches +betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig +lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien +aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem +Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat gefuehrt +ward, und huldigte den “rettenden Goettern”. Da er so sehr +veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und schenkte +ihm die Flotte des Perseus. +</p> + +<p> +Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der +Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen +Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein +zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt +gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege +gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der roemisch-griechischen +Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt +erkennt fortan in dem roemischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen +Kommissionen in letzter Instanz zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um +dessen Sprache und Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge +Maenner in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser +Herrschaft zu entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, +von dem grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber +auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der +Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine +Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen +Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu halten. +Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und Anarchie aufloesen, +wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich +zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien +versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf +eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft +eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue +Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber sich +aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem Asiatischen +Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward +nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es +erwies sich auch das roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von +vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge +eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten +in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich schon +deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der makedonischen +Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere Intervention in die +inneren Angelegenheiten der griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung +und ihrer politischen wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo +doch die Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, +endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und +Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten +in Untertanen Roms. +</p> + +<p> +Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der Einigung +Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen Lauf, so erscheint +die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von unersaettlicher Laendergier +entworfener und durchgefuehrter Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der +roemischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. +Freilich liegt jene Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den +Mithradates sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und +Koenigen aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden +Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht +hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine +geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede nicht +oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung waehrend dieses +ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die Herrschaft ueber Italien, +dass sie bloss wuenschte, nicht uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, +und dass sie, nicht aus Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr +richtigen Gefuehl, den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu +lassen, sich ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich +Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende +jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit +unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet, dass sie +nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien; es +ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit +Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen +nicht minder als zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat +entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung +der bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der Regel +von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg sich nicht so +gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens es haette tun +sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung Spaniens, die Uebernahme der +Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der halb phantastische Plan, den Griechen +ueberall die Freiheit zu bringen, schwere Fehler waren gegen die italische +Politik, ist deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind teils die blinde +Furcht vor Karthago, teils der noch viel blindere hellenische +Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig +bewiesen, dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. +Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen +gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt, +sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten +Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu +entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen +Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel gehabt hat. +Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen +Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht +der Nationen nicht und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt +hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die +hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn +freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist +vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des +Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und +Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, +dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums +haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am +letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens Groesse +und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die geschichtliche +Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die militaerische Ueberlegenheit +der Legion ueber die Phalanx, sondern die notwendige Entwicklung der +Voelkerverhaeltnisse des Altertums ueberhaupt gewaltet, also nicht der +peinliche Zufall entschieden, sondern das unabaenderliche und darum +ertraegliche Verhaengnis sich erfuellt hat. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/> +Regiment und Regierte</h2> + +<p> +Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen +aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen +worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in +gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn +innerhalb des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten +hatte, so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in +den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten +senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der +Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen +Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben +entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie jene dem +gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten +Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den letzten der alten +staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge dieser Parteibildung +gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte Auspraegung erst dem folgenden +Jahrhundert an. Aber es wird diese innere Entwicklung nicht bloss von dem +Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es +entzieht sich auch ihr Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der +roemischen Geschichte dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom +sich legt und unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese +neue roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue +Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und +langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich +geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren +historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe +tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung +zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen +Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen fallen in +diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der Entwicklung Roms +ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener +Eisdecke sowohl wie die Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und +in dem furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen +zu lassen. +</p> + +<p> +Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit des +Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen hoechsten +Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, von jeher +tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran schon frueh gewisse +Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher +Beamten gestattet ward, im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt +war, die Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben +aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im +Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung +des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und +die roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden +ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng ueberwachte. +Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen +durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene +Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der +Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - +geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche +Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend +des Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis +gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte +oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in +der Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des Patriziats +noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den ersteren als +aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher +erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt +wohl schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat +gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten. +Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese +erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die +ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern lediglich +das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an der gemeinen +Rechtspflege, also an der Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende +kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne +des Wortes sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den +Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen +von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil +laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche Adelschaft +vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze kommt also der Sache +nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen Pairsschub nennen wuerde. Wie +die durch ihre kurulischen Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den +patrizischen sich koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte +Stellung und ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf +dem Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss +eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in der Tat +nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und musste die Fehde +zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern und den gegen die +Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals beginnen. Und so weit war man +sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen +Ehrenrechten, sondern rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte +die wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus +Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst +wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen +Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher +Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden +sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im +fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten +schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von +Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von dem +silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet +zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den +Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin +denen aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des Hannibalischen +Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, +6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der +Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der +ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die +Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. +</p> + +<p> +Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der +Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal +trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. +</p> + +<p> +^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward +durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das +unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute jemand +ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde. +</p> + +<p> +^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer Gewalt, +das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere mehr. Was die +Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen Sessels der Zensoren (Liv. +40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches Amt gegolten zu haben; fuer die +spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne +praktischen Wert. Die plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu +den kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass +sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des +weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch +gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution von 244 +(510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die +Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor +allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten +auf Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten +berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so +gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber ergaenzendes +Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, durch welche man in den +Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den +Zensor, standen der Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar +war in dieser Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen +aus dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft +noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng +aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen +Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei +Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch namentlich der +nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten und darum von der +Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die Nichtadligen, obgleich sie +wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, zu einer unbedeutenden und +verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in demselben herabgedrueckt und ward +der Senat wesentlich Traeger der Nobilitaet. +</p> + +<p> +Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen Organ der +Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. Dem neuen Erbadel +musste, da er nicht die Macht hatte, sich des Alleinbesitzes der Komitien +anzumassen, es in hohem Grade wuenschenswert sein, wenigstens eine +Sonderstellung innerhalb der Gemeindevertretung zu erhalten. In der +Quartierversammlung fehlte dazu jede Handhabe; dagegen schienen die +Ritterzenturien in der Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. +Die achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden +verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die +Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle +durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter +anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise +den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und +ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf vornehme +Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen ansehnlichen +Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen. +Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator +dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens +tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien stimmten +und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen Maenner der +Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch +die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der +Legionarreiterei, als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der +militaerischen Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im +Fussvolk mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der +eigentlichen Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch +Herkunft und Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. +Man wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des +Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit den +Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und weshalb Cato +als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine ernste Strafrede zu +halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung der Buergerreiterei in eine +berittene Nobelgarde gereichte dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil +als zum Vorteil der Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht +bloss ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 die +gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht haltbar. Die +Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten aufgefuehrten +Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; jede dieser +Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu erklaeren. Bezeugt aber +ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst von den Verfechtern dieser +Meinung als verschrieben anerkannten Stelle Ciceros (rep. 2, 20), noch die +zweite, die ueberhaupt nirgend bei den Alten erscheint. Dagegen spricht fuer +die im Text vorgetragene Annahme einmal und vor allem die nicht durch +Zeugnisse, sondern durch die Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist +gewiss, dass die Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann +sechs, endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die +Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich zusammenhaengende +Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. 243) entwickelt hat, setzt +nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, sondern die sechs patrizischen +Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser sind Livius (1, 36, nach der +handschriftlich allein beglaubigten und durchaus nicht nach Livius’ +Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) und Cicero a.a.O. (nach der +grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) +offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet zugleich sehr verstaendlich an, +dass hiermit der damalige Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt +bezeichnet werden soll. Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den +hervorragendsten Teil uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den +alten nicht allzu nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher +Art werden ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents +der Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. +238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde +auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben vorgetragenen +wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die geschlossene Zahl der +Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden bis auf Sulla, wo mit dem +faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage derselben wegfiel und allem +Anschein nach an die Stelle der zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die +Erwerbung desselben durch Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener +Ritter. Indes neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo +publico, stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem +Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse; +sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter und +nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. +</p> + +<p> +In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das erbliche +Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des Ritterpferdes als +Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte Zahl erneuert und faellt +damit fuer die erste Zensusklasse als solche die Ritterbenennung weg. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen +Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den Volksfesten +zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem zweiten Konsulat 560 (194) +sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine Volksversammlung so gut wie die zur +Abstimmung berufene der Zenturien; und dass jene nichts zu beschliessen hatte, +machte die hierin liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von +Herrenstand und Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum +auch auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und +nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie ihr +Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu verstecken, ein +sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es sich, weshalb die Zensur +der Angelpunkt der spaeteren republikanischen Verfassung ward; warum dieses +urspruenglich keineswegs in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit +einem ihm an sich durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer +ganz einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der +Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn +erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in +dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner +Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, als +einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige Beginnen wie +ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu +erinnern, den die Bewerbung Catos um die Zensur hervorrief und an die +ungewoehnlich ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der +Senat die gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres +550 (204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur +sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr +wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus notwendig, +den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- und Ritterpersonal zu +belassen, da das Ausschliessungs- von dem Berufungsrecht nicht wohl getrennt +und auch jenes nicht wohl entbehrt werden konnte, weniger um oppositionelle +Kapazitaeten aus dem Senat zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser +Zeit vorsichtig vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu +bewahren, ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das +Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der blanken +Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab. Ausser der Schranke, +welche in dem Amte selbst lag, insofern die Mitgliederlisten der adligen +Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf Jahren der Revision unterlagen, und +ausser den in dem Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des +Nachfolgers gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare +hinzu, indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht +machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher +Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam gerichtliches +Verfahren von der Liste zu streichen. +</p> + +<p> +In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur +gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das Regiment +wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in ihrem Sinne um. +Es gehoert schon hierher, dass man, um die Gemeindeaemter im Preise zu halten, +die Zahl derselben so wenig wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade +vermehrte, wie die Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es +erfordert haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig +abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor verwalteten +Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der eine die +Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen unter +Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, im Jahre 511 +(243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer die vier +ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika (527 227), das +Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu summarische Art der +roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende Einfluss des Bueropersonals +gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der +roemischen Magistratur. +</p> + +<p> +Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie fast +durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der bestehenden +Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten am bestimmtesten die +Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der Offiziersstellen wie der +buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe der Verfassung es gestattete und +deren Geist es forderte, lediglich von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr +und mehr von Geburt und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung +der Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache nach. +Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom Feldherrn auf die +Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es weiter auf, dass die +saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen jaehrlichen Aushebung, die +vierundzwanzig Kriegstribune der vier ordentlichen Legionen, in den +Quartierversammlungen ernannt wurden. Immer unuebersteiglicher zog sich also +die Schranke zwischen den Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und +tapferen Dienst vom Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch +Bewerbung von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen +dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen wichtigen +Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der Stabsoffiziersstellen +an den Nachweis einer gewissen Zahl von Dienstjahren zu knuepfen. +Nichtsdestoweniger wurde, seit das Kriegstribunat, die rechte Saeule des +roemischen Heerwesens, den jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer +politischen Laufbahn hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr +haeufig eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des +demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen Junkerexklusivitaet. Es +war eine schneidende Kritik der neuen Institution, dass bei ernsthaften Kriegen +(zum Beispiel 583 171) es notwendig befunden ward, diese demokratische +Offizierswahl zu suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn +zu ueberlassen. +</p> + +<p> +Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die Wiederwahl zu +den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies allerdings notwendig, +wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name werden sollte; und schon in der +vorigen Periode war die abermalige Wahl zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn +Jahren gestattet und die zur Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich +ging man in dieser Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung +darin, dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre +537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon +nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die +Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende dieser +Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um Gemeindeaemter +verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei +jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich +hatte beides laengst vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche +Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen +erhoben und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen +Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den +Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der +Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und +geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden +sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen Aristokratie +gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der Kurie, aber wohl von +den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich +ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der +sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich +ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der +Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis +zum Ende des Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und +Zensorenlisten erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die +meisten derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, +Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf +besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius Laelius 564 +(190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die Ausschliessung der +Aermeren vom Regiment war freilich durch die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom +ein rein italischer Staat zu sein aufgehoert und die hellenische Bildung +adoptiert hatte, war es nicht laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom +Pfluge weg an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig +und nicht wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der +kurulischen Haeuser sich bewegten und ein “neuer Mensch” nur durch +eine Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine +gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen Instituts, +insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der Geschlechter beruhte, +sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, insofern staatsmaennische +Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von dem tuechtigen Vater auf den +tuechtigen Sohn sich vererben und der Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden +edlen Funken in der Menschenbrust rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. +In diesem Sinne war die roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, +ja sie hatte in der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den +Rat nahm und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem +konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des Triumphators, +seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre Erblichkeit mit grosser +Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der aelteren Zeit die Erblichkeit +der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen Grade durch die Vererbung der +inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen war und die senatorische Aristokratie den +Staat nicht zunaechst kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des +hoechsten aller Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den +gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit +reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von ihrer +urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und Tat +erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich +ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit war es +in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der Oligarchie +das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne Familien sich +entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des Siegers von Zama und von +seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die +Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede +gewesen; und der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter +und aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte +in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass +Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne +Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio mit +dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat gelangte, wenn +Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat +emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon +dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre +Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das +ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie +opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die +patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten +deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit +Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide Konsuln +Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat bekleidet. +Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den varronisch ungeraden +Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus +den Patriziern gewaehlt worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, +549, 551, 553, 555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese +patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den +Geschlechtern: +</p> + + +<p> +Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener +</p> + +<p> + (366-254): (253-173): 16 patrizische Kollegien +</p> + + +<p> +Cornelier 15 15 14 +</p> + +<p> +Valerier 10 8 4 +</p> + +<p> +Claudier 4 8 2 +</p> + +<p> +Aemilier 9 6 2 +</p> + +<p> +Fabier 6 6 1 +</p> + +<p> +Manlier 4 6 1 +</p> + +<p> +Postumier 2 6 2 +</p> + +<p> +Servilier 3 4 2 +</p> + +<p> +Quinctier 2 3 1 +</p> + +<p> +Furier 2 3 - +</p> + +<p> +Sulpicier 6 2 2 +</p> + +<p> +Veturier - 2 - +</p> + +<p> +Papirier 3 1 - +</p> + +<p> +Nautier 2 - - +</p> + +<p> +Julier 1 - 1 +</p> + +<p> +Foslier 1 - - + +</p> <p> +————————————————————————— + +</p> <p> + 70 70 32 +</p> + +<p> +Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit der +Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne wesentliche +Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch Adoption aufrecht +erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum Ende der Republik sich +behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen Nobilitaet treten zwar von Zeit zu +Zeit neue Geschlechter hinzu; indes auch die alten plebejischen Haeuser, wie +die Licinier, Fulvier, Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den +Fasten in der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel +das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog in +dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche die +Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet worden war. In der +schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich +allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von +Rechts wegen lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung +geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so +legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber +klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und +der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der Welt, +dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu beherrschen einzig +der roemische Senat vermochte und in vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein +ueber dem grossartigen und mit den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten +des regierenden roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht +uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und +weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die +Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen fast +entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die +entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat. +</p> + +<p> +Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, was es +gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; und wenn er +der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr eines jeden +Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich nach. Wo das +Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in dem damaligen Rom, +huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen und die Gunst der Menge +durch strenge Worte und ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal +ein Beamter mit altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der +Regel, wie zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse +des Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, +als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter +Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze +voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den +faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht +kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms +Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der +Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch, +im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten +hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen Beziehungen +damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom +vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der +Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, sondern +gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl +des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in +welcher Art die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt +der Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia +(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele +in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische +Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit eigener +Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang selber, dem mancher +aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war es noch, dass der Taeter nicht +bloss nicht vor Gericht gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato +deswegen aus der Liste der Senatoren strich, seine Standesgenossen den +Ausgestossenen im Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - +freilich war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der +maechtigsten Koteriehaeupter des Senats. +</p> + +<p> +Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher zurueck +als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im Wachsen. Die +indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen infolge der +erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es zum Beispiel noetig +machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der kampanischen und brettischen +Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo +einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach +den verschiedenen Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), +indem es nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten +roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes +die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum +Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese Finanzmassregel +fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die Steigerung des Ertrages +der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von dem zur Okkupation verstatteten +italischen Domanialland dem Aerar von Rechts wegen zukam, ward zum +allergroessten Teil wohl weder gefordert noch geleistet. Dagegen blieb nicht +bloss das Hutgeld bestehen, sondern es wurden auch die infolge des +Hannibalischen Krieges neu gewonnenen Domaenen, namentlich der groessere Teil +des Gebiets von Capua und das von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, +sondern parzelliert und an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier +versuchten Okkupation von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich +entgegengetreten; wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere +Einnahmequelle entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die +wichtigen spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den +Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu. +Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende Summen +in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem Antiochischen Kriege 200 +(14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) - +letzteres die groesste Barsumme, die je auf einmal in die roemische Kasse +gelangt ist. +</p> + +<p> +Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben +groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, +kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- +und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; auch +die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der schweren +Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch manches Jahr nachher +auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die +schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr +namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von ihrer +ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am +Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten +noch die Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den +Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr +danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb +der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die +Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen +wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde +sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward, die +Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, sondern man +litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und sonst auf +oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser aus den +oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses +Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt +und sie zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten +oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde +gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine +merkwuerdige Weite. “Wer einen Buerger bestiehlt”, sagt Cato, +“beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber, +wer die Gemeinde bestiehlt.” Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche Gut +der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und Spekulanten +gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten in Rom der +Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und da einen Beamten +finde, der nicht in die Kasse greife; wie der roemische Kommissar und Beamte +auf sein einfaches Treuwort hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in +Griechenland der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen +aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, dass die +soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch viel weiter +vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht wie dort der +unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das allgemeine finanzielle +Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen +Bauten und in dem Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche +Bauwesen finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel +der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich +gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in +die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die +Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung der +italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher Gebaeude. Wohl die +bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten +war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und +Erweiterung des hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 +Taler (24 Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache +nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem +Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den +schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen +zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue Wasserleitung +angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die letzte Reserve betrug +im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 +Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser +Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse +vorraetig waren. Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche +in dem Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen +Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit +als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen Angaben +es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die roemischen +Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber die Ausgabe, aber +darum doch nichts weniger als ein glaenzendes Gesamtergebnis. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen +worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es muss nicht +selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie +beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2). +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in der +Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der roemischen +Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die +latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die +roemischen Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe +dieser Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon +fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, +jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und diese +allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi und Formiae, +das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl +benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im +Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie +Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren +Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und ganzen +betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten. +</p> + +<p> +Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der Kommunalfreiheit und +des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den Gemeindesklaven gleich +behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu namentlich die Angehoerigen der +ehemaligen, mit Hannibal verbuendet gewesenen kampanischen, suedlichen +picentischen und brettischen Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die +diesseits der Alpen geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der +italischen Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch +die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus +diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen, +hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. +</p> + +<p> +Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher +angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil +veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel Neapel, +Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle dieses Krieges +unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr bisheriges Bundesrecht +unveraendert behalten; bei weitem die meisten mussten infolge ihres +Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der bestehenden Vertraege +gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung der nichtlatinischen +Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren Gemeinden in die latinischen; +als im Jahre 577 (177) die Samniten und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung +ihrer Kontingente einkamen, wurde dies damit motiviert, dass waehrend der +letzten Jahre 4000 samnitische und paelignische Familien nach der latinischen +Kolonie Fregellae uebergesiedelt seien. +</p> + +<p> +Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des roemischen +Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die +ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der +Herniker, und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch +jetzt noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im +Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten +wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von +der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen +gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel Bundesgenossen +aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des Hannibalischen Krieges die Buerger +alle, nicht aber die Bundesgenossen verabschiedet; so die letzteren +vorzugsweise fuer den Besatzungs- und den verhassten spanischen Dienst +verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk 577 (177) den Bundesgenossen nicht wie +sonst die gleiche Verehrung mit den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, +so dass inmitten des ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die +zurueckgesetzten Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei +Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je drei +Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den latinischen +Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die Auswanderung nach +Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche Kinder und einen Teil ihres +Vermoegens in der Heimatgemeinde zurueckliessen. Indes diese laestigen +Vorschriften wurden auf vielfache Weise umgangen oder uebertreten, und der +massenhafte Zudrang der Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die +Klagen ihrer Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die +Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu +leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus +der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die +Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger schwer +empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland angelegten +Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des latinischen, das volle +Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur hinsichtlich der Seekolonien +geschehen war, und die bisher fast regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft +durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen +Gruendung 571 (183) begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms +geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr +gleichzeitig ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna +(570-577 184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war +offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen +Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten wurden +von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen Buergerschaft +ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren Teile derselben die +Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung bedeutender materieller +Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht zu vertauschen. +</p> + +<p> +Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt in das +roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere Verfahren, die +unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben, hatte man um 400 (350) +fallenlassen, um nicht durch uebermaessige Ausdehnung der roemischen +Buergerschaft dieselbe allzusehr zu dezentralisieren, und deshalb die +Halbbuergergemeinden eingerichtet. Jetzt gab man die Zentralisation der +Gemeinde auf, indem teils die Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht +empfingen, teils zahlreiche entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde +hinzutraten; aber auf das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten +Gemeinden gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung +Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische mit +dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht nachweisen; +wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses erhalten. Auch der +Uebertritt einzelner Italiker in das roemische Buergerrecht fand fast allein +noch statt fuer die latinischen Gemeindebeamten und durch besondere +Beguenstigung fuer einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit +zugelassenen Nichtbuerger ^7. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der +Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius +Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch +nach bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben, +wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten +Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig +dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung +einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen +Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte Anzahl von +Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48). +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der +italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit +nicht abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis +ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert und, waehrend die +Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln +bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die +verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft +der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den oeffentlichen Lasten +durchgaengig sich entzog und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich +nahm, so trat die Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft +gegenueber und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft +aus, waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil +ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die +Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des +verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner +Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die starren +Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der Passivbuergerschaften kann an sich +nicht getadelt werden und gehoert auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen +anderen, spaeter noch zu eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch +ein vermittelndes Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das +Schwinden des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen +Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte Stellung der +latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den Fuessen, seit die +latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die bevorzugten Teilhaber an +der Herrschaft der maechtigen stammverwandten Gemeinde, sondern wesentlich +gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu empfinden und alle Italiker ihre +Lage gleich unertraeglich zu finden begannen. Denn dass die Brettier und ihre +Leidensgenossen schon voellig wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie +Sklaven sich verhielten, zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als +Ruderknechte dienten, ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste +nahmen; dass ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen +Untertanen eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht +der Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den +Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung +innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren +Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen +Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung +bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die Furcht +hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei +Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das +roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur Unzeit +gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher +Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis +zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach +Italien getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten +Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein +wuerde. +</p> + +<p> +Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das +roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche am +entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen Bahn wich, +waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht kannte +zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen Buergerschaften wurden +entweder in die Sklaverei verkauft oder in der roemischen aufgehoben oder +endlich zu einem Buendnis zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale +Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen +Besitzungen in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren +frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal +behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste +und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den +bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische +Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch +diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren +entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war +es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der +Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der +Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon +ab, als man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die +Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit +weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass +man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer den +Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich den Baum +pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das neue +Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren Stellung nicht +bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit der roemischen +Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die roemische Gemeinde in den +Provinzen an die Stelle des frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt +daselbst an Koenigs Statt; wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in +dem Hieronischen Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar +der Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und +Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in den ihm +untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener begleitet, welcher +ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er von seiner spanischen +Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher sein Schlachtross, weil er +sich nicht befugt hielt, die Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung +zu bringen. Es ist auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich +sicherlich nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die +Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch +ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende +ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und +Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten unter +den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter und Bankiers, +ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens den Untertanen, vor +allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten. +Auch die Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich. +Man war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht +verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den +nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es +ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die +goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge +nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das +Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen +Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der +Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. +Aber schon war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an +dem alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der +Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der +Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt. +Die ueble Sitte, dem Amtmann “Ehrenwein” und andere +“freiwillige” Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die +Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; +schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, +diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und +ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie +Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das wichtigere +Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute +Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei +anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz +auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen der +Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des Taxpreises fuer +beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst +fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu +werden; die masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus +fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie +ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, offiziell +dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am +Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen, +sondern selbst gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, +das zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die +heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die +Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder +ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen +Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht +ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr als +bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung +keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft +gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine +Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten, +musste ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die Sache +in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde +von dem Senator, der die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der +damaligen Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury +gewiesen. Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des +Herrenstandes, und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um +gegruendete Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar +verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines +Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen +von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie +vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch +mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen von +Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war; +und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt +fanden die Geschaedigten freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, +welche die Staedte und Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und +andern ihnen naeher getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter +empfanden es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; +und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der +Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum +Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen Mann. +Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen Gelegenheit, ihr ganzes +Talent, sich ihren Herren gegenueber wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch +ihre bereitwillige Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die +Beschluesse der Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt +zerstoert und gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt +hatten, sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von +Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen Familienpolitik +dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. Immer wurde auf diesem +Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten die Goetter und den Senat +einigermassen fuerchteten und im Stehlen meistenteils Mass hielten, allein man +stahl denn doch, und ungestraft, wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die +heillose Regel stellte sich fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger +Gewalttaetigkeit der roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und +von Rechts wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; +woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht +unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie sie +schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur den aergsten +Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in +der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten +Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier +am fruehesten machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen +Regiments sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit +strengeren und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer +die italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo +das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert +werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze +bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie +souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden Institute, +die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine der spaeter +erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation der obersten +Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische +Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender +Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von +der Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen +Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse von dem +der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr +einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in der +Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im Auslande +eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck +in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, +aber nicht Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass +die beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und +die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter +den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen +Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der +Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus den +Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen +Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis +hervor, welche die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier +gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment +der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen Richtung, und +der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger +Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch +ungehemmten stetigen Fortgang. +</p> + +<p> +Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte Geschlechtsaristokratie +formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige +Buergerschaft im Mitgenuss der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben +darum die zweite Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu +sprengen als die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich +nicht. Die Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf +dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische +Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern. +</p> + +<p> +Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem bewegenden +Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert werden kann: ein +sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige Folgsamkeit gegenueber +dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten und boesen Tagen und vor allem +die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen +Wohlbehagens fuer das Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde +in so hohem Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, +jede Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der gute +und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze Verhalten der +Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber beweist mit +vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige Buergertum, vor dem selbst +Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch in den roemischen Komitien +entschied; die Buergerschaft hat wohl oft geirrt, jedoch nicht geirrt in +Poebeltuecke, sondern in buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber +allerdings wurde die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang +der oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen +ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den +Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen +Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter +Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist schon angegeben +worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische Buergerschaft in ziemlich +geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil +Kampaniens, so dass sie an der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis +Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, +Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die +Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische +Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der +juengsten Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und +eine sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, +gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et +conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der +Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der +Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten +stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch schon, +namentlich in den See- und den neuen picenischen und transapenninischen +Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer staedtischer Gemeinwesen +innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde wenigstens die ersten +Grundlinien zog, so blieb doch in allen politischen Fragen die Urversammlung +auf dem roemischen Marktplatz allein berechtigt; und es springt in die Augen, +dass diese in ihrer Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht +mehr war, was sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre +buergerliche Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren +Hoefen weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam +hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser Absicht, +laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den Buergerverband +eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in neuerrichtete Wahlbezirke, +sondern in die alten mit einschrieb; so dass allmaehlich jeder Bezirk aus +verschiedenen, ueber das ganze roemische Gebiet zerstreuten Ortschaften sich +zusammensetzte. Wahlbezirke wie diese, von durchschnittlich 8000, die +staedtischen natuerlich von mehr, die laendlichen von weniger +Stimmberechtigten, und ohne oertlichen Zusammenhang und innere Einheit, liessen +schon keine bestimmte Leitung und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was +um so mehr vermisst werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie +Debatte voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit. +hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und +geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche die +herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber zufaellig +zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende Wort +einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in letzter +Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch die Folgen ihrer +Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden +Dingen haben denn auch die roemischen Urversammlungen eine unmuendige und +selbst alberne Rolle gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja +zu allen Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, +wie zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte +sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und kuemmerlich +auslaufende Opposition. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich +beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche +Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach +Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer einer +Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der Gegend +domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen. +dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne +kontrahiert ward, die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in +Rom, sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel formell +gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur Seite. Die +Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit unvordenklicher Zeit +uebte der vornehme Roemer auch ueber seine Freigelassenen und Zugewandten eine +Art Regiment aus und ward von denselben bei allen ihren wichtigeren +Angelegenheiten zu Rate gezogen, wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht +leicht seine Kinder verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu +haben, und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der +Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht bloss die +Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus den Schutzbefohlenen +Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der Reichen unterhoehlte +aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die Aristokratie duldete nicht +bloss diese Klientel, sondern beutete finanziell und politisch sie aus. So zum +Beispiel wurden die alten Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu +religioesen Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden +hatten, jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in +Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei +ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. Die +Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 204), weil die +Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten regelmaessigen Tribut +zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die +Komitien zu beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche +maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem +selbstaendigen Mittelstand machte. +</p> + +<p> +Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der Hauptstadt, +welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst nachweisbar. Die steigende +Zahl und Bedeutung der Freigelassenen beweisen die schon im vorigen Jahrhundert +gepflogenen und in diesem sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber +ihr Stimmrecht in den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des +Hannibalischen Krieges vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren +freigelassenen Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten +zuzulassen und den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den +Kindern der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser +als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden +Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso +unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. +</p> + +<p> +Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen +eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet noch +die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch denselben +grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere Dinge den alten +Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu haben. Noch war die +Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im +grossen sich haette zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster +Weise um die Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der +Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die +Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich die +entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot umsonst und +ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder die +Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde stellten oder +auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen roemischen Beamten in +Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, machten es seit der Mitte +des sechsten Jahrhunderts den Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische +Buergerbevoelkerung das Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein +Wunder, meinte Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - +der Bauch habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in +erschreckender Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem +Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische +Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und +einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen +Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes: +“plebejische Spiele” hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft +haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man weiter in +der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der Schutzgottheit +des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur wenig juenger sein als das +plebejische. Weiter ward nach Anleitung der Sibyllinischen und Marcischen +Weissagungen schon 542 (212) ein viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) +ein fuenftes zu Ehren der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen +Mutter hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen +Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem +Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie +war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie nutzten, +um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und +Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die +Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in +solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja +selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres +Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen +Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste +beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen zu dem +alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der Flora, die +plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der staedtische Praetor die +Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem +gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt +haben; in der Tat waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget +mit einer Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die +Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die +Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen Konsularkandidaten +machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele einander eine Konkurrenz, die +die Kosten derselben ins Unglaubliche steigerte; und es schadete +begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in Hoffnung noch ausser dieser +gleichsam gesetzlichen eine freiwillige “Leistung” (munus), ein +Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. Die Pracht der Spiele wurde +allmaehlich der Massstab, nach dem die Waehlerschaft die Tuechtigkeit der +Konsulatsbewerber bemass. Die Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein +anstaendiges Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie +zahlte gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn +verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, sondern +uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr hatte sich +gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die Kriegsarbeit und im +gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe heimzubringen; die neuen Feldherren, +an ihrer Spitze Scipio Africanus, warfen das roemische wie das Beutegeld mit +vollen Haenden unter sie aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten +Feldzuege gegen Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem +Zweiten Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits +durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, auch von +den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der Provinzialen und den +Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein unmittelbares Gefolge nahm und aus +dessen Lager nicht wenige Maenner mit Golde, sondern viele mit Silber in den +Taschen zurueckkamen - dass auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an +in Vergessenheit zu geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit +derselben verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die +durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen, +nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes +aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen +Doerfern wegwarf. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen +Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius (p. 143 +Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus gefeiert wurden +(Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach +dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch +hinreichend bewiesen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter +diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den +Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise offenbarte die +einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg (576 178), wo ueber ein +geringes, vom Geruechte lawinenhaft vergroessertes Scharmuetzel das Landheer +und die Seemacht der Roemer, ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und +Cato seinen Landsleuten ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten +noetig fand. Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des +Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die +Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten Strafen +einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) stellte ein +Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren als Qualifikation +fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um die Soehne der +Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen. +</p> + +<p> +Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten Stolzes und +der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen nach Abzeichen und +Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen gleichartig bei allen +Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des Triumphes draengte man sich so, +dass es kaum gelang, die alte Regel aufrecht zu erhalten, welche nur dem die +Macht der Gemeinde in offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten +Gemeindebeamten verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten +eben die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste +es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche vergeblich +versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat oder der +Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem Albanischen Berg +triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein Gefecht mit einem +ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, um nicht daraufhin den +Triumph zu erbitten. Um den friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die +Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die +Gestattung des Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die +wenigstens 5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward +oefter durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den +vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom +Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich +zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers +einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische Hoffart, +dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 194) und Manius +Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den +der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; +jetzt schien jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits +der Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, +wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein +Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf +Kosten des Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer +eine Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange +genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen +Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen; +welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich +selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter den von +Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. +Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung +festzustellen und dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu +dekretieren, so konnte man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie +verlangten, wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif +schmuecken zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden +nicht bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, +sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener +von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem +gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem gemeinen +Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das +Werk der buergerlichen Gleichheit war! +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das des +Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von Messana den Namen +Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in aehnlicher Weise Calenus +genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen Maximus im Valerischen und +Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus gleichartig. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der Opposition. +Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den lauten Ruf nach +Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt die Demagogie ihr +Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig trennen lassen, sondern +mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch notwendig sein, sie in der +Betrachtung voneinander zu sondern. +</p> + +<p> +Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person des +Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte Staatsmann des +aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem Weltregiment +abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster des echten Roemers +von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird man ihn betrachten als den +Vertreter der Opposition des roemischen Mittelstandes gegen die neue +hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet. Beim Pfluge hergekommen, ward er durch +seinen Gutsnachbarn, einen der wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, +Lucius Valerius Flaccus, in die politische Laufbahn gezogen; der derbe +sabinische Bauer schien dem rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem +Strom der Zeit sich entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht +getaeuscht. Unter Flaccus’ Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und +Tat den Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum +Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten Jahre +eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen Krieg von +der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama durchgemacht, unter +Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in +Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und +als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem +Marktplatz. Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender +Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen +Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten +ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt +und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war, +zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den +Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein +Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem +einreissenden Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu +begegnen, und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem +neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene +Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser +Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich +gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den Augen und +auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen +sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen +alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der +polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, +ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und +vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die +Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten +als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren sahen +zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, +ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat +zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer +republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem +Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem Abgott +der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner vornehmen Kollegen +hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor, allerdings ohne es mit den +Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und allerdings auch mit besonderem Genuss +denjenigen, die ihn persoenlich gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut +verwies und beschalt er oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue +Unrechtfertigkeit und jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten +ihm zahllose Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich +den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener unversoehnlicher +Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt worden. Aber die +Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie maechtig noch in dieser +Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige Geist war, der den Tag von Cannae +hatte uebertragen machen - liess den ruecksichtslosen Verfechter der Reform in +ihren Abstimmungen niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem +adligen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im +voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende Reinigung der +Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen beabsichtigten, wurden die +beiden gefuerchteten Maenner von der Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller +Anstrengungen des Adels, und derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das +grosse Fegefest stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von +der Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste +gestrichen wurden. +</p> + +<p> +Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz und +Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die Gesinnung war, +aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf +eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem +zum Trotz oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, +so ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der +Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem +Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse +wenigstens in den politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso +erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel +mehr als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur +Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen +Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum +Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. +</p> + +<p> +Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden +Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von neuen +Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz einnehmen. +Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kriege mit Karthago +und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts +in grosser Anzahl und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten +darunter sind die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius +im Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und +vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und +dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona, +Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma +und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem die meisten +dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden. +Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen +Krieg und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der +freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und +gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen +Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato +und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische Regierung +diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab nachkam, wie sie es +gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht taub gegen die warnende +Stimme des verstaendigen Mannes. +</p> + +<p> +Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der +Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen Einhalt zu +tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht gefehlt haben; doch +scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem +Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der +Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die +schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem +gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach +orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der fuer den +Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von +11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die +zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen +und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus +fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall +auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) +und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk +miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser +Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die +servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie +taten doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit +den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann +auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die +Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit +sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten +Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der Zenturiatkomitien, +welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg +um Sizilien zu Ende ging (513 241). +</p> + +<p> +Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn auch +nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die Ansaessigen +gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter +gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die +Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens +100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden +Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung entschieden. Das +Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden Klassen war von +zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung unter dem niedrigsten +Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch +gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre +gesonderten Abteilungen behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf +eine aus der ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. +Die Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen +werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf +die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der +eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die gesetzlich +den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- und zweite +Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch +ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu +besetzen, ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt +hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich +erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers +Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle +einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich +charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur +dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den +Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus +der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die +erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie +waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, +dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das +Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward. +Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem +allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des +Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb +gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn +Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien allein +die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten Ordnung die Stimmen +der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch bewirkt, dass unter allen +Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch +und der eigentliche Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die +neuen Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die +Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus +angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste. +Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben worden +waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend sie in den +Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen Abteilungen beschraenkt +waren, hatten sie in denen der Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell +das gleiche Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der +Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus +eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung +gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in +der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse jeder +Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen Buerger davon nur +acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den vier anderen Stufen den +ansaessigen Buergern das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen +Sinne wurde die bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den +Freigeborenen im Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die +ansaessigen Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies +geschah im Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der +Reformpartei, den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor +Tiberius Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen +Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese +Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von +Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung, die die +neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der eigentlichen +Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der Beschraenkung des +zensorischen Willkuerregiments, teils in der Beschraenkung des Einflusses +einerseits der Nobilitaet, anderseits der Nichtansaessigen und der +Freigelassenen, also in der Umgestaltung der Zenturiatkomitien nach dem fuer +die Tributkomitien schon geltenden Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, +dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die +Mitwirkung der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die +Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders +zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch +ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen +Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht ein neues +Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in der praktisch +haeufigeren und wichtigeren Kategorie der Buergerschaftsversammlungen +massgebendes zu allgemeiner Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber +keineswegs demagogische Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu +den eigentlichen Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem +Proletariat und der Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische +Bedeutung dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden +Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die +gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht +verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist sicher +nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, dass wir nirgend +eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen Reform auf den politischen +Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser +Reform noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten +roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die +Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der +Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu beseitigen, +waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern sich gleichzeitig +breiter und tiefer zog. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas +Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus der +ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen in dem +(wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½, ¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber +versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem +leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu +muessen, wenn auch in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als +schwere Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen +Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die +Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht +des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat er +dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese bei der +Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte die spaeteren +Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in +diesem Falle eine Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte +enthalten haben wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken +erheben; doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter +Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften +Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen +Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung +verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen +uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen Vollhufe von +vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach die Schatzungssaetze +ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht +ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des +Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber +auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet +unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu +einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres +politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille der Besseren +fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und kraeftigen Ausdruck; +aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch +einen festen Plan, im grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse +Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten +Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig +Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt +werden konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser +Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und +den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf +ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu +haben. +</p> + +<p> +Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so trat +auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die +volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, die an +der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der Schlafsucht; die sich +Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig einfinden, und die man wie den +Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe +braucht, sich ihnen anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte +diese nach dem Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten +spassigen und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; +zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als +Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer ein +Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, diese +Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor allen Dingen +und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so hielt die Demagogie +vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und Erweiterung der +Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die wichtigste Neuerung die +tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine +populaeren Gegner 537 (217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus +unpopulaeren Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch +(538 216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit +aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch +in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar Male (zuletzt +552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der zu ernennenden Person +durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer staedtische Geschaefte eingesetzt +worden war, kam dieses Amt, ohne foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich +ausser Gebrauch. Damit ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen +Verfassungssystem ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr +wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das +Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in +der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen hatte, +eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward dasselbe ersetzt +durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene Befugnis, in +ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand +oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu +verleihen durch die Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln +zu treffen, und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand +herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der +Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in +bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch +wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem +Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese +Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur +Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht +bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die +Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen Gewicht, aber +bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der republikanischen Ordnungen, +dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien +selbst, aber wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der +Pontifices aus dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die +Gemeinde ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler +Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, +also nicht das “Volk” den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung +war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche +Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher +gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom +Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen +der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der +verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch +das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem +populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn geteilt +ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft +verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher +Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager +nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung +vor dem Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren +Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph +abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung +eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); +hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der +Senat ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu lassen +(549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, +der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht +ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); +hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch +Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und +Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber weit +bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss, +weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf +das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche +Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der +wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der +Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit +der Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt +in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, +sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft +und gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche +Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen +Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige +Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel +abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf +Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die Buergerschaft +ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr geschadet, als durch +den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius +Cassius dasselbe beantragt; aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem +Buchstaben nach zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, +als Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber regierende +Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung eines grossen Staates +brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa bloss die Regierungs-, sondern +auch die Reformpartei das militaerische, administrative und finanzielle +Regiment als legitime Domaene des Senats und huetete sie sich wohl, von der +formellen Macht der innerlich in unabwendbarer Aufloesung begriffenen +Urversammlungen vollen Gebrauch zu machen, geschweige denn sie zu steigern. +Wenn nie, selbst nicht in der beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so +voellig nichtige Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke +zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber +bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht der +Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine Gesinnungsgenossen +nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche in das eigentliche +Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen gewuenschten politischen +oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel die Kriegserklaerung gegen +Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar oder unmittelbar durch +Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte +schlecht sein; die Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in +ihnen eine boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort +eines angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not +in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten +Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus +sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte den +Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der Notwendigkeit des +Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich ueberzeugen, endigte den +Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus und bewilligte diesem den +wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen +bedurfte es doch schon eines besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die +Masse willenlos dem naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. +</p> + +<p> +Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, +schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung +schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der +Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. Jedem +einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren zu predigen +oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu +verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und +Regierung formell gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, +gewohnt, im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres +angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst +herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen +Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen in +Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am Trasimenischen +See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf +Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene unberechenbaren +Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da +am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war. +</p> + +<p> +Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch die +geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden Gefahren. +Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der verfassungsmaessigen Rechte +der Buergerschaft die faktioese Gewalt der einzelnen Ehrgeizigen sich empor. +Was formell als Wille der hoechsten Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache +nach sehr oft nichts als das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was +sollte werden aus einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung +und Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das +gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? +Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die +Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch die +schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die scheinbar +entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen sowohl +hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. In der +Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich +eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt den +Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner derjenigen Bahn, aus +welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir hinzu - weiterhin die +demokratisch-monarchische Revolution hervorging. Aber auch Publius Scipio, +obwohl tonangebend in der Hoffart, der Titeljagd, der Klientelmacherei der +Nobilitaet, stuetzte sich in seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik +gegen den Senat auf die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner +Individualitaet bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf +die Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, und +vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und niedere Klientel +- nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der Reiz wie die Schwaeche +dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, liessen ihn aus dem Glauben: +nichts zu sein noch sein zu wollen als der erste Buerger von Rom, nicht oder +doch nicht voellig erwachen. +</p> + +<p> +Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, wie +sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an Haupt und +Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite dazu ein +ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen geschah von +seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen Opposition mancherlei. +Dort wie hier waren die Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss +weg, der die Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um +gemeinschaftlich die schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die +Quellen nicht verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit +Besorgnis auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen +und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und +selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz +und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich genug +anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft zu bereiten. +Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es Zeit war, zeitigten +Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme +der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als +die goldene Roms und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war +vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen +Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; +und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder +in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem +alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald sie zu +verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu einem +ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und es fragt sich +nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner +Epoche ist die roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom +Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter +darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall +nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung +und der Vorbote der Revolution. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/> +Boden- und Geldwirtschaft</h2> + +<p> +Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen +pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten +auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer +Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die Grosswirtschaft im +Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise und Ausdehnung jetzt zuerst +sich fest, ohne dass sich genau scheiden liesse, was darin auf aelteres +Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- und Geldwirtschaft der frueher +zivilisierten Nationen, namentlich der Phoeniker, was auf die steigende +Kapitalmasse und die steigende Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur +richtigen Einsicht in die innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese +wirtschaftlichen Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern. +</p> + +<p> +Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, +wovon die erste in der von Cato entworfenen Schilderung uns mit grosser +Anschaulichkeit entgegentritt. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es +notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die +neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen +nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der Kaiserzeit +mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien +zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des +siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus +Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur entstandene +Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in ihrer +Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen oder die +“griechische Nuss”, der Pfirsich oder die “persische”, +auch die “weiche Nuss” (nux mollusca) sind zwar Italien +urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor +Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus +dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten +kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward in +Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, +5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben +wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen +Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von +Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien +gepflanzt zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch +ist; noch juenger vielleicht die Aprikose oder die “armenische +Pflaume”. Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in +Italien kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder +dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe +(Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut +worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten +Italien eigen. +</p> + +<p> +Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen Produkte, die +uns recht “italienisch” scheinen; und wenn das heutige Deutschland, +verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt +werden kann, so ist auch Italien in nicht minderem Grade seitdem +“suedlicher” geworden. +</p> + +<p> +Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet, +durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte ein +Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte Centuria +von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward, wurde die +Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer diesen Fall einen +Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital in die Landwirtschaft +stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter; +wie denn wohl schon der Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als +Inbegriff von zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft +fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere +Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter +alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte +der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein +eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3. +Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner Gueter; +indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern erschien nur von Zeit +zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu +beaufsichtigen und seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm +moeglich ward, teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach +Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des +Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen +Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen +ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst +die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und der aehnlichen italienischen +Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer +Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das fuenfte +Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis neunten +Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht +Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen +Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt. +</p> + +<p> +^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen +Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu erwerben; +wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine Zeitpacht durch mehrere +Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3). +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut; +daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter, +Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der Regel ward im +Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die Bewaesserung und +Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die Drainage durch +geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur Heugewinnung fehlten +nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie haeufig kuenstlich berieselt. Von +gleicher, wo nicht von groesserer wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut +waren der Oelbaum und der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser +fuer sich auf eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- +und andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, teils +wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen, Pappeln und +andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den Italikern, bei denen +durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur ausnahmsweise und dann fast nur +Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch kamen, die Viehzucht eine weit +geringere Rolle gespielt als in der heutigen Oekonomie. Obwohl man den +oekonomischen Zusammenhang des Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die +Wichtigkeit der Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige +Verbindung von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward +nur gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe +nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens auch im +Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide Schafe +aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; haeufig indes +zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen grossen Herdenbesitzer in +Pacht zu geben oder auch seine Schafherde einem Teilpaechter gegen Ablieferung +einer bestimmten Anzahl von Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und +Milch zu ueberlassen. Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn +Staelle -, Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis +gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und ein +Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so +unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens +leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. +137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen +anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die +Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6). +Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen +diesen Getreide. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die +besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch +ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man zog +diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig waren +wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 Morgen rechnet +Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer Landwirt Saserna auf +200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos Anschlag fuer das kleinere +Grundstueck drei, fuer das groessere vier erfordert. +</p> + +<p> +Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der Spitze der +Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter (vilicus, von +villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die Instruktionen des +Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm +stehen die Wirtschafterin (vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, +Huehnerhof und Taubenschlag besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und +gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde +gab, ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der +Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen +werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen +zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit +Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten +gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf +ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und +zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen Knechte; +die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu +gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird +auch Aussicht gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die +Freiheit zu erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen +Hausstand. Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, +sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn +sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem +Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude (villa +rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die Fruechte und +Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf +dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder +Sklave, auch der Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung +des Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann +auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden +und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so +monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner +Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete +sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der leichtere +Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing. Alles Backen und +Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe +Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt +hatte oder einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf +die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. +Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von +selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern +aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in +besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den Sklavenstand zu +beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden, und zur Einbringung der +Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der +Korn- und Heuernte nahm man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt +von ihrem Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch +droschen, das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich +umbrische Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte +einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem +Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, gedungene +Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht einiger vom +Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen besorgte und den +Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig verkaufte auch der Gutsbesitzer +die Ernte auf dem Stock oder Zweig und liess den Kaeufer die Einbringung +besorgen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven +nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; +und ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der +Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht +geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2) +ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8) beschreibt, +wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der Arbeit befreit, die +Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden, ist wohl mehr eine +selbstaendige Spekulation als ein Teil des regelmaessigen Gutsbetriebes, +aehnlich wie das von Cato selbst betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung +und zum Wiederverkauf aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst +erwaehnte charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche +Dienerschaft (familia urbana). +</p> + +<p> +^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der +Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei +Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, +statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit +tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv von +dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, +8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder +durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem +vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit vielen +aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu erreichenden +Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck des +Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass die Lage der +Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und darum vorwiegend +diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich vergangen hatten oder zu +haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die +Fesselung eintreten liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch +klar darin angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven +treffenden Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber +Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte +eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde gezeichnet +(Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. Berlin 1856, S. +XXXI). +</p> + +<p> +^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro (rust. +1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft +gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten +einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die +Trauben auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147). +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit +der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter Kettenhund, +heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu freundlich gegen seine +“Mitsklaven” sein. Man naehrt gehoerig den Knecht wie den Stier, +solange sie arbeiten koennen, weil es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern +zu lassen; und man verkauft sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie +arbeitsunfaehig geworden sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, +sie laenger zu behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch +hier mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen +Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer +den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die +Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache nach +umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings ruhen zu +lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen +Tagen die Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr +keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos +Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche +Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht +einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, +und man machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. “Soviel Sklaven, +soviel Feinde”, sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer +Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu +unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und +nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven +gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche +Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie schon +gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die +roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den “Landguetern +des roemischen Volkes”, den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, +dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem +entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des +Denkens emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das +darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der +Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht +versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen +Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf und +zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine Leute und vor +allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und +das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder +Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu +Hause ist, nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen +Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als +rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn +anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden begegnet und +den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und ohne zu viel zu +denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein schlechter Landmann, +heisst es anderswo, der das kauft, was er auf seinem Gute erzeugen kann; ein +schlechter Hausvater, welcher bei Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen +laesst, es sei denn, dass das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, +welcher am Werkeltag tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste +von allen aber der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten +laesst. Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl +sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum +Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor Reben und +Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu frueher Jugend ein +Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft +freilich eigen und anstatt der rationellen Ermittlung der Ursachen und +Wirkungen treten durchgaengig die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; +doch ist man sichtbar bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische +Produkte anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten +griechische, afrikanische und spanische erscheinen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und +Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl +der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen +Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die Rastzeit des +Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella auf dreissig Tage +anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig das wandelbare +“Saatfest” (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. 1, 661). +Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und sonst) und +Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur +verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine +Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand +zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und +seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten +zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen groesseren +Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten, +aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen +Ertrag. +</p> + +<p> +Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der Feldbau. +Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum +haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit +Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den +klimatischen Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die +Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon in jener +Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden, +die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck +von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt +ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum Teil +Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den +Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu +liefern; auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger +aber und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von +Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im +ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister pecoris) an +die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen die Hirtensklaven +meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft meilenweit von menschlichen +Wohnungen entfernt, unter Schuppen und Huerden; es lag also in den +Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und +Waffen gab und ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei +der Gutsmannschaft geschah. +</p> + +<p> +Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu +wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise dieser +Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum Erschrecken gering, und +zum guten Teil durch Schuld der roemischen Regierung, welche in dieser +wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine +unverzeihliche Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der +italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist. +Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des +italischen Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich, +teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung geliefert ward, +wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen +Beamtenpersonals und der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter +in der Art abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder +auch es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst +erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die +roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn +dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss sich +doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen Landmann. Indes dies +war das geringste. Der Regierung, welche laengst wie billig auf die Kornpreise +ein wachsames Auge gehabt hatte und bei drohenden Teuerungen durch +rechtzeitigen Einkauf im Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die +Kornlieferungen der Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und +wahrscheinlich groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende +fuehrten, und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches +Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu erwerben, mit +solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu ueberfuehren und dasselbe zu +Saetzen abzugeben, die entweder an sich oder doch verglichen mit den italischen +Schleuderpreise waren. Schon in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es +scheint, zunaechst auf Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische +Scheffel (sechs Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen +an die Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre +nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu dem +letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst eiferte Cato +gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein, +und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr haeufigen Austeilungen von +Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung oder einzelne Beamte, sind der +Keim der spaeteren Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische +Korn nicht auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, +drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, +die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel von +diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem +Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich war auch in +den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge der guenstigen +Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach +karthagischem System der Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger +als in Italien, der Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides +nach Latium wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport +dahin aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im +natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen +und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die leidige +Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen waere es vielleicht +gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen Getreides auf das +ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es scheint vielmehr das +Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach +Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein - +denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als +besondere Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die +Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das +ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen +dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher +Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (= +1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu +demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60 +Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft +wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in +Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst +Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen +Haefen das sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den +reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und Lombardei +zahlte man zu Polybios’ Zeit fuer Kost und Nachtquartier im Wirtshaus +durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der preussische +Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere +Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9, +zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen +Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen das Korn +wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das +siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den +roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer +heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und +Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt wird. Ob +diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und der heutigen Preise +auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich +schwerlich entscheiden. +</p> + +<p> +Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der +spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies +heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten von 4 +und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten Kriegsteuerung +und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege der preussische +Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf +198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter +Augustus gar auf 218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 +Scal.) stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind +wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen +auch heute noch sich wiederholen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu +ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht +unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, wo die +Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache war, ward auf +diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der wesentlich +unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich das Brot nicht +billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmaehlichste Weise +geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht +die Verfassung und wie unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit +der Republik war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu +ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber +in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher sich +geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede Regierung, die +diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten sein; aber die Masse +des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen +das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine +hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die +republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff ungehindert +in die Brandung hinein. +</p> + +<p> +Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war +die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich auch aus +ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die sittliche Haltung +und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen Zeit entwich. Es war nur +noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und +Niederlegen in den groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden. +</p> + +<p> +Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. Derselbe +produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein Land nicht nach dem +aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren +durch seine Knechte bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher +geschehen war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen +Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne +Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher +durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten +gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich begnuegen +als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der nur eben hatte, +was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft +das Zuruecktreten des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der +fuer das Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben +scheint ^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der +Viehzucht. Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens +die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das +italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen +Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein Getreide +nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit Schweinen und Schinken. +Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die oekonomischen Resultate der +roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. Es ist einiger Grund zu der Annahme +vorhanden, dass das in Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich +gut zu verzinsen schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren +durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im +ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten +der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am +wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer jeden +Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem +naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon +aus, um allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die +Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen +entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das spaeter noch +zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser +von der Spekulation ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien +kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst +die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen +ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem +Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als +die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen +erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem Kapitalistensinn +dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht die dauernde Anwesenheit +des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges Erscheinen daselbst und +gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl und die Vervielfaeltigung des +Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt +ausdehnen liess und den Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde +fing man schon an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu +verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht +um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen +der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da regelmaessig +in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich grosse Gueter, sondern +es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden +und rechtlich immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken, +namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man +diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg +Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss +Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren +freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, +sich mit Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten +alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei +fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro +(rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der +Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen, +bevor die alte verkauft ist. +</p> + +<p> +^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich sechs +Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag +fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf +den Morgen folgende Kostenberechnung aufstellt: +</p> + +<p> +Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen +</p> + +<p> +Kaufpreis der Arbeitssklaven +</p> + +<p> +auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen +</p> + +<p> +Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen +</p> + +<p> +Verlorene Zinsen waehrend +</p> + +<p> +der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen +</p> + +<p> +Zusammen 4640 Sesterzen +</p> + +<p> + = 336 Taler. +</p> + +<p> +Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen +(65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes +ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, die +Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, Pfaehle und +Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. +</p> + +<p> +Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf +hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf weniger +als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von 25 roemischen +Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem hauptstaedtischen +Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr als 100 Sesterzen +Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der Preis noch niedriger gestanden +haben muss. Varro (3, 2) rechnet als gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines +groesseren Gutes 150 Sesterzen vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind +hierfuer nicht ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger +Kosten machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. +</p> + +<p> +Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. +Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser +rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, +2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich nicht heissen +soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern +relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf +Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem +in die Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. +Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde +Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig +wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des +Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in absteigender +Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der +Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; +6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung - +welche neun Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter +saemtlich wiederkehren. +</p> + +<p> +Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch, +dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr +zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von dem Wein den +Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins empfaengt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende +Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus dem +roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die bei weitem +mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. Was sich ermitteln +laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht weniger noch als die +Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut +der gesamten antiken Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise +eben wie die heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das +kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den +Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der +Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, +dass der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten wie im +Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart. +</p> + +<p> +Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das +Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den Roemern +eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen Geldverleihers +(fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers (argentarius). Das +Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der Uebergang der groesseren +Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten auf den vermittelnden Bankier, der +fuer seine Kunden Zahlung empfaengt und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und +im In- und Ausland ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen +Zeit vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die +Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die kleinen +Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und Klientelstaaten +sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon im ganzen Umfange des +Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden. +</p> + +<p> +Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das System der +mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen roemischen Verkehr. Der +Staat ging voran, indem er all seine komplizierteren Hebungen, alle +Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen eine feste zu empfangende oder zu +zahlende Summe an Kapitalisten oder Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch +Private gaben durchgaengig in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: +die Bauten und die Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der +Erbschafts- und der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein +Bankier - die saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die +Passiva vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und +nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. +</p> + +<p> +Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische +Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem +weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende +Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser +den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die +Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich +gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische +Nation in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen +Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende +Zollfreiheit. +</p> + +<p> +Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren +freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu +einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen +Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an Pfluegen, +Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem starken Verbrauch +von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht +bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige +Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen +oder auch nur sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde +auch in Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere +Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog +hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und milesischem oder +tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon aus +der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie spielen. Die +Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei Plut. Cato mai. 21). +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf +ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst den +Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge dieser +spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden Spekulation fallen, +namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in diese Zeit; zumal da die den +Sikelioten auferlegten Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt +waren, doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen +Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die Haende zu +geben. +</p> + +<p> +Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte durchgaengig +durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier richteten, soweit ihr +Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und Zweigbanken unter Direktion ihrer +Sklaven und Freigelassenen ein. Die Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle +gepachtet hatte, stellte fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich +ihre Sklaven und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte +sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder +Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte oder erzog +sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum Fechthandwerk +abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren auf eigenen Schiffen +unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen kommen und vertrieb sie +wieder in derselben Weise im Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der +Bergwerke und der Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach +kaum gesagt zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht +beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen; dennoch +befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven +sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie +und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und +eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese +Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand, +welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster in die Reihen der +roemischen Buerger und nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und +sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven +selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens beigetragen haben. +</p> + +<p> +Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen +politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art nicht +minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit des Verkehrs +mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht nur die Literatur, namentlich die +Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, in denen der phoenikische Handelsmann +phoenikisch redend auf die Buehne gebracht wird und der Dialog von griechischen +und halbgriechischen Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst +sich die Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den +Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt voellig +Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen Muenzstaetten, +zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge der roemischen Eroberung +geschlossen oder doch auf Kleinmuenze beschraenkt wurden und in Sizilien und +Sardinien der Denar wenigstens neben dem aelteren Silbercourant und +wahrscheinlich sehr bald ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon +gesagt. Ebenso rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze +in Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere +Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die spanischen +Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. Ueberhaupt bestand, +da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, ausser der roemischen keine +einzige bedeutende Muenzstaette im westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme +derjenigen von Massalia und etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen +Griechen in Apollonia und Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer +anfingen sich im Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der +Art unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber +durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre Drachme auf +das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, den denn auch die +roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der Victoriamuenze (victoriatus) +zunaechst fuer Oberitalien zu praegen begann. Dieses neue von dem roemischen +abhaengige System beherrschte nicht bloss das massaliotische, oberitalische und +illyrische Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen +Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die Alpengegenden das +ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis hinein in das heutige +Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des Mittelmeergebiets erstreckte in +dieser Epoche wie die unmittelbare roemische Herrschaft so auch die roemische +Muenze sich noch nicht; dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse +Vermittler des internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar +die roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen von +einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des Hannibalischen +Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran fest, ausser dem +national-italischen Kupfer nichts als Silber zu schlagen; aber der Verkehr +hatte bereits solche Verhaeltnisse angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem +Golde nach dem Gewicht auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre +597 (157) in der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes +oder ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel +fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die edlen +Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das +Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter +geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und +namentlich mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant +uebergegangenen Osten. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, +18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war +1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen +Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben +auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an, +sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr gewonnenes +Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten oder auch mit den +erworbenen Kapitalien und Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus +fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war +denn auch vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische. +Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie +heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren +Scipio Africanus sagt, dass er “fuer einen Roemer” nicht reich +gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man +ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000 +Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass eine +Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie erhielt, von +90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens +angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr +als eine halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte. +</p> + +<p> +Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der Nation +bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -, dass daselbst das +Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und Stellungen des Lebens +durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, +Kapitalistenentreprisen zu werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war +durchaus ein Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. “Einer Witwe +Habe mag sich mindern”, schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten +Lebenskatechismus, “der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige +ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei +seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat”. Wo +darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne +irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und wenn nicht +durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und Gerichtsgebrauch +erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht zugestanden ^14; aber +das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie +in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht +muss, und niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen +Angehoerigen nicht. Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische +Moral, die in allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das +Geben von Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften +wurden in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften, +wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. Im +engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische Puenktlichkeit, +Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische Leben. Buch ueber seine +Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich +verpflichtet - wie es denn auch in jedem wohleingerichteten Hause ein +besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er +nicht ohne letzten Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, +die Cato in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne +Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den +kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen +Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt nicht +bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter +rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der +einen Partei geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, +womit sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb +eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den +unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei gleicher +Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die +konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in der scharfen und immer +schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich +fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn +nicht bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit +oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere +Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen, +sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich untereinander +leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung (depositum), +Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten Gegenstaende +(commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und Besorgung (procuratio) nach +demselben Grundsatz behandelt, so dass es unschicklich war, dafuer eine +Verguetung zu empfangen, und eine Klage selbst auf die versprochene nicht +gestattet ward. Wie vollstaendig der Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am +schaerfsten die Ersetzung des Duells, auch des politischen, in dem roemischen +Leben dieser Zeit durch die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, +um persoenliche Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger +und dem Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden +Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in +aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer +solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette war, ganz +wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf rechtlich freigestellt, aber +ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und +ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. +</p> + +<p> +^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer +den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des +Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte Forderung, gibt +diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen Glaubwuerdigkeit der +Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener Sache handelt, den +Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese kaufmaennische +Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, der Literalkontrakt nicht +gerade abgeschafft worden, aber von selber verschwunden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer +fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine Steigerung +des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch besondere Nahrung durch +das schon oft erwaehnte System der Regierung, ihre Geschaefte durch +Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen +war es natuerlich und wohl auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate +vorgeschrieben, dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern +Kapitalistengesellschaften diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach +dem Muster dieser Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es +finden sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische +Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen +Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16. +Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem Risiko +verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche Ausdehnung an, +dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum unbekannten Assekuranzen trat. +Nichts war gewoehnlicher als das sogenannte Seedarlehen, das heutige +Grossaventurgeschaeft, wodurch Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels +sich auf die Eigentuemer von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese +Fahrt kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber +ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen Spekulationen mit +kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu spekulieren; Cato riet dem +Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit seinem Gelde auszuruesten, sondern +mit neunundvierzig andern Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden +und an jedem zum fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch +herbeigefuehrte groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der +roemische Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen +Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem +vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese +kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie eines +jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios’ Zeugnis kaum einen +vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller Gesellschafter bei +den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um soviel mehr wird ein jeder +durchschnittlich einen ansehnlichen Teil seines Kapitals in den kaufmaennischen +Assoziationen ueberhaupt stecken gehabt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der +Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: “Es +soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand zuruecktreten, +um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer verdungen werde; ausser +wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort als seinen Kompagnon namhaft +macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein scheint, so sollen auf Verlangen des +Gutsherrn oder des von ihm bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen +Assoziation, mit welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, +[nicht zu jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den +Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.” Dass der +Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird +stillschweigend vorausgesetzt. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht +noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in dieser +Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen Geschlechter +durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, findet hier, in den +einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen der kaufmaennischen +Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. +</p> + +<p> +Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie +konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen Uebelstaende +nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche bereits durch das +Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte, +erlitt einen gleich schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich +zeichnende soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung +nach unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, +anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut +und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, fuer +die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand nicht bloss +zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem respektablen Guts- und +Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und +dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach oben +hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius veranlasste Claudische +Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, +Seeschiffe ausser zum Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und +wahrscheinlich auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, +ueberhaupt ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter +“Spekulation” (quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung +nicht von den Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen +Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte, +dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es kann +auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft, mit der +demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die Gelegenheit +wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die Konkurrenz zu +vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr unvollkommen erreicht, da das +Assoziationswesen den Senatoren Wege genug eroeffnete, im stillen weiter zu +spekulieren; aber wohl hat dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen +den nicht oder doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen +gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die +Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit +dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung +ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem +Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. 94 Orelli) +und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius “jede Spekulation fuer +den Senator unschicklich gefunden ward”, so hat das Claudische Gesetz +wahrscheinlich weiter gereicht. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige +Hervortreten eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und +grossen am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster +Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel +bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze +scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den +keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den +anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben; +wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland +von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun gar mit +Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die Bilanz notwendig +zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die Hauptstadt der +Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; mehr wollte man eben +auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter +als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich +gefallen - besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man +brauchte und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der +Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der +roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung +eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten war, +verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall +zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei. +</p> + +<p> +Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen +Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens +und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten +Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des +Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der +instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten +Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben +des Rechtes nach immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst +in einem Lustspiel dieser Zeit: +</p> + +<p> +Wahrhaftig gleich eracht’ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; +</p> + +<p> +Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte. +</p> + +<p> +Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut’ ihr beide. +</p> + +<p> +Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen; +</p> + +<p> +Ihr bracht’ sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden. +</p> + +<p> +Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr. +</p> + +<p> +Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der Reformpartei +Cato sich aus. “Es hat manches fuer sich”, heisst es in der Vorrede +seiner Anweisung zum Ackerbau, “Geld auf Zinsen zu leihen; aber es ist +nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und in dem Gesetze +geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu +leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer +Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen erachtet ward”. Der +Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder +sei nicht gross; und man muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht +hinter seinen Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch +seine strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande +hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt seiner +ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten mit Widerwillen +und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich rechtschaffener und ehrbarer in +den Provinzen als diese Geldleute, sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur +brachen der haeufige Wechsel der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche +Ungleichheit ihrer Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, +notwendig die Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht +schwer war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu +ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu geben; +hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato war, durch Lehre +und Beispiel der Ackerbau gepredigt. “Wenn unsere Vorfahren”, +faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, “einem tuechtigen Mann +die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen tuechtigen Bauern und einen +tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, schien das hoechste Lob erhalten zu +haben. Den Kaufmann halte ich fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein +Geschaeft ist Gefahren und Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die +Bauern geben die tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb +ist wie dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich +abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken”. Von sich selber pflegte +er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei Erwerbsquellen herstamme: +aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und wenn das auch weder sehr logisch +gedacht noch genau der Wahrheit gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit +Unrecht seinen Zeitgenossen wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen +Gutsbesitzers gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche +Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel +der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der +Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der Hand; sie +war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der Partei der +sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie war es denn mit dem +Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum fuenften Jahrhundert der +Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art gefuehrt hatte, dass es mittels +des Schuldzinses die Bodenrente den arbeitenden Bauern entzog und den muessig +zehrenden Rentiers in die Haende fuehrte, war ausgeglichen worden +hauptsaechlich durch die Erweiterung der roemischen Oekonomie und das +Hinueberwerfen des in Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen +Mittelmeergebiet taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte +Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und eine +wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die senatorischen +Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem Grundbesitz zu +draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise das italische Ackerland +systematisch zu entwerten. So begann denn der zweite Feldzug des Kapitals gegen +die freie Arbeit oder, was im Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die +Bauernwirtschaft; und war der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten +verglichen milde und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den +Bauern auf Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer +keinen Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht +radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und verwandelten +sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. Man nannte das +ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die Anwendung der +Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. Die Schilderung der +Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und vollkommen richtig; aber wie +passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er schildert und anraet? Wenn ein +roemischer Senator, wie das nicht selten gewesen sein kann, solcher Landgueter +wie das von Cato beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der +zur Zeit der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig +Bauernfamilien ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa +fuenfzig groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, +um die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit +selber bis zum Verwechseln aehnlich. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer in +Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht seine Art, +geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in Staatspachtungen spekuliert, +was er als Senator nicht durfte, noch Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm +Unrecht, wenn man ihm in letzter Beziehung eine von seiner Theorie abweichende +Praxis vorwirft: das Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem +Gesetz kein verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich +zu den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten +Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand +der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der +Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser Anzahl +daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so schnell. Polybios, +der nicht lange nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre +zahlreiche, schoene und kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen +Korngesetzgebung waere es wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die +Polandschaft zur Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum +und der sogenannte “gallische Acker” durch die Aufteilungen des +Domaniallandes in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine +zahlreiche Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg +mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren +Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien +Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile des +hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten und das der +Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den abgeschlossenen +Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen hatte der +Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer Menge kleinerer +Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und Tarent, beide einst +imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium +hatte von den schweren Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt; +nach der Zaehlung von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu +stellen als die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach +dem roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein +der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die +Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, obwohl +bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch uebler waren in +demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin wohlbevoelkerte +Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. In Apulien fanden +spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier angelegten Kolonien +wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die schoene kampanische Ebene; doch +ward die Mark von Capua und der anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten +Gemeinden Staatsbesitz und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht +Eigentuemer, sondern kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und +brettischen Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne +Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich +reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, +um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von +Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten Kolonien recht +in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen und oekonomischen +Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem verhaeltnismaessig +bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen doch der Rueckgang +unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den +allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin +ueberein, dass Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am +Ende des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen +aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der +Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen +herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von ihnen zu +stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die roemische +Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252), +kurz nach Regulus’ Zug nach Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner; +dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 +220), war sie auf 270000 Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre +weiter, kurz vor dem Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also +um ein Viertel gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine +ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders +der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren +ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer wieder +erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode gestanden hatte. +Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische Bevoelkerung ueberhaupt, so +wuerden sie ohne allen Zweifel ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres +Defizit aufweisen. Das Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch +ist es von landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch +aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben wuchs +die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien und dem +Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den Ackerbau +ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier recht eigentlich die +Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher gemacht, dass starke +Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine +im groessten Massstab angelegte, auch mit dem Bacchanalienwesen sich +verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell +verurteilt. Aber auch in Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine +Sklavenbande marschieren (558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte +wie Setia und Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte +ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und +loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und +Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege mit +Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft dezimierten +und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen Volkskraft und Volkszahl +die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar +und Hannibal. Es kann niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; +aber erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils +wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht +einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der +ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen Adel, +die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten Punischen +Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem +roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden +aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu +stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte Luft zu +machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die wenigsten; aber es war +diese frevelhafte Rede doch nichts als der schneidende Ausdruck der +straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die +gemeine Buerger- und Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr +Verderben, aber man liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in +maessiger und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen +bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/> +Glaube und Sitte</h2> + +<p> +In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer er war, +desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte bannte ihn in +einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die +bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu +haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein +Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat +seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein +konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde +auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging +zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein +Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem +alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen +roemischen Familien zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die +Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, +wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. +Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes +auch dies, dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit +waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in die +schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode sich aeussern +durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes +mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung +im roemischen Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren +Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die +Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener +Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das +Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten +ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen +letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien, +auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der +Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der grossartigste und eigentuemlichste +Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige +Gepraenge so verschwand, dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren +Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist +schon frueher gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische +Aedilitaet oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs +getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben +gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der Koenige +hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in hoelzernen +Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste Schmuck des +Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen +Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich +Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, +jeder in dem bei Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der +Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im +purpurgesaeumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres +Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren +purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten +Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von +ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten +Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre +kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne +des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die +Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. +So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet; +die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen +sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse +betrat die Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines +jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst +Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. +</p> + +<p> +Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation +haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis +in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst +sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel +Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich +imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der +stolzen Wuerdigkeit des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die +abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem +gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren +satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte +erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. +</p> + +<p> +Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht +mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen +uebergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat +an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem +Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es +ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das +jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, +geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr +aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum +praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer +dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas +wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben +zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu +erschrecken; und wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische +und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht +haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu +bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit +brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der +geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und +Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel +hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber +sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie +hatte auf dem geistigen Gebiete vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade +auch politisch das Problem geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein +Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf +Rom ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen +auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch +Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. +Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich gegen +das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer +dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische +Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der +Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den +frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluss +prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und +Laecherlichkeiten verfiel. +</p> + +<p> +Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der +alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die politischen +Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu +emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch frueher dargestellt ward; der +verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den +Koenigen gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische +Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit +massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die +Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur +Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da +wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum Beispiel liess der Besieger des +Koenigs Antiochos nicht bloss sich in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf +dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich +Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch +praechtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine +wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem +Hellenentum war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den +Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der +Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer +sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus +vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der +verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung +schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer +Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr +schwunghaft und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter +Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig eingegangen +in griechische Art und griechische Kunst. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und +seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; wenn +die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den +mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener +Beiname nichts sein als eine Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere +Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia +bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen +Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens und der +Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von +dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer +zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine +Darstellung zu versuchen. +</p> + +<p> +Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am +deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der +italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem +Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass er +waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern; +wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die +politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, +dass der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und +dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien. +</p> + +<p> +Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet +war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur +Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung +des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen +Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der oeffentliche +Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, sondern vor allem auch +immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der +Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten +Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei +Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss +die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es +hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit +Eifer und Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die +klerikale Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer +Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht +beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur +Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die +Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein +kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der Uebernahme +dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken war bei den +Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Laendern +verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen +und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine +auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende +Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast +zu werden - “Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern +sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das +Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male +infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten +ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem +gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus +zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die +untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; +und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne +in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und +Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: +</p> + +<p> +Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag +</p> + +<p> +Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; +</p> + +<p> +Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, +schick’ ich nichts. +</p> + +<p> +Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. +</p> + +<p> +Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt +einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie in den +niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz der latinischen +Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen Anforderungen, war +unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten +Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war +bereits geschaeftig, die ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und +feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist +damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des +Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der +natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den +Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes Opfer +wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal hintereinander +wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der +leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine +unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft +mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. +In dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre +Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der Unglaube +liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249) +kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul +selber offenkundigen Spott trieb - freilich ein Konsul aus dem absonderlichen +und im Guten und Boesen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen +das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre +vernachlaessigt werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden +und Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten +sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und +nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und musste es auch +wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur +Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heisst die +Landesreligion nach Polybios’ Auffassung als einen zur Prellung des +grossen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet +war, fand die hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden +Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Goetter +an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu schmuecken. +Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene +Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religioesen +Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des +griechischen Uranos dem roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl +auch hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war +die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die +poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des +alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) +ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, +sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der +Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, +aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten +Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die +allegorisierende Aufloesung der Landesreligion einzuleiten. Eine +historisierende Zersetzung der Religion lieferten die “heiligen +Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von +Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen +die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten gruendlich und +urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder +gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, +dass die Geschichte von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der +in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften +Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei +machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in +Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es +ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewussten +Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, dass bereits Ennius +diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins +Lateinische uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich +damit gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen +und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war ziemlich +durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer +sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen +und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. +</p> + +<p> +So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man +die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit +wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer +Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben- +und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten +Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und +Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie +Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei +der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier +verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so die +praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige +Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche +ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr +als dies und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die +Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf +den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische +Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden +Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genuegen +zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer +Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den +Aberglauben in seinen aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach +Italien, und eben als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz +besonderen Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren +schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit +bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der +phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter der +roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten bangen Jahre des +Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen muessen. Es ging deswegen +eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen +Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die +richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem +Gepraenge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das +froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit +umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das +beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der +Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der Orientalen +offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt, +dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten (Galli), wie sie hiessen, +auch blieben und noch kein roemischer Buerger zu diesem frommen Eunuchentum +sich hergab, so musste dennoch der wueste Apparat der “Grossen +Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdlaendischer +Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen +aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze +sinnlich-moenchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und +Anschauung des Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur +zu schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der +scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine geheime +naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen +Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich +fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz Italien verbreitet, ueberall die +Familien zerruettet und die aergsten Verbrechen, unerhoerte Unzucht, +Testamentsfaelschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen +wurden deswegen kriminell, grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge +Vorschriften fuer die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft +Herr zu werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende +Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich +absehen lasse. +</p> + +<p> +Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie +gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich einig; die +altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen Aufklaerung trafen +hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die +Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer +darbringen noch fuer sich darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am +Flurfest auf dem Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder +bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem +Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das +Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort +und urspruenglich auf den etruskischen Gedaermebetrachter angewandt worden. +Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die +Bettelpropheten und ihren Anhang: +</p> + +<p> +Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack, +</p> + +<p> +Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, +</p> + +<p> +Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, +</p> + +<p> +Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. +</p> + +<p> +Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft +verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller +wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders +konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des +verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von +Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng +verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch +der hoehere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung +dennoch nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem +Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden +Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der +etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs +wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die +Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, +unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer +Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des Goettermutterdienstes ist +ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenueber sich die +Regierung fuehlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber +eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche +Nachlaessigkeit oder etwas noch Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie +die Bacchanalien waren, erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige +Anzeige hin von den Behoerden eingeschritten ward. +</p> + +<p> +Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das roemische +Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus +dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie +taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, +so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein +guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht +war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch +ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden +nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen +Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man +daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm +abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. +Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener +Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische +eigenhaendig mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und +Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die +Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei der +Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft +zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen +Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, +wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau +durchaus nur als ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von +Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene +Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” - +meinte der alte Herr - und “waeren die Menschen der Weiber los, so +moechte unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung +der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen +eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn +sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer +auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, +worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, +Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu +mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn +irgend moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche +Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er +in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu +nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn +diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist +wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten +Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als +der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen +Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und +Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit +vorbei war, wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu +sein, und ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben +haben musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm +Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte +er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und +das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten Jahren sich in die +allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass er imstande war, das, was +er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu +ueberliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn +berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen +deutlichen Buchstaben eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine +strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn +mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in +seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwaenden keine +Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und +litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu +stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt +und trank er Wasser oder nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war +er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt +als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei +Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn +zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder die +Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen +Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, dass man eine +ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes +Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. Jeder Augenblick war +eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu +rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb +denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der +Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und +ohne viel Reden abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so +verhasst als die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. +</p> + +<p> +So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte +roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem griechischen +Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings +etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen - +wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: +</p> + +<p> +Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei; +</p> + +<p> +Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt; +</p> + +<p> +Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir. +</p> + +<p> +Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die +Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem +Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der +fremden Sitte eher zu schaerfen als zu mildern. +</p> + +<p> +Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. +Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die +Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich dagegen. etwas +Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf +diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten +und ging ueberdies ein paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt +tatsaechlich ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 +(234) schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im +Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle +Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner +Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat +herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt zu verschaffen, was +auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach +alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der +eheherrlichen, mit der vaeterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete +unter der Vormundschaft ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der +vaeterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, +die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber +jetzt fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu +streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich +der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermoegens +selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel +bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt +zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Haenden der Frauen sich +zusammenfand, schien den Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem +exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen +gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst willkuerliche +Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften +denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte ueber +die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, +praktisch mehr und mehr zur Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen +fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato +meinte, “die Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der +Buergerschaftsversammlung war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich +bereits in den Provinzen Statuen roemischer Damen. +</p> + +<p> +Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und in der +Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug +der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, +sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende +Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es +trotz Catos eifrigem Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae +(539 215) gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die +bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 +195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, als auf +diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und +groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes Silbergeschirr, +Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewaender und +Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war +es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne +Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten +Fruehstueck (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die +Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten +die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur bei +Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann +Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen begann die +wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein eigener Koch +gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk +zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die +ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen +Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden ihr +Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische Delikatessen, +pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, +und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des +koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen +Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer +Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte +man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage +nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein +wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das +Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das “griechisch +Trinken” (Graeco more bibere) oder “griechen” (pergraecari, +congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm +das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche +Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. +Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato schlug +vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das +Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam der Lust zu lottern und +zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der +Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang +derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen +Zeremonien beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September +ein einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest +bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses +Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies daneben zu +Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten megalensischen, +gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November +das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtaegig gefeiert. +Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulositaet +vermutlich oft bloss als Vorwand diente, und die unaufhoerlichen +ausserordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwaehnten Schmaeuse von +den Geloebniszehnten (2., 391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die +Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem +Abschluss eines der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion +abgegrenzten Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), +gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten +Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten Schmausereien +an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), unter den geringeren +Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); beide unter dem Einfluss der +fortan festverbuendeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man +war ganz nahe an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden +Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen +wie fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen +von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb +dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und +mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich +nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr +anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn +er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die +bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte nach +neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern +treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. Von den +dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein +Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser +Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie nach +Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum laufen und +hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus +diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien +Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen +Kosten nach Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen +Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie +sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; +zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum +Spasse vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch +auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, +sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt +hatte; die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der auslaendischen +Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward und hielt mit Strenge +darauf, dass bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch +hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang +zwar, wie es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von +Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht +unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem +Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer +den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des +hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen +und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht +der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf, durch die Macht der +Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe +der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer +Bluetezeit tat, oder einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, +wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen +waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die ersten +griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom +Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren miteinander zu boxen, worauf +denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das +derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber +mit grosser Anschaulichkeit: +</p> + +<p> +Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt, +</p> + +<p> +Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht +</p> + +<p> +Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann. +</p> + +<p> +Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich. +</p> + +<p> +Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. +</p> + +<p> +[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar; +</p> + +<p> +Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.] +</p> + +<p> +Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf. +</p> + +<p> +Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt, +</p> + +<p> +In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind. +</p> + +<p> +Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; +</p> + +<p> +Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus +</p> + +<p> +Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. +</p> + +<p> +Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn; +</p> + +<p> +Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt; +</p> + +<p> +Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil; +</p> + +<p> +Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch, +</p> + +<p> +Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin: +</p> + +<p> +Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. +</p> + +<p> +Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten +roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz. +</p> + +<p> +Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in dieser Zeit +Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 +Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den +Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen +Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu +demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, fuehrte +Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe von Profession, +zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und +kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, +so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren +Kreisen in Gebrauch. +</p> + +<p> +Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine +oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward +immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter +Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das +Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) +hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 +Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die +Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas +umsonst, wie die Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit +dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht +zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen +versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, +fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die +Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, +nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl +womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu +gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug und +Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung +rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die +letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren +gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die Ehegatten +sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter +Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen +Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in +der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu +gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle +Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer +mit voller Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe +von zweifelhaftem Wert. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/> +Literatur und Kunst</h2> + +<p> +Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei +einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu wuerdigen, +ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die Volksbelustigungen +dieser Zeit ins Auge zu fassen. +</p> + +<p> +Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer +Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der +Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist, +bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den Fall +kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat +man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher +grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den +Knabenjahren sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der +hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen +war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation +laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung +ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem +Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon sehr +wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu +einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang +griechische Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein +auch in die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung. +Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben der nicht +vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum +rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes +Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der +senatorischen Familien aber redeten nicht bloss griechisch vor einem +griechischen Publikum, sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius +Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und +schrieben in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher +Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen noch +weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in roemischer +Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der “grosse Feldherr der +Aeneiaden” brachte den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit +griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator +rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische +Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera, +nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, morus, +graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum Charakter der +Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu gefuegt und nur bei +Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises +stehen, wie zum Beispiel es im ‘Wilden’ (1, 1, 60), freilich in +einem vielleicht erst spaeter eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia +[Edelmut ist Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in +der ‘Casina’ (3, 6, 9): +</p> + +<p> +πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor; +</p> + +<p> +ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‘Die beiden Bacchis’ +(240): +</p> + +<p> +opus est chryso Chrysalo; +</p> + +<p> +wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, Andromache als +den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind +die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im +‘Bramarbas’ (213): +</p> + +<p> +euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! +</p> + +<p> +Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur! +</p> + +<p> +^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: +Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse! +</p> + +<p> +Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn! +</p> + +<p> +Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe, +</p> + +<p> +Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische +Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der +elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich +zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde +viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem Wirtschaftersklaven zum +Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die Faehigkeit zu lesen und zu schreiben +voraus. Der Elementarunterricht sowie der Unterricht im Griechischen muessen +lange vor dieser Zeit in sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. +Dieser Epoche aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer +bloss aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher +hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und geselligen +Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in einem Dorfe der +deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn gibt; und die aeltesten +Schreiber griechischer Chroniken mochten unter den uebrigen Senatoren stehen +wie in den holsteinischen Marschen der Bauer, welcher studiert hat und des +Abends, wenn er vom Pfluge nach Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. +Wer mit seinem Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot +und als Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar +nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder Konsul +werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche Zersetzungsprozess der +italischen Nationalitaet war bereits, namentlich in der Aristokratie, weit +genug gediehen, um das Surrogat der Nationalitaet, die allgemein humane +Bildung, auch fuer Italien unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach +einer gesteigerten Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der +griechische Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward +dabei die klassische Literatur, namentlich die ‘Ilias’ und mehr +noch die ‘Odyssee’ zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen +Schaetze hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet +vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des +Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein +hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende +allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass die +erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der +Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die +Lustspiele Menanders. +</p> + +<p> +In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein groesseres +Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu +empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch +wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch +hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die +oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere +geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in +der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen oder +Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3; es hatte dies +um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet dem griechischen fast +gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war +das wenigste; weit tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen +Unterrichts in den lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es +ist, fuer die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und +geeignete Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal +gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem +Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu genuegen +wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, welche der griechische +Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf den Unterricht im Lateinischen +einfach uebertrug - geht doch heutzutage in der Uebertragung der +Unterrichtsmethode von den toten auf die lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher +Prozess unter unseren Augen vor. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als +Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20). +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch +lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine +lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war in Rom +nicht vorhanden. +</p> + +<p> +Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit ist +frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die Buehne eine +bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die eigentliche +Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal, am Schlusstage +statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. +Allein lange Zeit bestanden diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in +Taenzen und Gaukelspiel; die improvisierten Lieder, die bei denselben auch +vorgetragen wurden, waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man +fuer sie sich nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen +Volksfestlichkeiten standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr +Talent des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu +Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in Griechenland +beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; dasselbe musste bald die +Blicke der roemischen Festgeber und ihres Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl +lag nun in dem aelteren roemischen Buehnenlied ein dramatischer, der +Entwicklung vielleicht faehiger Keim; allein daraus das Drama herauszubilden, +forderte vom Dichter wie vom Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, +wie sie bei den Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu +finden war; und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit +dem Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe und +Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches Beduerfnis +vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man wuenschte sich ein +Theater und es mangelten die Stuecke. +</p> + +<p> +Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit +war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht auf +der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu +einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische +Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das +Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und musste statt +sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist +die literaturlose Zeit. Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen +und die hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, +stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie +von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf griechischem Boden +und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch roemischen Nationalsinn. Vor +allem die roemische Poesie ging. zunaechst gar nicht aus dem innerlichen +Dichtertriebe hervor, sondern aus den aeusserlichen Anforderungen der Schule, +welche lateinische Lehrbuecher, und der Buehne, die lateinische Schauspiele +brauchte. Beide Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und +durch antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem +Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein Greuel; und +wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem roemischen Gemeinwesen +war, dass es innerhalb der roemischen Buergerschaft keinen Herrn und keinen +Knecht, keinen Millionaer und keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche +Glaube und die gleiche Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule +und die notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer +das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die +wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil sie +lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen und schreiben, +ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber gewoehnte man sich, mit +roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze innere Sein und Leben griechisch +ward. Es ist nicht eine der erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden +Saeculum des roemischen Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten +und geschichtlich belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht +unmittelbar politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und +wie der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im engen +Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben. +</p> + +<p> +Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere +Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 bis nach 547 +272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius Andronicus genannt, +kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den anderen tarentinischen +Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator +(Konsul 535, 547 219, 207). Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei +und Textschreiberei, teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen +Sprache, welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben +vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei +so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich seiner +nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung des +Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des Dankliedes +uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und Schauspielerzunft +einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im Minervatempel auf dem +Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen +Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den +lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen bei +seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste +roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. +Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst, +sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie +oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger +war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das +griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten +Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne +aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie +in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war +geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann +nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als +Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um so +empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt, +sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. +Die starken Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus +der Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald +schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was +die alten Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule +abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand nahm. +Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die +Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten +die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen +geschah und die Livische ‘Odyssee’ vielmehr in dem nationalen +saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben +und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen +nachbilden liessen als die epischen Daktylen. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des +Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. +</p> + +<p> +^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es: +</p> + +<p> +quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem. +</p> + +<p> +Milchfuell’ ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt’ ich ihn. +</p> + +<p> +Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) +</p> + +<p> +Ούδ' άρα Κίρκην +</p> + +<p> +εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα +</p> + +<p> +ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή +</p> + +<p> +σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον. +</p> + +<p> +aber verborgen +</p> + +<p> +Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig +</p> + +<p> +Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun +</p> + +<p> +Brot ihr und Fleisch in Fuell’ und den tiefrot funkelnden Wein her. +</p> + +<p> +werden also verdolmetscht: +</p> + +<p> +tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae: +</p> + +<p> +simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis. +</p> + +<p> +mília ália in ísdem - ínserínúntur. +</p> + +<p> +In Eil’ geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. +</p> + +<p> +Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen +</p> + +<p> +Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge. +</p> + +<p> +Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die Gedankenlosigkeit des +Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke +schickt. Ein zweites, noch laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von +αιδοίοιςιν έδωκα (Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen +ist auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der +Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden Schulmeister +standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er gleich in Tarent +geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich Muttersprache gewesen sein +kann. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. +Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem +Recht, gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser +Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden +Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine lyrische, +epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher +Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen. +</p> + +<p> +Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das Publikum stand +an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein stehendes Theater mit +festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in Griechenland wie in Rom trat +das Schauspiel nur als Bestandteil der jaehrlich wiederkehrenden oder auch +ausserordentlichen buergerlichen Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch +die Regierung der mit Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste +entgegenwirkte oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie +die Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt dessen +wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer die Akteure +(proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund (scaena) +aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der Zuschauerplatz (cavea) +abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss abgeschraegt ward, so dass die +Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich mitbringen liessen, kauerten, lagen +oder standen ^7. Die Frauen moegen frueh abgesondert und auf die obersten und +schlechtesten Plaetze beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die +Plaetze nicht geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt +ward, den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am +Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt +Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. +</p> + +<p> +^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga +zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. O. +Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875, S. +285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen Prologe, sondern +schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; +83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten +Zuschauer sich Stuehle mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren +Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter +der Stadt scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei +denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden +zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit +Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die +Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie heutzutage bei +oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es +denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und +kreischten, hier und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu +draengen; die Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als +Feiertag und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der +Rute zu wirken. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen +worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp. +12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von Rechts wegen +ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) +und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den +Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, +155; Tust. 43, 5, 10; Suet. Aug. 44). +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die +Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten kein +Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal in Ermangelung +von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. Allein. in der Stellung +des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; der Poet oder, wie er in dieser +Zeit genannt ward, der “Schreiber”, der Schauspieler und der +Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der an sich gering geachteten +Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch vor wie nach in der oeffentlichen +Meinung auf die markierteste Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt +(l, 475). Natuerlich hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe +fern - der Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in +der Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre +Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt werden, +sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein +Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem Ende +dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern ward ueberdies +von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das Stueck nicht durchfiel. Mit +der Bezahlung war alles abgetan: von Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie +sie in Attika vorkamen, war in Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst +in dieser Zeit, wie bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem +Tage nur ein einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter +solchen Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der +Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische +Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich +entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die attische +Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im ganzen genommen, +nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man nur sich wundert, dass sie +im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu entfalten vermocht hat. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine +Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 229); +aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, nicht dem +Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der Didaskalien und +Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber Preisgerichte und Preise ist +entscheidend. +</p> + +<p> +Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die +Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende +nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben +Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur +Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer +Rechnung etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches +Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor. +epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer “ganze +Tage” im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren +Zeit. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie +ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des gehofften +Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass diese Zeit wohl +eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, aufweist, eigene +Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter den dem Namen nach uns +bekannten Dramen dieser Epoche auf ein Trauerspiel drei Lustspiele kommen. +Natuerlich griffen die roemischen I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer +zunaechst nach den Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit +beherrschten; und damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den +Kreis der neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter +Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen +(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische +Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig geworden, +dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt +geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte +menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede +Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon, +heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die +neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen, +warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden +Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben sollten. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie +sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch +des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und +sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck geht +regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der +die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der +Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad +des Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude und +Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor +Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die +Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch +der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander +unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und Befriedigung der +Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen pflegt als wenn nicht +ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden +gekommene Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute +Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum +Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der ‘Strick’ sich um +Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das ‘Dreitalerstueck’ und +‘Die Gefangenen’ gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die +edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den +Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer +Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den +Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit +irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden Masken, +deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben +Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur +auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine +solche Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor, +wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation +beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element, sondern +ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine +grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch +verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der +Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere Komoedie sich +von der aelteren ebenso sehr durch die groessere innerliche Leere wie durch die +groessere aeusserliche Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders +durch die Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte +Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums war. +Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, +oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel die Casina +mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut aufgeputzten Soldaten +echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren und Raetsel, welche ja auch +an der attischen Tafel dieser Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs +die stehenden Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese +Komoedien aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und +Aristophanes fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, +wie andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, +in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch +kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung +derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst daran +erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander +und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild +der gebildeten attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch +niemals heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir +sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt +und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, +dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und +selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als in +seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die freundlichen +haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und +Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so +allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht +verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der ‘Stichus’ +schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht +der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von +unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten +Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im bunten +goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf der Buehne +Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die Gelegenheitsmacherinnen sich ein, +bald von der gemeinsten Sorte, wie deren eine im ‘Curculio’ +auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter Barbara, wie die Scapha in der +Wunderkomoedie; auch an hilfreichen Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr +reichlich und mannigfaltig besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen +umeinander der strenge und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der +nachsichtige gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme +Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen den +Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen zuruecktreten +und weder der erste Liebhaber noch der hie und da begegnende tugendhafte +Mustersohn viel bedeuten wollen. Die Bedientenwelt: der verschmitzte +Kammerdiener, der strenge Hausmeister, der alte wackere Erzieher, der +knoblauchduftende Ackerknecht, das impertinente Juengelchen - leitet schon +hinueber zu den sehr zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter +ist der Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des +Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen, +auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat - es +war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es auch keine +poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und +Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der +Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern +auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit +Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im ‘Luegenbold’ +ein Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die +Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der +gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der +feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen mehr. +Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der Aberglaeubige +Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie. Die +nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten Schoepfung ihre +unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier +doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr, +je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend, +dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische Wahrheit +grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der +Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als +verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und +ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren Komoedie +faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten Nation. Das +spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, Volksglaube, +Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und +Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als +die Schule, der Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein +Tadel, wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt +ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das +Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die +Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen +den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu +verfallen, sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen +Ueberrest des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus’ +‘Amphitryon’ weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als in +allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise +ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die +possierlich feigen Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und +nach dem drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter +Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe der +Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, +verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden +Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom geschichtlich-sittlichen Standpunkt +aus gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein +individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche +steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben +waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser +Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen, notwendig, auf +den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit und Zierlichkeit sich +auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar Menander einigermassen vermied, +an denen aber bei den anderen Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit +schlimmer ist die grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit +und der Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie +Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene +Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer gewissen +Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche Sittlichkeit, mit welcher +namentlich die menandrischen Stuecke staffiert sind. Das Laster wird +abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder +nach der Hochzeit zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische +‘Dreitalerkomoedie’ und mehrere Terenzische, in denen allen +Personen bis auf die Sklaven hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt +ist; alle wimmeln von ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von +Maedchentugend womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden +Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind +gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in ‘Die +beiden Bacchis’ ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter +zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine voellig +Kotzebuesche Sittenfaeulnis. +</p> + +<p> +Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. +Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern +wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter +der betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns +bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung +eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen Titel, +dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit genannt wird, und +wenn, wie das wohl vorkam, ueber die “Neuheit” eines Stueckes +gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon frueher +uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss haeufig im Ausland, +sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula +palliata) danach benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in +Athen ist und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. +Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der +ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische Kostuem +streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer vermieden und wo +ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch “Auslaender” +(barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male vorkommenden Geld- und +Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal die roemische Muenze. Man macht +sich von so grossen und so gewandten Talenten, wie Naevius und Plautus waren, +eine seltsame Vorstellung, wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl +zurueckfuehrt; diese krasse und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen +Komoedie war ohne Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten +bedingt. Die Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die +neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen +Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte +gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig von den +Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat abhingen, und +selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele, +nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei +ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu machen +gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese Komoedie, selbst +nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch +keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland +verbannt blieb. +</p> + +<p> +Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend +oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf die +Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und nachplautinischen +Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht zu einer einzigen +Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei dem lebhaften +Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen Invektiven gegen Gemeinden - +wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere +Spur als der bezeichnende Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner +und merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das +schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den +Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der +Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu den +friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher, gegen +Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe, +gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende +Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges Mal - im +‘Curculio’ - eine an die Parabasen der aelteren attischen Komoedie +erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben +auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal +patriotischen Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: +</p> + +<p> +Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, +</p> + +<p> +Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum? +</p> + +<p> +und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als +das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige +Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus +Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so +sind doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von +Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter anderm sich +heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen, +sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren +Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: +</p> + +<p> +Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, +</p> + +<p> +Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, +</p> + +<p> +Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. +</p> + +<p> +Wie in den Worten: +</p> + +<p> +Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, +</p> + +<p> +so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, +wie zum Beispiel: +</p> + +<p> +Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert? +</p> + +<p> +worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum +Beispiel: +</p> + +<p> +Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich +ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner (com. 21 +R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern tritt oefter +hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der pyrrhischen sowie die +Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher damit im Zusammenhang. +Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten natuerlich die Zensur. +Bemerkenswert ist auch das Kompliment fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). +</p> + +<p> +^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die +hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen +Krieges in der auf uns gekommenen Literatur: +</p> + +<p> +Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt +</p> + +<p> +Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. +</p> + +<p> +Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds, +</p> + +<p> +Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess, +</p> + +<p> +Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob, +</p> + +<p> +Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. +</p> + +<p> +Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den +saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen +(Liv. 29, 15; oben 2, 175). +</p> + +<p> +^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von Anspielungen auf +Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art +hat die neueste Untersuchung beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung +auf die Bacchanalien, welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, +Bd. 1, S. 192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus +den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der ‘Casina’ und einigen +anderen Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und +besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit +geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien zu reden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die +Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch nur zu +dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in den Block +geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien oeffentlich Busse +und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, wie es scheint, aus. der +Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch sein Beispiel sich warnen - einer +derselben deutet sehr verstaendlich an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, +gleich dem Kollegen Naevius der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So +ward es durchgesetzt, was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die +Besiegung Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung +eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen +Farblosigkeit entstand. +</p> + +<p> +Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen +Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte Naevius die +Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und Seleukiden, verglichen mit +derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen +ward natuerlich bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden +Originals und das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller +individuellen Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen +Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele denselben +Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst wurden. +Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im hoechsten Grade +frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die Originalstuecke vor derselben +Gesellschaft spielten, die sie kopierten, und eben hierin ihr +hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische Publikum dieser Zeit von dem +attischen so verschieden, dass es jene auslaendische Welt nicht einmal imstande +war recht zu verstehen. Von dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der +Roemer weder die Anmut und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die +uebertuenchte Leere. Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische +Sklave war ein Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen +vorkommen, oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern +die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen +gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele in +roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des pfiffigen +Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum solche, ihre +Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug. Eher als die feinen +Alltagsfiguren hielten die an sich derber und possenhafter zugeschnittenen +Staende- und Charakterbilder die Uebertragung aus; aber auch von diesen musste +doch der roemische Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und +originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die +Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und sich +vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen der bereits +sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus sein Publikum vertraut +gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der Spassmacher in dem Plautinischen +Lustspiel mit so auffallender Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so +liegt der Schluessel dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon +damals auf dem roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, +einen Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu +setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten +attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht brauchen. +Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens stand der roemische +Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche Kleinstaedter zu den +Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in +seinen Kopf; die Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung +sehr zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und +die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische Schweinebraten. +Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der griechischen Rhetorik und +Philosophie, die in den Originalen eine so grosse Rolle spielten, begegnet in +der Bearbeitung nur hier und da eine verlorene Spur. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem ‘Maedel von +Tarent’ nicht bedeuten: +</p> + +<p> +Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, +</p> + +<p> +Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt - +</p> + +<p> +Wie viel besser als hier der Freie hat’s darin der Knecht! +</p> + +<p> +^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum Beispiel bei +Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen: +</p> + +<p> +Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: +</p> + +<p> +Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als +</p> + +<p> +Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf ihr +Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte sie +unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und Durcheinanderwerfens +hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition sich vertrug. Es war +gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals herauszuwerfen, sondern +auch dafuer andere aus anderen Lustspielen desselben oder auch eines anderen +Dichters wieder einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen +Komposition der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig +so arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren +Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. +Die Handlung des sonst so vortrefflichen ‘Stichus’ (aufgefuehrt 554 +200) besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen moechte, +sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis +die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den +Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der +‘Casina’, die bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt +die Braut, von der das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum +Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv als “spaeter drinnen vor +sich gehend” vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die +Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen +und was dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache +hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der +roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des roemischen +Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der +Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf die +Komposition gewendet und ‘Die Gefangenen’ zum Beispiel, der +‘Luegenbold’, ‘Die beiden Bacchis’ sind in ihrer Art +meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke +mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die +kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. +</p> + +<p> +In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen +roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die +Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die wunderlichsten +Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen, militaerischen, +juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam aus in der griechischen +Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den +Agoranomen und Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken +den Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine +solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen +Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr +spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige +Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung +des Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von den +neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen; +Stuecke wie die Plautinische ‘Eselskomoedie’ werden ihre +unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer +verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in +einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder +mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen +Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche +erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische +Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. +Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die +elegante attische Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich +manche von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem +Plautinischen ‘Stichus’ der Vater mit seinen Toechtern ueber die +Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob +es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit +einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu unsinnigen +Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den +folgenden Fall. In Menanders ‘Halsband’ klagt ein Ehemann dem +Freunde seine Not: +</p> + +<p> +A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst +</p> + +<p> +Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert +</p> + +<p> +Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, +</p> + +<p> +Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns; +</p> + +<p> +Zur Last ist sie all’ und jedem, nicht bloss mir allein, +</p> + +<p> +Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss, +</p> + +<p> +So ist es. +</p> + +<p> +In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner grossen +Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog geworden: +</p> + +<p> +B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! - +</p> + +<p> +B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm’ ich etwa dir +</p> + +<p> +Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir +</p> + +<p> +Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie’s schon; +</p> + +<p> +Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der +geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen +Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen +Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr +haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so +wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der Bearbeiter +zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben wussten, als in dem +ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang +der Langverse auch da gefiel, wo er nicht hingehoerte. +</p> + +<p> +Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel der +Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die aesthetischen +Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon wegen des Umfangs des +Theaters und des Spielens bei Tage auf ein eigentliches Gebaerdenspiel +verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern besetzte und einer kuenstlichen +Verstaerkung der Stimme des Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in +szenischer wie in akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- +und Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den +Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch +wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren +sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel kuenstlicheren +Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern abgesehen, in Verbindung mit +der mangelhaften akustischen Einrichtung der Buehne ^17 den Schauspieler nicht +bloss noetigte seine Stimme ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den +Livius zu dem hoechst unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die +Gesangstuecke durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger +vortragen und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch +stummes Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber +ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in wesentliche +Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte regelmaessig eine Strasse +mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte keine wandelbaren Dekorationen; +allein man besass doch ausser anderem mannigfaltigen Apparat namentlich eine +Vorrichtung, um eine kleinere, das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf +die Hauptszene hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht +versehen, und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles, +sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die +Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler +unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8). +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art +und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt +von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares Bild; +in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das Original nicht hoch +und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch +die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten, +erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik +gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der +Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein +Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein Lebens-, +ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande +war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und +Athleten anzukuendigen und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu +verwandeln, vor einem Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in +Masse aus dem Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder +gar Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren, +Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die +eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der +herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist alles +Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische Talente unter +ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in der Poesie wenigstens +zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen Bahnen zu erfreulichen und +selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen vermochten. An ihrer Spitze steht +Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der es verdient, ein Dichter zu heissen und, +soweit die ueber ihn erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner +Werke uns ein Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten +und bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war des +Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann bedeutend +vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen Kriege - und im +allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in gemachten Literaturen zu +sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im +Epos, im Trauer- und Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen +sich eng an ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen +eine ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und +kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener +Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und Soldat +im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist Naevius’ +Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von aller Affektion und +scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu +gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen, +spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die +Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein +aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der Griechen ging, +so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und traf mit der wahren +Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine +volkstuemliche Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die +Komik. Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein +Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und lesende +Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein +Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben gewesen; +mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der Schauspieler ward nun der +Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein +volkstuemliches Gepraege. Es tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten +Nationalschauspiel und in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein +wird; aber auch in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen +Leistungen die seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen +zu sein scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere +Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den griechischen +Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, in frischer +Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine Nachfolger und +wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter sich zurueckzulassen, ja +in gewissem Sinne in die Bahnen des Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er +hat es wohl empfunden und in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er +seiner Nation gewesen ist: +</p> + +<p> +Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, +</p> + +<p> +Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen; +</p> + +<p> +Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied, +</p> + +<p> +Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten +Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 (235) +wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben (Gell. 12, 21, +45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie gewoehnlich angegeben wird, +bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so +muesste er waehrend des Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. +Auch die Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama +geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) setzen +duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen Scipionen (Cic. +rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und vielleicht zehn Jahre aelter +als Plautus war. Seine kampanische Herkunft deutet Gellius, seine latinische +Nationalitaet, wenn es dafuer der Beweise beduerfte, er selbst in der +Grabschrift an. wenn er nicht roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von +Cales oder einer anderen latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich +leichter, dass ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. +Schauspieler war er auf keinen Fall, da er im Heere diente. +</p> + +<p> +^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus +Naevius’ Trauerspiel ‘Lycurgus’: +</p> + +<p> +Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, +</p> + +<p> +Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf, +</p> + +<p> +Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch. +</p> + +<p> +Oder die beruehmten Worte, die in ‘Hektors Abschied’ Hektor zu +Priamos sagt: +</p> + +<p> +Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann. +</p> + +<p> +und den reizenden Vers aus dem ‘Maedel von Tarent’: +</p> + +<p> +Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. +</p> + +<p> +Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe +gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und +der fuer die tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht +gerade den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und +volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in +welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich +dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das +individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen +zugrunde. +</p> + +<p> +In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint +ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254-184). +weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich +umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen Sassina, +lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit gemachten Gewinn in +kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst hatte, als Theaterdichter von +der Bearbeitung griechischer Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der +Literatur taetig zu sein und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches +Schriftstellertum zu machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter +scheint es in Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre +Namen sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, +so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging +spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die +Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig solcher +“plautinischer Stuecke”, von denen indes auf jeden Fall ein grosser +Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der Kern derselben +ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die poetische +Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht +unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne +Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem +Publikum gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die +aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum +und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind +Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen +Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich gelten die +meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes +Geschick, die Situation buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast +immer gewandte und oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und +frische Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen +Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen +Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in +denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der +Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als +selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer +zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein es wird +dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der +rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach +dem Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen +ist. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der +Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen +Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller des +roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche Ungewissheit +ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen +anderen aeusserlichen Dingen besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen +Plautus und Shakespeare. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und +letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg - +namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu gelangen. Der +Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus gleich. Geboren im +Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter den insubrischen +Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener +von der Bearbeitung griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem +wahrscheinlich fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist +bei seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt +ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur +schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz +den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen Literaturzeit +Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter den roemischen +Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die erste Stelle eingeraeumt +haben, so scheint dies darauf zu beruhen, dass die kunstrichterliche +Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten poetischen vor dem einseitig +Vortrefflichen den Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den +Caecilius nur deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als +Plautus und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit +geringer als beide gewesen sein kann. +</p> + +<p> +Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr achtbaren +Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen +Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine +kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das geschichtlich-sittliche +Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem haerter ausfallen. Das +griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde liegt, war sittlich insofern +gleichgueltig, als es eben nur im Niveau der Korruption seines Publikums stand; +die roemische Schaubuehne aber war in dieser zwischen der alten Strenge und der +neuen Verderbnis schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus +und des Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit +wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe +usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen und +widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen Verherrlichung des +Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit und auslaendischem +Raffinement, war eine fortlaufende Predigt roemisch-hellenischer Demoralisation +und ward auch als solche empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der +Plautinischen ‘Gefangenen’: +</p> + +<p> +Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: +</p> + +<p> +Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, +</p> + +<p> +Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; +</p> + +<p> +Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. +</p> + +<p> +Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien, +</p> + +<p> +Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel, +</p> + +<p> +Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein: +</p> + +<p> +Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel. +</p> + +<p> +Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das griechische +Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden, dass auch in jenen +weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die Moralitaet von derjenigen Art +ist, die nur dazu taugt, die Unschuld gewisser zu betoeren. Wer kann es +bezweifeln, dass diese Schauspiele der Korruption praktischen Vorschub getan +haben? Als Koenig Alexander an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser +ihm vorlas, keinen Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das +nicht an ihm sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, +muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen +Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; wenn also +die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen Komoedien +Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. Es gereicht der +roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer diese Poesie so wenig +tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch +ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine +Kanzel zu errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, +dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der +Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie +wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette walten, +den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen selbstaendige +roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie ist auch eine +sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu +heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig +und zu viel; die politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer +Buehnenpolizei hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation +das Ihrige beigetragen. +</p> + +<p> +Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete, die +Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger auf die Buehne zu +bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines lateinischen +Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn die roemische +Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der latinischen Nation +zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und +Massalia, ebenso auch in den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu +lassen. In der Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel +(fabula togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, +Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese +Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war +nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in +Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga. +Hier waltet das latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die +Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie +schon die Titel zeigen: ‘Die Harfenistin oder das Maedchen von +Ferentinum’, ‘Die Floetenblaeserin’, ‘Die +Juristin’, ‘Die Walker’, und manche einzelne Situationen noch +weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe +nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender +Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt +nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges +und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn, +</p> + +<p> +Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der technischen +Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch +zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, +200, von 21; 50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die +nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder +Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und +nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet, +bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung, +insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die grosse +Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint +ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern nennt, an die +latinische Nation gedacht zu haben. +</p> + +<p> +Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu erkennen +haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in Griechenland; beiden +aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das Ausland gemeinsam, und die Stadt +und die Buergerschaft Roms auf die Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem +Lustspieldichter untersagt. Dass in der Tat die togata nur in den Staedten +latinischen Rechts spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in +denen unseres Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, +Ferentinum, Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg +latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die +Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den Lustspieldichtern diese +latinische Inszenierung verloren, da das Cisalpinische Gallien, das rechtlich +an die Stelle der latinischen Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen +Buehnendichter zu fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der +Tat verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden +Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die +fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. +</p> + +<p> +^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach +einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595 +196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) - denn mehr +moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden koennen und, +wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius, +Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta), +darum noch nicht gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten +sein als der juengste der aelteren. +</p> + +<p> +^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs nach +Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus), neun nach +Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna, psaltria oder +Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?), von denen zwei, die +‘Juristin’ und die ‘Floetenblaeserin’ offenbar +Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet die Frauenwelt +vor. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das +griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen +Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht haben, wie +sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro hervortritt. Wie in der +deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher Weise von der franzoesischen +ausgegangen war wie die roemische von der attischen, sehr bald die +franzoesische Lisette durch das Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so +trat, wenn nicht mit gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und +vielleicht mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das +latinische Nationallustspiel. +</p> + +<p> +Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im Laufe +dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht +auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, +das griechische, namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd +und bereits mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der +empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen +Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur +minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende Weise +gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war, dass die +griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von Euripides (274, 348 +480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen Mann und seine noch viel +merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist +dieses Ortes nicht; aber die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und +der griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es +unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren. +Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine +hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige +Gefuehl dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu +erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe aller +Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer die antike +Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber eigentliche +Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der +Kampf des Menschen und des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht +wesentlich darauf, dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst +wird; das wesenhafte Menschliche ist im ‘Prometheus’ und +‘Agamemnon’ nur leicht angehaucht von dichterischer +Individualisierung. Sophokles fasst wohl die Menschennatur in ihrer allgemeinen +Bedingtheit, den Koenig, den Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des +Menschen in seiner Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner +Gestalten zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das +hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die Verflechtung +dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer hoeheren poetischen +Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, gegen Shakespeare gehalten, +Aeschylos und Sophokles unvollkommene Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides +es unternimmt, den Menschen darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein +logischer und in gewissem Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer +Fortschritt. Er hat die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu +erschaffen vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, +durch welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins +Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des Altertums +ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel unvertraeglich; Euripides +aber behielt sie bei. Mit bewundernswert feinem Gefuehl hatte die aeltere +Tragoedie das dramatische Element, das frei walten zu lassen sie nicht +vermochte, niemals rein dargestellt, sondern es stets durch die epischen Stoffe +aus der Uebermenschenwelt der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere +gewissermassen gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: +er ging mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab +und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen +sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch hat er +weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit gestellt noch den +Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der +volle Ausdruck einer Zeit einerseits der grossartigsten geschichtlichen und +philosophischen Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie, +der reinen und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige +Froemmigkeit der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz +des Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der +aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so +erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so +entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken wie die +Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube +ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich despotische Macht, und +knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der +verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. +Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber +ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft +poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner +Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten +geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer +Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche Manier, den +Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine Goettererscheinung oder +eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht. +Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist +hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel +poetischer Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten +Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch +durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen +mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der willig +sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem +die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der +groessten Schoenheit; aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und +Aristophanes’ Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern +vermoege, vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des +gemeinen Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten +Heroen, wie der Menelaos in der ‘Helena’, die Andromache, die +Elektra als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, +widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen +dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen +Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende +Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie uebergehen, wie +die ‘Iphigenie in Aulis’, der ‘Ion’, die +‘Alkestis’ vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die +erfreulichste Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der +Dichter das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die +verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere +Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen; +dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu +unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im Ziergarten +durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin vor allem die +Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar menschlicher +Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht. Seine Medeia ist +insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt +gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe +und Eifersucht wird der unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor +allem aber ist in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt +durch die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen +einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge +fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen zusammen mit +dem gleichzeitigen politischen und philosophischen Radikalismus und ist der +erste und oberste Apostel der neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit +aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition, +auf die der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, +so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und +das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der +Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische +Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach also +zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch nur +gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt und +gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte sittlich wie +poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal +geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse, +wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist +Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig +las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn +entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm +gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides +ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns +entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, sondern der +Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem +neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und +das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder mittelbar +wesentlich durch Euripides bestimmt ward. +</p> + +<p> +Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten Kanaele nach +Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer mittelbar gewirkt haben +als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die tragische Schaubuehne ist in Rom +nicht gerade spaeter eroeffnet worden als die komische; allein sowohl die bei +weitem groesseren Kosten der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens +waehrend des Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden +ist, als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der +Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien nicht +gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art moegen aus den +Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig erfolgreiche +Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus juengerer Zeitgenosse +Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke schon von den gleichzeitigen +Lustspieldichtern parodiert und von den Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein +geschaut und deklamiert wurden. +</p> + +<p> +Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als die +komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, die bei +dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire ging +gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke hervor. Die +Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den unmittelbar damit +zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil dieser Mythenkreis allein dem +roemischen Publikum durch den Schulunterricht gelaeufig war; daneben +ueberwiegen die sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den +‘Eumeniden’, im ‘Alkmaeon’, im +‘Kresphontes’, in der ‘Melanippe’, in der +‘Medeia’, die Jungfrauenopfer in der ‘Polyxena’, den +‘Erechthiden’, der ‘Andromeda’, der +‘Iphigeneia’ - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass +das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. Frauen- +und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die +bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung von dem Original +betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl +fuer das komische chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere +Tanzplatz (orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor +sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art +Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und +der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der +Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen fehlte es +natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen und Verunstaltungen +nicht; in der lateinischen Bearbeitung der Euripideischen +‘Iphigeneia’ zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster einer anderen +Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein +Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die +lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden +^24, doch gab wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen +Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von +dem des Menander. +</p> + +<p> +Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in Rom +ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig; und wenn, +wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, in dem Trauerspiel +die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher auftritt, so trug dagegen +die tragische Buehne dieser Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch +weit entschiedener die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische +Tendenz zur Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der +einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, +sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer +Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom ueber und +lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in beschraenkten +Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen und Griechischen, +teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den Verehrungen derjenigen +roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius +Nobilior, geneigt waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu +lohnen, der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von +ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten +bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer +einen solchen Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. +Von Haus aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, +die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar +die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben; +und wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr folgeweise +aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr deutliches Ziel +gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, +sich auf einen volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr +seiner revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet +sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern +energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die +Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte +tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles +sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die +meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides nachgebildet +hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere +Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so +entschieden den Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr +vernachlaessigte als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als +der Grieche akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den +‘Thyestes’ und den aus Aristophanes’ unsterblichem Spott so +wohlbekannten ‘Telephos’ und deren Prinzenjammer und Jammerprinzen, +ja sogar ein Stueck wie ‘Menalippe die Philosophin’, wo die ganze +Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht und die Tendenz, +dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen +Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich +eingelegten Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die +folgende ist: +</p> + +<p> +Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch; +</p> + +<p> +Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los, +</p> + +<p> +Sonst ging’s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so. +</p> + +<p> +wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. Dass +Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet wissenschaftlich +predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm mit dieser Aufklaerung +Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die hier und da hervortretende +radikal gefaerbte politische Opposition ^27, die Verherrlichung der +griechischen Tafelfreuden, vor allem die Vernichtung des letzten nationalen +Elements in der lateinischen Poesie, des saturnischen Masses, und dessen +Ersetzung durch den griechischen Hexameter. Dass der +“vielgestaltige” Poet alle diese Aufgaben mit gleicher Sauberkeit +ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch angelegten Sprache den Hexameter +abrang und ohne den natuerlichen Fluss der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit +und Freiheit in den ungewohnten Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem +ungemeinen, in der Tat mehr griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man +bei ihm anstoesst, verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als +roemische Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres +Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die freilich des +poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu fuehlen, und der die +komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den Stolz, womit der +hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht, “in denen die +Waldgeister und die Barden ehemals sangen”, und die Begeisterung, womit +er die eigene Kunstpoesie feiert: +</p> + +<p> +Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen +</p> + +<p> +Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust. +</p> + +<p> +———————————————————————————————————— +</p> + +<p> +^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der +Ennianischen ‘Medeia’: +</p> + +<p> +Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος +</p> + +<p> +Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας +</p> + + +<p> +Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Utinam ne in nemore Pelio securibus +</p> + +<p> +Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας Caesa accidisset abiegna ad terram +</p> + +<p> + trabes, +</p> + +<p> + Neve inde navis inchoandae exordium +</p> + +<p> + Coepisset, quae nunc nominatur +</p> + +<p> + nomine +</p> + +<p> +Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος Argo, quia Argivi in ea dilecti +</p> + +<p> + viri +</p> + +<p> + Vecti petebant pellem inauratam +</p> + +<p> + arietis +</p> + +<p> +Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή Colchis, imperio regis Peliae, per +</p> + +<p> + dolum. +</p> + +<p> +Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας Nam nunquam era errans mea domo +</p> + +<p> + efferret pedem +</p> + +<p> +Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος. Medea, animo aegra, amore saevo +</p> + +<p> +saucia. +</p> + + +<p> +Nie durch die schwarzen Symplegaden +</p> + +<p> +haette hin +</p> + +<p> +Fliegen gesollt ins Kolcherland der +</p> + +<p> +Argo Schiff, +</p> + +<p> +Noch stuerzen in des Pelion O waer’ im Pelionhaine von den +</p> + +<p> +Waldesschlucht jemals Beilen nie +</p> + +<p> +Gefaellt die Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt +</p> + +<p> +sie die Hand der Tannenstamm +</p> + +<p> + Und haette damit der Angriff +</p> + +<p> + angefangen nie +</p> + +<p> + Zum Beginn des Schiffes, das +</p> + +<p> + man jetzt mit Namen nennt +</p> + + +<p> +Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos + +</p> <p> +dem Pelias auserlesne Schar, + +</p> <p> + Von Kolchi nach Gebot des + +</p> <p> + Koenigs Pelias + +</p> <p> +Zu holen gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes + +</p> <p> +waere mir Widdervliess! + +</p> <p> +Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den Fuss mir + +</p> <p> +dann Herrin setzte nie, + +</p> <p> +Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, krank im Herzen, wund von + +</p> <p> +hinweggeschifft. Liebespein. +</p> + +<p> +Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht bloss die +Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung oder Erlaeuterung der +weniger bekannten mythologischen Namen: der Symplegaden, des Kolcherlandes, der +Argo. Eigentliche Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten. +</p> + +<p> +^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters +die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich +ruft, +</p> + +<p> +mit welchem er gern und +</p> + +<p> +Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung +</p> + +<p> +Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen, +</p> + +<p> +Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch +</p> + +<p> +Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; +</p> + +<p> +Welchem das Gross’ und das Klein’ und den Scherz auch er mitteilen +</p> + +<p> +Durft’ und alles zugleich, was gut und was uebel man redet, +</p> + +<p> +Schuetten ihm aus, wenn er mocht’, und anvertrauen ihm sorglos; +</p> + +<p> +Welcher geteilt mit ihm viel Freud’ im Hause und draussen; +</p> + +<p> +Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit +</p> + +<p> +Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben, +</p> + +<p> +Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, +</p> + +<p> +Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, +</p> + +<p> +Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge, +</p> + +<p> +Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit, +</p> + +<p> +Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch, +</p> + +<p> +Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen. +</p> + +<p> +In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges divumque +hominumque. +</p> + +<p> +^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. +956), dass er ein Mann sei, +</p> + +<p> +Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt +</p> + +<p> +Im besten Fall; und trifft er’s nicht, es geht ihm hin. +</p> + +<p> +hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller +gemacht: +</p> + +<p> +Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo +</p> + +<p> +Jovis Zieg’ oder Krebs ihm aufgeh’ oder einer Bestie Licht. +</p> + +<p> +Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum. +</p> + +<p> +^27 Im ‘Telephus’ heisst es: +</p> + +<p> +Palam mutire plebeis piaculum est. +</p> + +<p> +Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort. +</p> + +<p> +^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der +Bearbeitung des Euripideischen ‘Phoenix’ an: +</p> + +<p> +Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt’s zu wirken in der Welt +</p> + +<p> +Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl. +</p> + +<p> +Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz; +</p> + +<p> +Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat. +</p> + +<p> +In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte einverleibten +‘Scipio’ standen die malerischen Zeilen: +</p> + +<p> +— munduscaeli vastus constitit silentio; +</p> + +<p> +Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit, +</p> + +<p> +Sol equis iter repressit ungulis volantibus, +</p> + +<p> +Constitere amnes perennes, arbores vento vacant. +</p> + +<p> +[Iovis winkt’;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum. +</p> + +<p> +Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun, +</p> + +<p> +Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott, +</p> + +<p> +Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind. +</p> + +<p> +Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter seine +Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung der Worte, die +in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie ‘Hektors +Loesung’ ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander +Zuschauender spricht: +</p> + +<p> +Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant. +</p> + +<p> +Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind. +</p> + +<p> +und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. +</p> + +<p> +^29 So heisst es im ‘Phoenix’: +</p> + +<p> +- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit. +</p> + +<p> +Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, +</p> + +<p> +und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch akrostichische +Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111). +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das +griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen +Nation. +</p> + +<p> +Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer Schiffer +nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss gleich Ennius, +wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische Trauerspiele fuer die +roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein ernstes Nationalschauspiel +(fabula praetextata) selbstaendig zu schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen +hier nicht im Weg; er brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der +gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine +‘Erziehung des Romulus und Remus’ oder der ‘Wolf’, +worin der Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein ‘Clastidium’, +worin der Sieg des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach +seinem Vorgang hat auch Ennius in der ‘Ambrakia’ die Belagerung der +Stadt durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung +geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die +Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die +farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf +die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben wir +kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in Anschlag +kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige Griffe von solcher +Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur +die griechischen Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher +fuehlenden Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut +gehabt, die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen +der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig +entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es +hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber +geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der +man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war. +</p> + +<p> +Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius buergerte die +Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation vertrat, die Vorlesung +neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom wenigstens insofern ein, als er +dieselben in seiner Schule vortrug. Da die Dichtkunst hier nicht oder doch +nicht geradezu nach Brot ging, ward dieser Zweig derselben nicht so wie die +Buehnendichtung von der Ungunst der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das +Ende dieser Epoche sind auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in +dieser Art als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die +rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der szenischen +sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der Buehnendichtung eine +untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein eigentliches dichterisches +Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben +haben kann. Vor allem schwach vertreten war die lyrische, didaktische, +epigrammatische Poesie. Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher +dieser Zeit allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert +halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche das +saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen Literatur +an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, tritt sie in der +Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung, +die urspruenglich dem alten, seit Livius durch das griechische Drama von der +Buehne verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der +rezitativen Poesie einigermassen unseren “vermischten Gedichten” +entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive Kunstgattung und +Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer +Art von beliebigem, meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos +spaeter noch zu erwaehnendem ‘Gedicht von den Sitten’, welches +vermutlich, anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer +Poesie, in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die +kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare +Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert veroeffentlichte: +kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen Sagen- oder +gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen Romans des Euhemeros, +der auf den Namen des Epicharmos laufenden naturphilosophischen Poesien, der +Gastronomie des Archestratos von Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst; +ferner einen Dialog zwischen dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine +Sammlung von Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - +geringe Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die +didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, wohin die +Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei “Konsulare und +Poeten” genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und +Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre +Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in +Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der +dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen +Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich den +Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie die Dinge +waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie, +namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung +oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit +berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass +heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe, was von +dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die epische Poesie der +Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und wesentlich in der heroischen +Zeit; es war ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein +beneidenswert grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu +durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel +mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen +Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz +besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer +Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen Aufzeichnungen +noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und +der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die +grossartigsten Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu +haben. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: +</p> + +<p> +Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas +</p> + +<p> +Von Troia schied. +</p> + +<p> +spaeter: +</p> + +<p> +Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig +</p> + +<p> +Amulius, dankt den Goettern - +</p> + +<p> +aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist: +</p> + +<p> +Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, +</p> + +<p> +Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. +</p> + +<p> +bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256): +</p> + +<p> +Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel +</p> + +<p> +Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte. +</p> + +<p> +endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: +</p> + +<p> +Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius +</p> + +<p> +Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne +</p> + +<p> +Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die Gleichheit +des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen Gegensatz des nationalen +und des antinationalen Dichters nur um so greller hervortreten. Naevius suchte +fuer den neuen Stoff eine neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in +die Formen des hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, +die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende Homeridenmanier +die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht, wird geradezu Homer +uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach +dem Muster der Bestattung des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des +mit den Istriern fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer +steckt als der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse +wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; +nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat +den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher +Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die neologische und +hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die +‘Jahrbuecher’ keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der +Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht, womit das +Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im +Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem +Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der +Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst +die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen +Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre +griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen +Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer +</p> + +<p> +Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. +</p> + +<p> +Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren +Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht +abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege +dem italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet sich +gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich +traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit +aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die +Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und +gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war, einem sonst +verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich +einzufuegen. Im ganzen aber waren die ‘Jahrbuecher’ ohne Frage +Ennius’ verfehltestes Werk. Der Plan, eine ‘Ilias’ zu machen, +kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem Gedicht zum +erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die Literatur +eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als Gespenst, das weder +zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das +Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit +fuer den roemischen Homer als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den +Zeitgenossen und mehr noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor +dem Vater der roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den +Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen +altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr +ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, der moege an +verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der Henriade, der Messiade +sich erinnern. Eine maechtige poetische Entwicklung der Nation freilich wuerde +jene beinahe komische offizielle Parallelisierung der Homerischen +‘Ilias’ und der Ennianischen ‘Jahrbuecher’ so gut +abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin und den Pindar-Willamov; aber +eine solche hat in Rom nicht stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des +Gedichts besonders fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent +des Dichters blieben die ‘Jahrbuecher’ das aelteste roemische +Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und +lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem +durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit +das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. +</p> + +<p> +Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise +entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl die +kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne vor der +Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche Hemmung, worauf +namentlich die roemische Komoedie in der strengen und beschraenkten +Buehnenzensur traf. Es war ferner diese schriftstellerische Taetigkeit nicht +durch den dem “Baenkelsaenger” anhaftenden Makel von vornherein bei +der guten Gesellschaft in den Bann getan. Darum ist denn auch die prosaische +Schriftstellerei zwar bei weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die +gleichzeitige poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die +Poesie fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger +vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, so ist +umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht senatorischer Norne +und sind es durchaus die Kreise der hoechsten Aristokratie, gewesene Konsuln +und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, die Scipionen, von denen diese +Literatur ausgeht. Dass die konservative und nationale Tendenz sich besser mit +dieser Prosaschriftstellerei vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; +doch hat auch hier, und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, +in der Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form +maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. +</p> + +<p> +Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine +Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu +den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede +Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die +Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen +Italiens ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen +Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch so +fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das +Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf +schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun +aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die roemische +Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an einem fertigen +Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide +zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen +umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der Muttersprache, +aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen +Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581 +173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten +historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das ueberhaupt +aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig +entstanden die griechischen Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 +(nach 553 201), eines waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften +taetigen Mannes aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, +Publius Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem +gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das nicht +gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen griechischen +Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das weit hinaus ueber die +Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche Interesse derselben es nahelegte, +zunaechst an das gebildete Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen, +den zweiten die vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs +des Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und +Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in franzoesischer +Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und +Feldherren franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen +Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche +lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor +dem Schluss dieser Epoche publizierte ‘Ursprungsgeschichten’ +zugleich das aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste +bedeutende prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen +Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) ausser +Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen von Quintilian +und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen Annalen, und es wird die +Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass unter demselben Namen auch eine +sehr ausfuehrliche Darstellung des pontifizischen Rechts in lateinischer +Sprache angefuehrt wird. Indes die letztere Schrift wird von keinem, der die +Entwicklung der roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem +Verfasser aus der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch +lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es +dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren +Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder +ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und des +Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei Annalisten +des Namens Fabius Pictor gegeben hat. +</p> + +<p> +Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, +ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk +aus augustischer Zeit. +</p> + +<p> +^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein Greisenalter +(Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der frueheren Buecher der +‘Ursprungsgeschichten’ faellt nicht vor, aber wahrscheinlich auch +nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114). +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im +Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische +Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder geordneter +Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die Landesgeschichte +von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, obwohl dem Titel nach +das Werk des Naevius nur den ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die +Ursprungsgeschichten betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei +Abschnitte der Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit +war fuer die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser +Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu +ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig +unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den +Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, und +die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern nicht +unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom an Troia +anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn Romulus, hier von +dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich +entweder dem Naevius oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden +Maerchen an. Der albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber +wird zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer +die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, sein +Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole Latiums, das Lange +Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt erfunden. Dass die +urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am +roemischen Markte, sondern in dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem +Roemer ein Greuel sein, und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, +indem die Goetter erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden +hatten. Indes die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen +Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz +Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark im +Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde dies die +stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, dass +der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine Geschichte pragmatisch zu +schreiben. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen +Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, +so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus +einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen +duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei +Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote +gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus Herodot +eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl noch fremd +gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes in diesem +Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei +dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht +bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein +urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus +Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach Italien +wandernden Urgriechen oder Pelasger. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten +von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine Version der +Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten der Herodotischen +Erzaehlung von Kyros’ Jugend geschlagen. +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und lose +geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die Koenigszeit +bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, +und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den +Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken eine +irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten +empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit +sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im +dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den +Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik +hoechstens in den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch +schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen +eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er +selber sagt, “zu berichten, was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters +steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich +verfinstert haetten”; und so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch +seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen +italischen Gemeinden und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er +machte sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach +Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich +hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge +“abschnittsweise” erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke +auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in +die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das +hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien stuetzte, +teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde Geschichte Roms +von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den Pyrrhischen Krieg, indem +sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art +gleichfalls darstellte. +</p> + +<p> +Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend +behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den +zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den achtzehn +Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg; +Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege +vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten, +wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den +letzten zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag +Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen +aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von +Augenzeugen, teils einer auf dem andern. +</p> + +<p> +Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann +die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der +frueheren Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in +spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, wie +zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als +Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato +dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und +taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem +Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils in +seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege +dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. +</p> + +<p> +Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine +gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon +von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern +auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den Thukydides +und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist bestimmt bezeugt. +Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung absieht, welche Cato als +Fruechte dieser Lektuere fuer sich zusammenstellte, ist von einer +schriftstellerischen Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. +</p> + +<p> +Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine harmlose +Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser +nahmen an inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig +Tarquinius der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und +neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt +nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein +Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen +Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre 262 +(492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln dort mit dem +aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348 406) den Thron +bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in der Behandlung der +roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon +in der vorigen Epoche festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung +Roms 240 Jahre vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor +den gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken +erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion +388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol. +8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden +Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436; +nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms der +Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann hier +nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch aufmerksam; +eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu haben - das spaeter +zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher +nicht von ihm her. +</p> + +<p> +Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem gewissen +Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte trugen sicher +ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen welcher der fabische ueber +die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago von Polybios mit der ihm eigenen +kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am +Platz als der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen +Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; +eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus +nicht von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen +Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. +</p> + +<p> +Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender +Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige +Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis +des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der +innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf +und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung +unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die roemische +einigermassen zu modifizieren. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder “lesen +und die Rechte und Gesetze kennen lehren”; und dasselbe zeigt Plut. Cato +mai. 20. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen +Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf +das verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr +gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint +ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem +ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich +gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen +okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der Rechtschreibung +werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die +lateinischen Musen haben ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und +zu allen Zeiten neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich +Ennius hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende +Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch +fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die +genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und Plautus +freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen Poeten werden +gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so gleichgueltig +verhalten haben, wie Dichter es pflegen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, +Ceres davon quod gerit fruges. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede +stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als +dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte Redner +Cato goss ueber das alberne Isokrateische “ewig reden lernen und niemals +reden koennen” die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die +griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und vor +allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer gewann, +wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt +gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen +Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat +mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie +geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius aussprechen: +</p> + +<p> +Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie; +</p> + +<p> +Gut ist’s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm. +</p> + +<p> +Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur Redekunst, die +sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen werden als die +roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum +der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren +fuer das Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen +Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch +die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle Cato +eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man ungefaehr sich +eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den Nachfahren oefter +angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, “an die Sache zu denken +und daraus die Worte sich ergeben zu lassen” ^38. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^38 Rem tene, verba sequentur. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch fuer die +Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die +Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder unter +griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und Mathematik, so fanden +doch die damit zusammenhaengenden Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem +gewissen Grade Eingang in Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im +Jahre 535 (219) der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in +Rom sich niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches +Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen und das +roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen scharenweise +nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden Heilkuenstler mit +einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig war, sondern versuchte +auch, durch sein aus eigener Erfahrung und daneben wohl auch aus der +medizinischen Literatur der Griechen zusammengestelltes medizinisches +Hilfsbuechlein die gute alte Sitte wieder emporzubringen, wo der Hausvater +zugleich der Hausarzt war. Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig +sich wenig um dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der +eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und Jahrhunderte +lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. +</p> + +<p> +Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung +behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der Aufstellung +der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491 (263) fing die +griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den Roemern an gebraucht zu werden; +freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine fuer das um vier Grade +suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert +lang sich danach richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne +vornehme Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius +Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein +Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen +Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja +uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand +als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der griechisch +gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um +allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul +588 166), der nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, +sondern auch ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und +der selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde +deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des +Scharfsinnes angestaunt. +</p> + +<p> +Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte und die +eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und spricht auch in +derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur Landwirtschaft, die auf unsere +Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen +untergeordneten eben wie in den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der +griechischen und der lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen +und kann schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz +unberuecksichtigt geblieben sein. +</p> + +<p> +Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. +Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der +Bescheidung der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren +Zuhoerer; doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein +traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht +ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das +von Sextus Aelius Paetus, genannt der “Schlaue” (catus), welcher +der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner +gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560 194) +emporstieg, veroeffentlichte sogenannte “dreiteilige Buch”, das +heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze derselben +eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und unverstaendlichen +Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular hinzufuegte. Wenn dabei in jener +Glossierung der Einfluss der griechischen grammatischen Studien unleugbar +hervortritt, so knuepfte die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung +des Appius und die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung +an. +</p> + +<p> +Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser +Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn +aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen Saetzen +darlegen sollten, was ein “tuechtiger Mann” (vir bonus) als Redner, +Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein Unterschied +zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch nicht gemacht, +sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und nuetzlich erschien, +von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen ist dabei teils die +lateinische Grammatik, die also damals noch nicht diejenige formale Entwicklung +gehabt haben kann, welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht +voraussetzt, teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und +physischen Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar +Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht +zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, +aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare +Erfahrungssaetze zu gewinnen - “die griechischen Buecher muss man +einsehen, aber nicht durchstudieren”, lautet einer von Catos +Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die +freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den +griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die +Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten +massgebend geworden sind. +</p> + +<p> +So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom ein, +oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden: +</p> + +<p> +Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt +</p> + +<p> +Der Quiriten hartem Volke sich die Mus’ im Kriegsgewand. +</p> + +<p> +Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es +gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in +etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen +Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen Komoedie +verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig mit Naevius und +Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der roemischen hellenisierende +Literatur in der Bildung begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist +verschollen, und die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen. +</p> + +<p> +Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, +wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt +dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem +Wert als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem +waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die +italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die +allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige +Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation +durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit +der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den +ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die +roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche Orangerie +neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber +nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch +entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache +gilt dies von derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr +grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von +Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein +sich erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als +Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein +nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das +eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch; +schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist +nicht bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln +behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der +grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie +durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in +poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der +einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst +folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst nach dem +Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten +Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung +der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus Hand in +Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische Literatur des +sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder +eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der +flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen +Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu den +Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^39 Vgl. 2, 445: +</p> + +<p> +Enni poeta salve, qui mortalibus +</p> + +<p> +Versus propinas flammeos medullitus. +</p> + +<p> +Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt ποιητής - +wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist charakteristisch. +Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser epischer und rezitativer +Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher in dieser Zeit vielmehr scriba +heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.). +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr +einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese +gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss keine +volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen +gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums +fremd ist, faellt die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die +unbegreifliche Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet +der Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass +ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von +menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der antiken +Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt gestaltlos und die Sage +nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht +gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige +Entwicklung wie die aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren +gleichmaessig auf einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die +auf dem Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende +roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren. +Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und denationalisierenden, aber +fuer die notwendige geistige Ausgleichung der Nationen unerlaesslichen +Propaganda des Hellenismus in Italien beruht die geschichtliche und selbst die +dichterische Berechtigung der roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus +ihrer Werkstatt nicht ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, +aber sie hat den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon +rein aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine +gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige Abgeschlossenheit in +sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des +Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken Dichtung fremd; wem der +griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer +jede Tragoedie den Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis +vermissen. Wenn dem roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen +Lustspiele zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen +gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt +waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins +Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung +wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf schon +die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den Ton gelegt haben, +die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium. +Wenn “das besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst +ueberwand”, so geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen +lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward, +dass anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der +Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, +die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der +Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der idealen Welt +der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen Empfindung; wem das +beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der +Daktylen und Jamben nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und +Sophokles umsonst gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische +Gefuehl sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von +der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie +guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten +latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage auch +nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen Sprache deren +Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum ausgereicht haette. Der +geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber den Menschen ausuebt und von dem +Dichtersprache und Rhythmus nur Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig +angelernten, sondern einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus +wird man die hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer +dieser Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den +Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter entweder in +verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, ueberhaupt dem +denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium an die Seite zu setzen +und alle rein und scharf entwickelten Volkstuemlichkeiten in den +problematischen Begriff der allgemeinen Zivilisation aufzuloesen, so steht +diese Tendenz erfreulich oder widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, +in niemandes aber, ihre historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem +Gesichtspunkte aus laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie +zwar nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen +sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen +dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig +vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch eben +formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht +schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und +Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die +Poesie zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so +waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und +die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch weniger +schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die verschliffensten +und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem Sinne war es zweckgemaess. +Niemand wird die Euripideische Poesie der Homerischen an die Seite stellen +wollen; aber geschichtlich betrachtet sind Euripides und Menander voellig +ebenso die Bibel des kosmopolitischen Hellenismus wie die ‘Ilias’ +und die ‘Odyssee’ diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und +insofern hatten die Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor +allem in diesen Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das +instinktmaessige Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen +Bearbeiter bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten +und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn +waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen ist, so sind +Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die Menandrische Dichtung +beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer verdient es noch ruehmliche +Anerkennung, dass die roemischen Poeten des sechsten Jahrhunderts nicht an die +hellenische Tagesliteratur oder den sogenannten Alexandrinismus sich +anschlossen, sondern lediglich in der aelteren klassischen Literatur, wenn auch +nicht gerade in deren reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich +suchten. Ueberhaupt, wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige +Missgriffe man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen +Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als reinliche +Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und sie werden +geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen durch den von dem +Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag +man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so +sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen +Dichtern des sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt +werden. Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen +Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu +verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und +flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste +dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die +poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; eher +vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei aller +Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen +Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher +gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden +Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr +als in irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende +Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich nicht +taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie selber sich +gefeiert hat, dass sie den Sterblichen +</p> + +<p> +das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete +Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275), +Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum Beispiel +die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch. +810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon +(Mil. 1247) bekannt gewesen sein. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes ist, +so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige nationale +Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger wollte, als die +latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in +Form und Geist hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und +reinste Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die +entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. +Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr +wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten +den Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der +Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie im +Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind +Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und +die Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden. +Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit +Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der +gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit +unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm +behandelt. Man hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart +getadelt und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten +bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung +indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern +auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr +als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden +Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus +Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den Hellenen selbst +zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon griechische Verse zimmerte - wenn +dieser Albinus sich in der Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des +mangelhaften Griechisch damit verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, +war da die Frage nicht voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt +worden sei, Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die +Gewerbe des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und +Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie +es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken, +dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen +Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato selbst mit +Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen Grosstaten mit sich nach +Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen, die er in Rom und Athen +kennenlernte, ein unverbesserlich elendes Gesindel zu schelten? Diese +Opposition gegen die Bildung der Zeit und den Tageshellenismus war wohl +berechtigt; einer Opposition aber gegen die Bildung und das Hellenentum +ueberhaupt hat Cato keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das +hoechste Lob der Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die +Notwendigkeit begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die +Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach +die lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht und +der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter griechischer +Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem +genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem +Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem +gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur +Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom war, was +Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen Empfindung beruht +sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem +roemischen Epos und einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die +Schoepfung der lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die +Goetter und Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht +dem Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu +stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes +Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger +ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der Gegenpartei, +obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren roemischen, des appischen +Sitten- und des Ackerbaugedichts eine didaktische Poesie in nationalem Versmass +zu erschaffen, wenn nicht dem Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und +achtungswert bleibt. Einen guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er +hat denn auch die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, +eine prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies +Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein Publikum +zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in seiner Zeit ziemlich +alleinstand. So entstanden seine ‘Ursprungsgeschichten’, seine +aufgezeichneten Staatsreden, seine fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings +sind sie vom nationalen Geiste getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; +allein sie sind nichts weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, +nur freilich in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter +griechischem Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines +Hauptwerkes ist den griechischen “Gruendungsgeschichten” (κτίσεις) +entlehnt. Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates +verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. Seine +‘Enzyklopaedie’ ist wesentlich das Resultat seines Studiums der +griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische Mann +angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem Vaterlande +nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl verhaeltnismaessig gering +angeschlagene literarische Taetigkeit. Er fand zahlreiche und wuerdige +Nachfolger in der Rede- und der wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn +auf seine originellen, in ihrer Art wohl der griechischen Logographie +vergleichbaren ‘Ursprungsgeschichten’ auch kein Herodot und +Thukydides gefolgt ist, so ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, +dass die literarische Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie +mit der Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll +sei. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^41 “Von diesen Griechen”, heisst es bei ihm, “werde ich an +seinem Orte sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung +gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften +einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und +unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das +Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, +wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren +umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit +man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen +sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf +die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.” +</p> + +<p> +Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im Lateinischen +eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz unverfaenglich ist, und +dass die Griechen auf die unschuldigste Weise dazu gekommen waren, die Italiker +mit demselben zu bezeichnen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und +bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich +weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den +Schluss dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) faengt +man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit +ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit +Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und +vor allem die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten +Basiliken nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen +Basaren entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde +von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch +andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die +Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. +Tiefer aber griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, +welche spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich +allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen +(peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle, +Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl +im Hofe wie im Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die +Gartenhallen verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster +kopiert oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; +“unsere Vorfahren”, sagt Varro, “wohnten in Haeusern aus +Backsteinen und legten nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges +Quaderfundament”. +</p> + +<p> +Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die +Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die +Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im +Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses +abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele gleichartige +folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was nicht viel spaeter +das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es +werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete, +</p> + +<p> +verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum +</p> + +<p> +die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz. +</p> + +<p> +Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem +Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter griechischer +Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate Marcus Plautius Lyco, +dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel zu Ardea diese Gemeinde ihr +Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch eben darin sehr deutlich hervor, +dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr +Handwerk als Kunst war, sondern dass sie auch, wahrscheinlich noch +ausschliesslicher als die Poesie, den Griechen und Halbgriechen anheimfiel. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die +Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch nicht +fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des ardeatischen +Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss, +durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren +dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht der +korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen Tonbilder auf den +roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius +Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte +den Zeus des Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus +den eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten +Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl +dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel der alte +strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) die Bildsaeulen +der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern ihre erzuernten Goetter +zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen Tempelpluenderungen immer +haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius +Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch +Lucius Paullus (587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den +Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung +auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil +der hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache; allein +waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse poetische +Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen +auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege +gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch +gemacht worden. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3062-h.htm or 3062-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3062/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + + +</pre> + +</body> + +</html> diff --git a/3062.txt b/3062.txt new file mode 100644 index 0000000..2bec8d6 --- /dev/null +++ b/3062.txt @@ -0,0 +1,17756 @@ +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by Theodor +Mommsen (#3 in our series by Theodor Mommsen) + +Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the +laws for your country before redistributing these files!!! + +Please take a look at the important information in this header. We +encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic +path open for the next readers. + +Please do not remove this. + +This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not +change or edit it without written permission. The words are carefully +chosen to provide users with the information they need about what they +can legally do with the texts. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations* + +Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further +information is included below. We need your donations. + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. These donations should be made to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Ave. Oxford, MS 38655 + + +Title: Rmische Geschichte Book 3 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3062] [Yes, we are about one year +ahead of schedule] + +Edition: 10 + +Language: German + +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by Theodor +Mommsen ******This file should be named 3062.txt or 3062.zip****** + +Thanks to KGSchon for preparing this etext. + +Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions, +all of which are in the Public Domain in the United States, unless a +copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of +these books in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our books one year in advance of the +official release dates, leaving time for better editing. Please be +encouraged to send us error messages even years after the official +publication date. + +Please note: neither this list nor its contents are final till midnight +of the last day of the month of any such announcement. The official +release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central +Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may +often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to +do so. + +Most people start at our sites at: https://gutenberg.org +http://promo.net/pg + + +Those of you who want to download any Etext before announcement can surf +to them as follows, and just download by date; this is also a good way +to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers +produce obviously take a while after an announcement goes out in the +Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 + +Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, as it +appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The time +it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get +any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and +analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience +is one hundred million readers. If our value per text is nominally +estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this +year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts +in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's +population then the total should reach over 300 billion Etexts given +away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files +by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten +thousand titles each to one hundred million readers, which is only about +4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third of that +goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get +some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the +next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. + +All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law. + +Mail to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Avenue Oxford, MS 38655 [USA] + +We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to +build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information at: + +https://www.gutenberg.org/donation.html + + +*** + +You can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your +mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from +prairienet.org, better resend later on. . . . + +We would prefer to send you this information by email. + + +Example command-line FTP session: + +ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd +pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through +etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin +for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g., +GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books] + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is +this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you +might sue us if there is something wrong with your copy of this etext, +even if you got it for free from someone other than us, and even if +what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small +Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells +you how you can distribute copies of this etext if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of +this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree +to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by +sending a request within 30 days of receiving it to the person you got +it from. 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Therefore, aspirations are not marked +in Greek words, nor is there any differentiation between the different +accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Theodor Mommsen Roemische Geschichte + +Drittes Buch Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung +Karthagos und der griechischen Staaten + +arduum res gestas scribere arg beschwerlich ist es, Geschichte zu +schreiben Sallust 1. Kapitel Karthago Der semitische Stamm steht +inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der alten klassischen +Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese am +Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und +die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes +Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den +syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von +demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen +Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre Heimat ist der +schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und +Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem Namen hat +die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte +der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber +hiess Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Maenner", +Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier +pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet +zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und +der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo +das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an die weithin sich +ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht +zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. +Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker +aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt, +Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten +und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie +in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und +Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr +Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis +oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und +die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, +die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische +Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle +Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, +das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was +es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum, +um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz +haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu +werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch +an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das +Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen +und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb +des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den +Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen +Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten +zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die +phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter +den aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen +Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr +Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als +zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phoenikischer +Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich +klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur +der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst +vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat +der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist +Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte +man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die +Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und +ueber die in der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren +die aeltesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der +Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und +hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der +Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der +Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen +wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass +das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des +Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht +erweisen, und was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen +Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das +Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die +bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich beruehrten, zu zivilisieren +und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker +besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der +Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen +Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe +Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem +mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu +den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke +der sich selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von +Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am +Euphrat und am Nil herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den +Aegyptern untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte +sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner, +berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten +oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der +schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel +nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders +sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie +die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren +sie auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der +kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre +Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den +Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in +fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame +Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten +vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem +oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und +in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im +westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und +Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die +Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal +nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will; +es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder +Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum +Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit +offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen +Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei +Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als +gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem +Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen +des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der +Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten +schlagen lassen. Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten +Gewaessern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass +diese unter den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. +Es ist noch weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des +Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, +welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns +Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre +Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie +gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten +mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der +Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei +der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste +Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es +geluestete sie nicht nach der Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das +Buch der Richter, "nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und +im Besitz von Reichtum". Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen +keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an +der Suedkueste Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in +welche Gegenden weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche +Rivalitaet der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber +den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den +Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten +an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada oder, +wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die +frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich +vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten +Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja +die Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege +Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des +Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas +durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern +besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung des +Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite +als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von +Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten +Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares +Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und +die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische +Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch +in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte +Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht guenstigen +Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle dort eine +Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole, +merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit +solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage +eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen +Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt +besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet +auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an +Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer +den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, +den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste +die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen +Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch +nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um +sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. Aber +bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch +Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik +draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich +unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem +eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben sich +anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche +zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht +gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit griechischen +Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, genuegte +es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und +Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene +gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der +Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher +Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen +Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der +Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste von Tripolis +festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phoenikischen +Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen +und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen +stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite +Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers +den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von +selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische +Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach +der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil +sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen +das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des +vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, +namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die +Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg +zu einer grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des +phoenikischen Wesens ist. Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser +auswaertigen Erfolge, welche die Karthager veranlasste, in Afrika von +Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um +300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses +entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten +muessen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich. +Von jeher hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre +Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen +Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn +ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um +Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den +reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen +Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - +wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. +Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau +scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der +phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu +sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen +Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der +Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen +karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem +unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (nomades) an den +Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine +verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden +jene zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die +karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu +stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt +Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern +erobert. Dies sind die "Staedte und Staemme (ethn/e/) der Untertanen", +die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien +libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. Hierzu kam endlich +die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in Afrika oder die +sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von Karthago +aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste +gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen +sein koennen, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher +Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste +der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen +altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius +zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - +die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), +Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass +sich all diese Staedte unter karthagische Botmaessigkeit begaben, ob +freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und +Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber +ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen +Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen +muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes +waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, +sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis +zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 +Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und +konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl +weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager gegen +ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine +Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker +fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen +Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im +auswaertigen Verkehr sind es stets "Karthago und Utica", die zusammen +festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass +die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie +behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines +maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen +Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil +(Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der +Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den +heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland +beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden +vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller +bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische +Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien +die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher +Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen +und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen +fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu +phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik +Karthagos. ---------------------------------------------- ^1 Die +schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem +karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz +einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen +heissen: oi Karch /e/doni/o/n ?parch/e/ osoi tois aytois nomois +chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes- symmachides poleis Diod. 20, +10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr +Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium +folgt aus den "gleichen Gesetzen". Dass die altphoenikischen Kolonien +zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer +libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich +der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus +des Hanno: "Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der +Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker gruende". Im +wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine +nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht +wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten +Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie +denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den +Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. +42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den +Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. ^2 +Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die +Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines +der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint +allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das +phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer +die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern +erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen +Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr +wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer +Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der +die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben +wurden. ------------------------------------------------- Die Epoche, +in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen +stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die +Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte +Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies +derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann +er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen +Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms +ausgefuellt hat. Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das +Sinken der grossen phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und +besonders von Tyros, dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen, +teils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch +Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften +Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und +die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der +gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre +Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker +mit Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste +kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber +die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen +Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder +gewaltig sich entwickelt. In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker +die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie +westlich und oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das +Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und +Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland +den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht +bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der +Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte +Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es +ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch +waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den +tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen +Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von +Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und +die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades +beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern +selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als +Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten +Kaempfe gefuehrt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende +des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz +in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die +Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung +zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der +Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten +phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften +durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. In Sizilien endlich +war zwar die Strasse von Messana und die groessere oestliche Haelfte der +Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen; allein den +Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren +Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen +namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils +die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von +Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus +die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem +Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in +Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein +verhaeltnismaessig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von +den Persern veranlasste Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen +Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und +der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien +(339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich, +einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr +Gebiet. Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig +genug; allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie +die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz +Suedspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und +Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, +sowohl an der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der +Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu +einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur +das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern +Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die +Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den +ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago +sogar gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz +der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen +Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden +bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe +des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische +Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an, +nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber +das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch +die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das +naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen +und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von +Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der +sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und +die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die +bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, +wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund +aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier +zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die +fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, +die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto +sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen +Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den +Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, +Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an +den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden +Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten +sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen. +Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons +410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 +(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus +und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen +die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, +Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die +Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich +das Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der +Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit +ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und +Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und +abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die +Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder +Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war +wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch, die +syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser +gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler +das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, +Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. +Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend +immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu +monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum +Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse +der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560 +275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien +oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in +die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt +es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die +spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom +Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen +mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss. Die Verfassung +Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein +Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der +monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich +neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung +der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich +der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der +Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die +auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt +wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte +erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die +Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm +eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig +die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen +adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist +zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig +scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben; +hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht +selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des +Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die +Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten +und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen +Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die +ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht +beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine +den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine +feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist +derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden +gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch +war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern +ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich +als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und +ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer +Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen +Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand +sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat +hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die +monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und +der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige +durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische +Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden +und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte +ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung +und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die +Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die +Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch +gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die +Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt +wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt +blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren +genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man +das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation +hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber +charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen +Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt +zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren, +aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten +nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach +Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem +Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die +Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft +gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten +auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils +dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum +Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und +dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem +Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie +den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. Die karthagische Buergerschaft +scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive +Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei +nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den +Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; +bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber +wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung +erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die +Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte +kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward +wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; +die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und +den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch +geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen +"Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr +niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst. +Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische +Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei +einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend +einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden +staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern +und vornehmen Voegten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf +Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu bringen, indem sie als +Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen Gemeinden ausgesendet +werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten staedtischen +Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als +die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen +Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch +von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb +fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende +Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten +imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der +Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine +demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht +mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe +voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen +Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit +rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei: +die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte +Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen +Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf +Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Rates der +Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne und damit die volle +Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein +Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war. +In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und +reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, +auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische +Buergerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen +wird, war so zuchtlos, dass sie insofern es wohl verdient hatte, +machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus +Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben +sie machen halfen. In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder +Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des +Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis +des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten +finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs +verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der +Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und +Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben +und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische +Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen +und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen +Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, +sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet +und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. +Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit +der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phoenikischen +Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv +zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes an +Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner +Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen uebrigen +Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der +Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, +wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss +nach Karthago mittelbar die Grundrente "des besten Teils von Europa" und +der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen +Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der +Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die +auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten +schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich +goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden, wie man +durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss +aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen +Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und +Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand. +Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom, +zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht +vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische +Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich +nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln +weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber +auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der +Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und +geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des Mago und +der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der +karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals +Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die +allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde +fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem +kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der +durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in +Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der +Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des +Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen +Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des +kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert +hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts +dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben +vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben +wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht +des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und +eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne +Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte +Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach +dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen +sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die +Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen +Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer +spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter +allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen +Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und +Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in +dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat +eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe +geloest als Karthago. ------------------------------------ ^3 Der +Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der +Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), +lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen +'Poeners' heisst es von dem Titelhelden: Die Sprachen alle kann er, aber +tut, als koenn' Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr +mehr? ------------------------------------- Vergleichen wir die Macht +der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und Kaufstaedte und +lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische +Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, +nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als +Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom +damals noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, +und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und +Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse +der Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung +war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und +dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In +Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene +Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch +altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die +karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren +Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren +zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes +Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus, +wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist +bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende. Beider +Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die +Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die +strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde +den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich +des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und +mit einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers +zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische +Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne +streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung +erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig. +Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete +und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und +brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen +beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die +Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen +war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder +sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt +vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der roemischen +Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die Gunst des +Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und Halbheit; waehrend +die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung +vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen Aufgaben +ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen, +um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige +Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, +in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und +gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der +opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen. Karthago +wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde +Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein +Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich +Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich +ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf +dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden +Anteil an den Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen +Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen Staaten durch +materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine +Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss +fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten +besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal +den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner +eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin +und belastete selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, +waehrend die unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt +wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine +einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz +Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde; in dem +roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen +ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die +politische Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum +Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als +zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die +phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten +Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das +karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen +kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung +bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren +Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken, +die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches +Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. +von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem +Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen +Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen +Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu +sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten +ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit dem +Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und +ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier +sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere +Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich dies +bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der +wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen +Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine +ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach +dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte +des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im +ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen +ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den +Roemern die Samniten und Tarentiner. Finanziell ueberstiegen die +karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um vieles die roemischen; +allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass die Quellen der +karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, wenn man +sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass +die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die +roemische. Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren +sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. +Die karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt +700000 Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am +Ende des fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie +vermochte im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000 +Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer +hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen +Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des +Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der +waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber +weit mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem +Effektivstand des Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische +Regierung auch es sich angelegen sein liess, die Buerger zum +Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker +und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den +angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im +fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine "heilige +Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet +sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit +Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die +roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf +den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten +der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere +Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker +ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch +weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, +indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit +Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 +Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese +nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen +bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter +tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte +Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften +der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und Spaniens +und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen +Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben +scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein +solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige +Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an +Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; +allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, +ehe dieselben bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die +roemische Miliz jeden Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, +was die Hauptsache ist, waehrend die karthagischen Heere nichts +zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die +roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland +band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine +Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im +Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der +Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), +der einen gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher +jener zum Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den +Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und +Soeldnerheere ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem +Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte +gefaehrlicher erfunden als seine Feinde. +--------------------------------------------------- ^4 Man hat an der +Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den Raum +die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet. +Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich +in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu +erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht +staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass dabei +also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder in +der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland sich +aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl in +Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus +gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies +als die der in Gades ansaessigen Buerger war. +---------------------------------------------- Die Maengel dieses +Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und +suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt +auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner +ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den +Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe +wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die +Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt +hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 +Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu befestigen, konnte man freilich +nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Afrika +gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Staedte +und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten +unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette +roemischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die +Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; +und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Staerke der +karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch und militaerisch so +gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung niemals erfahren hat. +Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man +die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der Schiffe +waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute +man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen +Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der +Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich +Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich +eingeschult und die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung +war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen +Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht +imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die +Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte. Fassen +wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden +grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines +einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der +Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. +Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl +aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche +Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass +es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden eigenen +Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie in +irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien, +Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich +nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem +solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit +der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, +sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; +dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See +schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in +Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin +gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und +waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg +begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich +in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, +auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. 2. Kapitel +Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Seit mehr als einem +Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den +syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten +ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem +Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen +Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit +der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen +Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon +und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phoenikischen +Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, +ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen +Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die +unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) +hatte Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von +Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie +der Syrakusier ueber saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos' +Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem +groessere Haelfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in +Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der +Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in +Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt +und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den +Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. +Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste +Wesen (I, 368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien +gemacht, was spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen +Werbeplatz fuer die soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von +den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die +barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen +Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie +verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung +ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die +kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und +es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf +hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an +Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den +Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer +Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, +vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, +leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua +selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft +in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die +politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in +Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien +gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher +Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer +Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode +(465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in +Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz +der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten +Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die +Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt +und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmaenner", wie sie sich nannten, +oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren +nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles' Tode sich +unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch +welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel +ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen +Gegner in naechster Naehe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten +die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Koenigs +gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. Es ziemt der Historie weder, den +treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich +bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Suende der +Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte +ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die +Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier +eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, +die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die +allmaehlich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der +ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht +mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen +Kraeften aufzunehmen. Zunaechst indes kam es anders. Ein junger +syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte +Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig +Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen +Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der +syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles +Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den +Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge +Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er +schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten +Despotenunfugs gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen +Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des +unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und +versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig, +mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die +tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, +die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der +Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der +Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor +kurzem ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, +die Schmaelerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und +Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde +mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und +Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen +schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, +nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), +gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem +die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich +aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron +laenger mit eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf +Bedingungen nicht moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen +Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der +messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die +Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer, +denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des +wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es +vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu +ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich +endlich die Majoritaet der kampanischen Buergerschaft, den Besitz +der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen. Es war ein +weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten +der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem +ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; +aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und +wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher +vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter +der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche Maenner freilich mochten +fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran +denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, +nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit gerechter Haerte von +den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen +sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von Staats +wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab +damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen +liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste. +Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral +keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische +Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen +hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die +gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern +die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt, +ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte +Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach +dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich +gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es +begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und +zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus +und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, die +Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie +Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den +Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu +gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt +in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in +seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht +erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch +ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es +gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so +nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien +und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten +Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem +Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass +zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens +aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch +Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und +Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago +fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, +Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit +dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und +rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die +Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen, +dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der +Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den eigenen +Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand +zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es +weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag +der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam +zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche +die Sache verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene +Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, +wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, +den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motiviert war +die Unterstuetzung der Mamertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom +ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen Italiker wurden +in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag der +Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 +265). --------------------------------------------- ^1 Die Mamertiner +traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen Gemeinden, +verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und +besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht. +--------------------------------------------- Es kam darauf an, wie die +beiden durch diese Intervention der Roemer in die Angelegenheiten der +Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom +verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron +hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen +ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, +ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall +die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern +mit einer Kriegserklaerung zu antworten; blieb er indes allein, so +war ein solcher Krieg eine Torheit und von seiner vorsichtigen und +gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in das Unvermeidliche +sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien +dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben +Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu +bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu +verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden +tauchten auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter +anderen Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit +Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, +wie die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu +reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die +beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht +und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige +Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die +Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen +Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst +den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen +Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt +gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens +als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die +italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als +innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann, +und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische +Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war. +Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner +endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den +Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des +roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion +erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete +Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen +Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und +den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben +sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg +karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals +Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische +Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig +gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass +man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte +und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging +nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen +die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; +doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, +keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten +Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als +haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie +die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken, +und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, berief +er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in +derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend, +den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung +selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie +die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren +kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, +diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die +Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in den Haenden +der Roemer. Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber +die Torheit und Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und +erklaerten den Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen +Platz wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von +Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend +sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte +karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf +das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu +beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen +Messana und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. Allein +mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit +dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang +die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck +waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff +des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den +aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen +und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das +roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus; +allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von +Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust +hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck nach +Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach +Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer +moegen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul +nicht triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in +Sizilien nicht verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck +zu machen. Im folgenden Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so +starkes Heer ungehindert die Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius +Maximus, seitdem von diesem Feldzug "der von Messana" (Messalla) +genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die verbuendeten Karthager +und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das phoenikische Heer +nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht +bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen +Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische +Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er +folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass +es den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort +ihnen anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und +Opfer zu erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, +die eine eigene Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen +roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten +jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr +wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, +sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle +Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems +von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu +erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und +geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. Fuer die Roemer war +hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das Doppelbuendnis mit Messana +und Syrakus und den festen Besitz der ganzen Ostkueste war die Landung +auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unterhaltung der Heere +gesichert und verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg +einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte denn auch +fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in +Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste +Jahr (492 262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im +Einverstaendnis mit den sizilischen Griechen die Karthager ueberall +in die Festungen zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager, +Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in +Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste +zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten +die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die +Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel +am Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei +Herakleia und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die +Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Not gross; man entschloss +sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der +Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische +Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen +Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg, +allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg +der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach +der Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der +belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu +erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in +die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit +Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar, +Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und +weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg +spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus +den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen +Kuesten. In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen +Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie +erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten, +es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen koenne kein +Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war diese Drohung +wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne Nebenbuhler +die See und hielt nicht bloss die sizilischen Kuestenstaedte im Gehorsam +und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte auch Italien mit +einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische Armee +hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es +nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den +italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, +was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner +Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so +fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus +vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die +Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden +sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was +Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht +war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu +ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte +zu schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert +Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen +Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende +Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst +die Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase; +Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und +auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren +dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich +gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von Karthago +ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der Linie +verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die Massregel +der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von +Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und +eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff +zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren +Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere als Modell. +Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der +Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen koennen; +allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien durch +eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden +die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die +Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen +Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name +(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den +Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der +Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere +Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man +teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus, +teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es +begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert +ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines +Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der +Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam dieselbe der +karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und +es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser +Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und +Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von +demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit; +allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im +Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile +mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe +pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss +gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der +Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann +nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes +Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten +nach Verhaeltnis. Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was +den roemischen Schiffen bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und +Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, +dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine +bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes +eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin +niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren +versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche +Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss +vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen +Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; +wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den +roemischen Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das +feindliche Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu +erstuermen. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach +Beduerfnis die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt +vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte +zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den +einzelnen Schiffen fechten. So schufen sich die Roemer eine Flotte, +die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem +roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies +ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der +Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch +Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, +durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer +Lage gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. Der Anfang +indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der Konsul +Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen +Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der +Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine +Abteilung der bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte +den Hafen der Insel, in dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen +waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. +Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen +beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf +der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein schwaecheres +karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte, +einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen, +und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der +zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen +Kollegen uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von +Messana, traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos +herankam, auf die roemische, welche hier ihre erste groessere Probe +bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und unbehilflichen +roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich in +aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken +bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und +stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war +ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die +gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als +die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, +fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, +unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs +Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck. +Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der +Hand, den Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen +Handel den Ruin zu drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren. Es +gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den +italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und +Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut +kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies +durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung +dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht +genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder +man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht +auf Afrika werfen, nicht in Agathokles' abenteuernder Art die +Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines +verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die Verbindungen +der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem Falle +liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten +Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit +aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. Man +waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht +von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria +auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser +Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. +Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, +misslang, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre +(496 258) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen +Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung +der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts. +Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss +mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen +Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich +einige von den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder +entrissen werden, und in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager +sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in +ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung +wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites +grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide +Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge. +In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem +geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen +liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer +Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen +strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall +nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer +ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der +wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. +Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Kuesten +aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als +vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und +ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das +System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr +498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der +libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer +Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen +unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius +Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess +es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf +der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die Roemer die feindliche Flotte +auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat +vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben groessere Massen zur See +gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen. Die roemische +Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung +ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von +350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass +gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, +um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die +Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken +Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich +ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, +in schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite +Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei +gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss. +Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte +ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige +Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst +angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht +loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit +den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen +Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der +linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte +roemische Geschwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert +ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte dasselbe in heftigem +und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die +roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen +See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen +war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, +offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen +Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden +anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen +Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen +zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis +die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch +erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des +rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem +auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle +noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil +verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser +umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige +Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 +Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die +karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht +auf, Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von +Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu +liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der westlichen +Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der +oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden +Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf +einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine +vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie +die Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war +ein verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte +seine Operationen beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und +brandschatzten das Land; bis 20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt +werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf +den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu +stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der Beschluss des +Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee nach +Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit +40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die +Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt +sich in die Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den +waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei +und die Elefanten nicht verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in +Masse, die Numidier standen auf und ueberschwemmten weithin das offene +Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten Feldzug zu beginnen mit der +Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in +Tunes sein Winterlager aufschlug. Der Karthager Mut war gebrochen; sie +baten um Frieden. Allein die Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht +bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, sondern Eingehung eines +ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager verpflichtet +haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den roemischen +Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit +Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen +werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische +Flotte auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die +gewaltige Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch +den tief gesunkenen, bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig +aufzuflammen pflegt, diese Energie der hoechsten Not trieb die Karthager +zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben +mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer +so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der +sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen +trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager +fuehrten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise +zu und ebenso zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten +Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organisierungstalent und +strategische Einsicht seinen neuen Dienstherren von grossem Nutzen war +^2. Waehrend also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen +trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht +ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog, oder +mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage +erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht +imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die +Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern +der feindlichen Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem +Schiffslager zu sichern versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, +was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch Verhandlungen mit den +aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine +gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein Heer also +in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten +Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), +hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager +es waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht +anboten; natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus +fertig zu werden, ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus +demselben Grunde haetten die Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen +auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die +Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke - denn obwohl die Zahl des +Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch +den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes +Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager +hatten sich auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, +aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager kommandierte, +warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewoehnlich +auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen +Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und das +roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. +Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor +gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben +aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der +Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den +Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten +feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss +die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den +Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar +ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden +doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche +linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo +die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der +Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei +ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte; +nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten +leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen Legionen +sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu +erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der +spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von +den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm +an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis +es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der +Schaendlichkeit steuerten ^3. ------------------------------------------ +^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos' militaerisches Talent +Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen +Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu +lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der +Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, +dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios +nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet +worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht +in aegyptische Dienste. ^3 Weiter ist ueber Regulus' Ende nichts mit +Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), +bald 513 (241) gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere +Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen +suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen +wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge +obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; +widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten +und schlichten Geschichte. +--------------------------------------------------- Wie die +Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich +gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. +Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem +schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 +Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, +um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer +Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die Katastrophe +eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln moegen, +der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein Ende gemacht haben +wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf verloren, +dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen +auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und +leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der +Landung in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen +afrikanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager +versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und +den Untertanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine +ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber (1740000 Taler) +und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen abgefallenen +Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer +dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der +karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der +Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, +als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das Unglueck den Roemern +das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte in einem schweren +Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft zugrunde; +nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene +hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen +Admirale die Fahrt einmal also befohlen. Nach so ungeheuren Erfolgen +konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum +ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit einem +starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es +waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld +zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den +Mangel eines guten Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen +zu ersetzen. Auch die Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: +die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung +von Clupea beweist, im roemischen Senat sofort wieder der Partei die +Oberhand gegeben, die den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich +begnuegte, die Inseln allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu +bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man +bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, +baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde +auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele +zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei +Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) +erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe +zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen +Angriff von der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen +Siziliens, Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren +Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass +am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern +verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer +auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen +standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen +Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine +Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. Im folgenden Jahre (501 +253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren Vorteile in Sizilien +zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht um zu landen, +sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie damit +zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten +unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen +und mit Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen +Sizilien und Italien ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; +auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, +den Weg laengs der Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von +Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern +muessen. Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, +die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die +Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken. +Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine +guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte +Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige +Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im +Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von +Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 +251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben +aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils +in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder +Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von +den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden +gefangen, und das karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren +beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb, +nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende gefallen war +(505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und +Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg +des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei +im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, +die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen +und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu +lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, +die Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte +kennt, wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer +Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe +von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, +vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden +und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der +Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige +Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen +Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem +karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren, +Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu +werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher +war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die +Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien +sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein +der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff +ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall +erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis +anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang +den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall +abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die +roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die +Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser +und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf +Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen +Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel +leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der +Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte +Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen, +die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen. +Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um +geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der +Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius +Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu +gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan +zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die +karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte +unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das +Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um +Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten +Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit +Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische +Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht +und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die +roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden +Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite +seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben +in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten +Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und sich +gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser +rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung +und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der +feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, +die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils +so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder +zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu +Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie +begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass sie +fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem +er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel +der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, +fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse +Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon +war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer +der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war +diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen +ernstlich zu versperren, und konnte vor dem Angriff der karthagischen +Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers. Die +eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen +Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und aufreibenden +Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut noch +an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den +Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius +Pullus, der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon +bestimmten Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte +laengs der suedlichen Kueste der Insel mit der zweiten roemischen +Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, beging, statt seine Schiffe +zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten Transport allein abgehen zu +lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische +Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die +roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht +erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die +beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab +und zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina +in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden +freilich von den Roemern tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier +wie ueberall an der Kueste schon seit laengerer Zeit errichteten +Strandbatterien; allein da an Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer +die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die Vollendung seines +Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete +denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden +vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit +seinen unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die +Mannschaft und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu +retten (505 249). Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun +ins sechzehnte Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter +ab zu sein als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege +zugrunde gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes +ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet +die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien +die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert +hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus +zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um +etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die +Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und +daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer +traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse +ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der +unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare +durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein +schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man +den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit +frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich +gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen +unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden +gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als +je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt +gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die +Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel- +und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als +die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber +ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu +den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte +die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den +Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen +bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. +Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht +anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu +beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch, +seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst +kostspielige Anstalten erforderte. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit +gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demuetigen imstande war. +Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte gefuehlt ward, versteht +sich; indes wie die Sachen standen, konnten die phoenikischen Finanzen +unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der +ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und +nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung +war eben nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein +leichter und sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, +der roemischen Flotte los zu sein, liess man toericht auch die eigene +verfallen und fing an, nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und +zur See auf den kleinen Krieg in und um Sizilien zu beschraenken. So +folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten, +welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos +auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und +handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, +das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm +im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee +wie in jeder karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten +Infanterie; und die Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu +schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen verpflichtet +gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und hoechstens +die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar +beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen +Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner +Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im +besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das +Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts +koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag +seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den +Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu +setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen +im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer +ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei +Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich +mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen +und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend +phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So +ernaehrte er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu +begehren, und bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, +das wichtige Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht +bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, +sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf +sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der +auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel +der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und +von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte +das Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits +blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels +gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein +schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel +pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die +Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich +nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und +der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der +sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer +zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine +Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon +klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, und die +Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner sich dreist +wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener zeigten sich +die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen eine +dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen. +Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was +spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. Indes +der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der +Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich +eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne +Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein +Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den +Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die +Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, +Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern +vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch +Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so +grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und +patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer +den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften +abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als +dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass +eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges +zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen +freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den +Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre +zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort +kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar +seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und +fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon +und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch +begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden +Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man +ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu +Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und +als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der +Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine +schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft, +ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht +erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein die roemischen +Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der heiligen +Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen +Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). +Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut +gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul +Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius +Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die +schwer beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; +fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein +in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen +Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den +Frieden. Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, +was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen +Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, +der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet +sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder +seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. +Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die See +beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere Kasse +vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen versucht +hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die roemische Flotte +zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die Insel +auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen +Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass +Rom sich verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit +der roemischen Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen +untertaenigen und abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten +oder Krieg zu beginnen oder in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben +oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die Nebenbedingungen anlangt, so +verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der roemischen Gefangenen und +die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung +des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer +ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit +Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den +Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von +18 Denaren (4 Taler) fuer den Mann. +----------------------------------------------------- ^4 Dass die +Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet der +roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst +nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich +genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, +27). ----------------------------------------------------- Wenn den +Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien, +so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann +sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch +den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen +Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, +wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch +wiederholen laesst, vielleicht selbst Hamilkars Persoenlichkeit +mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher Nachgiebigkeit zu +bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf +unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem +Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt +hatten, anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies +geschah, wissen wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob +die Opponenten den Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige +Konzessionen mehr abzudringen, oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus +von Karthago den Verzicht auf die politische Unabhaengigkeit gefordert +hatte, und entschlossen waren, den Krieg fortzufuehren, bis man an +diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden handelte, sondern +um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, so war +sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes +andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und +erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an +Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende +Partei in der vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das +einzige fuer die roemische Gemeinde genuegende Ende des Kampfes +erblickte, so zeigte sie politischen Takt und Ahnung der kommenden +Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um den Zug des +Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, um +nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu +brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn +zu beantworten jetzt niemand wagen kann. Schliesslich uebertrug man die +Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, die in Sizilien an +Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im wesentlichen den +Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu zahlende +Summe erhoeht auf 3200 Talente (5 Mill. Taler), davon ein Drittel +gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der +Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und +Sizilien in den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin +nur eine redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, +wenn es Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte +besetzte Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich +von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika +absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, +ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. So war man endlich +einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation stieg herab +von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren der +Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert +Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern +alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte +Frieden (513 241). Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, +welcher die roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die +Halbinsel einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen +die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende +Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht +geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, +die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer +militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt +haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines +Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden +italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der +roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich +organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese +hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der +in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten +Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die +Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und +Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten; +der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen +kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man +nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen +der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass +eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben +Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen +Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus +in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils +hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde +eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die +Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der +die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer +jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem +Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen +und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren +Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen +und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen +und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch +weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein +Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung und +den kommandierenden Buergermeistern entschluepften? Offenbar wusste man +beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im Laufe des Kampfes +draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine nach der +anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen +militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die +vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab +durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch +diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger Notbehelf und ist es +zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine roemische Flotte, aber +man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets +stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem +hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils +italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und +Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei +Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal +zu Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies +zum Teil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren +und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen +wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen +Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation +benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch +die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht +herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten +Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah +nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen +in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung +dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag +gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die +sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der +Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem +System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler +beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der +Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte +belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, +die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern +fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen +wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen +anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber +freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines solchen +Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue +Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren. +Regulus' Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken +befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es +gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge +in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo +fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine +erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat zog die +halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen Ueberlegenheit +der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der +Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die +Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich ueberwinden zu +lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein +tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch +die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der +Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige +Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig +geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von +militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das +freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, +dass man das Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls +der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, +nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den +schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind +nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der +anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. Rom hat endlich gesiegt; +aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, als er zu Anfang +gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische Opposition, auf +welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die Halbheit +und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom +gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter +und der Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel +der roemischen Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner +Feinde. 3. Kapitel Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen +Grenzen Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des +fuenften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien +vereinigte unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden +vom Apennin bis an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte +Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten +hin ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres +italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im +Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits +im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem +grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel +verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich +die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana +zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen +Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten +und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die +augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende +politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber +begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen +Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine +neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche +Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch +und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem +niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige +Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der +Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und +Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der +Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich +mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des +Werkes zu erleichtern. In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr +in Betracht kam als das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, +die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den +karthagischen Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer +uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten +zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis +festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch +gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss +begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so +ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den +Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein +Gebiet - das heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die +Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion +- und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder +Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang +gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem +voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also +fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des +Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, +in Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich +haeuslich ein. Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes +doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer +zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete +sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese +zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika +hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner +und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. +Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die +karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren +seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen +Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim +erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach +Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er +sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise +abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber +hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so +sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und +dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer +wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem +versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter +den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte +den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren +gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten; +sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte +Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche +Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre +Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer +wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause +zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben +und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten, als +sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um +Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck +herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge +karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere +des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon +war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende +karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers +gaenzlich geschlagen. Wie man also in Rom den gehassten und immer +noch gefuerchteten Feindin groesserer Gefahr schweben sah, als je die +roemischen Kriege ueber ihn gebracht hatten, fing man an, mehr und +mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen, der, wenn er nicht +wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und +zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war, wie +maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot +zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja +man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien +Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, +mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der +Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr +ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen +Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den +die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee +zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer +Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer +dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. +Auch die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen +Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich +der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert +hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die +Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, +den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche +Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an +dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars +aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom +zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen +Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die +roemische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die +Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was +von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit +schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft die +Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft es +nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu +machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann, +dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn +nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der +Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig +ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider +Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars +Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft +eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom karthagische +Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer, +nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen +oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber allerlei Unbill, +die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt haben sollten, und +eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in der Politik jeder +darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten Schamlosigkeit. +Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen Krieg +annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung +bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. +Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der +Staat durch den vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast +fuenfjaehrigen entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht +war, musste man wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche +Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die +mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung von +1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer +widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu +man Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht +noch vom letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen. +Indes beschraenkten die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, +sich in Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung +der Kuesten. Mit den Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige +Kriege, oder vielmehr man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie +mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber +an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst +willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. +Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die +Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen. +--------------------------------------------- ^1 Dass die Abtretung der +zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die der Friede von +513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht +einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht +beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem +Frieden damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie +bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit +hinzugefuegt haben. --------------------------------------------- Die +Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische +Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus +blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, +aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten +Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und der +ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen +Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen. +Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die Konsuln, +einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr +Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; +wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in +das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie +in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden +Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit +ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den +latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden Vertraege +einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch Italien verteilten vier +Quaestoren beschraenkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens +nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den +Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese +Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete +erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren unter +Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man +sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die +ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der +roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung +der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke +stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste +jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration +in der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen +ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst +Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang +und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber, +gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in +seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. +Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln, +so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere +Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und +in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die +Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres +Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. Diese Verschiedenheit in der +Oberverwaltung schied wesentlich die ueberseeischen Besitzungen Roms +von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen +Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf +die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne +Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht +sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein +Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes +Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. +Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen +Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative +Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit einem +unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war +es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf den +Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs scheint +dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, wenigstens +in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht, in edlen +Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb nicht +bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass +das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum +verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es +behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden +die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht +in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch +zugelassen ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall +beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische +Aristokratie repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner +wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte +Jahr dem roemischen Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu +veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung +unter den roemischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne +Uebersicht der finanziellen und militaerischen Hilfsmittel einer jeden +abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht regieren konnte; und auch in den +italischen Landschaften war in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche +geschehen. --------------------------------------------------- ^2 Dahin +fuehren teils das Auftretender "Siculer" gegen Marcellus (Liv. 26, 26 +f.), teils die "Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden" (Cic. Verr. +2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte Analogien +(Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden commercium +zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium +noch keineswegs. ^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und +Silbermuenzrecht in den Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar +weil auf das nicht auf roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld +es weniger ankam. Doch sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in +der Regel auf Kupfer- oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt +worden; eben die am besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, +wie die Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, +wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen. +---------------------------------------------- Aber neben dieser +wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den italischen +einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein folgenreicher +Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten +abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer +oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen +Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht +eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie +verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen +Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden konnten. +Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen in der von +ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der Zehnte der +sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes aller +in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach +Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die +Abgaben, welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig +sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und +auch in Griechenland war eine solche Besteuerung nach orientalischem +Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie +verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten laengst in dieser Weise den +Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und laengst +auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene Rechnung erhoben. "Wir +haben", sagt Cicero, "die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel +und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie bei dem Rechte blieben, nach +welchem sie bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhaeltnissen +der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren +gehorcht hatten." Es ist billig, dies nicht zu vergessen; aber im +Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die Untertanen, +die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war das +Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen +Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt +derselben Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller +Bedeutung, gegen die alle Milderungen in den Ansaetzen und der +Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche +Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. Messana trat geradezu +in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte wie die +griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen +Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in +die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen +Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in +finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als die der italischen +Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche zuerst unter +den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen Buendnis +uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das bestimmt +war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu ueberwachen ^5; an +der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien griechischen Staedten +den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem Panormos, bisher +die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, die des +roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die abhaengigen +Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts +zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber +durchschnittlich standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden +nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen +Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit. +--------------------------------------------------- ^4 Darauf geht +Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die Roemer +sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder +latinischer bedienten und "Auslaender" nur hoechstens unter den +Leichtbewaffneten verwendeten. ^5 Das zeigt schon ein Blick auf +die Karte, aber ebenso die merkwuerdige Bestimmung, dass es den +Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in ganz Sizilien +anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten +Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu +Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501). +-------------------------------------------------- Allerdings fiel +dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den steuer- +oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz +zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger +Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen +Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den +italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst +der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und +Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits +des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts +entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische Distrikte +am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich ausgedehntem Umfange +eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen die zuzugpflichtigen +Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die steuerpflichtigen +auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch zivilisierten +Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen roemischerseits +beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne Zweifel +schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht +bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, +dort neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu +konstituieren. Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss +Untertanenland, sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu +bleiben; dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln +oder, was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein +neues und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen +Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich +geographischer Begriff mit dem politischen der italischen +Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, +teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur +Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges +Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika +geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie +mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch +vorzuschieben ^6. ------------------------------------------- ^6 +Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem +konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den +Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert +in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse +Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin +ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten +(Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. +Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung, +welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul nur "auf roemischem +Boden" den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird: +der roemische Boden begreife ganz Italien in sich (Liv. 27, 5). Die +Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen und dem Apennin +zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und einem besonderen +staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst Sulla an. Es +wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im sechsten +Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als "Amtsbezirk" +(provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird. Provincia +ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter allein +bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten +unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst +durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats +festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne +norditalische Landschaften oder auch Norditalien ueberhaupt +einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden. +-------------------------------------------- Im Adriatischen Meer, an +dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete Kolonie Brundisium +endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet worden war +(510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der +Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen +sorgte schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten +auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der +bedeutendste derselben, der makedonische, war unter dem Einfluss +Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem +Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und kaum noch imstande, +die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie sehr den Roemern +daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen Verbuendeten, den +syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich anschlossen an +die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das merkwuerdige +Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem Koenig +Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen, +den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von +Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich +Makedonien fuer den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden +die Beziehungen Roms zu den hellenistischen Staaten enger; auch +mit Syrien verhandelte der Senat schon und verwandte sich bei +dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. Einer +unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte +bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im +Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, +die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich +hielten selber einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn +vermied man damals eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die +Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie allein unter allen Griechen +nicht teilgenommen haetten an der Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des +Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine +diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer +Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort erteilten, ging das +antiquarische Interesse der roemischen Herren doch keineswegs so weit, +um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die Makedonier von +ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). Selbst den Unfug der +Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise das einzige +Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste bluehte und vor der auch der +italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Roemer mit einer +Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und +ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig +gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung +Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der +Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu +Gunsten seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die +illyrischen Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner +und Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil +vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der +bekannten "liburnischen" Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen +jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in +diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die +wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich +von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen +sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in +Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich +fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen +mit den fremden Raeubern in eine unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis +und Messene hin waren die Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten +die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu +steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren +griechischen Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte +endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. +Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten +Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten +endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu +schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem +Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur +Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes +Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei +zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich +angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht +beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik +wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der +Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder +verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr +525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen +mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, +waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres +Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes +fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen +annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden wieder im +Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes Gebiet +beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte, sondern +auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die +Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen; +suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten +kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte +nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem +Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise +zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische +Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte +sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden +tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten +wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische +getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse +eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und +die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der +Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des +Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen +Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach +anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt und +die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche Italien +verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten gleich +Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im Adriatischen +Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch anders +kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen +Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht +gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen +Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel, +was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu versichern; +im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand imstande zu +widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann +fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die Scham, als +statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der +streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren +in ihre Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die +den Griechen zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber +wenn man sich schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom +Ausland hatte kommen muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; +man saeumte nicht, die Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen +Spielen und den Eleusinischen Mysterien feierlich in den hellenischen +Nationalverband aufzunehmen. ------------------------------------------- +^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. +22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher +von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des +Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des +Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in +der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren +Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese "Stellvertreter" +aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, der sie ernennt +und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur die Konsuln +gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien und +Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden +Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern +des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu +Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte. +---------------------------------------- Makedonien schwieg; es +war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu protestieren, und +verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man nirgend; +aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause des +Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem, +wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, +sich erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. +Haette der kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger +gelebt, so wuerde wohl er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben +haben; denn als einige Jahre spaeter der Dynast Demetrios von Pharos +sich der roemischen, Hegemonie entzog, im Einverstaendnis mit den +Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Roemern fuer +unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos +Buendnis mit ihm, und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer +in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos starb (Winter +533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es +geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten +Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig +aus seinem Reiche trieb (535 219). Auf dem Festland des eigentlichen +Italien suedlich vom Apennin war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; +der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als +eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der +Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch +eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. +Als Grenze Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, +unmittelbar oberhalb Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte +die naechstliegende, eigentlich gallische Landschaft bis Ravenna +einschliesslich in aehnlicher Weise wie das eigentliche Italien zu dem +roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier ehemals gesessen hatten, +waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und die einzelnen +Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder +als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es +italischen, wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten +Gebiet jenseits Ravenna bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische +Voelkerschaften. Suedlich vom Po behauptete sich noch der maechtige +Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen oestlich +die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die Anaren, zwei kleinere, +vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische Kantone die +Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit +einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb +Arezzo und Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der +Ebene nordwaerts vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von +den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von +Verona bis zur Kueste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen +Gebirgen sassen die Cenomanen (um Brescia und Cremona), die selten +mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt +waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der +italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den +kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer, +teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der +Alpen. Die Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche +Meilen schiffbare Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des +damaligen zivilisierten Europas, waren nach wie vor in den Haenden der +Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl gedemuetigt und geschwaecht, +doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig und immer noch unbequeme +Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet in den weiten +Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte +erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu +bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer +Niederlagen in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und +sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen +Kelten aufs neue begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der +Tat hatten bereits im Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und +deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, +die Transalpiner aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu +machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236) +lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen +hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht +zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu +gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung +von Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des +Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte +dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, +unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes +Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; es kam +zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und nachdem +die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren, +kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern in die +Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den Senonen +auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward +vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede +gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den +Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser +durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die +richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen +so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die +bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen +Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer +beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den +Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste +(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt +gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit +Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das +Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder einmal +des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit +Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich fuer die +Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische Kelten zusammen, +und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern Concolitanus und Aneroestus +zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren +Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu Wagen +kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin +zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht +versehen und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung +der roemischen Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen +Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen +wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in +ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die Gefahr war ernst +und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass Roms Untergang +diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom Verhaengnis gallisch +zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge so allgemein +verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde hielt, +den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen +und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine +gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen. +Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen +Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte, +stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite +unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl, +sich so schnell wie moeglich nach dem zunaechst bedrohten Etrurien +zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbuendeten Cenomanen und +Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat zuruecklassen muessen; +jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von den heimischen +Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde auf +seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die +Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und +womoeglich sperren, bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In +Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das +diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige +Mannschaft verzeichnet, Vorraete und Kriegsmaterial zusammengebracht. +--------------------------------------------- ^8 Dieselben, die Polybios +bezeichnet als "die Kelten in den Alpen und an der Rhone, die man +wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) nenne", werden in +den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich ist es, dass die +gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und erst +die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die +Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus "Germanen" zu machen. +Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige +Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste +Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die +spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen +keltischen Schwarm. ---------------------------------------------- Indes +alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und +wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den +Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen +des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen +sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum +unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien, waehrend die +etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung des Apennin im +Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde +folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich gelagert und die +Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk ploetzlich +wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse +gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die +Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische +Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte +sie, dass der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem +Nachsetzen. Eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes +und geordnetes Fussvolk empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld +die roemische Miliz, die ermattet und aufgeloest von dem Gewaltmarsch +herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf, und auch der Rest des +Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel Zuflucht gefunden, +waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das konsularische +Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der Heimat +zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der +beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu +vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, +zunaechst die betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des +bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo +sie standen, an die ebene Kueste und marschierten am Strande hin, +als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt fanden. Es waren die +sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da sie zu spaet +kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben Kuestenweg, +den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in +Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) +trafen sie auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in +geschlossener Front auf der grossen Strasse vorrueckte, ging die +Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber gefuehrt, seitwaerts +vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so bald wie moeglich +dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu +geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit vielen +tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein +Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht +und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von +beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. +Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer +gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier +gegen das sardinische Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert +auf dem Fluegel seinen Gang. Die Kraefte waren der Zahl nach nicht +ungleich gemessen, und die verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur +hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes +gewohnt, wichen vor den Geschossen der roemischen Plaenkler; im +Handgemenge setzte die bessere Staehlung der roemischen Waffen +die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der +siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen +entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei +roemischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit +dem Koenig Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem +Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer +Sitte selber den Tod gegeben. Der Sieg war vollstaendig und die Roemer +fest entschlossen, die Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige +Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen. +Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier +nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war +das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere +Kaempfe kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius +ueberschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) +den Fluss (531 223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der +Festsetzung am anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich, +den Fluss im Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem +Feind um freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise +zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der +Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der +Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es +sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen +Feldzeichen, "die unbeweglichen" genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, +50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser +war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht +dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer +den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die +unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog +die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des +Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber, stellte man +die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den unsicheren +Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu werden. +Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur +Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen +Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug +sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen +Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht +den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des Senats nur durch +Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer Frieden gemacht; +aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit war man noch +nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen Stammgenossen zu +halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern derselben und ihrer +eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 222) +abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrueckenden +konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer +Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium +(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der +gallische Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. +Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich +doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus +Scipio die Hauptstadt der Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser +und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die +italischen Kelten vollstaendig besiegt, und wie eben vorher die Roemer +den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen roemischer und +griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend +bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren +wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen +inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie +Griechenland zerrissen dastand. Die Alpengrenze war erreicht, insofern +als das ganze Flachland am Po entweder den Roemern untertaenig oder, wie +das cenomanische und venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen +besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses +Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei +nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in +den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im +ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die +namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen +mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler +den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier +kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) +scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel +der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der Kueste zwischen +den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer +eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die Kelten in +den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos +verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm +keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen +Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre +Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. +Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte +Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt, +die ohne kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich +ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, und es war nicht +schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur nebenher obliegende und +ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, wie die keltische war, zu +verdraengen und auszurotten. Die grosse Nordchaussee, die wahrscheinlich +schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz +vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium (514 240) verlaengert +worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der Flaminischen +Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei +Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von +Fanum (Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, +die den Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband. +Man war eifrig beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit +roemischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs +ueber den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia +(Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt, +ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von +Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere +Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein +ploetzliches Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge +unterbrach. 4. Kapitel Hamilkar und Hannibal Der Vertrag mit Rom von 513 +(241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen teuren Preis. Dass die +Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den Schatz des +Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste +Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung +hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die +saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer +zu monopolisieren, sondern dass das ganze handelspolitische System +gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken +des Mittelmeers seit Siziliens Verlust fuer alle Nationen ein offenes +Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollstaendig +unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen sidonischen Maenner haetten +auch darueber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon +aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den Massalioten, den +Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man frueher +allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien, +die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und +wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens +dies blieb? Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um +das, was er forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen +wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem +Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war +Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer +Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte +jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden +die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche +Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass +Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien +ihm genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser +Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, +dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen +fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber +doch zu vertilgen? Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) +nur als einen Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur +Vorbereitung fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht, +um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um +das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem +Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein +wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach +unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, +entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen +Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen +und so die politische Defensive durch die strategische Offensive +verdecken moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und +feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, +welche nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur +den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab +es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie +natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen +und den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand +ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der +Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand, +diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, +und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge +unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen +waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der +ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen +diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen +sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden. +Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle +Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung +angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen +Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und +endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers +Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes +gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in +der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen +ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und +dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man +ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben +heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte +der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und +trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den +Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs, +sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich +kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika +zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). Die Patriotenpartei hatte +waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter. +Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und +Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre +Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; +anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, +welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das +Damoklesschwert der roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago +hing, und dass, wenn Karthago unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen +mit Rom zum Kriege kam, dieser notwendig den Untergang der phoenikischen +Herrschaft in Libyen zur Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht +wenige geben, die, an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die +Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer +durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die +Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht, +aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung +zu schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben +diktierte; es blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass +zu dem alten schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses +letzte Kapitel einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man +zu einer politischen Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der +Regimentspartei hatte man sich hinreichend ueberzeugt; dass die +regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen +noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans +Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den +Prozess machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne +Vollmacht der Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen +gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen +Stuehle dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in +Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein; +allein auf desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von +Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten. +Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die +Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass +weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum +gewahr wurden. --------------------------------------------------- +^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, +sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen +Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in +unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind +Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen +die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch, +mit dem die "revolutionaere Verbindung" (etaireia t/o/n pon/e/rotat/o/n +anthr/o/p/o/n) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei Nepos +(Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch finden. +---------------------------------------------------- So liess man die +Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen Genuss +ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und +durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen +Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und +Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn +fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass +er eine von den Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine +verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine +Diktatur - erhielt und er nur von der Volksversammlung abberufen und +zur Verantwortung gezogen werden durfte ^2. Selbst die Wahl eines +Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der Hauptstadt aus, sondern +vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten oder Offiziere +dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem Feldherrn +genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das +Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet +deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und +behandelte. --------------------------------------------- ^2 Die Barkas +schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die Ratifikation der +Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert bei ihnen +und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago +hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten. +---------------------------------------------------- Der Auftrag, den +Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die Kriege mit den +numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war +im Binnenland die "Stadt der hundert Tore" Theveste (Tebessa) von den +Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem +neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher +Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in +ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von der +Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen koennen, +waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht einmal +erkannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der +im sizilischen und im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die +Geschicke ihn oder keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten. +Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der grossartige Kampf +des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den +Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr +hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht +geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die +Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr +schwebt, einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten +aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm +vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich +die gebildete Klasse vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens +einige libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen +aus den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn +wie Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten +puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die +karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren +Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere, +hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich +selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte +Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war +nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche +und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende +Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und +mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief +verdorben und durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts +fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder +die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall selbst in den feilsten +Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar fuer seinen im besten +Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchfuehrbaren Plan die +Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich sichern, +so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige +Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten. +So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu +retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der +Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und +Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, +den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt +nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der +hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von +aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlossenheit der einen +und der andern bauend, zugleich beide taeuschend und beiden trotzend, um +nur erst die Mittel, Geld und Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein +Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu +erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch +ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er schien +zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht +vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land +der Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen +Sohn Hannibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten +Gottes dem roemischen Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und +die juengeren Soehne Hasdrubal und Mago, die "Loewenbrut", wie er sie +nannte, im Feldlager auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies +und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar +nach der Beendigung des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im +Fruehjahr 518 236). Er schien einen Zug gegen die freien Libyer im +Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders an Elefanten stark +war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von +seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei +bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien +gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm +nichts zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die +karthagischen Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er +die afrikanischen Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier +wieder einmal aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so +nachdruecklich zu Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und +mehrere bisher unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen. +Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr +verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in +Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie +trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben +Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns +wenigstens im allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer +und als Staatsmann in den neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 +236-228) geleistet worden ist, bis er im besten Mannesalter in offener +Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als +seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann waehrend der naechsten +acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene, +sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des +Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepots fuer den +Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der +spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen +behandelt hatte, ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars +Feldherrnkunst begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische +Gewandtheit befestigt. Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- +und Ostkueste wurden phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden +gegruendet, vor allem an dem einzigen guten Hafen der Suedkueste +Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders +praechtiger "Koenigsburg"; der Ackerbau bluehte auf und mehr noch +die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen von +Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2 Mill. Taler (36 Mill. +Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro +wurden abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand +es, die Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das +karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen +Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen +der Provinz naehrten nicht bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, +nach Hause zu senden und fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die +Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. In dem Karthago +unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen statt; die +Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; von +den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man +begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite +Heimat und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die +begeisterte Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen +Kaempfe mit den tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen +numidischen Reiterei ein brauchbares Fussvolk. Von Karthago aus liess +man die Barkas machen. Da der Buergerschaft regelmaessige Leistungen +nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie noch etwas abfiel, +auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien und Sardinien +verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen +glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es +sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars +Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien +durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen +oder doch sich begnuegen musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom +auf die demagogischen Offiziere und den Poebel zu schelten. Auch von +Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich +eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der +Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft +mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die +Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes +Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika +selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen, mit denen die karthagischen +Feldherren den roemischen, um Erkundigungen an Ort und Stelle +einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien entgegenkamen, die +Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die roemischen +Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat +unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von +Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den +Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt +einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens +von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze +Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass unter der +Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht sich; allein +wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein, ueber den +drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen Behoerden laengst +ausserstande waren, ihre roemischen Freunde aufzuklaeren und damit die +Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; und wenn es dennoch +geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen mit Fug sehr +vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die unbegreiflich +rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien die +Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr +denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat +Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, +ihres jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder +halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder +Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, +und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis +setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu +ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um +einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, der +diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils +um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich +zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien +Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter +seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, +dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer +den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit +der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen +Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man genoetigt +werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und dass der +Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde, als er +ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen, wie der +Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht anders +sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu beendigen, +womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in +den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die +Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von +dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm +gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings +zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des +Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit +den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung +bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm, +benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs +neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen +Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische +Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten, +versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die +spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich +ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich +leugnen, dass der roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und +schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen +Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist. +Ueberall ist die roemische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch +Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine grossartige +Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die Feinde +Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. So +gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum +Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und +eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte +Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der +Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter +einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war +nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger +Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht +gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der +Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen +wir nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von +Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des +spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den +Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals +im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine +ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend +und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die +bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen +Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager +gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter +Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und +einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn +nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu +entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die +Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er, +wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten +Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache +selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer +seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu +tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er +unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch +glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich +ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die +Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren, +wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. Er trat die +Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen +Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Roemern hiess +er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste er, wie nur +orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals +Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. Indes, +wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben, +sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von +schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, +was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal +Monomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt +in den Berichten ueber ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen +Verhaeltnissen und nach dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten +waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer +Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu +vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische +Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters +bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und +Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der +Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage +ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er +von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah +man haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes +auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der +Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen +Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der +karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss bekundete, +den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der oestlichen +Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, +beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und +vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn +gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die +Blicke aller. Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling +534 220) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das +Keltenland noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien +vor der Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu +tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie +es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald +marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab +gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als +Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des +patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen +als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des +Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der +Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars +Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint, +den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf +Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal +scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit gegen +die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner +zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu +fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun +diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein +die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien, +um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass +Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss +die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos +Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im +italischen Kettenland ward die Gruendung der Festungen mit verdoppelter +Schnelligkeit und Energie von den Roemern betrieben; der Schilderhebung +in Illyrien schickte man in Rom sich an, im naechsten Fruehjahr ein +rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; Hannibal entschloss +sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die Saguntiner +karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie +darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im +Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das +heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag +man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation +in gewissen Kreisen machte. Alle "angesehenen Maenner", heisst es, +missbilligten den "ohne Auftrag" geschehenen Angriff; es war die Rede +von Desavouierung, von Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, +dass im karthagischen Rat die naehere Furcht vor dem Heer und der Menge +die vor Rom ueberwog; sei es, dass man die Unmoeglichkeit begriff, einen +solchen Schritt, einmal getan, zurueckzutun; sei es, dass die blosse +Macht der Traegheit ein bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss +sich endlich, sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht +zu fuehren, doch fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur +spanische Staedte sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur +einen geringen Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und +nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden +illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der +See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und +nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere +Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich +erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, +ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon +bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede +Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine +roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des +Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als +der roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die +Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er +darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da +ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen +lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm +man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen +Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den +Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, +um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von +Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den +Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum +Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner +Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd; +ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker +ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit +Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem +karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser +einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst +ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue +der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen +ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen +Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen +phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische +Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden. +Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition +bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der +Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an die +westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann +zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten, +ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment +uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar +karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die +Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien, +wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, +fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein +verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der +Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf +gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien und Afrika zu sichern, +weshalb in Spanien die Flotte blieb und Westafrika von einer sehr +starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue der Truppen buergte, +ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der +spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer +Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach +Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach +Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was +den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20 +Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste +segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich +sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von +Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit +der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne +Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender +Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in +Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann, +so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vornherein entweder auf +ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar +auf die Verteidigung beschraenken - die Niederlagen brachten in all +diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche +Frucht. Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, +die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der +Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische +Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren +Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine +Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer +beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen +Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz +anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss des +Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das +Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; +zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen +Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt. +Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer +Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen +ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden +Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, +um die eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs- +und Chausseenkette legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das +zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen zaehlte, ihre Retter +erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als Verpflegungs- und +Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege mit den +Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten, +dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme +bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die +Roemer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden +stehe. Eben in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum +Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft +im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten +Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das roemische Buendnis mit +dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern vertrieben worden +war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser hatte den +Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die +Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den +gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies +alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet +gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer +grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren. +Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug +gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit +Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat +die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage +genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es ankommen +wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. Hannibal +hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten und +weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des Seekrieges +sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die +unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer +anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die +Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen, +wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als +die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte +Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen +hatten; der Verbuendete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne +Verwegenheit diesen betreten. So vereinigte Hannibal die fuer die +grosse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in +Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter, darunter +etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - die mitgefuehrten +37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu imponieren, +als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie das, +welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von +Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser +zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie +die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und +vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 +(218) von Cartagena auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, +namentlich den mit den Kelten angeknuepften Verbindungen, von den +Mitteln und dem Ziel des Zuges liess er die Soldaten soviel erfahren, +dass auch der Gemeine, dessen militaerischen Instinkt der lange Krieg +entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere Hand des Fuehrers +ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite folgte; und +die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die Forderungen +der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren Heimat, +das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn +und seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den +Herzen aller. Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch +in festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was +man wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht +noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit den +Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene offen. +Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen, wenn man +den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das nicht +wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede ward +durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos +Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren. Mit +Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte +man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die Verhaeltnisse +im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben; +ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der +Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und +im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man +ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten Operationen. Man disponierte +ueber eine halbe Million brauchbarer Soldaten - nur die roemische +Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig minder zahlreich als die +karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der +ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die +eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte +keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende +entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser +erdrueckenden Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand +es fest, dass der Krieg eroeffnet werden sollte mit einer Landung in +Afrika; die spaetere Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, +eine gleichzeitige Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen, +vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago +zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals +Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor +allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt +fiel; allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie +der Ehre. Acht Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt +ueberging, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet. +Indes noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen +Voelkerschaften nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer +waren, sondern auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern +Versprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien +gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von +Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen +Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, +konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. +Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte +fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul +Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich +Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung +bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die spanische +Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten +Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward er, dem unter +den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war als das Blut +seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee in einigen +Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass durch jene +Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert +wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung selbst +sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug +nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt +haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet +worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches +"Koenigreich" aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu +werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung +Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur +Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen +zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm +den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt +haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die Hauptsache war, +wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen +zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die Alpenpaesse, ehe +Hannibal sie erreichte, und die afrikanische Expedition ging ungehindert +nach ihrem Ziele ab. An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal +einen Teil seiner Truppen in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene +Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher +zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von +denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000 +Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg +ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber +Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils +die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, +teils die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon +gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher +Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach +Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet +worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro, +sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche +zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert +zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition +vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den +keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der +Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an +der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und +den Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand +gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der +keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von +22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier +Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen +Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit +der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und +bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er +besass nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den +zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem +Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen +gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an einem +Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine starke +Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen stromaufwaerts +bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon gelegenen +Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier ueberschritten +sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um dann +stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem +Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages +nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen +die Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer +auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben +als die Gallier, sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, +das Ufer zu besetzen eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen +in Flammen auf; ueberrascht und geteilt, vermochten sie weder dem +Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und zerstreuten sich +in eiliger Flucht. Scipio hielt waehrenddessen in Massalia +Kriegsratsitzungen ueber die geeignete Besetzung der Rhoneuebergaenge +und liess sich nicht einmal durch die dringenden Botschaften der +Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren Nachrichten +nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung +zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf +bereits die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen +und beschaeftigt, die allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen +Elefanten nachzuholen; nachdem sie in der Gegend von Avignon, um nur die +Rekognoszierung beendigen zu koennen, einigen karthagischen Schwadronen +ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und +Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst +auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach +nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als +er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des Uebergangs der +Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen +abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten +Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die "feige +Flucht" des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal +durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige +Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten +Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne +irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer +einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, +den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal +diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, +dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste +Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen +war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die schwachen +Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort dem Feind +einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die +kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar +dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die +militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden +gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder +Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach +Pisae. Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen +Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt +und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch +den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen +ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben +er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die +Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit +Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste +er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und +die Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende +Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen +konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel +auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das +immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch +notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem Kuestenweg, +den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn sperrten, +sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten +in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte +Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genevre) in +das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und +der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach +Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an, wo +er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und unfruchtbaren +Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen Durance durch ein +schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben- +bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier +angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen +Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen. +------------------------------------------------- ^3 Der Weg ueber +den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse geworden. Die +oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische Alpe +oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und +Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht. +------------------------------------------------- Der Weg ueber den +Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die erste, das +Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er sich +in dem Tale der oberen Isere, das von Grenoble ueber Chambery bis hart +an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich +hinzieht und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und +bevoelkertste ist. Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard +unter allen natuerlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber +bei weitem die bequemste; obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, +ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps +mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme +fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse +aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die karthagische +Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches +Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die +ihm verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St. +Bernhard wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genevre zunaechst +in das Gebiet der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten +mit den Insubrern in Fehde lagen. So marschierte das karthagische Heer +zunaechst an der Rhone hinauf gegen das Tal der oberen Isere zu, nicht, +wie man vermuten koennte, auf dem naechsten Weg, an dem linken Ufer +der unteren Isere hinauf, von Valence nach Grenoble, sondern durch die +"Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevoelkerte +Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, suedlich von der +Isere, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder +deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes +Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst +fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iseretal +scheidet. Der Marsch an der Rhone in und quer durch die Insel bis an +den Fuss der Alpenwand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe +Schwierigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch geschickte +Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen +Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass +derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit +gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit +Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die +erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur +ein einziger gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) +fuehrt, waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung +hatte den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen +Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang +die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf +er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf +dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget +hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die +Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschierende +Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in Folge +derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit +seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden +diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, +allein die Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch +den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt, +ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu +zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumtieren +und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem +anmutigen Tal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren +Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder +Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage eintrat in +das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich das +Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut +zu sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei +Conflans) mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und +Geiseln, und wie durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch +die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg +die Isere verlaesst und durch ein enges und schwieriges Defilee an den +Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien +auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils +auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergraendern, in +der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal, +dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts +gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die +reiche Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den +Tross und die Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem +gesamten Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, +obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen +den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder +herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem +"weissen Stein" (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des +Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden +Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die +ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere +zu decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten +endlich am folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten +Hochebene, die sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer +Ausdehnung von etwa 2 Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. +Die Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu +bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende +gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen des +unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose +Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der Begeisterung des +Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende Ziel, +fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu +wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich; +zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier +waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so +erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer +Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und schwierigsten +Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei +nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte Jahreszeit - man war +schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das +bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf +dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der +frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, +verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die Abgruende; +ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an eine +Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil +darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen +und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk +kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten +Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees +sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den +Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. +Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg +fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen +Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten endlich die +halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war nach +viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem +weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer +sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser, +Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre +Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September +in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern +einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige +Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die +Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und +kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort +erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan; +zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, +und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so +sehr bedurften ^4. ------------------------------------------- ^4 +Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte +Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als +geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der +Herren Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls +Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen +stehen. Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, "fingen die +Spitzen schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken" (Polyb. 3, 54); auf +dem Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht +frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem +Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; +als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden +sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die +Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September +auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass +er dort eintraf, "als schon der Winter herannahte" - denn mehr ist +synaptein t/e/n t/e/s pleiados d?sin (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten +der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C. +L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241. Kam +Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist +auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen +Ende Dezember (peri cheimerinas tropas Polyb. 3, 72) eingetretenen +Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten +Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer +Heerversammlung ypo t/e/n earin/e/n /o/ran (Polyb. 3, 34), also gegen +Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch +fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also +Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von +der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August +eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. +3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich +sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit +gesessen haben muss. -------------------------------------------- Das +Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, +den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem +Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der +Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal +zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss +- davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil +wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht +minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht wie +fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausgesuchte +Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33 maessigen +Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen +besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr +nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler +des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer +kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie +einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine +militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage +gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Nur +duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn knuepfen; +wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten Operationsplans, +koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie vorherzusehen +- fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob ein +anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena +oder Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt +haben wuerde. Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im +einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles +ankam - sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr +durch die Kunst des Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den +Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist +es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe +schwieriger und grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat +auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der +grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die +Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten +am Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. 5. Kapitel. Der +Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae Durch das Erscheinen der +karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage +der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. Von den +beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort +schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr +moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius +Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in +Sizilien; die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. +Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten +Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der +Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht +worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln +und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren gezogen. +Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen +Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika +ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen +Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung +von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den +Liparischen Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet +die brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines +geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der +Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie +moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte +noch in Lilybaeon. Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der +Armee Hannibals an Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von +dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings +nicht gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter +den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen +Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia +und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die +Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon +im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die +Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. +Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, +ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor +Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig +mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu +entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem +Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen +und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine +zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer +und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer +den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der +einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, +Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, +dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. +Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine +20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu +halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren +Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul +Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und +vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen +allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden +Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer +Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die +Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger +Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden +im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, +der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat. +Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend +geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen +der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende +keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, +ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, +waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, +um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem +Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, +die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung +vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, +beide gefuehrt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene +Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes +Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riss vor dem +Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend diese von vorn +die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische +Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen +Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken +und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war +sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was +er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und +verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen +Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang, +ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht +aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff den Fehler, den er +gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem +Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter den +Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die +Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen +der roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er +sein bedeutendes militaerisches Talent wieder, das der bis zur +Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen +Augenblick paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht +bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher +ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte +Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei +freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische +Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, +da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem +nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer +Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem +roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene vorwaerts +von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen +Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende +gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen und sich +auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften +Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit +dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. +In dieser starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, +den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch +die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar +die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser +Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die +insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme +der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals +Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager +dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio +genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen +durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich +unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen +Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, +Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche +Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen. +Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollstaendig und glaenzend +geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und +dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk +wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand, +um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den +Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder +sein Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die +laestigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend +dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im +Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg +gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von +Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr in +wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts, +ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen +Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich +entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. +Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern +unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die +roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei +der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr +nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu +verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand +sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht +geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros +der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und +durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied +zu stellen; die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im +Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut +bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon +gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den +Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und +die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts +ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines +Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten +Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die +Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und +den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische +Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum +Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene +karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der +Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in +dem Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten +Massen. Die Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen +Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. +Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng +zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die +Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, +namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere +Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die +uebrige Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu +ueberschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes +niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des +Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin +ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls +Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre +als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage +gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende +nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende +Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen +sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg +teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die +keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge +des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge +von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen +einzigen. ------------------------------------------- ^1 Polybios' +Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn +Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po +lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend +das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl +bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so +mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie +um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang +in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile der eigenen Armee +und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann +fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss ueberschreiten muessen. +Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die +Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld +entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es kann +sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke +ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der +placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die +erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios +also, Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der +Zehntausend bloss sagt, dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia +sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs +ueber den Fluss zu gedenken. Die Verkehrtheit der Livianischen +Darstellung, welche das phoenikische Lager auf das rechte, das +roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach +hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, dass die +Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch +Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117). +------------------------------------------ Die Folge dieses ersten +Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrektion sich nun +im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. Die Ueberreste +der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und +Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre +Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder +entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit +einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, +der nicht durch weitere Maersche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit +seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das +Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die +groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf +den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen +den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den +gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 +Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen +haben. Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine +ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, +und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch +keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die +nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach +Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius +und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die +vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde +verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb +an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und +von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum +endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier +zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, +wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um +in der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive +uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die +Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal +zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer selbst +es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwaechere +war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er wusste +auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen +roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu +erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der +stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim +nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in +Italien zunaechst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk +sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer +Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie +tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische Fusssoldat unter dem +Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glaenzende +Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. +Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals +ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem +Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen +abenteuernd zu fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von +den militaerischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der +allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen +Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das +einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu +werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins +Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen +deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. +Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der +gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die +Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht +die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den +roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks +sich nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine +bewundertsten Schlachten. Dies und nicht die Bitten der Gallier um +Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die +Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien +jetzt gleichsam fallen liess und den Kriegsschauplatz nach Italien +selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen sich vorfuehren. +Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten - dass +Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die +Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens +stark uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen +Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass +Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er +jeder italischen Gemeinde die alte Unabhaengigkeit und die alten Grenzen +wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge +als Retter und als Raecher. In der Tat bracher, da der Winter zu +Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen +Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen +Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des +Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie +es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der +Apenninuebergang ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst +moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; +allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren +durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen so ueberstaut, dass +die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur +naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das +zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die +Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter +dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte +laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die +karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht +unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche +ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; +Hannibal selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes +das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius +Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um +sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen +war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um +die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal +jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, +bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer +herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer +Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu +beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend +seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung +erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren +parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber +Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des +gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei, +und ueber alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein +militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531 +(223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten +oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und +seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius +Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal +ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite +Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige +Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass +deren Zahl nach der Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der +Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. +Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess +durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die +zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen +und die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter +den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen +des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, +vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen +solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem +unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist +ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des +Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen +Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, +genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt +hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei +steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der +Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er +den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden +Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen +in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die +Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein +Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss +die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes +und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel +ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine +Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den +Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne +Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der +Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000 +Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch +und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein +abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie +aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Huegel, den +sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und +da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal +verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer +waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war +vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder +vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward +gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des +ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die +Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig seinem +Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer +umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war +verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort +machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken +ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern +instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein +Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt +der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im +Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt. +----------------------------------------------- ^2 Das Datum der +Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem +berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur +nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1) +niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung +war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg. +------------------------------------------------ Allein Hannibal sah +weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht +gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee mit +Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten +und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es +geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium +vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch +Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen +bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen +Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der +Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine laengere Rast, +um in der anmutigen Gegend und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich +erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in roemischer Weise zu +reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die +Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen +Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine +Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer +hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst +genugsam geuebt war, brach er auf und marschierte langsam an der Kueste +hinab in das suedliche Italien hinein. Er hatte richtig gerechnet, als +er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloss; +die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die Hauptstadt +gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter Musse +zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen +des feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen +Armee sein militaerisches System vollstaendig zu aendern und den +Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen +gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft +nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die +Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit +gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten an; +der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer Hinsicht, +waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem +Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine Stadt +nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde +machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer viel, ja +alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig +es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu +stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator +Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das +Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der roemischen Festung +Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten +Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr +anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann, +von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei +und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit, +der politischen Allmacht des Senats und des Buergermeisterkommandos +erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und Gebeten von der +methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und +durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze +der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, +um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um +jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, +dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden +vorzuruecken, solange das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, +und dass es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren +angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und +allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen +in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und +richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des +feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er +ueber den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene +Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte +sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von +Rom abhaengigen italischen Staedten und die einzige Rom einigermassen +ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments schwerer als +irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft, die +den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein +diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend +schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses +ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte +seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der +Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen +Bundesgenossen pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in +Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen +Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu +kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den +Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des +Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden +Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 +Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein +Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar +neben der Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl +Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so +dass es schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher +Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse +sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig +waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch +freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab, +ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und +mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte +und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in +nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die +Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner +ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute +und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die +Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen +Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, +dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen +Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf +des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu +lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische Landschaft, die +Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner ueberlegenen +Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich +ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria, +ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres +taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend +Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten +Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der +im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl +stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um naeher an +den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, +wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die Detachierungen und +dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils +in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne +phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die +Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte, +sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen +Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in +der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz +ungerechtfertigt. So weise es war, sich roemischerseits verteidigend zu +verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel +des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und +Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer +an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu +verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten Massstab +sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius +Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht +verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei +Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln +reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, dass die italischen +Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der +Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat; +allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast +zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer +eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische +Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu +dieser Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus +den tuechtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, +groesstenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, +durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber +die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, "Hannibals Lakai", ihm +zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu +werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen +gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer +Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten +sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator +tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium +der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen +Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und +sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt +war, in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls +zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen +bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die +roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte +Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum +geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften Fuehrer +gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegsplaene +befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei seinem +methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen Diktatortitel +auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit geringen +Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier +sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps +groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab +dem System des passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der +Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den +Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation +hatten weder der stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, +und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, +doch im wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem +Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht +der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner +Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass +der Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann. +------------------------------------------------ ^3 Die Inschrift des +von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules +Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C. +f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden +worden. ------------------------------------------------ Trotz aller +Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die +roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus +und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug +anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen +italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, +wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, +dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man +beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die Auslieferung +des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war trotz der +Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des +Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar +langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegfuehrung abzugehen; wenn +der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegfuehrung gescheitert +war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man +eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. +Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie +Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel +ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl +Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu +erdruecken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius +Postumius nach dem Potal bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer +dienenden Kelten nach der Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse +waren verstaendig; es kam nur darauf an, auch ueber den Oberbefehl +angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die +daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und +ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl +nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den +Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines +Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln +angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst +recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner +Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 +(219) den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure +Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der +Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur +durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als +Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, +und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine +rohe Unverschaemtheit. Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten +Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien +wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere +zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die +Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden +auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das +Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische +Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient +hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des +Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt +von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als +Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht +abzuwenden gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten +ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine +Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats +trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im +Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen +und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten, +stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb +Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei Drittel +Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber +nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts mehr +als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten +Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische +Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu +entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an +dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestuetzten +Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig +zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen Streitmacht waren, wie +gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und naeherten in dieser +Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten +Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunaechst zu warten und nur +nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der +Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal +lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein +Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am linken +Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem +Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, +vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald +zum Schlagen zu kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den +Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus +nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul missfiel dergleichen +militaerische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, dass +man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu +gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben +fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die +entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um +Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von +der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld +der ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte +allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten +roemischen Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier, +zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses +ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 +Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das +karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen +Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der +roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August +nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, +den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht +wesentlich hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen +Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee +folgte und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte +roemische wie der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische +Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem +rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische +auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen +stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl +des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete +Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die +keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die +vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten +die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die +gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach +der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem +Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im +Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere +Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier +ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die +Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen +vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren +Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck +sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel +der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen +regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und +diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen +Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt +und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem +Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. +Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie +besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne +verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In +dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden +libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von +ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu +verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam und die ohnehin +schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr +Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er +mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt +und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den +Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den +Numidiern hinreichend beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff +schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Fluechtigen den +Numidiern ueberlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie +dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss +entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es +ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit +so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet +worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 +Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der +erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in +der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der +Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der +Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul +Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach +Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen +Lagers, 10000 Mann stark, ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige +tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen +nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende +gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien +gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius +Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern +gaenzlich vernichtet. Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die +grosse politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach +Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer +gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht +sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des +Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen +Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die +gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne +und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus +Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war +dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen +den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des +Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) +die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, +nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals, +mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro +ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar +hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika +Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders +gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die +Scipionen verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn +vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae +siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche +andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt; +diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die +zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien +aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. Von +Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel +geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten +die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor +einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand +verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, +und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige +Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, vor allem aber +die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser +unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der +mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich leer, der Sold +kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu +lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst +die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat +beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und +Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 +numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und +in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben. Die +laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war +anfangs durch Antigonos' ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers +Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen +Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) +verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, +fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem Antrag, seine +illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie massten freilich +erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt schloss der Hof von +Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine Landungsarmee +an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe der +roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. In Sizilien hatte +Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit +geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch den +Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom +namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein +Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst +ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, +hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald +darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach +vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des +klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich +mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit +machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische +Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel +vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess +mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, +die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte +bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln +postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal +sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung nach +Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage +fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. Was +aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der +roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die +Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. +Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, +zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer +beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der Brettier - diese +zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die +erst belagert werden mussten; die Lucaner groesstenteils; die in die +Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten +mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite +Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu +stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella +und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das +roemische Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in +Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren +Kaempfe, die hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, +den Hannibal von diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel +genoetigt, in Capua einen der Fuehrer der Adelspartei, den Decius +Magius, der noch nach dem Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das +roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abfuehren zu +lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was +es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den +Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen +hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei +die roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr +noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker +selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und +ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus +zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine +ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen +Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe +taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung +Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden +von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur +Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf +brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die +sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, +unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch +die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker +der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunaechst, +wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde +die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz +Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo +latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als +Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im +karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht +ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago +in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte +gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden. +Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der +Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten +Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, +aber gerechte Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich +nicht etwa bloss einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die +roemische Buergerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer +die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht +nirgend mehr; es war eben nicht moeglich, ueber die Frage, wer die Heere +der Stadt in einem solchen Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr +die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine +gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war, +jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der +einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche +Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung +des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle +Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen +auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem +Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits +an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der +italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, +dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte +auf das "Volk" Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen +Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide "neue +Maenner" und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur +Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten +Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, und die +Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae. +Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser +fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die +Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich +widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste +jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand +gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So +wenig Quintus Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden +darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, +sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des +Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwuerfnisses +mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit, +die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das +wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der +Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter +den Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische +Schlacht. Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder +Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem +Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. +Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste +sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des +Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben, +getan mit Unterdrueckung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist +die herrliche und unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro +- allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten - +nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm +entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes +nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen +Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen +Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den +Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs +verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, +wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen +zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt +hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren +gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf +sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und +strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten, +um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die +Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu +begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben +und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an den +Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen, +die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit +der Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, +nicht allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der +Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was +vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige +Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in +Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze +Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen, +diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die +in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes ueber das Meer +zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute +der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa zwei Legionen +zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und +unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr +ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in +den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der +bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, +uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um +eine kampffaehige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um +Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel +voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die +Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte +sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es +an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestuecke aus den Tempeln und +setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in Taetigkeit. Der Senat ward +ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten forderten, aus den Latinern, +sondern aus den naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot +die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes +an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen +angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht +scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen +sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern +es musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer +ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei. +6. Kapitel Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama Hannibals +Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen +Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht, +soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die +latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den +Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem +Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und der +verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und +rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen den +Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den Marsern +und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem Wege mehr +erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, so hatten +diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe auch +sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer +Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal +das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die +Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos +in Tarent aufgetreten war, und meinten toerichterweise, zugleich der +roemischen und der phoenikischen Herrschaft sich entziehen zu koennen. +Samnium und Lucanien waren nicht mehr, was sie gewesen, als Koenig +Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der sabellischen Jugend in Rom +einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische Festungsnetz +ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch die +vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt - +nur maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten +Hass beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der +herrschenden Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der +Roemer an, nachdem Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte +doch, dass es jetzt nicht mehr um die Freiheit sich handle, sondern um +die Vertauschung des italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht +Begeisterung, sondern Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem +Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte in Italien der +Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis +hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften nicht wie +das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls +eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die +gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und +die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig +die schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten +seine Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen +Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand +er andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen +belehrt, gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der +Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer +Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere +Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen +Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den +Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen +Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten +Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf +da an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung +fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius +Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von +Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die +Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen. +Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine +Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein +Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. +Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten +Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den +feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige +roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den +beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am +Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn +die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines +einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und +vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem +gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. Vom Schlachtfeld +hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom besser als +die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er mit +einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen +koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem +Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die +Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist +unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der +Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus +nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach +Regulus' erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der +Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig +gesiegt. Mit welchem Schein konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger +die Schluessel entgegentragen oder auch nur einen billigen Frieden +annehmen werde? Statt also ueber solche leeren Demonstrationen moegliche +und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu verlieren mit der +Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den Mauern von +Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die +Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken +diese zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt +bestimmt. Er durfte hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen +Haefen bemaechtigen zu koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu +ziehen, welche seine grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen +hatten. Als die Roemer erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, +verliessen auch sie Apulien, wo nur eine schwache Abteilung zurueckblieb +und sammelten die ihnen gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer +des Volturnus. Mit den zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus +Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst +verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus +Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte, +bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten. +Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren +dessen Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft +gescheitert, und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen +Hafenplatz eine Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden +anderen groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte +der Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses +an die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere +die Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an +den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend, +erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die inneren +Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal selber mit +namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste Niederlage, die +Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war als durch +seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, Acerrae +und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich +hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie, +Casilinum, von Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die +zu Rom gehalten hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber +das Entsetzen macht schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit +verhaeltnismaessig geringer Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten +Schwaeche zu ueberwinden. Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis +der Winter einbrach und Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen +Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen +keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg +schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus +und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als +Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus +Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als +Konsuln, an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt +waren, Capua und Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula +gestuetzt, Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich +aufstellend, Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei +Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien +von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von +Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte +auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht +den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht +verweigert ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer +in Kampanien nicht bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch +Compulteria und andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen +von Hannibals oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer +unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, +teils um in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die +Bewegungen der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit +der Armee von Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu +brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich +gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht +unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die +phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt +zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich +zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius +Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere +in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff +auf Capua ueberzugehen. Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht +geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. +Jene raschen Maersche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des +Krieges, denen Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte, +waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die +unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich +gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war +schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich +nicht verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die +Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und +der italischen Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. +Die Vollendung stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier +in Cartagena, bei den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, +Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich +angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien +der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von Westen, +Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, +was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das +Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende +Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege +fast unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr +handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem +vollen Sieg so nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. +Dass es moeglich gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder +beliebigen Staerke bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal +solange, als der Hafen von Syrakus den Karthagern offenstand und durch +Makedonien die brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist +die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem +Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr +noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren +gegangen war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae +sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu +allen Zeiten bereit war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des +Vaterlandes zu erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit +der Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um +nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb +tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich +Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom +erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen Parteigetriebe +fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen koennen +wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der +Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen. +Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen +auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus +angeknuepften Verbindungen und auf Philippos' Intervention. Es kam alles +darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen +Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen +oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland +gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit +Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer die Roemer sind +es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist, die +Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland +festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung zwischen +Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese Defensive +womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich entwickelt +zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur +Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der +italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest +sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts +entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker +ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der Operationen, und +alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich daran, die Isolierung +Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder zu verewigen. Waere es +moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die +Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, +so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war +Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, +dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische +Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils +fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage der Dinge +dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen verlegten +den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro an +den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich +karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. +In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die +Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, +die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit +gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen +Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische +Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den +unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien geschickten +cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der Insel +sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, welcher +letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen +Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation +des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal +gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen +aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion +der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die wichtigste Station +Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit dem vor der Ankunft +des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten Landheer zu sichern und +fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in Makedonien selbst +vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen und Stocken +kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen, +was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette. +Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie +ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo +Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber +verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den der Cannensische Sieg in +Karthago erweckt hatte; die nicht unbedeutenden Streitkraefte, welche +man dort disponibel gemacht hatte, waren, sei es durch faktioese +Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung der +verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden, +dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten +gewesen waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 +(215) durfte auch der besonnene roemische Staatsmann sich sagen, +dass die dringende Gefahr vorueber sei und die heldenmuetig begonnene +Gegenwehr nur auf saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte +auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. Am ersten ging der Krieg in +Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in Hannibals Plan gelegen, +auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb zufaellig, +hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen +Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel +eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich +annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es +mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei der von ihm befolgten +Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt, so hatte Syrakus +Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager ueber die Roemer +unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber ganz Sizilien +geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von Karthago den +Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben konnte. +Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten +der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke +zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu +bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn, +den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten, zeigte die +syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch rechtzeitige Rueckkehr +zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen zu machen. Allein bei +der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach Hieronymos' Tode +die Versuche zur Wiederherstellung der alten Volksfreiheit und die +Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den erledigten Thron wild +durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden Soeldnerscharen aber +die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals gewandte +Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche +zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; +masslos uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung, +die den soeben wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern +zuteil geworden sein sollte, erweckten auch in dem bessern Teil der +Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet sei, um das alte +Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den Soeldnern endlich +wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens durchgegangene +Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der +Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der +Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates +und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul +nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte +Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte +syrakusanische Ingenieur Archimedes sich besonders hervortat, zwang die +Roemer nach achtmonatlicher Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu +Wasser und zu Lande umzuwandeln. Mittlerweile war von Karthago aus, das +bisher nur mit seinen Flotten die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf +die Nachricht von der abermaligen Schilderhebung derselben gegen die +Roemer ein starkes Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden, +das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige +Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte +der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; +Marcellus' Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden +feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger +Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung +auf der Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb +mehr noch als die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der +die Roemer auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der +des Abfalls verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische +Besatzung daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den +Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern +von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen +verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die +Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt +am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die +Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte +gelegen, diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende +Hauptstrasse deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange +nachher. Als so die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige +Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und +Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen, +ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und +einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die +roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die +beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager +aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im +Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen +erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit +der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei phoenikische +Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern durch diese +Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das Schicksal die +eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus' Heer, in den +Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die +phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen +Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere, +groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten +Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von +der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich, als die +roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der +in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann nach Akragas. +Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die Verhandlungen +hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten sie an den +Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten wurden +die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener Buerger +erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den +fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus +mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden +noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die +Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst +542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in +ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die ernstlichsten Versuche +gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden Militaers zu entziehen, +selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen des roemischen +Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger Gemeinden die Gnade +walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine Kriegerehre +durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen +Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den +Tod fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die +verspaeteten Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn +und gab weder den einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre +Freiheit. Syrakus und die frueher von ihm abhaengigen Staedte traten +unter die den Roemern steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion +und Neeton erhielten das Recht von Messana, waehrend die leontinische +Mark roemische Domaene und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter +wurden -, und in dem den Hafen beherrschenden Stadtteil, der "Insel", +durfte fortan kein syrakusanischer Buerger wohnen. Sizilien schien also +fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war auch hier aus +der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter +Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen +Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei +uebernahm und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die +roemische Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener +Flamme anfachend, einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und +mit dem gluecklichsten Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die +karthagische und roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus +selbst mit Glueck einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das +zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte +hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit +eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und bestand +darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die +Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen. +Muttines liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern +des Landes, besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago +nicht unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen +allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich +der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, +ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte +Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun seit +zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte, fand +hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter, die dem +juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in Unterhandlungen +mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und lieferten ihm +Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach Karthago, um +den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers den +Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward +von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei +verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen, +wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue, +aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft; +die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also ganz Sizilien +unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt, dass einige Ruhe +und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte. Man trieb das +Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen und schaffte +es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals +Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr +Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der +Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter +die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu +erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen. Entscheidender als Syrakus +haette Makedonien in den Gang der Ereignisse eingreifen koennen. Von +den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder Foerderung noch +Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos' natuerlicher +Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter bei +Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen +Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils +die Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des +Krieges, teils Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen +aller Art in Kleinasien, Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten +ihn, jener grossen antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie +Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische Hof stand entschieden auf +der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544 (210) erneuerte; allein es +war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, dass er Rom anders als +durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen italischen +Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien und +Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie +konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich +gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind +zusammenzustehen. Wohl gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des +Agelaos von Naupaktos prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege +mit den Kampfspielen, die jetzt die Hellenen unter sich auffuehrten, +demnaechst vorbei sein; seine ernste Mahnung, nach Westen die Blicke +zu richten und nicht zuzulassen, dass eine staerkere Macht allen jetzt +streitenden Parteien den Frieden des gleichen Joches bringe - diese +Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden zwischen Philippos +und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz +war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos +zu seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in +Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen +hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr +eines solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm +fehlte die Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher +Krieg allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe +nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands +umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit +Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen Patrioten; +und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art der +Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu +erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der cannensischen +Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu +bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem +Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht, +dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies +geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser +endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische +Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine +roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen; +Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von +leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein +als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten +Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen +Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um +doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die +roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im +besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer, +die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als +die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben +mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte +fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward +dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und +das makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun +zur voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem +Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, +der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine +Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann +die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit +Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann, +die zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten, +veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den +Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen +Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der +nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der +alten Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und +Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, +fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien +eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz +zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf +deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung +des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen +hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen +auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so +dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern +gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die +antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten +an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber +Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister +Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen +des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf +gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden. +Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge +der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und endlich +Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden griechischen +Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit Einsicht +und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen +Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas +wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen +dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen +seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit +Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf +in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu +wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die ungluecklichen +Akarnanen vernichteten und Lokris und Thessalien bedrohten; bald rief +ihn ein Einfall der Barbaren in die noerdlichen Landschaften; bald +sandten die Achaeer um Hilfe gegen die aetolischen und spartanischen +Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von Pergamon und der roemische +Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten Flotten die oestliche +Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der Mangel einer +Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam so +weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von +Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss +er sich zu dem, womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe +bauen zu lassen; Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht +worden, wenn ueberhaupt der Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die +Griechenlands Lage begriffen und ein Herz dafuer hatten, beklagten +den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte Kraefte sich selbst +zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt +hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, +ja selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden +Parteien nahe genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch +die Aetoler, auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich +ankam, viel unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig +der Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere +Aetolien den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen +gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und +verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es +ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als +die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften, +wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei +verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten +viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und +fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung +der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den +sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und +Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese +sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der +Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede +zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen +uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt; +indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des +erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition +aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu +ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der +Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten +fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu +beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen +wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen +atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der epeirotischen +Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos sich noch +gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein es war +damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen liess, +dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit +widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland +gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und +richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen +Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war. In Spanien, +wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf +ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die +eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie +mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal +und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen +Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem +wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm zusammenzutreiben +wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt nur +zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und +gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne +Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle +scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied +gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder +die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder +kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen ziemlich +gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich spanischen +Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie Sagunt auf +roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg wenig +hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die +Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich +gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten +festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall +entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen +Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder +aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am +Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht +mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils +weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes +von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl +ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger +Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in +der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich, +von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu +geben. Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus +und Publius Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und +vortreffliche Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten +Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet +und der Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen +Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig +zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende +Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen +Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die +roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der +Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg +wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen +des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und +sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und Wiederherstellung von +Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie vom Ebro nach Cartagena, +indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation soweit moeglich +bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus Spanien fast +verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen +gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen +Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit +den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen, +ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge +hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben damals keinen Mann +entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um sich zu teilen. +Indes schon Syphax' eigene Truppen, geschult und gefuehrt von roemischen +Offizieren, erregten unter den libyschen Untertanen Karthagos so +ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende Oberkommandant von Spanien +und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern der spanischen Truppen +nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine Wendung ein; der +Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem der +Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn +Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert +ist uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung +der grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas +Siege an den Aufstaendischen nahm. Diese Wendung der Dinge in Afrika +ward auch folgenreich fuer den spanischen Krieg. Hasdrubal konnte +abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald betraechtliche +Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, die +waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 +212) im karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren +hatten, sahen sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften +angegriffen, dass sie entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die +Spanier aufbieten mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000 +Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen +unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu +begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen Truppen +zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend +Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den +saemtlichen spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, +bestimmte dieser ohne Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im +roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen nach ihrer Landsknechtmoral +vielleicht nicht einmal als Treubruch erschien, da sie ja nicht zu den +Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem roemischen Feldherrn blieb +nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen Rueckzug zu beginnen, +wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile sah sich +das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen +phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft +angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die +Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager fast +eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen spanischen +Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig umzingelt. Der +kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten Truppen den Spaniern +entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke in der Blockade +fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl anfangs im +Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch +waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die +Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch, +bis dass die phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des +Feldherrn die verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem +Publius also erlegen war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich +des einen karthagischen Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von +dreien zugleich sich angefallen und durch die numidische Reiterei jeden +Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen nackten Huegel gedraengt, der +nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu schlagen, wurde das +ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst +ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung allein +rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus' Schule, Gaius Marcius, +hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem +Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager +gebliebenen Teil in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im +suedlichen Spanien zerstreuten roemischen Besatzungen vermochten sich +dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro herrschten die Phoeniker in ganz +Spanien ungestoert und der Augenblick schien nicht fern, wo der Fluss +ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung mit Italien +hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den +rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung +aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen +Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der +Neid und Hader unter den drei karthagischen Feldherren entrissen diesen +die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den +Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie +behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues Heer und einen neuen Feldherrn +zu senden. Zum Glueck gestattete dies die Wendung des Krieges in +Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine starke Legion - 12000 +Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das Gleichgewicht +der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im +folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas +ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch +unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr +nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber +ein harter auffahrender unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten +Verbindungen wieder anzuknuepfen und neue einzuleiten und Vorteil zu +ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, womit die Punier nach dem Tode +der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen Spanien behandelt und +alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die Bedeutung und die +Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte und durch +die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von den +grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um +Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen +zu senden, beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und +einen ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung +man dem Volke anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der +Bericht - meldete sich niemand zur Uebernahme des verwickelten +und gefaehrlichen Geschaefts, bis endlich ein junger +siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in +Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun +und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der +roemische Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von +solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz +und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben gewesen, dass fuer den +wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich angeboten haette. Wenn +dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen +und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am Ticinus und +bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der +erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren +und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg +einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber +trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und +die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition bei der Menge +beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich improvisierten +Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der Sohn, der den Tod +des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am Ticinus das Leben +gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den langen Locken, +der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich darbot fuer +den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf einmal die +Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles +machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und +unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine +begeisterte und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die +mit ihrem eisernen Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch +Menschenkraft in neue Gleise zwingen; oder die doch auf Jahre dem +Schicksal in die Zuegel fallen, bis die Raeder ueber sie hinrollen. +Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten gewonnen und +Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren auch als +Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist +weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem +Vaterlande wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und +politisch hat er, wenn auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen +und persoenlichen Politik sich deutlich bewusst zu sein, seinem Lande +mindestens ebensoviel geschadet, als er ihm durch seine Feldherrngaben +genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber auf dieser anmutigen +Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, die Scipio +halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie von +einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, +um die Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige +ueberall entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; +nicht naiv genug, um den Glauben der Menge an seine goettlichen +Inspirationen zu teilen, noch schlicht genug, ihn zu beseitigen, und +doch im stillen innig ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden +zu sein - mit einem Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke +stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts +und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels +sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die +Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass +er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig +anerkannte, fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier +und feingebildeter Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege +dieses oder jenes Berufs, hellenische Bildung einigend mit dem vollsten +roemischen Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann +Publius Scipio die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute +und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren +karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der +Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien. +Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem +Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen +Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem +Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit +einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich +sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten +Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei karthagischen +Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, Hasdrubal Gisgons +Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen des Herakles; der +naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von der phoenikischen +Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), ehe noch die +feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen diese +Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem +Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr +30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann +starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser +und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden +Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen +Flotte, auf der vierten von den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit +entfernt; aber der Kommandant Mago wehrte sich mit Entschlossenheit und +bewaffnete die Buergerschaft, da die Soldaten nicht ausreichten, um +die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall versucht, welchen indes die +Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung +einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, den Sturm +auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem +schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die +ermuedeten ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft, +aber einen Erfolg hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch +keinen erwartet; der Sturm hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der +Hafenseite wegzuziehen, wo er, unterrichtet davon, dass ein Teil des +Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte. +Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung +mit Leitern ueber das Watt, "wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige", und +sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden. +So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg +kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn +abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, +bedeutende Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 +Million Taler), zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische +Gerusiasten oder Richter, und die Geiseln der saemtlichen spanischen +Bundesgenossen Karthagos in die Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den +Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit +Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die +die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu +bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der +Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der +Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die +faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger +aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung +gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen +wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen +Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss +durch eine Besatzung zu sichern. So war die verwegene Unternehmung +gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio nicht unbekannt war, dass +Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte, nach +Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt war, und weil +die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande +war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur +verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro +gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, +als er seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich +auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus +und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme +der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, +was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, +dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf +unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf +die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse +zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss die +diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch jenseits +des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel mit der +roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08) dazu, +seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten sein +Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im +Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, +und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf +Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem +Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur +Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000 +Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit +Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit +seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen schlug +er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean hinziehend +die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und +stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er +Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der +ihm aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und +unweise gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die +nicht bloss Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius +und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der +siegreiche Feldherr an der Spitze einer starken Armee in seinem Uebermut +nicht genuegt, und wesentlich er verschuldete die aeusserst gefaehrliche +Lage Roms im Sommer 547 (207), als Hannibals Plan eines kombinierten +Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich realisierte. Indes die +Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien +ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin +des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue +Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass +man den faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch- phoenikischen +Armee in Italien zu bekaempfen gehabt hatte. Nach Hasdrubal Barkas' +Entfernung beschlossen die beiden in Spanien zurueckbleibenden +Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons Sohn nach +Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen aus +Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen +zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge +getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im +folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit +einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich wieder nach +Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und Hannos +vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen. Hasdrubal gab +darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und verteilte seine Truppen +in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in diesem Jahr nur noch +eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen ueberwaeltigt; +aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein +gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde, +70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte +spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das +roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des feindlichen und +auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio stellte, wie Wellington +in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie nicht zum Schlagen +kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu verhindern -, +waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die Spanier +warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die +Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines +solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben - +einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen +jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig +sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit +grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der afrikanischen +Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja selbst mit +Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika Verbindungen +einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen entsprechenden +Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon den +neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den +Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als +ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und +die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des +phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste loszuwerden und +die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend widerlegt hatten, in +Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die Roemer ausbrechen wuerde, +bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms vorangingen. Die Erkrankung +des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines seiner Korps, veranlasst +durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, beguenstigten +den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte und +daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, +die bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen +wurden, ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit +nichts und Gades doch auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die +karthagische Regierung dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, +Truppen und Geld sich vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in +Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren +- es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte aufgeloest hatte - und +musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung der Heimat gegen +neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert verliess der +letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab +sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf +spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien +war nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine +roemische Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang +die stets besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen +die Roemer fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern +gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um +sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von +den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten. +Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, +Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen +Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, +nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an +Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des +Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker +folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach +Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon +zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum. +Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der +Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit +der Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die +Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im +brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme +geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das +die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden +waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst +einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische Hauptarmee von vier +Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus +war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam +roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in +alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und Brundisium +wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion +verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit +beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien, +Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den +unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu +versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel +fuer dies Jahr neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische +Buerger. Man darf annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft +vom 17. bis zum 46. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo +der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sklaven, den Alten, den +Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter solchen Verhaeltnissen +auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit waren, ist +begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen war, +ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um +Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch +Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch +zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend +die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische +Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie +die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von +Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich +Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus +begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die +Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu +bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr +auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten +der Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als +abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung +ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden, +und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich +unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen +Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie +kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es +ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe +Mann die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art +in gleicher Vollkommenheit geloest hat. Zunaechst zog der Krieg sich +vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der +Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte +er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer besassen, den +starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er wehren, +dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum, +das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden +Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch +Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren +Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug +ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich +inzwischen in Lucanien mit der roemischen Armee von Apulien herum; +Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem +gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten +Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen +des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. Im folgenden Jahr (541 +213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi zurueck, dessen +Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die Stadt +eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung +gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande +der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und +mehrere brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische +Abteilung des phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere +von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus +karthagischen in roemische Dienste. Unguenstiger war fuer die Roemer +das Jahr 542 (212) durch neue politische und militaerische Fehler, die +Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die Verbindungen, welche +Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, hatten zu +keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen +tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine +Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig +von den roemischen Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die +unverstaendige Rachsucht der Roemer foerderte Hannibal mehr als seine +Intrigen; die Hinrichtung der saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte +sie eines kostbaren Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen +seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward +Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die +Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt; +kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem +Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher +Stadt zur Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte +weggezogen werden muessen. Damit war die Gefahr einer makedonischen +Landung so nahe gerueckt, dass Rom sich genoetigt sah, dem fast +gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und +neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von +Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit +gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr +abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten +Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, +aber doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so +sehr gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend +bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport +zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu +nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus +und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport +deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers +und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen +darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen +Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber +der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen +Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein +Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen +Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So +fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein +unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene +Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen +ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als +Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen +nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von +Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig +befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren +in Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des +nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in +Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber +das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden +Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie Hannibal +Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die +roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und +Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius, +auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero; +die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander +verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend +verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht +entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein +Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die +Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren, +durch die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen, +begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der +Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33 +Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob +den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein Lager am Berge Tifata +unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung, dass die roemischen +Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die Belagerung aufheben +wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, ihre Lager und +ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht und +sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die +kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre +Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht +denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen +roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon +frueher der Mangel an Futter in dem systematisch ausfouragierten Lande +ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich nichts machen. Hannibal +versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der seinem erfinderischen +Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. Er brach mit dem +Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben Nachricht +gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug +die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in +seinen ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen +Heer zwischen die feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine +Truppen durch Samnium und auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei +bis zur Aniobruecke, die er passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager +nahm, eine deutsche Meile von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die +Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward von "Hannibal vor dem Tor"; +eine ernstliche Gefahr war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker +in der Naehe der Stadt wurden von den Feinden verheert; die beiden +Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, verhinderten die +Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio bald +nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte +Hannibal uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche +Belagerung gedacht; seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass +im ersten Schreck ein Teil des Belagerungsheeres von Capua nach Rom +marschieren und ihm also Gelegenheit geben werde, die Blockade zu +sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer +sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die durch +Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn +die roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an +der Stelle, wo Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem +Capenischen Tor an dem zweiten Miglienstein der Appischen Strasse, +errichteten die dankbaren Glaeubigen dem Gott "Rueckwender Beschuetzer" +(Rediculus Tutanus) einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so +in seinem Plane lag, und schlug die Richtung nach Capua ein. Allein +die roemischen Feldherren hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr +Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen die Legionen in den Linien +um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals +Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er +sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom +her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu +schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein +geringer Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon +hatte die Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen +derselben, mit bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern +der Rom feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische +Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die +Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne +Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod; +die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich +erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich von +selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es klueger +und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats auch +ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution +der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und +der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger +unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und +Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl +und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und +enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil +der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der +Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und +Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was +Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch +jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie +begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in Capua +zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar nach dem +uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber +war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um die stille Rivalitaet, +die lange zwischen den beiden groessten Staedten Italiens bestanden +hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der kampanischen +Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin vollstaendig +politisch zu vernichten. Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und +nur um so mehr, weil er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine +zweijaehrige, allen Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte +Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der +den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor +der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war. +Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf +die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion +oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu +ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war +der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den +Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem +Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet, +das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu ernaehren, +so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger als die +Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es gelang +nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager gewichen. +Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens +und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten +genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten +Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische Symmachie wieder +zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer Hannibal als der +unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die schwankenden Staedte +entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer +noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der Aufreibung in +kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im Jahre 544 +(210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter +niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden, +um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner +italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die +Roemer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum +sicher; sie entsandten betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo +durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der roemischen Armee +gefaehrdet war, und gestatteten zum erstenmal seit dem Beginn des +Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der Truppen, die bisher +trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich +vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum +ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg +laessiger als bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus +nach Beendigung des sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der +Hauptarmee uebernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den +Festungskrieg und lieferte den Karthagern unentschiedene Gefechte. +Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes +Resultat. In Apulien gelang Hannibal die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus +Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545 209) schritten +die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten +war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus +Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit +und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am +ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg; +waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und +Hirpiner zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen +Besatzungen bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus +Hannibal noetigten, den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, +setzte der alte Quintus Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das +Konsulat und damit den Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen +hatte, sich fest in dem nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer +brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in +der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der +Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht +und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven +verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen +sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; +Hannibal kam zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck +nach Metapont. Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen +eingebuesst hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze +der Halbinsel beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das +naechste Jahr (546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung +mit seinem tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch +einen entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten +fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte +ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien. +Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei +einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend +von Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. +Marcellus focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen +Hamilkar, vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend +vom Pferde sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht +empfangenen Wunden (546 208). Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. +Die Gefahr schien geschwunden, die einige Jahre zuvor die Existenz des +Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte man den schweren +und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. Die +Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von +Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den +angesehensten Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen +in diesen schweren Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu +haben; sie mag getan haben, was moeglich war, aber die Verhaeltnisse +waren von der Art, dass alle Finanzweisheit daran zuschanden ward. +Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die Silber- und die Kupfermuenze +verringert, den Legalkurs des Silberstueckes um mehr als ein Drittel +erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr +bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten auf Kredit +nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis der +arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem +Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den +Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am +meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den +besseren Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, +freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des +Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und +nach dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der +Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende +des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung +der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein +Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die +diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben +vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz +wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe +bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man +verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der +Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 +Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen +nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren +Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis des Staats war +nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes. ueberall lagen +die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Haenden +fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preussischer +Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), mindestens das +Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren geradezu +Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und +nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der +aergsten Not gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen +Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz +verzehren, die bluehenden Doerfer in Bettler- und Raeubernester +verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere +Berichte erhalten haben. Bedenklicher noch als diese materielle Not war +die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, +der ihnen Gut und Blut frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden +kam es dabei weniger an. Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts +vermochten, solange die latinische Nation zu Rom stand; an ihrer +groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt +indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen +in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, +also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am +wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) +dem roemischen Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch +Steuern mehr schicken und es den Roemern ueberlassen wuerden, den in +ihrem Interesse gefuehrten Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung +in Rom war gross; allein fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die +Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck handelten nicht alle latinischen +Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien, +an ihrer Spitze das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im +Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen +- freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem +gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele +stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss +fuer Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer +Italiens nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe +Abfall war sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und +Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit +den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es +eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf die +unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium +zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im Interesse +Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward entdeckt +und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen +marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung +zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen +Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr +schreckten. In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug +ploetzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres +546 (208) die Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst +machen muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden +Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen +schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese +Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte, das +fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst +Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch +phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; +wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem +Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen +zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; +der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund +gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und +Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines +Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von +ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr +bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen auf; man rief Freiwillige zu den +Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung +mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und Feinden ueber +alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207); +die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld +willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom +beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam +man damit wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus +stehe, dass er die Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder +zu den Waffen rufe, dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der +Konsul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass +er erschien. Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige +von dort verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog +aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit +einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. +Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der +grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er +bei Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, +in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte +wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen +geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert +Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei +Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war, +dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und +nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint +nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter +noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals +mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die +wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig +gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete +Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass +Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also +zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den +Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu +treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung +der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische +Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der +Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, +dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde, +ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen +Wagnis, mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in +Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit +dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn +das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um +Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten +und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er +abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind +erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie +beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte +die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen; +allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem +ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen +Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische +Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte +die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die +Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht +auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier befehligte, +ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch +wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind stehen liess +und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die Flanke +fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war +vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das +Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht +verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen +Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu +sein. Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand +nach kaum vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal +gegenueber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt +hatte. Die Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des +Bruders, den der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also +dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle +Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal +erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er +gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen +zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug +waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch +eine beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, +deren Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die +mit der Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. +Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in +Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden +sei. Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. +Der Staat und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige +moralische und materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der +Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, +die roemischen und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe +zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils der +kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt +und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das +freiwillige Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand +gebliebenen latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit +schweren Zinsen zu genuegen. Der Krieg in Italien stockte. Es war ein +glaenzender Beweis von Hannibals strategischem Talent sowie freilich +auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen +Feldherren, dass er von da an noch durch vier Jahre im brettischen Lande +das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen +werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen noch sich +einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, weniger +in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden +Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger +wurden und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein +Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf +Publius Scipios Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen +(549 205). Als sollten seine Entwuerfe noch schliesslich von den +karthagischen Behoerden, die sie ihm verdorben hatten, selbst eine +glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese in der Angst vor der +erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548, +549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien +Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien +aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen +Landhaeuser und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. +Ebenso ging eine Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur +Erneuerung des Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549 +205). Allein es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor +mit Rom Frieden geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung +Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens +nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika, +das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte; +begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der +spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine +makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. Ernstlicher griff +Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den Truemmern der +spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, landete +er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die +Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des +Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen +sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten. +Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche +Unternehmung gegen das eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls +viel zu schwach und sein Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken, +als dass er mit Erfolg haette vorgehen koennen. Die karthagischen Herren +hatten die Rettung der Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt, +da sie sie wollten, war sie nicht mehr moeglich. Wohl niemand zweifelte +im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg Karthagos gegen Rom zu +Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen Karthago begonnen +werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so unvermeidlich +sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem +eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten +Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, +wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen +und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius +Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen, +allein sie waren beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten; +es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu +verschaffen - so weit war man ja schon, dass die Tuechtigkeit allein +nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -, und mehr als +zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften Volke +neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien +zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene +Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien, +ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat +sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die schon in Spanien +entworfene afrikanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indes im +Senat wollte nicht bloss die Partei der methodischen Kriegfuehrung von +einer afrikanischen Expedition so lange nichts wissen, als Hannibal +noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet dem jungen +Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische +Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und +etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine +Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen +seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er gegen +seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die +Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die +Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der +aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den +Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs +und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel Lust +bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in +Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass +er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der +Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei +dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken, +sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken, ob ein solcher +Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den +etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen +Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die eigenmaechtige +Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet +war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht zum +Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, +dass die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war, +dieselbe ins Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio +ein aeusserst faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen +Krieges wohl geeignet war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom +Volke die Verlaengerung seines Oberbefehls so lange als noetig und die +Aufbietung der letzten Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem +Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem +derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht +wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des +Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen, +um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die +Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in +Afrika landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene +beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen +- zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache +Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm +gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich, +dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr +geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man +einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige +Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung +behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet +des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers, +deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. Ein anderer +Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische +Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen +werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein, +wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen. +Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu +belaestigen, um nicht der Popularitaet der Expedition zu schaden. Die +Kosten derselben, namentlich die betraechtlichen des Flottenbaus, wurden +teils beigeschafft durch eine sogenannte freiwillige Kontribution der +etruskischen Staedte, das heisst durch eine den Arretinern und den +sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte +Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen +war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige, +deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten +Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei +starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400 +Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne +den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der +Naehe von Utica. Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf +die Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten +Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein +ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren, +nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu +bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer +zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden +Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der +Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran), +dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren +und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung +eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den alten +Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen liess. +Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten Macht der +Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem letzteren +zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in der +Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand +ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 +Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt +worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des +in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag +eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine +Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet. Auf das +Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager +des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind +gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte +zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und +die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten +doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich +sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug. +Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war +er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur +Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich mit +50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung aufgehoben +und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und +Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging +dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich +unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch +einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die +von Scipio mehr listig als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen, +liessen sich in einer und derselben Nacht in ihren beiden Lagern +ueberfallen: die Rohrhuetten der Numidier loderten in Flammen auf, und +als die Karthager eilten zu helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe +Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den roemischen +Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war +verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut +nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr +der Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren +die erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt; +man beschloss, auf den "grossen Feldern", fuenf Tagemaersche von Utica, +noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, +sie anzunehmen; mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und +Freiwilligen die zusammengerafften karthagischen und numidischen +Schwaerme und auch die Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht +rechnen durften, wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. +Die Afrikaner konnten nach dieser doppelten Niederlage nirgend mehr +das Feld halten. Ein Angriff auf das roemische Schiffslager, den die +karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar kein unguenstiges, aber +doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit aufgewogen +durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein beispielloser +Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die Roemer +ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. Nach solchen +Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit sechzehn +Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich +offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. +Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode +verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und +Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen Besitzungen +und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des Syphax an +Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig und eine +Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) - Bedingungen, +die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass die Frage +sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms +Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben +an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine +karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische +Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu +verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen auf den grossen +Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte, feuerten sie +an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede notwendig die +Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen +musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht; +man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu lassen +und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung +vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst +nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203) +daran arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu +rufen, war eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit +ueberlegenen roemischen Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei +war zum Weichen und das Fussvolk ins Gedraenge gebracht worden und der +Sieg schien sich fuer die Karthager zu erklaeren, als der kuehne Angriff +eines roemischen Trupps auf die feindlichen Elefanten und vor allem die +schwere Verwundung des geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der +Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste +zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog +ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal +waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten +Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, +seinem Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; +als er in Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn +empfing, saeumte er nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde +niederstossen sowie die italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm +ueber das Meer zu folgen, und bestieg die auf der Rede von Kroton +laengst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe. Die roemischen +Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu +zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also freiwillig dem +italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen +ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit +mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von +Rat und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach +roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter +darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste +Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und +der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre +aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel +nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein durch +seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und +betrat, der letzte von Hamilkars "Loewenbrut", hier abermals nach +sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, +fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch +so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts +ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See +einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er +hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft, +jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne +zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei +offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue +Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit +angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in +der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die +Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen +Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines roemische Gesandte +fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der Waffenstillstand gebrochen. In +gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem Lager bei Tunis auf (552 +202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas (Medscherda), indem er +den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, sondern die +Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und +verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand +bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis +und Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen +war, mit ihm zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem +roemischen in einer persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen +zu erlangen; allein Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze +der Zugestaendnisse gegangen war, konnte nach dem Bruch des +Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen, +und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt etwas +anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten +keineswegs unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte +zu keinem Ergebnis und so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama +(vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei Linien ordnete Hannibal sein +Fussvolk: in das erste Glied die karthagischen Mietstruppen, in das +zweite die afrikanische Land- und die phoenikische Buergerwehr nebst dem +makedonischen Korps, in das dritte die Veteranen, die ihm aus Italien +gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig Elefanten, die Reiter +auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine Legionen in drei +Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten +durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu +sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts +ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in +Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch +das Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen +war, leichtes Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. +Ernster war der Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen +den beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen +Handgemenge gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten +an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die +karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass +sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der +karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog +eilig, was von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel +zurueck und schob seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. +Scipio draengte dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie +noch kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und +links an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben +Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte +Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei +der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen +feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war +nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet; +dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren, +hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll +Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum. +------------------------------------------------------- ^1 Von den +beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der westlichere, +etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der Schlacht +(vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder +Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den +19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig. +------------------------------------------------------ Nach diesem Tage +konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur Fortsetzung des +Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen Feldherrn, +sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt +noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle +eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen +wollen, jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht +getan; er gewaehrte den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die +frueheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen +Verhandlungen fuer Rom wie fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde +den Karthagern auf fuenfzig Jahre eine jaehrliche Kontribution von +200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig +machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und ueberhaupt +ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes +nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich +darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine +politische Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager +unter Umstaenden verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen +Flotte zu stellen. Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der +Beendigung des schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit +dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu +guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein, +wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten +scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse +so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die +Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem +Siege ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und +von dieser entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die +Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem +ihr also die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite +gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen +Suprematie zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es +wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte +Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago +und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht +erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken, +dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen +aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und +Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der +vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das +Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, +gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen +Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen +Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen, +die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen +Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings nicht +fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges +haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch +alles unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der +ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem +Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon +vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden +grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung +stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der +ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem +Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu +setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen +Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in +das Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem +Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der hochherzige +und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem +Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt +vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus voellig +zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation +frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die +ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der +Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von +sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen. So war der Zweite Punische +Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der Hannibalische Krieg +beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu den Saeulen +des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem +Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu +der Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer +natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den +Krieg auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die +Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet, +sondern einen gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien +bequeme Nachbarn gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas +beim Friedensschluss deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere +Ergebnisse des Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem +Gedanken wenig entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die +eigentliche Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die +Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft +ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt +haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das +Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die +Verhaeltnisse zugeworfen worden. Die unmittelbaren Resultate des Krieges +waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spaniens in eine roemische, +freilich in ewiger Auflehnung begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung +des bis dahin abhaengigen syrakusanischen Reiches mit der roemischen +Provinz Sizilien; die Begruendung des roemischen statt des karthagischen +Patronats ueber die bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die +Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose +Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den +Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige +Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das +im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das +demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte +der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das +Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang +bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution +vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft +war die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden +latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner +Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr +geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht +latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker +und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder +vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und +letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft +der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus +der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar +die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den +gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger +oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen +Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. +Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde +geschleift und die Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der +Brettier Los war noch haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu +Leibeigenen der Roemer gemacht und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht +ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten +schwer, so die griechischen Staedte mit Ausnahme der wenigen, die +bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die kampanischen Griechen und die +Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer +apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils +Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker +wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe +Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum +(bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem +ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg +bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen +Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner +ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia (560 194), +ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen Valentia (562 +192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien wurden die +Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln angesiedelt; der +Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen Herren in Rom +ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht sich, +dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht +gut roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch +politische Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall +in Italien fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name +eitel und dass sie fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung +Hannibals ward als eine zweite Unterjochung Italiens empfunden und +alle Erbitterung wie aller Uebermut des Siegers vornehmlich an den +italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die +farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon +die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem +zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und die +letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter +darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die +ausdauerndste Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die +kampanische Sklavenschaft schon gelernt habe auszuhalten, so hallt aus +solchen gefuehllosen Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der +Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt +die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen +Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die +Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200), +Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom +aus zugesandt wurden. Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen +der italischen Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der +roemischen Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um +den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im +Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint +danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust +vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie +die Masse der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich +lichtete, zeigt die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, +wo derselbe auf 123 Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch +eine ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen +Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der +zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier Weltgegenden +im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im tiefsten Grund +erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur Ausfuehrung im +einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der Staat gewann +durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische Gebiet blieb +seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein +durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der +Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten +gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge +bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und +verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung +durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition +buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das +letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in +Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt, +dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen +wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden +Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose +Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich in seiner +Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege aufgestellte +Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst geerntetem auch von +sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden koenne. Dennoch +durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende dieses +Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich +in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet +worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre +hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich +verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene, +doch im ganzen friedliche und freundliche Zusammenleben der +verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Voelkerentwicklungen +zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: damals galt es Amboss zu sein +oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war der Sieg den Roemern +geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation +immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu latinisieren, die +Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, nicht als +Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden +Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher +fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten +entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen +Verhaeltnissen gegruendete Wohlstand und die entschiedenste politische +Suprematie ueber die damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen +Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, +jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn +nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen +Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die +Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und +Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung +waren, die geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, +Griechenland und endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge +durch die geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme +in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen +zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen +hatte. 7. Kapitel Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der +dritten Periode In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die +Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und +in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom +durch den Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von +selbst, dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, +und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses +mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier +die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den +eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden +eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in +Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554 +200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst +bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die +naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend +hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als +auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von "den beiden Riegeln +gegen die gallischen Zuege", Placentia und Cremona, ward der erste +niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht +mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig marschierten die +Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. Vor Cremona kam +es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und kriegsmaessige Leistung +derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers vermochte es nicht, die +Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen +hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, welche zahlreich +das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes +setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, welches bei +Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch +die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben +und erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt +werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone +ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und +die Cenomanen traten nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern +erkauften sich auch Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen +Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer Schlacht, die +die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und +Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So +gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach +dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die +Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, +waren allerdings haerter, als sie den Gliedern der italischen +Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; namentlich vergass man +nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich +zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden +Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes +liess man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und +ihre nationale Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern +Voelkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen +Tribut auf; sie sollten den roemischen Ansiedlungen suedlich vom Po als +Bollwerk dienen und die nachrueckenden Nordlaender wie die raeuberischen +Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias in diese Gegenden zu +unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens griff auch in +diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit um sich; +die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den +Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. +Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im +Jahre 586 (168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, +der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, +versichert, vielleicht nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst +nur noch wenige Doerfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die +Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben. +Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften +begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der +transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der +Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze +zu machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den +naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war, +zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der +Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen, +sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, welche +die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier +(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder +Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die +beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche +einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher +Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in welcher +diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat um +Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, ueber +die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 186, +179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt +hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der +Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer +die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit +schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche +Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch +dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern wenig bekannten +Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres stattfand, mehr aber +noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien, wie Hannibal von +Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlassten +die Gruendung einer Festung in dem aeussersten nordoestlichen Winkel +Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia (571-573 +183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu verlegen, +sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene +Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten +Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage +Aquileias veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), +der mit der Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo +schnell beendigt war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den +panischen Schreck, den die Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen +Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz +Italien hervorrief. Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des +Padus, die der roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. +Die Boier, die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter +Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und +ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen +(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig +fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die ewigen +Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die +letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer +siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern +eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das +roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung +sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne +sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier nichts mehr uebrig +sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie sich ergeben in das +Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer forderten Abtretung des +halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch +auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden +sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1. +--------------------------------------- ^1 Nach Strabons Bericht waeren +diese italischen Boier von den Roemern ueber die Alpen verstossen worden +und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn um Steinamanger +und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen Zeit von den +ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde, +dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess. +Dieser Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der +roemischen Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte +mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der +italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in der Tat der Annahme einer +gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden doch auch die uebrigen +keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und Kolonisierung in weit +minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger rasch und vollstaendig +aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits fuehren andere +Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See herzuleiten von +dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen sass, bis +deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr +zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen +findet, wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und +nicht bloss eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte +auf nichts anderem beruhen als auf einem Rueckschluss aus der +Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst +oft unueberlegt anwandten. ---------------------------------------- +Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die +Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen +Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert +und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem +ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; +570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen +boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) +und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem +Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch +diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage +der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische +Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der +Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die +Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst +Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der +roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber +die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue +Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine kuerzere Verbindung +zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden +Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des +italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch den Po. +Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-, +jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war +ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und +Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward. In dem nordwestlichen +italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel hauptsaechlich von dem +vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Roemer +in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno wohnte, ward +vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem Apennin +zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von +Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten. +Was hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in +die Gegend von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische +Massregeln die ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) +die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in +den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig +unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte +Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich +wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen +vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia +und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der +Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von +Luca ueber Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der +Aurelischen und Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit. +Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen +Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren +unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; +die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren +Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden +indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht +bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen +Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine +Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna +ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen +- jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen +Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die Uferstrasse offen +zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Taelern und seinen +Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen +Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als Kriegsschule zur Uebung +und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. Aehnliche sogenannte +Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen und mehr +noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie +gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten. +Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die +Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den "Frieden" gab, +sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen +zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom +schleppte, dass es Sprichwort ward: "spottwohlfeil wie ein Sarde". In +Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso +kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der +karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche +Stadt bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer +roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des +Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert +bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen +garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der +karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere +sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu +erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat +den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische +Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags +sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen +Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen +und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse +ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie +ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter +und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit +war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago +sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil +seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von +den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. +So gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die +Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den +groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten +die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig Doerfer +vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging nach +Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder zu +gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht +mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit +sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie einbuessen +sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen +zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die +roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu +Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht +gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte +Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das allzugrosse +Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene +reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quaelerei wegen +Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle +Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder roemische +Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung zu +keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas +Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt +ward. Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage +mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede +Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher +Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die +roemische Gunst zu buhlen. Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten +doch nicht bloss Geduld und Ergebung. Es gab noch in Karthago eine +Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das +Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. Sie hatte +es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden +Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den +Kampf aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner +Soehne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer +diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die +bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger +und der Menschen maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle +Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung +gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener +Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer +verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte +Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und +ein demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der +Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch +Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch +Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass +die roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger +irgendwie mit ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische +Regierung, eben damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem +Grosskoenig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit +begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, dass die +karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter Hannibalischer +Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen Legionen in +Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie +eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich +beauftragt war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden +karthagischen Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, +um den Mann, der sie gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den +antiroemisch gesinnten Maechten dem Landesfeind zu denunzieren, sind +veraechtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und +so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demuetigendes +Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem einfachen +Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, +dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen +erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben +nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so +ausserordentliche Natur, dass nur roemische Gefuehlspolitiker ihn +laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die +eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand, +kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago +den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, +was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich +fuegen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und +besonnene Flucht nach dem Orient die groessere Schande ihnen ersparend, +seiner Vaterstadt bloss die mindere liess, ihren groessten Buerger auf +ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein +Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die +Lieblinge der Goetter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die +unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse +sich bewaehrt. Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es +sich verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung +nicht aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten +dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des +ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet +haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als +in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche +damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich +an Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn +der Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch +gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb +das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie +nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig +die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit +Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom +wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst +die regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der +gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die +roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch +jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten +Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu +erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die +karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201) +stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen +an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den +Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die +Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die +Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen +Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald +hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago +blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen +Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer +nchtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus +Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, +die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). +Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als +hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer +aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von +roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die Meinung +stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war, +dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu +werden sei. Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer +Wahl ebenso dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, +erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie +noch heutzutage ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem +Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die +Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, +die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als "Hirten" +(Schawie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt +sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner +anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten +diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar +an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, +aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die +Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das +phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation +ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs ihre +Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen Adelsfamilien +sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte unmittelbare +Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen Staat dort +grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren zu +koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika +beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede +freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den +eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen +die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem +nach dortiger Art eine Menge Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig +der Mauren, Bocchar, der, vom Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath +(jetzt Mluia an der marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig +der Massaesyler, Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte +Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen +Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der +von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der +heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der +Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und +Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er +in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa +- der Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von +den Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte +(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht +um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. +Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft +hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt. +Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter, +maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu +ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und +vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen +Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens +als Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der +schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande +Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer +ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar +ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den +Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern +aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch +bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, +ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es +schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in +ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie +in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. +Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im +sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz +seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen +einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und +gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt +worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer +Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer +Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende +Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und +stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem +einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere +Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem Koenig +untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte er die +alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass sein Reich +sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze erstreckte, das +karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste und ueberall in +naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen Zweifel, +dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche Partei +daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des +Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch +ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs, +der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende +Ackergueter hinterliess, fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig +zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Buerger, +verwandelte er seine Plunderhorden in Soldaten, die von Rom neben +den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und hinterliess seinen +Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes +Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward +die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein Hauptsitz der +phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs eifrige +und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete +Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich +dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen +Staedte, wie Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. +Der Berber fing an, unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, +ja ueberlegen zu fuehlen; die karthagischen Gesandten mussten in Rom +es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern +gehoere. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig +und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas +ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa. +In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der +Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um +so bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber +ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen +zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem +bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte, +durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als +Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde, +sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen +machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs +an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren +Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine +deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine +weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des +Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in +mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit +hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische +Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist +sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches +Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen +besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter +allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie +sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte. +Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios' Schilderungen zu beziehen +sein von dem bluehenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in +Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und +Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den praechtigen +Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll +"Gerstenwein". Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten, +fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher +als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die +Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser +Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei den +Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach weit +frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss +gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen +Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das +sogenannte "Silber von Osca" (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst +spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195) +erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb +nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen +Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und +oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen +Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, +dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so +war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von +zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei +Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um +600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und +sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen. +Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der +Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn +in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von +den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste +Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren +gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von +Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern +wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein +bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner +bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel +und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig +Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine +keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem +roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen +Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde +es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig +es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die +Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden +Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der +Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, +im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: +entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische +Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte +sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand +zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu +brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz +in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon +zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei den +Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen aufgeregten +Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten +bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame +Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an +der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen +Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der +Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt +wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer +Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten +bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt +betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in +starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe +und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten +denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden. +Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier +nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals +Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als +nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, +welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren gefuerchteten +Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die roemischen Legionen +zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich militaerisch zu disziplinieren +und politisch zusammenzuschliessen, so haetten sie vielleicht der +aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber ihre +Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte +ihr voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem +ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die +Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt, +nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der +roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war +es dem roemischen Staatsmanne, ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um +Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte +er, da das einzige wirklich genuegende, eine umfassende latinische +Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen Politik dieser Epoche +zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. Das Gebiet, welches die +Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel +von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die +zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und +Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und +Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten +Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- +und Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr +den beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen +Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische +Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen +Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und +dem spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet +abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den +Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich +beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war +indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem +Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der +Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner +jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein +roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr +aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur +Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der +Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von +grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in +groesserem Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend +und infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte +roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche +Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen +Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu +halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der unruhigen, +fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings +unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich, +sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an +innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss +fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch fuer den Herrn, und murrte +laut ueber den verhassten spanischen Kriegsdienst. Waehrend die neuen +Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die Gesamtabloesung der +bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man +ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. Den Kriegen +selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur eine +untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und +waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit +Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch +nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine +allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward +hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig ueberwunden und selber +erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl +inzwischen der tuechtige Praetor Quintus Minucius ueber die erste Gefahr +Herr geworden war, beschloss doch der Senat im Jahre 559 (195), den +Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der +Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige Spanien von den +Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im inneren +Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen +Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in +der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst +mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige +Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben +so wenig ernstlich gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr +des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das +Geruecht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal +sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei +verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in +der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der +Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre +Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, +wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu +verstaendigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen +widerspenstigen wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst +vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. Diese +energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg. +Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der "friedlichen +Provinz" ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, +und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz +fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel +563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich +lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren +musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189) +^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius +Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die Lusitaner erfocht, +schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis +dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber die keltiberischen +Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus Fulvius Flaccus, der +nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) wenigstens die +naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch +seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher +mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische +Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die +Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. +Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu +nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten +Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die spanische Stadt +Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem Freibeuterwesen +ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen +Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege +regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger +Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, +und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch +manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein. +----------------------------------------- ^2 Von diesem Statthalter +ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der Naehe von Gibraltar +aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten Kupfertafel zum +Vorschein gekommen: "L. Aimilius, des Lucius Sohn, Imperator, hat +verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und Plin. 3, +1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser +[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden +und die Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner +besitzen und haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben +wird. Verhandelt im Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. " +(L. Aimilius L. f. inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in +turri Lascutana habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod +ea tempestate posedisent, item possidere habereque iousit, dum poplus +senatusque Romanus vellet. Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist +dies die aelteste roemische Urkunde, die wir im Original besitzen, drei +Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass der Konsuln des +Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit. +--------------------------------------- Das Verwaltungssystem der beiden +spanischen Provinzen war dem sizilisch- sardinischen aehnlich, aber +nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Haende +zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 (197) ernannt +wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive +Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung des +Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf +zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden +Zudrangs zu den hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der +eifersuechtigen Ueberwachung der Beamtengewalt durch den Senat +nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es blieb, soweit nicht in +ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem +fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen besonders +unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die +abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt +der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien +vielmehr von den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den +einzelnen Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen +Leistungen auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der +Senat infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr +583 (171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als +gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter +nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der +eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht einseitig +feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen, +zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere +Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward +dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das +Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den +spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier +keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch +genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr +der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst +schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von Rom +beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze +griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum, +Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen +Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im +ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie +finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, +weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik der +ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser +beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden +Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, +selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, +welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung +namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel +mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die +Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an +Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in +Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht +loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs +der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben. +------------------------------------------------- ^3 1. Makk. 8, 3: "Und +Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande Hispanien, um +Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst." +------------------------------------------------- 8. Kapitel Die +oestlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg Das Werk, welches +Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein Jahrhundert zuvor, +ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fussbreit +Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher +Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu hellenisieren, +sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines hellenisch-asiatischen +Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und Siedellust der +griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und +Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt +fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich +der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische +Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen +Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander und es +stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst +eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten +Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und Aegypten, war +Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort den +Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es +gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein +gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der +Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, +nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die +Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen +Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss +ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil desselben: +ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum Spercheios und +der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel Euboea, die +Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im +Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion, +Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land- +und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen +makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen +Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, "die drei +Fesseln der Hellenen". Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem +Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses +weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller Kraefte +vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als ein +gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es ist +unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von der +durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall hervorgebrachten +Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen Griechenland +die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und dort, +da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert +schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere +mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, +waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen unter die dichte +einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente aussaeen und ihre +Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft +dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genuegte, um den Nationen +die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister zu liefern, und +viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen Schlages +auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen +Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet, +aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die +Zuversicht, mit der die Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall +wo sie im Osten auftreten, als ein besserer Schlag sich geben und +genommen werden, und die ueberlegene Rolle, welche sie deswegen an +den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die Erzaehlung ist +bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in Makedonien gelebt +und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in +seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner +gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte +Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und +geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier +der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische +Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien +keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt +sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, +wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und +die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten +Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines +dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare +grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion +gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu +unvergaenglicher Ehre. Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war +nichts als das oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien, +das Reich des "Koenigs der Koenige", wie sein Herr sich, bezeichnend +fuer seine Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit +denselben Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und +mit derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder +abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien +griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich +der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze Nordkueste +und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden +einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, +von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und +die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem +Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und +Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel +gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die +Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet bestellt war. +Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen, die Aegypter +aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in dem Grenzhader mit den +oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den +zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig gewordenen Kelten, in den +bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen der oestlichen +Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den +Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem +der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche +die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, +allein die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als +anderswo, weil sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu +der Abtrennung einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu +fuehren pflegten. Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten +ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst +der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen +und religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft +begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder +Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte. Sehr +verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf ihrem +Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten +das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese +Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in Makedonien +und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat laehmte, +waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste Ptolemaeos +und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst brauchbar +erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden +grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach +Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. +Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander +seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als unmittelbare +Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten und lauter +oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht her-, so doch +wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine Weltmonarchie zu +gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung getraeumt; dafuer aber +zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem Mittelmeer von den +phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten zu dem +ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen +Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass +Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos +Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils +hierdurch, teils durch die guenstige geographische Lage kam Aegypten +den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine vortreffliche +militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. Waehrend der +Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande war, das ringsum +fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich zu bedrohen, +konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich +festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der +phoenikisch- syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von +Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch +die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren +Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen +ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie +einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner +auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente +Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster +Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und +diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen +und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte +nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den +Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, +sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und +grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen +Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur +Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. +Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische +Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu +fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in +ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet +Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen +unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister +Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten. +Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem +Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer +monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen +Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter +hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes +und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, +waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander +rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren +gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten oder +doch haetten zusammenhalten sollen. Unter den Staaten zweiten Ranges ist +fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem Westen zunaechst nur mittelbar +von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom suedlichen Ende des +Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere und die +Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan +suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im +kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am +suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des +grossen Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens +altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene +namentlich die rechte Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der +selbst Alexanders Zug spurlos voruebergebraust war, und alle auch +in derselben zeitweiligen und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der +griechischen Dynastie, die in Asien an die Stelle der Grosskoenige +getreten war oder sein wollte. Von groesserer Wichtigkeit fuer die +allgemeinen Verhaeltnisse ist der Keltenstaat in dem kleinasiatischen +Binnenland. Hier mitten inne zwischen Bithynien, Paphlagonien, +Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische Voelkerschaften, die +Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig gemacht, ohne darum +weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer Verfassung und +ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem +der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem +Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und +traten auf der "heiligen Staette" (Drunemetum) namentlich zur Faellung +von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den +Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und +die Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren +unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, +teils die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten +oder brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der +allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der +asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische Heer +von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I. Soter +sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) zuletzt +selber zur Zinszahlung sich verstanden. Dem kuehnen und gluecklichen +Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Buerger +von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den Koenigstitel +empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war im +kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung +der materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an +der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nuechterne +Kabinettspolitik, deren wesentlicher Zweck war, teils die Macht der +beiden gefaehrlichen festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen +selbstaendigen Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der +wohlgefuellte Schatz trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen +Herren bei; sie schossen den syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, +deren Rueckzahlung spaeter unter den roemischen Friedensbedingungen eine +Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, +wie zum Beispiel Aegina, das die verbuendeten Roemer und Aetoler im +letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen +hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente +(51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und +des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom +staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich +mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de' +Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, +und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des +Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr +ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. In dem +europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen +an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra +roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar +makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik +zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen, +die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achaeer, +Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen waren die +Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher Weise eng +an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie der von den +Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch makedonischen Schutz +zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren +Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer mag +als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten +zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader +Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die +Bewerber um die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung +war, dass sie sich verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem +Auslaender, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. Die Athener +pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu werden und +standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren voellig +machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese +unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von +Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. Nachhaltiger war die Macht der +aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige Nordgriechentum war +hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste Zucht- und +Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann +gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als +Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen +Griechen, dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, +eher koenne man Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz +aus ihrem Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von +grossem Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte +Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der +achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen +den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten. +Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des +eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, +Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten +Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit +derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch +Aratos' diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch +die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung +makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so +vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der Landschaft +seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jaehrlich Philippos +der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren Staaten im +Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, namentlich +durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen +Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und +antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. +Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische +Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen +Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden +und fahrenden Soeldner, denen er nicht bloss die Haeuser und Aecker, +sondern auch die Frauen und Kinder der Buerger ueberwies, und unterhielt +emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine Assoziation zum Seeraub +auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen Soeldner- und +Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften besass. +Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea +waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam +verhasst; aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der +Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von +Messene zu setzen. Endlich die unabhaengigste Stellung unter den +Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstaedte an dem +europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der ganzen kleinasiatischen +Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich +die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen +Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode +wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel +auch zu einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem +Landgebiet gelangt waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich +und maechtig durch die Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem +Schwarzen Meer; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt +und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, +und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach +Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren +durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des +Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige +Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut +der Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller +gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu +vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die +Byzantier mit den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit +im Bosporos zu gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten +das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich +dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen +Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten +ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten +hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten +standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung +bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten +ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich +der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen, +Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den +Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige +gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, +Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. +Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren +nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu +erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten; +gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald +energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren +die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos +nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben +durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen +Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre +nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit +der Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die +Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten +oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser +eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, +sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen +verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen +die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum +die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn +und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier Kunst und +Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten oder von +der Hofluft korrumpiert zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als +die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und +die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst +wurden, in die Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah +und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 214- 205) verlief, ist +zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im +Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem geschah, +was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte +wieder einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines +verderblicher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der +Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indes eine unbedeutende +Natur war er nicht. Er war ein rechter Koenig, in dem besten und dem +schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte Gefuehl, selbst und allein +zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war stolz auf seinen +Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies +nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, +sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen +Angelegenheiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. +Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben +die faehigsten und gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und +Scipio; er war ein guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht +bloss durch seinen Rang gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der +uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter +erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die +Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen +sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die +Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben +seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch +verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos +durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu +befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den +Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass +ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes +Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den +Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren +und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein +Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur +Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten +Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann niemand +ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und +Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert, +dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward +und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und +Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen +Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt +haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des Ersten +Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen +- vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die +nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst +Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und +Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein +spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen +Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte. Philippos schloss den Vertrag +mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) in der ernsten +Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich kuenftig +ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet +keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah; +es kann auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische +Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im stillen das letzte +karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein sowohl die +weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einliess, +als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das voellige +Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch +nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos +keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor +haette tun sollen. Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite +gewendet. Ptolemaeos Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. +Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, +hatten die Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos +sich vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen +den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte +aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und +die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos' Art, der ueber +solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss +ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, "eben wie die grossen Fische +die kleinen auffressen". Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig +gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des +naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen +Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos +auf diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo +Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine +von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an +Bord nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward +Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu +Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit +den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit +Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert. +Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig +Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half +Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen. +Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und +dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose +Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu +besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische +Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die +Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren +Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig vereitelt +worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen die +Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich +konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische +Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit +dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich +nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, +dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen +Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. +Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios; +man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos, +ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr +zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln +einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und +erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der +hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos' persoenlicher und +politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der +aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der +seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er +selbst vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich +begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit +zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zurueckzulassen. +Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um sich mit +seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die +rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht +in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war +geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus +und Philippos' Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er +endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, +wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 Soldaten +kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den +Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel. +Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von seiner Flotte +abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei Erythrae +auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen +Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden +hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, +waehrend Attalos' Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig +bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb, +seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die +karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten die +Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen +Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel +Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich +zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn +waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, +besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos +die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland +die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen +Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht +vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, +so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken +koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und +Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; +aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der +Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu +geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte +den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in +der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und +die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang. +Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos +musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, +und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging +allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der Zwischenzeit hatten +die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des Attalos wieder +an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden ueberlegen waren. Es +schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug abschneiden und +ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch die +Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler +und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die +Gefahr; er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, +um Pergamon in Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um +Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und +einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang +es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer +bewachten, gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor +dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. In der Tat zog sich gegen +Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht laenger +gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. Die +Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre +Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese +Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie +nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten +sich zu unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren +Urteil fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass +Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die +Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika +und in Griechenland ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich +gefaehrlich fuer Rom war Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings +nicht gering und es ist augenscheinlich, dass der roemische Senat den +Frieden von 548/49 (206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess, +nur ungern gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor +Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe +und doch nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit +welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl +eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in +Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm +zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort +freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch +nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen +Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer +Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der +gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der +Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen, +der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber +jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre +549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein +unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des +kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die +neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. +Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die +Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel +tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig +zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden +grossen Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen +Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies +die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn +schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten +vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm ueber +alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner, +Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass dieser Schutz +sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in dieser Zeit +die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und wenig +ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern +das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und +Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich +empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, +kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege +gegen Philippos zu bestimmen, einem der gerechtesten, die die Stadt je +gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich +entschloss und sich weder durch die Erschoepfung des Staates noch durch +die Impopularitaet einer solchen Kriegserklaerung abhalten liess, seine +Anstalten zu treffen - schon 553 (201) erschien der Propraetor Marcus +Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von 38 Segeln in der +oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen +ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk +gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu +einsichtig gewesen waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in +Philippos' Art gering zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos +nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewaehrt haben sollte, war +offenbar nicht erweislich. Die roemischen Untertanen in der illyrischen +Landschaft beschwerten sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die +makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter +an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos' Scharen aus dem +illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten +des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn +frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben +nichts als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine +Nachbarn uebte; eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen +Augenblick zur Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. +Mit den saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die +roemische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen +Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und +Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe +zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn +auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die +Vormundschaft ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch +auch nicht eben sich beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer +roemischer Intervention zwar die augenblickliche Bedraengnis zu +beendigen, aber zugleich der grossen westlichen Macht das Ostmeer zu +oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst +in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit +Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um so +mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens +in die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb +nichts uebrig, als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten +abzuordnen, um teils von Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach +nicht schwer war, dass es die Einmischung der Roemer in die griechischen +Angelegenheiten geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu +beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, teils endlich den +Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der +griechisch- asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553 +201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der +Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus +aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als "Vormund des +Koenigs" dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche +Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp +nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche +sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt +durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien nicht intervenieren zu +wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und liess die Dinge in +Griechenland und Kleinasien gehen. Darueber war das Fruehjahr 554 (200) +herangekommen, und der Krieg hatte aufs neue begonnen. Philippos +warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die saemtlichen +Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos besetzte; +er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen Landung +gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an, +an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz +von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere +Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte +der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese +beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das schwaechere makedonische +Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos beschraenkte zur +See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros, +Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier +gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter +ueber bei Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich +die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. +Es waere wohl moeglich gewesen, den Abydenern, die sich heldenmuetig +verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein die Verbuendeten ruehrten +sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle +Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der Kapitulation ein +grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, der Gnade +des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist +gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf +die roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in +Syrien und Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet +hatte, mit dem Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat +erhaltenen Auftraege: der Koenig solle gegen keinen griechischen Staat +einen Angriffskrieg fuehren, die dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen +zurueckgeben und wegen der den Pergamenern und Rhodiern zugefuegten +Schaedigung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des +Senats, den Koenig zur foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward +nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom +Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schoenen +roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte +zugute halten wolle. Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte +Veranlassung von einer anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten +in ihrer albernen und grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen +hinrichten lassen, weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien +verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von +Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser +das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und +gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und +mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika +einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern +es liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die +drohenden Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten +sofort seine Truppen den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es +war zu spaet. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den +Angriff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und +aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm +bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen +Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische Gebiet +zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. Der Senat +hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die +Kriegserklaerung "wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten Staat" +vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast einstimmig +verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten ueber +den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war +einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der +Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward +durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist +bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der +Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen +Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen +- die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien, +zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom +Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber +entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg +aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, +meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst +555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von Apollonia +hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von +denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium +nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem Konsul Publius +Sulpicius Galba. So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, +dass fuer die weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom +durch seine Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen +mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen +schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen +in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch +notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der +latinischen Bundesgenossen fuehrte. Philippos' Lage war sehr uebel. +Die oestlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms haetten +zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden auch vielleicht +zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine Schuld so +untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder +nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps +natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt +worden und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und +den syrischen Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein +dringendes Interesse daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern +blieb; selbst jetzt noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom +sehr deutlich zu verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den +Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der +zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber +Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme +und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in +die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit +Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter +gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, +Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel +das Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber +Philippos' grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu +einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung +wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln. Im +eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort eine +zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls +vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei, +den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette Philippos die +letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 (206) in +ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aufgeheilten +Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die +wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen +thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des +phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die +Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei +den Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie +zauderten, sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund +wohl hauptsaechlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und +den Roemern. Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das +makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, +Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter +unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die +roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig +der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den +Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils +viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der +Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens +(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen +regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich +selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos' Zeit, blind +der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische +Eidgenossenschaft, die von Philippos' Vergroesserungssucht weder +Nutzen noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom +unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff, +was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit +den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und +begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern +zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der +einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen +Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; +die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste +Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - +es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht +aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. Im Herbst des +Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit seinen +beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten, +die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche +Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte. +Indes teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung +des roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts +weiter vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die +naechstliegenden Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie +Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward +mit den noerdlichen Barbaren, namentlich mit Pleuratos, dem damaligen +Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich +eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff +auf Makedonien verabredet. Wichtiger waren die Unternehmungen der +roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zaehlte. +Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den Winter Station +nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem +Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento +indes die attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen +Besatzung und die makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, +segelte er weiter und erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, +dem Hauptwaffenplatz Philipps in Griechenland, wo die Magazine, die +Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Kommandant +Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff erwartete. Die +unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, die +Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an +Truppen, um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem +ueberfall brach Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von +Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis, und da er hier nichts von dem +Feind mehr fand als die Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit +Gleichem zu vergelten. Allein die Ueberrumpelung misslang und auch +der Sturm war vergeblich, so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das +Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her +zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in +Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich +gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen; +und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus +sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als +seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung +der Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen +und nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem +Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem +Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der +kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen +Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen: +in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in +oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der +Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her +sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme +am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, +die der Apsos (jetzt Beratino) durchschneidet, ueberschritten hatte und +durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an +die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese +uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm +entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevoelkerten +Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich, +bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren +aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen Landesgrenze +aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager schlugen. +Philippos' Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der noerdlichen +Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuss +und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die +Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend +und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt +erhielten, waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten, +dass diese es nicht wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu +zerstreuen. Der Konsul bot die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig +versagte sie beharrlich und die Gefechte zwischen den leichten Truppen, +wenn auch die Roemer darin einige Vorteile erfochten, aenderten in +der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, sein Lager abzubrechen und +anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von +wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier +wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der +Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe +kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit +vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der +Koenig selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung +eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage +befreite die Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten +Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der +makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet +moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer +und andere Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, +ausser den Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, +womit er selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, +und ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der +pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der +Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete Verwuestung +der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine +Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos und +der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte +Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte +Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich +dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen +vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier +die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und die roemische Flotte +unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in den oestlichen +Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der +Istrier sich mit ihr vereinigten. Philippos gab hiernach freiwillig +seine Stellung auf und wich in oestlicher Richtung zurueck: ob es +geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der Aetoler +zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins Verderben +zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu +tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug +so geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu +folgen, seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, +der die Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen +zu erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen +einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten +Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich +unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier +wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute. +Indes wenn auch Philippos' Heer nach diesem ungluecklichen Treffen nicht +laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu wehren, so +scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land, +weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck +nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens +Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt +von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem +gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war die einzige +makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im illyrischen +Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen Zufluessen +des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem aehnlichen Zug +kuenftig als Basis zu dienen. Philippos stoerte die roemische Hauptarmee +auf ihrem Rueckzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen +die Aetoler und Athamanen, die in der Meinung, dass die Legionen +den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des Peneios furcht- und +ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und noetigte, was +nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, retten. +Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, +die in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die +Streitkraft der Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner +wurden von dem Fuehrer der leichten Truppen Philipps, Athenagoras, +ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber die Berge zurueckgejagt. +Die roemische Flotte richtete auch nicht viel aus; sie vertrieb die +makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und Skiathos heim +und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber die +makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des +Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die +entschlossene Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert +ward. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig +bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. +Fruehzeitig gingen diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem +Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat. Im +ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich +Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst +beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling +aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler +und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea haette +von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet +wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck +verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet vom +Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich vergeblichen, +Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze gelegene und +die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern zu +entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den +Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte +er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke +dieser sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte +einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von den Roemern +militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich nicht, den +Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten Gesandte, die +in der Tat es erreichten, dass Attalos' Gebiet geraeumt ward. Von daher +hatte Philippos nichts zu hoffen. Indes der glueckliche Ausgang des +letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder Uebermut so gehoben, dass, +nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der Treue der Makedonier +sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des verabscheuten +Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten Fruehling +556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische +Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos (Viosa) +zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohlverschanztes +Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue +Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul +des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) +der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl +fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann, +gehoerte zu der juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen +Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing +und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an sich und an das +Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und besserer Diplomat, war +er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der schwierigen griechischen +Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere es vielleicht fuer +Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf einen minder +von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein Feldherr +dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen +noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit +der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und +kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst +behandelt, den Roemern aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen +nachzustreben. Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig +sogleich eine Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich +gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich, +alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen +Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu +unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen, +namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. +Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass +Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den +Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige +Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die +Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten +Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten +auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300 +Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie alsdann +der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das +Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden +roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und +Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass +Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab +er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht +verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die +Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils durch diese Erfolge der +roemischen Waffen, teils durch Flamininus' geschickte Milde bestimmt, +traten zunaechst die Epeiroten vom makedonischen Buendnis ab. In +Thessalien waren auf die erste Nachricht vom Siege der Roemer sogleich +die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die Roemer folgten bald; das +platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die festen Staedte, die gut +makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstuetzung empfingen, +fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem +ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo +in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese +thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit +ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition. Dagegen war der +Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der +makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung unterhielten, +und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in +makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu +spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst +Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, +die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen +hatte, war bisher damit beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf +Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen; +worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem +makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt +wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem +oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von +der anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die +Landschaft, in der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; +diese Gegend, namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum +Winterquartier ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die +roemischen Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte +schon an ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich +ehrenwerte, aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die +Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme, +Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss +dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und +andere Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die +Truppen der Achaeer vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte +und eilten, Korinth zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die +Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren +Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die makedonische +Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus italischen +Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare +Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung +von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das +Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch +gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn +solcher Hingebung war, dass der Koenig die treuen Argeier der +Schreckensherrschaft des Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den +bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der +Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er +war hauptsaechlich nur deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil +er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem +Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos' Angelegenheiten standen +zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu +schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, +allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus, +welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg +begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den +Spartanern und Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate +vermittelte. So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, +um womoeglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, +die in Nikaea am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der +Koenig persoenlich und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung +zu gelangen, indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit +Stolz und Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die +Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche +Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um +durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen +die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten +gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht +ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen +Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand +zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen +Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle seine +auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos' Gesandte +in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie Vollmacht +haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und +Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort +die Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des +Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so +nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das +Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende Verstaerkung, und die +beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius +wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu stellen. Auch Philippos +entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu +sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Boeoter +gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf +6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des +erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die +Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 +makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So begann der vierte +Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der Flotte gegen die +Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland +bemaechtigte er sich durch List der boeotischen Hauptstadt Thebae, +wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen Makedonien +wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die +Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er +sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen +Schwierigkeiten der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und +grossenteils oeden Lande, die schon oft die Operationen gehemmt hatten, +sollte jetzt die Flotte beseitigen, indem sie das Heer laengs der Kueste +begleitete und ihm die aus Afrika, Sizilien und Sardinien gesandten +Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung kam frueher, als Flamininus +gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und zuversichtlich wie er war, +konnte es nicht aushalten, den Feind an der makedonischen Grenze zu +erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rueckte +er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm +entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. +Beide Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege +der Apolloniaten und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, +besonders aber durch einen ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt +worden war, zaehlten ungefaehr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 +Mann; doch waren die Roemer an Reiterei dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts +Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf waehrend eines trueben +Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den feindlichen, der +einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen Huegel, die +Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene, +erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen +und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun +ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. +Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer +gesamten Reiterei und dem groessten Teil der leichten Infantrie; die +Roemer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit grossem +Verlust bis hart an ihr Lager zurueckgejagt und haetten sich voellig zur +Flucht gewandt, wenn nicht die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf +so lange hingehalten haetten, bis Flamininus die schnell geordneten +Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die +Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig nach und +ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder +Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den +Huegel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. +Der rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam +frueh genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung +zu stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten +Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel +heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der +Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem +linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte +der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten +Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig +die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die +Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der +Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke Fluegel der +Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel liess Nikanor, +als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der Phalanx +schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und waehrend die +ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten Fluegel +folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen, +gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der +Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen +linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen, +vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend hier ein +fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener roemischer +Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen auf +den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken +verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im +Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos +und mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen +Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils +gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene, +weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das +Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der Sieger war +gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere +verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte er Thessalien +und ging in seine Heimat zurueck. Gleichzeitig mit dieser grossen +Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nachteile auf allen +Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen die rhodischen +Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen dasselbe, sich +in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward von +Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das +akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos +war vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen, +ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. Es +lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: +sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich +Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies +Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess +das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten +niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das +bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern +gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft. +Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der +griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu +bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen +Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine +hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso +sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl +verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der "Sieger von +Kynoskephalae", wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es +nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie +ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein +Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen +Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf +die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus +gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter +seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, +den Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien +hinauszuschlagen. Die definitive Regulierung der verwickelten +griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn +Personen uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. +Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago +gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in +Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen +Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf +einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei +erklaert ward - eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich +fiel, allein die die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da +bei seinem Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber +einmal von ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde +ferner verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms +abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner nicht +ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt gegen +roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber 5000 Mann, +keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu unterhalten, die +uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den +Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu +senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den +Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von +1000 Talenten (1700000 Taler). Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger +politischer Nullitaet herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen +war, als es bedurfte, um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu +hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen +zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass +ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die +ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen +hatten, nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch +ihre Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten +Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; +und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu +den Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). +Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein +verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der +Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die +Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1. +--------------------------------------------------- ^1 Wir haben +noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift "T. +Quincti(us)", unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in +Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist +eine bezeichnende Artigkeit. +---------------------------------------------------- Ausgenommen waren +von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften oestlich +von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, fielen und +diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land- +und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen +Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften +im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm +liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer +seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und +Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre +karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb, +versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt +durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den verschiedenen +Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch +am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es +scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter +allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen +Besitzungen Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich +Korinth, wurden ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte +man wenig Umstaende; sie durften die phokischen und lokrischen Staedte +in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch +auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden +zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die thessalischen +Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften +geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos +und Lemnos, der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute. +Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse +Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten +in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern +und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den +Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis +zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm +ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb +Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen +Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer +und auf Antiochos' Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung +von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf +einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit +der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter +auch einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung +lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta, +Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner +durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, +wurden nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit +Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst +umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. +Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter +5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein +vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der +ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue +befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen +Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm +gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen, +verwarf "das Volk", das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte +Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege +fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit +der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler und der +Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden, und der +Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu +einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern erstiegen, +als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur +Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein +Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen, +die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde +beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis +selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswaertigen +Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte und ueberdies +noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder auswaertige +Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine anderen +Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut wieder +abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine Kriegskontribution +zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte an der +lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im +Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der "freien +Lakonen" nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr +Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen +angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen +verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider deren Willen +in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch +diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren +dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefuerchteten +und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der Emigrierten und die +Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. +Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass Flamininus diese +schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es +moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische +Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung +zwischen den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas +in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer +gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der +Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten und die vollstaendige +Restauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments wuerde nur +ein Schreckensregiment an die Stelle eines anderen gesetzt haben; der +Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide +extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich +gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte +und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde +unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den +Nabis kannte und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche +Beseitigung war, davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und +nicht durch unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen +Eindruck seiner Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies +an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen +Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste +Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig +wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu +fuerchten. Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen +griechischen Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren +Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen +Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung +selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus Griechenland +offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos' +Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward +der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, +zum Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst +Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser +Geduld: indes die roemisch gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem +Abzug der Roemer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und +Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten, +sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf +die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern +auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten +auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; +Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten +auf, und da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden +Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich +auf Bitten; in der Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer +und Athener gegen eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und +obwohl die makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft +am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts +entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland +begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging, +auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden +einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren +und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die +staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde +nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der +betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu +knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus +versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen +griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem +Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige +Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die +waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden +waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten +Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis +nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth, +also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von +Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den +saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die +Heimat. Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen +Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung +Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb +der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte, +einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen +Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine +maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre +Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren Interessen +zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur vollen Freiheit +fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von fremder Schatzung +und fremder Besatzung und die unbeschraenkte Selbstregierung verlieh; +bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung. +Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung Griechenlands +moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und +vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen +Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie +alle und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken +des Senats ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die +Erbaermlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen +Umfang zu erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in +sich und gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu +handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner +gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig, +dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort +und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu +machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren +Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein +wuerde. In Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, +wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen +hatte, die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den +roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher +Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen +dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne +den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere +ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den +Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen. +Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten +Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. 9. Kapitel Der +Krieg gegen Antiochos von Asien In dem Reiche Asien trug das Diadem der +Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der Koenig Antiochos der Dritte, der +Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er war gleich Philippos +mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und +Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten +entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu +heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des +aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm +gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen +und zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den +von Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat +wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich +entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im +Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig +zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit +Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn auch +ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549 205) +schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu machen; +Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte sich +auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen Staedte +angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen Augenblick, +als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache +machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich +brachten. Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung +der Roemer in die Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie +zurueckzuweisen, glaubte Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren, +wenn er Philippos' leicht vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die +Roemer dazu nutzte, um das Aegyptische Reich, das er mit Philippos +hatte teilen wollen, nun fuer sich allein zu gewinnen. Trotz der engen +Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen Hof und dem koeniglichen +Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, wirklich, wie er +sich nannte, dessen "Beschuetzer" zu sein; fest entschlossen, sich um +die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall +zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des +Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig +machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt +als getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; +dagegen ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach +der andern zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die +syrischen und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre +556 (198) am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen +Feldherrn Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz +dieses Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern +schreckte die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass +dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich +zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der +Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also +das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, +dem der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von +100 Deck- und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals +aegyptischen Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in +Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese +Distrikte, die faktisch in Philippos' Haenden waren, im Frieden an +Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen +Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die +kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich +sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. Dieses Beginnen +war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an Philippos +die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien +wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den +Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an +Philippos' Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten. +Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos +durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum +Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich suchten sie die +Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben beendigten zu verwickeln. +Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern militaerische Hilfe +begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, waehrend Attalos' +Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. Die energischeren +Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557 +(197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass +sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der lykischen +Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich +hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende +Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und +die wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner +die Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den +halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, +allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, +Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der +Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu +widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen +der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er +ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, +schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen +Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer +sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen, +doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten insofern alle +Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu willfahren und in +Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich dazu wenig +geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg +waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer +Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch +nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos +und Philippos in Haenden gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz +genommen werden, und die Freiheit der asiatischen Staedte Myrina, +Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den roemischen Aktenstuecken, +allein man tat nicht das Geringste, um sie durchzusetzen und liess es +geschehen, dass Koenig Antiochos die gute Gelegenheit des Abzugs der +makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um die seinigen +hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in +Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen +Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm +und laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren +und die Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu +seinem Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie +Thrakien ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung +dieser Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an +den Koenig Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets +und von der Freiheit der saemtlichen Hellenen redeten; allein es +kam dabei nichts heraus. Der Koenig redete wiederum von seinen +unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von seinem Ahnherrn Seleukos +eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, dass er nicht +beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet seines +angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in +seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien +ab. Mit Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede +geschlossen sei und es den Roemern insofern an einem formellen Grund +fehle zu intervenieren ^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach +Asien, veranlasst durch die falsche Nachricht von dem Tode des jungen +Koenigs von Aegypten und die dadurch hervorgerufenen Projekte einer +Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, beendigte die Konferenzen, +ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, geschweige denn zu einem +Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos +wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und +beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er +seinem Sohne Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von +Karthago hatte landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle +Empfang, der ihm zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung +gegen Rom. Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus +saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies +unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit, +wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen; +denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur +den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas +ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des +Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. +Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden +Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen +und jede Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten +fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in +Griechenland, der schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen +des erbitterten Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen +gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche +Anzeichen des Herannahens einer neuen Schilderhebung des hellenischen +Ostens, deren Ziel mindestens sein musste, Griechenland aus der +roemischen Klientel in die der antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen +und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich weiter gesteckt +haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen +konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend, +aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den +Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er +nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig +und vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen +Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen +die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte. +------------------------------------------------------ ^1 Nach einem +kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, S. 95) +schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den +roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und +dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden +moege (op/o/s symperil/e/phth/o/men [en tais synth/e/kais] tais +genomenais R/o/maiois pros ton [basilea]), welche der Senat, wenigstens +nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im +uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten +dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die +Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber +den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die +Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und +Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und +positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich +bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um +Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den +Gesandten erteilten. Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss +auf die troische Legende zurueckgehende "Bruederschaft" der Lampsakener +und der Roemer und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung +der Bundesgenossen und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den +Lampsakenern durch die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren. +^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der +syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) +setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian +(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 +(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die +aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene war. +----------------------------------------------------- Antiochos +nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn die +Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu +dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der +Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig +von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich +seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen +versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits behauptet, allein +wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb faktisch das Land bei +dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im Jahre 557 (197) +seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, die +Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner +Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle. +Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien +und gewann die Galater durch Geschenke, waehrend er die stets +aufruehrerischen Pisidier und andere kleine Voelkerschaften mit den +Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden ausgedehnte Privilegien bewilligt; +in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte erklaerte der Koenig, dass +er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos, +zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen wolle mit einer +bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar +zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu +unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und +hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt +ein Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von +Antiochos eine Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu +Fuss und 1000 Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten +Punischen und sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg +erwecken sollte; tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die +Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der +spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf +ihrem Hoehepunkt stand. ------------------------------------------ +^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere +Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) +irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden +wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach +Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel +geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil +die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war; +und eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit. +------------------------------------------- Waehrend also von langer +Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom vorbereitet ward, waren +es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten Hellenen, die am +wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten taten. Die +erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu +glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden +worden sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in +Griechenland einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die +Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe +eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen Rom begehrte: die werde er +selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische Heer am Tiber lagern werde. +Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des syrischen Koenigs +fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem Koenig +vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten +Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren +wollten, dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war. +So gelang es ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum +Losschlagen zu bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer +zwei Jahre nach Flamininus' Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder +anzufachen; allein sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf +Gythion, eine der durch den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen +Staedte der freien Lakonen und nahm sie ein, allein der kriegserfahrene +Strateg, der Achaeer Philopoemen, schlug ihn an den Barbosthenischen +Bergen und kaum den vierten Teil seines Heeres brachte der Tyrann wieder +in seine Hauptstadt zurueck, in der Philopoemen ihn einschloss. Da +ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um Antiochos nach Europa +zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den Besitz von +Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser +wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst +gedachte man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler +Alexamenos, unter dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit +1000 Mann in die Stadt einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus +dem Wege raeume und die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei +einer Heerschau erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt +zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu +sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt +liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen +Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also +verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den +entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den +Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig +besser, indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die +chalkidischen Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von +Eretria und Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte +die Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen +war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem +Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei; +es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem +Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition +gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen +wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf +die Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden +geltend zu machen. Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so +sehr man auch bemueht war, ihn durch das diplomatische Palliativ der +Gesandtschaften hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden. +Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat +in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen +die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum +ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem +Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht +der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen +zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz +und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch +einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius +und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man +sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht +mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im +Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte von 30 Segeln mit +3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus vor Gythion, wo +ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den Achaeern und +Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste wurde +stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein; +fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet. +Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192) +Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu hintertreiben und +soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands wiedergutzumachen. +Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass die Tagsatzung +foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang es dem +Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine Besatzung +von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner einen +Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn +auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des +grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er +durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die +Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch +die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland zwei Jahre zuvor +aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und Truppen zusammen, die +er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 Deckschiffe und 10000 +Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und brach vom +thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 (192) +bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das +nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein +roemisches Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei +Apollonia. Also war von beiden Seiten der Krieg begonnen. Es kam darauf +an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als deren +Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan +betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so +traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine +grossartigen und hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und +niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung +geschah nichts, als dass man einige karthagische Patrioten +kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als sich den +Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte eben +den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und +nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel +den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des +Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang +es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf +seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu +beherrschen war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen +Gedanken zu bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann +duerfe verdunkeln lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den +Phoeniker kuenftig nur fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu +verwenden, vorbehaltlich natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal +raechte sich an dem Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden +glaenzend ausfuehrte. In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; +dagegen trat Prusias von Bithynien wie immer auf die Seite des +Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der alten Politik seines Hauses +getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen sollte. Er hatte +Antiochos' Anerbietungen nicht bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern +auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, von dem er die +Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier +und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat +auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, +welche man indes roemischerseits nicht annahm. In Europa kam es vor +allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien einnehmen +wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, sich, +alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos +zu vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche +Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung, +und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den treulosen +Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im Stich +gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute einzuziehen +und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als seinen +Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam +hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten +auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei +Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen +Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem +Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht +Griechenlands hielt die zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am +roemischen Buendnis; von den kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei +die Thessaler und die Athener, bei welchen letzteren eine von +Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung die ziemlich starke +Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es +womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos' +Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der +benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der +Athamanen, Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die +makedonische Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die +Opposition gegen Rom noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die +Eleer und Messenier, gewohnt, mit den Aetolern gegen die Achaeer +zu stehen. Das war denn freilich ein erbaulicher Anfang; und der +Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den die Aetoler dem +Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man hatte +sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren +Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark +wie ein gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen +Arme, die saemtliche Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch +entgegenstrecken sollten, trugen ein paar Klephtenhaufen und einige +verliederlichte Buergerschaften dem Koenig Waffenbruederschaft an. +Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen +Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen +Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck; +allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht +davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu +besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war +fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter Antiochos in +Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch, Thessalien zu +gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und andere Staedte +genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von Apollonia heran, +entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des Winterfeldzugs +muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis +zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner +fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen +Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91), +ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in Griechenland hin- +und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und Feder, sagte +ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563 (191) traf der +roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius Acilius +Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den +Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral +Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato, +der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus, die nach +altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln, +wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit sich +brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter +numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und +die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu +5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des +Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose +Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von +Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst +den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in +Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen +ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das schwache und nun noch +durch Krankheit und Desertion in den liederlichen Winterquartieren +dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres bei Pteleon +gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen hatten ins Feld +stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn nicht +mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die +Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem +makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen +Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul +mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich +in Larisa. Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder +Hinsicht ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, +sich in den von ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die +Ankunft des grossen Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte +in dem Hauptpass sich auf und befahl den Aetolern, den Hochpfad zu +besetzen, auf welchem es einst Xerxes gelungen war, die Spartaner zu +umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem +Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen +sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern +Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das roemische +Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten +Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten +auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische +Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob +auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke +fielen. Da Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht +gedacht hatte, so ward das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf +der Flucht vernichtet; kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der +Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich +nach Ephesos ein; Europa war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm +verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis +ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung +fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls +aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis +ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im +eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der +dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in +Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen +Frieden zu machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr +zweideutiges Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, +die Eleer und Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, +sich den Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig +vorhergesagt hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich +unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die +Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach +hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den +schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen +Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos +einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch +einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in +Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und +die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, +fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen +ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen +zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen +Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland, +vorlaeufig wenigstens, die Waffen. Ein ernsterer Krieg stand in Asien +bevor, den nicht so sehr der Feind, als die weite Entfernung und +die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr bedenklichem Licht +erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos' kurzsichtigem Eigensinn +der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im eigenen Lande +des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der See +zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs +in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen +Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen +war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen einen starken +asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt, +den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das naechste Jahr vorzubereiten +und zunaechst die feindliche Flotte aus dem Aegaeischen Meer zu +vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem suedlichen Ufer der +gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die roemische +sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs +karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der +syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70 +Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch +die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene +Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und sidonischen Schiffe +vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang zwar gelang es den +Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu versenken; allein sowie +es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und nur der +Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass +sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens +stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die +Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun zwiefach +entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig im Hafen +von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten Schlacht zu +bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte fuer den Winter +sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen von Kane +in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters +fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer +suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: +Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen, +beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf +und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst +gewann die roemische Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen, +den Roemern womoeglich den Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er +eifrig zur See ruestete und teils durch Polyxenidas die bei Ephesos +stationierende Flotte herstellen und vermehren, teils durch Hannibal +in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue Flotte ausruesten liess, +ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen Gegenden seines +weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im naechsten +Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder auf. +Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel +stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von +Ephesos beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und +den pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag +gemaess durch die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des +Landheeres vorzubereiten. Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs +Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde von der Niederlage der rhodischen +Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert +durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu +wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst +war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und +zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese +Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen +Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte +teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit +zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, +ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos +einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei +der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der +Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts +uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung ging +inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den Rhodiern +gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten Angriffe +Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte, +die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als +dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue +Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom +angelangt war und bei Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich +darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum +gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs begreiflich zu machen, dass +es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara ankomme, sondern auf die +Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur Umkehr nach Samos zu +bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte mittlerweile Seleukos +die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos mit dem +Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer +auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden +fertig zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische +Flotte ging nach Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den +Bundesgenossen zu helfen; allein da es dem Admiral an Truppen fehlte, +richtete er nichts aus. Pergamon schien verloren; aber die schlaff und +nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem Eumenes, achaeische +Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren kuehne und +glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen +Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den +suedlichen Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt. +Die von Hannibal geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie +lange durch die stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich +in das Aegaeische Meer zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon +vor Aspendos in Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader +unter Eudamos, und in der Schlacht, die die beiden Flotten sich +hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber die numerische +Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere +den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte +Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche +rhodische Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die +beabsichtigte Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen +Meer ward die roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch +die Entsendung der pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur +Unterstuetzung des dort eben anlangenden Landheers sich geschwaecht +hatte, nun ihrerseits von der des Polyxenidas angegriffen, der +jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am 23. Dezember des +unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende August 564 +(190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und +Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und +umzingelten den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen +genommen wurden oder sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte +den Roemern die Inschrift in saturnischem Mass ueber dem Tempel der +Seegeister, der zum Andenken dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, +wie vor den Augen des Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die +Flotte der Asiaten geschlagen worden und die Roemer also "den grossen +Zwist schlichteten und die Koenige bezwangen". Seitdem wagten die +feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen +und versuchten nicht weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu +erschweren. Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent +war in Rom der Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den +Oberbefehl fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen +geistig unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. +Die bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das +Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe +befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem +Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu +fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden +die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu +beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen +sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern +verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus' grenzenlose Ruecksichten +gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die +Wahl gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen +Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die +Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- +und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das unbequeme +Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen Waffenstillstandes +und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die eine feindliche Flotte +in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und die zweite, die aus +dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung beauftragten +Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den +Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den +Hellespont zu gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu +erwarten, da Koenig Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig, +auch Koenig Prusias von Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und +die roemische Flotte leicht sich in der Meerenge festzusetzen vermochte. +Der lange und muehselige Weg laengs der makedonischen und thrakischen +Kueste ward ohne wesentlichen Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte +teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche Aufnahme bei den thrakischen +Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, teils auf dem Marsch +soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht +von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios +wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in +Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der +Schlacht bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass +er in Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia +von der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu +ergebenen Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die +Besatzungen aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die +reichen Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der +Roemer nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend +derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu +schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht +mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein +grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt +worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in +einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. Waehrend +die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage +stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten +zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte +des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos +bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen +Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen +griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die +Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren +annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch +diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo +das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des +Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art +den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner +Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche +Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze +Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung +Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig +sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das +innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein +guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos, gereizt +durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer jede +dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine +ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto +lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos +bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190) +die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann, +darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und +makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei weitem +nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass sie nicht +einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen Feldherrn +abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando uebernahm. Um +nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, bildete Antiochos +zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, die +Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der +Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die +Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere +Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art Kuerassiere), neben ihnen im +Mitteltreffen das gallische und kappadokische Fussvolk und im Zentrum +die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des +Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand und sich in +Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum der +beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx +und der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken +Fluegel, wo der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der +Reiterei und die saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, +den Eumenes fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes +begann die Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen +die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten; +in kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die +naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im +zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren Reiterei +in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen Reiterei, +die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im zweiten +Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren +Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung +geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen +durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die roemischen +Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in der Flanke +gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden Seiten Front zu +machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten kam. Waere die +schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette die Schlacht +wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel war zersprengt, +und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die kleine, ihm +gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, das +roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe +erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden +Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit +den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und +Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging. +Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck, +bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten scheu wurden und +die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer sich auf in wilder +Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang und mehrte nur +die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des Verlustes des +Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung nicht +unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen +waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte, +24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst +Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die +Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von +den Roemern gestellten Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen +waren als die vor der Schlacht gebotenen, als namentlich die Abtretung +Kleinasiens enthielten. Bis zu deren Ratifikation blieb das Heer in +Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf nicht weniger als 3000 +Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber nach seiner +liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines +Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der +Muehe, ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete. +Aber Asien war mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten +gestrichen; und wohl niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig +und so schmaehlich zugrunde gegangen wie das Seleukidenreich unter +diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst ward bald darauf (567 187) +in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei der Pluenderung des +Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu fuellen +gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. Die roemische +Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die Angelegenheiten +Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die roemische +Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu +keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt +hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt +worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen und aeolischen +Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige pergamenische Koenigreich +waren allerdings die natuerlichen Traeger der neuen roemischen +Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als Schirmherr der +stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren Kleinasien und +an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von Asien +laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos +allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war +unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der +roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem +ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen Hellenen zu den seit +einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten. Diese hatten die +kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich verteilt und +ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die +festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter +der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten +Vorsteher sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene +Nachbluete der hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder +entstiegen ist, ist erwachsen aus diesen letzten, von nationalem +Buergersinn getragenen hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger +Gegenschlag, kein entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die +Pergamener ihren staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden +Horden aus den oestlichen Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, +und die grosse Mehrzahl der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich +in der alten Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft +ueber die Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so +musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt +werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit +verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel +mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb +in der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms +Machtgebiet gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei +den Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die +neue Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen. +---------------------------------- ^4 Aus dem erwaehnten Dekret von +Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit hervor, dass die Lampsakener +bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom erbaten, sondern auch +Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger +genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift +CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind +wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen +Krieges diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16). +--------------------------------- Dies hat der neue roemische +Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den Lucius Scipio in +Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf gemacht +worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat +vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel +gegen diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt; +derselbe war vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die +hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war, eingemischt +hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das hellenische +Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in Zweifel gezogen +werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den Flamininus und +die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war die +Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie +der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem +rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit +Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem +Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel +entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer roemischen +Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur unter ganz +ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte und, wenn +einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer sprach, +sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen Heere +auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus +und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der +Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von +Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander +und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die +Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf +den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit +Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden +verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum Abzug zwaenge. +Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und Schuetzen, die gegen +die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag gaben, fast wie in +neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, erzwangen die +Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie sie gar +oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden +sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des +nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die +Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden +Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu +dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff. +Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen Leiter der +roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten. Phrygien, Bithynien, +Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die weiter oestlich +gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. Die Regulierung der +kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den Frieden mit +Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen +Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von +Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach +dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000 +euboeischen Talenten (25 Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich, +der Rest in zwoelf Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos +auferlegt die Abtretung seines gesamten europaeischen Laenderbesitzes +und in Kleinasien aller seiner Besitzungen und Rechtsansprueche +noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von der Muendung des Kestros +zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien +nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat +ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es +natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an +gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht, +gegen die westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines +Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das +Recht, das Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit +Kriegsschiffen zu befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu +bringen, ueberhaupt Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall +eines Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich +das Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder +politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die +Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten und +die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden, lieferte er +aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel eines Freundes +der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu Lande +und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer; +es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des +Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen +Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite +Entscheidung durch die Waffen begehrt hat. Die beiden Armenien, bisher +wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, verwandelten sich, wenn +nicht gerade in Gemaessheit des roemischen Friedensvertrages, doch unter +dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias +und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. Koenig Ariarathes +von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den Roemern +bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600 +Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines +Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. Koenig +Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die +Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber +die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen +Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht, +diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit +goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu vergelten. In +Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da +hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa +kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen. +Allen griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei +und den Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt +und sie alle mit Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der +Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben. +So wurden namentlich frei die Staedte Dardanos und Ilion, die alten +Stammgenossen der Roemer von Aeneas' Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, +Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, Miletos und andere altberuehmte +Namen. Phokaea, das gegen die Kapitulation von den roemischen +Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt zum Ersatz dafuer, +obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie fiel, +ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den +meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies +Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward +natuerlich Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und +den groesseren Teil von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem +garantierte Antiochos in seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und +ihre Forderungen sowie die bisher genossene Zollfreiheit. Alles uebrige, +also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die Attaliden, +deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege +bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall +der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein +Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa +den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon +besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und +Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles +und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von +Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und +als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber +Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten, +inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also +jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft +und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht +unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, +dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht +werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350 +Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war, +dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler) +fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen. +Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos +abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt +wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch +war das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was +Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit +absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien +in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen +roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische +Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und +nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen +Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren +Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich +nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des +Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung +des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer +sie erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem +festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen +zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine Expedition nach +Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die Sklaverei verkauften +Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und Landheer im Nachsommer +566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder durch Thrakien zog, +durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs von den Ueberfaellen +der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten nichts heim aus +dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon beide in der +praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, zusammenzufinden +pflegten. Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen +Krieg erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die +immer noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, +hatten nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen +Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren +den Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher +gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes, +getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in Asien, +die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen athamanischen +Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten +aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, +wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass +hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus +Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565 (189) bei den +Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer +die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die +Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber +die Aetoler herfielen. Von eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede +sein; auf die wiederholten Friedensgesuche der Aetoler standen denn +auch die Roemer vom Kriege ab und gewaehrten Bedingungen, welche solchen +erbaermlichen und tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden +muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den +Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge +einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und +selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso +traten sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden +zu schliessen und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen +Beziehungen Roms abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. +Kephallenia setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte +sich erst, als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner +von Same, die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch +eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten +Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus, +worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in +die Sklaverei verkauft wurden. Rom blieb auch hier dabei, sich +grundsaetzlich auf Italien und die italischen Inseln zu beschraenken. +Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden Inseln Kephallenia +und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen Seestationen am +Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb +kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben, +Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen +an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund +verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen +Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und +der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen +Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem +er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm +zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing +er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den +Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in seinen +Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil von +Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben worden +waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer Klientel, +aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und Lemnos, +die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der +Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht +schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa +empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall +niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler Hinsicht +ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht Schikane, +was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche politische +Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht +ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt +hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen +Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht +wiederkehre. Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des +Krieges gegen Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den +Peloponnes ganz in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst +Sparta, dann, nach der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch +Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die +Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar geduldet, dass +man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr. +Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu +unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und +diese darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu +Gemuete zu fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der +Beute an sich unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern +mehr als unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen +Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren +Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von +ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt +Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten, +nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer +Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten +Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur +widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig +Flamininus' guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie +glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates +um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man sprach von +Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den Kriegen +der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der achaeischen +Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia ja nicht +nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also gesprochen, +wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das alles +wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel +laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und +ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit +der Hellenen zu gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht +war, dennoch ihnen nichts gab als die Anarchie und nichts erntete +als den Undank. Es lagen auch den hellenischen Antipathien gegen die +Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle zugrunde, und die persoenliche +Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum +bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine +wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen +Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten +Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach +Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem +Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn +der Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig +nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss +womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, "um die Formen +zu retten"; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn +das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem patriotischen +Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht auf Billigung +doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf entschlossen gewesen +waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft vorgezogen +haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen solchen +politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn doch +vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die +die gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten +Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie +die Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern +bringen. Der von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer +Zeit bis zum Ekel wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen +waeren, inneren Zwist in Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten +Abgeschmacktheiten, welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen +haben. Nicht die Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich +Eulen nach Athen -, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom. +Namentlich die Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich +uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus +die aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt +hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren +Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden +in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter +charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die +Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen +Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten +Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier +Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam +es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen +Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis mit dem Buergerrecht +beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft verkauft und aus dem +Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis gebaut, +ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt, +die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern +niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward +dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch +aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe fuer die +befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel in diese +Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die Nadelstiche +der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter Indifferenz, +sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher +Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als +nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der +Senat darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die +Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert +ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig +bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die +Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren +Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen +Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut +in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber +die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des +Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier +Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam +der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen +Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf, +als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von +Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die +Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin beschied, dass er +sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen koennten, was sie wollten +(572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht recht; wie die Roemer einmal +standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung, hier +mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener +Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn +ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und +gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger +getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik +wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. So umfasste die Klientel +der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten von dem oestlichen +zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein Staat, den +man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein +Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der +erst den ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen +gebracht hatte und der vielleicht nur gescheitert war, dort an der +ehrlosen Aristokraten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos +hatte sich im Frieden verpflichten muessen, den Hannibal auszuliefern; +allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien entronnen +^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in +seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie immer siegreich +zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den Prusias +zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie +erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar +der roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem +letzten Asyl aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch +den Senat beschuldigt, scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber +Flamininus, der in seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer +grosse Taten suchte, auf seine eigene Hand es unternahm, wie die +Griechen von ihren Ketten, so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den +groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht +diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu richten. Prusias, +der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte sich ein +Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit +zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein +Haus von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst +darauf, fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort +der Koenige. Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er +in der zweiten Haelfte des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. +Als er geboren ward, stritt Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz +von Sizilien; er hatte gerade genug gelebt, um den Westen vollstaendig +unterworfen zu sehen, um noch selber seine letzte Roemerschlacht gegen +die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann +zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der +Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande +war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, +als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den +Knabenschwur gehalten. ------------------------------------------------- +^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs +Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; +Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie +Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen +ist. ------------------------------------------------- Um dieselbe Zeit, +wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den die Roemer +seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das +Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt +blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien, +Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die +erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der +zivilisierten Welt. Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren +ueberblieben fuer seinen Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte +auch ihn durch seine letzten Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig +ueber fuenfzig Jahre alt, in freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an +die Seinigen, seine Leiche nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer +die er gelebt hatte und in der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht +genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen +Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und mehr noch +gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige +Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; +obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine +Rechnungsbuecher, statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen, +im Angesicht des Volks und der Anklaeger zerriss und die Roemer +aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag +seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Anklaeger stehen +und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies der letzte +schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein +anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr +entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius +den widerwaertigen Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und +nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die +Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss und zerfrisst auch den +urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit +solcher, aus echtem Gold und schimmerndem Flitter seltsam gemischter +Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der +Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber +zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer +selbst erwacht. --------------------------------------------------- +^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus. +--------------------------------------------------- 10. Kapitel Der +Dritte Makedonische Krieg Philippos von Makedonien war empfindlich +gekraenkt durch die Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos +von den Roemern erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge +war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in +Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem +makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem +roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen +Grossmacht all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos' des +Zweiten Zeiten von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut +und der wohlfeile antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser +Zeit machte sich Luft auf den Tagsatzungen der verschiedenen +Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen Beschwerden bei dem +roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden worden, +was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler +angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der +Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der +thessalischen Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn +und der perrhaebischen, den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden +zurueckverlangt wurden aus dem Grunde, dass Philippos diese Staedte nur +befreit, nicht erobert habe. Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit +begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos +im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia, +obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos +ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose +geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des +Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte +Kontrakte und geraubtes Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen +Senat musste der Koenig von Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich +verklagen lassen und Recht nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste +sehen, dass das Urteil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend +von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen und perrhaebischen +Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen Kommissare +hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles +vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert +gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem +makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte hier nicht so +ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber im Grunde war die Lage +Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indes Philippos +war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer Geduld ueber sich +ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach +seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem +ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern +persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos +nichts gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem +Alliierten, der ihn schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte, +augenblicklich zu raechen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein +die Roemer, die sehr gut begriffen, dass den Makedonier nicht die +Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos +bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der +Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl +gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos' Gunsten zu tun, und +hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an +mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos +politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, +die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu beigetragen hatten, +Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die roemische Klientel auf den +Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos +es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz +willen wohl mit Rom hatten halten muessen, hatten diese Attaliden dazu +benutzt, um im wesentlichen das Reich des Lysimachos wieder aufzubauen, +dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der makedonischen Herrscher +nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat an die Seite +zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient war. +Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, +ein weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich +entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; +allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das +Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war +taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und +naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen. +Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf +den thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, +antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte +Sonne nicht untergegangen sei ^1. +------------------------------------------------- ^1 /E/d/e/ +gar phrasd/e/ panth' alion ammi ded?kein. (1, 102). +------------------------------------------------- Philippos bewies bei +der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse eine Ruhe, einen +Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie bewaehrt +haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung gegeben +haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er +sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen +Mann eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen +freilich und die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das +unglueckliche Maroneia, buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon +im Jahre 571 (183) schien der Krieg ausbrechen zu muessen; aber +auf Philippos' Geheiss bewirkte sein juengerer Sohn Demetrios eine +Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige Jahre als Geisel gelebt +hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich Flamininus, der +die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien eine +roemische Partei zu bilden, die Philippos' natuerlich den Roemern nicht +unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte +zu deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den +juengeren, leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man +gab mit absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem +Vater um des Sohnes willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge +war, dass im koeniglichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und +namentlich des Koenigs aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, +aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den +kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass +Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der falsche +Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da +beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. +Indes Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte +Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat +das uebrige und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege +zu raeumen. Zu spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen +hatte, und der Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu +strafen und von der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre +575 (179) in Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich +hinterliess er zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen +Herzens gestand er sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel +vergeblich gewesen waren. Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung +an, ohne in Makedonien oder bei dem roemischen Senat Widerspruch zu +finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesuebungen wohl +erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem +Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn +reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines +Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein +Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe +Koenig und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck +begleitet, war vom Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus +bestieg den Thron in seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon +als Knabe mitgenommen worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg, +wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken +einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit +dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. +In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des +vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen +war, zum Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es +wahrlich nicht die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische +Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den +Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen +gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten +in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu +haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet +und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die +das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der +Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge +gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und +ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte +sie mit unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug +und das, was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen +Wirklichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie +es beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er +haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer +im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu +trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst +eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu +vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In +gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut und +besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht geschaffen, +ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein +ausserordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht +gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war +ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch den Hader +politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der monarchischen +Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank +beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen +herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung +begonnen mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen +Bankerottierer und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige +Haerte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern +auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Luecken in der +makedonischen Bevoelkerung teils von selbst ausgefuellt, teils der +Regierung gestattet, hierfuer als fuer den eigentlichen wunden Fleck des +Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier +an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen +er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von +zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden +Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine +Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an +das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte +in den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer +Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal +gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und +die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den +bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, +dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu +organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was +den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer +unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, +die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte, +und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz, +die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im +makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und +fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und +fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso +lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer +ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war +Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den Ausbruch +des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des Reiches war +in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht +weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in seine Grundfesten +zu erschuettern. Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. +Es lag in der Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von +Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich +an die Spitze einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms +Suprematie zu stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu +Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der +Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder +Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der +Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen +Konferenzen makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, +die Massinissa in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und +einsichtige Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es +sehr moeglich ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und +Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das +makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts +heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender +mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. +Den Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten +Perseus' Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, +wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, +allein der saubere Plan misslang. Von groesserer Bedeutung waren die +Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom +aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde +Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken durch +einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen +Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen +und der ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach +Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, +wohin er die Alpenpaesse bereits erkunden liess - ein grossartiger, +Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals +Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, +dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung Aquileia +zusammenhaengt, die eben in Philippos' letzte Zeit faellt (573 181) +und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen +Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an +dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen +naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen +und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden +Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen +des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen +Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus' Vorwissen +kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch +Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe +des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in Buendnis +mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf einer +der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus +mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem +Einverstaendnis stehe und Genthios' Gesandte in Rom dem Perseus als +Spione dienten. In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen +die untere Donau zu stand der maechtigste unter den thrakischen +Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr des ganzen oestlichen +Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den +mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere +Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren +Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst +der Sagaeer, Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon +gerichteten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. +Von hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen +Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. Unter der +ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus +lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg +lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte +den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu +bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter den asiatischen +wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren, +versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der +roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen +Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug, +und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, dass +die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer +Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter +Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und +rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen, +war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und +hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich +ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht taeuschte. Am +schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der Traeger jener +fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich behandelte er +die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; vergeblich +buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit +wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste +vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines +schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle +frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln +eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus' Name auf allen Lippen +war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch +gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen +Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl +innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes, sondern +von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und empfing, +und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss; +waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine +syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich +nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von +Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich +mit Holz zum Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der +asiatischen Staedte, also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit +makedonischen Abgeordneten geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der +rhodischen Kriegsflotte schien wenigstens eine Demonstration; und +sicher war es eine, dass der Koenig Perseus unter dem Vorwand einer +gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen sich und seine +ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese nationale +Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in +der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische +Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine +Umwaelzung der Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an +Makedonien zu ketten. Von der beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden +wie der einzelnen im europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in +dieser Hinsicht etwas besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich +einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die +andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum +Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern, +den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich +foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei +solchen Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine +Versoehnung verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem +Zweck, eine Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. +Die Roemer versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten +unverrichteter Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich +schlecht und die Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der +Tat nichts anderes mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der +sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er +von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte +sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts, +am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess +nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, +sondern liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, +welche saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer +Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach +Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und +Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso dass +in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in offene +Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um Hilfe +zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit solchen +Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer Sophokles und +Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises wert sei. +Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass +es Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des +thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis +stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und einem +Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des Friedens +von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle Kriegsmanifest; der +wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im Begriff stand, seine +formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und Rom aus dem +Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) sprachen +die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich +unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem +roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes +persoenlich nach Rom mit einem langen Beschwerdenregister und deckte +die ganze Lage der Dinge im Senat auf, worauf dieser wider Erwarten +in geheimer Sitzung sofort die Kriegserklaerung beschloss und die +Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen versah. Der Form wegen ging +noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren Botschaft aber derart +war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck koenne, die Antwort +gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu +schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben +an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. +Damit war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); +wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die +makedonische Partei ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die +bei Apollonia stehende roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus +Sicinius erdruecken und den Roemern die Landung streitig machen. Allein +der Koenig, dem schon vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess +sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus, +ueber die Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen +ein und sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch +einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, +der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus +Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren +der aelteren Schule die "neue Weisheit" ihres Kollegen und die +unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss, +ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen +Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in +Griechenland zu berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal +die Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen +einverstanden war noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der +Sehnsucht nach einer weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus +in die Arme zu werfen; und ueberdies war dort jetzt durch roemischen +Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom +anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von +Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der roemischen Gesandten +gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer +selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die +Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch +aufs tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht +offen fuer Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, +Thisbae, Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. +Da auf die Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der +boeotischen Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, +erklaerte jener, dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es +mit Rom halte und welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber +ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu +auseinander. Es ist nicht wahr, dass Epaminondas' grosser Bau von den +Roemern zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie +daran ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung +der uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2. +Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte +der roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe +die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien. +--------------------------------------- ^2 Die rechtliche Aufloesung der +Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte uebrigens wohl noch nicht jetzt, +sondern erst nach der Zerstoerung Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.) +--------------------------------------- Chalkis ward mit achaeischer, +die orestische Landschaft mit epeirotischer Mannschaft, die +dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen Westgrenze +von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die Schiffahrt +wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus +sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb +seines eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen +Kalender im Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste +landeten. Es ist zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen +gefunden haben wuerde, auch wenn er soviel Energie gezeigt haette, +als er Schlaffheit bewies; unter diesen Umstaenden blieb er natuerlich +voellig allein, und jene weitlaeufigen Propagandaversuche fuehrten +vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, Genthios von Illyrien, +Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das mit Perseus +bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe an, +welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine +Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen +Geiseln nach Rom. Perseus' Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, +blieb neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig +Antiochos IV. von Syrien, im Kurialstil "der Gott, der glaenzende +Siegbringer" genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem "Grossen", +ruehrte sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend +dieses Krieges das syrische Kuestenland zu entreissen. Indes wenn +Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht veraechtlicher +Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten +und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils +Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen +30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann +numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und besonders +pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 Deckschiffe +zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus, dem der +Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete erst +jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann Truppen an +Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken bestimmt +war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul Publius +Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um +von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht +wie gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte +nicht daran, den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, +in Perrhaebien einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am +Ossa erwartete er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht +zwischen den beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer +wurden entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte +die italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen +und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an +Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich +schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus +benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten +hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er +bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden +nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings +folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes +anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man +zog hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah. +Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht +gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch +Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen +glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen +Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines +Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein +guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen +Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen, +fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Roemer +in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er zum +Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen Naturen +eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu raeumen. +Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer hellenischen +Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen lassen, zeigt +der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten +geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig +Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch +gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien +hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige illyrische +Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien von den +makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und +Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten +aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen boeotischen +Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von Thisbae, das +sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral Gaius Lucretius +vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore schloss +und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft, +Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso +behandelt. Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht +gehalten wie unter diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so +zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584 (170) der neue Konsul +Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte, +zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfaehig und +gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen +Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius +Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet +war, erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition +nach Makedonien hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang +des Winters der Koenig mit den an der Suedgrenze durch den tiefen, +alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich gewordenen Truppen den Appius +seinerseits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Gefangene +ab und knuepfte Verbindungen mit dem Koenig Genthios an; ja er konnte +einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, waehrend Appius sich +in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er vergeblich belagert +hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee machte +ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die +thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden +schlaff angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich +beschaeftigte der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die +freilich auch vor allen Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann +und einen namhafteren Offizier erforderte. Abschied und Urlaub waren +kaeuflich geworden, die Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die +Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die Offiziere im grossen +Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften +wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der +schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der +aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur +Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. +durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte +wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und +wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet +oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis. +Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung +der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den roemischen +Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den Bundesgenossen +zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft einstimmig +verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das Ergebnis dieser +beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein Schandfleck +fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum +wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft +gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus' +Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der +Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen +begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets +von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in +Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre Bergfestung +ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu verschanzen. +--------------------------------------------------- ^3 Der kuerzlich +aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die +Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.; +AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese +Verhaeltnisse. ---------------------------------------------------- +Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, +Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund +des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht +gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter +Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe +den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen +die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der +Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich +bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss +konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann +an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand +er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark +befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale +Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren, +in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten +Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem seinen Namen +behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein wie damals +ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus' Unfaehigkeit. Als ob er den +Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als durch Sperrung +der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich seltsamerweise verloren, +sowie er die Roemer diesseits derselben erblickte, fluechtete eiligst +nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu verbrennen und seine Schaetze zu +versenken. Aber selbst dieser freiwillige Abzug der makedonischen Armee +befreite den Konsul noch nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar +ungehindert vor, musste aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an +Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur +Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position +wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr +geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe +kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. +Die Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen +Heere gesichert; aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren +wohlgewaehlten Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark +verbarrikadiert und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer. +So verblieb das roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter +eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die +Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste +wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der +Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen +Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu +nehmen und richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus' leichte Schiffe +streiften kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien +bestimmten Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei +der Westarmee stand es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit +seiner geschwaechten Abteilung nichts ausrichten, und der von ihm +begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die Eifersucht des Konsuls +abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von Perseus durch das +Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, mit Rom zu +brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf uebrigens +der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder +zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der +bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen +Rom einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem +grossen, der nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus +sich von seinem Golde zu trennen vermocht, er haette den Roemern +noch gefaehrlichere Feinde erwecken koennen. Ein Keltenschwarm unter +Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso viele zu Fuss, bot in +Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; allein man konnte +sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es so, dass ein +Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen Kasse +leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte +zu geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig. +Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland +zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen +Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem +Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf +dem Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich +ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168) +zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon +eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein +vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und +seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein +unbestechlicher Beamter - "einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen +man kein Geld bieten konnte", sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein +Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit +benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. Sowie +der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess +er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier +beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius +Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach +Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder +am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein +kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses +Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung +- wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten +handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die eigentlich erst auf +den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm +und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der +Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stuermte die furchtbare +Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten +Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert habe. Die +roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward niedergerannt +und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, bis sie +einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier +wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung +hatte die Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die +Roemer in jede Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an, +und da die makedonische Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen +koennen, ruhig zusah und bald sich in Massen davonmachte, mit ihr unter +den ersten der Koenig, so war in weniger als einer Stunde das Geschick +Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten liessen sich +niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle die Phalanx, die +ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, hier selber untergehen. +Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem +Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am +fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte; +ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete +mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in +seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein +da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta, +der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft +gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die koeniglichen Pagen und +die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, dass das Asylrecht +ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich an einen +Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So +schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er +sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte +auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen +Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel. +Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem +gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der Konsul den vornehmsten +Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr heimgebracht hat. Perseus +starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in Alba am Fuciner +See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben +italischen Landstadt als Schreiber. +------------------------------------------------ ^4 Dass die Roemer, +um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben verbuergte, und +Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs getoetet, ist +sicher eine Fabel. ----------------------------------------------- +So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und +hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. Damit aber zu +dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch der Krieg +gegen den "Koenig" Genthios von Illyrien von dem Praetor Lucius Anicius +binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte genommen, +die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des +grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen +in Rom ein. Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht +wiederkehren duerfe, die Flamininus' unzeitige Milde ueber Rom gebracht +hatte. Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis +am Strymon verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des +festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates +in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften +zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von +Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der +chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und +den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen +der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte +in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten +sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land verlassen und sich nach +Italien begeben, bei Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und +mit Recht, die Zuckungen der alten Loyalitaet. Das Landrecht und die +bisherige Verfassung blieb uebrigens bestehen; die Beamten wurden +natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und innerhalb der Gemeinden +wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen gelegt. Die +koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den Eidgenossenschaften +nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, ein +Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138) +wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die +Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die +bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den +Eidgenossenschaften und den Gemeinden ueberlassen, sich selber zu +besteuern; doch hatten diese die Haelfte der bisherigen Grundsteuer +nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, zusammen jaehrlich 100 +Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das ganze Land ward +fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; nur an +der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren +bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die +kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der Rest verbrannt. +------------------------------------------ ^5 Die Angabe Cassiodors, +dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke wieder eroeffnet +wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. Goldmuenzen +der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also blieben +entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren +verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten +Makedoniens (Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen +sind; fuer die kurze Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608 +158-146) ist die Zahl derselben auffallend gross und zeugt entweder +von einem sehr energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter +Umpraegung des alten Koeniggeldes. ^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen +durch die Roemer der "herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet +ward" (Polyb. 37, 4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein +spaeterer Erlass dieser Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur +Erklaerung von Polybios' Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt +Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der der Provinz Makedonien von +Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die augustische Zeit +(Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der +Steuer vereinigen lassen. ---------------------------------------- Man +erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den +Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen, +und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne +Geschichte geblieben. Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des +Genthios ward in drei kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten +die Ansaessigen die Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen +Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten +und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen +Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward +konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser +Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den +Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit +wenigstens auf lange hinaus ein Ende. Kotys in Thrakien, der schwer +zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu brauchen war, erhielt +Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. So waren die noerdlichen +Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von dem Joch der +Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, ein +Koenig nirgend mehr vorhanden. Aber man beschraenkte sich nicht +darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu zerschneiden. Es war im Senat +beschlossen, die saemtlichen hellenischen Staaten, Freund und Feind, +ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie miteinander in +dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich +rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen +die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer +Grossmacht nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier +und Scipionen zu Ende ist. Am schwersten traf dieser Rollenwechsel +denjenigen Staat, der von Rom geschaffen und grossgezogen war, um +Makedonien im Zaum zu halten, und dessen man jetzt nach Makedoniens +Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich der Attaliden. +Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes einen +ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung +zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen +um die Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame +Geruechte ueber ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen +Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine +Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm 500, fuer die Vermittlung des +Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an Perseus' Geiz habe sich +der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische Flotte anlangt, so ging +der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins Winterquartier begab, +gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte. +Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine +heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente +Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise +582 (172) zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus' +Banditen ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen +Schwierigkeiten eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem +Ausgang er ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er +seinen Anteil an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft +und das Werk langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben +sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. +Dass kein Beweis weder in Perseus' Papieren noch sonst sich vorfand, ist +sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen +laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt +das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes' Bruder, der +die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit +offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und +aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten +- gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat +nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine +vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er +aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der Senat +zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter sich +nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht war, +wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen +Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute; +hatte man nach Antiochos' Besiegung Philippos gegenueber noch die Formen +geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese Zeit +scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und Antiochos +bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger war es, dass +die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des Eumenes, nachdem +derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien vertrieben +und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen +Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne +Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene +Spannung, wenn nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes +erhoben, sein Reich ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. +Eumenes erbat die roemische Vermittlung; der roemische Gesandte war +dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer +befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden nicht zu verstimmen, und +merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er erzaehlte bei der +Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe. +Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater von dem +Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss +sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren. +Da beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt, +dass Koenige kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen, +und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen +Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu fragen, was er wolle, und ihm +anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der +Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts +und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der +halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es +begann die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. Aehnlich erging es den +Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie standen mit +Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen +Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder +Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug +zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr +Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten +Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des Aufstandes +der nach Antiochos' Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre +Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in grausamer +Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen, sondern +Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im roemischen +Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den zweifelhaften Sinn +des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes ein +gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste +getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen +wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus +ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen +Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter desselben war +uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier +in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie nicht, fest an Rom +zu halten und die makedonische Partei, die es wie allerorts so auch +in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch 585 (169) ihnen +erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist die +Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor +der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier +und im roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht +laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel +und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich +weigere, Frieden zu schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen +seien, auch zu diesem Ende bereits mit Kreta und mit den asiatischen +Staedten ein Buendnis abgeschlossen haetten. In einer Republik mit +Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese wahnsinnige Intervention +einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, als man in Rhodos +den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den +Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus +Marcius, jener Meister der "neumodischen Diplomatie", im Lager bei +Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen +Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand +ersucht hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit +und Eitelkeit taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich +verloren, man haette gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den +Vermittler gespielt - Verbindungen mit Perseus spannen sich an; +rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie +sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel +groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die +wundersame Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber +die gute Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. +Ein kriegslustiger Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die +Kriegserklaerung gegen Rhodos zu beantragen. Umsonst beschworen die +rhodischen Gesandten einmal ueber das andere kniefaellig den Senat, der +hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des einen Verstosses +zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei +auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren +Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche +Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen +haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu +strafen und ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die +Roemer sich alles erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten +wuerden. Seine Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den +Rhodiern ihre Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag +von 120 Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die +Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr +nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen +Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die +Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis +dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank +in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber +waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und +kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. +Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 +(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber +machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. Mit Syrien und +Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war Krieg +ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der +Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der +syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von +Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte. +Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die Steuern der +koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und war das Recht +auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste der Tod der +Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die Rentenzahlungen +aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu sein; allein +auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit gern, um das +traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung Aegyptens, +waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch einmal - +es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm +guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor, +der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten +und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der +syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in +welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet +seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. Es +gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen, +sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm +deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle +den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig. +Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten +ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich +miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie +er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der Schlacht von Pydna +(586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius Popillius, ein harter, +barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des Senats, alles Eroberte +zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu raeumen. Der +Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe +einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis +ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach +seiner Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der +er war, die Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den +Triumph des Paullus zu parodieren. Aegypten fuegte sich freiwillig +in die roemische Klientel; aber auch die Koenige von Babylon standen +hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre Unabhaengigkeit gegen Rom +zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so machten die +Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten Versuch, +sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend +fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das +barsche Wort eines Diplomaten entschied. In Griechenland selbst waren +als Verbuendete des Perseus, nachdem die boeotischen Staedte schon +mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter zu strafen. Auf +geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig Ortschaften +in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, 150000 +an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die +Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die +Athener, die fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu +spielen, nicht bloss Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern +sogar sich nicht schaemten, um die oede Staette von Haliartos zu +petitionieren, die ihnen denn auch zuteil ward. So war etwas fuer die +Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die Justiz. Eine makedonische +Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch ganz Griechenland +die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus' Heer gedient hatte, ward sofort +hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des Koenigs +oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner +konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos +zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren +Patrioten unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so +weiter aus der Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, +wobei man nicht so sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten +den Prozess, als die kindische Opposition der Hellenen mundtot zu +machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben, +bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, erklaerte der Senat, +ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der Untersuchung, endlich +rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien bleiben wuerden. +Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich gehalten, +Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der +aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die +Dinge einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der +ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig +zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es +deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 +der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen +zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess +es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen Landesgebrauch +durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber man darf +glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes +italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen +Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder +Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht, +sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im +roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten Ausbrueche des +Parteihaders zu beseitigen. Es waren hiermit die hellenistischen Staaten +saemtlich der roemischen Klientel vollstaendig untertan geworden und das +gesamte Reich Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner +Erben Erbe geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von +allen Seiten stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck +zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt +wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf +ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen, +liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den Nutzniesser, +die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches betrachte und +dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig lassen +wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien +aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem +Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat +gefuehrt ward, und huldigte den "rettenden Goettern". Da er so sehr +veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und +schenkte ihm die Flotte des Perseus. Der Augenblick wenigstens fuer +solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der Schlacht von Pydna rechnet +Polybios die Vollendung der roemischen Weltherrschaft. Sie ist in der +Tat die letzte Schlacht, in der ein zivilisierter Staat als ebenbuertige +Grossmacht Rom auf der Walstatt gegenuebergetreten ist; alle spaeteren +Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des +Kreises der roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte +Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen +Senat den obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz +zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und +Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom +verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu +entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem +grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber +auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der +Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine +Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen +Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu +halten. Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und +Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus +ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln, +wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte +ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Fuesse stellen; +weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine +bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue +Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber +sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem +Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese +Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie +den Dienern, sondern es erwies sich auch das roemische Protektorat mit +seiner undankbaren, stets von vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit +als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines Systemwechsels und +der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten in der ihnen +moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich +schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der +makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere +Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen +Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie sozialen +Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die Nordgrenze notwendig +einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, endlich die beginnende +Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind +ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten in +Untertanen Roms. Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den +von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung +durchmessenen Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs +als ein von unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter +Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung +sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene +Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates +sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen +aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden +Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit +Unrecht hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte +Urteil als eine geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist +offenbar fuer jede nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische +Regierung waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte +als die Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht +uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus +Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl, +den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich +ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich Asien +in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende +jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit +unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet, +dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen +gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu +allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem +Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als zu denen mit +Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch einen +unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der +bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der +Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg +sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse +Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung +Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der +halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen, +schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug. +Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago, +teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel; +Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass +sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall +ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen gewaltigen +Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt, +sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten +Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu +entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen +Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel +gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde +auf der staatlichen Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt +kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und deshalb war jede Nation, +die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu +zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch +unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch +auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige +Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts +verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, +Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, +dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des +Altertums haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und +dass alle am letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen +an Italiens Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss +doch die geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht +die militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern +die notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums +ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden, +sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich +erfuellt hat. 11. Kapitel Regiment und Regierte Der Sturz des Junkertums +nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter +keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen worden, dass die +Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne +noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb +des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte, +so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in +den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten +senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit +der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der +buergerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und +die derselben entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt +worden, wie jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte +und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit +den letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die +Anfaenge dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte +Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere +Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege +gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozess +mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte dem Auge. +Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und unvermerkt +denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue +roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue +Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und +langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich +geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren +historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe +tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung +zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen +Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen +fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der +Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht +gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der +Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Droehnen +und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen. Die +roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit +des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen +hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, +von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran +schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, +dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal +an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer +erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder +bei Todesfaellen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzufuehren; +wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung des Bildes nach +italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die +roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden +ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng +ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und +ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen +sich an: der goldene Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene +Pferdeschmuck der Juenglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und +die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - geringe Dinge, aber dennoch +wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche Gleichheit auch im +aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend des +Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im +Gefaengnis gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz +auf dem Haupte oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen +moegen teilweise schon in der Zeit des Patrizierregiments bestanden +und, solange innerhalb des Patriziats noch vornehme und geringe Familien +unterschieden wurden, den ersteren als aeussere Abzeichen gedient +haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher erst durch die +Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt wohl +schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat +gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung +hinzutraten. Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den +Gemeindeaemtern, woran diese erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, +weder die niederen noch die ausserordentlichen noch die Vorstandschaft +der Plebs gehoere, sondern lediglich das Konsulat, die diesem +gleichstehende Praetur und die an der gemeinen Rechtspflege, also an der +Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet +^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes +sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den +Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht +zu sagen von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne +Zweifel weil laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich +eine solche Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen +Gesetze kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt +einen Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen +Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich +koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und +ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem +Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss +eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in +der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und +musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern +und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals +beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte +sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern rang +nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die wichtigsten +Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus +Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln. +----------------------------------------------- ^1 All diese Abzeichen +kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst wahrscheinlich nur der +eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer +Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der +Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt +nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im fuenften +Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon +jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von +Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von +dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der +Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, +der anfangs nur den Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen +der Ritter, spaeterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch +schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen +der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene +Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit +des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der +ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), +wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. Der Purpurstreif +(clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so +dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen; +mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. ^2 Plin. nat. +21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward durch +Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das +unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute +jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde. +^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer +Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere +mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen +Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches +Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular +Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die +plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den kurulischen +Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass +sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward. +----------------------------------------------- Die rechtliche +Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des +weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch +gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution +von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den +Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den +Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts +gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den +Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von +ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhaengiges und in +gewissem Sinn sich selber ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt; +denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl +zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der +Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser +Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus +dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft +noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng +aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen +Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren +drei Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch +namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten +und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die +Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, +zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung +in demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der +Nobilitaet. Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht +unwichtigen Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft +entwickelt. Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte, +sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade +wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der +Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu +jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen +Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde, +welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden verfassungsmaessig ebenfalls von +den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die Ritter nach militaerischen +Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle durch Alter oder +sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr +Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise den +Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und +ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf +vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen +ansehnlichen Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr +Pferd liessen. Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, +dass der Senator dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So +wurde es denn wenigstens tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den +achtzehn Ritterzenturien stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben +vorwiegend an die jungen Maenner der Nobilitaet kamen. Das +Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch die effektive +Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der Legionarreiterei, +als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen +Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk +mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen +Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und +Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man +wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend +des Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit +den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und +weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine +ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung +der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte dem +Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der +Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss +ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb. +----------------------------------------------------------------- ^4 +Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 +die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht +haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten +aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; +jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu +erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst +von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle +Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den +Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme +einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die +Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die +Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs, +endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. +Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich +zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. +243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, +sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser +sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und +durchaus nicht nach Livius' Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) +und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, +s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet +zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige Bestand der +roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also +die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil uebertragen worden +durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen +Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden ja auch schon +der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und +der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238). +Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde +auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben +vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die +geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden +bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage +derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen +Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht +trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser +geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit +fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem Pferd +pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse; +sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter +und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. In +der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das +erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des +Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte +Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als +solche die Ritterbenennung weg. +----------------------------------------------------------------- +Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen +Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den +Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem +zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine +Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien; +und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin +liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und +Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch auf +Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und nicht +nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie +ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu +verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es +sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren republikanischen +Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs in erster Reihe +stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich durchaus +nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen +aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt +und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn erschien; +warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in +dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner +Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, +als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige +Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser +Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die +Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich ruecksichtslosen und +formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die gerichtliche +Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204) +verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur +sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr +wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus +notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- +und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem +Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt +werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat +zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig +vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren, +ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das +Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz +der blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man +ab. Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die +Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf +Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem Interzessionsrecht +des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen +Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, indem eine +dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht +machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher +Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam +gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen. In dieser +hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur +gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das +Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung +in ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die +Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig +wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die +Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert +haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig +abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor +verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der +eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen +unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, +im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer +die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika +(527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu +summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende +Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die +materielle Unzulaenglichkeit der roemischen Magistratur. Unter den +von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie +fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der +bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten +am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der +Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe +der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich +von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt +und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der +Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache +nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom +Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es +weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen +jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier +ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden. +Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den +Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom +Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von +der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen dabei +zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen +wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung +der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl +von Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das +Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den +jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn +hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig +eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden +des demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen +Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen +Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) +es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu +suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu +ueberlassen. Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem +die Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war +dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name +werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl +zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur +Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche +nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, dass das +Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217) +fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon +nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die +Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende +dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um +Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge +zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen +einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst vorgeschrieben; +aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass +die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Waehlerschaft +das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen Faellen sich ueber +jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den Angehoerigen der +regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der Eintritt in +den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und geringeren +Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden +sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen +Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der +Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat +und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und +Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehoeriger +Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger +derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die +in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des +Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten +erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten +derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, +Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen +zurueck auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des +Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden +ist. Die Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch +die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein +aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht +laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die +Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht +wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der +kurulischen Haeuser sich bewegten und ein "neuer Mensch" nur durch eine +Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag +eine gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen +Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der +Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, +insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von +dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der +Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust +rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die +roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in +der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm +und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, +dem konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des +Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre +Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der +aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen +Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen +war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst +kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller +Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den +gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit +reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von +ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und +Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich +ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit +war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der +Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne +Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des +Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit +den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders +zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und der Nepotismus der Flaminine +war womoeglich noch unverschaemter und aergerlicher als der der +Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte in der Tat weit mehr +solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius +Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne +Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio +mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat +gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur +zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die +Republik. Man war schon dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm +gegen die Familienregierung und ihre Konsequenzen in einem streng +oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das ist der Grund, +weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie opponierte, +zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot. +------------------------------------------------------ 5 Die Stabilitaet +des roemischen Adels kann man namentlich fuer die patrizischen +Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten deutlich +verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit +Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide +Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat +bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den +varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten +Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt worden und sind +fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561, +565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln +und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den Geschlechtern: + +Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener (366-254): +(253-173): 16 patrizische Kollegien + +Cornelier 15 15 14 + +Valerier 10 8 4 + +Claudier 4 8 2 + +Aemilier 9 6 2 + +Fabier 6 6 1 + +Manlier 4 6 1 + +Postumier 2 6 2 + +Servilier 3 4 2 + +Quinctier 2 3 1 + +Furier 2 3 - + +Sulpicier 6 2 2 + +Veturier - 2 - + +Papirier 3 1 - + +Nautier 2 - - + +Julier 1 - 1 + +Foslier 1 - - -------------------------------------------------- 70 70 +32 + +Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit +der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne +wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch +Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis +zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen +Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes +auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier, +Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in +der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor. +------------------------------------------------------ Von diesem +allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel das +Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog +in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche +die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet +worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte +die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen +Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen +den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment +verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie +sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und +feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und der +daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der +Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu +beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in vieler +Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit den +grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden roemischen +Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht uebersehen werden, +dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit +schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die +Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen +fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die +entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat. +Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, +was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; +und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr +eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich +nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in +dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen +und die Gunst der Menge durch strenge Worte und ruecksichtslose +Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und +alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel +Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des Herrenstandes +hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, als er zum +Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art +sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze +voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer +den faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun +nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. +Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum +wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. +Unzweifelhaft war es auch, im grossen und ganzen genommen, den +ohne Ausnahme tief zerruetteten hellenischen, phoenikischen und +orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich +ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie +die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der +Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, +sondern gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen +Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher +erzaehlt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und +wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls +Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) - um seinen +Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele in der +Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische +Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit +eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang +selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war +es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht gestellt ward, +sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren +strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im Theater einluden, +seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich war er der Bruder +des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten Koteriehaeupter +des Senats. Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser +Epoche eher zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war +zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom +nicht - stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen +Gebietes, welche es zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575 +(199, 179) an der kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros +in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben +Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen +Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es +nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten +roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da +indes die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe +zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese +Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die +Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von +dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von +Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert +noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern +es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen +Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das +von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und +an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation +von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten; +wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle +entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen +spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu +den Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu. +Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr +bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem +Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. +Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die je auf +einmal in die roemische Kasse gelangt ist. Indes ward diese Zunahme +der Einnahme durch die steigenden Ausgaben groesstenteils wieder +ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl +ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- und +andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; +auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der +schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch +manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die +verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem +gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten +der Beamten in den Provinzen, von ihrer ueppigen Wirtschaft aus +gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem +beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die +Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den +Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man +ungefaehr danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, +von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, +weil die Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die +Kasse bestehlen wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die +kontrollierende Behoerde sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, +wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland +stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen +in der Hauptstadt und sonst auf oeffentlichen Grund und Boden +uebergegriffen und das Wasser aus den oeffentlichen Leitungen zu +Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses Blut, wenn einmal +ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie +zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten +oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der +Gemeinde gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen +der Roemer eine merkwuerdige Weite. "Wer einen Buerger bestiehlt", sagt +Cato, "beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und +Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt." Wenn trotz dessen, dass das +oeffentliche Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von +Beamten und Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, +wie selten in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland +kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; +wie der roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort +hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland +der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen +aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, +dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch +viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht +wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das +allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten +in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem Barbestand des +Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen finden wir in +Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkuenfte +verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich gewesen zu +sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die +Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die +Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung +der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher +Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten +hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) +verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des hauptstaedtischen +Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen) +angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehoert, was +von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach +stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren +Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen +zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue +Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die +letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie +anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze +Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler +in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. Allein bei den +ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter +nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen Staatskasse +zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit +als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen +Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die +roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber +die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glaenzendes +Gesamtergebnis. ----------------------------------------- ^6 Die Kosten +von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen +worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es +muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die +Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2). +----------------------------------------- Am bestimmtesten tritt der +veraenderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen +und ausseritalischen Untertanen der roemischen Gemeinde. Man hatte +sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die latinischen +bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die roemischen +Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser +Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon +fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen +war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung +fand und diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) +Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In +Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer +Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege +aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im +Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren +Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und +ganzen betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt +gelten. Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der +Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den +Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu +namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet +gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen +Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen +geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen +Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die +in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus +diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen, +hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. Die Stellung +der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher angedeutet +ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil +veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel +Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle +dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr +bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem die meisten +mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der +bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung +der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren +Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und +Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen, +wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000 +samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie +Fregellae uebergesiedelt seien. Dass die Latiner, das heisst jetzt +die wenigen noch ausserhalb des roemischen Buergerverbandes stehenden +Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich +gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der Herniker, +und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt +noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie +im Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten +Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr +und mehr von der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen +Bundesgenossen gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt +soviel Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des +Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen +verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und +den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk +577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit +den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des +ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten +Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei +Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger +je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den +latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die +Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche +Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde +zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache +Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der Buerger +der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behoerden +ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die Unmoeglichkeit, +unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu leisten, +veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der +Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die +Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger +schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland +angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des +latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin +nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast +regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende +Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183) +begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche +mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig +ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577 +184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war +offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen +Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten +wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen +Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren +Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung +bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht +zu vertauschen. Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, +der Eintritt in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. +Das aeltere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen +einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch +uebermaessige Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr +zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet. +Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die +Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche +entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf +das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden +gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung +Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische +mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht +nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses +erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in das roemische +Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die latinischen +Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer einzelne der +bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen Nichtbuerger ^7. +---------------------------------------------- ^7 So wurde bekanntlich +dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der Buergerkolonien +Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das +Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach +bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben, +wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten +Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch +haeufig dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der +Gruendung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in +dem jedesmaligen Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an +eine beschraenkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48). +---------------------------------------------- Diesen tatsaechlichen und +rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der italischen Untertanen +kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht +abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im +Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert +und, waehrend die Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch +Uebergaenge zu vermitteln bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall +die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Bruecken abgebrochen. +Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke +sich absonderte, den oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog +und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die +Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber +und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus, +waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil +ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte +die Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die +Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch +die Liberalitaet seiner Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt +selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung +der Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert +auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu +eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes +Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden +des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen +Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte +Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den +Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die +bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten +Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms +zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden +begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig +wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten, +zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten, +ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass ferner +in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen eine noch +gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung +und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern +zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung innerhalb +der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren +Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen +Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung +bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die +Furcht hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach +der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen +Gemeinde zwei Maennern das roemische Buergerrecht und Sitz im Senat +zu gewaehren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht +abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals +in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis zwischen Latium und Rom +blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien +getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten +Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert +sein wuerde. Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese +Epoche in das roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich +diejenige, welche am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der +bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere +roemische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die +ueberwundenen Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft +oder in der roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis +zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und +die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen +in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren +frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen +einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das +Verstaendigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete +lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also +die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und +organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man, +wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriss. Es war das Hemd des +Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfaenglich die +Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht +eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und +Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als +man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die +Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es +weit weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, +als darauf, dass man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht +verwandelte; fuer den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel +nimmt oder gleich den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf +dem Fuss. Das neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von +Voegten, deren Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, +sondern auch mit der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich +war. Wie die roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des +frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt; +wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen +Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der +Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und +Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in +den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener +begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er +von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher +sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten +desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage, +dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von +ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der +Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre +altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende +ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und +Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten +unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter +und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens +den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen +nachdruecklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter +ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man war durch die karthagischen +Voegte und syrakusanischen Herren nicht verwoehnt und sollte bald +Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der +gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklaerlich, +wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit +der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge +nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das +Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den +roemischen Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen +lagen so sehr in der Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum +ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um +so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz +festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der Vogt ganz +reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der Sieger +von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt. +Die ueble Sitte, dem Amtmann "Ehrenwein" und andere "freiwillige" Gaben +zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und +mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; schon Cato musste in +seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, diese Hebungen zu +regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und ueberhaupt +der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie +Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das +wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und +seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung +des Heeres oder bei anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen +Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg +gemissbraucht, dass auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583 +(171) die Feststellung des Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den +Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste +in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die +masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus +fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie +ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, +offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der +roemische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen +die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhaengigen +Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das zeigen die Raubzuege des +Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in +Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte +kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen +Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen Willkuerregiments +fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz. +Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr +als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der +Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst +dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so +war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen +ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste ein Volkstribun kraft der ihm +zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an +das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der +die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der damaligen +Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen. +Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes, +und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete +Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar +verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines +Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch +Klagen von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden +Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld +befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern +und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das +Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast +gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten +freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und +Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher +getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden +es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; +und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der +Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine +Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um +den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den +Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber +wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige +Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der +Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und +gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten, +sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen +von Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen +Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. +Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten +die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen +meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft, +wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich +fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der +roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen +straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; woraus +denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht +unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie +sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur +den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten +Verwaltung liegt in der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht +der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es +vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten machte die Schlaffheit und +Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts +wegen haetten die Voegte einer weit strengeren und spezielleren +Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die italischen +Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo das Reich +grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert werden, +durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze bewahrte. +Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie +souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden +Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine +der spaeter erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation +der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als +bedenklich. Der roemische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und +im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen +Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsaechlich +unabhaengig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin gefuehrt, +sein und seiner Administrierten Interesse von dem der roemischen +Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem +persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in +der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im +Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den +Weg wieder zurueck in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl +Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. +Auch die Regierung empfand es, dass die beiden fundamentalen Saetze +die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der +Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Haenden +zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung +neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der +Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus +den Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so +zweckmaessigen Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr +deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden roemischen +Staatsmaenner vor der hier gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist +nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilitaet entwickelte sich +weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der +Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger +Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch +ungehemmten stetigen Fortgang. Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf +als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese +gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss +der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite +Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als +die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die +Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf +dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische +Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu +schildern. Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht +dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert +werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige +Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten +und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen +fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das Glueck der +Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem Grade +geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede +Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der +gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze +Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber +beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige +Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch +in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl oft +geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in buergerlicher +und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie, +mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der oeffentlichen +Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch +ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den +Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen +Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter +Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist +schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische +Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, +die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an der Westkueste +noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses +Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, Praeneste, Signia, +Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den +italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische Vollbuergerrecht +besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der juengsten +Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und eine +sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, +gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora +et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der +Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die +Zwecke der Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher +schon erwaehnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, +teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen +und transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer +staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde +wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen +politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz +allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer +Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was +sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche +Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen +weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam +hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser +Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in +den Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in +neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass +allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische +Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie +diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr, +die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen +Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung +und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst +werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte +voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit. +hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und +geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche +die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber +zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende +Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in +letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch +die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche +Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die roemischen +Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle gespielt. In +der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn +sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei +der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher +die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und +kuemmerlich auslaufende Opposition. +------------------------------------------------- ^8 In der bekanntlich +zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden +landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Eroerterung +der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach Rom +gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer +einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der +Gegend domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich +daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der +Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden +Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern +entschieden wurden. ------------------------------------------------- +Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel +formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur +Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. +Seit unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine +Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von +denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen, +wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder +verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, +und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der +Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht +bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus +den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der +Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand. +Die Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete +finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten +Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen +Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten, +jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in +Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei +ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. +Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 +204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten +regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der +Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der +Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche maechtige Konkurrenz der +abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem selbstaendigen Mittelstand +machte. Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in +der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst +nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen +beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich +fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in den +Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges +vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen +Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und +den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern der +Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als +die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden +Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso +unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. Aber es wirkten +nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines +hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet +noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch +denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere +Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu +haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass +unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette zeigen duerfen; +aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die Gunst der +Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten, +namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die +Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich +die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot +umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder +die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde +stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen +roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, +machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Aedilen +moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das Getreide zu +Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, dass die +Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch habe eben +keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu. +Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr +und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische Demagoge von +Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und einen +zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen +Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes: +"plebejische Spiele" hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft +haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man +weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der +Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur +wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der +Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes +Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren der neu aus +Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter hinzugefuegt. Es waren +dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges - bei der ersten +Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem Spielplatz weg +zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie +war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie +nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch +deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man +es tadeln, dass die Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure +Opfer zumuten musste, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal +nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam +noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora +hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der +Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln +- so die kurulischen Aedilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der +Goettermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das +Ceresfest, der staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag +damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht +zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat +waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer +Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die +Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation +fuer die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen +Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele +einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche +steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul +in Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige +"Leistung" (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. +Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die +Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die +Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges +Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte +gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn +verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, +sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr +hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die +Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe +heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus, +warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie +aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen +Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten +Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits +durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr +an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der +Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein +unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner mit +Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass +auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu +geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr, +da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die +Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen, +nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes +aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen +Doerfern wegwarf. ------------------------------------------------- ^9 +Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen +Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius +(p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus +gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 +(216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so +wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen. +------------------------------------------------- Wie sehr die +Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter diesem +Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den +Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise +offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische +Krieg (576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft +vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer, +ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten +ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. Auch +hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des Hannibalischen +Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die +Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten +Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) +stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren +als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um +die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen. +Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten +Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen +nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen +gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des +Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel +aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in +offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten +verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die +Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste +es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche +vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat +oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem +Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein +Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, +um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen +Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen +waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den +Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens 5000 Feinden das +Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter durch falsche +Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den vornehmen Haeusern +manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld +dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur +Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers +einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische +Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 +194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste +nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der +Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien jedes Verdienst eine +bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494 +260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, wenn er abends durch +die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackeltraeger und +ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des +Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer eine +Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange +genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den +gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden +Zunamen zu schoepfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama +begruendet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder +den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen liess ^10. Dem +Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es +nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und +dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte +man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten, +wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken +zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht +bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, +sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn +freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den +Senatorensohn von dem gemeinen Buerger, den Sproessling eines +kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator - und das in derjenigen +Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das Werk der buergerlichen +Gleichheit war! ------------------------------------------------------- +^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist +das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von +Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in +aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen +Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus +gleichartig. ------------------------------------------------------- +Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der +Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den +lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt +die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig +trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch +notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern. Die +Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person +des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte +Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem +Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster +des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht +wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen +Mittelstandes gegen die neue hellenisch- kosmopolitische Nobilitaet. +Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der +wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in +die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem +rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich +entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter +Flaccus' Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den +Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum +Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten +Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen +Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama +durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient +und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich +als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. +Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und +schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis +des roemischen Rechts und der roemischen Verhaeltnisse, seine +unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten ihn zuerst in +den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in +der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war, +zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. +Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen +Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er +daran gesetzt, dem einreissenden Verfall redlich, wie er es +verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem +fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist +Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene Augen +habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser +Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich +gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den +Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch +seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser +Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, +aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der +kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Bueberei +und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und vor allen Dingen +der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen +des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten +als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren +sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht +mit Unrecht, ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und +ausser dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer +von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen +aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator +und dem Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern +seiner vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister +vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und +allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich +gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er +oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden +neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose +Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich +den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener +unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt +worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie +maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige +Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den +ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen +niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen +Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und +im voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende +Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen +beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der +Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und +derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest +stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der +Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste +gestrichen wurden. Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen +Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie +achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, +konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile +zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz +oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so +ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen +der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und +seinem Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten +Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Faellen +durchgaengig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato +gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die +Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschraenkung des Luxus +und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in +dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in +der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. Bei +weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden +Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von +neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz +einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten +Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den +Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl und in bedeutendem +Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der +picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die +Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die +umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem +Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona, +Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, +Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem +die meisten dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei +zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens +durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender +Bauernstellen und ueberhaupt der freien italischen Bevoelkerung, +anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum +besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in +Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato +und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische +Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab +nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht +taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen Mannes. Verwandter +Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der +Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen +Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht +gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der +Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht +Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu +sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die +roemische Regierung zu dem gluecklicherweise verunglueckenden Versuch +bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu +rekrutieren, die Milderung der fuer den Dienst im Buergerheer bisher +geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300 +Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die zwischen +4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen +und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der +Minimalzensus fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt +und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als +sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten +Freigeborenen in das Buergerfussvolk miteingestellt. Diese vermutlich +dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehoerenden +Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische +Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten +doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit +den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und +sodann auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht +setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas +zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus +entsprang eine der wichtigsten Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die +Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in +demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende +ging (513 241). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den +Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des +Appius Claudius, allein die Ansaessigen gestimmt, aber doch die +Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das +heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Hoechstbesteuerten, +das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens 100000 Assen +(2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden +Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung +entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden +Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung +unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben +war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der +Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das +Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch +das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die Wichtigkeit jenes +adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal +in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf die +Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der +eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die +gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- +und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis +582 172), diese noch ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), +lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefaehrlichsten +Moment, den die roemische Republik erlebt hat, in der Krise nach der +Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des +nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der +durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines +Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich +charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das +Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen +ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine +etwa durch das Los aus der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, +sondern ausschliesslich auf die erste Klasse ueberging. Diese sowie +ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze +nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, dass der +Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das +Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward. +Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze +bei dem allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine +Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der +Abteilungen blieb gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie +gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den +193 Stimmzenturien allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der +reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt +und dadurch bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite +Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche +Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen +Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind +die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer +Tribus angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben +werden musste. Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus +eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, +und waehrend sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier +staedtischen Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der +Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell das gleiche +Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der +Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die +Landtribus eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der +Zenturienversammlung gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die +reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, dass von den 70 +Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach +die nicht ansaessigen Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher +Weise muss auch in den vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern +das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die +bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im +Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen +Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im +Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei, +den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius +Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen +Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. +Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit +ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige +Verfassungsaenderung, die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann, +der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht +teils in der Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in +der Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits +der Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung +der Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden +Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, +Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung der Buergerschaft +erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die Tributkomitien gebracht +und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen +wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch ueblich war, +um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen +Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht +ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in +der praktisch haeufigeren und wichtigeren Kategorie der +Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner Geltung +gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz +zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen +Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der +Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser +Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden Stimmordnung +nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die +gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht +verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist +sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, +dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen +Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. +Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform noch die frueher +schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten roemischen +Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die +Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der +Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu +beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern +sich gleichzeitig breiter und tiefer zog. +----------------------------------------------- ^11 Ueber die +urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas +Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus +der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen +in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von _, , , 1/9 stehen. +Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren +Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint +hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch in Beziehung auf das +Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu Denar) in +Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen Muenzwesens, S. 302). +Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussaetze +in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht des +leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat +er dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese +bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte +die spaeteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der +Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der +Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben wuerde. Gegen +beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; doch scheint +die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der +demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften Jahrhunderts +noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen Massregel +wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung +verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen +uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen +Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach +die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im +Wert gewechselt haben wuerden. +----------------------------------------------- Fasst man zusammen, was +von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie +dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes +und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem +uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet unzweifelhaft +patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu einem +gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres +politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille +der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und +kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in +die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im grossen und ganzen zu +bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese +sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der +Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit +ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig +dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen +mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und den grossen +Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer +Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu +haben. Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit +emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche +Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt +das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der +Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine +freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne +auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen +anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem +Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen +und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; +zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als +Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer +ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, +diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor +allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so +hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und +Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die +wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. +Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 (217) +hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren Institut den +Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter +dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem +Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch +in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar +Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der +zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer +staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne +foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit +ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem ein +fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr wuenschenswertes +Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das Eintreten der +Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in der +Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen +hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward +dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene +Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich +ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten +gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach +Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, und damit einen +dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand herbeizufuehren. Daneben +dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in +Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise +sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten +Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem Herkommen +selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Koerperschaften +ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur +Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht +bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die +Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen +Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der +republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch +nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung +der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus dem Schosse dieser +Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde ueberging; wobei +ueberdies noch, mit echt roemischer formaler Goetterfurcht, um ja nichts +zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, also nicht das +"Volk" den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung war das zunehmende +Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche Fragen aus +dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher +gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom +Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher +die Wahlen der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; +hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss +von 537 (217), wodurch das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren +Generalissimus und seinem populaeren und ihm im Lager wie daheim +opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen +Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft verfuehrte tribunizische +Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher Kriegfuehrung (545 209), +welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt +zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung vor dem +Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren +Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den +Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste +Bekleidung eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer +Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den +Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von +der Buergerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch +eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, der Buergerschaft +wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte +Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); hierher +das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch +Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und +Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber +weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; +nicht bloss, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde +durch jeden Angriff auf das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: +die ausschliessliche Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil +die Unterstellung der wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, +der Aufteilung der Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der +Buergerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die +Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt in den eigenen Beutel +hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, sondern der +Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft und +gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche +Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie +zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, +durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste +aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem +er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre +522 (232) an die Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem +Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte +zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt; +aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach +zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als +Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber +regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung +eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa +bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische, +administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats +und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in +unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu +machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der +beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige Rolle +zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke zugeteilt ward, +so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei +dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht +der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine +Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche +in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen +gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel +die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar +oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. +Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen +konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine boeswillige +Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen +Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel +in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten Schaedigungen +und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus sich +verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte +den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der +Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich +ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus +und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen +Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines besonderen +Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem naechsten +Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. Im Staate wie in +jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch +schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung +schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der +Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. +Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren +zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um +sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, +denen gegenueber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu +gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, im Weinhaus +Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen +strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen; +daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen +Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen +in Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am +Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung +gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene +unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und +begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten +Recht war. Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde +selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich +entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der +verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der +einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten +Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als +das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus +einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung +des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut +von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? Das +Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die +Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch +die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die +scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen +sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. +In der Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und +Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. +Gaius Flaminius galt den Staatsmaennern der folgenden Generation als der +Eroeffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und - +setzen wir hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution +hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, +der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in +seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf +die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet +bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die +Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, +und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und +niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der +Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, +liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als +der erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen. Die +Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, +wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an +Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite +dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen +geschah von seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen +Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritaeten noch +wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die Parteien trennte, +noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die schlimmsten +Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte, +so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis auf das dumpfe +Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Daemmen +arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und selbst +diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz +und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich +genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft +zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es +Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren +Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, erschien die +Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als +das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille +vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmaessigkeiten, eine +Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham +fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische +Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem +alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald +sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu +einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und +es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude +einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die roemische Verfassung formell +so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den +Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darueber hinaus; aber +die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall nicht ein Zeichen +der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der +Vorbote der Revolution. 12. Kapitel Boden- und Geldwirtschaft Wie mit +dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen pragmatisch +zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten auch +in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer +Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die +Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise +und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden +liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- +und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich +der Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende +Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die innere +Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen Verhaeltnisse +hier zusammenfassend zu schildern. Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder +Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato +entworfenen Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt. +------------------------------------------------ ^1 Um uebrigens von dem +alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es notwendig, sich +zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die neuere +Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen +nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der +Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der +Reis ward in Italien zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst +zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln +und Tomaten stammen aus Amerika; die Artischocken scheinen nichts +als eine durch Kultur entstandene Varietaet der den Roemern bekannten +Cardonen, aber doch in ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu +sein. Die Mandel dagegen oder die "griechische Nuss", der Pfirsich oder +die "persische", auch die "weiche Nuss" (nux mollusca) sind zwar Italien +urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig +Jahre vor Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie +in Griechenland aus dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge +des uralten kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den +Orientalen, ward in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus +gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte +wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben wie heutzutage, als +Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten +sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am +Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt +zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist; +noch juenger vielleicht die Aprikose oder die "armenische Pflaume". +Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in Italien +kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder +dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika +die Aloe (Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von +Arabern gebaut worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem +neuen, nicht dem alten Italien eigen. Wie man sieht, sind die mangelnden +grossenteils eben diejenigen Produkte, die uns recht "italienisch" +scheinen; und wenn das heutige Deutschland, verglichen mit demjenigen, +welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt werden kann, so ist +auch Italien in nicht minderem Grade seitdem "suedlicher" geworden. +Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet, +durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte +ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte +Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward, +wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer +diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital +in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut, +sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der Maximalsatz des +Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von zwei oder +drei Landguetern gedacht worden ist. +------------------------------------------------ Vererbpachtung ist der +italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft fremd; nur bei +den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit, +sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter +alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die +Haelfte der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und +Notbehelf; ein eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht +gebildet ^3. Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den +Betrieb seiner Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich +selbst, sondern erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den +Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und +seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward, +teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich +nach Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen. +--------------------------------------------- ^2 Nach Cato (agr. 137, +vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug +des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen Verpaechter und +Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen ausgemachten Teilen +geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst die Analogie +des franzoesischen bail a cheptel und der aehnlichen italienischen +Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer +Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das +fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis +neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; +er ist nicht Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener +Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt. +^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen +Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu +erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine +Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3). +------------------------------------------------------- Von Getreide +wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut; +daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter, +Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der +Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die +Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die +Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur +Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie +haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer +wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und +der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf +eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und +andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, +teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, +Ulmen, Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den +Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur +ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch +kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der +heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des +Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der +Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung +von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur +gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe +nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens +auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide +Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; +haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen +grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde +einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von +Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen. +Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -, +Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis +gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und +ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter +so unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung. +----------------------------------------------------- ^4 Dass zwischen +den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens leicht im +Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137) +hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen +anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die +Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, +9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man +auch zwischen diesen Getreide. +----------------------------------------------------- Die Feldarbeit +ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die besonders +zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch +ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man +zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig +waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 +Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer +Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos +Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das groessere vier +erfordert. Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. +An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der +Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft +und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen +Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin +(vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag +besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein +Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, +ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der +Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne +Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches +mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 +Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte +und drei Hirten gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich +mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen +kommen ein Pflueger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand +natuerlich freier als die uebrigen Knechte; die Magonischen Buecher +rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato, +ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht +gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu +erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. +Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, +sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch +wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden +waren, mit anderem Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das +Wirtschaftsgebaeude (villa rustica) war zugleich Stallung fuer das +Vieh, Speicher fuer die Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der +Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes +Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der +Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des +Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann +auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft +wurden und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber +beschafften; so monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu +mahlen hatte, ferner Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und +Oel. Die Quantitaet richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel +der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes +Mass als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die +Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war +nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder +einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf +die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. +Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich +von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer +dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht +verwandt, ausser in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft +fand, den Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu +verwenden, und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden +Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm +man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem +Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, +das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische +Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte +einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel +einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, +gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht +einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen +besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig +verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig +und liess den Kaeufer die Einbringung besorgen. +--------------------------------------------- ^5 Mago oder sein +Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven nicht zu +zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und +ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der +Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es +nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato +(agr. 2) ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, +8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der +Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen +werden, ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil +des regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst +betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf +aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte +charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche +Dienerschaft (familia urbana). ^6 In dieser Beschraenkung ist die +Fesselung der Sklaven und selbst der Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) +uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten +Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, statt des +Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt +die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv +von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung +(Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die +Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als +eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), +ein Kellergeschoss mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus +mit der Hand zu erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein +notwendiges Stueck des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich +dies dadurch, dass die Lage der Gutssklaven haerter war als die der +uebrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen +wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass +grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten +liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin +angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden +Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber +Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie +sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde +gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. +Berlin 1856, S. XXXI). ^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht +ausdruecklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in +der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der +Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten einzurichten, und am +wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die Trauben +auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147). +--------------------------------------------------- Die ganze +Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit +der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter +Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu +freundlich gegen seine "Mitsklaven" sein. Man naehrt gehoerig den +Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil es nicht +wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie +die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden sind, weil +es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu behalten. +In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier mildernd +eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest- +und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer +den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die +Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache +nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings +ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten +Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu +beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet +- der Sklave, lautet einer von Catos Wahrspruechen, muss entweder +arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche Beziehungen die Knechte +an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht einmal versucht. +Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, und man +machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. "Soviel Sklaven, soviel +Feinde", sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer +Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu +unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles +und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, +davor, Sklaven gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um +nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte +herbeizufuehren. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von +den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die roemische Gemeinde die +Untertanenschaften regierte in den "Landguetern des roemischen Volkes", +den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, dass der herrschende Staat +sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn +man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des Denkens +emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das +darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das +Lob der Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und +Soliditaet nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt +sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, +der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich +ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt +zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den +Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber +sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist, +nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen +Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert +und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den +Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben +bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu +wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der +ist ein schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er +auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei +Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass +das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag +tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber +der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst. +Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl +sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist +zum Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also +zuvor Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in +allzu frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse +Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der +rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig +die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar +bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte anzueignen, +wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten +griechische, afrikanische und spanische erscheinen. +---------------------------------------------- ^8 Columella (2, 12, 9) +rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und +damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der +heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen +Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die +Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella +auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig +das wandelbare "Saatfest" (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. +1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und +sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden. +---------------------------------------------- Die Bauernwirtschaft +war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur verschieden durch den +kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine Kinder arbeiteten +hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich +zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und seiner +Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten +zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen +groesseren Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- +und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und +gaben sehr reichlichen Ertrag. Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr +ins Grosse getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste +auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum haben als das Ackergut +- man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das +Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen +Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die +Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon +in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf +denselben Pfaden, die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und +im Herbst wieder zurueck von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide +indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem +Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog +Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den Gutsbesitzern, +Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu liefern; +auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber +und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens +von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft +und war im ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister +(magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer +ueber kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern +hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter +Schuppen und Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die +kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und +ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei +der Gutsmannschaft geschah. Um die oekonomischen Resultate dieser +Bodenwirtschaft einigermassen zu wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse +und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich +sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld +der roemischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht +so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche +Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der +italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt +worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des +ueberseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den +Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine maessige Verguetigung +der roemischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an +Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und +der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art +abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch +es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es +sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen +Kriege wurden die roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne +unterhalten, und wenn dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil +gereichte, so verschloss sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer +den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, +welche laengst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt +hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im +Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der +Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich +groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten, +und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches +Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu +erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu +ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich +oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon +in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf +Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs +Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die +Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8 Groschen) abgegeben; einige Jahre +nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides +zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst +eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie +mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr +haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung +oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren Getreidegesetze +geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht auf diesem +ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drueckte es auf +den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, die +der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel +von diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem +Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich +war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge +der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- +und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis +ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der Transport aber +des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens +ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien, +Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im natuerlichen +Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen +und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die +leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen +waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen +Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es +scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des +ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem +in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet +Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Verguenstigung +gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den +Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das ueberseeische +Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen +dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher +Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische +Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 +Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot +preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii +(= 17 preuss. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner +Ausserordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen +andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst Sizilien die Kornkammer +Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Haefen das +sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den +reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und +Lombardei zahlte man zu Polybios' Zeit fuer Kost und Nachtquartier im +Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der +preussische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3 Groschen). +Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen +Normalpreises ^9, zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es +der italischen Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und +infolgedessen das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet +war. ------------------------------------------ ^9 Als hauptstaedtischer +Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das siebente und achte +Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den roemischen Modius +oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer heutzutage +(nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und +Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt +wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und +der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des +Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden. Uebrigens +duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der spaeteren +Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies +heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten +von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten +Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege +der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, +44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; +214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5 +Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der +Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend +und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen +auch heute noch sich wiederholen. +--------------------------------------------- In einem grossen +Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu ernaehren +vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht +unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, +wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache +war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der +wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich +das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die +schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich +wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfaehig die +Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das +duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu ernstlichen +Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber in +jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher +sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede +Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten +sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben +in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, +und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die +Griechen zu emanzipieren und die republikanische Koenigskontrolle zu +besorgen - so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein. Seit +der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war +die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich +auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die +sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen +Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen +Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den groesseren +Grundbesitz aufgehen wuerden. Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer +imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger +als jener, wenn er sein Land nicht nach dem aelteren System an kleinere +Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte +bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher geschehen +war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen +Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven +ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner +sich eher durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den +Konkurrenten gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren +Bodenrente sich begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz +mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. +Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten +des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das +Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint +^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. +Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens +die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das +italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen +Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein +Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit +Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die +oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. +Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in Grundstuecken +angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien; +was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren durchschnittlichen +Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen +bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten +der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am +wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer +jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen +und auf ihrem naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse +reichten an sich schon aus, um allmaehlich an die Stelle der +Bauernwirtschaft ueberall die Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem +Wege der Gesetzgebung ihnen entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war +es, dass man durch das spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz +(kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser von der Spekulation +ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang, +vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst die alten +Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen +ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem +Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie +als die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb +im grossen erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem +Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht +die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges +Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl +und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; +wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den Eigentuemer +wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon an, gutes +Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu verwandeln - was +die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht um diese +Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen +der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da +regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich +grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen +auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich immer unsicheren Besitz +bedeutende Bestellungskosten zu stecken, namentlich Reben und Oelbaeume +zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man diese +Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte. +------------------------------------------------- ^10 Darum nennt Cato +die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum) +und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss Wein und Oel, +sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren freilich die +800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit +Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten +alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von +8 culei fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); +allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, +dass der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun +zu muessen, bevor die alte verkauft ist. ^11 Dass der roemische Landwirt +von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, laesst +Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag fuer Kosten und +Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen +folgende Kostenberechnung aufstellt: Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen +Kaufpreis der Arbeitssklaven auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen +Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen Verlorene Zinsen waehrend der ersten +zwei Jahre 497 Sesterzen Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler. Den Ertrag +berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65 +Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes +ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, +die Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, +Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. Den +Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf +hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf +weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von +25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem +hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr +als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der +Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als +gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen +vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht +ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten +machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. Alle diese +Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. Von +ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser +rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. +2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich +nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide +zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die +Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte +Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem +Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch +noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde Taetigkeit und +Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt +als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des +Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in +absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der +infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. +Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. +Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun Bestandteile in dem +Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter saemtlich wiederkehren. Von +dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch, +dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr +zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von +dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins +empfaengt. ----------------------------------------------- Von der +roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende +Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus +dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die +bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. +Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht +weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, +sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation, +deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige ueberall +zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmaennische +Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den Roemern nur +aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der Durchfuehrung +und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, dass +der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten +wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart. +Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das +Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den +Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen +Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers +(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der +Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten +auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt +und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland +ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit +vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die +Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die +kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und +Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon +im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden. +Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. +Das System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den +ganzen roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine +komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen +eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder +Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig +in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die +Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und +der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die +saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva +vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und +nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. Welche hervorragende Rolle in +der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische Handel bereits +frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren +Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende +Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. +Ausser den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, +durch die die Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe +noch kuenstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die +herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die +wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Roemern und Latinern +vertragsmaessig zustehende Zollfreiheit. Dagegen blieb die Industrie +verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich, +und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu einem gewissen +Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen +Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an +Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem +starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit +der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine +Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien +bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande +mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs +gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie +gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog +hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und +milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation. +----------------------------------------------------------------- ^12 +Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon +aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie +spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei +Plut. Cato mai. 21). +----------------------------------------------------------------- +Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf +ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst +den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge +dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden +Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon +in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten +Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren, +doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen +Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die +Haende zu geben. Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen +Zweigen erfolgte durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der +Bankier richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und +Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die +Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte +fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven +und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte +sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder +Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte +oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum +Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren +auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen +kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Gross- oder +Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich +durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage +dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgaengig +unguenstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den +letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen +ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie und +faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und +eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese +Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem +Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster +in die Reihen der roemischen Buerger und nicht selten zu grossem +Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens +ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens +beigetragen haben. Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der +gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und +in seiner Art nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von +der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht +nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, +in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne +gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen +Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die +Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den +Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt +voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen +Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge +der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze +beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens +neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald +ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso +rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in +Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere +Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die +spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. +Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, +ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im +westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und +etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und +Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im +Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art +unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber +durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre +Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, +den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der +Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen +begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte +nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische +Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen +Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die +Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis +hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des +Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare +roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht; +dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des +internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die +roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen +von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des +Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran +fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber +zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse +angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht +auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in +der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder +ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel +fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die +edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals +also nahm das Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, +wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr +derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp +und Alexander dem Grossen zum Goldcourant uebergegangenen Osten. +------------------------------------------- ^13 Es lagen in der Kasse +17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, 18230 Pfund +gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war +1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91. +---------------------------------------------- Der Gesamtgewinn aus +diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen Kapitalisten floss +ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins +Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an, +sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr +gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten +oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den +Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms +gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso +entschieden wie seine politische und militaerische. Rom stand in dieser +Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie heutzutage +England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren Scipio +Africanus sagt, dass er "fuer einen Roemer" nicht reich gewesen sei. +Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefaehr +danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000 +Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass +eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie +erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines +vornehmen Maedchens angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses +Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im +Vermoegen hatte. Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische +Geist sich der Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht +neu in Rom -, dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen +Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der +Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu +werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein +Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. "Einer Witwe Habe mag +sich mindern", schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten +Lebenskatechismus, "der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige +ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher +bei seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat". +Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird +jedes auch ohne irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft +respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische +Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil +das Klagerecht zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen +ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt +Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt +einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht. +Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in +allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von +Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden +in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften, +wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens +besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische +Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische +Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder +ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn auch in jedem +wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab +-, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten Willen aus der +Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben +bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne Testament gewesen sei. +Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den kaufmaennischen +Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen +Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt +nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei +Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als +sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen +geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt +galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in +Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den unbescholtenen gegen den +bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien +fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet +tritt namentlich in der scharfen und immer schaerferen Auspraegung +des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche +Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht +bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle +mit oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine +andere Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz +ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte +(amici) sich untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, +Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten +bestimmten Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung +und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass +es unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage +selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der +Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des +Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch +die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche +Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem +Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung +gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller +Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer +solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette +war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf +rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden. +----------------------------------------------- ^14 Darauf beruht die +Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt +die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. ^15 Die +Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer +den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des +Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte +Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen +Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener +Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese +kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, +der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber +verschwunden. ---------------------------------------------- Eine der +wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer +fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine +Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch +besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der Regierung, +ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei +dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl auch der +groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, dass +nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften +diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser +Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden +sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische +Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen +Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16. +Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem +Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche +Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum +unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als das +sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch +Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer +von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt +kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war +aber ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen +Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu +spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff +mit seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern +Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum +fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte +groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische +Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen +Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem +vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese +kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie +eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios' Zeugnis +kaum einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller +Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und +um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil +seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken +gehabt haben. ---------------------------------------------- ^16 In +dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der +Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: +"Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand +zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer +verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort +als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein +scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm +bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit +welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu +jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den +Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt." Dass der +Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, +wird stillschweigend vorausgesetzt. +--------------------------------------------- Auf allem diesem +aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht noch +merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in +dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen +Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, +findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen +der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. Bei der +einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie +konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen +Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche +bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine +toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag +durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende soziale Abgrenzung +der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach unten hin ist +nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, anscheinend +gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut und +Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, +fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand +nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem +respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem +Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber +und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine aehnliche Schranke das +von Gaius Flaminius veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), +welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum +Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich +auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt +ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter "Spekulation" +(quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den +Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen +Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen +wollte, dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte +machten; es kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie +spaeter so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache +gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der +Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur +sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege +genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser +Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht +offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und +der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite +gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit +dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen. +----------------------------------------------------- ^17 Liv. 21, 63 +(vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung ueber die +Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem +Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. +94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius "jede +Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward", so hat +das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht. +---------------------------------------------------- Eine weitere Folge +der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige Hervortreten +eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und grossen +am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster +Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der +Handel bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der +Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, +welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern +nach Ariminum und den anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit +Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des +Silbergeldes in das Keltenland von der roemischen Regierung untersagt. +In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, +Karthago musste die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. +Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms +Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und liess +den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, +notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen - +besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte +und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der +Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste +Burg der roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen +zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen +Kleinstandes enthalten war, verkuemmerte unter dem unseligen +Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des +leidigen Freigelassenenstandes bei. Aber vor allem zehrte die tiefe +Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem +Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- +und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil +der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in +jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der +instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des +wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen +verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpoente +gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem Lustspiel dieser Zeit: +Wahrhaftig gleich eracht' ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; Wenn +jene feilstehn insgeheim, tut ihr's auf offnem Markte. Mit Kneipen die, +mit Zinsen ihr, schindet die Leut' ihr beide. Gesetze gnug hat eurethalb +die Buergerschaft erlassen; Ihr bracht' sie, wie man sie erliess; ein +Schlupf ist stets gefunden. Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet +das Gesetz ihr. Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der +Fuehrer der Reformpartei Cato sich aus. "Es hat manches fuer sich", +heisst es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, "Geld auf Zinsen +zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also +geordnet und in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, +der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus +man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der +Zinsnehmer von ihnen erachtet ward". Der Unterschied, meint er anderswo, +zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man +muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen +Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine +strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande +hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt +seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten +mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich +rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute, +sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel +der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer +Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die +Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer +war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu +ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu +geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato +war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. "Wenn unsere +Vorfahren", faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, "einem +tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen +tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, +schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich +fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und +Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die +tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie +dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich +abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken". Von sich selber +pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei +Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und +wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemaess +war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der +Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers gegolten. Leider +ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche Wahrheit, dass +dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel +der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der +Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der +Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der +Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie +war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum +fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art +gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den +arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die +Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die +Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in +Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet +taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte +Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; +und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die +senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem +Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise +das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der +zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum +wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der +erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und +menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf +Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen +Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und +nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und +verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. +Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die +Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. +Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und +vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er +schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht selten +gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato beschriebene +vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten +Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien ernaehrt +hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig groesstenteils +unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende +Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis +zum Verwechseln aehnlich. --------------------------------------------- +^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer +in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war +nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in +Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch +Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter +Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das +Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein +verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu +den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften. +------------------------------------------------- Das Gesamtergebnis +dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten Bevoelkerungsverhaeltnissen +nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen +Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der +Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser +Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so +schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode +die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und kraeftige +Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es wohl +moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur +Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der +sogenannte "gallische Acker" durch die Aufteilungen des Domaniallandes +in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche +Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg +mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren +Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien +Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile +des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten +und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den +abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen +hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer +Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und +Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, +zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fuenften +Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung von 529 (225) war +es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als die saemtlichen +latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem roemischen +Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein +der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die +Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, +obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch +uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin +wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. +In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier +angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die +schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen, +im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz und waren +die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern kleine +Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet +ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne Bevoelkerung +von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden +Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um +hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von +Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten +Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen +und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem +verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen +doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten +Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und +Polybios stimmen darin ueberein, dass Italien am Ende des sechsten +Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende des fuenften bevoelkert und +keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten +Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung, +die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen +herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von +ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die +roemische Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte +im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus' Zug nach Afrika, 298000 +waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des +Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Koepfe, also um +ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben +Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel gesunken; und +ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine ausserordentlichen +Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der +grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren +ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer +wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode +gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische +Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel ein +verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken +der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von +landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch +aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben +wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien +und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den +Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier +recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher +gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre +569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, auch mit +dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt +und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien +mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196, +und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und Praeneste +Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte ueberrumpelt zu +werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und loeste +die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und +Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege +mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft +dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen +Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel +ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand +sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber erschreckend und +beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils wohlmeinenden und +tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht einmal die +Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen +Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen +Adel, die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten +Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, +eines Tages auf dem roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es +laut vor den Umstehenden aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder +an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlass der +Buergerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und +sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch +nichts als der schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit, +womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und +Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man +liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger +und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen +bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. 13. Kapitel +Glaube und Sitte In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben +und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die +allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und +Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen +Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein +Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in +guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat +seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch +sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht +der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher +Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die +Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die +Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen +Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien +zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht +wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir +ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. +Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen +Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche +Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber +gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass +er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch +in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen +Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen +Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist +eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die +Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: +"Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius +Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause". +Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und +der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des +Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend +den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann +folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, +die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, +dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, +die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher +gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet +oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs +getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben +gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der +Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in +hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste +Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, +so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht +geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis +staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm +gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der +Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren +Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem +Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und +goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag +dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm +bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten +Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter +der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne +Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter +ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, +Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde +die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen +herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des +verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die +Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines +jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst +Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. Man mag das +Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette +freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis +in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber +selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie +zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet +dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem +gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen +Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter +fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln +und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen +Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen, +um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. Aber man war jetzt an einem +Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien +beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es +auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren +Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem +Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte +hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche +Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen +Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen; +wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache +und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen +bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in +seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing +an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und +vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und +wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die +deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht +haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu +bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit +brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat +der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas +Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den +hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte +wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr +humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete +vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem +geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten; +und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging, +uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den +Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch +Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. +Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich +gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der +italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie +bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben +gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine +Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus +fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei +ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. Es +gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf +der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die +politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche +Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch +frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische +Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die +Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche +beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend +gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die +Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die +letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem +Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum +Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in +griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern +legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den +freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe +griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz +dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass +die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber +Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht +zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer +sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der +Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale +Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt +zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, +durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die +hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll +betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen +uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische +Kunst. --------------------------------------------------- ^1 Dass +Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und +seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; +wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich +dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. +Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Asiagen/e/s. +wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber +nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten. +---------------------------------------------------- Aber der +eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen +Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens +und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen +werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich +bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen +Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen. Wie der alte einfache +Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten +die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen +Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste +mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass +er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und +opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine +Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht +aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus +lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der +Menge willen sehr zweckmaessig seien. Aber wenn man in Italien noch +besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale +Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu +verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung +des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen +Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der +oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, +sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen +Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im +Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und +Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones) +hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch +ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein +jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und +Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale +Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer +Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben +nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen +sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie +fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit +mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und +ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen +zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie +heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, +namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten +Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben +und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast +betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast +zu werden - "Erbschaft ohne Opferschuld" ward bei den Roemern +sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns "Rose ohne Dornen". Das +Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar +Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot +abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten +unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen +wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten +(stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und +Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne +Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in +der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und +Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: Gleichfalls, +Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag Fuer die Kuesterin, +fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; Saehst du nur, +wie die mich anguckt! Eine Schand' ist's, schick' ich nichts. Auch der +Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. Man schuf zwar in +dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen +Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie +in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz +der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen +Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es +auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft +und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene +beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den +alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der +Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum +Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel, +dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern +genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes +Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal +hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch +Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder +vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, +als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu +sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In +dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre +Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der +Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen +Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu +befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb - +freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der +Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche +werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt +werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und +Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit +geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum +eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene +Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener +und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen +Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios' +Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren +Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die +hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden +Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse +der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu +schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende +Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu +durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel +durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen +Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber +nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung +der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische +Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des +alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) +ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben +hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die +Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese +Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, +in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion +wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der +Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion +lieferten die "heiligen Memoiren" des Euhemeros von Messene (um 450 +300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das +wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern +umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im +Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch +gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die +Geschichte von Kronos' Kinderverschlingung erklaert wird aus der +in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften +Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und +Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes +Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort +die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des +ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und +der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven +Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische +uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit +gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen +und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war +ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese +Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der +ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen +Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. So ging es mit der +alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen +Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem +Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer +Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, +neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der +Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern +die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders +den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens +in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst +begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch +aehnliche Erscheinungen - so die praenestinischen Spruchlose und in +Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der +hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und +seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies +und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die +Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die +Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. +Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden +billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man +war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige, +bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene +Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen +aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben +als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen +Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren +schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit +bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme +der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter +der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten +bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen +muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer +Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den +die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden +freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde +eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis +unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender +Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende +Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der +Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der +Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch +streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten +(Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger +zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste +Apparat der "Grossen Mutter", diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze +unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer +Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus +bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom +wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein. +Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich. +Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der +scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine +geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen +griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein +Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz +Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten +Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde +hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, +grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die +Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu +werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte, +dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich +absehen lasse. Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso +unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen +Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der +hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. +Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, "dass er ohne +Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich +darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem +Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei +einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem +Chaldaeer". Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, +das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist +ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen +Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt +Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren +Anhang: Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack, +Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, Wollen +andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, Schenken Schaetze +dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. Aber in solchen Zeiten +hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes +Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden +polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders +konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des +verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch +512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das +Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich +verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die +Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens +nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte, +die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen +zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen +Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen +hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die +Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der +aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme +auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des +Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem +neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch +davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist +es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch +Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, +erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den +Behoerden eingeschritten ward. Wie nach der Vorstellung der achtbaren +Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein +sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns +von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als +Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war +und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein +guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche +Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus +verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. +Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer +gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf +es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven +wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu +Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum +Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der +Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit +dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder +in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die +Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei +der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute +Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines +seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit +auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern +nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel. +Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte, +putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; "ueberlaestig und +hoffaertig sind die Frauen alle" - meinte der alte Herr - und "waeren +die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos +sein". Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und +Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen +da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der +Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst +deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, worin das +Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft +und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei +dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend +moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche +Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, +habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort +in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter +umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. +Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner +mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz +getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete +der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und +lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost +ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, +wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und +ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben +musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm +Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum +lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen +und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten +Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass +er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, +seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze +Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein +Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben +eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge +Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr +kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 +Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den +Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe +Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse +(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der +Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder +nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von +Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf +dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und +wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu +einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder +die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch +unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, +dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk +getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. +Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte +er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und +getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer +die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und +Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem +Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit +und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. So lebte der Mann, der den +Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger +galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der +griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas +grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen - +wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: Nichts ist an der fremden +Sitt' als tausendfache Schwindelei; Besser als der roemische Buerger +fuehrt sich keiner auf der Welt; Mehr als hundert Sokratesse gilt der +eine Cato mir. Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich +aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete +Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird +geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen +als zu mildern. Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller +Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft +um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, +gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, +welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der +Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein +paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich +ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) +schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich +im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle +Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von +seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl +zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste +Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die +Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete +Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen +gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft +ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig +nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose +Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt +fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit +zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch +Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die +Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der +Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge +des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von +Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den +Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten +Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich +zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst +willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden +Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso +wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche +und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur +Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon +an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, "die +Herrscher der Welt zu beherrschen"; in der Buergerschaftsversammlung +war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen +Statuen roemischer Damen. Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und +Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition +nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, +wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und +seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. +Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem +Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) +gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die +bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago +(559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts +uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). +Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich +figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die +sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat +fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die +dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal +am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck +(prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die +Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. +Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber +beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession +besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. +Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten +Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward +notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und +Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die ersten +Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen +Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden +ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische +Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in +Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein +mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den +roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben. +Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde +verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in +Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage +nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der +Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken +ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das +"griechisch Trinken" (Graeco more bibere) oder "griechen" (pergraecari, +congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft +nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, +solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen +einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends +um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu +lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den +Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her +entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend +dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, +abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien +beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein +einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest +bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses +Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies +daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten +megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni +das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese +bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, +bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand +diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter +denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391), +die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem +die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines +der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten +Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert +wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten +Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten +Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), +unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); +beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des +fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen +Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte; +und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle +zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der +Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb +dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente +mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste +bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter +dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der +Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren +zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten +doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren. +Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 +186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen +wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von +zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser +Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie +nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum +laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; +jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, +und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst +nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um +toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu +dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und +Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im +Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse +vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch +auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius +Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem +Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die +Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss +untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten +keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei +es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie +es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von +Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht +unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum +dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem +Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe +in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden +Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man +von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und +gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft +wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten +zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder +einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere +Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen +waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo +die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien +durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren +miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. +---------------------------------------- ^2 Eine Art Parabase in dem +Plautinischen 'Curculio' schildert das derzeitige Treiben auf dem +hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser +Anschaulichkeit: Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen +finden moegt, Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen +wuenscht Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann. +Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick' ich Dich. +Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. [Reiche wueste +Ehemaenner sind zu haben im Bazar; Auch der Lustknab' ist zu Haus dort +und wer auf Geschaeftchen passt.] Doch am Fischmarkt sind, die gehen +kneipen aus gemeinem Topf. Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem +untern Markt, In der Mitt' am Graben aber die, die nichts als Schwindler +sind. Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; Mit der +frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus Und doch liefern +wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. Unter den alten Buden sitzen, +welche Geld auf Zinsen leihn; Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen +schlecht bekommt; Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten +feil; Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch, +Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin: +Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. Die eingeklammerten Verse +sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars +(570 184) eingelegter Zusatz. Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, +woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und +Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. +Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den +Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben. +------------------------------------------------------- Schon verdarb +nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten, +sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu +demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, +fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe +von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem +menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr +Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und +kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch. Selbstverstaendlich +hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische +Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer +begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter +Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; +das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen +(120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 +Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und +nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat +in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit +unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg +fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die +Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum +Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer +ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die +Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu +geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. +Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu +schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung +und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und +Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher +Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere +wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren +gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die +Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit +abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige +kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. +Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss +arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es +nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der +Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller +Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe +von zweifelhaftem Wert. 14. Kapitel Literatur und Kunst Die roemische +Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei einer +anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu +wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die +Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. Alle geistige Bildung +geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer Rom. In einer +Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Buerger +in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist, +bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den +Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten +zu muessen, hat man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der +Muttersprache von jeher grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich +bemueht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die +griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien +allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen war die Kunde der +allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation laengst haeufig +gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung ungeheuer +gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem +Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon +sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft +aber, die zu einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder +Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen +bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich +der hauptstaedtischen Bevoelkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann +man sich ueberzeugen, dass eben der nicht vornehmen hauptstaedtischen +Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verstaendnis das +Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands +Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der senatorischen Familien +aber redeten nicht bloss griechisch vor einem griechischen Publikum, +sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul +577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben +in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher +Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen +noch weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in +roemischer Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der +"grosse Feldherr der Aeneiaden" brachte den griechischen Goettern nach +griechischer Sitte mit griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar +^2. Einem anderen Senator rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen +Trinkgelagen griechische Rezitative mit der gehoerigen +Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe. +---------------------------------------------------------- ^1 Ein +bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera, +nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, +morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum +Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu +gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen +bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im 'Wilden' (1, +1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter eingefuegten +Verse heisst: phron/e/sis est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch +griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der 'Casina' (3, 6, 9): +pragmata moi parecheis - Dabo mega kakon, ut opinor; ebenso griechische +Wortspiele, zum Beispiel in 'Die beiden Bacchis' (240): opus est +chryso Chrysalo; wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von +Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro +ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen +wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im 'Bramarbas' (213): euge! +euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! Ei die Tenuere! Holla, +seht mir den Farceur da, den Akteur! ^2 Eines dieser im Namen des +Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: Dioskuren, o hoert, +ihr freudigen Tummler der Rosse! Knaben des Zeus, o hoert, Spartas +tyndarische Herrn! Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche +Gabe, Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. +---------------------------------------------------------- Unter dem +Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische Unterricht. +Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der +elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich +zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den +Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem +Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die +Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht +sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in +sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche +aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss +aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. +Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und +geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in +einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn +gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter +den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der +Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach +Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch +mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck; +und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht +griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder +Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche +Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich +in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der +Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien +unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten +Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische +Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die +klassische Literatur, namentlich die 'Ilias' und mehr noch die 'Odyssee' +zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze hellenischer Kunst und +Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker +da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des Unterrichts ergab +es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein hoeherer +Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende +allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass +die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den +Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen +Tragoedien und die Lustspiele Menanders. In aehnlicher Weise gewann auch +der lateinische Unterricht ein groesseres Schwergewicht. Man fing an, +in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu empfinden, die +Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch +wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; +und auch hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die +Griechen. Die oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, +wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den +Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Haende von +Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen +oder Halbgriechen ^3; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das +lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen +nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit +tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den +lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer +die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete +Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal +gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man +dem Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders +zu genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, +welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf +den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage +in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die +lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor. +--------------------------------------------- ^3 Ein solcher war zum +Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer +fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20). +--------------------------------------------- Aber leider fehlte es +zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und +schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine +lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war +in Rom nicht vorhanden. Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der +roemischen Volkslustbarkeit ist frueher dargestellt worden. Laengst +spielte bei denselben die Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen +waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch +durchgaengig nur einmal, am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage +wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden +diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel; +die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, +waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich +nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten +standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent +des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu +Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in +Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; +dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres +Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen +Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim; +allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom +Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den +Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war; +und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem +Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe +und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches +Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man +wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. Auf diesen +Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war +damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht +auf der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die +Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem +die roemische Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das +Gemeingefuehl und das Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von +ihr erdrueckt und musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der +Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. +Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die +hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, +stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum +steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf +griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch +roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst +gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den +aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher, +und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide +Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch +antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war +dem Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags +ein Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in +dem roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen +Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und +keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche +Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig +exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer das +Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die +wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil +sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen +und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber +gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das +ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der +erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen +Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich +belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar +politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie +der Maitre de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im +engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben. +Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere +Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 +bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius +Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den +anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers +von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein +Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils +der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen +er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermoegender +Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so +aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich +seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung +des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des +Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und +Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im +Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging +hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er +die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem +lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu +Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste roemische Schulbuch seinen +Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler +schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst, +sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie +oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch +wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen +Buehnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), +ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, dass das erste +Schauspiel auf der roemischen Buehne aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung +eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie in roemischer Sprache und +von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war geschichtlich ein +Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die +Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als +Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um +so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene +Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes +schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original +sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung +hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwuelstig, die +Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was die alten +Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule +abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand +nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend +fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur +und buergerten die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur +hinsichtlich der Dramen geschah und die Livische 'Odyssee' vielmehr in +dem nationalen saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund +offenbar, dass die Jamben und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie +weit leichter sich im Lateinischen nachbilden liessen als die epischen +Daktylen. -------------------------------------------------------- ^4 +Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des +Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. ^5 In +einem der Trauerspiele des Livius hiess es: quem ego nefrendem alui +lacteam immulgens opem. Milchfuell' ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt' +ich ihn. Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) O?d' ara Kirk/e/n ex Aide/o/ +elthontes el/e/thomen, alla mal' '/o/ka /e/lth' entynamen/e/. ama +d? amphipoloi pheron ayt/e/ siton kai krea polla kai aithopa oinon +erythron. aber verborgen Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern +gar hurtig Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun +Brot ihr und Fleisch in Fuell' und den tiefrot funkelnden Wein her. +werden also verdolmetscht: topper citi ad aedis - venimus Circae: simul +duona coram (?) - portant ad navis. milia alia in isdem - inserinuntur. +In Eil' geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. Zugleich vor uns die +Gueter - bringt man zu den Schiffen Auch wurden aufgeladen - tausend +andere Dinge. Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als +die Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum +Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch +laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von aidoioisin ed/o/ka +(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist +auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe +der Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden +Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er +gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht +eigentlich Muttersprache gewesen sein kann. +---------------------------------------------- Indes diese Vorstufe der +literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. Die Livischen Epen +und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht, +gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser +Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden +Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine +lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich +ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen. +Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das +Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein +stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; +in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der +jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen +Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit +Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte +oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die +Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt +dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer +die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund +(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der +Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss +abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich +mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen +frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze +beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht +geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward, +den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte. +--------------------------------------------- ^6 Zwar wurde schon +575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am Flaminischen +Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom, +S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. ^7 Noch +599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga +zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. +O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig +1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen +Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes +Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. +E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle mitgebracht +oder sich auf den Boden gesetzt haben. +--------------------------------------------- Das Publikum war nichts +weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Staende sich nicht +von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter der Stadt +scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei +denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, +wurden zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem +Buerger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, +und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen +sein, als wie man sie heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und +Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es denn auch nicht allzu +ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier +und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die +Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag +und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute +zu wirken. ---------------------------------------------- ^8 Frauen und +Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen worden +zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp. +12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von +Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, +Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, +abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben +den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet. +Aug. 44). ---------------------------------------------- Durch +die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die +Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten +kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal +in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. +Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; +der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der "Schreiber", der +Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der +an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch +vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste Weise +zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich hielten +sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der Direktor +der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel +zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre +Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt +werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein +Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem +Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern +ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das +Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von +Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in +Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie +bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein +einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen +Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der +Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische +Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch +sich entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die +attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im +ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man +nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu +entfalten vermocht hat. ---------------------------------------------- +^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine +Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. +229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, +nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen +der Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber +Preisgerichte und Preise ist entscheidend. Dass an jedem Tage nur ein +Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die Zuschauer am Beginn des +Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende nach Hause gehen +(Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben Stellen +zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur Mittagszeit +wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer Rechnung +etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches +Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. +Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer +"ganze Tage" im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer +spaeteren Zeit. ---------------------------------------------- In +der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie +ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des +gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass +diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, +aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass +unter den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein +Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen +I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den Stuecken, +welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und damit +fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der neueren +attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter Philemon +von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen +(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische +Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig +geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen. +------------------------------------------ ^10 Die sparsame Benutzung +der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt geschichtlich nicht +in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte menandrische +Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede Spur. +Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon, +heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber +auch die neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht +abzusehen, warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf +diese naechstliegenden Dichter, vielmehr auf Rinthon und die +aelteren zurueckgegriffen haben sollten. +------------------------------------------ Die Stuecke sind von +ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie sich darum, +einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch des +Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und +sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck +geht regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte +Bediente, der die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei +liefert, waehrend der Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert, +ist das eigentliche Triebrad des Stueckes. Es ist kein Mangel +an obligaten Betrachtungen ueber Freude und Leid der Liebe, an +traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor Herzenspein sich +ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die Verliebtheit +war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch der +Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander +unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und +Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen +pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das +Maedchen selbst als die abhanden gekommene Tochter eines reichen Mannes, +demnach als eine in jeder Hinsicht gute Partie. Neben diesen liebes- +finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum Beispiel unter den +Plautinischen Komoedien der 'Strick' sich um Schiffbruch und +Asylrecht bewegt, das 'Dreitalerstueck' und 'Die Gefangenen' gar keine +Maedchenintrige enthalten, sondern die edelmuetige Aufopferung des +Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den Herrn schildern. Personen +und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer Tapete bis ins +einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den Apartes +ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit +irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden +Masken, deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, +sieben Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, +der Dichter nur auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die +schablonenartige Behandlung. Eine solche Komoedie musste wohl das +lyrische Element in der aelteren, den Chor, wegwerfen und sich von Haus +aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation beschraenken - mangelte ihr +doch nicht bloss das politische Element, sondern ueberhaupt jede +wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine grossartige +und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch +verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der +Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere +Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die groessere +innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche Verschlungenheit +der Fabel unterschied, als besonders durch die Ausfuehrung im Detail, +wobei namentlich die fein zugespitzte Konversation der Triumph des +Dichters und das Entzuecken des Publikums war. Verwirrungen und +Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, oft +zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel +die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut +aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren +und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser Zeit in +Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden Unterhaltungstoffe +hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien aus. Die Dichter +derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes fuer eine grosse +Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie andere geistreiche +und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, in Rebusraten und +Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch kein Bild +ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung +derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst +daran erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen +von Alexander und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso +elegantes wie treues Bild der gebildeten attischen Gesellschaft, +aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals heraustritt. Noch in dem +getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir sie hauptsaechlich kennen, +ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt und namentlich +in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, dem +Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und +selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als +in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die +freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann +und Frau, Herrn und Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen +Krisen sind so allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre +Wirkung nicht verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der +'Stichus' schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und +der Eintracht der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner +Art von unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die +eleganten Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz +und im bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser +noch auf der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die +Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie +deren eine im 'Curculio' auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter +Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen +Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig +besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge +und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige +gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme +Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen +den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen +zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und +da begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die +Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister, +der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das +impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr zahlreichen +Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der Spassmacher +(parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des Reichen +mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen, +auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat +- es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es +auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus +seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte +Rollen sind ferner der Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu +renommieren versteht, sondern auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; +der freche, zu jedem Laster sich mit Vergnuegen bekennende Bordellwirt, +wovon der Ballio im 'Luegenbold' ein Musterexemplar ist; der +militaerische Bramarbas, in dem die Landsknechtwirtschaft +der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der gewerbsmaessige +Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der +feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen +mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der +Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie. +Die nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten +Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die +Seelenmalerei ist hier doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich +nachempfunden und um so mehr, je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft +poetischen naehert - es ist bezeichnend, dass in den eben angefuehrten +Charakterrollen die psychologische Wahrheit grossenteils durch die +abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der Geizige hier die +Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als verschwendetes +Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und +ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren +Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten +Nation. Das spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, +Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, +Poesie, Historie und Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener +nichts uebrig geblieben, als die Schule, der Fischmarkt und das Bordell +- es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, wenn die Poesie, die die +menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt ist, aus einem solchen Leben +nichts weiter machen konnte, als was das Menandrische Lustspiel uns +darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die Poesie dieser Zeit, wo +immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen den Ruecken zu +wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu verfallen, +sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest +des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus' +'Amphitryon' weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als +in allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die +gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus +der Heroenwelt, die possierlich feigen Sklaven machen zueinander den +wundervollsten Gegensatz und nach dem drolligen Verlauf der Handlung die +Geburt des Goettersohnes unter Donner und Blitz eine beinahe grossartige +Schlusswirkung. Diese Aufgabe der Mythenironisierung war aber auch +verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, verglichen mit der des +gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden Lustspiels. Eine +besondere Anklage darf vom geschichtlich- sittlichen Standpunkt aus +gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein +individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner +Epoche steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem +Volksleben waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um +den Einfluss dieser Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu +beurteilen, notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener +Feinheit und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche +zwar Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen +Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die +grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der +Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie +Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der +eigene Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit +einer gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche +Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke staffiert +sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige +Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit zugedeckt. Es +gibt Stuecke, wie die Plautinische 'Dreitalerkomoedie' und mehrere +Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven hinab eine +Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von ehrlichen +Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend womoeglich, +von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden Liebhabern; moralische +Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind gemein wie +die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in 'Die beiden +Bacchis' ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter zu +guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine +voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis. Auf diesen Grundlagen und aus +diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. Originalitaet ward +bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern wahrscheinlich +zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der +betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die +uns bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als +Nachbildung eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert +zum vollstaendigen Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und +Verfassers mit genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die +"Neuheit" eines Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob +dasselbe schon frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt +nicht etwa bloss haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende +Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach +benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist +und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. +Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch +der ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische +Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer +vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch +"Auslaender" (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male +vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal +die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten +Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung, +wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse und +sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne Zweifel +durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die Verlegung +solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die neuattische +Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen Epoche +wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte +gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig +von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat +abhingen, und selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel +die Leichenspiele, nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da +ferner die roemische Polizei ueberall nicht und am wenigsten mit den +Komoedianten Umstaende zu machen gewohnt war, so ergibt es sich von +selbst, weshalb diese Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen +Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die +Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland verbannt blieb. Noch +viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend +oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf +die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und +nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht +zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den +bei dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen +Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen +abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende Hohn auf +die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und merkwuerdigerweise +verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das schlechte +Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den Plautinischen +Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der +Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu +den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher, +gegen Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu +haeufigen Triumphe, gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter +Geldbussen, gegen pfaendende Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der +Oelhaendler, ein einziges Mal - im 'Curculio' - eine an die +Parabasen der aelteren attischen Komoedie erinnernde, uebrigens wenig +verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben auf dem roemischen +Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal patriotischen +Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: Doch bin ich nicht +naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, Da die Obrigkeit da ist, die +sich hat zu kuemmern drum? und im ganzen genommen ist kaum ein +politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als das roemische des sechsten +Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein +der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn +er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so sind +doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von +Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter +anderm sich heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen +zu verhoehnen, sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu +richten, deren Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: Jenen +selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, Dessen Taten +lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, Den hat nach +Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. Wie in den +Worten: Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, so mag er +oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, wie +zum Beispiel: Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch +ruiniert? worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet +ward, zum Beispiel: Es taten neue Redner sich, einfaeltige +junge Menschen auf. +----------------------------------------------------------------- ^11 +Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich +ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner +(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern +tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der +pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher +damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten +natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment +fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). ^12 So schliesst der Prolog der +Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die hier stehen moegen als die +einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen Krieges in der auf +uns gekommenen Literatur: Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und +siegt Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. Bewahret eure +Verbuendeten alten und neuen Bunds, Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten +Schluss gemaess, Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und +Lob, Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. Die vierte Zeile +(augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den saeumigen +latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen (Liv. +29, 15; oben 2, 175). ^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit +der Annahme von Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein. +Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung +beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien, +welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 192), +zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus den +Erwaehnungen des Bacchusfestes in der 'Casina' und einigen anderen +Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und +besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit +geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien +zu reden. ------------------------------------------------- Allein +die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die +Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch +nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in +den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien +oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, +wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch +sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich +an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius +der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt, +was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung +Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung +eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen +Farblosigkeit entstand. Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng +und peinlich gezogenen Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht +mit Unrecht mochte Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der +Lagiden und Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom, +beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich +bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und +das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen +Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen +Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele +denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst +wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen +im hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die +Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten, +und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische +Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene +auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von +dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut und +Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere. Die +Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein Stueck +Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen, oder +der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern die +roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen +gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele +in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des +pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum +solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug. +Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber +und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die +Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische +Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und +originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die +Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und +sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen +der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus +sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der +Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender Vorliebe +und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel dazu darin, +dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem roemischen +Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen Spassmacher zu +halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu setzen noetig +fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten +attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht +brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens +stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche +Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche +Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die Esspartien blieben +freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr zahlreich, aber +ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und die +raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische +Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der +griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so +grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine +verlorene Spur. ------------------------------------------- ^14 Etwas +anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem 'Maedel von Tarent' nicht +bedeuten: Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, Dass das kein +Koenig irgend anzufechten wagt - Wie viel besser als hier der Freie +hat's darin der Knecht! ^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum +dachte, kann man zum Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) +sehen: Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: Der Name; in +allem andern ist nicht schlechter als Der freie Mann der Sklave, +welcher brav sich fuehrt. ----------------------------------------- Die +Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf +ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte +sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und +Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition +sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals +herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen Lustspielen +desselben oder auch eines anderen Dichters wieder einzustuecken; was +freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition der Originale und +ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so arg war, wie es +scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren Zeit sich +die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. Die +Handlung des sonst so vortrefflichen 'Stichus' (aufgefuehrt 554 200) +besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen +moechte, sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die +Penelopen spielen, bis die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als +Praesent fuer den Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder +nach Hause kommen. In der 'Casina', die bei dem Publikum ganz besonders +Glueck machte, kommt die Braut, von der das Stueck heisst und um die es +sich dreht, gar nicht zum Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv +als "spaeter drinnen vor sich gehend" vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt +wird sehr oft die Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein +angesponnener Faden fallengelassen und was dergleichen Zeichen einer +unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich weit +weniger in der Ungeschicklichkeit der roemischen Bearbeiter zu suchen +als in der Gleichgueltigkeit des roemischen Publikums gegen die +aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der Geschmack. +In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf +die Komposition gewendet und 'Die Gefangenen' zum Beispiel, der +'Luegenbold', 'Die beiden Bacchis' sind in ihrer Art meisterhaft +gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke mehr +besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die +kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. In der Behandlung +des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen roemischen +Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die +Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die +wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen, +militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam +aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen +Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und Demarchen; in Aetolien +oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den Zuschauer ohne Bedenken +nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine solche klecksartige +Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen Grund ist +eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr spasshaften +Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige Umstimmung +der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung des +Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von +den neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe +beduerfen; Stuecke wie die Plautinische 'Eselskomoedie' werden ihre +unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer +verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen +Motive in einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder +interpoliert oder mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen. +In der unendlichen Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken +der Sklaven schwebenden Peitsche erkennt man deutlich das catonische +Hausregiment, sowie die catonische Opposition gegen die Frauen in dem +nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. Unter den Spaessen eigener +Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die elegante attische +Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich manche +von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16. +---------------------------------------------------- ^16 So ist zum +Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem Plautinischen +'Stichus' der Vater mit seinen Toechtern ueber die Eigenschaften einer +guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob es besser +sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit +einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu +unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist +Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In Menanders 'Halsband' klagt ein +Ehemann dem Freunde seine Not: A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du +weisst Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert Und +die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, Gott weiss es! von +allem Ungemach das aergste uns; Zur Last ist sie all' und jedem, nicht +bloss mir allein, Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, +ich weiss, So ist es. In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius +ist aus diesem, in seiner grossen Einfachheit eleganten Gespraech der +folgende Flegeldialog geworden: B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? +- A: Ei schweig davon! - B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. +Komm' ich etwa dir Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie +mir Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie's +schon; Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst. +------------------------------------------------- Was dagegen die +metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der geschmeidige und +klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen Trimeter, +die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen Konversationston +allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr haeufig +durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so +wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der +Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben +wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums, +dem der praechtige Vollklang der Langverse auch da gefiel, wo er nicht +hingehoerte. Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den +gleichen Stempel der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums +gegen die aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, +welche schon wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage +auf ein eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit +Maennern besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des +Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in akustischer +Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und Schallmasken. +Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den Dilettantenauffuehrungen +erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch wurden den +Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren +sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel +kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern +abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung +der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme +ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst +unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke +durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen +und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes +Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber +ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in +wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte +regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte +keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem +mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere, +das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene +hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen, +und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn +alles, sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird. +---------------------------------------------------- ^17 Selbst als man +steinerne Theater baute, mangelten diesen die Schallgefaesse, wodurch +die griechischen Baumeister die Schauspieler unterstuetzten (Vitr. 5, +5, 8). ---------------------------------------------------- So war das +roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art und +Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt +von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares +Bild; in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das +Original nicht hoch und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften +Gesindels, wie sehr auch die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat +des Inventars antraten, erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, +die feine Charakteristik gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand +nicht mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, sondern die Personen und +Situationen schienen wie ein Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig +gemischt; im Original ein Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein +Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande war, einen griechischen Agon +mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen +und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem +Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem +Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar +Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren, +Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider +die eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich +der herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist +alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische +Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte +in der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen +Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen +vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der +es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn erhaltenen +Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein Urteil +gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und +bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war +des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann +bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen +Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in +gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger +aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und Lustspiel, +zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an ihn an. +Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine ungeheure +Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und kein +Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener +Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und +Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist +Naevius' Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von +aller Affektion und scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam +absichtlich aus dem Wege zu gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen +Hiatus und mancher anderen, spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen +leicht und schoen ^19. Wenn die Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns +die Gottschedische aus rein aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus +am Gaengelbande der Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die +roemische Poesie und traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters +diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine volkstuemliche +Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die Komik. +Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein +Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und +lesende Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der +Kostuemverfertigung, ein Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine +Handlangerei fuer denselben gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis +sich um und der Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus +bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es +tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und +in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch +in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die +seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein +scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere +Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den +griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, +in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine +Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit +hinter sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des +Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und in +seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen ist: +Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, Den Dichter Naevius +klagten - goettliche Camenen; Dieweil, seit er hinunter - zu den +Schatten abschied, Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen +Rede. ------------------------------------------------- ^18 Die +Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten +Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 +(235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben +(Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie +gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, +60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des +Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die +Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama +geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) +setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen +Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und +vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische Herkunft +deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer der +Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht +roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen +latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass ihn +die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler war er +auf keinen Fall, da er im Heere diente. ^19 Man vergleiche zum +Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus Naevius' Trauerspiel +'Lycurgus': Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, Sogleich zum +laubesreichen Platze macht euch auf, Wo willig ungepflanzt emporsprosst +das Gebuesch. Oder die beruehmten Worte, die in 'Hektors Abschied' +Hektor zu Priamos sagt: Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem +vielgelobten Mann. und den reizenden Vers aus dem 'Maedel von Tarent': +Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. Zu diesem +nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm. +---------------------------------------------- Und solcher Maenner- und +Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe gegen Hamilkar und +gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und der fuer die +tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade +den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und +volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt +worden, in welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und +wie er, vermutlich dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica +beschloss. Auch hier ging das individuelle Leben ueber dem gemeinen +Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen zugrunde. In der aeusseren +Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint ihm sein +juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254- 184). +weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich +umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen +Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit +gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst +hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer Lustspiele, +ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein und +wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu +machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in +Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen sind, +zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, so +gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging +spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die +Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig +solcher "plautinischer Stuecke", von denen indes auf jeden Fall ein +grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der +Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die +poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr +schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. +Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug, +dass sie der Polizei wie dem Publikum gegenueber untertaenig und +untergeordnet dastand, dass sie gegen die aesthetischen Anforderungen +sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum und diesem zuliebe +die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind Vorwuerfe, +die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen +Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich +gelten die meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen +Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation buehnengerecht zu +gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und oft vortreffliche +Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische Lustigkeit, die +in gluecklichen Spaessen, in einem reichen Schimpfwoerterlexikon, in +launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen Schilderungen und +Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in denen man +den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der +Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als +selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer +zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein +es wird dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische +Volkspoet und der rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und +geblieben, ja noch nach dem Untergang der roemischen Welt das +Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen ist. +------------------------------------------------ ^20 Diese Annahme +scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der Art, wie +die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen +Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller +des roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche +Ungewissheit ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht +wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen besteht die +merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare. +------------------------------------------------- Noch weit weniger +vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und letzten +- denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg +- namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu +gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus +gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter +den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, +spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung griechischer Komoedien +fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich fruehen Tode (586 168). +Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei seiner Herkunft begreiflich; +dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt ward, um strengere +Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur schwer +Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz +den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen +Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter +den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die +erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu beruhen, +dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten +poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den Vorzug gibt. +Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur deshalb unter ihre +Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus und kraeftiger als +Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit geringer als beide +gewesen sein kann. Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung +des sehr achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem +reinen Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende +noch eine kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das +geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem +haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde +liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau +der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber +war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis +schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des +Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit +wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe +usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen +und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen +Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit +und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt +roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche empfunden. +Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen 'Gefangenen': Dieses +Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: Nicht +wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, Keine +Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; Nicht kauft drin der +Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. Selten nur ersinnt ein +Dichter solcherlei Komoedien, Die die Guten besser machen. Wenn drum +euch dies Stueck gefiel, Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies +das Zeichen sein: Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns +unserm Spiel. Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform +ueber das griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt +werden, dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen, +die Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld +gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele +der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander +an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen +Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm +sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, muesse +man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen +Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; +wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen +Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. +Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer +diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete. +Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch +nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu errichten. Es war mehr eine +Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, dass man das hellenisierende +Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der Personen und +Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie +wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette +walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen +selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie +ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so +vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem +Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die politische Halbheit +und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei hat zu der furchtbar +raschen Aufloesung der roemischen Nation das Ihrige beigetragen. Wenn +indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete, +die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger +auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines +lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn +die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der +latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, +seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in den italischen +Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der Tat entstand auf +diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula togata ^21; der +nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, Titinius, bluehte +wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese Komoedie ruhte +auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war nicht +Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in +Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande, +in der Toga. Hier waltet das latinische Leben und Treiben in +eigentuemlicher Frische. Die Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen +Leben der Mittelstaedte Latiums, wie schon die Titel zeigen: 'Die +Harfenistin oder das Maedchen von Ferentinum', 'Die Floetenblaeserin', +'Die Juristin', 'Die Walker', und manche einzelne Situationen noch +weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine +Schuhe nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In +auffallender Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck +^23. Mit echt nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit +des Pyrrhischen Krieges und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn, +Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht. +------------------------------------------ ^21 Togatus bezeichnet in der +juristischen und ueberhaupt in der technischen Sprache den Italiker im +Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch zu dem roemischen +Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21; +50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die +nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder +Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius +vorkommt und nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch +wieder verschwindet, bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer +rechtlichen Stellung, insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum +Jahre 705 (49) die grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht +besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die +er neben den Roemern nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben. +Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu +erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in +Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das +Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die +Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt. +Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts +spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres +Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum, +Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg +latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch +die Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den +Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das +Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen +Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu fern +lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat verschwunden +zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden Italiens, +wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die fabula +Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. ^22 Ueber Titinius +fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach einem +Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595 +196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) - +denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden +koennen und, wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die +zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste +(Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht gerade der aelteste der +juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als der juengste der aelteren. +^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs +nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus), +neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna, +psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?), +von denen zwei, die 'Juristin' und die 'Floetenblaeserin' offenbar +Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet +die Frauenwelt vor. ---------------------------------------- Der +hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das +griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen +Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht +haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro +hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher +Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von +der attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das +Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit +gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht +mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische +Nationallustspiel. Wie das griechische Lustspiel kam auch das +griechische Trauerspiel im Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war +ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb +als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, das griechische, +namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits +mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der +empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der +heroischen Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das +Trauerspiel, nur minder schroff und minder gemein, die antinationale +und hellenisierende Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten +Wichtigkeit war, dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit +vorwiegend von Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen +merkwuerdigen Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit- +und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber +die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und der +griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass +es unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu +skizzieren. Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie +zwar auf eine hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei +weitem mehr das richtige Gefuehl dessen, was sein sollte, als die +Macht offenbaren, dies poetisch zu erschaffen. Das tiefe Wort, welches +sittlich wie poetisch die Summe aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden +ist, gilt freilich auch fuer die antike Tragoedie; den handelnden +Menschen stellt sie dar, aber eigentliche Individualisierung ist ihr +fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der Kampf des Menschen und +des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf, +dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das +wesenhafte Menschliche ist im 'Prometheus' und 'Agamemnon' nur leicht +angehaucht von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl +die Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den +Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner +Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten +zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das +hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die +Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer +hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, +gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene +Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen +darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem +Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat +die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen +vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch +welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen +ins Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie +des Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel +unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert +feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das +frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt, +sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt +der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen +gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging +mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab und +seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen +sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch +hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit +gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach +allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit einerseits der +grossartigsten geschichtlichen und philosophischen Bewegung, anderseits +der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen und schlichten +Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit der aelteren +Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels +ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der +aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so +erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation +so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken +wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche +Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich +despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. +Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus +diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also +der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen +Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im +ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele +gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu +gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer +Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche +Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine +Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht +eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, +und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles +aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu +verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in +der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen +besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen +mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der +willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden +Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen +sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit; aber sie sind weder +kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes' Vorwurf, dass der +Dichter keine Penelope zu schildern vermoege, vollkommen begruendet. +Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen Mitleids in die +Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten Heroen, wie der +Menelaos in der 'Helena', die Andromache, die Elektra als arme +Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, widerwaertig oder +laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen +dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen +Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende +Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie +uebergehen, wie die 'Iphigenie in Aulis', der 'Ion', die 'Alkestis' +vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste +Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter das +Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die verwickelte +Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere Tragoedie +das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen; +dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu +unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im +Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin +vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar +menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht. +Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als +sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem +Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der unbefangene +Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist in den +Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch die +tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen einzutreten +und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge +fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen +zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und philosophischen +Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der neuen, die alte +attische Volkstuemlichkeit aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet. +Hierauf beruht wie die Opposition, auf die der ungoettliche und +unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, so auch der +wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und das +Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der +Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische +Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach +also zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch +nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt +und gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte +sittlich wie poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung +wirkt nun einmal geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten +Wertes, sondern in dem Masse, wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen +vermag, und in dieser Hinsicht ist Euripides unuebertroffen. So ist es +denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig las, dass Aristoteles den +Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn entwickelte, dass +die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm gleichsam +hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides +ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns +entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, +sondern der Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das +alte Hellas dem neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss +mehr und mehr stieg und das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie +in Rom, unmittelbar oder mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt +ward. Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten +Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer +mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die +tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden +als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten +der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des +Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist, +als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der +Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien +nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art +moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig +erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus +juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke +schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den +Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden. +Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als +die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, +die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire +ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke +hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und +den unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar +weil dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den +Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die sinnlich- +grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den 'Eumeniden', im +'Alkmaeon', im 'Kresphontes', in der 'Melanippe', in der 'Medeia', die +Jungfrauenopfer in der 'Polyxena', den 'Erechthiden', der 'Andromeda', +der 'Iphigeneia' - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass +das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. +Frauen- und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu +haben. Die bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung +von dem Original betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor. +Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische chorlose Spiel +eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz (orchestra) mit +dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor sich bewegte, oder +vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art Parkett; danach +muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und der +Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der +Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen +fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen +und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen Bearbeitung der +Euripideischen 'Iphigeneia' zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster +einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, +aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem +Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts +freilich nicht genannt werden ^24, doch gab wahrscheinlich ein +Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen Original ein weit minder +getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von dem des Menander. +Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in +Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig; +und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, +in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher +auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser Zeit und +ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener die +antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur Schau. +Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der einflussreichste +Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, sondern +von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer +Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom +ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in +beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen +und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den +Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio, +Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt waren, den modernen +Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen, der ihr eigenes und +ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von ihnen, gewissermassen +als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten bestellter Hofpoet, +ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer einen solchen +Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus +aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, +die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische, +ja sogar die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich +zu eigen zu geben; und wenn bei den frueheren roemischen Poeten +der Hellenismus mehr folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit +hervorgegangen als ihr deutliches Ziel gewesen war, und sie darum +auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, sich auf einen +volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner +revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet +sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den +Italikern energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug +war die Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das +gesamte tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos +und Sophokles sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, +dass er bei weitem die meisten und darunter alle seiner gefeierten +Stuecke dem Euripides nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung +bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht +dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so entschieden den +Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte +als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche +akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den 'Thyestes' und den aus +Aristophanes' unsterblichem Spott so wohlbekannten 'Telephos' und deren +Prinzenjammer und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie 'Menalippe +die Philosophin', wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der +Volksreligion dreht und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen +Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den +Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten +Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende +ist: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt' ich sonst und sag' ich noch; +Doch sie kuemmern keinesweges, mein' ich, sich um der Menschen Los, +Sonst ging's gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so. +wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. +Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet +wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm +mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die +hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition +^27, die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die +Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie, +des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen +Hexameter. Dass der "vielgestaltige" Poet alle diese Aufgaben mit +gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch +angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss +der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten +Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr +griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst, +verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische +Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres +Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die +freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu +fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den +Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht, +"in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen", und die +Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert: Heil Dichter +Ennius! welcher du den Sterblichen Das Feuerlied kredenzest aus +der tiefen Brust. +------------------------------------------------------------------------ +^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und +der Ennianischen 'Medeia': Eith' /o/phel' Argo?s diaspasthai skaphos +Kolch/o/n es aian kyaneas Sypl/e/gadas + +M/e/d' ten napaisi P/e/lioy pesein pote Utinam ne in nemore Pelio +securibus Tm/e/theisa pe?k/e/, m/e/d' eretm/o/sai cheras Caesa +accidisset abiegna ad terram trabes, Neve inde navis inchoandae +exordium Coepisset, quae nunc nominatur nomine Andr/o/n arist/o/n, oi +to pagchryson theros Argo, quia Argivi in ea dilecti viri Vecti petebant +pellem inauratam arietis Pelia met/e/lthon. Oy gar an despoin em/e/ +Colchis, imperio regis Peliae, per dolum. M/e/deia p?rgoys g/e/s epleysa +I/o/lkias Nam nunquam era errans mea domo efferret pedem Er/o/ti thymon +ekplageis' Iasonos. Medea, animo aegra, amore saevo saucia. + +Nie durch die schwarzen Symplegaden haette hin Fliegen gesollt ins +Kolcherland der Argo Schiff, Noch stuerzen in des Pelion O waer' im +Pelionhaine von den Waldesschlucht jemals Beilen nie Gefaellt die +Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt sie die Hand der +Tannenstamm Und haette damit der Angriff angefangen nie Zum Beginn des +Schiffes, das man jetzt mit Namen nennt + + +Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos dem Pelias +auserlesne Schar, Von Kolchi nach Gebot des Koenigs Pelias Zu holen +gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes waere mir +Widdervliess! Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den +Fuss mir dann Herrin setzte nie, Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, +krank im Herzen, wund von hinweggeschifft. Liebespein. + +Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht +bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung +oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der +Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche Missverstaendnisse +des Originals aber sind bei Ennius selten. ^25 Ohne Zweifel mit Recht +galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters die Stelle im +siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich +ruft, mit welchem er gern und Oftmals Tisch und Gespraech und seiner +Geschaefte Eroertrung Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen +Dingen, Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch +Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; Welchem das Gross' +und das Klein' und den Scherz auch er mitteilen Durft' und alles +zugleich, was gut und was uebel man redet, Schuetten ihm aus, wenn er +mocht', und anvertrauen ihm sorglos; Welcher geteilt mit ihm viel Freud' +im Hause und draussen; Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder +aus Bosheit Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben, +Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, Redend zur +richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, Im Verkehre +bequem und bewandert verschollener Dinge, Denn ihn lehrten die Jahre die +Sitten der Zeit und der Vorzeit, Von vielfaeltigen Sachen der Goetter +und Menschen Gesetz auch, Und ein Gespraech zu berichten verstand er +sowie zu verschweigen. In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben +multarum rerum leges divumque hominumque. ^26 Vgl. 2, 393. Aus der +Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. 956), dass er ein +Mann sei, Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt Im besten Fall; +und trifft er's nicht, es geht ihm hin. hat der lateinische Uebersetzer +folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller gemacht: Sterneguckerzeichen +sucht er auf am Himmel, passt, ob wo Jovis Zieg' oder Krebs ihm +aufgeh' oder einer Bestie Licht. Nicht vor seine Fuesse schaut man und +durchforscht den Himmelsraum. ^27 Im 'Telephus' heisst es: Palam mutire +plebeis piaculum est. Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort. +^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren +der Bearbeitung des Euripideischen 'Phoenix' an: Doch dem Mann mit +Mute maechtig ziemt's zu wirken in der Welt Und den Schuldigen zu laden +tapfer vor den Richterstuhl. Das ist Freiheit, wo im Busen rein und +fest wem schlaegt das Herz; Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt +die frevelhafte Tat. In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten +Gedichte einverleibten 'Scipio' standen die malerischen Zeilen: -- +munduscaeli vastus constitit silentio; Et Neptunus saevus undis asperis +pausam dedit, Sol equis iter repressit ungulis volantibus, Constitere +amnes perennes, arbores vento vacant. [Iovis winkt';] es ging ein +Schweigen durch des Himmels weiten Raum. Rasten hiess die Meereswogen +streng die grollenden Neptun, Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck +der Sonnengott, Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht +der Wind. Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie +der Dichter seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine +Ausfuehrung der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen +Tragoedie 'Hektors Loesung' ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem +Skamander Zuschauender spricht: Constitit Credo Scamander, arbores vento +vacant. Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der +Wind. und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. ^29 +So heisst es im 'Phoenix': - - stultust, qui cupita cupiens cupienter +cupit. Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, und es +ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch +akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111). +---------------------------------------------------- Der geistreiche +Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das griechische +Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen Nation. +Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer +Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss +gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische +Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch +ein ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu +schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er +brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der gleichzeitigen +Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine +'Erziehung des Romulus und Remus' oder der 'Wolf', worin der Koenig +Amulius von Alba auftrat, und sein 'Clastidium', worin der Sieg des +Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem Vorgang +hat auch Ennius in der 'Ambrakia' die Belagerung der Stadt durch seinen +Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung geschildert. +Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die Gattung +verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die farblose +Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf die +Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben +wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in +Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige +Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen +Nationalschauspiels war. Nur die griechischen Tragoedien der aeltesten, +den Goettern noch sich naeher fuehlenden Zeit, nur Dichter wie +Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, die von ihnen +miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen der Sagenzeit auf +die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig entgegentritt, +was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es hier, +wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber +geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte, +auf der man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war. +Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius +buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation +vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom +wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da +die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward +dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst +der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind +auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art +als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die +rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit +der szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der +Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein +eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in +sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach +vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie. +Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit +allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert +halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche +das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen +Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, +tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura +auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem alten, seit Livius +durch das griechische Drama von der Buehne verdraengten handlungslosen +Buehnengedicht zukam, nun aber in der rezitativen Poesie einigermassen +unseren "vermischten Gedichten" entspricht und gleich diesen nicht +eigentlich eine positive Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern +nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem, +meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter +noch zu erwaehnendem 'Gedicht von den Sitten', welches vermutlich, +anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie, +in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders +die kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr +fruchtbare Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert +veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen +Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen +Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden +naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von Gela, +eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen +dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von +Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe +Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die +didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, +wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess. +---------------------------------------- ^30 Ausser Cato werden noch +aus dieser Zeit zwei "Konsulare und Poeten" genannt (Suet. vita Ter. 4): +Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und Marcus Popillius, Konsul 581 (173). +Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre Gedichte auch +publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein. +---------------------------------------- Groessere dichterische +wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in Anspruch, die +Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der +dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen +Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich +den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie +die Dinge waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und +ohne irgendwie, namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, +auf poetische Hebung oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der +gegenwaertigen Zeit berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen +Nationalversmass heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit +wesentlich dasselbe, was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters +gesagt ward. Die epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die +tragische voellig und wesentlich in der heroischen Zeit; es war +ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert +grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu +durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik +nicht viel mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten +mittelalterlichen Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund +der Dichter sein ganz besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke. +Es war nichts Kleines in einer Zeit, wo es eine historische Literatur +ausser den offiziellen Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab, +seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und der Vorzeit einen +zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die grossartigsten +Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben. +------------------------------------------------------- ^31 Den Ton +werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: Freundlich +und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas Von Troia schied. spaeter: +Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig Amulius, dankt den +Goettern - aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist: +Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, Das wuerde Schmach +dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. bezueglich auf die Landung in +Malta im Jahre 498 (256): Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar +die Insel Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte. +endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: Bedungen +wird es auch durch - Gaben des Lutatius Zu suehnen; er bedingt noch, - +dass sie viel Gefangne Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln +geben. -------------------------------------------------------- +Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die +Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen +Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so +greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine +neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des +hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, +die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende +Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht, +wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der +bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung des Patroklos +geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern fechtenden +Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als der Homerische +Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse wird dem Leser +erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; nach der +Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat +den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher +Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die +neologische und hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die +'Jahrbuecher' keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der +Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht, +womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, +dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros +und noch frueher in einem Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut +naturphilosophisch das Wesen der Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers +zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst die Wahl des Stoffes dient den +gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen Literaten aller +Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre griechisch- +kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen +Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer Griechen ja +immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. Der poetische Wert der +vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren Bemerkungen ueber die +Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht abzumessen. +Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege dem +italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet +sich gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft +gluecklich traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit +und Ehrenhaftigkeit aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso +natuerlich wie die Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die +notwendig sehr lose und gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem +Dichter moeglich war, einem sonst verschollenen Helden und Patron +zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren +die 'Jahrbuecher' ohne Frage Ennius' verfehltestes Werk. Der Plan, +eine 'Ilias' zu machen, kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, +welcher mit diesem Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und +Geschichte in die Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den +heutigen Tag als Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in +ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius +gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer +als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr +noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der +roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den +Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen +altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr +ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, +der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, +der Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische +Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle +Parallelisierung der Homerischen 'Ilias' und der Ennianischen +'Jahrbuecher' so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin +und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht +stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders +fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des Dichters +blieben die 'Jahrbuecher' das aelteste roemische Originalgedicht, +welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und lesbar +erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem +durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die +spaetere Zeit das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. Nicht +viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise +entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl +die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne +vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche +Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der strengen +und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese +schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem "Baenkelsaenger" +anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann +getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei +weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige +poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie +fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger +vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, +so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht +senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten +Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, +die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative +und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei +vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier, +und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der +Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und +Form maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. Bis in die Zeit des +Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine Geschichtschreibung nicht; +denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu den Akten, nicht zu +der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede Entwicklung des +Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit +des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen Italiens +ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen +Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch +so fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten +Jahrhunderts das Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der +roemischen Buergerschaft auf schriftstellerischem Wege zur Kunde der +Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun aber dies Beduerfnis endlich +empfunden ward, fehlte es fuer die roemische Geschichte an fertigen +schriftstellerischem Formen und an einem fertigen Lesepublikum; und +grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide zu +erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen +umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der +Muttersprache, aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. +Von den metrischen Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und +Ennius (geschrieben um 581 173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren +zugleich zu der aeltesten historischen Literatur der Roemer, ja die +des Naevius darf als das ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk +angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen +Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines +waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes +aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius +Scipio (+ um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem +gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das +nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen +griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das +weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche +Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete Ausland. +Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die vornehmeren +Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des Grossen neben +der vaterlaendischen Pastoren- und Professorenschriftstellerei eine +aristokratische Literatur in franzoesischer Sprache stand und die +Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und Feldherren +franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen +Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine +eigentliche lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit +Cato, dessen nicht vor dem Schluss dieser Epoche publizierte +'Ursprungsgeschichten' zugleich das aelteste lateinisch geschriebene +Geschichts- und das erste bedeutende prosaische Werk der roemischen +Literatur sind ^33. ----------------------------------------------- +^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen +Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) +ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen +von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen +Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass +unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des +pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes +die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der roemischen +Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus der Zeit des +Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch lateinische Annalen +aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es dahingestellt +bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren Annalisten +Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder ob +von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und +des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei +Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben hat. Das dem Lucius +Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, ebenfalls +griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk aus +augustischer Zeit. ^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert +erst in sein Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung +auch der frueheren Buecher der 'Ursprungsgeschichten' faellt nicht vor, +aber wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, +114). ----------------------------------------------- Alle diese Werke +waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im Gegensatz +zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische +Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder +geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die +Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, +obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den ersten Krieg +mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten betraf; danach +zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der Sagenzeit, der +Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer die +Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser +Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit +zu ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig +unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den +Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, +und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern +nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom +an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn +Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der +gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius oder dem +Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der albanische +Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird zugleich +Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer die +roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, +sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole +Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt +erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher +geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in dem zu +Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein, und die +griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter erst +dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes die +Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen Ursprung +Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz +Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark +im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde +dies die stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der +maechtigen Gemeinde. ----------------------------------------------- ^34 +Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, +dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine +Geschichte pragmatisch zu schreiben. +----------------------------------------------- Von der Ursprungsfabel +abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen Historiographen sich +um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, so dass die +weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus einheimischen +Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen +duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei +Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote +gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus +Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl +noch fremd gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes +in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die +ueberall, selbst bei dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit +hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern +Italiker und Griechen als ein urspruenglich gleiches Volk darzustellen +- hierher gehoeren die aus Griechenland eingewanderten Uritaliker oder +Aboriginer sowie die nach Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger. +--------------------------------------------------- ^35 So ist die +Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten von +Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine +Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten +der Herodotischen Erzaehlung von Kyros' Jugend geschlagen. +--------------------------------- Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in +einem, wenn auch schwach und lose geknuepften Faden, doch einigermassen +zusammenhaengend durch die Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung +der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, und es war nicht +bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den +Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken +eine irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten. +Am meisten empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der +Koenigszeit sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein; +Ennius, der im dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit, +im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten +zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in den allgemeinsten Umrissen +behandelt haben. Wie die griechisch schreibenden Annalisten sich +geholfen haben, wissen wir nicht. Einen eigentuemlichen Weg schlug Cato +ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er selber sagt, "zu berichten, +was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters steht: wie oft der Weizen +teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich verfinstert haetten"; und +so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch seines Geschichtswerkes +fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden +und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er machte +sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr +nach Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; +namentlich hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk +die Vorgaenge "abschnittsweise" erzaehlte. Diese in einem roemischen +Werke auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden +griff teils in die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher +gegen das hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale +Italien stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die +mangelnde Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis +auf den Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis, +die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte. +Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend +behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den +zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den +achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den +Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines +Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus +und in den beiden letzten, wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher +angelegten die Ereignisse aus den letzten zwanzig Lebensjahren des +Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag Ennius den Timaeos oder +andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen aber beruhten +die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von +Augenzeugen, teils einer auf dem andern. Gleichzeitig mit der +historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann die Rede- und +Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der frueheren +Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in spaeterer +Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, +wie zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner +Hannibals, als Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn +gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er +waehrend seiner langen und taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten, +die geschichtlich wichtigen in seinem Alter auf, gewissermassen als +politische Memoiren, und machte sie teils in seinem Geschichtswerk, +teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege dazu, bekannt. Auch +eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. Mit der nichtroemischen +Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine gewisse Kenntnis +derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon von dem +alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern +auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den +Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist +bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung +absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere fuer sich +zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen Taetigkeit +auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. Dass durch diese beginnende +historische Literatur insgesamt eine harmlose Unkritik durchgeht, +versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser nahmen an +inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius +der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und +neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt +nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa +ein Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den +roemischen Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. +Die im Jahre 262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten +verhandeln dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre +nachher (348 406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive +Akrisie hervor in der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach +der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche +festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre +vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den +gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken +erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten +Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die +Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als +kanonisch geltenden Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias +Fall 436; nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der +Gruender Roms der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter +Finanzmann hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf +den Widerspruch aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht +vorgeschlagen zu haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene +Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her. +Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem +gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte +trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen +welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago +von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird. +Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als der Vorwurf. Es ist +einigermassen laecherlich, von den roemischen Zeitgenossen Hannibals +ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; eine bewusste +Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus nicht +von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen +Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. Auch von wissenschaftlicher +Bildung und selbst von dahin einschlagender Schriftstellerei gehoeren +die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige Unterricht hatte sich +wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis des Landrechts +beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der innigen +Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf +und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung +unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die +roemische einigermassen zu modifizieren. +------------------------------------------- ^36 Plautus sagt (Most. 126) +von den Eltern, dass sie die Kinder "lesen und die Rechte und +Gesetze kennen lehren"; und dasselbe zeigt Plut. Cato mai. 20. +------------------------------------------- Vor allen Dingen fing +die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen Grammatik +auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf das +verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr +gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) +scheint ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet +reguliert und dem ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, +487) den Platz des entbehrlich gewordenen z gegeben zu haben, welchen +derselbe noch in den heutigen okzidentalischen Alphabeten behauptet. An +der Feststellung der Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister +fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben +ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten +neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius +hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende +Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, +sondern auch fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der +Doppelkonsonanten die genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. +Von Naevius und Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die +volksmaessigen Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch +in Rom sich so gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen. +--------------------------------------- ^37 So heisst ihm in den +Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, Ceres davon quod +gerit fruges. ---------------------------------------- Rhetorik und +Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede stand +bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als +dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte +Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische "ewig reden lernen und +niemals reden koennen" die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die +griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und +vor allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer +gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem +Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates +unverbluemt einen Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und +den Gesetzen seiner Heimat mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und +wie selbst die der Philosophie geneigten Roemer von ihr dachten, moegen +wohl die Worte des Ennius aussprechen: Philosophieren will ich, doch +kurz und nicht die ganze Philosophie; Gut ist's von ihr nippen, aber +sich in sie versenken schlimm. Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre +und die Anweisung zur Redekunst, die sich unter den Catonischen +Schriften befanden, angesehen werden als die roemische Quintessenz +oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum der griechischen +Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren fuer das +Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen +Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das +Rednerbuch die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, +welche alle Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher +kann man ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von +den Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, +"an die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen" +^38. ----------------------------------------------------- ^38 Rem tene, +verba sequentur. ----------------------------------------------------- +Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch +fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die +Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder +minder unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik +und Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden +Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in Rom. +Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) der +erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich +niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches +Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen +und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen +scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden +Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig +war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung und +daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen +zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte +wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war. +Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um +dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der +eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und +Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. Von der +barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung +behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der +Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491 +(263) fing die griechische Stunde (/o/ra, hora) auch bei den Roemern an +gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine +fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr +aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach richtete. Gegen Ende +dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme Maenner, die sich fuer +mathematische Dinge interessierten. Manius Acilius Glabrio (Konsul 563 +191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein Gesetz zu steuern, +das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen Schaltmonate +einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja uebel +aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand +als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der +griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich +Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders. +Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der nicht bloss die +Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch ausgerechnet +hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der selbst als +astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde deshalb +von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des Scharfsinnes +angestaunt. Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst +die ererbte und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von +selbst und spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen +zur Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt +sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in +den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der +lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann +schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz +unberuecksichtigt geblieben sein. Dagegen gilt dasselbe nur in +untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der +Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der Bescheidung +der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren Zuhoerer; +doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein +traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit +mangelt nicht ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die +Rechtswissenschaft das von Sextus Aelius Paetus, genannt der "Schlaue" +(catus), welcher der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge +dieser seiner gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur +Zensur (560 194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte "dreiteilige +Buch", das heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem +Satze derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten +und unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular +hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der +griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte +die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und +die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an. Im +allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser +Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn +aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen +Saetzen darlegen sollten, was ein "tuechtiger Mann" (vir bonus) als +Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein +Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch +nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und +nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen +ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also damals noch nicht +diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, welche der eigentliche +wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, teils die Musik und der +ganze Kreis der mathematischen und physischen Wissenschaften. Durchaus +sollte in der Wissenschaft das unmittelbar Praktische, aber auch nichts +als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht zusammengefasst werden. +Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, aber nur um aus +der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare Erfahrungssaetze zu +gewinnen - "die griechischen Buecher muss man einsehen, aber nicht +durchstudieren", lautet einer von Catos Weidspruechen. So entstanden +jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die freilich mit der +griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den griechischen +Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die Stellung der +Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten massgebend +geworden sind. So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und +Literatur in Rom ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu +reden: Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt +Der Quiriten hartem Volke sich die Mus' im Kriegsgewand. Auch in den +sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es gleichzeitig +an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in +etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen +Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen +Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig +mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der +roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung begriffen gewesen +ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und die Geschichte +kann hier nur die Luecke bezeichnen. Die roemische Literatur, ueber +die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, wie problematisch ihr +absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt dennoch fuer +denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem Wert +als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem +waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die +italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die +allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige +Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der +Nation durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die +Mangelhaftigkeit der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein +unbefangenes und durch den ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende +unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die roemische Literatur steht neben +der griechischen wie die deutsche Orangerie neben dem sizilischen +Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber nebeneinander sie +auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch entschiedener als +von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache gilt dies von +derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr grossen Teil +ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von Fremdlingen, +von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein sich +erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als +Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht +ein nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat +erweislich das eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des +Dichters ist auslaendisch; schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen +Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht bloss auslaendisch, sondern +sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln behaftet, welche da sich +einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der grosse Haufe das +Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie durch +die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in +poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der +einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und +erst folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst +nach dem Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie +nur am toten Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der +Grammatik und Grundlegung der Literatur, fast wie bei den heutigen +Heidenmissionen, von Haus aus Hand in Hand gegangen sind. In der Tat, +wenn man diese hellenistische Literatur des sechsten Jahrhunderts +unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder eigenen +Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der +flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, +jenen Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu +den Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen. +--------------------------------------- ^39 Vgl. 2, 445: Enni poeta +salve, qui mortalibus Versus propinas flammeos medullitus. Die +Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen po/e/t/e/s statt +poi/e/t/e/s - wie epo/e/sen den attischen Toepfern gelaeufig war - ist +charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser +epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher +in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.). +----------------------------------------- Dennoch wuerde ein solches +Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr einseitig gerecht sein. +Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese gemachte Literatur in +einer Nation emporkam, die nicht bloss keine volkstuemliche Dichtkunst +besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen gelangen konnte. In dem +Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums fremd ist, faellt +die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche +Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet der +Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, +dass ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten +Erzaehlungen von menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese +Grundlage der antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die +Goetterwelt gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die +goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein +Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die +aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf +einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem +Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende +roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich +abzuwehren. Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und +denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung der +Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien beruht +die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der +roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht +ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat +den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein +aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer +eine gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige +Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten +zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken +Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der +wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den Hintergrund und oft +selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem roemischen +Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele zeigen, die +Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen gelaeufig und +von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt waren +^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins +Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung +wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf +schon die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den +Ton gelegt haben, die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und +griechischer Masse in Latium. Wenn "das besiegte Griechenland den rauhen +Sieger durch die Kunst ueberwand", so geschah dies zunaechst dadurch, +dass dem ungefuegen lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene +Dichtersprache abgewonnen ward, dass anstatt der eintoenigen und +gehackten Saturnier der Senar floss und der Hexameter rauschte, dass +die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, die kunstvoll +verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der +Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der +idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen +Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis +tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben nicht innerlich +erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst gedichtet. Man +sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl sich von selber +verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von der Natur in +die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie guenstigen +Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten +latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage +auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen +Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum +ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber +den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur +Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern +einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die +hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser +Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, +den Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter +entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, +ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes +Latium an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten +Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen +Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder +widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre +historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus +laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar nimmermehr +sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen sich +rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen +dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig +vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch +eben formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es +war nicht schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden +von Schulmeistern und Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder +Nachdichtung war; aber wenn die Poesie zunaechst nur eine Bruecke +von Latium nach Hellas schlagen sollte, so waren Livius und +Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und die +Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch +weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die +verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem +Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie der +Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich +betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des +kosmopolitischen Hellenismus wie die 'Ilias' und die 'Odyssee' diejenige +des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die Vertreter +dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen +Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige +Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter +bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten und +den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn +waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen +ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die +Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer +verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des +sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den +sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in +der aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren +reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt, +wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe +man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen +Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als +reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und +sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen +durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. +Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn +es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt +wird, so kann auch den roemischen Dichtern des sechsten Jahrhunderts +Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. Ein frisches und +maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen Weltliteratur, eine +heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu verpflanzen, +durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und flossen in +eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste +dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die +poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; +eher vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei +aller Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der +griechischen Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als +ihre hoeher gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, +in den klingenden Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz +der Poeten dieser Zeit ist mehr als in irgendeiner anderen Epoche der +roemischen Literatur eine imponierende Grandiositaet, und auch wer ueber +die Schwaechen dieser Poesie sich nicht taeuscht, darf das stolze Wort +auf sie anwenden, mit dem sie selber sich gefeiert hat, dass sie +den Sterblichen das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust. +----------------------------------------------------- ^40 Aus dem +troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete Figuren +vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275), +Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum +Beispiel die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von +Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele +(Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. 1247) bekannt gewesen sein. +----------------------------------------------------- Wie die +hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes +ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige +nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger +wollte, als die latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer +lateinisch redenden, aber in Form und Geist hellenischen Poesie +vernichten, so musste eben der beste und reinste Teil der latinischen +Nation mit dem Hellenismus selbst die entsprechende Literatur +gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. Man stand zu Catos +Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr wie in der +Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten den +Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der +Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie +im Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben +Ursachen sind Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum +Gesindel gestellt und die Apostel und Bischoefe von der roemischen +Regierung hingerichtet worden. Natuerlich war es auch hier vor allem +Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die +griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der gefaehrlichste Abschaum +des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit unaussprechlicher +Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man +hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt +und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten +bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer +Erwaegung indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht +geben, sondern auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition +auf diesem Boden mehr als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der +bloss ablehnenden Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer +Zeitgenosse Aulus Postumius Albinus, der durch sein widerliches +Hellenisieren den Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel +schon griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der +Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit +verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht +voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei, Dinge +zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe des +fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und Protektion +singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie es +jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken, +dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen +Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato +selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen +Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen, +die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich elendes +Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der Zeit und +den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition aber gegen +die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato keineswegs sich +schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der Nationalpartei, +dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit begriff, eine +lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die Anregungen des +Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach die +lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht +und der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter +griechischer Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt +werden. Mit einem genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der +einzelnen als von dem Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, +dass fuer Rom bei dem gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung +der einzige Stoff zur Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der +Geschichte lag. Rom war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und +auf dieser gewaltigen Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den +Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und +einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der +lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und +Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem +Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel +zu stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein +antikes Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und +verstaendiger ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar +verloren der Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der +aelteren roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine +didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem +Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen +guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch +die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine +prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies +Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein +Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit +in seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine +'Ursprungsgeschichten', seine aufgezeichneten Staatsreden, seine +fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste +getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts +weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich +in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem +Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes +ist den griechischen "Gruendungsgeschichten" (ktiseis) entlehnt. +Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates +verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. +Seine 'Enzyklopaedie' ist wesentlich das Resultat seines Studiums der +griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische +Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem +Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl +verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er +fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der +wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen, +in ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren +'Ursprungsgeschichten' auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so +ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische +Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der +Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll +sei. ------------------------------------------------ ^41 "Von diesen +Griechen", heisst es bei ihm, "werde ich an seinem Orte sagen, mein Sohn +Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung gebracht habe; und will +es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften einzusehen, nicht sie +durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und unregierliche Rasse - +glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung +herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, wenn es +seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren +umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen, +damit man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen. +Auch uns nennen sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren +Namen der Opiker. Auf die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und +Bann." Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der +im Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz +unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste +Weise dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen. +----------------------------------------------- Werfen wir schliesslich +noch einen Blick auf den Stand der bauenden und bildenden Kuenste, so +macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich weniger in dem +oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den Schluss +dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) +faengt man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine +Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen +gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge +aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem die attischen Gerichts- +und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken nach Rom zu uebertragen. +Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren entsprechende Gebaeude, +die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde von Cato im Jahre 570 (184) +neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch andere sich anschlossen, +bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die Privatlaeden durch +diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. Tiefer aber +griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, welche +spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich +allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und +Gartenhallen (peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere +(tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren +Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im Wohnsaal zur +Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen verwandt +zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert oder doch +benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; "unsere Vorfahren", +sagt Varro, "wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten nur, um die +Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament". Von roemischer +Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die Wachsbossierung der +Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die Rede: Manius +Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im +Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses +abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele +gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was +nicht viel spaeter das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet +der Poesie wurden. Es werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, +der, wie Naevius spottete, verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im +heiligen Raum die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz. +Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem +Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter +griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate +Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel +zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch +eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss +ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern dass +sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie, +den Griechen und Halbgriechen anheimfiel. +------------------------------------------------------ ^42 Plautius +gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die +Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch +nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des +ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg +stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor. +------------------------------------------------------- Dagegen +zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren +dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht +der korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen +Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an; +selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse +als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des Pheidias mit +Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den eroberten +griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten Anfang +Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl +dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel +der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) +die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern +ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen +Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus +(560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des +roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus (587 167) fuellten +sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den Meisterwerken des +griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung auf, dass +das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil der +hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache; +allein waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse +poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen +und Herbeischaffen auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in +Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst +aber nicht einmal ein Versuch gemacht worden. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by +Theodor Mommsen + + diff --git a/3062.zip b/3062.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..faaf115 --- /dev/null +++ b/3062.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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[10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten +thousand titles each to one hundred million readers, which is only about +4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third of that +goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get +some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the +next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. 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Therefore, aspirations are not marked +in Greek words, nor is there any differentiation between the different +accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Theodor Mommsen Roemische Geschichte + +Drittes Buch Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung +Karthagos und der griechischen Staaten + +arduum res gestas scribere arg beschwerlich ist es, Geschichte zu +schreiben Sallust 1. Kapitel Karthago Der semitische Stamm steht +inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der alten klassischen +Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese am +Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und +die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes +Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den +syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von +demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen +Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre Heimat ist der +schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und +Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem Namen hat +die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte +der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber +hiess Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Maenner", +Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier +pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet +zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und +der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo +das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an die weithin sich +ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht +zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. +Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker +aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt, +Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten +und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie +in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und +Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr +Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis +oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und +die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, +die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische +Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle +Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, +das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was +es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum, +um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz +haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu +werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch +an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das +Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen +und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb +des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den +Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen +Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten +zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die +phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter +den aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen +Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr +Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als +zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phoenikischer +Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich +klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur +der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst +vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat +der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist +Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte +man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die +Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und +ueber die in der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren +die aeltesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der +Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und +hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der +Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der +Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen +wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass +das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des +Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht +erweisen, und was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen +Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das +Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die +bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich beruehrten, zu zivilisieren +und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker +besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der +Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen +Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe +Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem +mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu +den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke +der sich selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von +Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am +Euphrat und am Nil herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den +Aegyptern untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte +sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner, +berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten +oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der +schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel +nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders +sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie +die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren +sie auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der +kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre +Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den +Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in +fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame +Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten +vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem +oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und +in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im +westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und +Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die +Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal +nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will; +es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder +Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum +Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit +offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen +Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei +Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als +gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem +Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen +des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der +Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten +schlagen lassen. Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten +Gewaessern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass +diese unter den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. +Es ist noch weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des +Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, +welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns +Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre +Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie +gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten +mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der +Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei +der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste +Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es +geluestete sie nicht nach der Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das +Buch der Richter, "nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und +im Besitz von Reichtum". Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen +keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an +der Suedkueste Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in +welche Gegenden weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche +Rivalitaet der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber +den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den +Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten +an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada oder, +wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die +frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich +vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten +Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja +die Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege +Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des +Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas +durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern +besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung des +Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite +als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von +Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten +Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares +Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und +die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische +Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch +in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte +Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht guenstigen +Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle dort eine +Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole, +merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit +solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage +eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen +Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt +besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet +auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an +Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer +den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, +den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste +die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen +Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch +nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um +sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. Aber +bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch +Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik +draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich +unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem +eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben sich +anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche +zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht +gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit griechischen +Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, genuegte +es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und +Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene +gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der +Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher +Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen +Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der +Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste von Tripolis +festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phoenikischen +Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen +und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen +stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite +Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers +den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von +selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische +Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach +der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil +sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen +das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des +vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, +namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die +Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg +zu einer grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des +phoenikischen Wesens ist. Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser +auswaertigen Erfolge, welche die Karthager veranlasste, in Afrika von +Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um +300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses +entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten +muessen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich. +Von jeher hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre +Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen +Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn +ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um +Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den +reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen +Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - +wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. +Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau +scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der +phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu +sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen +Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der +Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen +karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem +unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (nomades) an den +Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine +verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden +jene zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die +karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu +stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt +Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern +erobert. Dies sind die "Staedte und Staemme (ethn/e/) der Untertanen", +die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien +libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. Hierzu kam endlich +die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in Afrika oder die +sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von Karthago +aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste +gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen +sein koennen, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher +Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste +der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen +altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius +zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - +die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), +Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass +sich all diese Staedte unter karthagische Botmaessigkeit begaben, ob +freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und +Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber +ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen +Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen +muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes +waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, +sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis +zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 +Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und +konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl +weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager gegen +ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine +Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker +fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen +Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im +auswaertigen Verkehr sind es stets "Karthago und Utica", die zusammen +festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass +die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie +behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines +maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen +Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil +(Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der +Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den +heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland +beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden +vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller +bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische +Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien +die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher +Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen +und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen +fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu +phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik +Karthagos. ---------------------------------------------- ^1 Die +schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem +karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz +einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen +heissen: oi Karch /e/doni/o/n ?parch/e/ osoi tois aytois nomois +chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes- symmachides poleis Diod. 20, +10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr +Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium +folgt aus den "gleichen Gesetzen". Dass die altphoenikischen Kolonien +zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer +libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich +der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus +des Hanno: "Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der +Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker gruende". Im +wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine +nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht +wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten +Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie +denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den +Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. +42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den +Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. ^2 +Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die +Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines +der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint +allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das +phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer +die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern +erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen +Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr +wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer +Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der +die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben +wurden. ------------------------------------------------- Die Epoche, +in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen +stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die +Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte +Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies +derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann +er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen +Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms +ausgefuellt hat. Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das +Sinken der grossen phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und +besonders von Tyros, dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen, +teils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch +Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften +Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und +die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der +gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre +Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker +mit Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste +kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber +die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen +Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder +gewaltig sich entwickelt. In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker +die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie +westlich und oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das +Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und +Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland +den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht +bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der +Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte +Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es +ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch +waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den +tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen +Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von +Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und +die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades +beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern +selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als +Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten +Kaempfe gefuehrt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende +des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz +in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die +Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung +zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der +Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten +phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften +durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. In Sizilien endlich +war zwar die Strasse von Messana und die groessere oestliche Haelfte der +Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen; allein den +Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren +Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen +namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils +die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von +Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus +die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem +Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in +Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein +verhaeltnismaessig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von +den Persern veranlasste Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen +Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und +der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien +(339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich, +einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr +Gebiet. Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig +genug; allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie +die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz +Suedspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und +Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, +sowohl an der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der +Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu +einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur +das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern +Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die +Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den +ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago +sogar gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz +der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen +Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden +bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe +des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische +Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an, +nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber +das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch +die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das +naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen +und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von +Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der +sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und +die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die +bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, +wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund +aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier +zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die +fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, +die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto +sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen +Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den +Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, +Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an +den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden +Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten +sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen. +Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons +410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 +(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus +und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen +die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, +Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die +Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich +das Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der +Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit +ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und +Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und +abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die +Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder +Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war +wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch, die +syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser +gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler +das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, +Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. +Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend +immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu +monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum +Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse +der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560 +275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien +oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in +die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt +es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die +spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom +Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen +mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss. Die Verfassung +Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein +Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der +monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich +neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung +der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich +der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der +Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die +auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt +wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte +erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die +Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm +eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig +die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen +adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist +zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig +scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben; +hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht +selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des +Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die +Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten +und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen +Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die +ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht +beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine +den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine +feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist +derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden +gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch +war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern +ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich +als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und +ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer +Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen +Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand +sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat +hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die +monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und +der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige +durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische +Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden +und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte +ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung +und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die +Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die +Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch +gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die +Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt +wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt +blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren +genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man +das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation +hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber +charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen +Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt +zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren, +aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten +nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach +Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem +Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die +Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft +gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten +auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils +dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum +Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und +dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem +Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie +den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. Die karthagische Buergerschaft +scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive +Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei +nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den +Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; +bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber +wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung +erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die +Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte +kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward +wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; +die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und +den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch +geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen +"Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr +niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst. +Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische +Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei +einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend +einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden +staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern +und vornehmen Voegten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf +Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu bringen, indem sie als +Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen Gemeinden ausgesendet +werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten staedtischen +Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als +die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen +Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch +von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb +fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende +Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten +imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der +Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine +demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht +mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe +voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen +Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit +rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei: +die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte +Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen +Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf +Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Rates der +Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne und damit die volle +Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein +Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war. +In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und +reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, +auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische +Buergerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen +wird, war so zuchtlos, dass sie insofern es wohl verdient hatte, +machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus +Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben +sie machen halfen. In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder +Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des +Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis +des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten +finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs +verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der +Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und +Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben +und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische +Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen +und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen +Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, +sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet +und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. +Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit +der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phoenikischen +Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv +zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes an +Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner +Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen uebrigen +Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der +Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, +wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss +nach Karthago mittelbar die Grundrente "des besten Teils von Europa" und +der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen +Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der +Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die +auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten +schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich +goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden, wie man +durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss +aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen +Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und +Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand. +Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom, +zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht +vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische +Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich +nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln +weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber +auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der +Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und +geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des Mago und +der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der +karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals +Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die +allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde +fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem +kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der +durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in +Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der +Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des +Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen +Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des +kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert +hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts +dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben +vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben +wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht +des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und +eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne +Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte +Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach +dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen +sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die +Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen +Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer +spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter +allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen +Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und +Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in +dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat +eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe +geloest als Karthago. ------------------------------------ ^3 Der +Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der +Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), +lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen +'Poeners' heisst es von dem Titelhelden: Die Sprachen alle kann er, aber +tut, als koenn' Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr +mehr? ------------------------------------- Vergleichen wir die Macht +der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und Kaufstaedte und +lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische +Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, +nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als +Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom +damals noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, +und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und +Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse +der Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung +war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und +dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In +Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene +Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch +altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die +karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren +Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren +zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes +Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus, +wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist +bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende. Beider +Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die +Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die +strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde +den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich +des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und +mit einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers +zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische +Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne +streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung +erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig. +Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete +und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und +brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen +beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die +Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen +war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder +sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt +vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der roemischen +Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die Gunst des +Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und Halbheit; waehrend +die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung +vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen Aufgaben +ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen, +um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige +Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, +in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und +gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der +opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen. Karthago +wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde +Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein +Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich +Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich +ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf +dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden +Anteil an den Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen +Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen Staaten durch +materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine +Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss +fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten +besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal +den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner +eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin +und belastete selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, +waehrend die unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt +wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine +einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz +Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde; in dem +roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen +ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die +politische Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum +Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als +zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die +phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten +Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das +karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen +kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung +bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren +Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken, +die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches +Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. +von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem +Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen +Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen +Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu +sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten +ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit dem +Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und +ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier +sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere +Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich dies +bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der +wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen +Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine +ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach +dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte +des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im +ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen +ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den +Roemern die Samniten und Tarentiner. Finanziell ueberstiegen die +karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um vieles die roemischen; +allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass die Quellen der +karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, wenn man +sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass +die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die +roemische. Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren +sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. +Die karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt +700000 Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am +Ende des fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie +vermochte im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000 +Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer +hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen +Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des +Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der +waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber +weit mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem +Effektivstand des Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische +Regierung auch es sich angelegen sein liess, die Buerger zum +Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker +und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den +angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im +fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine "heilige +Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet +sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit +Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die +roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf +den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten +der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere +Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker +ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch +weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, +indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit +Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 +Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese +nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen +bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter +tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte +Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften +der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und Spaniens +und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen +Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben +scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein +solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige +Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an +Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; +allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, +ehe dieselben bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die +roemische Miliz jeden Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, +was die Hauptsache ist, waehrend die karthagischen Heere nichts +zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die +roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland +band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine +Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im +Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der +Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), +der einen gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher +jener zum Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den +Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und +Soeldnerheere ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem +Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte +gefaehrlicher erfunden als seine Feinde. +--------------------------------------------------- ^4 Man hat an der +Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den Raum +die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet. +Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich +in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu +erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht +staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass dabei +also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder in +der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland sich +aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl in +Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus +gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies +als die der in Gades ansaessigen Buerger war. +---------------------------------------------- Die Maengel dieses +Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und +suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt +auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner +ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den +Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe +wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die +Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt +hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 +Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu befestigen, konnte man freilich +nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Afrika +gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Staedte +und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten +unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette +roemischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die +Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; +und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Staerke der +karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch und militaerisch so +gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung niemals erfahren hat. +Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man +die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der Schiffe +waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute +man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen +Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der +Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich +Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich +eingeschult und die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung +war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen +Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht +imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die +Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte. Fassen +wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden +grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines +einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der +Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. +Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl +aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche +Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass +es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden eigenen +Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie in +irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien, +Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich +nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem +solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit +der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, +sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; +dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See +schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in +Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin +gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und +waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg +begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich +in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, +auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. 2. Kapitel +Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Seit mehr als einem +Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den +syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten +ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem +Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen +Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit +der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen +Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon +und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phoenikischen +Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, +ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen +Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die +unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) +hatte Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von +Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie +der Syrakusier ueber saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos' +Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem +groessere Haelfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in +Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der +Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in +Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt +und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den +Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. +Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste +Wesen (I, 368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien +gemacht, was spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen +Werbeplatz fuer die soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von +den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die +barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen +Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie +verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung +ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die +kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und +es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf +hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an +Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den +Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer +Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, +vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, +leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua +selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft +in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die +politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in +Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien +gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher +Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer +Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode +(465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in +Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz +der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten +Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die +Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt +und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmaenner", wie sie sich nannten, +oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren +nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles' Tode sich +unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch +welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel +ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen +Gegner in naechster Naehe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten +die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Koenigs +gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. Es ziemt der Historie weder, den +treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich +bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Suende der +Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte +ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die +Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier +eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, +die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die +allmaehlich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der +ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht +mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen +Kraeften aufzunehmen. Zunaechst indes kam es anders. Ein junger +syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte +Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig +Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen +Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der +syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles +Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den +Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge +Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er +schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten +Despotenunfugs gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen +Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des +unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und +versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig, +mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die +tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, +die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der +Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der +Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor +kurzem ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, +die Schmaelerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und +Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde +mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und +Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen +schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, +nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), +gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem +die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich +aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron +laenger mit eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf +Bedingungen nicht moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen +Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der +messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die +Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer, +denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des +wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es +vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu +ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich +endlich die Majoritaet der kampanischen Buergerschaft, den Besitz +der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen. Es war ein +weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten +der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem +ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; +aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und +wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher +vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter +der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche Maenner freilich mochten +fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran +denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, +nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit gerechter Haerte von +den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen +sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von Staats +wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab +damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen +liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste. +Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral +keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische +Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen +hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die +gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern +die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt, +ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte +Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach +dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich +gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es +begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und +zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus +und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, die +Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie +Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den +Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu +gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt +in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in +seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht +erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch +ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es +gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so +nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien +und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten +Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem +Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass +zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens +aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch +Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und +Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago +fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, +Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit +dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und +rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die +Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen, +dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der +Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den eigenen +Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand +zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es +weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag +der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam +zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche +die Sache verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene +Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, +wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, +den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motiviert war +die Unterstuetzung der Mamertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom +ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen Italiker wurden +in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag der +Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 +265). --------------------------------------------- ^1 Die Mamertiner +traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen Gemeinden, +verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und +besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht. +--------------------------------------------- Es kam darauf an, wie die +beiden durch diese Intervention der Roemer in die Angelegenheiten der +Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom +verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron +hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen +ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, +ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall +die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern +mit einer Kriegserklaerung zu antworten; blieb er indes allein, so +war ein solcher Krieg eine Torheit und von seiner vorsichtigen und +gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in das Unvermeidliche +sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien +dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben +Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu +bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu +verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden +tauchten auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter +anderen Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit +Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, +wie die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu +reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die +beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht +und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige +Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die +Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen +Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst +den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen +Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt +gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens +als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die +italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als +innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann, +und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische +Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war. +Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner +endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den +Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des +roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion +erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete +Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen +Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und +den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben +sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg +karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals +Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische +Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig +gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass +man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte +und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging +nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen +die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; +doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, +keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten +Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als +haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie +die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken, +und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, berief +er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in +derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend, +den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung +selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie +die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren +kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, +diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die +Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in den Haenden +der Roemer. Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber +die Torheit und Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und +erklaerten den Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen +Platz wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von +Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend +sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte +karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf +das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu +beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen +Messana und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. Allein +mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit +dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang +die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck +waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff +des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den +aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen +und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das +roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus; +allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von +Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust +hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck nach +Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach +Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer +moegen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul +nicht triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in +Sizilien nicht verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck +zu machen. Im folgenden Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so +starkes Heer ungehindert die Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius +Maximus, seitdem von diesem Feldzug "der von Messana" (Messalla) +genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die verbuendeten Karthager +und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das phoenikische Heer +nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht +bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen +Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische +Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er +folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass +es den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort +ihnen anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und +Opfer zu erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, +die eine eigene Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen +roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten +jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr +wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, +sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle +Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems +von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu +erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und +geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. Fuer die Roemer war +hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das Doppelbuendnis mit Messana +und Syrakus und den festen Besitz der ganzen Ostkueste war die Landung +auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unterhaltung der Heere +gesichert und verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg +einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte denn auch +fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in +Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste +Jahr (492 262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im +Einverstaendnis mit den sizilischen Griechen die Karthager ueberall +in die Festungen zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager, +Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in +Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste +zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten +die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die +Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel +am Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei +Herakleia und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die +Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Not gross; man entschloss +sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der +Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische +Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen +Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg, +allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg +der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach +der Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der +belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu +erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in +die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit +Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar, +Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und +weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg +spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus +den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen +Kuesten. In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen +Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie +erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten, +es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen koenne kein +Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war diese Drohung +wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne Nebenbuhler +die See und hielt nicht bloss die sizilischen Kuestenstaedte im Gehorsam +und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte auch Italien mit +einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische Armee +hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es +nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den +italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, +was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner +Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so +fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus +vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die +Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden +sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was +Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht +war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu +ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte +zu schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert +Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen +Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende +Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst +die Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase; +Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und +auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren +dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich +gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von Karthago +ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der Linie +verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die Massregel +der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von +Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und +eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff +zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren +Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere als Modell. +Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der +Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen koennen; +allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien durch +eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden +die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die +Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen +Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name +(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den +Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der +Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere +Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man +teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus, +teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es +begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert +ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines +Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der +Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam dieselbe der +karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und +es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser +Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und +Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von +demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit; +allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im +Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile +mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe +pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss +gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der +Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann +nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes +Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten +nach Verhaeltnis. Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was +den roemischen Schiffen bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und +Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, +dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine +bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes +eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin +niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren +versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche +Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss +vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen +Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; +wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den +roemischen Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das +feindliche Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu +erstuermen. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach +Beduerfnis die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt +vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte +zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den +einzelnen Schiffen fechten. So schufen sich die Roemer eine Flotte, +die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem +roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies +ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der +Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch +Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, +durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer +Lage gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. Der Anfang +indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der Konsul +Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen +Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der +Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine +Abteilung der bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte +den Hafen der Insel, in dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen +waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. +Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen +beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf +der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein schwaecheres +karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte, +einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen, +und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der +zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen +Kollegen uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von +Messana, traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos +herankam, auf die roemische, welche hier ihre erste groessere Probe +bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und unbehilflichen +roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich in +aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken +bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und +stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war +ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die +gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als +die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, +fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, +unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs +Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck. +Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der +Hand, den Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen +Handel den Ruin zu drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren. Es +gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den +italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und +Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut +kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies +durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung +dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht +genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder +man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht +auf Afrika werfen, nicht in Agathokles' abenteuernder Art die +Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines +verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die Verbindungen +der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem Falle +liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten +Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit +aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. Man +waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht +von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria +auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser +Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. +Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, +misslang, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre +(496 258) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen +Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung +der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts. +Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss +mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen +Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich +einige von den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder +entrissen werden, und in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager +sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in +ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung +wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites +grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide +Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge. +In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem +geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen +liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer +Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen +strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall +nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer +ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der +wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. +Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Kuesten +aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als +vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und +ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das +System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr +498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der +libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer +Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen +unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius +Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess +es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf +der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die Roemer die feindliche Flotte +auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat +vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben groessere Massen zur See +gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen. Die roemische +Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung +ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von +350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass +gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, +um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die +Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken +Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich +ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, +in schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite +Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei +gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss. +Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte +ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige +Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst +angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht +loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit +den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen +Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der +linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte +roemische Geschwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert +ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte dasselbe in heftigem +und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die +roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen +See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen +war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, +offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen +Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden +anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen +Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen +zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis +die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch +erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des +rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem +auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle +noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil +verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser +umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige +Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 +Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die +karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht +auf, Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von +Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu +liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der westlichen +Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der +oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden +Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf +einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine +vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie +die Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war +ein verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte +seine Operationen beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und +brandschatzten das Land; bis 20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt +werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf +den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu +stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der Beschluss des +Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee nach +Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit +40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die +Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt +sich in die Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den +waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei +und die Elefanten nicht verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in +Masse, die Numidier standen auf und ueberschwemmten weithin das offene +Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten Feldzug zu beginnen mit der +Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in +Tunes sein Winterlager aufschlug. Der Karthager Mut war gebrochen; sie +baten um Frieden. Allein die Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht +bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, sondern Eingehung eines +ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager verpflichtet +haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den roemischen +Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit +Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen +werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische +Flotte auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die +gewaltige Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch +den tief gesunkenen, bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig +aufzuflammen pflegt, diese Energie der hoechsten Not trieb die Karthager +zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben +mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer +so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der +sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen +trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager +fuehrten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise +zu und ebenso zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten +Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organisierungstalent und +strategische Einsicht seinen neuen Dienstherren von grossem Nutzen war +^2. Waehrend also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen +trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht +ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog, oder +mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage +erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht +imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die +Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern +der feindlichen Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem +Schiffslager zu sichern versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, +was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch Verhandlungen mit den +aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine +gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein Heer also +in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten +Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), +hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager +es waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht +anboten; natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus +fertig zu werden, ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus +demselben Grunde haetten die Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen +auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die +Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke - denn obwohl die Zahl des +Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch +den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes +Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager +hatten sich auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, +aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager kommandierte, +warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewoehnlich +auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen +Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und das +roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. +Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor +gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben +aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der +Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den +Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten +feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss +die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den +Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar +ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden +doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche +linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo +die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der +Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei +ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte; +nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten +leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen Legionen +sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu +erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der +spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von +den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm +an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis +es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der +Schaendlichkeit steuerten ^3. ------------------------------------------ +^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos' militaerisches Talent +Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen +Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu +lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der +Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, +dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios +nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet +worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht +in aegyptische Dienste. ^3 Weiter ist ueber Regulus' Ende nichts mit +Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), +bald 513 (241) gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere +Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen +suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen +wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge +obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; +widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten +und schlichten Geschichte. +--------------------------------------------------- Wie die +Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich +gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. +Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem +schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 +Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, +um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer +Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die Katastrophe +eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln moegen, +der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein Ende gemacht haben +wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf verloren, +dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen +auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und +leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der +Landung in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen +afrikanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager +versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und +den Untertanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine +ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber (1740000 Taler) +und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen abgefallenen +Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer +dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der +karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der +Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, +als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das Unglueck den Roemern +das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte in einem schweren +Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft zugrunde; +nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene +hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen +Admirale die Fahrt einmal also befohlen. Nach so ungeheuren Erfolgen +konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum +ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit einem +starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es +waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld +zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den +Mangel eines guten Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen +zu ersetzen. Auch die Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: +die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung +von Clupea beweist, im roemischen Senat sofort wieder der Partei die +Oberhand gegeben, die den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich +begnuegte, die Inseln allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu +bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man +bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, +baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde +auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele +zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei +Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) +erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe +zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen +Angriff von der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen +Siziliens, Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren +Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass +am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern +verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer +auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen +standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen +Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine +Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. Im folgenden Jahre (501 +253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren Vorteile in Sizilien +zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht um zu landen, +sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie damit +zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten +unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen +und mit Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen +Sizilien und Italien ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; +auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, +den Weg laengs der Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von +Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern +muessen. Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, +die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die +Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken. +Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine +guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte +Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige +Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im +Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von +Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 +251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben +aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils +in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder +Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von +den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden +gefangen, und das karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren +beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb, +nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende gefallen war +(505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und +Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg +des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei +im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, +die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen +und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu +lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, +die Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte +kennt, wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer +Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe +von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, +vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden +und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der +Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige +Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen +Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem +karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren, +Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu +werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher +war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die +Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien +sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein +der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff +ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall +erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis +anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang +den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall +abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die +roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die +Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser +und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf +Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen +Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel +leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der +Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte +Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen, +die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen. +Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um +geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der +Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius +Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu +gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan +zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die +karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte +unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das +Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um +Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten +Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit +Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische +Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht +und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die +roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden +Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite +seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben +in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten +Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und sich +gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser +rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung +und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der +feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, +die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils +so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder +zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu +Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie +begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass sie +fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem +er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel +der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, +fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse +Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon +war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer +der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war +diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen +ernstlich zu versperren, und konnte vor dem Angriff der karthagischen +Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers. Die +eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen +Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und aufreibenden +Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut noch +an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den +Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius +Pullus, der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon +bestimmten Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte +laengs der suedlichen Kueste der Insel mit der zweiten roemischen +Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, beging, statt seine Schiffe +zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten Transport allein abgehen zu +lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische +Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die +roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht +erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die +beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab +und zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina +in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden +freilich von den Roemern tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier +wie ueberall an der Kueste schon seit laengerer Zeit errichteten +Strandbatterien; allein da an Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer +die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die Vollendung seines +Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete +denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden +vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit +seinen unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die +Mannschaft und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu +retten (505 249). Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun +ins sechzehnte Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter +ab zu sein als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege +zugrunde gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes +ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet +die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien +die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert +hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus +zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um +etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die +Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und +daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer +traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse +ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der +unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare +durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein +schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man +den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit +frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich +gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen +unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden +gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als +je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt +gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die +Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel- +und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als +die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber +ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu +den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte +die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den +Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen +bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. +Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht +anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu +beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch, +seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst +kostspielige Anstalten erforderte. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit +gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demuetigen imstande war. +Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte gefuehlt ward, versteht +sich; indes wie die Sachen standen, konnten die phoenikischen Finanzen +unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der +ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und +nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung +war eben nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein +leichter und sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, +der roemischen Flotte los zu sein, liess man toericht auch die eigene +verfallen und fing an, nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und +zur See auf den kleinen Krieg in und um Sizilien zu beschraenken. So +folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten, +welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos +auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und +handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, +das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm +im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee +wie in jeder karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten +Infanterie; und die Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu +schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen verpflichtet +gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und hoechstens +die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar +beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen +Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner +Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im +besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das +Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts +koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag +seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den +Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu +setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen +im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer +ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei +Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich +mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen +und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend +phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So +ernaehrte er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu +begehren, und bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, +das wichtige Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht +bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, +sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf +sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der +auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel +der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und +von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte +das Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits +blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels +gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein +schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel +pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die +Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich +nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und +der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der +sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer +zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine +Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon +klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, und die +Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner sich dreist +wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener zeigten sich +die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen eine +dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen. +Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was +spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. Indes +der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der +Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich +eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne +Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein +Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den +Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die +Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, +Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern +vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch +Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so +grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und +patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer +den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften +abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als +dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass +eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges +zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen +freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den +Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre +zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort +kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar +seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und +fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon +und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch +begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden +Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man +ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu +Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und +als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der +Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine +schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft, +ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht +erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein die roemischen +Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der heiligen +Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen +Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). +Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut +gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul +Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius +Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die +schwer beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; +fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein +in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen +Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den +Frieden. Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, +was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen +Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, +der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet +sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder +seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. +Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die See +beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere Kasse +vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen versucht +hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die roemische Flotte +zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die Insel +auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen +Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass +Rom sich verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit +der roemischen Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen +untertaenigen und abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten +oder Krieg zu beginnen oder in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben +oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die Nebenbedingungen anlangt, so +verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der roemischen Gefangenen und +die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung +des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer +ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit +Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den +Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von +18 Denaren (4 Taler) fuer den Mann. +----------------------------------------------------- ^4 Dass die +Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet der +roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst +nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich +genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, +27). ----------------------------------------------------- Wenn den +Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien, +so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann +sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch +den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen +Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, +wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch +wiederholen laesst, vielleicht selbst Hamilkars Persoenlichkeit +mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher Nachgiebigkeit zu +bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf +unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem +Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt +hatten, anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies +geschah, wissen wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob +die Opponenten den Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige +Konzessionen mehr abzudringen, oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus +von Karthago den Verzicht auf die politische Unabhaengigkeit gefordert +hatte, und entschlossen waren, den Krieg fortzufuehren, bis man an +diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden handelte, sondern +um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, so war +sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes +andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und +erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an +Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende +Partei in der vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das +einzige fuer die roemische Gemeinde genuegende Ende des Kampfes +erblickte, so zeigte sie politischen Takt und Ahnung der kommenden +Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um den Zug des +Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, um +nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu +brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn +zu beantworten jetzt niemand wagen kann. Schliesslich uebertrug man die +Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, die in Sizilien an +Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im wesentlichen den +Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu zahlende +Summe erhoeht auf 3200 Talente (5 Mill. Taler), davon ein Drittel +gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der +Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und +Sizilien in den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin +nur eine redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, +wenn es Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte +besetzte Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich +von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika +absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, +ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. So war man endlich +einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation stieg herab +von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren der +Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert +Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern +alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte +Frieden (513 241). Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, +welcher die roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die +Halbinsel einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen +die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende +Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht +geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, +die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer +militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt +haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines +Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden +italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der +roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich +organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese +hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der +in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten +Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die +Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und +Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten; +der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen +kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man +nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen +der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass +eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben +Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen +Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus +in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils +hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde +eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die +Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der +die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer +jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem +Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen +und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren +Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen +und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen +und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch +weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein +Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung und +den kommandierenden Buergermeistern entschluepften? Offenbar wusste man +beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im Laufe des Kampfes +draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine nach der +anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen +militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die +vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab +durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch +diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger Notbehelf und ist es +zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine roemische Flotte, aber +man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets +stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem +hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils +italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und +Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei +Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal +zu Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies +zum Teil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren +und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen +wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen +Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation +benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch +die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht +herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten +Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah +nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen +in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung +dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag +gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die +sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der +Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem +System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler +beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der +Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte +belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, +die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern +fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen +wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen +anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber +freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines solchen +Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue +Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren. +Regulus' Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken +befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es +gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge +in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo +fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine +erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat zog die +halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen Ueberlegenheit +der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der +Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die +Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich ueberwinden zu +lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein +tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch +die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der +Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige +Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig +geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von +militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das +freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, +dass man das Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls +der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, +nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den +schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind +nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der +anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. Rom hat endlich gesiegt; +aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, als er zu Anfang +gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische Opposition, auf +welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die Halbheit +und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom +gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter +und der Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel +der roemischen Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner +Feinde. 3. Kapitel Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen +Grenzen Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des +fuenften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien +vereinigte unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden +vom Apennin bis an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte +Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten +hin ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres +italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im +Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits +im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem +grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel +verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich +die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana +zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen +Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten +und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die +augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende +politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber +begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen +Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine +neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche +Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch +und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem +niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige +Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der +Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und +Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der +Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich +mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des +Werkes zu erleichtern. In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr +in Betracht kam als das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, +die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den +karthagischen Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer +uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten +zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis +festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch +gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss +begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so +ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den +Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein +Gebiet - das heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die +Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion +- und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder +Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang +gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem +voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also +fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des +Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, +in Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich +haeuslich ein. Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes +doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer +zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete +sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese +zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika +hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner +und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. +Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die +karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren +seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen +Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim +erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach +Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er +sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise +abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber +hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so +sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und +dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer +wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem +versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter +den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte +den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren +gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten; +sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte +Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche +Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre +Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer +wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause +zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben +und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten, als +sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um +Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck +herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge +karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere +des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon +war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende +karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers +gaenzlich geschlagen. Wie man also in Rom den gehassten und immer +noch gefuerchteten Feindin groesserer Gefahr schweben sah, als je die +roemischen Kriege ueber ihn gebracht hatten, fing man an, mehr und +mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen, der, wenn er nicht +wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und +zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war, wie +maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot +zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja +man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien +Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, +mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der +Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr +ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen +Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den +die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee +zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer +Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer +dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. +Auch die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen +Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich +der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert +hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die +Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, +den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche +Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an +dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars +aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom +zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen +Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die +roemische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die +Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was +von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit +schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft die +Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft es +nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu +machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann, +dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn +nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der +Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig +ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider +Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars +Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft +eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom karthagische +Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer, +nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen +oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber allerlei Unbill, +die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt haben sollten, und +eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in der Politik jeder +darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten Schamlosigkeit. +Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen Krieg +annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung +bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. +Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der +Staat durch den vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast +fuenfjaehrigen entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht +war, musste man wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche +Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die +mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung von +1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer +widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu +man Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht +noch vom letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen. +Indes beschraenkten die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, +sich in Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung +der Kuesten. Mit den Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige +Kriege, oder vielmehr man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie +mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber +an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst +willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. +Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die +Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen. +--------------------------------------------- ^1 Dass die Abtretung der +zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die der Friede von +513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht +einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht +beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem +Frieden damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie +bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit +hinzugefuegt haben. --------------------------------------------- Die +Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische +Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus +blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, +aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten +Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und der +ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen +Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen. +Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die Konsuln, +einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr +Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; +wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in +das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie +in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden +Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit +ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den +latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden Vertraege +einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch Italien verteilten vier +Quaestoren beschraenkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens +nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den +Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese +Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete +erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren unter +Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man +sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die +ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der +roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung +der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke +stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste +jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration +in der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen +ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst +Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang +und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber, +gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in +seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. +Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln, +so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere +Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und +in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die +Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres +Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. Diese Verschiedenheit in der +Oberverwaltung schied wesentlich die ueberseeischen Besitzungen Roms +von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen +Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf +die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne +Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht +sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein +Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes +Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. +Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen +Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative +Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit einem +unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war +es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf den +Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs scheint +dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, wenigstens +in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht, in edlen +Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb nicht +bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass +das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum +verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es +behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden +die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht +in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch +zugelassen ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall +beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische +Aristokratie repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner +wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte +Jahr dem roemischen Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu +veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung +unter den roemischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne +Uebersicht der finanziellen und militaerischen Hilfsmittel einer jeden +abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht regieren konnte; und auch in den +italischen Landschaften war in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche +geschehen. --------------------------------------------------- ^2 Dahin +fuehren teils das Auftretender "Siculer" gegen Marcellus (Liv. 26, 26 +f.), teils die "Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden" (Cic. Verr. +2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte Analogien +(Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden commercium +zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium +noch keineswegs. ^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und +Silbermuenzrecht in den Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar +weil auf das nicht auf roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld +es weniger ankam. Doch sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in +der Regel auf Kupfer- oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt +worden; eben die am besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, +wie die Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, +wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen. +---------------------------------------------- Aber neben dieser +wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den italischen +einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein folgenreicher +Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten +abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer +oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen +Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht +eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie +verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen +Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden konnten. +Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen in der von +ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der Zehnte der +sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes aller +in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach +Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die +Abgaben, welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig +sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und +auch in Griechenland war eine solche Besteuerung nach orientalischem +Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie +verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten laengst in dieser Weise den +Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und laengst +auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene Rechnung erhoben. "Wir +haben", sagt Cicero, "die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel +und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie bei dem Rechte blieben, nach +welchem sie bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhaeltnissen +der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren +gehorcht hatten." Es ist billig, dies nicht zu vergessen; aber im +Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die Untertanen, +die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war das +Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen +Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt +derselben Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller +Bedeutung, gegen die alle Milderungen in den Ansaetzen und der +Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche +Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. Messana trat geradezu +in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte wie die +griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen +Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in +die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen +Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in +finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als die der italischen +Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche zuerst unter +den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen Buendnis +uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das bestimmt +war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu ueberwachen ^5; an +der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien griechischen Staedten +den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem Panormos, bisher +die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, die des +roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die abhaengigen +Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts +zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber +durchschnittlich standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden +nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen +Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit. +--------------------------------------------------- ^4 Darauf geht +Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die Roemer +sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder +latinischer bedienten und "Auslaender" nur hoechstens unter den +Leichtbewaffneten verwendeten. ^5 Das zeigt schon ein Blick auf +die Karte, aber ebenso die merkwuerdige Bestimmung, dass es den +Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in ganz Sizilien +anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten +Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu +Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501). +-------------------------------------------------- Allerdings fiel +dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den steuer- +oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz +zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger +Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen +Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den +italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst +der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und +Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits +des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts +entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische Distrikte +am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich ausgedehntem Umfange +eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen die zuzugpflichtigen +Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die steuerpflichtigen +auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch zivilisierten +Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen roemischerseits +beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne Zweifel +schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht +bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, +dort neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu +konstituieren. Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss +Untertanenland, sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu +bleiben; dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln +oder, was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein +neues und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen +Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich +geographischer Begriff mit dem politischen der italischen +Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, +teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur +Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges +Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika +geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie +mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch +vorzuschieben ^6. ------------------------------------------- ^6 +Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem +konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den +Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert +in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse +Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin +ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten +(Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. +Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung, +welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul nur "auf roemischem +Boden" den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird: +der roemische Boden begreife ganz Italien in sich (Liv. 27, 5). Die +Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen und dem Apennin +zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und einem besonderen +staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst Sulla an. Es +wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im sechsten +Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als "Amtsbezirk" +(provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird. Provincia +ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter allein +bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten +unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst +durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats +festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne +norditalische Landschaften oder auch Norditalien ueberhaupt +einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden. +-------------------------------------------- Im Adriatischen Meer, an +dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete Kolonie Brundisium +endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet worden war +(510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der +Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen +sorgte schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten +auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der +bedeutendste derselben, der makedonische, war unter dem Einfluss +Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem +Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und kaum noch imstande, +die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie sehr den Roemern +daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen Verbuendeten, den +syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich anschlossen an +die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das merkwuerdige +Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem Koenig +Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen, +den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von +Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich +Makedonien fuer den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden +die Beziehungen Roms zu den hellenistischen Staaten enger; auch +mit Syrien verhandelte der Senat schon und verwandte sich bei +dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. Einer +unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte +bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im +Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, +die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich +hielten selber einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn +vermied man damals eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die +Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie allein unter allen Griechen +nicht teilgenommen haetten an der Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des +Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine +diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer +Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort erteilten, ging das +antiquarische Interesse der roemischen Herren doch keineswegs so weit, +um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die Makedonier von +ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). Selbst den Unfug der +Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise das einzige +Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste bluehte und vor der auch der +italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Roemer mit einer +Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und +ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig +gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung +Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der +Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu +Gunsten seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die +illyrischen Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner +und Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil +vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der +bekannten "liburnischen" Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen +jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in +diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die +wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich +von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen +sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in +Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich +fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen +mit den fremden Raeubern in eine unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis +und Messene hin waren die Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten +die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu +steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren +griechischen Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte +endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. +Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten +Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten +endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu +schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem +Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur +Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes +Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei +zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich +angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht +beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik +wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der +Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder +verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr +525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen +mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, +waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres +Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes +fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen +annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden wieder im +Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes Gebiet +beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte, sondern +auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die +Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen; +suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten +kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte +nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem +Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise +zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische +Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte +sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden +tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten +wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische +getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse +eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und +die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der +Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des +Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen +Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach +anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt und +die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche Italien +verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten gleich +Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im Adriatischen +Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch anders +kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen +Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht +gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen +Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel, +was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu versichern; +im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand imstande zu +widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann +fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die Scham, als +statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der +streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren +in ihre Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die +den Griechen zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber +wenn man sich schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom +Ausland hatte kommen muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; +man saeumte nicht, die Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen +Spielen und den Eleusinischen Mysterien feierlich in den hellenischen +Nationalverband aufzunehmen. ------------------------------------------- +^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. +22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher +von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des +Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des +Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in +der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren +Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese "Stellvertreter" +aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, der sie ernennt +und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur die Konsuln +gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien und +Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden +Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern +des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu +Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte. +---------------------------------------- Makedonien schwieg; es +war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu protestieren, und +verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man nirgend; +aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause des +Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem, +wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, +sich erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. +Haette der kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger +gelebt, so wuerde wohl er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben +haben; denn als einige Jahre spaeter der Dynast Demetrios von Pharos +sich der roemischen, Hegemonie entzog, im Einverstaendnis mit den +Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Roemern fuer +unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos +Buendnis mit ihm, und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer +in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos starb (Winter +533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es +geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten +Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig +aus seinem Reiche trieb (535 219). Auf dem Festland des eigentlichen +Italien suedlich vom Apennin war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; +der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als +eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der +Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch +eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. +Als Grenze Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, +unmittelbar oberhalb Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte +die naechstliegende, eigentlich gallische Landschaft bis Ravenna +einschliesslich in aehnlicher Weise wie das eigentliche Italien zu dem +roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier ehemals gesessen hatten, +waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und die einzelnen +Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder +als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es +italischen, wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten +Gebiet jenseits Ravenna bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische +Voelkerschaften. Suedlich vom Po behauptete sich noch der maechtige +Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen oestlich +die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die Anaren, zwei kleinere, +vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische Kantone die +Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit +einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb +Arezzo und Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der +Ebene nordwaerts vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von +den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von +Verona bis zur Kueste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen +Gebirgen sassen die Cenomanen (um Brescia und Cremona), die selten +mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt +waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der +italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den +kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer, +teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der +Alpen. Die Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche +Meilen schiffbare Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des +damaligen zivilisierten Europas, waren nach wie vor in den Haenden der +Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl gedemuetigt und geschwaecht, +doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig und immer noch unbequeme +Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet in den weiten +Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte +erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu +bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer +Niederlagen in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und +sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen +Kelten aufs neue begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der +Tat hatten bereits im Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und +deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, +die Transalpiner aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu +machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236) +lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen +hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht +zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu +gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung +von Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des +Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte +dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, +unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes +Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; es kam +zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und nachdem +die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren, +kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern in die +Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den Senonen +auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward +vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede +gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den +Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser +durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die +richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen +so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die +bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen +Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer +beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den +Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste +(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt +gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit +Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das +Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder einmal +des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit +Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich fuer die +Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische Kelten zusammen, +und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern Concolitanus und Aneroestus +zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren +Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu Wagen +kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin +zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht +versehen und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung +der roemischen Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen +Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen +wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in +ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die Gefahr war ernst +und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass Roms Untergang +diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom Verhaengnis gallisch +zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge so allgemein +verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde hielt, +den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen +und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine +gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen. +Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen +Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte, +stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite +unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl, +sich so schnell wie moeglich nach dem zunaechst bedrohten Etrurien +zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbuendeten Cenomanen und +Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat zuruecklassen muessen; +jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von den heimischen +Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde auf +seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die +Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und +womoeglich sperren, bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In +Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das +diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige +Mannschaft verzeichnet, Vorraete und Kriegsmaterial zusammengebracht. +--------------------------------------------- ^8 Dieselben, die Polybios +bezeichnet als "die Kelten in den Alpen und an der Rhone, die man +wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) nenne", werden in +den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich ist es, dass die +gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und erst +die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die +Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus "Germanen" zu machen. +Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige +Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste +Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die +spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen +keltischen Schwarm. ---------------------------------------------- Indes +alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und +wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den +Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen +des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen +sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum +unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien, waehrend die +etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung des Apennin im +Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde +folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich gelagert und die +Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk ploetzlich +wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse +gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die +Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische +Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte +sie, dass der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem +Nachsetzen. Eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes +und geordnetes Fussvolk empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld +die roemische Miliz, die ermattet und aufgeloest von dem Gewaltmarsch +herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf, und auch der Rest des +Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel Zuflucht gefunden, +waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das konsularische +Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der Heimat +zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der +beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu +vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, +zunaechst die betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des +bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo +sie standen, an die ebene Kueste und marschierten am Strande hin, +als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt fanden. Es waren die +sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da sie zu spaet +kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben Kuestenweg, +den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in +Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) +trafen sie auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in +geschlossener Front auf der grossen Strasse vorrueckte, ging die +Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber gefuehrt, seitwaerts +vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so bald wie moeglich +dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu +geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit vielen +tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein +Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht +und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von +beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. +Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer +gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier +gegen das sardinische Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert +auf dem Fluegel seinen Gang. Die Kraefte waren der Zahl nach nicht +ungleich gemessen, und die verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur +hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes +gewohnt, wichen vor den Geschossen der roemischen Plaenkler; im +Handgemenge setzte die bessere Staehlung der roemischen Waffen +die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der +siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen +entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei +roemischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit +dem Koenig Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem +Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer +Sitte selber den Tod gegeben. Der Sieg war vollstaendig und die Roemer +fest entschlossen, die Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige +Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen. +Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier +nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war +das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere +Kaempfe kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius +ueberschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) +den Fluss (531 223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der +Festsetzung am anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich, +den Fluss im Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem +Feind um freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise +zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der +Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der +Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es +sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen +Feldzeichen, "die unbeweglichen" genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, +50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser +war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht +dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer +den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die +unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog +die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des +Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber, stellte man +die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den unsicheren +Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu werden. +Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur +Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen +Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug +sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen +Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht +den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des Senats nur durch +Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer Frieden gemacht; +aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit war man noch +nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen Stammgenossen zu +halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern derselben und ihrer +eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 222) +abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrueckenden +konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer +Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium +(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der +gallische Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. +Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich +doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus +Scipio die Hauptstadt der Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser +und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die +italischen Kelten vollstaendig besiegt, und wie eben vorher die Roemer +den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen roemischer und +griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend +bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren +wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen +inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie +Griechenland zerrissen dastand. Die Alpengrenze war erreicht, insofern +als das ganze Flachland am Po entweder den Roemern untertaenig oder, wie +das cenomanische und venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen +besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses +Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei +nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in +den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im +ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die +namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen +mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler +den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier +kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) +scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel +der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der Kueste zwischen +den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer +eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die Kelten in +den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos +verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm +keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen +Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre +Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. +Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte +Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt, +die ohne kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich +ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, und es war nicht +schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur nebenher obliegende und +ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, wie die keltische war, zu +verdraengen und auszurotten. Die grosse Nordchaussee, die wahrscheinlich +schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz +vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium (514 240) verlaengert +worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der Flaminischen +Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei +Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von +Fanum (Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, +die den Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband. +Man war eifrig beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit +roemischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs +ueber den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia +(Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt, +ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von +Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere +Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein +ploetzliches Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge +unterbrach. 4. Kapitel Hamilkar und Hannibal Der Vertrag mit Rom von 513 +(241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen teuren Preis. Dass die +Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den Schatz des +Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste +Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung +hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die +saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer +zu monopolisieren, sondern dass das ganze handelspolitische System +gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken +des Mittelmeers seit Siziliens Verlust fuer alle Nationen ein offenes +Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollstaendig +unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen sidonischen Maenner haetten +auch darueber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon +aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den Massalioten, den +Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man frueher +allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien, +die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und +wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens +dies blieb? Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um +das, was er forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen +wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem +Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war +Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer +Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte +jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden +die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche +Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass +Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien +ihm genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser +Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, +dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen +fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber +doch zu vertilgen? Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) +nur als einen Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur +Vorbereitung fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht, +um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um +das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem +Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein +wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach +unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, +entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen +Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen +und so die politische Defensive durch die strategische Offensive +verdecken moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und +feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, +welche nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur +den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab +es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie +natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen +und den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand +ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der +Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand, +diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, +und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge +unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen +waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der +ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen +diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen +sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden. +Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle +Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung +angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen +Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und +endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers +Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes +gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in +der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen +ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und +dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man +ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben +heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte +der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und +trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den +Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs, +sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich +kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika +zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). Die Patriotenpartei hatte +waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter. +Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und +Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre +Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; +anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, +welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das +Damoklesschwert der roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago +hing, und dass, wenn Karthago unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen +mit Rom zum Kriege kam, dieser notwendig den Untergang der phoenikischen +Herrschaft in Libyen zur Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht +wenige geben, die, an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die +Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer +durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die +Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht, +aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung +zu schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben +diktierte; es blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass +zu dem alten schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses +letzte Kapitel einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man +zu einer politischen Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der +Regimentspartei hatte man sich hinreichend ueberzeugt; dass die +regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen +noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans +Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den +Prozess machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne +Vollmacht der Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen +gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen +Stuehle dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in +Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein; +allein auf desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von +Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten. +Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die +Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass +weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum +gewahr wurden. --------------------------------------------------- +^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, +sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen +Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in +unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind +Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen +die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch, +mit dem die "revolutionaere Verbindung" (etaireia t/o/n pon/e/rotat/o/n +anthr/o/p/o/n) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei Nepos +(Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch finden. +---------------------------------------------------- So liess man die +Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen Genuss +ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und +durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen +Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und +Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn +fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass +er eine von den Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine +verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine +Diktatur - erhielt und er nur von der Volksversammlung abberufen und +zur Verantwortung gezogen werden durfte ^2. Selbst die Wahl eines +Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der Hauptstadt aus, sondern +vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten oder Offiziere +dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem Feldherrn +genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das +Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet +deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und +behandelte. --------------------------------------------- ^2 Die Barkas +schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die Ratifikation der +Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert bei ihnen +und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago +hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten. +---------------------------------------------------- Der Auftrag, den +Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die Kriege mit den +numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war +im Binnenland die "Stadt der hundert Tore" Theveste (Tebessa) von den +Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem +neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher +Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in +ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von der +Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen koennen, +waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht einmal +erkannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der +im sizilischen und im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die +Geschicke ihn oder keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten. +Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der grossartige Kampf +des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den +Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr +hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht +geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die +Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr +schwebt, einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten +aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm +vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich +die gebildete Klasse vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens +einige libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen +aus den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn +wie Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten +puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die +karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren +Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere, +hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich +selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte +Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war +nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche +und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende +Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und +mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief +verdorben und durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts +fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder +die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall selbst in den feilsten +Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar fuer seinen im besten +Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchfuehrbaren Plan die +Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich sichern, +so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige +Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten. +So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu +retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der +Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und +Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, +den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt +nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der +hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von +aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlossenheit der einen +und der andern bauend, zugleich beide taeuschend und beiden trotzend, um +nur erst die Mittel, Geld und Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein +Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu +erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch +ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er schien +zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht +vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land +der Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen +Sohn Hannibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten +Gottes dem roemischen Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und +die juengeren Soehne Hasdrubal und Mago, die "Loewenbrut", wie er sie +nannte, im Feldlager auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies +und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar +nach der Beendigung des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im +Fruehjahr 518 236). Er schien einen Zug gegen die freien Libyer im +Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders an Elefanten stark +war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von +seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei +bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien +gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm +nichts zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die +karthagischen Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er +die afrikanischen Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier +wieder einmal aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so +nachdruecklich zu Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und +mehrere bisher unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen. +Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr +verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in +Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie +trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben +Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns +wenigstens im allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer +und als Staatsmann in den neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 +236-228) geleistet worden ist, bis er im besten Mannesalter in offener +Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als +seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann waehrend der naechsten +acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene, +sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des +Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepots fuer den +Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der +spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen +behandelt hatte, ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars +Feldherrnkunst begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische +Gewandtheit befestigt. Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- +und Ostkueste wurden phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden +gegruendet, vor allem an dem einzigen guten Hafen der Suedkueste +Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders +praechtiger "Koenigsburg"; der Ackerbau bluehte auf und mehr noch +die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen von +Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2 Mill. Taler (36 Mill. +Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro +wurden abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand +es, die Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das +karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen +Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen +der Provinz naehrten nicht bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, +nach Hause zu senden und fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die +Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. In dem Karthago +unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen statt; die +Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; von +den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man +begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite +Heimat und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die +begeisterte Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen +Kaempfe mit den tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen +numidischen Reiterei ein brauchbares Fussvolk. Von Karthago aus liess +man die Barkas machen. Da der Buergerschaft regelmaessige Leistungen +nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie noch etwas abfiel, +auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien und Sardinien +verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen +glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es +sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars +Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien +durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen +oder doch sich begnuegen musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom +auf die demagogischen Offiziere und den Poebel zu schelten. Auch von +Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich +eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der +Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft +mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die +Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes +Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika +selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen, mit denen die karthagischen +Feldherren den roemischen, um Erkundigungen an Ort und Stelle +einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien entgegenkamen, die +Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die roemischen +Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat +unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von +Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den +Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt +einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens +von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze +Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass unter der +Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht sich; allein +wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein, ueber den +drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen Behoerden laengst +ausserstande waren, ihre roemischen Freunde aufzuklaeren und damit die +Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; und wenn es dennoch +geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen mit Fug sehr +vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die unbegreiflich +rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien die +Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr +denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat +Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, +ihres jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder +halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder +Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, +und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis +setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu +ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um +einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, der +diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils +um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich +zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien +Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter +seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, +dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer +den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit +der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen +Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man genoetigt +werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und dass der +Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde, als er +ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen, wie der +Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht anders +sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu beendigen, +womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in +den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die +Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von +dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm +gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings +zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des +Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit +den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung +bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm, +benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs +neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen +Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische +Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten, +versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die +spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich +ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich +leugnen, dass der roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und +schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen +Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist. +Ueberall ist die roemische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch +Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine grossartige +Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die Feinde +Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. So +gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum +Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und +eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte +Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der +Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter +einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war +nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger +Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht +gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der +Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen +wir nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von +Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des +spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den +Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals +im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine +ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend +und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die +bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen +Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager +gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter +Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und +einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn +nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu +entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die +Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er, +wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten +Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache +selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer +seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu +tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er +unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch +glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich +ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die +Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren, +wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. Er trat die +Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen +Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Roemern hiess +er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste er, wie nur +orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals +Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. Indes, +wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben, +sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von +schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, +was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal +Monomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt +in den Berichten ueber ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen +Verhaeltnissen und nach dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten +waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer +Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu +vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische +Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters +bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und +Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der +Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage +ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er +von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah +man haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes +auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der +Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen +Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der +karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss bekundete, +den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der oestlichen +Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, +beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und +vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn +gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die +Blicke aller. Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling +534 220) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das +Keltenland noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien +vor der Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu +tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie +es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald +marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab +gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als +Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des +patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen +als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des +Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der +Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars +Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint, +den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf +Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal +scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit gegen +die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner +zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu +fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun +diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein +die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien, +um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass +Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss +die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos +Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im +italischen Kettenland ward die Gruendung der Festungen mit verdoppelter +Schnelligkeit und Energie von den Roemern betrieben; der Schilderhebung +in Illyrien schickte man in Rom sich an, im naechsten Fruehjahr ein +rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; Hannibal entschloss +sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die Saguntiner +karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie +darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im +Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das +heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag +man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation +in gewissen Kreisen machte. Alle "angesehenen Maenner", heisst es, +missbilligten den "ohne Auftrag" geschehenen Angriff; es war die Rede +von Desavouierung, von Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, +dass im karthagischen Rat die naehere Furcht vor dem Heer und der Menge +die vor Rom ueberwog; sei es, dass man die Unmoeglichkeit begriff, einen +solchen Schritt, einmal getan, zurueckzutun; sei es, dass die blosse +Macht der Traegheit ein bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss +sich endlich, sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht +zu fuehren, doch fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur +spanische Staedte sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur +einen geringen Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und +nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden +illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der +See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und +nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere +Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich +erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, +ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon +bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede +Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine +roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des +Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als +der roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die +Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er +darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da +ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen +lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm +man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen +Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den +Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, +um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von +Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den +Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum +Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner +Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd; +ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker +ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit +Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem +karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser +einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst +ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue +der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen +ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen +Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen +phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische +Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden. +Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition +bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der +Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an die +westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann +zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten, +ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment +uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar +karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die +Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien, +wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, +fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein +verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der +Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf +gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien und Afrika zu sichern, +weshalb in Spanien die Flotte blieb und Westafrika von einer sehr +starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue der Truppen buergte, +ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der +spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer +Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach +Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach +Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was +den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20 +Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste +segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich +sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von +Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit +der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne +Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender +Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in +Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann, +so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vornherein entweder auf +ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar +auf die Verteidigung beschraenken - die Niederlagen brachten in all +diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche +Frucht. Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, +die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der +Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische +Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren +Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine +Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer +beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen +Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz +anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss des +Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das +Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; +zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen +Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt. +Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer +Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen +ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden +Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, +um die eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs- +und Chausseenkette legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das +zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen zaehlte, ihre Retter +erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als Verpflegungs- und +Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege mit den +Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten, +dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme +bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die +Roemer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden +stehe. Eben in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum +Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft +im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten +Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das roemische Buendnis mit +dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern vertrieben worden +war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser hatte den +Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die +Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den +gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies +alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet +gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer +grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren. +Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug +gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit +Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat +die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage +genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es ankommen +wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. Hannibal +hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten und +weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des Seekrieges +sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die +unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer +anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die +Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen, +wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als +die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte +Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen +hatten; der Verbuendete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne +Verwegenheit diesen betreten. So vereinigte Hannibal die fuer die +grosse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in +Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter, darunter +etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - die mitgefuehrten +37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu imponieren, +als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie das, +welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von +Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser +zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie +die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und +vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 +(218) von Cartagena auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, +namentlich den mit den Kelten angeknuepften Verbindungen, von den +Mitteln und dem Ziel des Zuges liess er die Soldaten soviel erfahren, +dass auch der Gemeine, dessen militaerischen Instinkt der lange Krieg +entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere Hand des Fuehrers +ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite folgte; und +die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die Forderungen +der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren Heimat, +das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn +und seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den +Herzen aller. Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch +in festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was +man wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht +noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit den +Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene offen. +Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen, wenn man +den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das nicht +wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede ward +durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos +Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren. Mit +Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte +man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die Verhaeltnisse +im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben; +ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der +Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und +im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man +ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten Operationen. Man disponierte +ueber eine halbe Million brauchbarer Soldaten - nur die roemische +Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig minder zahlreich als die +karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der +ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die +eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte +keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende +entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser +erdrueckenden Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand +es fest, dass der Krieg eroeffnet werden sollte mit einer Landung in +Afrika; die spaetere Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, +eine gleichzeitige Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen, +vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago +zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals +Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor +allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt +fiel; allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie +der Ehre. Acht Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt +ueberging, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet. +Indes noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen +Voelkerschaften nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer +waren, sondern auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern +Versprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien +gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von +Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen +Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, +konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. +Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte +fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul +Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich +Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung +bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die spanische +Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten +Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward er, dem unter +den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war als das Blut +seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee in einigen +Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass durch jene +Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert +wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung selbst +sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug +nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt +haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet +worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches +"Koenigreich" aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu +werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung +Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur +Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen +zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm +den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt +haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die Hauptsache war, +wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen +zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die Alpenpaesse, ehe +Hannibal sie erreichte, und die afrikanische Expedition ging ungehindert +nach ihrem Ziele ab. An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal +einen Teil seiner Truppen in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene +Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher +zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von +denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000 +Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg +ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber +Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils +die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, +teils die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon +gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher +Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach +Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet +worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro, +sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche +zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert +zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition +vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den +keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der +Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an +der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und +den Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand +gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der +keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von +22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier +Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen +Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit +der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und +bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er +besass nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den +zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem +Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen +gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an einem +Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine starke +Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen stromaufwaerts +bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon gelegenen +Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier ueberschritten +sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um dann +stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem +Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages +nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen +die Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer +auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben +als die Gallier, sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, +das Ufer zu besetzen eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen +in Flammen auf; ueberrascht und geteilt, vermochten sie weder dem +Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und zerstreuten sich +in eiliger Flucht. Scipio hielt waehrenddessen in Massalia +Kriegsratsitzungen ueber die geeignete Besetzung der Rhoneuebergaenge +und liess sich nicht einmal durch die dringenden Botschaften der +Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren Nachrichten +nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung +zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf +bereits die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen +und beschaeftigt, die allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen +Elefanten nachzuholen; nachdem sie in der Gegend von Avignon, um nur die +Rekognoszierung beendigen zu koennen, einigen karthagischen Schwadronen +ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und +Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst +auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach +nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als +er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des Uebergangs der +Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen +abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten +Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die "feige +Flucht" des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal +durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige +Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten +Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne +irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer +einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, +den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal +diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, +dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste +Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen +war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die schwachen +Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort dem Feind +einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die +kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar +dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die +militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden +gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder +Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach +Pisae. Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen +Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt +und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch +den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen +ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben +er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die +Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit +Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste +er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und +die Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende +Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen +konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel +auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das +immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch +notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem Kuestenweg, +den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn sperrten, +sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten +in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte +Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genevre) in +das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und +der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach +Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an, wo +er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und unfruchtbaren +Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen Durance durch ein +schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben- +bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier +angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen +Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen. +------------------------------------------------- ^3 Der Weg ueber +den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse geworden. Die +oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische Alpe +oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und +Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht. +------------------------------------------------- Der Weg ueber den +Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die erste, das +Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er sich +in dem Tale der oberen Isere, das von Grenoble ueber Chambery bis hart +an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich +hinzieht und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und +bevoelkertste ist. Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard +unter allen natuerlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber +bei weitem die bequemste; obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, +ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps +mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme +fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse +aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die karthagische +Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches +Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die +ihm verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St. +Bernhard wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genevre zunaechst +in das Gebiet der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten +mit den Insubrern in Fehde lagen. So marschierte das karthagische Heer +zunaechst an der Rhone hinauf gegen das Tal der oberen Isere zu, nicht, +wie man vermuten koennte, auf dem naechsten Weg, an dem linken Ufer +der unteren Isere hinauf, von Valence nach Grenoble, sondern durch die +"Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevoelkerte +Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, suedlich von der +Isere, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder +deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes +Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst +fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iseretal +scheidet. Der Marsch an der Rhone in und quer durch die Insel bis an +den Fuss der Alpenwand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe +Schwierigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch geschickte +Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen +Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass +derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit +gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit +Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die +erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur +ein einziger gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) +fuehrt, waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung +hatte den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen +Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang +die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf +er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf +dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget +hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die +Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschierende +Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in Folge +derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit +seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden +diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, +allein die Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch +den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt, +ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu +zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumtieren +und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem +anmutigen Tal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren +Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder +Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage eintrat in +das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich das +Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut +zu sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei +Conflans) mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und +Geiseln, und wie durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch +die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg +die Isere verlaesst und durch ein enges und schwieriges Defilee an den +Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien +auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils +auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergraendern, in +der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal, +dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts +gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die +reiche Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den +Tross und die Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem +gesamten Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, +obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen +den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder +herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem +"weissen Stein" (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des +Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden +Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die +ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere +zu decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten +endlich am folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten +Hochebene, die sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer +Ausdehnung von etwa 2 Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. +Die Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu +bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende +gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen des +unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose +Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der Begeisterung des +Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende Ziel, +fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu +wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich; +zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier +waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so +erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer +Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und schwierigsten +Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei +nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte Jahreszeit - man war +schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das +bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf +dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der +frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, +verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die Abgruende; +ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an eine +Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil +darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen +und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk +kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten +Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees +sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den +Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. +Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg +fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen +Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten endlich die +halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war nach +viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem +weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer +sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser, +Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre +Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September +in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern +einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige +Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die +Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und +kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort +erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan; +zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, +und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so +sehr bedurften ^4. ------------------------------------------- ^4 +Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte +Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als +geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der +Herren Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls +Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen +stehen. Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, "fingen die +Spitzen schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken" (Polyb. 3, 54); auf +dem Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht +frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem +Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; +als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden +sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die +Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September +auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass +er dort eintraf, "als schon der Winter herannahte" - denn mehr ist +synaptein t/e/n t/e/s pleiados d?sin (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten +der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C. +L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241. Kam +Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist +auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen +Ende Dezember (peri cheimerinas tropas Polyb. 3, 72) eingetretenen +Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten +Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer +Heerversammlung ypo t/e/n earin/e/n /o/ran (Polyb. 3, 34), also gegen +Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch +fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also +Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von +der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August +eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. +3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich +sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit +gesessen haben muss. -------------------------------------------- Das +Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, +den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem +Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der +Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal +zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss +- davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil +wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht +minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht wie +fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausgesuchte +Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33 maessigen +Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen +besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr +nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler +des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer +kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie +einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine +militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage +gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Nur +duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn knuepfen; +wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten Operationsplans, +koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie vorherzusehen +- fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob ein +anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena +oder Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt +haben wuerde. Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im +einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles +ankam - sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr +durch die Kunst des Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den +Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist +es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe +schwieriger und grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat +auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der +grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die +Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten +am Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. 5. Kapitel. Der +Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae Durch das Erscheinen der +karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage +der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. Von den +beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort +schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr +moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius +Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in +Sizilien; die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. +Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten +Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der +Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht +worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln +und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren gezogen. +Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen +Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika +ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen +Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung +von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den +Liparischen Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet +die brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines +geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der +Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie +moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte +noch in Lilybaeon. Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der +Armee Hannibals an Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von +dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings +nicht gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter +den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen +Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia +und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die +Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon +im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die +Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. +Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, +ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor +Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig +mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu +entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem +Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen +und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine +zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer +und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer +den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der +einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, +Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, +dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. +Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine +20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu +halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren +Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul +Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und +vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen +allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden +Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer +Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die +Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger +Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden +im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, +der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat. +Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend +geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen +der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende +keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, +ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, +waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, +um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem +Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, +die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung +vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, +beide gefuehrt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene +Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes +Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riss vor dem +Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend diese von vorn +die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische +Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen +Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken +und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war +sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was +er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und +verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen +Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang, +ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht +aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff den Fehler, den er +gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem +Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter den +Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die +Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen +der roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er +sein bedeutendes militaerisches Talent wieder, das der bis zur +Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen +Augenblick paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht +bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher +ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte +Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei +freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische +Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, +da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem +nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer +Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem +roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene vorwaerts +von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen +Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende +gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen und sich +auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften +Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit +dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. +In dieser starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, +den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch +die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar +die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser +Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die +insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme +der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals +Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager +dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio +genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen +durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich +unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen +Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, +Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche +Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen. +Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollstaendig und glaenzend +geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und +dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk +wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand, +um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den +Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder +sein Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die +laestigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend +dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im +Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg +gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von +Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr in +wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts, +ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen +Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich +entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. +Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern +unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die +roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei +der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr +nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu +verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand +sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht +geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros +der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und +durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied +zu stellen; die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im +Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut +bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon +gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den +Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und +die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts +ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines +Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten +Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die +Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und +den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische +Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum +Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene +karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der +Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in +dem Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten +Massen. Die Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen +Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. +Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng +zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die +Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, +namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere +Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die +uebrige Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu +ueberschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes +niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des +Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin +ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls +Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre +als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage +gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende +nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende +Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen +sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg +teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die +keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge +des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge +von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen +einzigen. ------------------------------------------- ^1 Polybios' +Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn +Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po +lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend +das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl +bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so +mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie +um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang +in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile der eigenen Armee +und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann +fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss ueberschreiten muessen. +Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die +Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld +entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es kann +sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke +ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der +placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die +erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios +also, Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der +Zehntausend bloss sagt, dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia +sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs +ueber den Fluss zu gedenken. Die Verkehrtheit der Livianischen +Darstellung, welche das phoenikische Lager auf das rechte, das +roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach +hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, dass die +Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch +Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117). +------------------------------------------ Die Folge dieses ersten +Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrektion sich nun +im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. Die Ueberreste +der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und +Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre +Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder +entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit +einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, +der nicht durch weitere Maersche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit +seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das +Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die +groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf +den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen +den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den +gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 +Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen +haben. Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine +ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, +und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch +keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die +nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach +Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius +und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die +vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde +verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb +an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und +von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum +endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier +zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, +wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um +in der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive +uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die +Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal +zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer selbst +es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwaechere +war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er wusste +auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen +roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu +erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der +stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim +nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in +Italien zunaechst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk +sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer +Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie +tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische Fusssoldat unter dem +Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glaenzende +Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. +Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals +ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem +Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen +abenteuernd zu fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von +den militaerischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der +allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen +Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das +einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu +werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins +Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen +deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. +Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der +gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die +Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht +die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den +roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks +sich nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine +bewundertsten Schlachten. Dies und nicht die Bitten der Gallier um +Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die +Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien +jetzt gleichsam fallen liess und den Kriegsschauplatz nach Italien +selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen sich vorfuehren. +Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten - dass +Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die +Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens +stark uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen +Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass +Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er +jeder italischen Gemeinde die alte Unabhaengigkeit und die alten Grenzen +wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge +als Retter und als Raecher. In der Tat bracher, da der Winter zu +Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen +Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen +Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des +Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie +es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der +Apenninuebergang ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst +moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; +allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren +durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen so ueberstaut, dass +die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur +naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das +zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die +Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter +dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte +laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die +karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht +unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche +ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; +Hannibal selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes +das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius +Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um +sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen +war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um +die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal +jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, +bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer +herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer +Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu +beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend +seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung +erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren +parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber +Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des +gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei, +und ueber alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein +militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531 +(223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten +oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und +seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius +Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal +ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite +Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige +Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass +deren Zahl nach der Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der +Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. +Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess +durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die +zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen +und die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter +den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen +des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, +vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen +solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem +unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist +ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des +Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen +Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, +genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt +hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei +steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der +Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er +den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden +Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen +in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die +Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein +Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss +die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes +und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel +ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine +Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den +Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne +Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der +Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000 +Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch +und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein +abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie +aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Huegel, den +sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und +da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal +verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer +waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war +vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder +vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward +gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des +ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die +Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig seinem +Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer +umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war +verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort +machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken +ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern +instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein +Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt +der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im +Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt. +----------------------------------------------- ^2 Das Datum der +Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem +berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur +nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1) +niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung +war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg. +------------------------------------------------ Allein Hannibal sah +weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht +gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee mit +Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten +und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es +geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium +vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch +Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen +bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen +Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der +Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine laengere Rast, +um in der anmutigen Gegend und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich +erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in roemischer Weise zu +reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die +Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen +Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine +Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer +hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst +genugsam geuebt war, brach er auf und marschierte langsam an der Kueste +hinab in das suedliche Italien hinein. Er hatte richtig gerechnet, als +er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloss; +die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die Hauptstadt +gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter Musse +zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen +des feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen +Armee sein militaerisches System vollstaendig zu aendern und den +Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen +gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft +nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die +Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit +gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten an; +der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer Hinsicht, +waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem +Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine Stadt +nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde +machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer viel, ja +alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig +es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu +stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator +Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das +Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der roemischen Festung +Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten +Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr +anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann, +von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei +und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit, +der politischen Allmacht des Senats und des Buergermeisterkommandos +erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und Gebeten von der +methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und +durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze +der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, +um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um +jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, +dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden +vorzuruecken, solange das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, +und dass es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren +angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und +allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen +in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und +richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des +feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er +ueber den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene +Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte +sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von +Rom abhaengigen italischen Staedten und die einzige Rom einigermassen +ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments schwerer als +irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft, die +den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein +diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend +schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses +ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte +seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der +Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen +Bundesgenossen pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in +Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen +Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu +kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den +Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des +Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden +Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 +Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein +Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar +neben der Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl +Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so +dass es schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher +Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse +sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig +waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch +freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab, +ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und +mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte +und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in +nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die +Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner +ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute +und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die +Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen +Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, +dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen +Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf +des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu +lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische Landschaft, die +Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner ueberlegenen +Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich +ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria, +ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres +taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend +Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten +Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der +im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl +stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um naeher an +den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, +wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die Detachierungen und +dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils +in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne +phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die +Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte, +sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen +Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in +der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz +ungerechtfertigt. So weise es war, sich roemischerseits verteidigend zu +verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel +des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und +Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer +an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu +verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten Massstab +sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius +Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht +verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei +Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln +reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, dass die italischen +Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der +Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat; +allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast +zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer +eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische +Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu +dieser Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus +den tuechtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, +groesstenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, +durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber +die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, "Hannibals Lakai", ihm +zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu +werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen +gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer +Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten +sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator +tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium +der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen +Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und +sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt +war, in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls +zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen +bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die +roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte +Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum +geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften Fuehrer +gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegsplaene +befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei seinem +methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen Diktatortitel +auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit geringen +Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier +sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps +groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab +dem System des passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der +Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den +Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation +hatten weder der stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, +und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, +doch im wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem +Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht +der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner +Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass +der Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann. +------------------------------------------------ ^3 Die Inschrift des +von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules +Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C. +f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden +worden. ------------------------------------------------ Trotz aller +Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die +roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus +und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug +anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen +italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, +wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, +dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man +beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die Auslieferung +des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war trotz der +Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des +Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar +langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegfuehrung abzugehen; wenn +der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegfuehrung gescheitert +war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man +eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. +Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie +Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel +ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl +Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu +erdruecken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius +Postumius nach dem Potal bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer +dienenden Kelten nach der Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse +waren verstaendig; es kam nur darauf an, auch ueber den Oberbefehl +angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die +daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und +ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl +nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den +Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines +Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln +angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst +recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner +Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 +(219) den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure +Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der +Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur +durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als +Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, +und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine +rohe Unverschaemtheit. Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten +Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien +wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere +zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die +Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden +auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das +Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische +Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient +hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des +Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt +von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als +Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht +abzuwenden gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten +ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine +Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats +trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im +Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen +und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten, +stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb +Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei Drittel +Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber +nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts mehr +als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten +Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische +Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu +entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an +dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestuetzten +Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig +zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen Streitmacht waren, wie +gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und naeherten in dieser +Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten +Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunaechst zu warten und nur +nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der +Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal +lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein +Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am linken +Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem +Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, +vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald +zum Schlagen zu kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den +Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus +nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul missfiel dergleichen +militaerische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, dass +man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu +gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben +fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die +entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um +Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von +der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld +der ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte +allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten +roemischen Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier, +zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses +ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 +Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das +karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen +Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der +roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August +nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, +den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht +wesentlich hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen +Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee +folgte und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte +roemische wie der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische +Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem +rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische +auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen +stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl +des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete +Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die +keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die +vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten +die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die +gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach +der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem +Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im +Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere +Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier +ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die +Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen +vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren +Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck +sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel +der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen +regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und +diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen +Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt +und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem +Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. +Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie +besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne +verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In +dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden +libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von +ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu +verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam und die ohnehin +schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr +Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er +mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt +und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den +Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den +Numidiern hinreichend beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff +schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Fluechtigen den +Numidiern ueberlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie +dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss +entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es +ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit +so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet +worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 +Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der +erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in +der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der +Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der +Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul +Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach +Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen +Lagers, 10000 Mann stark, ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige +tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen +nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende +gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien +gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius +Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern +gaenzlich vernichtet. Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die +grosse politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach +Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer +gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht +sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des +Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen +Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die +gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne +und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus +Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war +dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen +den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des +Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) +die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, +nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals, +mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro +ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar +hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika +Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders +gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die +Scipionen verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn +vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae +siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche +andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt; +diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die +zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien +aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. Von +Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel +geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten +die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor +einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand +verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, +und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige +Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, vor allem aber +die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser +unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der +mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich leer, der Sold +kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu +lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst +die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat +beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und +Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 +numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und +in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben. Die +laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war +anfangs durch Antigonos' ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers +Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen +Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) +verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, +fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem Antrag, seine +illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie massten freilich +erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt schloss der Hof von +Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine Landungsarmee +an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe der +roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. In Sizilien hatte +Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit +geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch den +Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom +namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein +Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst +ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, +hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald +darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach +vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des +klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich +mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit +machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische +Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel +vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess +mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, +die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte +bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln +postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal +sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung nach +Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage +fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. Was +aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der +roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die +Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. +Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, +zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer +beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der Brettier - diese +zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die +erst belagert werden mussten; die Lucaner groesstenteils; die in die +Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten +mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite +Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu +stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella +und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das +roemische Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in +Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren +Kaempfe, die hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, +den Hannibal von diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel +genoetigt, in Capua einen der Fuehrer der Adelspartei, den Decius +Magius, der noch nach dem Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das +roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abfuehren zu +lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was +es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den +Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen +hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei +die roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr +noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker +selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und +ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus +zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine +ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen +Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe +taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung +Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden +von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur +Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf +brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die +sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, +unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch +die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker +der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunaechst, +wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde +die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz +Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo +latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als +Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im +karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht +ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago +in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte +gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden. +Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der +Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten +Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, +aber gerechte Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich +nicht etwa bloss einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die +roemische Buergerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer +die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht +nirgend mehr; es war eben nicht moeglich, ueber die Frage, wer die Heere +der Stadt in einem solchen Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr +die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine +gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war, +jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der +einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche +Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung +des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle +Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen +auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem +Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits +an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der +italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, +dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte +auf das "Volk" Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen +Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide "neue +Maenner" und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur +Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten +Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, und die +Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae. +Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser +fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die +Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich +widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste +jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand +gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So +wenig Quintus Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden +darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, +sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des +Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwuerfnisses +mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit, +die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das +wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der +Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter +den Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische +Schlacht. Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder +Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem +Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. +Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste +sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des +Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben, +getan mit Unterdrueckung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist +die herrliche und unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro +- allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten - +nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm +entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes +nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen +Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen +Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den +Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs +verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, +wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen +zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt +hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren +gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf +sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und +strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten, +um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die +Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu +begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben +und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an den +Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen, +die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit +der Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, +nicht allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der +Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was +vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige +Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in +Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze +Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen, +diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die +in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes ueber das Meer +zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute +der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa zwei Legionen +zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und +unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr +ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in +den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der +bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, +uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um +eine kampffaehige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um +Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel +voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die +Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte +sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es +an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestuecke aus den Tempeln und +setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in Taetigkeit. Der Senat ward +ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten forderten, aus den Latinern, +sondern aus den naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot +die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes +an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen +angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht +scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen +sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern +es musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer +ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei. +6. Kapitel Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama Hannibals +Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen +Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht, +soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die +latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den +Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem +Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und der +verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und +rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen den +Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den Marsern +und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem Wege mehr +erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, so hatten +diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe auch +sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer +Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal +das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die +Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos +in Tarent aufgetreten war, und meinten toerichterweise, zugleich der +roemischen und der phoenikischen Herrschaft sich entziehen zu koennen. +Samnium und Lucanien waren nicht mehr, was sie gewesen, als Koenig +Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der sabellischen Jugend in Rom +einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische Festungsnetz +ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch die +vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt - +nur maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten +Hass beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der +herrschenden Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der +Roemer an, nachdem Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte +doch, dass es jetzt nicht mehr um die Freiheit sich handle, sondern um +die Vertauschung des italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht +Begeisterung, sondern Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem +Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte in Italien der +Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis +hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften nicht wie +das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls +eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die +gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und +die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig +die schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten +seine Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen +Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand +er andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen +belehrt, gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der +Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer +Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere +Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen +Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den +Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen +Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten +Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf +da an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung +fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius +Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von +Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die +Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen. +Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine +Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein +Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. +Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten +Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den +feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige +roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den +beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am +Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn +die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines +einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und +vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem +gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. Vom Schlachtfeld +hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom besser als +die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er mit +einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen +koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem +Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die +Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist +unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der +Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus +nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach +Regulus' erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der +Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig +gesiegt. Mit welchem Schein konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger +die Schluessel entgegentragen oder auch nur einen billigen Frieden +annehmen werde? Statt also ueber solche leeren Demonstrationen moegliche +und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu verlieren mit der +Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den Mauern von +Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die +Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken +diese zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt +bestimmt. Er durfte hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen +Haefen bemaechtigen zu koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu +ziehen, welche seine grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen +hatten. Als die Roemer erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, +verliessen auch sie Apulien, wo nur eine schwache Abteilung zurueckblieb +und sammelten die ihnen gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer +des Volturnus. Mit den zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus +Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst +verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus +Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte, +bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten. +Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren +dessen Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft +gescheitert, und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen +Hafenplatz eine Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden +anderen groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte +der Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses +an die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere +die Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an +den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend, +erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die inneren +Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal selber mit +namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste Niederlage, die +Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war als durch +seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, Acerrae +und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich +hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie, +Casilinum, von Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die +zu Rom gehalten hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber +das Entsetzen macht schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit +verhaeltnismaessig geringer Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten +Schwaeche zu ueberwinden. Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis +der Winter einbrach und Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen +Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen +keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg +schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus +und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als +Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus +Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als +Konsuln, an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt +waren, Capua und Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula +gestuetzt, Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich +aufstellend, Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei +Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien +von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von +Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte +auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht +den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht +verweigert ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer +in Kampanien nicht bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch +Compulteria und andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen +von Hannibals oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer +unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, +teils um in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die +Bewegungen der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit +der Armee von Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu +brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich +gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht +unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die +phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt +zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich +zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius +Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere +in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff +auf Capua ueberzugehen. Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht +geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. +Jene raschen Maersche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des +Krieges, denen Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte, +waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die +unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich +gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war +schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich +nicht verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die +Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und +der italischen Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. +Die Vollendung stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier +in Cartagena, bei den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, +Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich +angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien +der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von Westen, +Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, +was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das +Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende +Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege +fast unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr +handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem +vollen Sieg so nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. +Dass es moeglich gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder +beliebigen Staerke bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal +solange, als der Hafen von Syrakus den Karthagern offenstand und durch +Makedonien die brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist +die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem +Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr +noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren +gegangen war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae +sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu +allen Zeiten bereit war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des +Vaterlandes zu erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit +der Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um +nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb +tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich +Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom +erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen Parteigetriebe +fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen koennen +wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der +Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen. +Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen +auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus +angeknuepften Verbindungen und auf Philippos' Intervention. Es kam alles +darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen +Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen +oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland +gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit +Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer die Roemer sind +es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist, die +Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland +festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung zwischen +Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese Defensive +womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich entwickelt +zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur +Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der +italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest +sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts +entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker +ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der Operationen, und +alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich daran, die Isolierung +Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder zu verewigen. Waere es +moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die +Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, +so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war +Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, +dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische +Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils +fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage der Dinge +dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen verlegten +den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro an +den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich +karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. +In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die +Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, +die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit +gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen +Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische +Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den +unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien geschickten +cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der Insel +sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, welcher +letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen +Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation +des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal +gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen +aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion +der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die wichtigste Station +Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit dem vor der Ankunft +des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten Landheer zu sichern und +fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in Makedonien selbst +vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen und Stocken +kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen, +was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette. +Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie +ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo +Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber +verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den der Cannensische Sieg in +Karthago erweckt hatte; die nicht unbedeutenden Streitkraefte, welche +man dort disponibel gemacht hatte, waren, sei es durch faktioese +Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung der +verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden, +dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten +gewesen waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 +(215) durfte auch der besonnene roemische Staatsmann sich sagen, +dass die dringende Gefahr vorueber sei und die heldenmuetig begonnene +Gegenwehr nur auf saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte +auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. Am ersten ging der Krieg in +Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in Hannibals Plan gelegen, +auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb zufaellig, +hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen +Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel +eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich +annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es +mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei der von ihm befolgten +Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt, so hatte Syrakus +Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager ueber die Roemer +unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber ganz Sizilien +geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von Karthago den +Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben konnte. +Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten +der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke +zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu +bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn, +den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten, zeigte die +syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch rechtzeitige Rueckkehr +zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen zu machen. Allein bei +der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach Hieronymos' Tode +die Versuche zur Wiederherstellung der alten Volksfreiheit und die +Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den erledigten Thron wild +durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden Soeldnerscharen aber +die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals gewandte +Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche +zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; +masslos uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung, +die den soeben wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern +zuteil geworden sein sollte, erweckten auch in dem bessern Teil der +Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet sei, um das alte +Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den Soeldnern endlich +wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens durchgegangene +Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der +Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der +Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates +und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul +nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte +Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte +syrakusanische Ingenieur Archimedes sich besonders hervortat, zwang die +Roemer nach achtmonatlicher Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu +Wasser und zu Lande umzuwandeln. Mittlerweile war von Karthago aus, das +bisher nur mit seinen Flotten die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf +die Nachricht von der abermaligen Schilderhebung derselben gegen die +Roemer ein starkes Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden, +das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige +Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte +der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; +Marcellus' Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden +feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger +Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung +auf der Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb +mehr noch als die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der +die Roemer auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der +des Abfalls verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische +Besatzung daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den +Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern +von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen +verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die +Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt +am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die +Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte +gelegen, diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende +Hauptstrasse deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange +nachher. Als so die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige +Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und +Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen, +ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und +einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die +roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die +beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager +aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im +Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen +erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit +der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei phoenikische +Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern durch diese +Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das Schicksal die +eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus' Heer, in den +Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die +phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen +Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere, +groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten +Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von +der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich, als die +roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der +in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann nach Akragas. +Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die Verhandlungen +hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten sie an den +Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten wurden +die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener Buerger +erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den +fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus +mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden +noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die +Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst +542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in +ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die ernstlichsten Versuche +gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden Militaers zu entziehen, +selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen des roemischen +Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger Gemeinden die Gnade +walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine Kriegerehre +durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen +Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den +Tod fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die +verspaeteten Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn +und gab weder den einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre +Freiheit. Syrakus und die frueher von ihm abhaengigen Staedte traten +unter die den Roemern steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion +und Neeton erhielten das Recht von Messana, waehrend die leontinische +Mark roemische Domaene und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter +wurden -, und in dem den Hafen beherrschenden Stadtteil, der "Insel", +durfte fortan kein syrakusanischer Buerger wohnen. Sizilien schien also +fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war auch hier aus +der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter +Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen +Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei +uebernahm und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die +roemische Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener +Flamme anfachend, einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und +mit dem gluecklichsten Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die +karthagische und roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus +selbst mit Glueck einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das +zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte +hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit +eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und bestand +darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die +Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen. +Muttines liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern +des Landes, besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago +nicht unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen +allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich +der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, +ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte +Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun seit +zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte, fand +hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter, die dem +juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in Unterhandlungen +mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und lieferten ihm +Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach Karthago, um +den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers den +Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward +von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei +verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen, +wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue, +aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft; +die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also ganz Sizilien +unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt, dass einige Ruhe +und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte. Man trieb das +Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen und schaffte +es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals +Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr +Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der +Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter +die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu +erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen. Entscheidender als Syrakus +haette Makedonien in den Gang der Ereignisse eingreifen koennen. Von +den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder Foerderung noch +Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos' natuerlicher +Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter bei +Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen +Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils +die Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des +Krieges, teils Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen +aller Art in Kleinasien, Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten +ihn, jener grossen antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie +Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische Hof stand entschieden auf +der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544 (210) erneuerte; allein es +war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, dass er Rom anders als +durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen italischen +Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien und +Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie +konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich +gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind +zusammenzustehen. Wohl gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des +Agelaos von Naupaktos prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege +mit den Kampfspielen, die jetzt die Hellenen unter sich auffuehrten, +demnaechst vorbei sein; seine ernste Mahnung, nach Westen die Blicke +zu richten und nicht zuzulassen, dass eine staerkere Macht allen jetzt +streitenden Parteien den Frieden des gleichen Joches bringe - diese +Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden zwischen Philippos +und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz +war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos +zu seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in +Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen +hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr +eines solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm +fehlte die Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher +Krieg allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe +nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands +umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit +Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen Patrioten; +und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art der +Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu +erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der cannensischen +Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu +bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem +Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht, +dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies +geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser +endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische +Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine +roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen; +Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von +leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein +als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten +Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen +Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um +doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die +roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im +besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer, +die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als +die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben +mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte +fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward +dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und +das makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun +zur voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem +Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, +der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine +Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann +die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit +Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann, +die zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten, +veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den +Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen +Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der +nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der +alten Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und +Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, +fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien +eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz +zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf +deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung +des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen +hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen +auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so +dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern +gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die +antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten +an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber +Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister +Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen +des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf +gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden. +Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge +der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und endlich +Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden griechischen +Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit Einsicht +und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen +Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas +wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen +dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen +seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit +Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf +in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu +wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die ungluecklichen +Akarnanen vernichteten und Lokris und Thessalien bedrohten; bald rief +ihn ein Einfall der Barbaren in die noerdlichen Landschaften; bald +sandten die Achaeer um Hilfe gegen die aetolischen und spartanischen +Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von Pergamon und der roemische +Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten Flotten die oestliche +Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der Mangel einer +Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam so +weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von +Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss +er sich zu dem, womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe +bauen zu lassen; Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht +worden, wenn ueberhaupt der Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die +Griechenlands Lage begriffen und ein Herz dafuer hatten, beklagten +den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte Kraefte sich selbst +zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt +hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, +ja selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden +Parteien nahe genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch +die Aetoler, auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich +ankam, viel unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig +der Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere +Aetolien den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen +gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und +verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es +ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als +die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften, +wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei +verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten +viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und +fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung +der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den +sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und +Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese +sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der +Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede +zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen +uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt; +indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des +erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition +aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu +ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der +Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten +fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu +beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen +wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen +atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der epeirotischen +Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos sich noch +gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein es war +damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen liess, +dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit +widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland +gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und +richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen +Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war. In Spanien, +wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf +ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die +eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie +mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal +und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen +Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem +wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm zusammenzutreiben +wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt nur +zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und +gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne +Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle +scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied +gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder +die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder +kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen ziemlich +gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich spanischen +Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie Sagunt auf +roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg wenig +hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die +Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich +gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten +festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall +entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen +Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder +aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am +Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht +mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils +weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes +von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl +ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger +Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in +der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich, +von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu +geben. Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus +und Publius Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und +vortreffliche Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten +Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet +und der Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen +Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig +zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende +Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen +Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die +roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der +Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg +wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen +des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und +sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und Wiederherstellung von +Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie vom Ebro nach Cartagena, +indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation soweit moeglich +bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus Spanien fast +verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen +gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen +Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit +den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen, +ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge +hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben damals keinen Mann +entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um sich zu teilen. +Indes schon Syphax' eigene Truppen, geschult und gefuehrt von roemischen +Offizieren, erregten unter den libyschen Untertanen Karthagos so +ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende Oberkommandant von Spanien +und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern der spanischen Truppen +nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine Wendung ein; der +Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem der +Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn +Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert +ist uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung +der grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas +Siege an den Aufstaendischen nahm. Diese Wendung der Dinge in Afrika +ward auch folgenreich fuer den spanischen Krieg. Hasdrubal konnte +abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald betraechtliche +Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, die +waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 +212) im karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren +hatten, sahen sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften +angegriffen, dass sie entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die +Spanier aufbieten mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000 +Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen +unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu +begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen Truppen +zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend +Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den +saemtlichen spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, +bestimmte dieser ohne Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im +roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen nach ihrer Landsknechtmoral +vielleicht nicht einmal als Treubruch erschien, da sie ja nicht zu den +Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem roemischen Feldherrn blieb +nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen Rueckzug zu beginnen, +wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile sah sich +das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen +phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft +angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die +Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager fast +eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen spanischen +Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig umzingelt. Der +kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten Truppen den Spaniern +entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke in der Blockade +fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl anfangs im +Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch +waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die +Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch, +bis dass die phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des +Feldherrn die verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem +Publius also erlegen war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich +des einen karthagischen Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von +dreien zugleich sich angefallen und durch die numidische Reiterei jeden +Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen nackten Huegel gedraengt, der +nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu schlagen, wurde das +ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst +ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung allein +rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus' Schule, Gaius Marcius, +hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem +Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager +gebliebenen Teil in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im +suedlichen Spanien zerstreuten roemischen Besatzungen vermochten sich +dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro herrschten die Phoeniker in ganz +Spanien ungestoert und der Augenblick schien nicht fern, wo der Fluss +ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung mit Italien +hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den +rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung +aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen +Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der +Neid und Hader unter den drei karthagischen Feldherren entrissen diesen +die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den +Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie +behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues Heer und einen neuen Feldherrn +zu senden. Zum Glueck gestattete dies die Wendung des Krieges in +Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine starke Legion - 12000 +Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das Gleichgewicht +der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im +folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas +ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch +unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr +nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber +ein harter auffahrender unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten +Verbindungen wieder anzuknuepfen und neue einzuleiten und Vorteil zu +ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, womit die Punier nach dem Tode +der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen Spanien behandelt und +alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die Bedeutung und die +Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte und durch +die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von den +grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um +Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen +zu senden, beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und +einen ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung +man dem Volke anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der +Bericht - meldete sich niemand zur Uebernahme des verwickelten +und gefaehrlichen Geschaefts, bis endlich ein junger +siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in +Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun +und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der +roemische Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von +solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz +und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben gewesen, dass fuer den +wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich angeboten haette. Wenn +dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen +und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am Ticinus und +bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der +erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren +und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg +einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber +trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und +die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition bei der Menge +beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich improvisierten +Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der Sohn, der den Tod +des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am Ticinus das Leben +gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den langen Locken, +der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich darbot fuer +den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf einmal die +Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles +machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und +unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine +begeisterte und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die +mit ihrem eisernen Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch +Menschenkraft in neue Gleise zwingen; oder die doch auf Jahre dem +Schicksal in die Zuegel fallen, bis die Raeder ueber sie hinrollen. +Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten gewonnen und +Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren auch als +Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist +weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem +Vaterlande wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und +politisch hat er, wenn auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen +und persoenlichen Politik sich deutlich bewusst zu sein, seinem Lande +mindestens ebensoviel geschadet, als er ihm durch seine Feldherrngaben +genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber auf dieser anmutigen +Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, die Scipio +halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie von +einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, +um die Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige +ueberall entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; +nicht naiv genug, um den Glauben der Menge an seine goettlichen +Inspirationen zu teilen, noch schlicht genug, ihn zu beseitigen, und +doch im stillen innig ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden +zu sein - mit einem Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke +stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts +und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels +sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die +Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass +er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig +anerkannte, fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier +und feingebildeter Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege +dieses oder jenes Berufs, hellenische Bildung einigend mit dem vollsten +roemischen Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann +Publius Scipio die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute +und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren +karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der +Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien. +Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem +Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen +Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem +Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit +einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich +sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten +Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei karthagischen +Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, Hasdrubal Gisgons +Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen des Herakles; der +naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von der phoenikischen +Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), ehe noch die +feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen diese +Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem +Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr +30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann +starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser +und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden +Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen +Flotte, auf der vierten von den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit +entfernt; aber der Kommandant Mago wehrte sich mit Entschlossenheit und +bewaffnete die Buergerschaft, da die Soldaten nicht ausreichten, um +die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall versucht, welchen indes die +Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung +einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, den Sturm +auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem +schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die +ermuedeten ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft, +aber einen Erfolg hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch +keinen erwartet; der Sturm hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der +Hafenseite wegzuziehen, wo er, unterrichtet davon, dass ein Teil des +Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte. +Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung +mit Leitern ueber das Watt, "wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige", und +sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden. +So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg +kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn +abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, +bedeutende Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 +Million Taler), zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische +Gerusiasten oder Richter, und die Geiseln der saemtlichen spanischen +Bundesgenossen Karthagos in die Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den +Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit +Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die +die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu +bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der +Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der +Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die +faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger +aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung +gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen +wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen +Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss +durch eine Besatzung zu sichern. So war die verwegene Unternehmung +gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio nicht unbekannt war, dass +Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte, nach +Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt war, und weil +die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande +war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur +verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro +gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, +als er seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich +auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus +und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme +der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, +was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, +dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf +unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf +die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse +zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss die +diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch jenseits +des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel mit der +roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08) dazu, +seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten sein +Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im +Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, +und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf +Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem +Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur +Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000 +Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit +Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit +seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen schlug +er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean hinziehend +die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und +stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er +Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der +ihm aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und +unweise gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die +nicht bloss Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius +und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der +siegreiche Feldherr an der Spitze einer starken Armee in seinem Uebermut +nicht genuegt, und wesentlich er verschuldete die aeusserst gefaehrliche +Lage Roms im Sommer 547 (207), als Hannibals Plan eines kombinierten +Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich realisierte. Indes die +Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien +ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin +des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue +Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass +man den faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch- phoenikischen +Armee in Italien zu bekaempfen gehabt hatte. Nach Hasdrubal Barkas' +Entfernung beschlossen die beiden in Spanien zurueckbleibenden +Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons Sohn nach +Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen aus +Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen +zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge +getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im +folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit +einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich wieder nach +Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und Hannos +vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen. Hasdrubal gab +darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und verteilte seine Truppen +in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in diesem Jahr nur noch +eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen ueberwaeltigt; +aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein +gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde, +70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte +spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das +roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des feindlichen und +auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio stellte, wie Wellington +in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie nicht zum Schlagen +kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu verhindern -, +waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die Spanier +warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die +Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines +solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben - +einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen +jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig +sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit +grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der afrikanischen +Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja selbst mit +Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika Verbindungen +einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen entsprechenden +Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon den +neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den +Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als +ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und +die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des +phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste loszuwerden und +die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend widerlegt hatten, in +Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die Roemer ausbrechen wuerde, +bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms vorangingen. Die Erkrankung +des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines seiner Korps, veranlasst +durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, beguenstigten +den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte und +daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, +die bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen +wurden, ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit +nichts und Gades doch auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die +karthagische Regierung dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, +Truppen und Geld sich vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in +Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren +- es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte aufgeloest hatte - und +musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung der Heimat gegen +neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert verliess der +letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab +sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf +spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien +war nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine +roemische Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang +die stets besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen +die Roemer fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern +gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um +sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von +den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten. +Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, +Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen +Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, +nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an +Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des +Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker +folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach +Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon +zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum. +Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der +Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit +der Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die +Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im +brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme +geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das +die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden +waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst +einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische Hauptarmee von vier +Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus +war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam +roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in +alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und Brundisium +wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion +verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit +beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien, +Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den +unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu +versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel +fuer dies Jahr neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische +Buerger. Man darf annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft +vom 17. bis zum 46. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo +der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sklaven, den Alten, den +Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter solchen Verhaeltnissen +auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit waren, ist +begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen war, +ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um +Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch +Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch +zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend +die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische +Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie +die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von +Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich +Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus +begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die +Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu +bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr +auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten +der Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als +abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung +ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden, +und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich +unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen +Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie +kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es +ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe +Mann die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art +in gleicher Vollkommenheit geloest hat. Zunaechst zog der Krieg sich +vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der +Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte +er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer besassen, den +starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er wehren, +dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum, +das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden +Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch +Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren +Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug +ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich +inzwischen in Lucanien mit der roemischen Armee von Apulien herum; +Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem +gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten +Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen +des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. Im folgenden Jahr (541 +213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi zurueck, dessen +Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die Stadt +eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung +gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande +der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und +mehrere brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische +Abteilung des phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere +von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus +karthagischen in roemische Dienste. Unguenstiger war fuer die Roemer +das Jahr 542 (212) durch neue politische und militaerische Fehler, die +Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die Verbindungen, welche +Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, hatten zu +keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen +tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine +Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig +von den roemischen Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die +unverstaendige Rachsucht der Roemer foerderte Hannibal mehr als seine +Intrigen; die Hinrichtung der saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte +sie eines kostbaren Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen +seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward +Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die +Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt; +kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem +Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher +Stadt zur Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte +weggezogen werden muessen. Damit war die Gefahr einer makedonischen +Landung so nahe gerueckt, dass Rom sich genoetigt sah, dem fast +gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und +neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von +Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit +gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr +abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten +Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, +aber doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so +sehr gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend +bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport +zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu +nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus +und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport +deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers +und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen +darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen +Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber +der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen +Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein +Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen +Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So +fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein +unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene +Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen +ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als +Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen +nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von +Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig +befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren +in Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des +nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in +Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber +das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden +Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie Hannibal +Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die +roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und +Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius, +auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero; +die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander +verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend +verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht +entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein +Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die +Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren, +durch die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen, +begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der +Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33 +Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob +den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein Lager am Berge Tifata +unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung, dass die roemischen +Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die Belagerung aufheben +wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, ihre Lager und +ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht und +sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die +kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre +Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht +denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen +roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon +frueher der Mangel an Futter in dem systematisch ausfouragierten Lande +ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich nichts machen. Hannibal +versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der seinem erfinderischen +Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. Er brach mit dem +Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben Nachricht +gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug +die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in +seinen ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen +Heer zwischen die feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine +Truppen durch Samnium und auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei +bis zur Aniobruecke, die er passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager +nahm, eine deutsche Meile von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die +Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward von "Hannibal vor dem Tor"; +eine ernstliche Gefahr war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker +in der Naehe der Stadt wurden von den Feinden verheert; die beiden +Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, verhinderten die +Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio bald +nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte +Hannibal uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche +Belagerung gedacht; seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass +im ersten Schreck ein Teil des Belagerungsheeres von Capua nach Rom +marschieren und ihm also Gelegenheit geben werde, die Blockade zu +sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer +sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die durch +Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn +die roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an +der Stelle, wo Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem +Capenischen Tor an dem zweiten Miglienstein der Appischen Strasse, +errichteten die dankbaren Glaeubigen dem Gott "Rueckwender Beschuetzer" +(Rediculus Tutanus) einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so +in seinem Plane lag, und schlug die Richtung nach Capua ein. Allein +die roemischen Feldherren hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr +Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen die Legionen in den Linien +um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals +Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er +sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom +her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu +schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein +geringer Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon +hatte die Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen +derselben, mit bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern +der Rom feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische +Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die +Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne +Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod; +die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich +erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich von +selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es klueger +und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats auch +ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution +der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und +der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger +unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und +Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl +und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und +enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil +der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der +Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und +Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was +Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch +jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie +begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in Capua +zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar nach dem +uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber +war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um die stille Rivalitaet, +die lange zwischen den beiden groessten Staedten Italiens bestanden +hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der kampanischen +Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin vollstaendig +politisch zu vernichten. Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und +nur um so mehr, weil er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine +zweijaehrige, allen Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte +Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der +den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor +der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war. +Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf +die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion +oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu +ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war +der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den +Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem +Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet, +das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu ernaehren, +so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger als die +Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es gelang +nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager gewichen. +Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens +und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten +genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten +Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische Symmachie wieder +zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer Hannibal als der +unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die schwankenden Staedte +entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer +noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der Aufreibung in +kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im Jahre 544 +(210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter +niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden, +um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner +italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die +Roemer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum +sicher; sie entsandten betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo +durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der roemischen Armee +gefaehrdet war, und gestatteten zum erstenmal seit dem Beginn des +Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der Truppen, die bisher +trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich +vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum +ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg +laessiger als bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus +nach Beendigung des sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der +Hauptarmee uebernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den +Festungskrieg und lieferte den Karthagern unentschiedene Gefechte. +Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes +Resultat. In Apulien gelang Hannibal die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus +Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545 209) schritten +die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten +war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus +Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit +und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am +ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg; +waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und +Hirpiner zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen +Besatzungen bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus +Hannibal noetigten, den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, +setzte der alte Quintus Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das +Konsulat und damit den Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen +hatte, sich fest in dem nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer +brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in +der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der +Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht +und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven +verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen +sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; +Hannibal kam zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck +nach Metapont. Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen +eingebuesst hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze +der Halbinsel beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das +naechste Jahr (546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung +mit seinem tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch +einen entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten +fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte +ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien. +Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei +einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend +von Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. +Marcellus focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen +Hamilkar, vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend +vom Pferde sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht +empfangenen Wunden (546 208). Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. +Die Gefahr schien geschwunden, die einige Jahre zuvor die Existenz des +Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte man den schweren +und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. Die +Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von +Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den +angesehensten Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen +in diesen schweren Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu +haben; sie mag getan haben, was moeglich war, aber die Verhaeltnisse +waren von der Art, dass alle Finanzweisheit daran zuschanden ward. +Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die Silber- und die Kupfermuenze +verringert, den Legalkurs des Silberstueckes um mehr als ein Drittel +erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr +bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten auf Kredit +nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis der +arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem +Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den +Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am +meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den +besseren Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, +freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des +Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und +nach dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der +Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende +des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung +der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein +Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die +diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben +vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz +wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe +bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man +verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der +Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 +Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen +nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren +Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis des Staats war +nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes. ueberall lagen +die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Haenden +fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preussischer +Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), mindestens das +Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren geradezu +Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und +nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der +aergsten Not gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen +Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz +verzehren, die bluehenden Doerfer in Bettler- und Raeubernester +verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere +Berichte erhalten haben. Bedenklicher noch als diese materielle Not war +die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, +der ihnen Gut und Blut frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden +kam es dabei weniger an. Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts +vermochten, solange die latinische Nation zu Rom stand; an ihrer +groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt +indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen +in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, +also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am +wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) +dem roemischen Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch +Steuern mehr schicken und es den Roemern ueberlassen wuerden, den in +ihrem Interesse gefuehrten Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung +in Rom war gross; allein fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die +Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck handelten nicht alle latinischen +Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien, +an ihrer Spitze das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im +Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen +- freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem +gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele +stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss +fuer Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer +Italiens nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe +Abfall war sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und +Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit +den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es +eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf die +unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium +zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im Interesse +Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward entdeckt +und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen +marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung +zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen +Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr +schreckten. In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug +ploetzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres +546 (208) die Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst +machen muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden +Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen +schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese +Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte, das +fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst +Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch +phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; +wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem +Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen +zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; +der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund +gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und +Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines +Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von +ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr +bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen auf; man rief Freiwillige zu den +Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung +mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und Feinden ueber +alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207); +die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld +willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom +beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam +man damit wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus +stehe, dass er die Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder +zu den Waffen rufe, dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der +Konsul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass +er erschien. Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige +von dort verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog +aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit +einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. +Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der +grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er +bei Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, +in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte +wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen +geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert +Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei +Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war, +dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und +nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint +nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter +noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals +mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die +wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig +gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete +Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass +Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also +zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den +Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu +treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung +der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische +Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der +Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, +dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde, +ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen +Wagnis, mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in +Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit +dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn +das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um +Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten +und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er +abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind +erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie +beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte +die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen; +allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem +ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen +Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische +Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte +die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die +Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht +auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier befehligte, +ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch +wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind stehen liess +und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die Flanke +fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war +vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das +Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht +verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen +Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu +sein. Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand +nach kaum vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal +gegenueber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt +hatte. Die Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des +Bruders, den der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also +dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle +Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal +erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er +gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen +zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug +waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch +eine beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, +deren Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die +mit der Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. +Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in +Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden +sei. Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. +Der Staat und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige +moralische und materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der +Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, +die roemischen und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe +zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils der +kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt +und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das +freiwillige Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand +gebliebenen latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit +schweren Zinsen zu genuegen. Der Krieg in Italien stockte. Es war ein +glaenzender Beweis von Hannibals strategischem Talent sowie freilich +auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen +Feldherren, dass er von da an noch durch vier Jahre im brettischen Lande +das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen +werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen noch sich +einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, weniger +in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden +Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger +wurden und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein +Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf +Publius Scipios Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen +(549 205). Als sollten seine Entwuerfe noch schliesslich von den +karthagischen Behoerden, die sie ihm verdorben hatten, selbst eine +glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese in der Angst vor der +erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548, +549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien +Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien +aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen +Landhaeuser und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. +Ebenso ging eine Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur +Erneuerung des Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549 +205). Allein es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor +mit Rom Frieden geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung +Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens +nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika, +das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte; +begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der +spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine +makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. Ernstlicher griff +Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den Truemmern der +spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, landete +er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die +Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des +Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen +sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten. +Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche +Unternehmung gegen das eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls +viel zu schwach und sein Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken, +als dass er mit Erfolg haette vorgehen koennen. Die karthagischen Herren +hatten die Rettung der Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt, +da sie sie wollten, war sie nicht mehr moeglich. Wohl niemand zweifelte +im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg Karthagos gegen Rom zu +Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen Karthago begonnen +werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so unvermeidlich +sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem +eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten +Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, +wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen +und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius +Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen, +allein sie waren beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten; +es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu +verschaffen - so weit war man ja schon, dass die Tuechtigkeit allein +nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -, und mehr als +zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften Volke +neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien +zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene +Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien, +ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat +sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die schon in Spanien +entworfene afrikanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indes im +Senat wollte nicht bloss die Partei der methodischen Kriegfuehrung von +einer afrikanischen Expedition so lange nichts wissen, als Hannibal +noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet dem jungen +Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische +Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und +etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine +Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen +seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er gegen +seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die +Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die +Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der +aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den +Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs +und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel Lust +bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in +Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass +er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der +Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei +dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken, +sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken, ob ein solcher +Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den +etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen +Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die eigenmaechtige +Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet +war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht zum +Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, +dass die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war, +dieselbe ins Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio +ein aeusserst faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen +Krieges wohl geeignet war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom +Volke die Verlaengerung seines Oberbefehls so lange als noetig und die +Aufbietung der letzten Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem +Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem +derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht +wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des +Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen, +um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die +Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in +Afrika landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene +beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen +- zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache +Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm +gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich, +dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr +geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man +einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige +Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung +behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet +des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers, +deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. Ein anderer +Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische +Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen +werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein, +wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen. +Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu +belaestigen, um nicht der Popularitaet der Expedition zu schaden. Die +Kosten derselben, namentlich die betraechtlichen des Flottenbaus, wurden +teils beigeschafft durch eine sogenannte freiwillige Kontribution der +etruskischen Staedte, das heisst durch eine den Arretinern und den +sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte +Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen +war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige, +deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten +Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei +starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400 +Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne +den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der +Naehe von Utica. Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf +die Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten +Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein +ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren, +nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu +bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer +zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden +Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der +Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran), +dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren +und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung +eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den alten +Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen liess. +Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten Macht der +Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem letzteren +zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in der +Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand +ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 +Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt +worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des +in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag +eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine +Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet. Auf das +Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager +des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind +gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte +zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und +die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten +doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich +sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug. +Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war +er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur +Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich mit +50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung aufgehoben +und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und +Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging +dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich +unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch +einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die +von Scipio mehr listig als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen, +liessen sich in einer und derselben Nacht in ihren beiden Lagern +ueberfallen: die Rohrhuetten der Numidier loderten in Flammen auf, und +als die Karthager eilten zu helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe +Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den roemischen +Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war +verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut +nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr +der Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren +die erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt; +man beschloss, auf den "grossen Feldern", fuenf Tagemaersche von Utica, +noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, +sie anzunehmen; mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und +Freiwilligen die zusammengerafften karthagischen und numidischen +Schwaerme und auch die Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht +rechnen durften, wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. +Die Afrikaner konnten nach dieser doppelten Niederlage nirgend mehr +das Feld halten. Ein Angriff auf das roemische Schiffslager, den die +karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar kein unguenstiges, aber +doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit aufgewogen +durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein beispielloser +Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die Roemer +ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. Nach solchen +Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit sechzehn +Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich +offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. +Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode +verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und +Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen Besitzungen +und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des Syphax an +Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig und eine +Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) - Bedingungen, +die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass die Frage +sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms +Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben +an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine +karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische +Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu +verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen auf den grossen +Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte, feuerten sie +an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede notwendig die +Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen +musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht; +man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu lassen +und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung +vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst +nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203) +daran arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu +rufen, war eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit +ueberlegenen roemischen Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei +war zum Weichen und das Fussvolk ins Gedraenge gebracht worden und der +Sieg schien sich fuer die Karthager zu erklaeren, als der kuehne Angriff +eines roemischen Trupps auf die feindlichen Elefanten und vor allem die +schwere Verwundung des geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der +Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste +zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog +ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal +waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten +Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, +seinem Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; +als er in Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn +empfing, saeumte er nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde +niederstossen sowie die italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm +ueber das Meer zu folgen, und bestieg die auf der Rede von Kroton +laengst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe. Die roemischen +Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu +zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also freiwillig dem +italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen +ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit +mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von +Rat und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach +roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter +darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste +Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und +der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre +aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel +nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein durch +seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und +betrat, der letzte von Hamilkars "Loewenbrut", hier abermals nach +sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, +fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch +so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts +ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See +einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er +hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft, +jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne +zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei +offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue +Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit +angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in +der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die +Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen +Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines roemische Gesandte +fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der Waffenstillstand gebrochen. In +gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem Lager bei Tunis auf (552 +202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas (Medscherda), indem er +den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, sondern die +Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und +verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand +bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis +und Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen +war, mit ihm zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem +roemischen in einer persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen +zu erlangen; allein Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze +der Zugestaendnisse gegangen war, konnte nach dem Bruch des +Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen, +und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt etwas +anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten +keineswegs unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte +zu keinem Ergebnis und so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama +(vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei Linien ordnete Hannibal sein +Fussvolk: in das erste Glied die karthagischen Mietstruppen, in das +zweite die afrikanische Land- und die phoenikische Buergerwehr nebst dem +makedonischen Korps, in das dritte die Veteranen, die ihm aus Italien +gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig Elefanten, die Reiter +auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine Legionen in drei +Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten +durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu +sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts +ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in +Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch +das Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen +war, leichtes Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. +Ernster war der Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen +den beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen +Handgemenge gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten +an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die +karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass +sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der +karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog +eilig, was von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel +zurueck und schob seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. +Scipio draengte dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie +noch kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und +links an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben +Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte +Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei +der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen +feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war +nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet; +dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren, +hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll +Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum. +------------------------------------------------------- ^1 Von den +beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der westlichere, +etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der Schlacht +(vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder +Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den +19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig. +------------------------------------------------------ Nach diesem Tage +konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur Fortsetzung des +Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen Feldherrn, +sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt +noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle +eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen +wollen, jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht +getan; er gewaehrte den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die +frueheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen +Verhandlungen fuer Rom wie fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde +den Karthagern auf fuenfzig Jahre eine jaehrliche Kontribution von +200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig +machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und ueberhaupt +ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes +nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich +darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine +politische Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager +unter Umstaenden verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen +Flotte zu stellen. Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der +Beendigung des schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit +dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu +guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein, +wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten +scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse +so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die +Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem +Siege ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und +von dieser entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die +Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem +ihr also die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite +gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen +Suprematie zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es +wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte +Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago +und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht +erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken, +dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen +aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und +Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der +vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das +Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, +gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen +Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen +Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen, +die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen +Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings nicht +fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges +haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch +alles unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der +ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem +Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon +vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden +grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung +stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der +ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem +Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu +setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen +Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in +das Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem +Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der hochherzige +und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem +Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt +vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus voellig +zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation +frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die +ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der +Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von +sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen. So war der Zweite Punische +Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der Hannibalische Krieg +beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu den Saeulen +des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem +Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu +der Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer +natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den +Krieg auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die +Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet, +sondern einen gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien +bequeme Nachbarn gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas +beim Friedensschluss deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere +Ergebnisse des Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem +Gedanken wenig entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die +eigentliche Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die +Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft +ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt +haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das +Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die +Verhaeltnisse zugeworfen worden. Die unmittelbaren Resultate des Krieges +waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spaniens in eine roemische, +freilich in ewiger Auflehnung begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung +des bis dahin abhaengigen syrakusanischen Reiches mit der roemischen +Provinz Sizilien; die Begruendung des roemischen statt des karthagischen +Patronats ueber die bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die +Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose +Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den +Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige +Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das +im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das +demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte +der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das +Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang +bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution +vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft +war die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden +latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner +Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr +geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht +latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker +und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder +vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und +letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft +der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus +der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar +die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den +gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger +oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen +Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. +Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde +geschleift und die Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der +Brettier Los war noch haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu +Leibeigenen der Roemer gemacht und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht +ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten +schwer, so die griechischen Staedte mit Ausnahme der wenigen, die +bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die kampanischen Griechen und die +Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer +apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils +Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker +wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe +Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum +(bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem +ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg +bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen +Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner +ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia (560 194), +ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen Valentia (562 +192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien wurden die +Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln angesiedelt; der +Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen Herren in Rom +ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht sich, +dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht +gut roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch +politische Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall +in Italien fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name +eitel und dass sie fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung +Hannibals ward als eine zweite Unterjochung Italiens empfunden und +alle Erbitterung wie aller Uebermut des Siegers vornehmlich an den +italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die +farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon +die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem +zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und die +letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter +darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die +ausdauerndste Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die +kampanische Sklavenschaft schon gelernt habe auszuhalten, so hallt aus +solchen gefuehllosen Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der +Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt +die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen +Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die +Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200), +Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom +aus zugesandt wurden. Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen +der italischen Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der +roemischen Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um +den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im +Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint +danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust +vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie +die Masse der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich +lichtete, zeigt die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, +wo derselbe auf 123 Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch +eine ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen +Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der +zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier Weltgegenden +im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im tiefsten Grund +erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur Ausfuehrung im +einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der Staat gewann +durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische Gebiet blieb +seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein +durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der +Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten +gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge +bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und +verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung +durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition +buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das +letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in +Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt, +dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen +wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden +Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose +Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich in seiner +Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege aufgestellte +Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst geerntetem auch von +sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden koenne. Dennoch +durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende dieses +Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich +in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet +worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre +hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich +verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene, +doch im ganzen friedliche und freundliche Zusammenleben der +verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Voelkerentwicklungen +zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: damals galt es Amboss zu sein +oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war der Sieg den Roemern +geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation +immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu latinisieren, die +Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, nicht als +Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden +Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher +fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten +entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen +Verhaeltnissen gegruendete Wohlstand und die entschiedenste politische +Suprematie ueber die damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen +Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, +jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn +nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen +Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die +Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und +Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung +waren, die geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, +Griechenland und endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge +durch die geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme +in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen +zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen +hatte. 7. Kapitel Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der +dritten Periode In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die +Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und +in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom +durch den Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von +selbst, dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, +und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses +mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier +die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den +eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden +eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in +Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554 +200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst +bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die +naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend +hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als +auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von "den beiden Riegeln +gegen die gallischen Zuege", Placentia und Cremona, ward der erste +niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht +mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig marschierten die +Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. Vor Cremona kam +es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und kriegsmaessige Leistung +derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers vermochte es nicht, die +Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen +hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, welche zahlreich +das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes +setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, welches bei +Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch +die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben +und erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt +werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone +ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und +die Cenomanen traten nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern +erkauften sich auch Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen +Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer Schlacht, die +die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und +Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So +gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach +dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die +Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, +waren allerdings haerter, als sie den Gliedern der italischen +Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; namentlich vergass man +nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich +zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden +Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes +liess man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und +ihre nationale Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern +Voelkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen +Tribut auf; sie sollten den roemischen Ansiedlungen suedlich vom Po als +Bollwerk dienen und die nachrueckenden Nordlaender wie die raeuberischen +Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias in diese Gegenden zu +unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens griff auch in +diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit um sich; +die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den +Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. +Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im +Jahre 586 (168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, +der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, +versichert, vielleicht nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst +nur noch wenige Doerfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die +Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben. +Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften +begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der +transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der +Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze +zu machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den +naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war, +zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der +Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen, +sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, welche +die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier +(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder +Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die +beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche +einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher +Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in welcher +diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat um +Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, ueber +die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 186, +179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt +hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der +Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer +die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit +schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche +Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch +dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern wenig bekannten +Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres stattfand, mehr aber +noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien, wie Hannibal von +Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlassten +die Gruendung einer Festung in dem aeussersten nordoestlichen Winkel +Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia (571-573 +183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu verlegen, +sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene +Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten +Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage +Aquileias veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), +der mit der Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo +schnell beendigt war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den +panischen Schreck, den die Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen +Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz +Italien hervorrief. Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des +Padus, die der roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. +Die Boier, die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter +Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und +ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen +(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig +fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die ewigen +Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die +letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer +siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern +eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das +roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung +sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne +sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier nichts mehr uebrig +sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie sich ergeben in das +Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer forderten Abtretung des +halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch +auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden +sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1. +--------------------------------------- ^1 Nach Strabons Bericht waeren +diese italischen Boier von den Roemern ueber die Alpen verstossen worden +und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn um Steinamanger +und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen Zeit von den +ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde, +dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess. +Dieser Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der +roemischen Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte +mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der +italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in der Tat der Annahme einer +gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden doch auch die uebrigen +keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und Kolonisierung in weit +minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger rasch und vollstaendig +aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits fuehren andere +Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See herzuleiten von +dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen sass, bis +deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr +zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen +findet, wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und +nicht bloss eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte +auf nichts anderem beruhen als auf einem Rueckschluss aus der +Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst +oft unueberlegt anwandten. ---------------------------------------- +Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die +Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen +Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert +und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem +ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; +570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen +boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) +und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem +Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch +diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage +der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische +Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der +Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die +Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst +Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der +roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber +die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue +Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine kuerzere Verbindung +zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden +Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des +italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch den Po. +Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-, +jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war +ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und +Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward. In dem nordwestlichen +italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel hauptsaechlich von dem +vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Roemer +in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno wohnte, ward +vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem Apennin +zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von +Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten. +Was hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in +die Gegend von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische +Massregeln die ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) +die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in +den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig +unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte +Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich +wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen +vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia +und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der +Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von +Luca ueber Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der +Aurelischen und Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit. +Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen +Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren +unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; +die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren +Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden +indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht +bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen +Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine +Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna +ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen +- jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen +Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die Uferstrasse offen +zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Taelern und seinen +Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen +Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als Kriegsschule zur Uebung +und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. Aehnliche sogenannte +Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen und mehr +noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie +gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten. +Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die +Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den "Frieden" gab, +sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen +zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom +schleppte, dass es Sprichwort ward: "spottwohlfeil wie ein Sarde". In +Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso +kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der +karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche +Stadt bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer +roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des +Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert +bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen +garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der +karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere +sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu +erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat +den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische +Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags +sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen +Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen +und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse +ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie +ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter +und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit +war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago +sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil +seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von +den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. +So gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die +Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den +groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten +die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig Doerfer +vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging nach +Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder zu +gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht +mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit +sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie einbuessen +sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen +zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die +roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu +Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht +gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte +Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das allzugrosse +Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene +reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quaelerei wegen +Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle +Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder roemische +Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung zu +keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas +Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt +ward. Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage +mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede +Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher +Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die +roemische Gunst zu buhlen. Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten +doch nicht bloss Geduld und Ergebung. Es gab noch in Karthago eine +Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das +Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. Sie hatte +es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden +Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den +Kampf aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner +Soehne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer +diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die +bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger +und der Menschen maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle +Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung +gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener +Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer +verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte +Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und +ein demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der +Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch +Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch +Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass +die roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger +irgendwie mit ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische +Regierung, eben damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem +Grosskoenig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit +begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, dass die +karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter Hannibalischer +Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen Legionen in +Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie +eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich +beauftragt war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden +karthagischen Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, +um den Mann, der sie gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den +antiroemisch gesinnten Maechten dem Landesfeind zu denunzieren, sind +veraechtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und +so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demuetigendes +Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem einfachen +Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, +dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen +erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben +nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so +ausserordentliche Natur, dass nur roemische Gefuehlspolitiker ihn +laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die +eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand, +kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago +den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, +was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich +fuegen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und +besonnene Flucht nach dem Orient die groessere Schande ihnen ersparend, +seiner Vaterstadt bloss die mindere liess, ihren groessten Buerger auf +ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein +Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die +Lieblinge der Goetter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die +unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse +sich bewaehrt. Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es +sich verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung +nicht aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten +dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des +ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet +haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als +in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche +damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich +an Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn +der Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch +gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb +das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie +nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig +die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit +Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom +wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst +die regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der +gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die +roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch +jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten +Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu +erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die +karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201) +stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen +an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den +Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die +Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die +Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen +Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald +hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago +blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen +Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer +nchtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus +Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, +die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). +Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als +hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer +aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von +roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die Meinung +stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war, +dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu +werden sei. Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer +Wahl ebenso dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, +erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie +noch heutzutage ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem +Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die +Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, +die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als "Hirten" +(Schawie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt +sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner +anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten +diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar +an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, +aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die +Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das +phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation +ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs ihre +Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen Adelsfamilien +sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte unmittelbare +Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen Staat dort +grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren zu +koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika +beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede +freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den +eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen +die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem +nach dortiger Art eine Menge Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig +der Mauren, Bocchar, der, vom Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath +(jetzt Mluia an der marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig +der Massaesyler, Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte +Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen +Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der +von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der +heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der +Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und +Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er +in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa +- der Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von +den Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte +(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht +um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. +Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft +hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt. +Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter, +maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu +ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und +vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen +Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens +als Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der +schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande +Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer +ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar +ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den +Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern +aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch +bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, +ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es +schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in +ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie +in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. +Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im +sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz +seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen +einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und +gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt +worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer +Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer +Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende +Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und +stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem +einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere +Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem Koenig +untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte er die +alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass sein Reich +sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze erstreckte, das +karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste und ueberall in +naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen Zweifel, +dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche Partei +daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des +Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch +ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs, +der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende +Ackergueter hinterliess, fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig +zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Buerger, +verwandelte er seine Plunderhorden in Soldaten, die von Rom neben +den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und hinterliess seinen +Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes +Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward +die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein Hauptsitz der +phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs eifrige +und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete +Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich +dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen +Staedte, wie Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. +Der Berber fing an, unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, +ja ueberlegen zu fuehlen; die karthagischen Gesandten mussten in Rom +es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern +gehoere. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig +und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas +ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa. +In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der +Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um +so bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber +ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen +zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem +bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte, +durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als +Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde, +sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen +machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs +an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren +Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine +deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine +weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des +Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in +mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit +hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische +Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist +sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches +Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen +besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter +allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie +sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte. +Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios' Schilderungen zu beziehen +sein von dem bluehenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in +Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und +Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den praechtigen +Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll +"Gerstenwein". Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten, +fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher +als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die +Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser +Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei den +Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach weit +frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss +gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen +Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das +sogenannte "Silber von Osca" (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst +spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195) +erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb +nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen +Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und +oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen +Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, +dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so +war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von +zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei +Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um +600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und +sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen. +Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der +Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn +in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von +den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste +Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren +gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von +Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern +wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein +bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner +bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel +und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig +Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine +keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem +roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen +Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde +es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig +es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die +Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden +Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der +Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, +im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: +entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische +Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte +sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand +zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu +brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz +in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon +zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei den +Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen aufgeregten +Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten +bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame +Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an +der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen +Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der +Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt +wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer +Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten +bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt +betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in +starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe +und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten +denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden. +Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier +nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals +Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als +nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, +welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren gefuerchteten +Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die roemischen Legionen +zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich militaerisch zu disziplinieren +und politisch zusammenzuschliessen, so haetten sie vielleicht der +aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber ihre +Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte +ihr voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem +ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die +Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt, +nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der +roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war +es dem roemischen Staatsmanne, ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um +Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte +er, da das einzige wirklich genuegende, eine umfassende latinische +Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen Politik dieser Epoche +zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. Das Gebiet, welches die +Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel +von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die +zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und +Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und +Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten +Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- +und Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr +den beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen +Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische +Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen +Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und +dem spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet +abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den +Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich +beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war +indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem +Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der +Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner +jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein +roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr +aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur +Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der +Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von +grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in +groesserem Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend +und infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte +roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche +Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen +Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu +halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der unruhigen, +fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings +unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich, +sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an +innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss +fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch fuer den Herrn, und murrte +laut ueber den verhassten spanischen Kriegsdienst. Waehrend die neuen +Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die Gesamtabloesung der +bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man +ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. Den Kriegen +selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur eine +untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und +waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit +Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch +nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine +allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward +hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig ueberwunden und selber +erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl +inzwischen der tuechtige Praetor Quintus Minucius ueber die erste Gefahr +Herr geworden war, beschloss doch der Senat im Jahre 559 (195), den +Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der +Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige Spanien von den +Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im inneren +Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen +Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in +der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst +mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige +Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben +so wenig ernstlich gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr +des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das +Geruecht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal +sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei +verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in +der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der +Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre +Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, +wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu +verstaendigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen +widerspenstigen wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst +vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. Diese +energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg. +Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der "friedlichen +Provinz" ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, +und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz +fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel +563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich +lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren +musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189) +^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius +Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die Lusitaner erfocht, +schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis +dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber die keltiberischen +Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus Fulvius Flaccus, der +nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) wenigstens die +naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch +seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher +mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische +Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die +Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. +Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu +nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten +Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die spanische Stadt +Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem Freibeuterwesen +ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen +Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege +regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger +Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, +und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch +manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein. +----------------------------------------- ^2 Von diesem Statthalter +ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der Naehe von Gibraltar +aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten Kupfertafel zum +Vorschein gekommen: "L. Aimilius, des Lucius Sohn, Imperator, hat +verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und Plin. 3, +1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser +[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden +und die Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner +besitzen und haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben +wird. Verhandelt im Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. " +(L. Aimilius L. f. inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in +turri Lascutana habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod +ea tempestate posedisent, item possidere habereque iousit, dum poplus +senatusque Romanus vellet. Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist +dies die aelteste roemische Urkunde, die wir im Original besitzen, drei +Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass der Konsuln des +Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit. +--------------------------------------- Das Verwaltungssystem der beiden +spanischen Provinzen war dem sizilisch- sardinischen aehnlich, aber +nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Haende +zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 (197) ernannt +wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive +Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung des +Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf +zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden +Zudrangs zu den hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der +eifersuechtigen Ueberwachung der Beamtengewalt durch den Senat +nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es blieb, soweit nicht in +ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem +fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen besonders +unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die +abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt +der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien +vielmehr von den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den +einzelnen Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen +Leistungen auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der +Senat infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr +583 (171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als +gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter +nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der +eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht einseitig +feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen, +zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere +Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward +dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das +Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den +spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier +keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch +genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr +der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst +schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von Rom +beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze +griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum, +Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen +Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im +ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie +finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, +weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik der +ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser +beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden +Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, +selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, +welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung +namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel +mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die +Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an +Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in +Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht +loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs +der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben. +------------------------------------------------- ^3 1. Makk. 8, 3: "Und +Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande Hispanien, um +Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst." +------------------------------------------------- 8. Kapitel Die +oestlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg Das Werk, welches +Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein Jahrhundert zuvor, +ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fussbreit +Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher +Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu hellenisieren, +sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines hellenisch-asiatischen +Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und Siedellust der +griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und +Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt +fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich +der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische +Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen +Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander und es +stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst +eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten +Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und Aegypten, war +Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort den +Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es +gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein +gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der +Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, +nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die +Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen +Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss +ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil desselben: +ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum Spercheios und +der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel Euboea, die +Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im +Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion, +Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land- +und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen +makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen +Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, "die drei +Fesseln der Hellenen". Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem +Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses +weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller Kraefte +vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als ein +gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es ist +unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von der +durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall hervorgebrachten +Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen Griechenland +die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und dort, +da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert +schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere +mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, +waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen unter die dichte +einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente aussaeen und ihre +Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft +dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genuegte, um den Nationen +die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister zu liefern, und +viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen Schlages +auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen +Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet, +aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die +Zuversicht, mit der die Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall +wo sie im Osten auftreten, als ein besserer Schlag sich geben und +genommen werden, und die ueberlegene Rolle, welche sie deswegen an +den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die Erzaehlung ist +bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in Makedonien gelebt +und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in +seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner +gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte +Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und +geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier +der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische +Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien +keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt +sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, +wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und +die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten +Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines +dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare +grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion +gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu +unvergaenglicher Ehre. Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war +nichts als das oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien, +das Reich des "Koenigs der Koenige", wie sein Herr sich, bezeichnend +fuer seine Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit +denselben Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und +mit derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder +abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien +griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich +der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze Nordkueste +und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden +einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, +von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und +die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem +Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und +Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel +gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die +Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet bestellt war. +Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen, die Aegypter +aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in dem Grenzhader mit den +oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den +zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig gewordenen Kelten, in den +bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen der oestlichen +Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den +Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem +der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche +die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, +allein die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als +anderswo, weil sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu +der Abtrennung einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu +fuehren pflegten. Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten +ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst +der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen +und religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft +begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder +Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte. Sehr +verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf ihrem +Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten +das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese +Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in Makedonien +und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat laehmte, +waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste Ptolemaeos +und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst brauchbar +erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden +grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach +Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. +Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander +seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als unmittelbare +Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten und lauter +oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht her-, so doch +wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine Weltmonarchie zu +gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung getraeumt; dafuer aber +zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem Mittelmeer von den +phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten zu dem +ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen +Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass +Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos +Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils +hierdurch, teils durch die guenstige geographische Lage kam Aegypten +den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine vortreffliche +militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. Waehrend der +Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande war, das ringsum +fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich zu bedrohen, +konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich +festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der +phoenikisch- syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von +Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch +die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren +Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen +ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie +einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner +auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente +Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster +Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und +diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen +und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte +nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den +Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, +sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und +grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen +Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur +Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. +Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische +Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu +fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in +ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet +Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen +unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister +Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten. +Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem +Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer +monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen +Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter +hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes +und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, +waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander +rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren +gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten oder +doch haetten zusammenhalten sollen. Unter den Staaten zweiten Ranges ist +fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem Westen zunaechst nur mittelbar +von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom suedlichen Ende des +Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere und die +Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan +suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im +kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am +suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des +grossen Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens +altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene +namentlich die rechte Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der +selbst Alexanders Zug spurlos voruebergebraust war, und alle auch +in derselben zeitweiligen und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der +griechischen Dynastie, die in Asien an die Stelle der Grosskoenige +getreten war oder sein wollte. Von groesserer Wichtigkeit fuer die +allgemeinen Verhaeltnisse ist der Keltenstaat in dem kleinasiatischen +Binnenland. Hier mitten inne zwischen Bithynien, Paphlagonien, +Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische Voelkerschaften, die +Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig gemacht, ohne darum +weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer Verfassung und +ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem +der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem +Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und +traten auf der "heiligen Staette" (Drunemetum) namentlich zur Faellung +von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den +Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und +die Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren +unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, +teils die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten +oder brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der +allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der +asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische Heer +von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I. Soter +sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) zuletzt +selber zur Zinszahlung sich verstanden. Dem kuehnen und gluecklichen +Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Buerger +von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den Koenigstitel +empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war im +kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung +der materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an +der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nuechterne +Kabinettspolitik, deren wesentlicher Zweck war, teils die Macht der +beiden gefaehrlichen festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen +selbstaendigen Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der +wohlgefuellte Schatz trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen +Herren bei; sie schossen den syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, +deren Rueckzahlung spaeter unter den roemischen Friedensbedingungen eine +Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, +wie zum Beispiel Aegina, das die verbuendeten Roemer und Aetoler im +letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen +hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente +(51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und +des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom +staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich +mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de' +Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, +und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des +Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr +ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. In dem +europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen +an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra +roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar +makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik +zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen, +die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achaeer, +Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen waren die +Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher Weise eng +an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie der von den +Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch makedonischen Schutz +zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren +Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer mag +als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten +zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader +Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die +Bewerber um die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung +war, dass sie sich verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem +Auslaender, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. Die Athener +pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu werden und +standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren voellig +machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese +unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von +Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. Nachhaltiger war die Macht der +aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige Nordgriechentum war +hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste Zucht- und +Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann +gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als +Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen +Griechen, dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, +eher koenne man Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz +aus ihrem Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von +grossem Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte +Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der +achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen +den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten. +Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des +eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, +Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten +Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit +derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch +Aratos' diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch +die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung +makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so +vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der Landschaft +seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jaehrlich Philippos +der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren Staaten im +Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, namentlich +durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen +Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und +antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. +Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische +Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen +Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden +und fahrenden Soeldner, denen er nicht bloss die Haeuser und Aecker, +sondern auch die Frauen und Kinder der Buerger ueberwies, und unterhielt +emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine Assoziation zum Seeraub +auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen Soeldner- und +Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften besass. +Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea +waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam +verhasst; aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der +Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von +Messene zu setzen. Endlich die unabhaengigste Stellung unter den +Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstaedte an dem +europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der ganzen kleinasiatischen +Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich +die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen +Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode +wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel +auch zu einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem +Landgebiet gelangt waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich +und maechtig durch die Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem +Schwarzen Meer; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt +und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, +und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach +Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren +durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des +Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige +Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut +der Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller +gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu +vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die +Byzantier mit den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit +im Bosporos zu gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten +das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich +dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen +Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten +ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten +hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten +standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung +bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten +ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich +der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen, +Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den +Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige +gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, +Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. +Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren +nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu +erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten; +gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald +energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren +die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos +nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben +durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen +Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre +nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit +der Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die +Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten +oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser +eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, +sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen +verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen +die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum +die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn +und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier Kunst und +Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten oder von +der Hofluft korrumpiert zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als +die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und +die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst +wurden, in die Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah +und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 214- 205) verlief, ist +zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im +Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem geschah, +was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte +wieder einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines +verderblicher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der +Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indes eine unbedeutende +Natur war er nicht. Er war ein rechter Koenig, in dem besten und dem +schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte Gefuehl, selbst und allein +zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war stolz auf seinen +Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies +nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, +sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen +Angelegenheiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. +Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben +die faehigsten und gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und +Scipio; er war ein guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht +bloss durch seinen Rang gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der +uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter +erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die +Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen +sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die +Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben +seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch +verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos +durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu +befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den +Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass +ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes +Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den +Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren +und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein +Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur +Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten +Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann niemand +ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und +Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert, +dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward +und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und +Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen +Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt +haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des Ersten +Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen +- vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die +nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst +Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und +Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein +spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen +Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte. Philippos schloss den Vertrag +mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) in der ernsten +Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich kuenftig +ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet +keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah; +es kann auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische +Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im stillen das letzte +karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein sowohl die +weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einliess, +als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das voellige +Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch +nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos +keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor +haette tun sollen. Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite +gewendet. Ptolemaeos Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. +Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, +hatten die Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos +sich vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen +den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte +aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und +die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos' Art, der ueber +solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss +ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, "eben wie die grossen Fische +die kleinen auffressen". Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig +gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des +naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen +Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos +auf diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo +Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine +von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an +Bord nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward +Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu +Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit +den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit +Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert. +Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig +Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half +Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen. +Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und +dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose +Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu +besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische +Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die +Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren +Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig vereitelt +worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen die +Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich +konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische +Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit +dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich +nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, +dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen +Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. +Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios; +man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos, +ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr +zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln +einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und +erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der +hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos' persoenlicher und +politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der +aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der +seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er +selbst vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich +begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit +zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zurueckzulassen. +Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um sich mit +seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die +rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht +in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war +geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus +und Philippos' Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er +endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, +wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 Soldaten +kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den +Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel. +Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von seiner Flotte +abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei Erythrae +auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen +Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden +hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, +waehrend Attalos' Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig +bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb, +seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die +karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten die +Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen +Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel +Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich +zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn +waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, +besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos +die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland +die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen +Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht +vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, +so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken +koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und +Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; +aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der +Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu +geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte +den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in +der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und +die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang. +Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos +musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, +und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging +allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der Zwischenzeit hatten +die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des Attalos wieder +an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden ueberlegen waren. Es +schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug abschneiden und +ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch die +Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler +und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die +Gefahr; er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, +um Pergamon in Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um +Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und +einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang +es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer +bewachten, gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor +dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. In der Tat zog sich gegen +Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht laenger +gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. Die +Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre +Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese +Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie +nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten +sich zu unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren +Urteil fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass +Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die +Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika +und in Griechenland ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich +gefaehrlich fuer Rom war Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings +nicht gering und es ist augenscheinlich, dass der roemische Senat den +Frieden von 548/49 (206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess, +nur ungern gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor +Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe +und doch nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit +welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl +eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in +Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm +zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort +freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch +nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen +Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer +Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der +gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der +Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen, +der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber +jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre +549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein +unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des +kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die +neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. +Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die +Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel +tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig +zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden +grossen Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen +Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies +die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn +schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten +vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm ueber +alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner, +Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass dieser Schutz +sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in dieser Zeit +die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und wenig +ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern +das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und +Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich +empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, +kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege +gegen Philippos zu bestimmen, einem der gerechtesten, die die Stadt je +gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich +entschloss und sich weder durch die Erschoepfung des Staates noch durch +die Impopularitaet einer solchen Kriegserklaerung abhalten liess, seine +Anstalten zu treffen - schon 553 (201) erschien der Propraetor Marcus +Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von 38 Segeln in der +oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen +ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk +gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu +einsichtig gewesen waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in +Philippos' Art gering zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos +nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewaehrt haben sollte, war +offenbar nicht erweislich. Die roemischen Untertanen in der illyrischen +Landschaft beschwerten sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die +makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter +an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos' Scharen aus dem +illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten +des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn +frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben +nichts als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine +Nachbarn uebte; eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen +Augenblick zur Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. +Mit den saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die +roemische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen +Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und +Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe +zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn +auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die +Vormundschaft ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch +auch nicht eben sich beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer +roemischer Intervention zwar die augenblickliche Bedraengnis zu +beendigen, aber zugleich der grossen westlichen Macht das Ostmeer zu +oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst +in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit +Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um so +mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens +in die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb +nichts uebrig, als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten +abzuordnen, um teils von Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach +nicht schwer war, dass es die Einmischung der Roemer in die griechischen +Angelegenheiten geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu +beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, teils endlich den +Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der +griechisch- asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553 +201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der +Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus +aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als "Vormund des +Koenigs" dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche +Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp +nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche +sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt +durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien nicht intervenieren zu +wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und liess die Dinge in +Griechenland und Kleinasien gehen. Darueber war das Fruehjahr 554 (200) +herangekommen, und der Krieg hatte aufs neue begonnen. Philippos +warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die saemtlichen +Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos besetzte; +er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen Landung +gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an, +an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz +von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere +Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte +der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese +beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das schwaechere makedonische +Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos beschraenkte zur +See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros, +Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier +gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter +ueber bei Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich +die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. +Es waere wohl moeglich gewesen, den Abydenern, die sich heldenmuetig +verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein die Verbuendeten ruehrten +sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle +Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der Kapitulation ein +grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, der Gnade +des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist +gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf +die roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in +Syrien und Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet +hatte, mit dem Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat +erhaltenen Auftraege: der Koenig solle gegen keinen griechischen Staat +einen Angriffskrieg fuehren, die dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen +zurueckgeben und wegen der den Pergamenern und Rhodiern zugefuegten +Schaedigung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des +Senats, den Koenig zur foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward +nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom +Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schoenen +roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte +zugute halten wolle. Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte +Veranlassung von einer anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten +in ihrer albernen und grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen +hinrichten lassen, weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien +verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von +Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser +das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und +gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und +mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika +einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern +es liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die +drohenden Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten +sofort seine Truppen den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es +war zu spaet. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den +Angriff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und +aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm +bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen +Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische Gebiet +zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. Der Senat +hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die +Kriegserklaerung "wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten Staat" +vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast einstimmig +verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten ueber +den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war +einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der +Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward +durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist +bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der +Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen +Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen +- die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien, +zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom +Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber +entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg +aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, +meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst +555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von Apollonia +hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von +denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium +nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem Konsul Publius +Sulpicius Galba. So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, +dass fuer die weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom +durch seine Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen +mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen +schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen +in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch +notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der +latinischen Bundesgenossen fuehrte. Philippos' Lage war sehr uebel. +Die oestlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms haetten +zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden auch vielleicht +zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine Schuld so +untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder +nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps +natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt +worden und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und +den syrischen Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein +dringendes Interesse daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern +blieb; selbst jetzt noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom +sehr deutlich zu verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den +Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der +zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber +Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme +und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in +die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit +Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter +gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, +Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel +das Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber +Philippos' grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu +einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung +wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln. Im +eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort eine +zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls +vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei, +den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette Philippos die +letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 (206) in +ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aufgeheilten +Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die +wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen +thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des +phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die +Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei +den Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie +zauderten, sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund +wohl hauptsaechlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und +den Roemern. Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das +makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, +Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter +unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die +roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig +der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den +Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils +viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der +Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens +(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen +regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich +selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos' Zeit, blind +der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische +Eidgenossenschaft, die von Philippos' Vergroesserungssucht weder +Nutzen noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom +unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff, +was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit +den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und +begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern +zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der +einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen +Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; +die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste +Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - +es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht +aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. Im Herbst des +Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit seinen +beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten, +die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche +Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte. +Indes teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung +des roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts +weiter vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die +naechstliegenden Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie +Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward +mit den noerdlichen Barbaren, namentlich mit Pleuratos, dem damaligen +Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich +eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff +auf Makedonien verabredet. Wichtiger waren die Unternehmungen der +roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zaehlte. +Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den Winter Station +nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem +Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento +indes die attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen +Besatzung und die makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, +segelte er weiter und erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, +dem Hauptwaffenplatz Philipps in Griechenland, wo die Magazine, die +Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Kommandant +Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff erwartete. Die +unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, die +Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an +Truppen, um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem +ueberfall brach Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von +Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis, und da er hier nichts von dem +Feind mehr fand als die Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit +Gleichem zu vergelten. Allein die Ueberrumpelung misslang und auch +der Sturm war vergeblich, so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das +Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her +zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in +Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich +gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen; +und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus +sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als +seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung +der Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen +und nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem +Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem +Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der +kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen +Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen: +in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in +oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der +Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her +sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme +am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, +die der Apsos (jetzt Beratino) durchschneidet, ueberschritten hatte und +durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an +die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese +uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm +entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevoelkerten +Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich, +bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren +aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen Landesgrenze +aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager schlugen. +Philippos' Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der noerdlichen +Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuss +und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die +Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend +und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt +erhielten, waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten, +dass diese es nicht wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu +zerstreuen. Der Konsul bot die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig +versagte sie beharrlich und die Gefechte zwischen den leichten Truppen, +wenn auch die Roemer darin einige Vorteile erfochten, aenderten in +der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, sein Lager abzubrechen und +anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von +wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier +wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der +Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe +kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit +vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der +Koenig selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung +eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage +befreite die Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten +Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der +makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet +moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer +und andere Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, +ausser den Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, +womit er selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, +und ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der +pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der +Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete Verwuestung +der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine +Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos und +der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte +Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte +Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich +dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen +vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier +die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und die roemische Flotte +unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in den oestlichen +Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der +Istrier sich mit ihr vereinigten. Philippos gab hiernach freiwillig +seine Stellung auf und wich in oestlicher Richtung zurueck: ob es +geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der Aetoler +zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins Verderben +zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu +tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug +so geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu +folgen, seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, +der die Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen +zu erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen +einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten +Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich +unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier +wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute. +Indes wenn auch Philippos' Heer nach diesem ungluecklichen Treffen nicht +laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu wehren, so +scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land, +weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck +nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens +Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt +von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem +gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war die einzige +makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im illyrischen +Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen Zufluessen +des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem aehnlichen Zug +kuenftig als Basis zu dienen. Philippos stoerte die roemische Hauptarmee +auf ihrem Rueckzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen +die Aetoler und Athamanen, die in der Meinung, dass die Legionen +den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des Peneios furcht- und +ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und noetigte, was +nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, retten. +Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, +die in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die +Streitkraft der Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner +wurden von dem Fuehrer der leichten Truppen Philipps, Athenagoras, +ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber die Berge zurueckgejagt. +Die roemische Flotte richtete auch nicht viel aus; sie vertrieb die +makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und Skiathos heim +und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber die +makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des +Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die +entschlossene Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert +ward. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig +bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. +Fruehzeitig gingen diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem +Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat. Im +ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich +Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst +beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling +aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler +und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea haette +von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet +wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck +verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet vom +Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich vergeblichen, +Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze gelegene und +die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern zu +entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den +Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte +er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke +dieser sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte +einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von den Roemern +militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich nicht, den +Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten Gesandte, die +in der Tat es erreichten, dass Attalos' Gebiet geraeumt ward. Von daher +hatte Philippos nichts zu hoffen. Indes der glueckliche Ausgang des +letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder Uebermut so gehoben, dass, +nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der Treue der Makedonier +sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des verabscheuten +Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten Fruehling +556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische +Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos (Viosa) +zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohlverschanztes +Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue +Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul +des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) +der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl +fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann, +gehoerte zu der juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen +Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing +und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an sich und an das +Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und besserer Diplomat, war +er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der schwierigen griechischen +Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere es vielleicht fuer +Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf einen minder +von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein Feldherr +dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen +noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit +der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und +kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst +behandelt, den Roemern aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen +nachzustreben. Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig +sogleich eine Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich +gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich, +alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen +Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu +unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen, +namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. +Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass +Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den +Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige +Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die +Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten +Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten +auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300 +Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie alsdann +der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das +Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden +roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und +Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass +Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab +er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht +verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die +Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils durch diese Erfolge der +roemischen Waffen, teils durch Flamininus' geschickte Milde bestimmt, +traten zunaechst die Epeiroten vom makedonischen Buendnis ab. In +Thessalien waren auf die erste Nachricht vom Siege der Roemer sogleich +die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die Roemer folgten bald; das +platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die festen Staedte, die gut +makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstuetzung empfingen, +fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem +ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo +in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese +thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit +ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition. Dagegen war der +Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der +makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung unterhielten, +und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in +makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu +spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst +Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, +die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen +hatte, war bisher damit beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf +Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen; +worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem +makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt +wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem +oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von +der anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die +Landschaft, in der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; +diese Gegend, namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum +Winterquartier ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die +roemischen Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte +schon an ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich +ehrenwerte, aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die +Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme, +Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss +dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und +andere Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die +Truppen der Achaeer vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte +und eilten, Korinth zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die +Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren +Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die makedonische +Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus italischen +Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare +Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung +von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das +Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch +gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn +solcher Hingebung war, dass der Koenig die treuen Argeier der +Schreckensherrschaft des Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den +bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der +Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er +war hauptsaechlich nur deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil +er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem +Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos' Angelegenheiten standen +zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu +schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, +allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus, +welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg +begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den +Spartanern und Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate +vermittelte. So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, +um womoeglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, +die in Nikaea am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der +Koenig persoenlich und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung +zu gelangen, indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit +Stolz und Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die +Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche +Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um +durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen +die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten +gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht +ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen +Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand +zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen +Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle seine +auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos' Gesandte +in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie Vollmacht +haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und +Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort +die Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des +Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so +nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das +Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende Verstaerkung, und die +beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius +wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu stellen. Auch Philippos +entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu +sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Boeoter +gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf +6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des +erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die +Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 +makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So begann der vierte +Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der Flotte gegen die +Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland +bemaechtigte er sich durch List der boeotischen Hauptstadt Thebae, +wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen Makedonien +wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die +Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er +sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen +Schwierigkeiten der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und +grossenteils oeden Lande, die schon oft die Operationen gehemmt hatten, +sollte jetzt die Flotte beseitigen, indem sie das Heer laengs der Kueste +begleitete und ihm die aus Afrika, Sizilien und Sardinien gesandten +Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung kam frueher, als Flamininus +gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und zuversichtlich wie er war, +konnte es nicht aushalten, den Feind an der makedonischen Grenze zu +erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rueckte +er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm +entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. +Beide Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege +der Apolloniaten und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, +besonders aber durch einen ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt +worden war, zaehlten ungefaehr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 +Mann; doch waren die Roemer an Reiterei dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts +Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf waehrend eines trueben +Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den feindlichen, der +einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen Huegel, die +Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene, +erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen +und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun +ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. +Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer +gesamten Reiterei und dem groessten Teil der leichten Infantrie; die +Roemer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit grossem +Verlust bis hart an ihr Lager zurueckgejagt und haetten sich voellig zur +Flucht gewandt, wenn nicht die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf +so lange hingehalten haetten, bis Flamininus die schnell geordneten +Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die +Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig nach und +ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder +Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den +Huegel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. +Der rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam +frueh genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung +zu stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten +Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel +heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der +Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem +linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte +der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten +Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig +die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die +Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der +Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke Fluegel der +Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel liess Nikanor, +als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der Phalanx +schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und waehrend die +ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten Fluegel +folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen, +gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der +Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen +linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen, +vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend hier ein +fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener roemischer +Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen auf +den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken +verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im +Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos +und mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen +Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils +gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene, +weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das +Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der Sieger war +gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere +verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte er Thessalien +und ging in seine Heimat zurueck. Gleichzeitig mit dieser grossen +Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nachteile auf allen +Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen die rhodischen +Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen dasselbe, sich +in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward von +Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das +akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos +war vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen, +ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. Es +lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: +sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich +Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies +Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess +das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten +niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das +bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern +gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft. +Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der +griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu +bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen +Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine +hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso +sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl +verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der "Sieger von +Kynoskephalae", wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es +nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie +ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein +Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen +Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf +die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus +gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter +seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, +den Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien +hinauszuschlagen. Die definitive Regulierung der verwickelten +griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn +Personen uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. +Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago +gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in +Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen +Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf +einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei +erklaert ward - eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich +fiel, allein die die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da +bei seinem Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber +einmal von ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde +ferner verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms +abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner nicht +ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt gegen +roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber 5000 Mann, +keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu unterhalten, die +uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den +Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu +senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den +Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von +1000 Talenten (1700000 Taler). Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger +politischer Nullitaet herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen +war, als es bedurfte, um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu +hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen +zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass +ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die +ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen +hatten, nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch +ihre Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten +Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; +und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu +den Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). +Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein +verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der +Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die +Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1. +--------------------------------------------------- ^1 Wir haben +noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift "T. +Quincti(us)", unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in +Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist +eine bezeichnende Artigkeit. +---------------------------------------------------- Ausgenommen waren +von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften oestlich +von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, fielen und +diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land- +und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen +Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften +im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm +liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer +seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und +Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre +karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb, +versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt +durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den verschiedenen +Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch +am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es +scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter +allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen +Besitzungen Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich +Korinth, wurden ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte +man wenig Umstaende; sie durften die phokischen und lokrischen Staedte +in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch +auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden +zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die thessalischen +Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften +geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos +und Lemnos, der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute. +Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse +Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten +in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern +und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den +Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis +zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm +ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb +Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen +Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer +und auf Antiochos' Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung +von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf +einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit +der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter +auch einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung +lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta, +Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner +durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, +wurden nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit +Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst +umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. +Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter +5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein +vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der +ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue +befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen +Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm +gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen, +verwarf "das Volk", das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte +Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege +fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit +der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler und der +Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden, und der +Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu +einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern erstiegen, +als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur +Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein +Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen, +die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde +beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis +selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswaertigen +Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte und ueberdies +noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder auswaertige +Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine anderen +Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut wieder +abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine Kriegskontribution +zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte an der +lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im +Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der "freien +Lakonen" nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr +Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen +angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen +verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider deren Willen +in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch +diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren +dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefuerchteten +und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der Emigrierten und die +Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. +Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass Flamininus diese +schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es +moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische +Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung +zwischen den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas +in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer +gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der +Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten und die vollstaendige +Restauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments wuerde nur +ein Schreckensregiment an die Stelle eines anderen gesetzt haben; der +Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide +extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich +gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte +und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde +unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den +Nabis kannte und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche +Beseitigung war, davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und +nicht durch unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen +Eindruck seiner Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies +an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen +Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste +Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig +wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu +fuerchten. Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen +griechischen Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren +Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen +Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung +selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus Griechenland +offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos' +Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward +der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, +zum Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst +Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser +Geduld: indes die roemisch gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem +Abzug der Roemer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und +Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten, +sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf +die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern +auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten +auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; +Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten +auf, und da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden +Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich +auf Bitten; in der Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer +und Athener gegen eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und +obwohl die makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft +am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts +entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland +begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging, +auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden +einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren +und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die +staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde +nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der +betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu +knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus +versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen +griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem +Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige +Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die +waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden +waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten +Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis +nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth, +also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von +Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den +saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die +Heimat. Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen +Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung +Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb +der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte, +einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen +Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine +maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre +Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren Interessen +zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur vollen Freiheit +fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von fremder Schatzung +und fremder Besatzung und die unbeschraenkte Selbstregierung verlieh; +bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung. +Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung Griechenlands +moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und +vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen +Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie +alle und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken +des Senats ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die +Erbaermlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen +Umfang zu erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in +sich und gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu +handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner +gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig, +dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort +und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu +machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren +Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein +wuerde. In Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, +wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen +hatte, die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den +roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher +Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen +dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne +den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere +ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den +Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen. +Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten +Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. 9. Kapitel Der +Krieg gegen Antiochos von Asien In dem Reiche Asien trug das Diadem der +Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der Koenig Antiochos der Dritte, der +Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er war gleich Philippos +mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und +Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten +entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu +heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des +aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm +gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen +und zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den +von Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat +wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich +entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im +Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig +zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit +Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn auch +ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549 205) +schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu machen; +Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte sich +auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen Staedte +angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen Augenblick, +als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache +machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich +brachten. Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung +der Roemer in die Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie +zurueckzuweisen, glaubte Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren, +wenn er Philippos' leicht vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die +Roemer dazu nutzte, um das Aegyptische Reich, das er mit Philippos +hatte teilen wollen, nun fuer sich allein zu gewinnen. Trotz der engen +Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen Hof und dem koeniglichen +Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, wirklich, wie er +sich nannte, dessen "Beschuetzer" zu sein; fest entschlossen, sich um +die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall +zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des +Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig +machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt +als getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; +dagegen ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach +der andern zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die +syrischen und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre +556 (198) am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen +Feldherrn Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz +dieses Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern +schreckte die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass +dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich +zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der +Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also +das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, +dem der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von +100 Deck- und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals +aegyptischen Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in +Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese +Distrikte, die faktisch in Philippos' Haenden waren, im Frieden an +Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen +Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die +kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich +sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. Dieses Beginnen +war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an Philippos +die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien +wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den +Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an +Philippos' Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten. +Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos +durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum +Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich suchten sie die +Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben beendigten zu verwickeln. +Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern militaerische Hilfe +begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, waehrend Attalos' +Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. Die energischeren +Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557 +(197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass +sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der lykischen +Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich +hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende +Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und +die wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner +die Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den +halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, +allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, +Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der +Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu +widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen +der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er +ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, +schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen +Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer +sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen, +doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten insofern alle +Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu willfahren und in +Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich dazu wenig +geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg +waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer +Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch +nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos +und Philippos in Haenden gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz +genommen werden, und die Freiheit der asiatischen Staedte Myrina, +Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den roemischen Aktenstuecken, +allein man tat nicht das Geringste, um sie durchzusetzen und liess es +geschehen, dass Koenig Antiochos die gute Gelegenheit des Abzugs der +makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um die seinigen +hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in +Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen +Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm +und laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren +und die Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu +seinem Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie +Thrakien ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung +dieser Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an +den Koenig Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets +und von der Freiheit der saemtlichen Hellenen redeten; allein es +kam dabei nichts heraus. Der Koenig redete wiederum von seinen +unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von seinem Ahnherrn Seleukos +eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, dass er nicht +beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet seines +angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in +seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien +ab. Mit Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede +geschlossen sei und es den Roemern insofern an einem formellen Grund +fehle zu intervenieren ^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach +Asien, veranlasst durch die falsche Nachricht von dem Tode des jungen +Koenigs von Aegypten und die dadurch hervorgerufenen Projekte einer +Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, beendigte die Konferenzen, +ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, geschweige denn zu einem +Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos +wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und +beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er +seinem Sohne Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von +Karthago hatte landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle +Empfang, der ihm zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung +gegen Rom. Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus +saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies +unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit, +wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen; +denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur +den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas +ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des +Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. +Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden +Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen +und jede Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten +fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in +Griechenland, der schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen +des erbitterten Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen +gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche +Anzeichen des Herannahens einer neuen Schilderhebung des hellenischen +Ostens, deren Ziel mindestens sein musste, Griechenland aus der +roemischen Klientel in die der antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen +und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich weiter gesteckt +haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen +konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend, +aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den +Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er +nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig +und vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen +Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen +die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte. +------------------------------------------------------ ^1 Nach einem +kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, S. 95) +schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den +roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und +dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden +moege (op/o/s symperil/e/phth/o/men [en tais synth/e/kais] tais +genomenais R/o/maiois pros ton [basilea]), welche der Senat, wenigstens +nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im +uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten +dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die +Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber +den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die +Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und +Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und +positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich +bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um +Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den +Gesandten erteilten. Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss +auf die troische Legende zurueckgehende "Bruederschaft" der Lampsakener +und der Roemer und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung +der Bundesgenossen und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den +Lampsakenern durch die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren. +^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der +syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) +setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian +(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 +(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die +aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene war. +----------------------------------------------------- Antiochos +nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn die +Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu +dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der +Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig +von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich +seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen +versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits behauptet, allein +wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb faktisch das Land bei +dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im Jahre 557 (197) +seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, die +Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner +Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle. +Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien +und gewann die Galater durch Geschenke, waehrend er die stets +aufruehrerischen Pisidier und andere kleine Voelkerschaften mit den +Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden ausgedehnte Privilegien bewilligt; +in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte erklaerte der Koenig, dass +er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos, +zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen wolle mit einer +bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar +zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu +unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und +hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt +ein Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von +Antiochos eine Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu +Fuss und 1000 Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten +Punischen und sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg +erwecken sollte; tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die +Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der +spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf +ihrem Hoehepunkt stand. ------------------------------------------ +^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere +Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) +irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden +wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach +Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel +geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil +die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war; +und eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit. +------------------------------------------- Waehrend also von langer +Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom vorbereitet ward, waren +es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten Hellenen, die am +wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten taten. Die +erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu +glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden +worden sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in +Griechenland einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die +Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe +eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen Rom begehrte: die werde er +selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische Heer am Tiber lagern werde. +Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des syrischen Koenigs +fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem Koenig +vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten +Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren +wollten, dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war. +So gelang es ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum +Losschlagen zu bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer +zwei Jahre nach Flamininus' Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder +anzufachen; allein sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf +Gythion, eine der durch den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen +Staedte der freien Lakonen und nahm sie ein, allein der kriegserfahrene +Strateg, der Achaeer Philopoemen, schlug ihn an den Barbosthenischen +Bergen und kaum den vierten Teil seines Heeres brachte der Tyrann wieder +in seine Hauptstadt zurueck, in der Philopoemen ihn einschloss. Da +ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um Antiochos nach Europa +zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den Besitz von +Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser +wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst +gedachte man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler +Alexamenos, unter dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit +1000 Mann in die Stadt einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus +dem Wege raeume und die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei +einer Heerschau erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt +zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu +sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt +liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen +Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also +verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den +entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den +Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig +besser, indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die +chalkidischen Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von +Eretria und Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte +die Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen +war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem +Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei; +es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem +Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition +gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen +wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf +die Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden +geltend zu machen. Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so +sehr man auch bemueht war, ihn durch das diplomatische Palliativ der +Gesandtschaften hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden. +Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat +in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen +die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum +ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem +Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht +der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen +zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz +und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch +einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius +und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man +sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht +mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im +Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte von 30 Segeln mit +3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus vor Gythion, wo +ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den Achaeern und +Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste wurde +stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein; +fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet. +Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192) +Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu hintertreiben und +soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands wiedergutzumachen. +Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass die Tagsatzung +foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang es dem +Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine Besatzung +von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner einen +Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn +auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des +grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er +durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die +Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch +die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland zwei Jahre zuvor +aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und Truppen zusammen, die +er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 Deckschiffe und 10000 +Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und brach vom +thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 (192) +bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das +nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein +roemisches Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei +Apollonia. Also war von beiden Seiten der Krieg begonnen. Es kam darauf +an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als deren +Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan +betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so +traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine +grossartigen und hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und +niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung +geschah nichts, als dass man einige karthagische Patrioten +kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als sich den +Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte eben +den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und +nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel +den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des +Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang +es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf +seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu +beherrschen war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen +Gedanken zu bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann +duerfe verdunkeln lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den +Phoeniker kuenftig nur fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu +verwenden, vorbehaltlich natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal +raechte sich an dem Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden +glaenzend ausfuehrte. In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; +dagegen trat Prusias von Bithynien wie immer auf die Seite des +Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der alten Politik seines Hauses +getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen sollte. Er hatte +Antiochos' Anerbietungen nicht bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern +auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, von dem er die +Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier +und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat +auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, +welche man indes roemischerseits nicht annahm. In Europa kam es vor +allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien einnehmen +wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, sich, +alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos +zu vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche +Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung, +und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den treulosen +Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im Stich +gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute einzuziehen +und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als seinen +Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam +hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten +auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei +Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen +Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem +Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht +Griechenlands hielt die zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am +roemischen Buendnis; von den kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei +die Thessaler und die Athener, bei welchen letzteren eine von +Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung die ziemlich starke +Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es +womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos' +Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der +benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der +Athamanen, Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die +makedonische Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die +Opposition gegen Rom noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die +Eleer und Messenier, gewohnt, mit den Aetolern gegen die Achaeer +zu stehen. Das war denn freilich ein erbaulicher Anfang; und der +Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den die Aetoler dem +Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man hatte +sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren +Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark +wie ein gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen +Arme, die saemtliche Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch +entgegenstrecken sollten, trugen ein paar Klephtenhaufen und einige +verliederlichte Buergerschaften dem Koenig Waffenbruederschaft an. +Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen +Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen +Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck; +allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht +davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu +besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war +fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter Antiochos in +Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch, Thessalien zu +gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und andere Staedte +genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von Apollonia heran, +entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des Winterfeldzugs +muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis +zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner +fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen +Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91), +ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in Griechenland hin- +und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und Feder, sagte +ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563 (191) traf der +roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius Acilius +Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den +Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral +Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato, +der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus, die nach +altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln, +wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit sich +brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter +numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und +die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu +5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen +Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des +Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose +Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von +Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst +den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in +Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen +ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das schwache und nun noch +durch Krankheit und Desertion in den liederlichen Winterquartieren +dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres bei Pteleon +gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen hatten ins Feld +stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn nicht +mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die +Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem +makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen +Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul +mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich +in Larisa. Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder +Hinsicht ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, +sich in den von ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die +Ankunft des grossen Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte +in dem Hauptpass sich auf und befahl den Aetolern, den Hochpfad zu +besetzen, auf welchem es einst Xerxes gelungen war, die Spartaner zu +umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem +Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen +sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern +Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das roemische +Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten +Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten +auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische +Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob +auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke +fielen. Da Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht +gedacht hatte, so ward das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf +der Flucht vernichtet; kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der +Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich +nach Ephesos ein; Europa war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm +verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis +ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung +fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls +aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis +ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im +eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der +dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in +Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen +Frieden zu machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr +zweideutiges Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, +die Eleer und Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, +sich den Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig +vorhergesagt hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich +unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die +Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach +hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den +schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen +Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos +einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch +einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in +Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und +die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, +fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen +ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen +zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen +Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland, +vorlaeufig wenigstens, die Waffen. Ein ernsterer Krieg stand in Asien +bevor, den nicht so sehr der Feind, als die weite Entfernung und +die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr bedenklichem Licht +erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos' kurzsichtigem Eigensinn +der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im eigenen Lande +des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der See +zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs +in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen +Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen +war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen einen starken +asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt, +den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das naechste Jahr vorzubereiten +und zunaechst die feindliche Flotte aus dem Aegaeischen Meer zu +vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem suedlichen Ufer der +gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die roemische +sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs +karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der +syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70 +Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch +die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene +Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und sidonischen Schiffe +vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang zwar gelang es den +Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu versenken; allein sowie +es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und nur der +Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass +sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens +stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die +Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun zwiefach +entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig im Hafen +von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten Schlacht zu +bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte fuer den Winter +sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen von Kane +in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters +fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer +suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: +Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen, +beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf +und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst +gewann die roemische Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen, +den Roemern womoeglich den Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er +eifrig zur See ruestete und teils durch Polyxenidas die bei Ephesos +stationierende Flotte herstellen und vermehren, teils durch Hannibal +in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue Flotte ausruesten liess, +ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen Gegenden seines +weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im naechsten +Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder auf. +Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel +stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von +Ephesos beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und +den pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag +gemaess durch die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des +Landheeres vorzubereiten. Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs +Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde von der Niederlage der rhodischen +Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert +durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu +wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst +war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und +zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese +Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen +Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte +teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit +zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, +ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos +einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei +der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der +Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts +uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung ging +inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den Rhodiern +gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten Angriffe +Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte, +die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als +dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue +Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom +angelangt war und bei Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich +darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum +gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs begreiflich zu machen, dass +es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara ankomme, sondern auf die +Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur Umkehr nach Samos zu +bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte mittlerweile Seleukos +die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos mit dem +Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer +auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden +fertig zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische +Flotte ging nach Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den +Bundesgenossen zu helfen; allein da es dem Admiral an Truppen fehlte, +richtete er nichts aus. Pergamon schien verloren; aber die schlaff und +nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem Eumenes, achaeische +Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren kuehne und +glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen +Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den +suedlichen Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt. +Die von Hannibal geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie +lange durch die stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich +in das Aegaeische Meer zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon +vor Aspendos in Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader +unter Eudamos, und in der Schlacht, die die beiden Flotten sich +hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber die numerische +Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere +den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte +Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche +rhodische Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die +beabsichtigte Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen +Meer ward die roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch +die Entsendung der pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur +Unterstuetzung des dort eben anlangenden Landheers sich geschwaecht +hatte, nun ihrerseits von der des Polyxenidas angegriffen, der +jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am 23. Dezember des +unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende August 564 +(190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und +Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und +umzingelten den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen +genommen wurden oder sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte +den Roemern die Inschrift in saturnischem Mass ueber dem Tempel der +Seegeister, der zum Andenken dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, +wie vor den Augen des Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die +Flotte der Asiaten geschlagen worden und die Roemer also "den grossen +Zwist schlichteten und die Koenige bezwangen". Seitdem wagten die +feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen +und versuchten nicht weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu +erschweren. Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent +war in Rom der Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den +Oberbefehl fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen +geistig unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. +Die bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das +Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe +befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem +Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu +fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden +die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu +beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen +sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern +verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus' grenzenlose Ruecksichten +gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die +Wahl gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen +Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die +Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- +und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das unbequeme +Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen Waffenstillstandes +und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die eine feindliche Flotte +in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und die zweite, die aus +dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung beauftragten +Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den +Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den +Hellespont zu gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu +erwarten, da Koenig Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig, +auch Koenig Prusias von Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und +die roemische Flotte leicht sich in der Meerenge festzusetzen vermochte. +Der lange und muehselige Weg laengs der makedonischen und thrakischen +Kueste ward ohne wesentlichen Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte +teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche Aufnahme bei den thrakischen +Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, teils auf dem Marsch +soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht +von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios +wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in +Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der +Schlacht bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass +er in Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia +von der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu +ergebenen Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die +Besatzungen aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die +reichen Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der +Roemer nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend +derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu +schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht +mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein +grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt +worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in +einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. Waehrend +die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage +stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten +zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte +des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos +bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen +Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen +griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die +Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren +annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch +diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo +das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des +Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art +den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner +Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche +Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze +Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung +Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig +sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das +innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein +guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos, gereizt +durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer jede +dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine +ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto +lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos +bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190) +die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann, +darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und +makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei weitem +nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass sie nicht +einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen Feldherrn +abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando uebernahm. Um +nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, bildete Antiochos +zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, die +Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der +Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die +Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere +Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art Kuerassiere), neben ihnen im +Mitteltreffen das gallische und kappadokische Fussvolk und im Zentrum +die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des +Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand und sich in +Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum der +beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx +und der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken +Fluegel, wo der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der +Reiterei und die saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, +den Eumenes fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes +begann die Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen +die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten; +in kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die +naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im +zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren Reiterei +in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen Reiterei, +die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im zweiten +Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren +Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung +geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen +durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die roemischen +Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in der Flanke +gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden Seiten Front zu +machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten kam. Waere die +schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette die Schlacht +wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel war zersprengt, +und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die kleine, ihm +gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, das +roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe +erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden +Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit +den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und +Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging. +Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck, +bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten scheu wurden und +die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer sich auf in wilder +Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang und mehrte nur +die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des Verlustes des +Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung nicht +unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen +waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte, +24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst +Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die +Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von +den Roemern gestellten Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen +waren als die vor der Schlacht gebotenen, als namentlich die Abtretung +Kleinasiens enthielten. Bis zu deren Ratifikation blieb das Heer in +Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf nicht weniger als 3000 +Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber nach seiner +liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines +Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der +Muehe, ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete. +Aber Asien war mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten +gestrichen; und wohl niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig +und so schmaehlich zugrunde gegangen wie das Seleukidenreich unter +diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst ward bald darauf (567 187) +in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei der Pluenderung des +Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu fuellen +gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. Die roemische +Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die Angelegenheiten +Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die roemische +Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu +keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt +hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt +worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen und aeolischen +Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige pergamenische Koenigreich +waren allerdings die natuerlichen Traeger der neuen roemischen +Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als Schirmherr der +stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren Kleinasien und +an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von Asien +laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos +allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war +unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der +roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem +ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen Hellenen zu den seit +einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten. Diese hatten die +kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich verteilt und +ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die +festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter +der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten +Vorsteher sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene +Nachbluete der hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder +entstiegen ist, ist erwachsen aus diesen letzten, von nationalem +Buergersinn getragenen hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger +Gegenschlag, kein entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die +Pergamener ihren staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden +Horden aus den oestlichen Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, +und die grosse Mehrzahl der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich +in der alten Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft +ueber die Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so +musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt +werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit +verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel +mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb +in der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms +Machtgebiet gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei +den Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die +neue Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen. +---------------------------------- ^4 Aus dem erwaehnten Dekret von +Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit hervor, dass die Lampsakener +bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom erbaten, sondern auch +Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger +genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift +CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind +wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen +Krieges diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16). +--------------------------------- Dies hat der neue roemische +Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den Lucius Scipio in +Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf gemacht +worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat +vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel +gegen diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt; +derselbe war vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die +hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war, eingemischt +hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das hellenische +Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in Zweifel gezogen +werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den Flamininus und +die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war die +Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie +der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem +rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit +Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem +Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel +entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer roemischen +Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur unter ganz +ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte und, wenn +einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer sprach, +sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen Heere +auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus +und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der +Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von +Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander +und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die +Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf +den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit +Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden +verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum Abzug zwaenge. +Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und Schuetzen, die gegen +die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag gaben, fast wie in +neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, erzwangen die +Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie sie gar +oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden +sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des +nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die +Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden +Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu +dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff. +Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen Leiter der +roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten. Phrygien, Bithynien, +Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die weiter oestlich +gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. Die Regulierung der +kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den Frieden mit +Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen +Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von +Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach +dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000 +euboeischen Talenten (25 Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich, +der Rest in zwoelf Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos +auferlegt die Abtretung seines gesamten europaeischen Laenderbesitzes +und in Kleinasien aller seiner Besitzungen und Rechtsansprueche +noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von der Muendung des Kestros +zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien +nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat +ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es +natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an +gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht, +gegen die westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines +Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das +Recht, das Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit +Kriegsschiffen zu befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu +bringen, ueberhaupt Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall +eines Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich +das Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder +politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die +Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten und +die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden, lieferte er +aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel eines Freundes +der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu Lande +und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer; +es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des +Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen +Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite +Entscheidung durch die Waffen begehrt hat. Die beiden Armenien, bisher +wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, verwandelten sich, wenn +nicht gerade in Gemaessheit des roemischen Friedensvertrages, doch unter +dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias +und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. Koenig Ariarathes +von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den Roemern +bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600 +Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines +Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. Koenig +Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die +Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber +die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen +Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht, +diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit +goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu vergelten. In +Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da +hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa +kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen. +Allen griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei +und den Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt +und sie alle mit Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der +Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben. +So wurden namentlich frei die Staedte Dardanos und Ilion, die alten +Stammgenossen der Roemer von Aeneas' Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, +Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, Miletos und andere altberuehmte +Namen. Phokaea, das gegen die Kapitulation von den roemischen +Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt zum Ersatz dafuer, +obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie fiel, +ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den +meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies +Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward +natuerlich Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und +den groesseren Teil von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem +garantierte Antiochos in seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und +ihre Forderungen sowie die bisher genossene Zollfreiheit. Alles uebrige, +also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die Attaliden, +deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege +bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall +der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein +Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa +den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon +besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und +Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles +und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von +Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und +als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber +Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten, +inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also +jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft +und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht +unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, +dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht +werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350 +Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war, +dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler) +fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen. +Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos +abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt +wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch +war das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was +Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit +absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien +in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen +roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische +Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und +nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen +Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren +Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich +nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des +Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung +des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer +sie erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem +festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen +zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine Expedition nach +Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die Sklaverei verkauften +Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und Landheer im Nachsommer +566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder durch Thrakien zog, +durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs von den Ueberfaellen +der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten nichts heim aus +dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon beide in der +praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, zusammenzufinden +pflegten. Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen +Krieg erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die +immer noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, +hatten nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen +Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren +den Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher +gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes, +getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in Asien, +die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen athamanischen +Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten +aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, +wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass +hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus +Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565 (189) bei den +Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer +die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die +Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber +die Aetoler herfielen. Von eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede +sein; auf die wiederholten Friedensgesuche der Aetoler standen denn +auch die Roemer vom Kriege ab und gewaehrten Bedingungen, welche solchen +erbaermlichen und tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden +muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den +Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge +einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und +selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso +traten sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden +zu schliessen und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen +Beziehungen Roms abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. +Kephallenia setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte +sich erst, als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner +von Same, die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch +eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten +Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus, +worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in +die Sklaverei verkauft wurden. Rom blieb auch hier dabei, sich +grundsaetzlich auf Italien und die italischen Inseln zu beschraenken. +Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden Inseln Kephallenia +und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen Seestationen am +Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb +kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben, +Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen +an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund +verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen +Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und +der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen +Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem +er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm +zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing +er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den +Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in seinen +Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil von +Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben worden +waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer Klientel, +aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und Lemnos, +die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der +Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht +schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa +empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall +niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler Hinsicht +ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht Schikane, +was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche politische +Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht +ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt +hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen +Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht +wiederkehre. Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des +Krieges gegen Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den +Peloponnes ganz in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst +Sparta, dann, nach der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch +Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die +Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar geduldet, dass +man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr. +Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu +unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und +diese darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu +Gemuete zu fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der +Beute an sich unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern +mehr als unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen +Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren +Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von +ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt +Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten, +nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer +Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten +Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur +widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig +Flamininus' guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie +glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates +um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man sprach von +Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den Kriegen +der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der achaeischen +Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia ja nicht +nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also gesprochen, +wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das alles +wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel +laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und +ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit +der Hellenen zu gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht +war, dennoch ihnen nichts gab als die Anarchie und nichts erntete +als den Undank. Es lagen auch den hellenischen Antipathien gegen die +Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle zugrunde, und die persoenliche +Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum +bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine +wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen +Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten +Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach +Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem +Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn +der Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig +nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss +womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, "um die Formen +zu retten"; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn +das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem patriotischen +Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht auf Billigung +doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf entschlossen gewesen +waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft vorgezogen +haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen solchen +politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn doch +vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die +die gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten +Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie +die Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern +bringen. Der von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer +Zeit bis zum Ekel wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen +waeren, inneren Zwist in Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten +Abgeschmacktheiten, welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen +haben. Nicht die Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich +Eulen nach Athen -, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom. +Namentlich die Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich +uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus +die aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt +hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren +Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden +in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter +charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die +Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen +Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten +Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier +Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam +es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen +Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis mit dem Buergerrecht +beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft verkauft und aus dem +Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis gebaut, +ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt, +die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern +niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward +dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch +aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe fuer die +befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel in diese +Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die Nadelstiche +der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter Indifferenz, +sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher +Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als +nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der +Senat darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die +Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert +ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig +bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die +Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren +Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen +Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut +in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber +die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des +Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier +Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam +der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen +Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf, +als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von +Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die +Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin beschied, dass er +sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen koennten, was sie wollten +(572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht recht; wie die Roemer einmal +standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung, hier +mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener +Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn +ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und +gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger +getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik +wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. So umfasste die Klientel +der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten von dem oestlichen +zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein Staat, den +man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein +Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der +erst den ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen +gebracht hatte und der vielleicht nur gescheitert war, dort an der +ehrlosen Aristokraten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos +hatte sich im Frieden verpflichten muessen, den Hannibal auszuliefern; +allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien entronnen +^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in +seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie immer siegreich +zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den Prusias +zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie +erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar +der roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem +letzten Asyl aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch +den Senat beschuldigt, scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber +Flamininus, der in seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer +grosse Taten suchte, auf seine eigene Hand es unternahm, wie die +Griechen von ihren Ketten, so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den +groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht +diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu richten. Prusias, +der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte sich ein +Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit +zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein +Haus von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst +darauf, fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort +der Koenige. Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er +in der zweiten Haelfte des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. +Als er geboren ward, stritt Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz +von Sizilien; er hatte gerade genug gelebt, um den Westen vollstaendig +unterworfen zu sehen, um noch selber seine letzte Roemerschlacht gegen +die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann +zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der +Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande +war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, +als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den +Knabenschwur gehalten. ------------------------------------------------- +^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs +Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; +Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie +Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen +ist. ------------------------------------------------- Um dieselbe Zeit, +wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den die Roemer +seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das +Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt +blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien, +Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die +erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der +zivilisierten Welt. Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren +ueberblieben fuer seinen Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte +auch ihn durch seine letzten Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig +ueber fuenfzig Jahre alt, in freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an +die Seinigen, seine Leiche nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer +die er gelebt hatte und in der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht +genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen +Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und mehr noch +gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige +Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; +obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine +Rechnungsbuecher, statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen, +im Angesicht des Volks und der Anklaeger zerriss und die Roemer +aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag +seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Anklaeger stehen +und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies der letzte +schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein +anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr +entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius +den widerwaertigen Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und +nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die +Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss und zerfrisst auch den +urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit +solcher, aus echtem Gold und schimmerndem Flitter seltsam gemischter +Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der +Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber +zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer +selbst erwacht. --------------------------------------------------- +^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus. +--------------------------------------------------- 10. Kapitel Der +Dritte Makedonische Krieg Philippos von Makedonien war empfindlich +gekraenkt durch die Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos +von den Roemern erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge +war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in +Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem +makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem +roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen +Grossmacht all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos' des +Zweiten Zeiten von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut +und der wohlfeile antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser +Zeit machte sich Luft auf den Tagsatzungen der verschiedenen +Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen Beschwerden bei dem +roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden worden, +was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler +angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der +Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der +thessalischen Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn +und der perrhaebischen, den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden +zurueckverlangt wurden aus dem Grunde, dass Philippos diese Staedte nur +befreit, nicht erobert habe. Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit +begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos +im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia, +obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos +ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose +geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des +Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte +Kontrakte und geraubtes Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen +Senat musste der Koenig von Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich +verklagen lassen und Recht nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste +sehen, dass das Urteil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend +von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen und perrhaebischen +Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen Kommissare +hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles +vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert +gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem +makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte hier nicht so +ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber im Grunde war die Lage +Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indes Philippos +war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer Geduld ueber sich +ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach +seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem +ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern +persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos +nichts gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem +Alliierten, der ihn schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte, +augenblicklich zu raechen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein +die Roemer, die sehr gut begriffen, dass den Makedonier nicht die +Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos +bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der +Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl +gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos' Gunsten zu tun, und +hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an +mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos +politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, +die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu beigetragen hatten, +Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die roemische Klientel auf den +Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos +es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz +willen wohl mit Rom hatten halten muessen, hatten diese Attaliden dazu +benutzt, um im wesentlichen das Reich des Lysimachos wieder aufzubauen, +dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der makedonischen Herrscher +nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat an die Seite +zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient war. +Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, +ein weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich +entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; +allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das +Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war +taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und +naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen. +Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf +den thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, +antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte +Sonne nicht untergegangen sei ^1. +------------------------------------------------- ^1 /E/d/e/ +gar phrasd/e/ panth' alion ammi ded?kein. (1, 102). +------------------------------------------------- Philippos bewies bei +der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse eine Ruhe, einen +Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie bewaehrt +haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung gegeben +haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er +sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen +Mann eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen +freilich und die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das +unglueckliche Maroneia, buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon +im Jahre 571 (183) schien der Krieg ausbrechen zu muessen; aber +auf Philippos' Geheiss bewirkte sein juengerer Sohn Demetrios eine +Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige Jahre als Geisel gelebt +hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich Flamininus, der +die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien eine +roemische Partei zu bilden, die Philippos' natuerlich den Roemern nicht +unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte +zu deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den +juengeren, leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man +gab mit absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem +Vater um des Sohnes willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge +war, dass im koeniglichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und +namentlich des Koenigs aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, +aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den +kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass +Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der falsche +Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da +beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. +Indes Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte +Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat +das uebrige und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege +zu raeumen. Zu spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen +hatte, und der Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu +strafen und von der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre +575 (179) in Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich +hinterliess er zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen +Herzens gestand er sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel +vergeblich gewesen waren. Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung +an, ohne in Makedonien oder bei dem roemischen Senat Widerspruch zu +finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesuebungen wohl +erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem +Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn +reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines +Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein +Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe +Koenig und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck +begleitet, war vom Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus +bestieg den Thron in seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon +als Knabe mitgenommen worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg, +wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken +einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit +dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. +In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des +vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen +war, zum Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es +wahrlich nicht die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische +Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den +Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen +gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten +in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu +haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet +und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die +das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der +Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge +gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und +ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte +sie mit unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug +und das, was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen +Wirklichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie +es beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er +haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer +im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu +trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst +eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu +vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In +gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut und +besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht geschaffen, +ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein +ausserordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht +gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war +ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch den Hader +politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der monarchischen +Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank +beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen +herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung +begonnen mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen +Bankerottierer und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige +Haerte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern +auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Luecken in der +makedonischen Bevoelkerung teils von selbst ausgefuellt, teils der +Regierung gestattet, hierfuer als fuer den eigentlichen wunden Fleck des +Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier +an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen +er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von +zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden +Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine +Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an +das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte +in den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer +Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal +gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und +die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den +bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, +dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu +organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was +den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer +unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, +die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte, +und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz, +die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im +makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und +fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und +fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso +lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer +ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war +Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den Ausbruch +des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des Reiches war +in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht +weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in seine Grundfesten +zu erschuettern. Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. +Es lag in der Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von +Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich +an die Spitze einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms +Suprematie zu stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu +Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der +Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder +Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der +Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen +Konferenzen makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, +die Massinissa in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und +einsichtige Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es +sehr moeglich ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und +Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das +makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts +heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender +mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. +Den Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten +Perseus' Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, +wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, +allein der saubere Plan misslang. Von groesserer Bedeutung waren die +Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom +aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde +Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken durch +einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen +Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen +und der ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach +Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, +wohin er die Alpenpaesse bereits erkunden liess - ein grossartiger, +Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals +Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, +dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung Aquileia +zusammenhaengt, die eben in Philippos' letzte Zeit faellt (573 181) +und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen +Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an +dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen +naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen +und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden +Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen +des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen +Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus' Vorwissen +kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch +Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe +des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in Buendnis +mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf einer +der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus +mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem +Einverstaendnis stehe und Genthios' Gesandte in Rom dem Perseus als +Spione dienten. In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen +die untere Donau zu stand der maechtigste unter den thrakischen +Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr des ganzen oestlichen +Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den +mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere +Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren +Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst +der Sagaeer, Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon +gerichteten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. +Von hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen +Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. Unter der +ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus +lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg +lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte +den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu +bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter den asiatischen +wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren, +versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der +roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen +Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug, +und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, dass +die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer +Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter +Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und +rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen, +war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und +hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich +ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht taeuschte. Am +schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der Traeger jener +fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich behandelte er +die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; vergeblich +buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit +wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste +vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines +schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle +frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln +eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus' Name auf allen Lippen +war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch +gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen +Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl +innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes, sondern +von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und empfing, +und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss; +waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine +syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich +nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von +Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich +mit Holz zum Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der +asiatischen Staedte, also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit +makedonischen Abgeordneten geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der +rhodischen Kriegsflotte schien wenigstens eine Demonstration; und +sicher war es eine, dass der Koenig Perseus unter dem Vorwand einer +gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen sich und seine +ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese nationale +Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in +der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische +Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine +Umwaelzung der Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an +Makedonien zu ketten. Von der beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden +wie der einzelnen im europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in +dieser Hinsicht etwas besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich +einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die +andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum +Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern, +den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich +foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei +solchen Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine +Versoehnung verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem +Zweck, eine Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. +Die Roemer versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten +unverrichteter Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich +schlecht und die Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der +Tat nichts anderes mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der +sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er +von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte +sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts, +am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess +nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, +sondern liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, +welche saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer +Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach +Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und +Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso dass +in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in offene +Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um Hilfe +zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit solchen +Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer Sophokles und +Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises wert sei. +Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass +es Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des +thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis +stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und einem +Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des Friedens +von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle Kriegsmanifest; der +wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im Begriff stand, seine +formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und Rom aus dem +Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) sprachen +die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich +unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem +roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes +persoenlich nach Rom mit einem langen Beschwerdenregister und deckte +die ganze Lage der Dinge im Senat auf, worauf dieser wider Erwarten +in geheimer Sitzung sofort die Kriegserklaerung beschloss und die +Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen versah. Der Form wegen ging +noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren Botschaft aber derart +war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck koenne, die Antwort +gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu +schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben +an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. +Damit war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); +wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die +makedonische Partei ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die +bei Apollonia stehende roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus +Sicinius erdruecken und den Roemern die Landung streitig machen. Allein +der Koenig, dem schon vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess +sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus, +ueber die Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen +ein und sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch +einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, +der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus +Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren +der aelteren Schule die "neue Weisheit" ihres Kollegen und die +unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss, +ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen +Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in +Griechenland zu berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal +die Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen +einverstanden war noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der +Sehnsucht nach einer weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus +in die Arme zu werfen; und ueberdies war dort jetzt durch roemischen +Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom +anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von +Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der roemischen Gesandten +gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer +selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die +Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch +aufs tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht +offen fuer Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, +Thisbae, Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. +Da auf die Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der +boeotischen Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, +erklaerte jener, dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es +mit Rom halte und welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber +ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu +auseinander. Es ist nicht wahr, dass Epaminondas' grosser Bau von den +Roemern zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie +daran ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung +der uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2. +Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte +der roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe +die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien. +--------------------------------------- ^2 Die rechtliche Aufloesung der +Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte uebrigens wohl noch nicht jetzt, +sondern erst nach der Zerstoerung Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.) +--------------------------------------- Chalkis ward mit achaeischer, +die orestische Landschaft mit epeirotischer Mannschaft, die +dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen Westgrenze +von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die Schiffahrt +wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus +sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb +seines eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen +Kalender im Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste +landeten. Es ist zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen +gefunden haben wuerde, auch wenn er soviel Energie gezeigt haette, +als er Schlaffheit bewies; unter diesen Umstaenden blieb er natuerlich +voellig allein, und jene weitlaeufigen Propagandaversuche fuehrten +vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, Genthios von Illyrien, +Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das mit Perseus +bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe an, +welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine +Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen +Geiseln nach Rom. Perseus' Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, +blieb neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig +Antiochos IV. von Syrien, im Kurialstil "der Gott, der glaenzende +Siegbringer" genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem "Grossen", +ruehrte sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend +dieses Krieges das syrische Kuestenland zu entreissen. Indes wenn +Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht veraechtlicher +Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten +und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils +Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen +30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann +numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und besonders +pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 Deckschiffe +zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus, dem der +Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete erst +jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann Truppen an +Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken bestimmt +war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul Publius +Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um +von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht +wie gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte +nicht daran, den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, +in Perrhaebien einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am +Ossa erwartete er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht +zwischen den beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer +wurden entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte +die italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen +und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an +Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich +schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus +benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten +hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er +bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden +nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings +folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes +anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man +zog hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah. +Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht +gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch +Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen +glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen +Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines +Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein +guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen +Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen, +fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Roemer +in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er zum +Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen Naturen +eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu raeumen. +Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer hellenischen +Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen lassen, zeigt +der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten +geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig +Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch +gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien +hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige illyrische +Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien von den +makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und +Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten +aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen boeotischen +Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von Thisbae, das +sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral Gaius Lucretius +vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore schloss +und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft, +Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso +behandelt. Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht +gehalten wie unter diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so +zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584 (170) der neue Konsul +Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte, +zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfaehig und +gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen +Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius +Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet +war, erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition +nach Makedonien hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang +des Winters der Koenig mit den an der Suedgrenze durch den tiefen, +alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich gewordenen Truppen den Appius +seinerseits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Gefangene +ab und knuepfte Verbindungen mit dem Koenig Genthios an; ja er konnte +einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, waehrend Appius sich +in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er vergeblich belagert +hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee machte +ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die +thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden +schlaff angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich +beschaeftigte der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die +freilich auch vor allen Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann +und einen namhafteren Offizier erforderte. Abschied und Urlaub waren +kaeuflich geworden, die Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die +Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die Offiziere im grossen +Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften +wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der +schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der +aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur +Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. +durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte +wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und +wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet +oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis. +Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung +der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den roemischen +Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den Bundesgenossen +zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft einstimmig +verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das Ergebnis dieser +beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein Schandfleck +fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum +wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft +gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus' +Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der +Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen +begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets +von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in +Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre Bergfestung +ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu verschanzen. +--------------------------------------------------- ^3 Der kuerzlich +aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die +Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.; +AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese +Verhaeltnisse. ---------------------------------------------------- +Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, +Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund +des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht +gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter +Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe +den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen +die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der +Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich +bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss +konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann +an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand +er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark +befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale +Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren, +in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten +Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem seinen Namen +behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein wie damals +ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus' Unfaehigkeit. Als ob er den +Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als durch Sperrung +der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich seltsamerweise verloren, +sowie er die Roemer diesseits derselben erblickte, fluechtete eiligst +nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu verbrennen und seine Schaetze zu +versenken. Aber selbst dieser freiwillige Abzug der makedonischen Armee +befreite den Konsul noch nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar +ungehindert vor, musste aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an +Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur +Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position +wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr +geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe +kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. +Die Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen +Heere gesichert; aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren +wohlgewaehlten Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark +verbarrikadiert und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer. +So verblieb das roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter +eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die +Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste +wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der +Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen +Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu +nehmen und richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus' leichte Schiffe +streiften kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien +bestimmten Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei +der Westarmee stand es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit +seiner geschwaechten Abteilung nichts ausrichten, und der von ihm +begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die Eifersucht des Konsuls +abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von Perseus durch das +Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, mit Rom zu +brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf uebrigens +der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder +zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der +bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen +Rom einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem +grossen, der nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus +sich von seinem Golde zu trennen vermocht, er haette den Roemern +noch gefaehrlichere Feinde erwecken koennen. Ein Keltenschwarm unter +Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso viele zu Fuss, bot in +Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; allein man konnte +sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es so, dass ein +Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen Kasse +leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte +zu geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig. +Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland +zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen +Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem +Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf +dem Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich +ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168) +zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon +eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein +vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und +seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein +unbestechlicher Beamter - "einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen +man kein Geld bieten konnte", sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein +Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit +benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. Sowie +der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess +er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier +beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius +Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach +Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder +am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein +kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses +Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung +- wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten +handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die eigentlich erst auf +den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm +und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der +Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stuermte die furchtbare +Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten +Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert habe. Die +roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward niedergerannt +und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, bis sie +einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier +wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung +hatte die Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die +Roemer in jede Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an, +und da die makedonische Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen +koennen, ruhig zusah und bald sich in Massen davonmachte, mit ihr unter +den ersten der Koenig, so war in weniger als einer Stunde das Geschick +Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten liessen sich +niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle die Phalanx, die +ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, hier selber untergehen. +Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem +Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am +fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte; +ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete +mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in +seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein +da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta, +der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft +gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die koeniglichen Pagen und +die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, dass das Asylrecht +ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich an einen +Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So +schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er +sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte +auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen +Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel. +Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem +gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der Konsul den vornehmsten +Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr heimgebracht hat. Perseus +starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in Alba am Fuciner +See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben +italischen Landstadt als Schreiber. +------------------------------------------------ ^4 Dass die Roemer, +um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben verbuergte, und +Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs getoetet, ist +sicher eine Fabel. ----------------------------------------------- +So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und +hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. Damit aber zu +dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch der Krieg +gegen den "Koenig" Genthios von Illyrien von dem Praetor Lucius Anicius +binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte genommen, +die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des +grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen +in Rom ein. Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht +wiederkehren duerfe, die Flamininus' unzeitige Milde ueber Rom gebracht +hatte. Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis +am Strymon verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des +festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates +in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften +zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von +Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der +chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und +den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen +der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte +in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten +sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land verlassen und sich nach +Italien begeben, bei Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und +mit Recht, die Zuckungen der alten Loyalitaet. Das Landrecht und die +bisherige Verfassung blieb uebrigens bestehen; die Beamten wurden +natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und innerhalb der Gemeinden +wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen gelegt. Die +koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den Eidgenossenschaften +nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, ein +Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138) +wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die +Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die +bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den +Eidgenossenschaften und den Gemeinden ueberlassen, sich selber zu +besteuern; doch hatten diese die Haelfte der bisherigen Grundsteuer +nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, zusammen jaehrlich 100 +Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das ganze Land ward +fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; nur an +der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren +bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die +kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der Rest verbrannt. +------------------------------------------ ^5 Die Angabe Cassiodors, +dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke wieder eroeffnet +wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. Goldmuenzen +der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also blieben +entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren +verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten +Makedoniens (Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen +sind; fuer die kurze Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608 +158-146) ist die Zahl derselben auffallend gross und zeugt entweder +von einem sehr energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter +Umpraegung des alten Koeniggeldes. ^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen +durch die Roemer der "herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet +ward" (Polyb. 37, 4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein +spaeterer Erlass dieser Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur +Erklaerung von Polybios' Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt +Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der der Provinz Makedonien von +Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die augustische Zeit +(Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der +Steuer vereinigen lassen. ---------------------------------------- Man +erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den +Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen, +und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne +Geschichte geblieben. Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des +Genthios ward in drei kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten +die Ansaessigen die Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen +Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten +und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen +Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward +konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser +Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den +Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit +wenigstens auf lange hinaus ein Ende. Kotys in Thrakien, der schwer +zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu brauchen war, erhielt +Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. So waren die noerdlichen +Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von dem Joch der +Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, ein +Koenig nirgend mehr vorhanden. Aber man beschraenkte sich nicht +darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu zerschneiden. Es war im Senat +beschlossen, die saemtlichen hellenischen Staaten, Freund und Feind, +ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie miteinander in +dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich +rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen +die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer +Grossmacht nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier +und Scipionen zu Ende ist. Am schwersten traf dieser Rollenwechsel +denjenigen Staat, der von Rom geschaffen und grossgezogen war, um +Makedonien im Zaum zu halten, und dessen man jetzt nach Makedoniens +Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich der Attaliden. +Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes einen +ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung +zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen +um die Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame +Geruechte ueber ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen +Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine +Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm 500, fuer die Vermittlung des +Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an Perseus' Geiz habe sich +der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische Flotte anlangt, so ging +der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins Winterquartier begab, +gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte. +Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine +heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente +Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise +582 (172) zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus' +Banditen ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen +Schwierigkeiten eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem +Ausgang er ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er +seinen Anteil an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft +und das Werk langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben +sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. +Dass kein Beweis weder in Perseus' Papieren noch sonst sich vorfand, ist +sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen +laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt +das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes' Bruder, der +die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit +offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und +aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten +- gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat +nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine +vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er +aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der Senat +zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter sich +nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht war, +wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen +Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute; +hatte man nach Antiochos' Besiegung Philippos gegenueber noch die Formen +geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese Zeit +scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und Antiochos +bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger war es, dass +die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des Eumenes, nachdem +derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien vertrieben +und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen +Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne +Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene +Spannung, wenn nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes +erhoben, sein Reich ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. +Eumenes erbat die roemische Vermittlung; der roemische Gesandte war +dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer +befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden nicht zu verstimmen, und +merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er erzaehlte bei der +Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe. +Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater von dem +Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss +sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren. +Da beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt, +dass Koenige kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen, +und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen +Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu fragen, was er wolle, und ihm +anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der +Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts +und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der +halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es +begann die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. Aehnlich erging es den +Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie standen mit +Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen +Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder +Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug +zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr +Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten +Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des Aufstandes +der nach Antiochos' Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre +Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in grausamer +Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen, sondern +Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im roemischen +Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den zweifelhaften Sinn +des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes ein +gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste +getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen +wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus +ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen +Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter desselben war +uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier +in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie nicht, fest an Rom +zu halten und die makedonische Partei, die es wie allerorts so auch +in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch 585 (169) ihnen +erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist die +Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor +der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier +und im roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht +laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel +und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich +weigere, Frieden zu schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen +seien, auch zu diesem Ende bereits mit Kreta und mit den asiatischen +Staedten ein Buendnis abgeschlossen haetten. In einer Republik mit +Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese wahnsinnige Intervention +einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, als man in Rhodos +den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den +Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus +Marcius, jener Meister der "neumodischen Diplomatie", im Lager bei +Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen +Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand +ersucht hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit +und Eitelkeit taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich +verloren, man haette gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den +Vermittler gespielt - Verbindungen mit Perseus spannen sich an; +rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie +sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel +groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die +wundersame Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber +die gute Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. +Ein kriegslustiger Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die +Kriegserklaerung gegen Rhodos zu beantragen. Umsonst beschworen die +rhodischen Gesandten einmal ueber das andere kniefaellig den Senat, der +hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des einen Verstosses +zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei +auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren +Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche +Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen +haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu +strafen und ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die +Roemer sich alles erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten +wuerden. Seine Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den +Rhodiern ihre Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag +von 120 Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die +Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr +nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen +Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die +Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis +dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank +in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber +waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und +kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. +Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 +(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber +machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. Mit Syrien und +Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war Krieg +ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der +Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der +syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von +Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte. +Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die Steuern der +koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und war das Recht +auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste der Tod der +Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die Rentenzahlungen +aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu sein; allein +auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit gern, um das +traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung Aegyptens, +waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch einmal - +es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm +guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor, +der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten +und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der +syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in +welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet +seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. Es +gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen, +sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm +deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle +den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig. +Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten +ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich +miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie +er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der Schlacht von Pydna +(586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius Popillius, ein harter, +barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des Senats, alles Eroberte +zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu raeumen. Der +Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe +einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis +ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach +seiner Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der +er war, die Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den +Triumph des Paullus zu parodieren. Aegypten fuegte sich freiwillig +in die roemische Klientel; aber auch die Koenige von Babylon standen +hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre Unabhaengigkeit gegen Rom +zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so machten die +Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten Versuch, +sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend +fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das +barsche Wort eines Diplomaten entschied. In Griechenland selbst waren +als Verbuendete des Perseus, nachdem die boeotischen Staedte schon +mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter zu strafen. Auf +geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig Ortschaften +in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, 150000 +an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die +Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die +Athener, die fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu +spielen, nicht bloss Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern +sogar sich nicht schaemten, um die oede Staette von Haliartos zu +petitionieren, die ihnen denn auch zuteil ward. So war etwas fuer die +Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die Justiz. Eine makedonische +Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch ganz Griechenland +die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus' Heer gedient hatte, ward sofort +hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des Koenigs +oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner +konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos +zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren +Patrioten unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so +weiter aus der Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, +wobei man nicht so sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten +den Prozess, als die kindische Opposition der Hellenen mundtot zu +machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben, +bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, erklaerte der Senat, +ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der Untersuchung, endlich +rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien bleiben wuerden. +Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich gehalten, +Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der +aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die +Dinge einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der +ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig +zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es +deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 +der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen +zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess +es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen Landesgebrauch +durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber man darf +glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes +italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen +Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder +Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht, +sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im +roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten Ausbrueche des +Parteihaders zu beseitigen. Es waren hiermit die hellenistischen Staaten +saemtlich der roemischen Klientel vollstaendig untertan geworden und das +gesamte Reich Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner +Erben Erbe geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von +allen Seiten stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck +zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt +wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf +ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen, +liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den Nutzniesser, +die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches betrachte und +dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig lassen +wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien +aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem +Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat +gefuehrt ward, und huldigte den "rettenden Goettern". Da er so sehr +veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und +schenkte ihm die Flotte des Perseus. Der Augenblick wenigstens fuer +solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der Schlacht von Pydna rechnet +Polybios die Vollendung der roemischen Weltherrschaft. Sie ist in der +Tat die letzte Schlacht, in der ein zivilisierter Staat als ebenbuertige +Grossmacht Rom auf der Walstatt gegenuebergetreten ist; alle spaeteren +Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des +Kreises der roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte +Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen +Senat den obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz +zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und +Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom +verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu +entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem +grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber +auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der +Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine +Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen +Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu +halten. Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und +Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus +ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln, +wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte +ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Fuesse stellen; +weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine +bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue +Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber +sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem +Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese +Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie +den Dienern, sondern es erwies sich auch das roemische Protektorat mit +seiner undankbaren, stets von vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit +als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines Systemwechsels und +der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten in der ihnen +moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich +schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der +makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere +Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen +Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie sozialen +Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die Nordgrenze notwendig +einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, endlich die beginnende +Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind +ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten in +Untertanen Roms. Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den +von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung +durchmessenen Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs +als ein von unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter +Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung +sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene +Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates +sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen +aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden +Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit +Unrecht hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte +Urteil als eine geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist +offenbar fuer jede nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische +Regierung waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte +als die Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht +uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus +Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl, +den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich +ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich Asien +in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende +jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit +unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet, +dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen +gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu +allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem +Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als zu denen mit +Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch einen +unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der +bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der +Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg +sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse +Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung +Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der +halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen, +schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug. +Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago, +teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel; +Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass +sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall +ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen gewaltigen +Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt, +sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten +Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu +entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen +Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel +gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde +auf der staatlichen Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt +kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und deshalb war jede Nation, +die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu +zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch +unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch +auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige +Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts +verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, +Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, +dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des +Altertums haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und +dass alle am letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen +an Italiens Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss +doch die geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht +die militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern +die notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums +ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden, +sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich +erfuellt hat. 11. Kapitel Regiment und Regierte Der Sturz des Junkertums +nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter +keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen worden, dass die +Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne +noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb +des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte, +so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in +den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten +senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit +der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der +buergerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und +die derselben entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt +worden, wie jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte +und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit +den letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die +Anfaenge dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte +Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere +Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege +gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozess +mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte dem Auge. +Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und unvermerkt +denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue +roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue +Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und +langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich +geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren +historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe +tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung +zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen +Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen +fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der +Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht +gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der +Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Droehnen +und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen. Die +roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit +des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen +hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, +von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran +schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, +dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal +an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer +erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder +bei Todesfaellen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzufuehren; +wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung des Bildes nach +italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die +roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden +ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng +ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und +ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen +sich an: der goldene Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene +Pferdeschmuck der Juenglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und +die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - geringe Dinge, aber dennoch +wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche Gleichheit auch im +aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend des +Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im +Gefaengnis gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz +auf dem Haupte oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen +moegen teilweise schon in der Zeit des Patrizierregiments bestanden +und, solange innerhalb des Patriziats noch vornehme und geringe Familien +unterschieden wurden, den ersteren als aeussere Abzeichen gedient +haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher erst durch die +Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt wohl +schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat +gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung +hinzutraten. Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den +Gemeindeaemtern, woran diese erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, +weder die niederen noch die ausserordentlichen noch die Vorstandschaft +der Plebs gehoere, sondern lediglich das Konsulat, die diesem +gleichstehende Praetur und die an der gemeinen Rechtspflege, also an der +Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet +^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes +sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den +Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht +zu sagen von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne +Zweifel weil laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich +eine solche Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen +Gesetze kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt +einen Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen +Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich +koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und +ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem +Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss +eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in +der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und +musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern +und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals +beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte +sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern rang +nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die wichtigsten +Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus +Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln. +----------------------------------------------- ^1 All diese Abzeichen +kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst wahrscheinlich nur der +eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer +Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der +Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt +nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im fuenften +Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon +jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von +Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von +dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der +Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, +der anfangs nur den Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen +der Ritter, spaeterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch +schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen +der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene +Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit +des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der +ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), +wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. Der Purpurstreif +(clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so +dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen; +mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. ^2 Plin. nat. +21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward durch +Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das +unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute +jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde. +^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer +Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere +mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen +Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches +Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular +Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die +plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den kurulischen +Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass +sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward. +----------------------------------------------- Die rechtliche +Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des +weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch +gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution +von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den +Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den +Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts +gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den +Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von +ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhaengiges und in +gewissem Sinn sich selber ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt; +denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl +zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der +Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser +Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus +dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft +noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng +aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen +Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren +drei Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch +namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten +und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die +Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, +zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung +in demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der +Nobilitaet. Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht +unwichtigen Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft +entwickelt. Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte, +sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade +wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der +Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu +jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen +Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde, +welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden verfassungsmaessig ebenfalls von +den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die Ritter nach militaerischen +Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle durch Alter oder +sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr +Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise den +Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und +ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf +vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen +ansehnlichen Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr +Pferd liessen. Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, +dass der Senator dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So +wurde es denn wenigstens tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den +achtzehn Ritterzenturien stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben +vorwiegend an die jungen Maenner der Nobilitaet kamen. Das +Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch die effektive +Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der Legionarreiterei, +als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen +Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk +mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen +Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und +Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man +wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend +des Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit +den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und +weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine +ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung +der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte dem +Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der +Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss +ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb. +----------------------------------------------------------------- ^4 +Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 +die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht +haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten +aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; +jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu +erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst +von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle +Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den +Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme +einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die +Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die +Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs, +endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. +Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich +zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. +243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, +sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser +sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und +durchaus nicht nach Livius' Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) +und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, +s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet +zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige Bestand der +roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also +die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil uebertragen worden +durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen +Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden ja auch schon +der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und +der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238). +Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde +auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben +vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die +geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden +bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage +derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen +Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht +trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser +geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit +fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem Pferd +pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse; +sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter +und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. In +der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das +erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des +Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte +Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als +solche die Ritterbenennung weg. +----------------------------------------------------------------- +Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen +Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den +Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem +zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine +Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien; +und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin +liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und +Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch auf +Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und nicht +nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie +ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu +verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es +sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren republikanischen +Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs in erster Reihe +stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich durchaus +nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen +aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt +und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn erschien; +warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in +dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner +Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, +als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige +Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser +Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die +Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich ruecksichtslosen und +formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die gerichtliche +Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204) +verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur +sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr +wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus +notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- +und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem +Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt +werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat +zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig +vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren, +ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das +Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz +der blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man +ab. Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die +Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf +Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem Interzessionsrecht +des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen +Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, indem eine +dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht +machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher +Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam +gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen. In dieser +hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur +gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das +Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung +in ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die +Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig +wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die +Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert +haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig +abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor +verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der +eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen +unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, +im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer +die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika +(527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu +summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende +Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die +materielle Unzulaenglichkeit der roemischen Magistratur. Unter den +von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie +fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der +bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten +am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der +Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe +der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich +von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt +und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der +Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache +nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom +Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es +weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen +jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier +ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden. +Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den +Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom +Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von +der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen dabei +zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen +wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung +der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl +von Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das +Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den +jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn +hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig +eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden +des demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen +Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen +Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) +es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu +suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu +ueberlassen. Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem +die Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war +dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name +werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl +zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur +Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche +nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, dass das +Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217) +fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon +nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die +Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende +dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um +Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge +zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen +einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst vorgeschrieben; +aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass +die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Waehlerschaft +das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen Faellen sich ueber +jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den Angehoerigen der +regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der Eintritt in +den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und geringeren +Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden +sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen +Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der +Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat +und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und +Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehoeriger +Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger +derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die +in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des +Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten +erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten +derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, +Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen +zurueck auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des +Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden +ist. Die Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch +die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein +aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht +laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die +Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht +wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der +kurulischen Haeuser sich bewegten und ein "neuer Mensch" nur durch eine +Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag +eine gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen +Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der +Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, +insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von +dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der +Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust +rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die +roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in +der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm +und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, +dem konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des +Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre +Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der +aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen +Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen +war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst +kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller +Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den +gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit +reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von +ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und +Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich +ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit +war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der +Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne +Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des +Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit +den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders +zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und der Nepotismus der Flaminine +war womoeglich noch unverschaemter und aergerlicher als der der +Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte in der Tat weit mehr +solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius +Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne +Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio +mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat +gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur +zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die +Republik. Man war schon dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm +gegen die Familienregierung und ihre Konsequenzen in einem streng +oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das ist der Grund, +weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie opponierte, +zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot. +------------------------------------------------------ 5 Die Stabilitaet +des roemischen Adels kann man namentlich fuer die patrizischen +Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten deutlich +verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit +Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide +Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat +bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den +varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten +Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt worden und sind +fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561, +565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln +und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den Geschlechtern: + +Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener (366-254): +(253-173): 16 patrizische Kollegien + +Cornelier 15 15 14 + +Valerier 10 8 4 + +Claudier 4 8 2 + +Aemilier 9 6 2 + +Fabier 6 6 1 + +Manlier 4 6 1 + +Postumier 2 6 2 + +Servilier 3 4 2 + +Quinctier 2 3 1 + +Furier 2 3 - + +Sulpicier 6 2 2 + +Veturier - 2 - + +Papirier 3 1 - + +Nautier 2 - - + +Julier 1 - 1 + +Foslier 1 - - -------------------------------------------------- 70 70 +32 + +Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit +der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne +wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch +Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis +zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen +Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes +auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier, +Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in +der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor. +------------------------------------------------------ Von diesem +allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel das +Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog +in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche +die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet +worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte +die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen +Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen +den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment +verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie +sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und +feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und der +daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der +Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu +beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in vieler +Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit den +grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden roemischen +Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht uebersehen werden, +dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit +schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die +Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen +fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die +entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat. +Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, +was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; +und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr +eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich +nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in +dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen +und die Gunst der Menge durch strenge Worte und ruecksichtslose +Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und +alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel +Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des Herrenstandes +hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, als er zum +Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art +sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze +voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer +den faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun +nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. +Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum +wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. +Unzweifelhaft war es auch, im grossen und ganzen genommen, den +ohne Ausnahme tief zerruetteten hellenischen, phoenikischen und +orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich +ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie +die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der +Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, +sondern gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen +Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher +erzaehlt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und +wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls +Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) - um seinen +Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele in der +Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische +Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit +eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang +selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war +es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht gestellt ward, +sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren +strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im Theater einluden, +seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich war er der Bruder +des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten Koteriehaeupter +des Senats. Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser +Epoche eher zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war +zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom +nicht - stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen +Gebietes, welche es zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575 +(199, 179) an der kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros +in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben +Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen +Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es +nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten +roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da +indes die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe +zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese +Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die +Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von +dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von +Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert +noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern +es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen +Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das +von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und +an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation +von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten; +wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle +entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen +spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu +den Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu. +Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr +bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem +Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. +Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die je auf +einmal in die roemische Kasse gelangt ist. Indes ward diese Zunahme +der Einnahme durch die steigenden Ausgaben groesstenteils wieder +ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl +ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- und +andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; +auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der +schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch +manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die +verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem +gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten +der Beamten in den Provinzen, von ihrer ueppigen Wirtschaft aus +gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem +beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die +Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den +Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man +ungefaehr danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, +von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, +weil die Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die +Kasse bestehlen wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die +kontrollierende Behoerde sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, +wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland +stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen +in der Hauptstadt und sonst auf oeffentlichen Grund und Boden +uebergegriffen und das Wasser aus den oeffentlichen Leitungen zu +Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses Blut, wenn einmal +ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie +zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten +oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der +Gemeinde gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen +der Roemer eine merkwuerdige Weite. "Wer einen Buerger bestiehlt", sagt +Cato, "beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und +Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt." Wenn trotz dessen, dass das +oeffentliche Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von +Beamten und Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, +wie selten in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland +kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; +wie der roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort +hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland +der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen +aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, +dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch +viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht +wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das +allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten +in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem Barbestand des +Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen finden wir in +Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkuenfte +verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich gewesen zu +sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die +Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die +Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung +der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher +Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten +hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) +verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des hauptstaedtischen +Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen) +angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehoert, was +von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach +stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren +Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen +zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue +Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die +letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie +anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze +Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler +in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. Allein bei den +ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter +nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen Staatskasse +zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit +als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen +Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die +roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber +die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glaenzendes +Gesamtergebnis. ----------------------------------------- ^6 Die Kosten +von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen +worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es +muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die +Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2). +----------------------------------------- Am bestimmtesten tritt der +veraenderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen +und ausseritalischen Untertanen der roemischen Gemeinde. Man hatte +sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die latinischen +bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die roemischen +Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser +Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon +fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen +war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung +fand und diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) +Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In +Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer +Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege +aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im +Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren +Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und +ganzen betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt +gelten. Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der +Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den +Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu +namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet +gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen +Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen +geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen +Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die +in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus +diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen, +hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. Die Stellung +der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher angedeutet +ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil +veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel +Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle +dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr +bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem die meisten +mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der +bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung +der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren +Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und +Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen, +wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000 +samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie +Fregellae uebergesiedelt seien. Dass die Latiner, das heisst jetzt +die wenigen noch ausserhalb des roemischen Buergerverbandes stehenden +Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich +gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der Herniker, +und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt +noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie +im Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten +Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr +und mehr von der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen +Bundesgenossen gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt +soviel Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des +Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen +verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und +den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk +577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit +den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des +ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten +Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei +Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger +je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den +latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die +Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche +Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde +zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache +Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der Buerger +der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behoerden +ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die Unmoeglichkeit, +unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu leisten, +veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der +Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die +Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger +schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland +angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des +latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin +nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast +regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende +Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183) +begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche +mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig +ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577 +184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war +offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen +Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten +wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen +Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren +Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung +bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht +zu vertauschen. Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, +der Eintritt in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. +Das aeltere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen +einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch +uebermaessige Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr +zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet. +Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die +Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche +entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf +das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden +gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung +Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische +mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht +nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses +erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in das roemische +Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die latinischen +Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer einzelne der +bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen Nichtbuerger ^7. +---------------------------------------------- ^7 So wurde bekanntlich +dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der Buergerkolonien +Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das +Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach +bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben, +wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten +Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch +haeufig dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der +Gruendung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in +dem jedesmaligen Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an +eine beschraenkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48). +---------------------------------------------- Diesen tatsaechlichen und +rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der italischen Untertanen +kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht +abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im +Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert +und, waehrend die Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch +Uebergaenge zu vermitteln bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall +die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Bruecken abgebrochen. +Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke +sich absonderte, den oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog +und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die +Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber +und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus, +waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil +ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte +die Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die +Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch +die Liberalitaet seiner Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt +selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung +der Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert +auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu +eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes +Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden +des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen +Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte +Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den +Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die +bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten +Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms +zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden +begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig +wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten, +zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten, +ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass ferner +in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen eine noch +gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung +und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern +zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung innerhalb +der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren +Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen +Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung +bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die +Furcht hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach +der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen +Gemeinde zwei Maennern das roemische Buergerrecht und Sitz im Senat +zu gewaehren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht +abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals +in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis zwischen Latium und Rom +blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien +getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten +Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert +sein wuerde. Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese +Epoche in das roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich +diejenige, welche am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der +bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere +roemische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die +ueberwundenen Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft +oder in der roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis +zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und +die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen +in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren +frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen +einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das +Verstaendigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete +lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also +die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und +organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man, +wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriss. Es war das Hemd des +Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfaenglich die +Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht +eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und +Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als +man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die +Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es +weit weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, +als darauf, dass man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht +verwandelte; fuer den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel +nimmt oder gleich den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf +dem Fuss. Das neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von +Voegten, deren Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, +sondern auch mit der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich +war. Wie die roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des +frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt; +wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen +Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der +Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und +Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in +den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener +begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er +von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher +sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten +desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage, +dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von +ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der +Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre +altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende +ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und +Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten +unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter +und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens +den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen +nachdruecklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter +ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man war durch die karthagischen +Voegte und syrakusanischen Herren nicht verwoehnt und sollte bald +Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der +gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklaerlich, +wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit +der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge +nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das +Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den +roemischen Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen +lagen so sehr in der Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum +ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um +so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz +festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der Vogt ganz +reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der Sieger +von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt. +Die ueble Sitte, dem Amtmann "Ehrenwein" und andere "freiwillige" Gaben +zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und +mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; schon Cato musste in +seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, diese Hebungen zu +regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und ueberhaupt +der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie +Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das +wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und +seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung +des Heeres oder bei anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen +Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg +gemissbraucht, dass auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583 +(171) die Feststellung des Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den +Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste +in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die +masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus +fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie +ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, +offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der +roemische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen +die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhaengigen +Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das zeigen die Raubzuege des +Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in +Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte +kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen +Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen Willkuerregiments +fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz. +Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr +als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der +Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst +dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so +war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen +ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste ein Volkstribun kraft der ihm +zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an +das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der +die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der damaligen +Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen. +Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes, +und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete +Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar +verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines +Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch +Klagen von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden +Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld +befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern +und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das +Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast +gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten +freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und +Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher +getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden +es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; +und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der +Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine +Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um +den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den +Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber +wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige +Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der +Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und +gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten, +sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen +von Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen +Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. +Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten +die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen +meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft, +wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich +fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der +roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen +straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; woraus +denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht +unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie +sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur +den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten +Verwaltung liegt in der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht +der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es +vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten machte die Schlaffheit und +Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts +wegen haetten die Voegte einer weit strengeren und spezielleren +Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die italischen +Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo das Reich +grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert werden, +durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze bewahrte. +Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie +souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden +Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine +der spaeter erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation +der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als +bedenklich. Der roemische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und +im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen +Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsaechlich +unabhaengig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin gefuehrt, +sein und seiner Administrierten Interesse von dem der roemischen +Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem +persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in +der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im +Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den +Weg wieder zurueck in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl +Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. +Auch die Regierung empfand es, dass die beiden fundamentalen Saetze +die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der +Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Haenden +zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung +neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der +Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus +den Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so +zweckmaessigen Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr +deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden roemischen +Staatsmaenner vor der hier gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist +nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilitaet entwickelte sich +weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der +Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger +Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch +ungehemmten stetigen Fortgang. Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf +als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese +gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss +der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite +Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als +die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die +Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf +dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische +Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu +schildern. Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht +dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert +werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige +Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten +und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen +fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das Glueck der +Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem Grade +geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede +Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der +gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze +Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber +beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige +Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch +in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl oft +geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in buergerlicher +und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie, +mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der oeffentlichen +Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch +ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den +Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen +Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter +Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist +schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische +Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, +die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an der Westkueste +noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses +Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, Praeneste, Signia, +Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den +italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische Vollbuergerrecht +besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der juengsten +Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und eine +sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, +gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora +et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der +Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die +Zwecke der Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher +schon erwaehnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, +teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen +und transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer +staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde +wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen +politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz +allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer +Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was +sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche +Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen +weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam +hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser +Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in +den Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in +neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass +allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische +Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie +diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr, +die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen +Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung +und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst +werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte +voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit. +hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und +geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche +die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber +zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende +Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in +letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch +die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche +Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die roemischen +Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle gespielt. In +der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn +sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei +der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher +die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und +kuemmerlich auslaufende Opposition. +------------------------------------------------- ^8 In der bekanntlich +zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden +landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Eroerterung +der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach Rom +gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer +einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der +Gegend domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich +daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der +Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden +Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern +entschieden wurden. ------------------------------------------------- +Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel +formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur +Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. +Seit unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine +Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von +denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen, +wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder +verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, +und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der +Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht +bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus +den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der +Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand. +Die Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete +finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten +Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen +Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten, +jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in +Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei +ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. +Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 +204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten +regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der +Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der +Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche maechtige Konkurrenz der +abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem selbstaendigen Mittelstand +machte. Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in +der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst +nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen +beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich +fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in den +Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges +vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen +Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und +den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern der +Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als +die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden +Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso +unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. Aber es wirkten +nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines +hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet +noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch +denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere +Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu +haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass +unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette zeigen duerfen; +aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die Gunst der +Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten, +namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die +Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich +die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot +umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder +die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde +stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen +roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, +machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Aedilen +moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das Getreide zu +Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, dass die +Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch habe eben +keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu. +Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr +und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische Demagoge von +Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und einen +zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen +Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes: +"plebejische Spiele" hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft +haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man +weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der +Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur +wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der +Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes +Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren der neu aus +Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter hinzugefuegt. Es waren +dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges - bei der ersten +Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem Spielplatz weg +zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie +war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie +nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch +deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man +es tadeln, dass die Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure +Opfer zumuten musste, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal +nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam +noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora +hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der +Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln +- so die kurulischen Aedilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der +Goettermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das +Ceresfest, der staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag +damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht +zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat +waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer +Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die +Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation +fuer die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen +Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele +einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche +steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul +in Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige +"Leistung" (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. +Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die +Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die +Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges +Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte +gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn +verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, +sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr +hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die +Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe +heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus, +warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie +aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen +Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten +Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits +durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr +an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der +Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein +unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner mit +Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass +auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu +geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr, +da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die +Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen, +nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes +aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen +Doerfern wegwarf. ------------------------------------------------- ^9 +Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen +Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius +(p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus +gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 +(216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so +wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen. +------------------------------------------------- Wie sehr die +Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter diesem +Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den +Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise +offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische +Krieg (576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft +vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer, +ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten +ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. Auch +hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des Hannibalischen +Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die +Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten +Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) +stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren +als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um +die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen. +Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten +Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen +nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen +gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des +Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel +aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in +offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten +verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die +Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste +es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche +vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat +oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem +Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein +Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, +um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen +Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen +waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den +Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens 5000 Feinden das +Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter durch falsche +Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den vornehmen Haeusern +manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld +dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur +Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers +einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische +Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 +194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste +nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der +Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien jedes Verdienst eine +bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494 +260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, wenn er abends durch +die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackeltraeger und +ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des +Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer eine +Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange +genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den +gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden +Zunamen zu schoepfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama +begruendet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder +den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen liess ^10. Dem +Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es +nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und +dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte +man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten, +wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken +zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht +bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, +sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn +freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den +Senatorensohn von dem gemeinen Buerger, den Sproessling eines +kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator - und das in derjenigen +Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das Werk der buergerlichen +Gleichheit war! ------------------------------------------------------- +^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist +das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von +Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in +aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen +Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus +gleichartig. ------------------------------------------------------- +Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der +Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den +lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt +die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig +trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch +notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern. Die +Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person +des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte +Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem +Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster +des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht +wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen +Mittelstandes gegen die neue hellenisch- kosmopolitische Nobilitaet. +Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der +wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in +die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem +rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich +entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter +Flaccus' Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den +Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum +Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten +Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen +Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama +durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient +und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich +als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. +Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und +schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis +des roemischen Rechts und der roemischen Verhaeltnisse, seine +unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten ihn zuerst in +den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in +der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war, +zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. +Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen +Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er +daran gesetzt, dem einreissenden Verfall redlich, wie er es +verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem +fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist +Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene Augen +habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser +Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich +gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den +Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch +seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser +Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, +aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der +kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Bueberei +und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und vor allen Dingen +der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen +des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten +als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren +sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht +mit Unrecht, ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und +ausser dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer +von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen +aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator +und dem Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern +seiner vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister +vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und +allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich +gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er +oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden +neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose +Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich +den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener +unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt +worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie +maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige +Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den +ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen +niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen +Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und +im voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende +Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen +beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der +Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und +derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest +stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der +Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste +gestrichen wurden. Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen +Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie +achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, +konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile +zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz +oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so +ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen +der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und +seinem Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten +Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Faellen +durchgaengig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato +gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die +Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschraenkung des Luxus +und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in +dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in +der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. Bei +weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden +Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von +neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz +einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten +Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den +Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl und in bedeutendem +Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der +picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die +Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die +umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem +Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona, +Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, +Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem +die meisten dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei +zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens +durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender +Bauernstellen und ueberhaupt der freien italischen Bevoelkerung, +anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum +besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in +Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato +und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische +Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab +nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht +taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen Mannes. Verwandter +Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der +Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen +Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht +gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der +Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht +Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu +sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die +roemische Regierung zu dem gluecklicherweise verunglueckenden Versuch +bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu +rekrutieren, die Milderung der fuer den Dienst im Buergerheer bisher +geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300 +Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die zwischen +4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen +und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der +Minimalzensus fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt +und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als +sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten +Freigeborenen in das Buergerfussvolk miteingestellt. Diese vermutlich +dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehoerenden +Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische +Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten +doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit +den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und +sodann auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht +setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas +zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus +entsprang eine der wichtigsten Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die +Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in +demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende +ging (513 241). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den +Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des +Appius Claudius, allein die Ansaessigen gestimmt, aber doch die +Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das +heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Hoechstbesteuerten, +das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens 100000 Assen +(2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden +Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung +entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden +Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung +unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben +war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der +Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das +Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch +das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die Wichtigkeit jenes +adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal +in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf die +Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der +eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die +gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- +und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis +582 172), diese noch ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), +lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefaehrlichsten +Moment, den die roemische Republik erlebt hat, in der Krise nach der +Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des +nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der +durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines +Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich +charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das +Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen +ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine +etwa durch das Los aus der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, +sondern ausschliesslich auf die erste Klasse ueberging. Diese sowie +ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze +nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, dass der +Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das +Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward. +Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze +bei dem allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine +Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der +Abteilungen blieb gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie +gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den +193 Stimmzenturien allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der +reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt +und dadurch bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite +Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche +Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen +Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind +die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer +Tribus angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben +werden musste. Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus +eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, +und waehrend sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier +staedtischen Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der +Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell das gleiche +Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der +Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die +Landtribus eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der +Zenturienversammlung gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die +reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, dass von den 70 +Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach +die nicht ansaessigen Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher +Weise muss auch in den vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern +das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die +bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im +Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen +Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im +Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei, +den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius +Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen +Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. +Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit +ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige +Verfassungsaenderung, die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann, +der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht +teils in der Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in +der Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits +der Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung +der Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden +Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, +Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung der Buergerschaft +erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die Tributkomitien gebracht +und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen +wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch ueblich war, +um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen +Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht +ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in +der praktisch haeufigeren und wichtigeren Kategorie der +Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner Geltung +gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz +zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen +Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der +Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser +Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden Stimmordnung +nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die +gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht +verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist +sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, +dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen +Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. +Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform noch die frueher +schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten roemischen +Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die +Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der +Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu +beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern +sich gleichzeitig breiter und tiefer zog. +----------------------------------------------- ^11 Ueber die +urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas +Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus +der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen +in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von _, , , 1/9 stehen. +Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren +Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint +hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch in Beziehung auf das +Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu Denar) in +Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen Muenzwesens, S. 302). +Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussaetze +in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht des +leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat +er dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese +bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte +die spaeteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der +Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der +Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben wuerde. Gegen +beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; doch scheint +die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der +demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften Jahrhunderts +noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen Massregel +wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung +verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen +uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen +Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach +die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im +Wert gewechselt haben wuerden. +----------------------------------------------- Fasst man zusammen, was +von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie +dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes +und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem +uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet unzweifelhaft +patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu einem +gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres +politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille +der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und +kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in +die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im grossen und ganzen zu +bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese +sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der +Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit +ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig +dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen +mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und den grossen +Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer +Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu +haben. Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit +emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche +Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt +das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der +Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine +freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne +auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen +anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem +Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen +und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; +zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als +Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer +ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, +diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor +allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so +hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und +Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die +wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. +Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 (217) +hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren Institut den +Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter +dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem +Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch +in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar +Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der +zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer +staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne +foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit +ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem ein +fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr wuenschenswertes +Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das Eintreten der +Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in der +Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen +hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward +dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene +Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich +ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten +gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach +Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, und damit einen +dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand herbeizufuehren. Daneben +dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in +Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise +sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten +Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem Herkommen +selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Koerperschaften +ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur +Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht +bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die +Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen +Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der +republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch +nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung +der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus dem Schosse dieser +Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde ueberging; wobei +ueberdies noch, mit echt roemischer formaler Goetterfurcht, um ja nichts +zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, also nicht das +"Volk" den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung war das zunehmende +Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche Fragen aus +dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher +gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom +Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher +die Wahlen der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; +hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss +von 537 (217), wodurch das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren +Generalissimus und seinem populaeren und ihm im Lager wie daheim +opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen +Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft verfuehrte tribunizische +Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher Kriegfuehrung (545 209), +welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt +zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung vor dem +Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren +Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den +Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste +Bekleidung eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer +Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den +Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von +der Buergerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch +eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, der Buergerschaft +wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte +Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); hierher +das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch +Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und +Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber +weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; +nicht bloss, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde +durch jeden Angriff auf das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: +die ausschliessliche Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil +die Unterstellung der wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, +der Aufteilung der Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der +Buergerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die +Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt in den eigenen Beutel +hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, sondern der +Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft und +gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche +Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie +zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, +durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste +aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem +er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre +522 (232) an die Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem +Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte +zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt; +aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach +zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als +Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber +regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung +eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa +bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische, +administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats +und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in +unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu +machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der +beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige Rolle +zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke zugeteilt ward, +so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei +dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht +der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine +Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche +in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen +gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel +die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar +oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. +Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen +konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine boeswillige +Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen +Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel +in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten Schaedigungen +und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus sich +verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte +den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der +Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich +ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus +und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen +Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines besonderen +Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem naechsten +Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. Im Staate wie in +jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch +schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung +schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der +Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. +Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren +zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um +sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, +denen gegenueber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu +gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, im Weinhaus +Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen +strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen; +daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen +Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen +in Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am +Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung +gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene +unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und +begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten +Recht war. Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde +selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich +entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der +verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der +einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten +Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als +das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus +einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung +des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut +von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? Das +Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die +Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch +die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die +scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen +sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. +In der Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und +Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. +Gaius Flaminius galt den Staatsmaennern der folgenden Generation als der +Eroeffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und - +setzen wir hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution +hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, +der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in +seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf +die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet +bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die +Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, +und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und +niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der +Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, +liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als +der erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen. Die +Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, +wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an +Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite +dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen +geschah von seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen +Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritaeten noch +wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die Parteien trennte, +noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die schlimmsten +Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte, +so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis auf das dumpfe +Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Daemmen +arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und selbst +diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz +und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich +genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft +zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es +Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren +Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, erschien die +Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als +das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille +vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmaessigkeiten, eine +Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham +fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische +Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem +alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald +sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu +einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und +es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude +einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die roemische Verfassung formell +so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den +Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darueber hinaus; aber +die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall nicht ein Zeichen +der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der +Vorbote der Revolution. 12. Kapitel Boden- und Geldwirtschaft Wie mit +dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen pragmatisch +zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten auch +in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer +Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die +Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise +und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden +liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- +und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich +der Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende +Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die innere +Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen Verhaeltnisse +hier zusammenfassend zu schildern. Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder +Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato +entworfenen Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt. +------------------------------------------------ ^1 Um uebrigens von dem +alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es notwendig, sich +zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die neuere +Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen +nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der +Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der +Reis ward in Italien zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst +zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln +und Tomaten stammen aus Amerika; die Artischocken scheinen nichts +als eine durch Kultur entstandene Varietaet der den Roemern bekannten +Cardonen, aber doch in ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu +sein. Die Mandel dagegen oder die "griechische Nuss", der Pfirsich oder +die "persische", auch die "weiche Nuss" (nux mollusca) sind zwar Italien +urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig +Jahre vor Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie +in Griechenland aus dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge +des uralten kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den +Orientalen, ward in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus +gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte +wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben wie heutzutage, als +Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten +sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am +Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt +zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist; +noch juenger vielleicht die Aprikose oder die "armenische Pflaume". +Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in Italien +kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder +dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika +die Aloe (Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von +Arabern gebaut worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem +neuen, nicht dem alten Italien eigen. Wie man sieht, sind die mangelnden +grossenteils eben diejenigen Produkte, die uns recht "italienisch" +scheinen; und wenn das heutige Deutschland, verglichen mit demjenigen, +welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt werden kann, so ist +auch Italien in nicht minderem Grade seitdem "suedlicher" geworden. +Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet, +durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte +ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte +Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward, +wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer +diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital +in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut, +sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der Maximalsatz des +Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von zwei oder +drei Landguetern gedacht worden ist. +------------------------------------------------ Vererbpachtung ist der +italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft fremd; nur bei +den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit, +sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter +alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die +Haelfte der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und +Notbehelf; ein eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht +gebildet ^3. Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den +Betrieb seiner Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich +selbst, sondern erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den +Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und +seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward, +teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich +nach Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen. +--------------------------------------------- ^2 Nach Cato (agr. 137, +vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug +des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen Verpaechter und +Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen ausgemachten Teilen +geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst die Analogie +des franzoesischen bail a cheptel und der aehnlichen italienischen +Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer +Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das +fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis +neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; +er ist nicht Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener +Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt. +^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen +Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu +erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine +Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3). +------------------------------------------------------- Von Getreide +wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut; +daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter, +Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der +Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die +Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die +Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur +Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie +haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer +wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und +der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf +eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und +andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, +teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, +Ulmen, Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den +Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur +ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch +kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der +heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des +Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der +Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung +von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur +gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe +nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens +auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide +Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; +haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen +grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde +einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von +Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen. +Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -, +Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis +gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und +ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter +so unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung. +----------------------------------------------------- ^4 Dass zwischen +den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens leicht im +Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137) +hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen +anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die +Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, +9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man +auch zwischen diesen Getreide. +----------------------------------------------------- Die Feldarbeit +ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die besonders +zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch +ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man +zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig +waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 +Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer +Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos +Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das groessere vier +erfordert. Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. +An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der +Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft +und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen +Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin +(vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag +besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein +Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, +ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der +Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne +Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches +mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 +Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte +und drei Hirten gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich +mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen +kommen ein Pflueger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand +natuerlich freier als die uebrigen Knechte; die Magonischen Buecher +rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato, +ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht +gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu +erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. +Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, +sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch +wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden +waren, mit anderem Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das +Wirtschaftsgebaeude (villa rustica) war zugleich Stallung fuer das +Vieh, Speicher fuer die Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der +Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes +Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der +Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des +Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann +auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft +wurden und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber +beschafften; so monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu +mahlen hatte, ferner Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und +Oel. Die Quantitaet richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel +der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes +Mass als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die +Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war +nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder +einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf +die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. +Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich +von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer +dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht +verwandt, ausser in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft +fand, den Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu +verwenden, und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden +Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm +man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem +Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, +das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische +Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte +einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel +einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, +gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht +einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen +besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig +verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig +und liess den Kaeufer die Einbringung besorgen. +--------------------------------------------- ^5 Mago oder sein +Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven nicht zu +zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und +ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der +Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es +nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato +(agr. 2) ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, +8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der +Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen +werden, ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil +des regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst +betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf +aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte +charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche +Dienerschaft (familia urbana). ^6 In dieser Beschraenkung ist die +Fesselung der Sklaven und selbst der Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) +uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten +Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, statt des +Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt +die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv +von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung +(Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die +Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als +eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), +ein Kellergeschoss mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus +mit der Hand zu erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein +notwendiges Stueck des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich +dies dadurch, dass die Lage der Gutssklaven haerter war als die der +uebrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen +wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass +grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten +liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin +angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden +Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber +Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie +sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde +gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. +Berlin 1856, S. XXXI). ^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht +ausdruecklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in +der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der +Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten einzurichten, und am +wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die Trauben +auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147). +--------------------------------------------------- Die ganze +Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit +der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter +Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu +freundlich gegen seine "Mitsklaven" sein. Man naehrt gehoerig den +Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil es nicht +wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie +die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden sind, weil +es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu behalten. +In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier mildernd +eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest- +und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer +den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die +Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache +nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings +ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten +Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu +beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet +- der Sklave, lautet einer von Catos Wahrspruechen, muss entweder +arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche Beziehungen die Knechte +an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht einmal versucht. +Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, und man +machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. "Soviel Sklaven, soviel +Feinde", sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer +Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu +unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles +und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, +davor, Sklaven gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um +nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte +herbeizufuehren. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von +den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die roemische Gemeinde die +Untertanenschaften regierte in den "Landguetern des roemischen Volkes", +den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, dass der herrschende Staat +sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn +man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des Denkens +emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das +darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das +Lob der Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und +Soliditaet nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt +sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, +der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich +ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt +zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den +Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber +sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist, +nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen +Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert +und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den +Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben +bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu +wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der +ist ein schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er +auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei +Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass +das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag +tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber +der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst. +Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl +sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist +zum Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also +zuvor Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in +allzu frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse +Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der +rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig +die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar +bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte anzueignen, +wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten +griechische, afrikanische und spanische erscheinen. +---------------------------------------------- ^8 Columella (2, 12, 9) +rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und +damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der +heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen +Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die +Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella +auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig +das wandelbare "Saatfest" (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. +1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und +sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden. +---------------------------------------------- Die Bauernwirtschaft +war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur verschieden durch den +kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine Kinder arbeiteten +hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich +zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und seiner +Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten +zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen +groesseren Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- +und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und +gaben sehr reichlichen Ertrag. Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr +ins Grosse getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste +auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum haben als das Ackergut +- man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das +Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen +Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die +Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon +in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf +denselben Pfaden, die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und +im Herbst wieder zurueck von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide +indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem +Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog +Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den Gutsbesitzern, +Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu liefern; +auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber +und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens +von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft +und war im ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister +(magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer +ueber kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern +hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter +Schuppen und Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die +kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und +ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei +der Gutsmannschaft geschah. Um die oekonomischen Resultate dieser +Bodenwirtschaft einigermassen zu wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse +und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich +sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld +der roemischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht +so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche +Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der +italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt +worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des +ueberseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den +Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine maessige Verguetigung +der roemischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an +Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und +der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art +abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch +es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es +sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen +Kriege wurden die roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne +unterhalten, und wenn dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil +gereichte, so verschloss sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer +den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, +welche laengst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt +hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im +Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der +Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich +groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten, +und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches +Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu +erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu +ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich +oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon +in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf +Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs +Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die +Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8 Groschen) abgegeben; einige Jahre +nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides +zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst +eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie +mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr +haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung +oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren Getreidegesetze +geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht auf diesem +ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drueckte es auf +den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, die +der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel +von diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem +Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich +war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge +der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- +und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis +ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der Transport aber +des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens +ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien, +Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im natuerlichen +Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen +und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die +leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen +waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen +Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es +scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des +ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem +in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet +Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Verguenstigung +gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den +Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das ueberseeische +Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen +dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher +Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische +Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 +Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot +preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii +(= 17 preuss. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner +Ausserordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen +andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst Sizilien die Kornkammer +Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Haefen das +sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den +reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und +Lombardei zahlte man zu Polybios' Zeit fuer Kost und Nachtquartier im +Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der +preussische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3 Groschen). +Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen +Normalpreises ^9, zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es +der italischen Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und +infolgedessen das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet +war. ------------------------------------------ ^9 Als hauptstaedtischer +Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das siebente und achte +Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den roemischen Modius +oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer heutzutage +(nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und +Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt +wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und +der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des +Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden. Uebrigens +duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der spaeteren +Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies +heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten +von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten +Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege +der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, +44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; +214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5 +Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der +Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend +und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen +auch heute noch sich wiederholen. +--------------------------------------------- In einem grossen +Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu ernaehren +vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht +unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, +wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache +war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der +wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich +das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die +schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich +wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfaehig die +Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das +duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu ernstlichen +Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber in +jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher +sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede +Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten +sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben +in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, +und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die +Griechen zu emanzipieren und die republikanische Koenigskontrolle zu +besorgen - so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein. Seit +der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war +die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich +auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die +sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen +Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen +Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den groesseren +Grundbesitz aufgehen wuerden. Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer +imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger +als jener, wenn er sein Land nicht nach dem aelteren System an kleinere +Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte +bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher geschehen +war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen +Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven +ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner +sich eher durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den +Konkurrenten gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren +Bodenrente sich begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz +mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. +Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten +des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das +Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint +^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. +Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens +die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das +italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen +Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein +Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit +Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die +oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. +Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in Grundstuecken +angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien; +was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren durchschnittlichen +Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen +bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten +der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am +wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer +jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen +und auf ihrem naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse +reichten an sich schon aus, um allmaehlich an die Stelle der +Bauernwirtschaft ueberall die Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem +Wege der Gesetzgebung ihnen entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war +es, dass man durch das spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz +(kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser von der Spekulation +ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang, +vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst die alten +Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen +ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem +Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie +als die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb +im grossen erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem +Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht +die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges +Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl +und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; +wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den Eigentuemer +wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon an, gutes +Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu verwandeln - was +die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht um diese +Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen +der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da +regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich +grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen +auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich immer unsicheren Besitz +bedeutende Bestellungskosten zu stecken, namentlich Reben und Oelbaeume +zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man diese +Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte. +------------------------------------------------- ^10 Darum nennt Cato +die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum) +und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss Wein und Oel, +sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren freilich die +800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit +Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten +alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von +8 culei fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); +allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, +dass der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun +zu muessen, bevor die alte verkauft ist. ^11 Dass der roemische Landwirt +von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, laesst +Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag fuer Kosten und +Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen +folgende Kostenberechnung aufstellt: Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen +Kaufpreis der Arbeitssklaven auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen +Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen Verlorene Zinsen waehrend der ersten +zwei Jahre 497 Sesterzen Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler. Den Ertrag +berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65 +Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes +ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, +die Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, +Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. Den +Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf +hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf +weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von +25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem +hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr +als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der +Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als +gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen +vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht +ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten +machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. Alle diese +Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. Von +ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser +rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. +2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich +nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide +zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die +Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte +Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem +Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch +noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde Taetigkeit und +Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt +als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des +Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in +absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der +infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. +Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. +Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun Bestandteile in dem +Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter saemtlich wiederkehren. Von +dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch, +dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr +zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von +dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins +empfaengt. ----------------------------------------------- Von der +roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende +Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus +dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die +bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. +Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht +weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, +sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation, +deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige ueberall +zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmaennische +Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den Roemern nur +aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der Durchfuehrung +und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, dass +der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten +wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart. +Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das +Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den +Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen +Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers +(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der +Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten +auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt +und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland +ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit +vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die +Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die +kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und +Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon +im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden. +Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. +Das System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den +ganzen roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine +komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen +eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder +Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig +in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die +Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und +der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die +saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva +vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und +nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. Welche hervorragende Rolle in +der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische Handel bereits +frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren +Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende +Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. +Ausser den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, +durch die die Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe +noch kuenstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die +herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die +wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Roemern und Latinern +vertragsmaessig zustehende Zollfreiheit. Dagegen blieb die Industrie +verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich, +und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu einem gewissen +Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen +Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an +Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem +starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit +der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine +Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien +bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande +mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs +gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie +gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog +hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und +milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation. +----------------------------------------------------------------- ^12 +Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon +aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie +spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei +Plut. Cato mai. 21). +----------------------------------------------------------------- +Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf +ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst +den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge +dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden +Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon +in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten +Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren, +doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen +Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die +Haende zu geben. Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen +Zweigen erfolgte durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der +Bankier richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und +Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die +Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte +fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven +und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte +sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder +Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte +oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum +Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren +auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen +kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Gross- oder +Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich +durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage +dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgaengig +unguenstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den +letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen +ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie und +faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und +eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese +Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem +Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster +in die Reihen der roemischen Buerger und nicht selten zu grossem +Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens +ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens +beigetragen haben. Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der +gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und +in seiner Art nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von +der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht +nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, +in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne +gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen +Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die +Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den +Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt +voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen +Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge +der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze +beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens +neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald +ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso +rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in +Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere +Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die +spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. +Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, +ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im +westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und +etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und +Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im +Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art +unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber +durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre +Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, +den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der +Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen +begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte +nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische +Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen +Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die +Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis +hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des +Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare +roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht; +dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des +internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die +roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen +von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des +Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran +fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber +zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse +angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht +auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in +der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder +ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel +fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die +edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals +also nahm das Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, +wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr +derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp +und Alexander dem Grossen zum Goldcourant uebergegangenen Osten. +------------------------------------------- ^13 Es lagen in der Kasse +17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, 18230 Pfund +gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war +1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91. +---------------------------------------------- Der Gesamtgewinn aus +diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen Kapitalisten floss +ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins +Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an, +sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr +gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten +oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den +Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms +gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso +entschieden wie seine politische und militaerische. Rom stand in dieser +Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie heutzutage +England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren Scipio +Africanus sagt, dass er "fuer einen Roemer" nicht reich gewesen sei. +Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefaehr +danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000 +Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass +eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie +erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines +vornehmen Maedchens angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses +Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im +Vermoegen hatte. Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische +Geist sich der Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht +neu in Rom -, dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen +Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der +Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu +werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein +Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. "Einer Witwe Habe mag +sich mindern", schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten +Lebenskatechismus, "der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige +ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher +bei seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat". +Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird +jedes auch ohne irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft +respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische +Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil +das Klagerecht zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen +ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt +Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt +einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht. +Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in +allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von +Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden +in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften, +wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens +besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische +Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische +Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder +ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn auch in jedem +wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab +-, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten Willen aus der +Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben +bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne Testament gewesen sei. +Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den kaufmaennischen +Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen +Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt +nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei +Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als +sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen +geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt +galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in +Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den unbescholtenen gegen den +bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien +fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet +tritt namentlich in der scharfen und immer schaerferen Auspraegung +des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche +Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht +bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle +mit oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine +andere Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz +ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte +(amici) sich untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, +Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten +bestimmten Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung +und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass +es unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage +selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der +Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des +Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch +die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche +Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem +Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung +gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller +Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer +solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette +war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf +rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden. +----------------------------------------------- ^14 Darauf beruht die +Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt +die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. ^15 Die +Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer +den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des +Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte +Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen +Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener +Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese +kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, +der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber +verschwunden. ---------------------------------------------- Eine der +wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer +fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine +Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch +besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der Regierung, +ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei +dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl auch der +groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, dass +nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften +diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser +Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden +sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische +Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen +Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16. +Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem +Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche +Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum +unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als das +sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch +Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer +von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt +kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war +aber ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen +Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu +spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff +mit seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern +Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum +fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte +groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische +Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen +Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem +vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese +kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie +eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios' Zeugnis +kaum einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller +Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und +um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil +seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken +gehabt haben. ---------------------------------------------- ^16 In +dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der +Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: +"Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand +zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer +verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort +als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein +scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm +bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit +welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu +jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den +Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt." Dass der +Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, +wird stillschweigend vorausgesetzt. +--------------------------------------------- Auf allem diesem +aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht noch +merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in +dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen +Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, +findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen +der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. Bei der +einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie +konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen +Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche +bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine +toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag +durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende soziale Abgrenzung +der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach unten hin ist +nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, anscheinend +gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut und +Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, +fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand +nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem +respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem +Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber +und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine aehnliche Schranke das +von Gaius Flaminius veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), +welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum +Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich +auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt +ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter "Spekulation" +(quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den +Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen +Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen +wollte, dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte +machten; es kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie +spaeter so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache +gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der +Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur +sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege +genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser +Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht +offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und +der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite +gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit +dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen. +----------------------------------------------------- ^17 Liv. 21, 63 +(vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung ueber die +Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem +Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. +94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius "jede +Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward", so hat +das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht. +---------------------------------------------------- Eine weitere Folge +der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige Hervortreten +eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und grossen +am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster +Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der +Handel bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der +Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, +welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern +nach Ariminum und den anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit +Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des +Silbergeldes in das Keltenland von der roemischen Regierung untersagt. +In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, +Karthago musste die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. +Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms +Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und liess +den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, +notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen - +besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte +und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der +Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste +Burg der roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen +zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen +Kleinstandes enthalten war, verkuemmerte unter dem unseligen +Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des +leidigen Freigelassenenstandes bei. Aber vor allem zehrte die tiefe +Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem +Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- +und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil +der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in +jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der +instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des +wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen +verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpoente +gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem Lustspiel dieser Zeit: +Wahrhaftig gleich eracht' ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; Wenn +jene feilstehn insgeheim, tut ihr's auf offnem Markte. Mit Kneipen die, +mit Zinsen ihr, schindet die Leut' ihr beide. Gesetze gnug hat eurethalb +die Buergerschaft erlassen; Ihr bracht' sie, wie man sie erliess; ein +Schlupf ist stets gefunden. Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet +das Gesetz ihr. Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der +Fuehrer der Reformpartei Cato sich aus. "Es hat manches fuer sich", +heisst es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, "Geld auf Zinsen +zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also +geordnet und in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, +der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus +man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der +Zinsnehmer von ihnen erachtet ward". Der Unterschied, meint er anderswo, +zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man +muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen +Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine +strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande +hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt +seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten +mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich +rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute, +sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel +der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer +Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die +Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer +war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu +ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu +geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato +war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. "Wenn unsere +Vorfahren", faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, "einem +tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen +tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, +schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich +fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und +Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die +tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie +dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich +abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken". Von sich selber +pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei +Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und +wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemaess +war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der +Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers gegolten. Leider +ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche Wahrheit, dass +dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel +der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der +Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der +Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der +Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie +war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum +fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art +gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den +arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die +Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die +Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in +Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet +taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte +Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; +und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die +senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem +Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise +das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der +zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum +wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der +erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und +menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf +Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen +Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und +nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und +verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. +Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die +Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. +Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und +vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er +schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht selten +gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato beschriebene +vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten +Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien ernaehrt +hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig groesstenteils +unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende +Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis +zum Verwechseln aehnlich. --------------------------------------------- +^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer +in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war +nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in +Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch +Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter +Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das +Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein +verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu +den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften. +------------------------------------------------- Das Gesamtergebnis +dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten Bevoelkerungsverhaeltnissen +nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen +Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der +Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser +Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so +schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode +die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und kraeftige +Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es wohl +moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur +Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der +sogenannte "gallische Acker" durch die Aufteilungen des Domaniallandes +in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche +Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg +mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren +Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien +Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile +des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten +und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den +abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen +hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer +Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und +Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, +zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fuenften +Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung von 529 (225) war +es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als die saemtlichen +latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem roemischen +Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein +der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die +Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, +obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch +uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin +wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. +In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier +angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die +schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen, +im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz und waren +die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern kleine +Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet +ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne Bevoelkerung +von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden +Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um +hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von +Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten +Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen +und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem +verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen +doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten +Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und +Polybios stimmen darin ueberein, dass Italien am Ende des sechsten +Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende des fuenften bevoelkert und +keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten +Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung, +die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen +herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von +ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die +roemische Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte +im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus' Zug nach Afrika, 298000 +waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des +Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Koepfe, also um +ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben +Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel gesunken; und +ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine ausserordentlichen +Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der +grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren +ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer +wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode +gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische +Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel ein +verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken +der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von +landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch +aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben +wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien +und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den +Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier +recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher +gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre +569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, auch mit +dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt +und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien +mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196, +und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und Praeneste +Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte ueberrumpelt zu +werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und loeste +die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und +Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege +mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft +dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen +Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel +ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand +sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber erschreckend und +beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils wohlmeinenden und +tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht einmal die +Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen +Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen +Adel, die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten +Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, +eines Tages auf dem roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es +laut vor den Umstehenden aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder +an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlass der +Buergerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und +sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch +nichts als der schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit, +womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und +Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man +liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger +und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen +bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. 13. Kapitel +Glaube und Sitte In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben +und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die +allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und +Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen +Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein +Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in +guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat +seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch +sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht +der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher +Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die +Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die +Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen +Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien +zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht +wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir +ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. +Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen +Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche +Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber +gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass +er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch +in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen +Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen +Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist +eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die +Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: +"Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius +Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause". +Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und +der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des +Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend +den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann +folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, +die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, +dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, +die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher +gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet +oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs +getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben +gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der +Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in +hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste +Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, +so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht +geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis +staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm +gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der +Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren +Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem +Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und +goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag +dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm +bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten +Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter +der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne +Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter +ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, +Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde +die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen +herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des +verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die +Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines +jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst +Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. Man mag das +Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette +freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis +in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber +selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie +zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet +dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem +gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen +Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter +fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln +und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen +Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen, +um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. Aber man war jetzt an einem +Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien +beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es +auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren +Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem +Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte +hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche +Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen +Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen; +wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache +und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen +bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in +seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing +an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und +vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und +wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die +deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht +haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu +bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit +brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat +der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas +Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den +hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte +wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr +humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete +vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem +geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten; +und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging, +uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den +Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch +Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. +Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich +gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der +italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie +bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben +gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine +Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus +fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei +ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. Es +gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf +der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die +politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche +Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch +frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische +Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die +Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche +beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend +gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die +Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die +letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem +Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum +Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in +griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern +legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den +freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe +griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz +dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass +die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber +Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht +zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer +sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der +Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale +Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt +zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, +durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die +hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll +betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen +uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische +Kunst. --------------------------------------------------- ^1 Dass +Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und +seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; +wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich +dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. +Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Asiagen/e/s. +wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber +nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten. +---------------------------------------------------- Aber der +eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen +Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens +und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen +werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich +bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen +Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen. Wie der alte einfache +Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten +die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen +Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste +mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass +er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und +opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine +Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht +aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus +lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der +Menge willen sehr zweckmaessig seien. Aber wenn man in Italien noch +besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale +Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu +verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung +des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen +Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der +oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, +sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen +Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im +Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und +Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones) +hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch +ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein +jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und +Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale +Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer +Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben +nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen +sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie +fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit +mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und +ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen +zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie +heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, +namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten +Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben +und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast +betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast +zu werden - "Erbschaft ohne Opferschuld" ward bei den Roemern +sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns "Rose ohne Dornen". Das +Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar +Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot +abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten +unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen +wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten +(stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und +Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne +Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in +der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und +Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: Gleichfalls, +Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag Fuer die Kuesterin, +fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; Saehst du nur, +wie die mich anguckt! Eine Schand' ist's, schick' ich nichts. Auch der +Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. Man schuf zwar in +dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen +Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie +in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz +der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen +Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es +auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft +und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene +beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den +alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der +Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum +Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel, +dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern +genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes +Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal +hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch +Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder +vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, +als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu +sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In +dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre +Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der +Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen +Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu +befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb - +freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der +Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche +werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt +werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und +Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit +geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum +eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene +Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener +und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen +Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios' +Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren +Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die +hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden +Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse +der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu +schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende +Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu +durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel +durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen +Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber +nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung +der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische +Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des +alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) +ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben +hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die +Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese +Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, +in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion +wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der +Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion +lieferten die "heiligen Memoiren" des Euhemeros von Messene (um 450 +300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das +wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern +umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im +Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch +gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die +Geschichte von Kronos' Kinderverschlingung erklaert wird aus der +in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften +Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und +Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes +Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort +die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des +ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und +der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven +Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische +uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit +gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen +und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war +ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese +Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der +ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen +Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. So ging es mit der +alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen +Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem +Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer +Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, +neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der +Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern +die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders +den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens +in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst +begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch +aehnliche Erscheinungen - so die praenestinischen Spruchlose und in +Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der +hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und +seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies +und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die +Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die +Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. +Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden +billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man +war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige, +bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene +Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen +aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben +als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen +Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren +schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit +bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme +der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter +der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten +bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen +muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer +Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den +die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden +freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde +eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis +unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender +Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende +Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der +Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der +Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch +streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten +(Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger +zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste +Apparat der "Grossen Mutter", diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze +unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer +Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus +bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom +wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein. +Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich. +Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der +scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine +geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen +griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein +Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz +Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten +Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde +hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, +grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die +Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu +werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte, +dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich +absehen lasse. Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso +unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen +Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der +hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. +Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, "dass er ohne +Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich +darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem +Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei +einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem +Chaldaeer". Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, +das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist +ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen +Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt +Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren +Anhang: Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack, +Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, Wollen +andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, Schenken Schaetze +dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. Aber in solchen Zeiten +hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes +Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden +polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders +konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des +verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch +512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das +Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich +verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die +Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens +nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte, +die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen +zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen +Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen +hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die +Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der +aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme +auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des +Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem +neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch +davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist +es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch +Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, +erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den +Behoerden eingeschritten ward. Wie nach der Vorstellung der achtbaren +Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein +sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns +von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als +Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war +und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein +guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche +Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus +verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. +Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer +gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf +es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven +wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu +Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum +Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der +Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit +dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder +in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die +Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei +der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute +Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines +seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit +auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern +nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel. +Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte, +putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; "ueberlaestig und +hoffaertig sind die Frauen alle" - meinte der alte Herr - und "waeren +die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos +sein". Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und +Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen +da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der +Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst +deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, worin das +Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft +und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei +dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend +moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche +Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, +habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort +in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter +umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. +Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner +mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz +getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete +der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und +lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost +ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, +wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und +ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben +musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm +Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum +lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen +und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten +Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass +er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, +seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze +Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein +Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben +eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge +Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr +kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 +Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den +Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe +Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse +(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der +Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder +nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von +Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf +dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und +wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu +einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder +die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch +unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, +dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk +getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. +Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte +er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und +getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer +die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und +Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem +Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit +und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. So lebte der Mann, der den +Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger +galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der +griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas +grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen - +wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: Nichts ist an der fremden +Sitt' als tausendfache Schwindelei; Besser als der roemische Buerger +fuehrt sich keiner auf der Welt; Mehr als hundert Sokratesse gilt der +eine Cato mir. Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich +aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete +Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird +geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen +als zu mildern. Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller +Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft +um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, +gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, +welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der +Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein +paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich +ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) +schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich +im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle +Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von +seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl +zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste +Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die +Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete +Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen +gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft +ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig +nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose +Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt +fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit +zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch +Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die +Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der +Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge +des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von +Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den +Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten +Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich +zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst +willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden +Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso +wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche +und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur +Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon +an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, "die +Herrscher der Welt zu beherrschen"; in der Buergerschaftsversammlung +war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen +Statuen roemischer Damen. Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und +Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition +nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, +wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und +seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. +Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem +Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) +gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die +bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago +(559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts +uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). +Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich +figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die +sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat +fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die +dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal +am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck +(prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die +Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. +Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber +beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession +besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. +Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten +Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward +notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und +Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die ersten +Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen +Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden +ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische +Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in +Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein +mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den +roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben. +Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde +verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in +Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage +nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der +Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken +ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das +"griechisch Trinken" (Graeco more bibere) oder "griechen" (pergraecari, +congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft +nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, +solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen +einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends +um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu +lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den +Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her +entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend +dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, +abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien +beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein +einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest +bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses +Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies +daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten +megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni +das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese +bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, +bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand +diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter +denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391), +die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem +die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines +der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten +Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert +wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten +Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten +Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), +unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); +beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des +fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen +Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte; +und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle +zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der +Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb +dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente +mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste +bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter +dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der +Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren +zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten +doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren. +Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 +186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen +wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von +zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser +Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie +nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum +laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; +jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, +und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst +nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um +toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu +dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und +Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im +Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse +vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch +auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius +Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem +Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die +Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss +untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten +keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei +es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie +es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von +Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht +unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum +dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem +Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe +in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden +Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man +von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und +gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft +wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten +zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder +einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere +Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen +waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo +die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien +durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren +miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte. +---------------------------------------- ^2 Eine Art Parabase in dem +Plautinischen 'Curculio' schildert das derzeitige Treiben auf dem +hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser +Anschaulichkeit: Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen +finden moegt, Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen +wuenscht Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann. +Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick' ich Dich. +Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. [Reiche wueste +Ehemaenner sind zu haben im Bazar; Auch der Lustknab' ist zu Haus dort +und wer auf Geschaeftchen passt.] Doch am Fischmarkt sind, die gehen +kneipen aus gemeinem Topf. Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem +untern Markt, In der Mitt' am Graben aber die, die nichts als Schwindler +sind. Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; Mit der +frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus Und doch liefern +wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. Unter den alten Buden sitzen, +welche Geld auf Zinsen leihn; Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen +schlecht bekommt; Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten +feil; Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch, +Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin: +Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. Die eingeklammerten Verse +sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars +(570 184) eingelegter Zusatz. Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, +woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und +Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. +Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den +Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben. +------------------------------------------------------- Schon verdarb +nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten, +sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu +demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, +fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe +von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem +menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr +Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und +kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch. Selbstverstaendlich +hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische +Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer +begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter +Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; +das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen +(120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 +Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und +nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat +in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit +unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg +fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die +Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum +Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer +ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die +Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu +geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. +Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu +schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung +und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und +Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher +Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere +wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren +gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die +Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit +abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige +kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. +Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss +arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es +nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der +Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller +Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe +von zweifelhaftem Wert. 14. Kapitel Literatur und Kunst Die roemische +Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei einer +anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu +wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die +Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. Alle geistige Bildung +geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer Rom. In einer +Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Buerger +in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist, +bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den +Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten +zu muessen, hat man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der +Muttersprache von jeher grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich +bemueht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die +griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien +allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen war die Kunde der +allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation laengst haeufig +gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung ungeheuer +gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem +Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon +sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft +aber, die zu einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder +Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen +bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich +der hauptstaedtischen Bevoelkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann +man sich ueberzeugen, dass eben der nicht vornehmen hauptstaedtischen +Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verstaendnis das +Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands +Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der senatorischen Familien +aber redeten nicht bloss griechisch vor einem griechischen Publikum, +sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul +577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben +in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher +Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen +noch weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in +roemischer Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der +"grosse Feldherr der Aeneiaden" brachte den griechischen Goettern nach +griechischer Sitte mit griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar +^2. Einem anderen Senator rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen +Trinkgelagen griechische Rezitative mit der gehoerigen +Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe. +---------------------------------------------------------- ^1 Ein +bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera, +nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, +morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum +Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu +gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen +bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im 'Wilden' (1, +1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter eingefuegten +Verse heisst: phron/e/sis est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch +griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der 'Casina' (3, 6, 9): +pragmata moi parecheis - Dabo mega kakon, ut opinor; ebenso griechische +Wortspiele, zum Beispiel in 'Die beiden Bacchis' (240): opus est +chryso Chrysalo; wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von +Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro +ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen +wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im 'Bramarbas' (213): euge! +euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! Ei die Tenuere! Holla, +seht mir den Farceur da, den Akteur! ^2 Eines dieser im Namen des +Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: Dioskuren, o hoert, +ihr freudigen Tummler der Rosse! Knaben des Zeus, o hoert, Spartas +tyndarische Herrn! Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche +Gabe, Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. +---------------------------------------------------------- Unter dem +Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische Unterricht. +Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der +elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich +zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den +Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem +Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die +Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht +sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in +sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche +aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss +aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. +Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und +geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in +einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn +gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter +den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der +Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach +Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch +mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck; +und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht +griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder +Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche +Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich +in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der +Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien +unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten +Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische +Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die +klassische Literatur, namentlich die 'Ilias' und mehr noch die 'Odyssee' +zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze hellenischer Kunst und +Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker +da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des Unterrichts ergab +es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein hoeherer +Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende +allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass +die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den +Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen +Tragoedien und die Lustspiele Menanders. In aehnlicher Weise gewann auch +der lateinische Unterricht ein groesseres Schwergewicht. Man fing an, +in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu empfinden, die +Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch +wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; +und auch hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die +Griechen. Die oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, +wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den +Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Haende von +Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen +oder Halbgriechen ^3; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das +lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen +nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit +tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den +lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer +die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete +Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal +gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man +dem Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders +zu genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, +welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf +den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage +in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die +lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor. +--------------------------------------------- ^3 Ein solcher war zum +Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer +fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20). +--------------------------------------------- Aber leider fehlte es +zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und +schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine +lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war +in Rom nicht vorhanden. Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der +roemischen Volkslustbarkeit ist frueher dargestellt worden. Laengst +spielte bei denselben die Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen +waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch +durchgaengig nur einmal, am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage +wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden +diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel; +die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, +waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich +nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten +standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent +des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu +Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in +Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; +dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres +Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen +Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim; +allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom +Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den +Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war; +und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem +Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe +und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches +Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man +wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. Auf diesen +Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war +damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht +auf der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die +Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem +die roemische Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das +Gemeingefuehl und das Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von +ihr erdrueckt und musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der +Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. +Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die +hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, +stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum +steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf +griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch +roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst +gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den +aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher, +und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide +Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch +antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war +dem Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags +ein Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in +dem roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen +Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und +keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche +Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig +exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer das +Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die +wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil +sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen +und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber +gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das +ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der +erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen +Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich +belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar +politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie +der Maitre de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im +engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben. +Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere +Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 +bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius +Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den +anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers +von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein +Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils +der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen +er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermoegender +Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so +aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich +seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung +des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des +Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und +Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im +Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging +hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er +die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem +lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu +Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste roemische Schulbuch seinen +Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler +schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst, +sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie +oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch +wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen +Buehnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), +ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, dass das erste +Schauspiel auf der roemischen Buehne aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung +eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie in roemischer Sprache und +von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war geschichtlich ein +Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die +Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als +Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um +so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene +Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes +schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original +sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung +hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwuelstig, die +Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was die alten +Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule +abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand +nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend +fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur +und buergerten die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur +hinsichtlich der Dramen geschah und die Livische 'Odyssee' vielmehr in +dem nationalen saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund +offenbar, dass die Jamben und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie +weit leichter sich im Lateinischen nachbilden liessen als die epischen +Daktylen. -------------------------------------------------------- ^4 +Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des +Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. ^5 In +einem der Trauerspiele des Livius hiess es: quem ego nefrendem alui +lacteam immulgens opem. Milchfuell' ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt' +ich ihn. Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) O?d' ara Kirk/e/n ex Aide/o/ +elthontes el/e/thomen, alla mal' '/o/ka /e/lth' entynamen/e/. ama +d? amphipoloi pheron ayt/e/ siton kai krea polla kai aithopa oinon +erythron. aber verborgen Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern +gar hurtig Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun +Brot ihr und Fleisch in Fuell' und den tiefrot funkelnden Wein her. +werden also verdolmetscht: topper citi ad aedis - venimus Circae: simul +duona coram (?) - portant ad navis. milia alia in isdem - inserinuntur. +In Eil' geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. Zugleich vor uns die +Gueter - bringt man zu den Schiffen Auch wurden aufgeladen - tausend +andere Dinge. Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als +die Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum +Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch +laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von aidoioisin ed/o/ka +(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist +auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe +der Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden +Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er +gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht +eigentlich Muttersprache gewesen sein kann. +---------------------------------------------- Indes diese Vorstufe der +literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. Die Livischen Epen +und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht, +gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser +Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden +Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine +lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich +ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen. +Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das +Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein +stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; +in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der +jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen +Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit +Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte +oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die +Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt +dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer +die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund +(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der +Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss +abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich +mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen +frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze +beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht +geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward, +den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte. +--------------------------------------------- ^6 Zwar wurde schon +575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am Flaminischen +Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom, +S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. ^7 Noch +599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga +zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. +O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig +1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen +Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes +Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. +E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle mitgebracht +oder sich auf den Boden gesetzt haben. +--------------------------------------------- Das Publikum war nichts +weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Staende sich nicht +von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter der Stadt +scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei +denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, +wurden zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem +Buerger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, +und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen +sein, als wie man sie heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und +Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es denn auch nicht allzu +ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier +und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die +Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag +und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute +zu wirken. ---------------------------------------------- ^8 Frauen und +Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen worden +zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp. +12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von +Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, +Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, +abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben +den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet. +Aug. 44). ---------------------------------------------- Durch +die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die +Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten +kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal +in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. +Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; +der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der "Schreiber", der +Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der +an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch +vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste Weise +zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich hielten +sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der Direktor +der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel +zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre +Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt +werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein +Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem +Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern +ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das +Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von +Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in +Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie +bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein +einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen +Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der +Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische +Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch +sich entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die +attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im +ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man +nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu +entfalten vermocht hat. ---------------------------------------------- +^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine +Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. +229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, +nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen +der Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber +Preisgerichte und Preise ist entscheidend. Dass an jedem Tage nur ein +Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die Zuschauer am Beginn des +Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende nach Hause gehen +(Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben Stellen +zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur Mittagszeit +wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer Rechnung +etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches +Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. +Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer +"ganze Tage" im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer +spaeteren Zeit. ---------------------------------------------- In +der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie +ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des +gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass +diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, +aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass +unter den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein +Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen +I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den Stuecken, +welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und damit +fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der neueren +attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter Philemon +von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen +(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische +Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig +geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen. +------------------------------------------ ^10 Die sparsame Benutzung +der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt geschichtlich nicht +in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte menandrische +Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede Spur. +Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon, +heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber +auch die neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht +abzusehen, warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf +diese naechstliegenden Dichter, vielmehr auf Rinthon und die +aelteren zurueckgegriffen haben sollten. +------------------------------------------ Die Stuecke sind von +ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie sich darum, +einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch des +Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und +sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck +geht regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte +Bediente, der die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei +liefert, waehrend der Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert, +ist das eigentliche Triebrad des Stueckes. Es ist kein Mangel +an obligaten Betrachtungen ueber Freude und Leid der Liebe, an +traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor Herzenspein sich +ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die Verliebtheit +war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch der +Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander +unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und +Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen +pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das +Maedchen selbst als die abhanden gekommene Tochter eines reichen Mannes, +demnach als eine in jeder Hinsicht gute Partie. Neben diesen liebes- +finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum Beispiel unter den +Plautinischen Komoedien der 'Strick' sich um Schiffbruch und +Asylrecht bewegt, das 'Dreitalerstueck' und 'Die Gefangenen' gar keine +Maedchenintrige enthalten, sondern die edelmuetige Aufopferung des +Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den Herrn schildern. Personen +und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer Tapete bis ins +einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den Apartes +ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit +irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden +Masken, deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, +sieben Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, +der Dichter nur auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die +schablonenartige Behandlung. Eine solche Komoedie musste wohl das +lyrische Element in der aelteren, den Chor, wegwerfen und sich von Haus +aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation beschraenken - mangelte ihr +doch nicht bloss das politische Element, sondern ueberhaupt jede +wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine grossartige +und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch +verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der +Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere +Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die groessere +innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche Verschlungenheit +der Fabel unterschied, als besonders durch die Ausfuehrung im Detail, +wobei namentlich die fein zugespitzte Konversation der Triumph des +Dichters und das Entzuecken des Publikums war. Verwirrungen und +Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, oft +zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel +die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut +aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren +und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser Zeit in +Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden Unterhaltungstoffe +hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien aus. Die Dichter +derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes fuer eine grosse +Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie andere geistreiche +und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, in Rebusraten und +Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch kein Bild +ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung +derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst +daran erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen +von Alexander und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso +elegantes wie treues Bild der gebildeten attischen Gesellschaft, +aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals heraustritt. Noch in dem +getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir sie hauptsaechlich kennen, +ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt und namentlich +in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, dem +Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und +selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als +in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die +freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann +und Frau, Herrn und Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen +Krisen sind so allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre +Wirkung nicht verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der +'Stichus' schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und +der Eintracht der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner +Art von unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die +eleganten Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz +und im bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser +noch auf der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die +Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie +deren eine im 'Curculio' auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter +Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen +Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig +besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge +und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige +gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme +Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen +den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen +zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und +da begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die +Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister, +der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das +impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr zahlreichen +Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der Spassmacher +(parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des Reichen +mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen, +auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat +- es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es +auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus +seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte +Rollen sind ferner der Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu +renommieren versteht, sondern auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; +der freche, zu jedem Laster sich mit Vergnuegen bekennende Bordellwirt, +wovon der Ballio im 'Luegenbold' ein Musterexemplar ist; der +militaerische Bramarbas, in dem die Landsknechtwirtschaft +der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der gewerbsmaessige +Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der +feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen +mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der +Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie. +Die nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten +Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die +Seelenmalerei ist hier doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich +nachempfunden und um so mehr, je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft +poetischen naehert - es ist bezeichnend, dass in den eben angefuehrten +Charakterrollen die psychologische Wahrheit grossenteils durch die +abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der Geizige hier die +Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als verschwendetes +Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und +ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren +Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten +Nation. Das spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, +Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, +Poesie, Historie und Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener +nichts uebrig geblieben, als die Schule, der Fischmarkt und das Bordell +- es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, wenn die Poesie, die die +menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt ist, aus einem solchen Leben +nichts weiter machen konnte, als was das Menandrische Lustspiel uns +darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die Poesie dieser Zeit, wo +immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen den Ruecken zu +wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu verfallen, +sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest +des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus' +'Amphitryon' weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als +in allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die +gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus +der Heroenwelt, die possierlich feigen Sklaven machen zueinander den +wundervollsten Gegensatz und nach dem drolligen Verlauf der Handlung die +Geburt des Goettersohnes unter Donner und Blitz eine beinahe grossartige +Schlusswirkung. Diese Aufgabe der Mythenironisierung war aber auch +verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, verglichen mit der des +gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden Lustspiels. Eine +besondere Anklage darf vom geschichtlich- sittlichen Standpunkt aus +gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein +individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner +Epoche steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem +Volksleben waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um +den Einfluss dieser Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu +beurteilen, notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener +Feinheit und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche +zwar Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen +Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die +grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der +Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie +Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der +eigene Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit +einer gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche +Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke staffiert +sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige +Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit zugedeckt. Es +gibt Stuecke, wie die Plautinische 'Dreitalerkomoedie' und mehrere +Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven hinab eine +Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von ehrlichen +Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend womoeglich, +von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden Liebhabern; moralische +Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind gemein wie +die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in 'Die beiden +Bacchis' ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter zu +guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine +voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis. Auf diesen Grundlagen und aus +diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. Originalitaet ward +bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern wahrscheinlich +zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der +betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die +uns bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als +Nachbildung eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert +zum vollstaendigen Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und +Verfassers mit genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die +"Neuheit" eines Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob +dasselbe schon frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt +nicht etwa bloss haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende +Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach +benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist +und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. +Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch +der ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische +Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer +vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch +"Auslaender" (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male +vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal +die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten +Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung, +wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse und +sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne Zweifel +durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die Verlegung +solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die neuattische +Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen Epoche +wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte +gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig +von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat +abhingen, und selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel +die Leichenspiele, nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da +ferner die roemische Polizei ueberall nicht und am wenigsten mit den +Komoedianten Umstaende zu machen gewohnt war, so ergibt es sich von +selbst, weshalb diese Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen +Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die +Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland verbannt blieb. Noch +viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend +oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf +die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und +nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht +zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den +bei dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen +Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen +abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende Hohn auf +die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und merkwuerdigerweise +verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das schlechte +Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den Plautinischen +Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der +Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu +den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher, +gegen Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu +haeufigen Triumphe, gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter +Geldbussen, gegen pfaendende Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der +Oelhaendler, ein einziges Mal - im 'Curculio' - eine an die +Parabasen der aelteren attischen Komoedie erinnernde, uebrigens wenig +verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben auf dem roemischen +Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal patriotischen +Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: Doch bin ich nicht +naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, Da die Obrigkeit da ist, die +sich hat zu kuemmern drum? und im ganzen genommen ist kaum ein +politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als das roemische des sechsten +Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein +der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn +er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so sind +doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von +Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter +anderm sich heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen +zu verhoehnen, sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu +richten, deren Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: Jenen +selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, Dessen Taten +lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, Den hat nach +Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. Wie in den +Worten: Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, so mag er +oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, wie +zum Beispiel: Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch +ruiniert? worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet +ward, zum Beispiel: Es taten neue Redner sich, einfaeltige +junge Menschen auf. +----------------------------------------------------------------- ^11 +Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich +ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner +(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern +tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der +pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher +damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten +natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment +fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). ^12 So schliesst der Prolog der +Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die hier stehen moegen als die +einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen Krieges in der auf +uns gekommenen Literatur: Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und +siegt Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. Bewahret eure +Verbuendeten alten und neuen Bunds, Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten +Schluss gemaess, Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und +Lob, Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. Die vierte Zeile +(augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den saeumigen +latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen (Liv. +29, 15; oben 2, 175). ^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit +der Annahme von Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein. +Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung +beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien, +welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 192), +zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus den +Erwaehnungen des Bacchusfestes in der 'Casina' und einigen anderen +Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und +besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit +geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien +zu reden. ------------------------------------------------- Allein +die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die +Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch +nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in +den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien +oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, +wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch +sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich +an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius +der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt, +was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung +Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung +eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen +Farblosigkeit entstand. Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng +und peinlich gezogenen Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht +mit Unrecht mochte Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der +Lagiden und Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom, +beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich +bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und +das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen +Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen +Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele +denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst +wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen +im hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die +Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten, +und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische +Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene +auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von +dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut und +Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere. Die +Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein Stueck +Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen, oder +der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern die +roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen +gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele +in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des +pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum +solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug. +Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber +und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die +Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische +Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und +originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die +Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und +sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen +der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus +sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der +Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender Vorliebe +und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel dazu darin, +dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem roemischen +Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen Spassmacher zu +halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu setzen noetig +fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten +attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht +brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens +stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche +Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche +Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die Esspartien blieben +freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr zahlreich, aber +ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und die +raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische +Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der +griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so +grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine +verlorene Spur. ------------------------------------------- ^14 Etwas +anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem 'Maedel von Tarent' nicht +bedeuten: Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, Dass das kein +Koenig irgend anzufechten wagt - Wie viel besser als hier der Freie +hat's darin der Knecht! ^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum +dachte, kann man zum Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) +sehen: Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: Der Name; in +allem andern ist nicht schlechter als Der freie Mann der Sklave, +welcher brav sich fuehrt. ----------------------------------------- Die +Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf +ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte +sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und +Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition +sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals +herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen Lustspielen +desselben oder auch eines anderen Dichters wieder einzustuecken; was +freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition der Originale und +ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so arg war, wie es +scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren Zeit sich +die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. Die +Handlung des sonst so vortrefflichen 'Stichus' (aufgefuehrt 554 200) +besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen +moechte, sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die +Penelopen spielen, bis die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als +Praesent fuer den Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder +nach Hause kommen. In der 'Casina', die bei dem Publikum ganz besonders +Glueck machte, kommt die Braut, von der das Stueck heisst und um die es +sich dreht, gar nicht zum Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv +als "spaeter drinnen vor sich gehend" vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt +wird sehr oft die Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein +angesponnener Faden fallengelassen und was dergleichen Zeichen einer +unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich weit +weniger in der Ungeschicklichkeit der roemischen Bearbeiter zu suchen +als in der Gleichgueltigkeit des roemischen Publikums gegen die +aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der Geschmack. +In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf +die Komposition gewendet und 'Die Gefangenen' zum Beispiel, der +'Luegenbold', 'Die beiden Bacchis' sind in ihrer Art meisterhaft +gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke mehr +besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die +kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. In der Behandlung +des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen roemischen +Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die +Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die +wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen, +militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam +aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen +Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und Demarchen; in Aetolien +oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den Zuschauer ohne Bedenken +nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine solche klecksartige +Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen Grund ist +eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr spasshaften +Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige Umstimmung +der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung des +Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von +den neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe +beduerfen; Stuecke wie die Plautinische 'Eselskomoedie' werden ihre +unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer +verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen +Motive in einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder +interpoliert oder mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen. +In der unendlichen Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken +der Sklaven schwebenden Peitsche erkennt man deutlich das catonische +Hausregiment, sowie die catonische Opposition gegen die Frauen in dem +nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. Unter den Spaessen eigener +Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die elegante attische +Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich manche +von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16. +---------------------------------------------------- ^16 So ist zum +Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem Plautinischen +'Stichus' der Vater mit seinen Toechtern ueber die Eigenschaften einer +guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob es besser +sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit +einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu +unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist +Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In Menanders 'Halsband' klagt ein +Ehemann dem Freunde seine Not: A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du +weisst Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert Und +die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, Gott weiss es! von +allem Ungemach das aergste uns; Zur Last ist sie all' und jedem, nicht +bloss mir allein, Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, +ich weiss, So ist es. In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius +ist aus diesem, in seiner grossen Einfachheit eleganten Gespraech der +folgende Flegeldialog geworden: B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? +- A: Ei schweig davon! - B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. +Komm' ich etwa dir Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie +mir Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie's +schon; Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst. +------------------------------------------------- Was dagegen die +metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der geschmeidige und +klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen Trimeter, +die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen Konversationston +allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr haeufig +durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so +wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der +Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben +wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums, +dem der praechtige Vollklang der Langverse auch da gefiel, wo er nicht +hingehoerte. Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den +gleichen Stempel der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums +gegen die aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, +welche schon wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage +auf ein eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit +Maennern besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des +Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in akustischer +Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und Schallmasken. +Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den Dilettantenauffuehrungen +erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch wurden den +Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren +sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel +kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern +abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung +der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme +ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst +unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke +durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen +und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes +Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber +ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in +wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte +regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte +keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem +mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere, +das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene +hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen, +und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn +alles, sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird. +---------------------------------------------------- ^17 Selbst als man +steinerne Theater baute, mangelten diesen die Schallgefaesse, wodurch +die griechischen Baumeister die Schauspieler unterstuetzten (Vitr. 5, +5, 8). ---------------------------------------------------- So war das +roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art und +Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt +von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares +Bild; in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das +Original nicht hoch und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften +Gesindels, wie sehr auch die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat +des Inventars antraten, erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, +die feine Charakteristik gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand +nicht mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, sondern die Personen und +Situationen schienen wie ein Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig +gemischt; im Original ein Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein +Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande war, einen griechischen Agon +mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen +und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem +Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem +Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar +Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren, +Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider +die eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich +der herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist +alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische +Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte +in der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen +Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen +vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der +es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn erhaltenen +Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein Urteil +gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und +bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war +des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann +bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen +Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in +gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger +aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und Lustspiel, +zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an ihn an. +Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine ungeheure +Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und kein +Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener +Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und +Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist +Naevius' Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von +aller Affektion und scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam +absichtlich aus dem Wege zu gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen +Hiatus und mancher anderen, spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen +leicht und schoen ^19. Wenn die Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns +die Gottschedische aus rein aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus +am Gaengelbande der Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die +roemische Poesie und traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters +diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine volkstuemliche +Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die Komik. +Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein +Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und +lesende Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der +Kostuemverfertigung, ein Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine +Handlangerei fuer denselben gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis +sich um und der Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus +bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es +tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und +in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch +in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die +seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein +scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere +Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den +griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, +in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine +Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit +hinter sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des +Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und in +seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen ist: +Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, Den Dichter Naevius +klagten - goettliche Camenen; Dieweil, seit er hinunter - zu den +Schatten abschied, Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen +Rede. ------------------------------------------------- ^18 Die +Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten +Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 +(235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben +(Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie +gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, +60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des +Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die +Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama +geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) +setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen +Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und +vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische Herkunft +deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer der +Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht +roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen +latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass ihn +die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler war er +auf keinen Fall, da er im Heere diente. ^19 Man vergleiche zum +Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus Naevius' Trauerspiel +'Lycurgus': Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, Sogleich zum +laubesreichen Platze macht euch auf, Wo willig ungepflanzt emporsprosst +das Gebuesch. Oder die beruehmten Worte, die in 'Hektors Abschied' +Hektor zu Priamos sagt: Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem +vielgelobten Mann. und den reizenden Vers aus dem 'Maedel von Tarent': +Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. Zu diesem +nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm. +---------------------------------------------- Und solcher Maenner- und +Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe gegen Hamilkar und +gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und der fuer die +tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade +den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und +volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt +worden, in welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und +wie er, vermutlich dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica +beschloss. Auch hier ging das individuelle Leben ueber dem gemeinen +Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen zugrunde. In der aeusseren +Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint ihm sein +juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254- 184). +weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich +umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen +Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit +gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst +hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer Lustspiele, +ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein und +wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu +machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in +Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen sind, +zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, so +gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging +spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die +Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig +solcher "plautinischer Stuecke", von denen indes auf jeden Fall ein +grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der +Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die +poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr +schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. +Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug, +dass sie der Polizei wie dem Publikum gegenueber untertaenig und +untergeordnet dastand, dass sie gegen die aesthetischen Anforderungen +sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum und diesem zuliebe +die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind Vorwuerfe, +die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen +Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich +gelten die meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen +Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation buehnengerecht zu +gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und oft vortreffliche +Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische Lustigkeit, die +in gluecklichen Spaessen, in einem reichen Schimpfwoerterlexikon, in +launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen Schilderungen und +Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in denen man +den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der +Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als +selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer +zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein +es wird dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische +Volkspoet und der rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und +geblieben, ja noch nach dem Untergang der roemischen Welt das +Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen ist. +------------------------------------------------ ^20 Diese Annahme +scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der Art, wie +die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen +Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller +des roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche +Ungewissheit ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht +wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen besteht die +merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare. +------------------------------------------------- Noch weit weniger +vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und letzten +- denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg +- namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu +gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus +gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter +den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, +spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung griechischer Komoedien +fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich fruehen Tode (586 168). +Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei seiner Herkunft begreiflich; +dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt ward, um strengere +Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur schwer +Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz +den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen +Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter +den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die +erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu beruhen, +dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten +poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den Vorzug gibt. +Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur deshalb unter ihre +Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus und kraeftiger als +Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit geringer als beide +gewesen sein kann. Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung +des sehr achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem +reinen Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende +noch eine kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das +geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem +haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde +liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau +der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber +war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis +schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des +Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit +wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe +usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen +und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen +Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit +und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt +roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche empfunden. +Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen 'Gefangenen': Dieses +Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: Nicht +wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, Keine +Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; Nicht kauft drin der +Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. Selten nur ersinnt ein +Dichter solcherlei Komoedien, Die die Guten besser machen. Wenn drum +euch dies Stueck gefiel, Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies +das Zeichen sein: Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns +unserm Spiel. Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform +ueber das griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt +werden, dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen, +die Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld +gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele +der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander +an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen +Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm +sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, muesse +man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen +Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; +wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen +Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. +Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer +diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete. +Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch +nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu errichten. Es war mehr eine +Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, dass man das hellenisierende +Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der Personen und +Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie +wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette +walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen +selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie +ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so +vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem +Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die politische Halbheit +und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei hat zu der furchtbar +raschen Aufloesung der roemischen Nation das Ihrige beigetragen. Wenn +indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete, +die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger +auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines +lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn +die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der +latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, +seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in den italischen +Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der Tat entstand auf +diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula togata ^21; der +nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, Titinius, bluehte +wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese Komoedie ruhte +auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war nicht +Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in +Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande, +in der Toga. Hier waltet das latinische Leben und Treiben in +eigentuemlicher Frische. Die Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen +Leben der Mittelstaedte Latiums, wie schon die Titel zeigen: 'Die +Harfenistin oder das Maedchen von Ferentinum', 'Die Floetenblaeserin', +'Die Juristin', 'Die Walker', und manche einzelne Situationen noch +weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine +Schuhe nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In +auffallender Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck +^23. Mit echt nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit +des Pyrrhischen Krieges und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn, +Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht. +------------------------------------------ ^21 Togatus bezeichnet in der +juristischen und ueberhaupt in der technischen Sprache den Italiker im +Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch zu dem roemischen +Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21; +50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die +nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder +Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius +vorkommt und nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch +wieder verschwindet, bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer +rechtlichen Stellung, insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum +Jahre 705 (49) die grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht +besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die +er neben den Roemern nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben. +Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu +erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in +Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das +Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die +Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt. +Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts +spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres +Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum, +Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg +latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch +die Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den +Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das +Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen +Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu fern +lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat verschwunden +zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden Italiens, +wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die fabula +Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. ^22 Ueber Titinius +fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach einem +Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595 +196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) - +denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden +koennen und, wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die +zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste +(Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht gerade der aelteste der +juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als der juengste der aelteren. +^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs +nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus), +neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna, +psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?), +von denen zwei, die 'Juristin' und die 'Floetenblaeserin' offenbar +Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet +die Frauenwelt vor. ---------------------------------------- Der +hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das +griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen +Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht +haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro +hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher +Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von +der attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das +Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit +gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht +mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische +Nationallustspiel. Wie das griechische Lustspiel kam auch das +griechische Trauerspiel im Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war +ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb +als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, das griechische, +namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits +mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der +empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der +heroischen Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das +Trauerspiel, nur minder schroff und minder gemein, die antinationale +und hellenisierende Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten +Wichtigkeit war, dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit +vorwiegend von Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen +merkwuerdigen Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit- +und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber +die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und der +griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass +es unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu +skizzieren. Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie +zwar auf eine hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei +weitem mehr das richtige Gefuehl dessen, was sein sollte, als die +Macht offenbaren, dies poetisch zu erschaffen. Das tiefe Wort, welches +sittlich wie poetisch die Summe aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden +ist, gilt freilich auch fuer die antike Tragoedie; den handelnden +Menschen stellt sie dar, aber eigentliche Individualisierung ist ihr +fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der Kampf des Menschen und +des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf, +dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das +wesenhafte Menschliche ist im 'Prometheus' und 'Agamemnon' nur leicht +angehaucht von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl +die Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den +Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner +Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten +zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das +hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die +Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer +hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, +gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene +Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen +darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem +Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat +die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen +vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch +welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen +ins Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie +des Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel +unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert +feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das +frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt, +sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt +der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen +gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging +mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab und +seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen +sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch +hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit +gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach +allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit einerseits der +grossartigsten geschichtlichen und philosophischen Bewegung, anderseits +der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen und schlichten +Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit der aelteren +Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels +ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der +aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so +erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation +so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken +wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche +Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich +despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. +Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus +diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also +der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen +Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im +ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele +gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu +gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer +Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche +Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine +Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht +eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, +und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles +aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu +verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in +der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen +besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen +mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der +willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden +Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen +sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit; aber sie sind weder +kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes' Vorwurf, dass der +Dichter keine Penelope zu schildern vermoege, vollkommen begruendet. +Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen Mitleids in die +Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten Heroen, wie der +Menelaos in der 'Helena', die Andromache, die Elektra als arme +Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, widerwaertig oder +laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen +dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen +Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende +Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie +uebergehen, wie die 'Iphigenie in Aulis', der 'Ion', die 'Alkestis' +vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste +Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter das +Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die verwickelte +Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere Tragoedie +das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen; +dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu +unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im +Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin +vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar +menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht. +Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als +sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem +Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der unbefangene +Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist in den +Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch die +tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen einzutreten +und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge +fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen +zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und philosophischen +Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der neuen, die alte +attische Volkstuemlichkeit aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet. +Hierauf beruht wie die Opposition, auf die der ungoettliche und +unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, so auch der +wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und das +Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der +Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische +Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach +also zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch +nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt +und gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte +sittlich wie poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung +wirkt nun einmal geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten +Wertes, sondern in dem Masse, wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen +vermag, und in dieser Hinsicht ist Euripides unuebertroffen. So ist es +denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig las, dass Aristoteles den +Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn entwickelte, dass +die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm gleichsam +hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides +ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns +entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, +sondern der Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das +alte Hellas dem neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss +mehr und mehr stieg und das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie +in Rom, unmittelbar oder mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt +ward. Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten +Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer +mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die +tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden +als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten +der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des +Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist, +als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der +Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien +nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art +moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig +erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus +juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke +schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den +Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden. +Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als +die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, +die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire +ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke +hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und +den unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar +weil dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den +Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die sinnlich- +grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den 'Eumeniden', im +'Alkmaeon', im 'Kresphontes', in der 'Melanippe', in der 'Medeia', die +Jungfrauenopfer in der 'Polyxena', den 'Erechthiden', der 'Andromeda', +der 'Iphigeneia' - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass +das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. +Frauen- und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu +haben. Die bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung +von dem Original betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor. +Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische chorlose Spiel +eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz (orchestra) mit +dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor sich bewegte, oder +vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art Parkett; danach +muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und der +Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der +Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen +fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen +und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen Bearbeitung der +Euripideischen 'Iphigeneia' zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster +einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, +aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem +Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts +freilich nicht genannt werden ^24, doch gab wahrscheinlich ein +Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen Original ein weit minder +getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von dem des Menander. +Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in +Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig; +und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, +in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher +auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser Zeit und +ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener die +antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur Schau. +Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der einflussreichste +Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, sondern +von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer +Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom +ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in +beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen +und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den +Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio, +Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt waren, den modernen +Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen, der ihr eigenes und +ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von ihnen, gewissermassen +als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten bestellter Hofpoet, +ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer einen solchen +Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus +aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, +die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische, +ja sogar die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich +zu eigen zu geben; und wenn bei den frueheren roemischen Poeten +der Hellenismus mehr folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit +hervorgegangen als ihr deutliches Ziel gewesen war, und sie darum +auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, sich auf einen +volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner +revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet +sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den +Italikern energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug +war die Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das +gesamte tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos +und Sophokles sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, +dass er bei weitem die meisten und darunter alle seiner gefeierten +Stuecke dem Euripides nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung +bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht +dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so entschieden den +Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte +als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche +akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den 'Thyestes' und den aus +Aristophanes' unsterblichem Spott so wohlbekannten 'Telephos' und deren +Prinzenjammer und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie 'Menalippe +die Philosophin', wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der +Volksreligion dreht und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen +Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den +Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten +Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende +ist: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt' ich sonst und sag' ich noch; +Doch sie kuemmern keinesweges, mein' ich, sich um der Menschen Los, +Sonst ging's gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so. +wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. +Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet +wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm +mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die +hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition +^27, die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die +Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie, +des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen +Hexameter. Dass der "vielgestaltige" Poet alle diese Aufgaben mit +gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch +angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss +der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten +Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr +griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst, +verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische +Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres +Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die +freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu +fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den +Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht, +"in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen", und die +Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert: Heil Dichter +Ennius! welcher du den Sterblichen Das Feuerlied kredenzest aus +der tiefen Brust. +------------------------------------------------------------------------ +^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und +der Ennianischen 'Medeia': Eith' /o/phel' Argo?s diaspasthai skaphos +Kolch/o/n es aian kyaneas Sypl/e/gadas + +M/e/d' ten napaisi P/e/lioy pesein pote Utinam ne in nemore Pelio +securibus Tm/e/theisa pe?k/e/, m/e/d' eretm/o/sai cheras Caesa +accidisset abiegna ad terram trabes, Neve inde navis inchoandae +exordium Coepisset, quae nunc nominatur nomine Andr/o/n arist/o/n, oi +to pagchryson theros Argo, quia Argivi in ea dilecti viri Vecti petebant +pellem inauratam arietis Pelia met/e/lthon. Oy gar an despoin em/e/ +Colchis, imperio regis Peliae, per dolum. M/e/deia p?rgoys g/e/s epleysa +I/o/lkias Nam nunquam era errans mea domo efferret pedem Er/o/ti thymon +ekplageis' Iasonos. Medea, animo aegra, amore saevo saucia. + +Nie durch die schwarzen Symplegaden haette hin Fliegen gesollt ins +Kolcherland der Argo Schiff, Noch stuerzen in des Pelion O waer' im +Pelionhaine von den Waldesschlucht jemals Beilen nie Gefaellt die +Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt sie die Hand der +Tannenstamm Und haette damit der Angriff angefangen nie Zum Beginn des +Schiffes, das man jetzt mit Namen nennt + + +Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos dem Pelias +auserlesne Schar, Von Kolchi nach Gebot des Koenigs Pelias Zu holen +gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes waere mir +Widdervliess! Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den +Fuss mir dann Herrin setzte nie, Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, +krank im Herzen, wund von hinweggeschifft. Liebespein. + +Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht +bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung +oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der +Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche Missverstaendnisse +des Originals aber sind bei Ennius selten. ^25 Ohne Zweifel mit Recht +galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters die Stelle im +siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich +ruft, mit welchem er gern und Oftmals Tisch und Gespraech und seiner +Geschaefte Eroertrung Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen +Dingen, Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch +Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; Welchem das Gross' +und das Klein' und den Scherz auch er mitteilen Durft' und alles +zugleich, was gut und was uebel man redet, Schuetten ihm aus, wenn er +mocht', und anvertrauen ihm sorglos; Welcher geteilt mit ihm viel Freud' +im Hause und draussen; Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder +aus Bosheit Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben, +Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, Redend zur +richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, Im Verkehre +bequem und bewandert verschollener Dinge, Denn ihn lehrten die Jahre die +Sitten der Zeit und der Vorzeit, Von vielfaeltigen Sachen der Goetter +und Menschen Gesetz auch, Und ein Gespraech zu berichten verstand er +sowie zu verschweigen. In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben +multarum rerum leges divumque hominumque. ^26 Vgl. 2, 393. Aus der +Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. 956), dass er ein +Mann sei, Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt Im besten Fall; +und trifft er's nicht, es geht ihm hin. hat der lateinische Uebersetzer +folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller gemacht: Sterneguckerzeichen +sucht er auf am Himmel, passt, ob wo Jovis Zieg' oder Krebs ihm +aufgeh' oder einer Bestie Licht. Nicht vor seine Fuesse schaut man und +durchforscht den Himmelsraum. ^27 Im 'Telephus' heisst es: Palam mutire +plebeis piaculum est. Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort. +^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren +der Bearbeitung des Euripideischen 'Phoenix' an: Doch dem Mann mit +Mute maechtig ziemt's zu wirken in der Welt Und den Schuldigen zu laden +tapfer vor den Richterstuhl. Das ist Freiheit, wo im Busen rein und +fest wem schlaegt das Herz; Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt +die frevelhafte Tat. In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten +Gedichte einverleibten 'Scipio' standen die malerischen Zeilen: -- +munduscaeli vastus constitit silentio; Et Neptunus saevus undis asperis +pausam dedit, Sol equis iter repressit ungulis volantibus, Constitere +amnes perennes, arbores vento vacant. [Iovis winkt';] es ging ein +Schweigen durch des Himmels weiten Raum. Rasten hiess die Meereswogen +streng die grollenden Neptun, Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck +der Sonnengott, Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht +der Wind. Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie +der Dichter seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine +Ausfuehrung der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen +Tragoedie 'Hektors Loesung' ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem +Skamander Zuschauender spricht: Constitit Credo Scamander, arbores vento +vacant. Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der +Wind. und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. ^29 +So heisst es im 'Phoenix': - - stultust, qui cupita cupiens cupienter +cupit. Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, und es +ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch +akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111). +---------------------------------------------------- Der geistreiche +Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das griechische +Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen Nation. +Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer +Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss +gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische +Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch +ein ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu +schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er +brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der gleichzeitigen +Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine +'Erziehung des Romulus und Remus' oder der 'Wolf', worin der Koenig +Amulius von Alba auftrat, und sein 'Clastidium', worin der Sieg des +Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem Vorgang +hat auch Ennius in der 'Ambrakia' die Belagerung der Stadt durch seinen +Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung geschildert. +Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die Gattung +verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die farblose +Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf die +Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben +wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in +Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige +Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen +Nationalschauspiels war. Nur die griechischen Tragoedien der aeltesten, +den Goettern noch sich naeher fuehlenden Zeit, nur Dichter wie +Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, die von ihnen +miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen der Sagenzeit auf +die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig entgegentritt, +was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es hier, +wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber +geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte, +auf der man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war. +Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius +buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation +vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom +wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da +die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward +dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst +der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind +auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art +als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die +rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit +der szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der +Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein +eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in +sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach +vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie. +Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit +allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert +halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche +das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen +Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, +tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura +auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem alten, seit Livius +durch das griechische Drama von der Buehne verdraengten handlungslosen +Buehnengedicht zukam, nun aber in der rezitativen Poesie einigermassen +unseren "vermischten Gedichten" entspricht und gleich diesen nicht +eigentlich eine positive Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern +nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem, +meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter +noch zu erwaehnendem 'Gedicht von den Sitten', welches vermutlich, +anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie, +in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders +die kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr +fruchtbare Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert +veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen +Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen +Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden +naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von Gela, +eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen +dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von +Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe +Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die +didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, +wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess. +---------------------------------------- ^30 Ausser Cato werden noch +aus dieser Zeit zwei "Konsulare und Poeten" genannt (Suet. vita Ter. 4): +Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und Marcus Popillius, Konsul 581 (173). +Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre Gedichte auch +publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein. +---------------------------------------- Groessere dichterische +wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in Anspruch, die +Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der +dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen +Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich +den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie +die Dinge waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und +ohne irgendwie, namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, +auf poetische Hebung oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der +gegenwaertigen Zeit berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen +Nationalversmass heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit +wesentlich dasselbe, was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters +gesagt ward. Die epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die +tragische voellig und wesentlich in der heroischen Zeit; es war +ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert +grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu +durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik +nicht viel mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten +mittelalterlichen Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund +der Dichter sein ganz besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke. +Es war nichts Kleines in einer Zeit, wo es eine historische Literatur +ausser den offiziellen Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab, +seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und der Vorzeit einen +zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die grossartigsten +Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben. +------------------------------------------------------- ^31 Den Ton +werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: Freundlich +und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas Von Troia schied. spaeter: +Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig Amulius, dankt den +Goettern - aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist: +Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, Das wuerde Schmach +dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. bezueglich auf die Landung in +Malta im Jahre 498 (256): Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar +die Insel Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte. +endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: Bedungen +wird es auch durch - Gaben des Lutatius Zu suehnen; er bedingt noch, - +dass sie viel Gefangne Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln +geben. -------------------------------------------------------- +Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die +Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen +Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so +greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine +neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des +hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, +die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende +Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht, +wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der +bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung des Patroklos +geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern fechtenden +Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als der Homerische +Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse wird dem Leser +erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; nach der +Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat +den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher +Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die +neologische und hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die +'Jahrbuecher' keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der +Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht, +womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, +dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros +und noch frueher in einem Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut +naturphilosophisch das Wesen der Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers +zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst die Wahl des Stoffes dient den +gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen Literaten aller +Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre griechisch- +kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen +Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer Griechen ja +immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. Der poetische Wert der +vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren Bemerkungen ueber die +Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht abzumessen. +Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege dem +italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet +sich gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft +gluecklich traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit +und Ehrenhaftigkeit aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso +natuerlich wie die Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die +notwendig sehr lose und gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem +Dichter moeglich war, einem sonst verschollenen Helden und Patron +zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren +die 'Jahrbuecher' ohne Frage Ennius' verfehltestes Werk. Der Plan, +eine 'Ilias' zu machen, kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, +welcher mit diesem Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und +Geschichte in die Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den +heutigen Tag als Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in +ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius +gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer +als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr +noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der +roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den +Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen +altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr +ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, +der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, +der Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische +Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle +Parallelisierung der Homerischen 'Ilias' und der Ennianischen +'Jahrbuecher' so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin +und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht +stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders +fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des Dichters +blieben die 'Jahrbuecher' das aelteste roemische Originalgedicht, +welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und lesbar +erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem +durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die +spaetere Zeit das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. Nicht +viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise +entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl +die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne +vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche +Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der strengen +und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese +schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem "Baenkelsaenger" +anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann +getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei +weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige +poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie +fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger +vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, +so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht +senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten +Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, +die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative +und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei +vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier, +und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der +Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und +Form maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. Bis in die Zeit des +Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine Geschichtschreibung nicht; +denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu den Akten, nicht zu +der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede Entwicklung des +Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit +des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen Italiens +ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen +Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch +so fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten +Jahrhunderts das Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der +roemischen Buergerschaft auf schriftstellerischem Wege zur Kunde der +Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun aber dies Beduerfnis endlich +empfunden ward, fehlte es fuer die roemische Geschichte an fertigen +schriftstellerischem Formen und an einem fertigen Lesepublikum; und +grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide zu +erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen +umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der +Muttersprache, aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. +Von den metrischen Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und +Ennius (geschrieben um 581 173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren +zugleich zu der aeltesten historischen Literatur der Roemer, ja die +des Naevius darf als das ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk +angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen +Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines +waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes +aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius +Scipio (+ um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem +gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das +nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen +griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das +weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche +Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete Ausland. +Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die vornehmeren +Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des Grossen neben +der vaterlaendischen Pastoren- und Professorenschriftstellerei eine +aristokratische Literatur in franzoesischer Sprache stand und die +Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und Feldherren +franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen +Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine +eigentliche lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit +Cato, dessen nicht vor dem Schluss dieser Epoche publizierte +'Ursprungsgeschichten' zugleich das aelteste lateinisch geschriebene +Geschichts- und das erste bedeutende prosaische Werk der roemischen +Literatur sind ^33. ----------------------------------------------- +^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen +Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) +ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen +von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen +Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass +unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des +pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes +die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der roemischen +Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus der Zeit des +Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch lateinische Annalen +aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es dahingestellt +bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren Annalisten +Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder ob +von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und +des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei +Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben hat. Das dem Lucius +Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, ebenfalls +griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk aus +augustischer Zeit. ^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert +erst in sein Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung +auch der frueheren Buecher der 'Ursprungsgeschichten' faellt nicht vor, +aber wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, +114). ----------------------------------------------- Alle diese Werke +waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im Gegensatz +zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische +Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder +geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die +Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, +obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den ersten Krieg +mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten betraf; danach +zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der Sagenzeit, der +Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer die +Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser +Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit +zu ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig +unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den +Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, +und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern +nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom +an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn +Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der +gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius oder dem +Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der albanische +Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird zugleich +Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer die +roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, +sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole +Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt +erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher +geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in dem zu +Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein, und die +griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter erst +dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes die +Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen Ursprung +Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz +Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark +im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde +dies die stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der +maechtigen Gemeinde. ----------------------------------------------- ^34 +Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, +dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine +Geschichte pragmatisch zu schreiben. +----------------------------------------------- Von der Ursprungsfabel +abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen Historiographen sich +um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, so dass die +weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus einheimischen +Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen +duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei +Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote +gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus +Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl +noch fremd gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes +in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die +ueberall, selbst bei dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit +hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern +Italiker und Griechen als ein urspruenglich gleiches Volk darzustellen +- hierher gehoeren die aus Griechenland eingewanderten Uritaliker oder +Aboriginer sowie die nach Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger. +--------------------------------------------------- ^35 So ist die +Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten von +Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine +Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten +der Herodotischen Erzaehlung von Kyros' Jugend geschlagen. +--------------------------------- Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in +einem, wenn auch schwach und lose geknuepften Faden, doch einigermassen +zusammenhaengend durch die Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung +der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, und es war nicht +bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den +Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken +eine irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten. +Am meisten empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der +Koenigszeit sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein; +Ennius, der im dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit, +im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten +zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in den allgemeinsten Umrissen +behandelt haben. Wie die griechisch schreibenden Annalisten sich +geholfen haben, wissen wir nicht. Einen eigentuemlichen Weg schlug Cato +ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er selber sagt, "zu berichten, +was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters steht: wie oft der Weizen +teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich verfinstert haetten"; und +so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch seines Geschichtswerkes +fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden +und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er machte +sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr +nach Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; +namentlich hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk +die Vorgaenge "abschnittsweise" erzaehlte. Diese in einem roemischen +Werke auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden +griff teils in die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher +gegen das hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale +Italien stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die +mangelnde Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis +auf den Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis, +die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte. +Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend +behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den +zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den +achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den +Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines +Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus +und in den beiden letzten, wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher +angelegten die Ereignisse aus den letzten zwanzig Lebensjahren des +Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag Ennius den Timaeos oder +andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen aber beruhten +die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von +Augenzeugen, teils einer auf dem andern. Gleichzeitig mit der +historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann die Rede- und +Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der frueheren +Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in spaeterer +Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, +wie zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner +Hannibals, als Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn +gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er +waehrend seiner langen und taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten, +die geschichtlich wichtigen in seinem Alter auf, gewissermassen als +politische Memoiren, und machte sie teils in seinem Geschichtswerk, +teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege dazu, bekannt. Auch +eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. Mit der nichtroemischen +Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine gewisse Kenntnis +derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon von dem +alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern +auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den +Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist +bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung +absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere fuer sich +zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen Taetigkeit +auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. Dass durch diese beginnende +historische Literatur insgesamt eine harmlose Unkritik durchgeht, +versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser nahmen an +inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius +der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und +neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt +nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa +ein Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den +roemischen Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. +Die im Jahre 262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten +verhandeln dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre +nachher (348 406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive +Akrisie hervor in der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach +der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche +festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre +vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den +gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken +erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten +Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die +Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als +kanonisch geltenden Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias +Fall 436; nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der +Gruender Roms der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter +Finanzmann hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf +den Widerspruch aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht +vorgeschlagen zu haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene +Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her. +Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem +gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte +trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen +welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago +von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird. +Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als der Vorwurf. Es ist +einigermassen laecherlich, von den roemischen Zeitgenossen Hannibals +ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; eine bewusste +Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus nicht +von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen +Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. Auch von wissenschaftlicher +Bildung und selbst von dahin einschlagender Schriftstellerei gehoeren +die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige Unterricht hatte sich +wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis des Landrechts +beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der innigen +Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf +und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung +unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die +roemische einigermassen zu modifizieren. +------------------------------------------- ^36 Plautus sagt (Most. 126) +von den Eltern, dass sie die Kinder "lesen und die Rechte und +Gesetze kennen lehren"; und dasselbe zeigt Plut. Cato mai. 20. +------------------------------------------- Vor allen Dingen fing +die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen Grammatik +auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf das +verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr +gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) +scheint ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet +reguliert und dem ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, +487) den Platz des entbehrlich gewordenen z gegeben zu haben, welchen +derselbe noch in den heutigen okzidentalischen Alphabeten behauptet. An +der Feststellung der Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister +fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben +ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten +neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius +hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende +Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, +sondern auch fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der +Doppelkonsonanten die genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. +Von Naevius und Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die +volksmaessigen Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch +in Rom sich so gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen. +--------------------------------------- ^37 So heisst ihm in den +Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, Ceres davon quod +gerit fruges. ---------------------------------------- Rhetorik und +Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede stand +bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als +dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte +Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische "ewig reden lernen und +niemals reden koennen" die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die +griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und +vor allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer +gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem +Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates +unverbluemt einen Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und +den Gesetzen seiner Heimat mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und +wie selbst die der Philosophie geneigten Roemer von ihr dachten, moegen +wohl die Worte des Ennius aussprechen: Philosophieren will ich, doch +kurz und nicht die ganze Philosophie; Gut ist's von ihr nippen, aber +sich in sie versenken schlimm. Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre +und die Anweisung zur Redekunst, die sich unter den Catonischen +Schriften befanden, angesehen werden als die roemische Quintessenz +oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum der griechischen +Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren fuer das +Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen +Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das +Rednerbuch die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, +welche alle Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher +kann man ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von +den Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, +"an die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen" +^38. ----------------------------------------------------- ^38 Rem tene, +verba sequentur. ----------------------------------------------------- +Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch +fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die +Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder +minder unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik +und Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden +Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in Rom. +Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) der +erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich +niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches +Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen +und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen +scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden +Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig +war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung und +daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen +zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte +wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war. +Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um +dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der +eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und +Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. Von der +barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung +behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der +Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491 +(263) fing die griechische Stunde (/o/ra, hora) auch bei den Roemern an +gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine +fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr +aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach richtete. Gegen Ende +dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme Maenner, die sich fuer +mathematische Dinge interessierten. Manius Acilius Glabrio (Konsul 563 +191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein Gesetz zu steuern, +das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen Schaltmonate +einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja uebel +aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand +als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der +griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich +Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders. +Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der nicht bloss die +Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch ausgerechnet +hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der selbst als +astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde deshalb +von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des Scharfsinnes +angestaunt. Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst +die ererbte und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von +selbst und spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen +zur Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt +sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in +den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der +lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann +schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz +unberuecksichtigt geblieben sein. Dagegen gilt dasselbe nur in +untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der +Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der Bescheidung +der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren Zuhoerer; +doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein +traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit +mangelt nicht ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die +Rechtswissenschaft das von Sextus Aelius Paetus, genannt der "Schlaue" +(catus), welcher der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge +dieser seiner gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur +Zensur (560 194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte "dreiteilige +Buch", das heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem +Satze derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten +und unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular +hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der +griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte +die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und +die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an. Im +allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser +Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn +aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen +Saetzen darlegen sollten, was ein "tuechtiger Mann" (vir bonus) als +Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein +Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch +nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und +nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen +ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also damals noch nicht +diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, welche der eigentliche +wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, teils die Musik und der +ganze Kreis der mathematischen und physischen Wissenschaften. Durchaus +sollte in der Wissenschaft das unmittelbar Praktische, aber auch nichts +als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht zusammengefasst werden. +Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, aber nur um aus +der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare Erfahrungssaetze zu +gewinnen - "die griechischen Buecher muss man einsehen, aber nicht +durchstudieren", lautet einer von Catos Weidspruechen. So entstanden +jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die freilich mit der +griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den griechischen +Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die Stellung der +Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten massgebend +geworden sind. So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und +Literatur in Rom ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu +reden: Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt +Der Quiriten hartem Volke sich die Mus' im Kriegsgewand. Auch in den +sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es gleichzeitig +an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in +etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen +Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen +Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig +mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der +roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung begriffen gewesen +ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und die Geschichte +kann hier nur die Luecke bezeichnen. Die roemische Literatur, ueber +die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, wie problematisch ihr +absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt dennoch fuer +denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem Wert +als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem +waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die +italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die +allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige +Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der +Nation durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die +Mangelhaftigkeit der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein +unbefangenes und durch den ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende +unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die roemische Literatur steht neben +der griechischen wie die deutsche Orangerie neben dem sizilischen +Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber nebeneinander sie +auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch entschiedener als +von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache gilt dies von +derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr grossen Teil +ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von Fremdlingen, +von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein sich +erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als +Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht +ein nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat +erweislich das eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des +Dichters ist auslaendisch; schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen +Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht bloss auslaendisch, sondern +sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln behaftet, welche da sich +einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der grosse Haufe das +Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie durch +die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in +poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der +einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und +erst folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst +nach dem Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie +nur am toten Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der +Grammatik und Grundlegung der Literatur, fast wie bei den heutigen +Heidenmissionen, von Haus aus Hand in Hand gegangen sind. In der Tat, +wenn man diese hellenistische Literatur des sechsten Jahrhunderts +unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder eigenen +Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der +flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, +jenen Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu +den Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen. +--------------------------------------- ^39 Vgl. 2, 445: Enni poeta +salve, qui mortalibus Versus propinas flammeos medullitus. Die +Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen po/e/t/e/s statt +poi/e/t/e/s - wie epo/e/sen den attischen Toepfern gelaeufig war - ist +charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser +epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher +in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.). +----------------------------------------- Dennoch wuerde ein solches +Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr einseitig gerecht sein. +Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese gemachte Literatur in +einer Nation emporkam, die nicht bloss keine volkstuemliche Dichtkunst +besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen gelangen konnte. In dem +Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums fremd ist, faellt +die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche +Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet der +Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, +dass ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten +Erzaehlungen von menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese +Grundlage der antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die +Goetterwelt gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die +goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein +Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die +aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf +einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem +Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende +roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich +abzuwehren. Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und +denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung der +Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien beruht +die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der +roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht +ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat +den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein +aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer +eine gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige +Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten +zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken +Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der +wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den Hintergrund und oft +selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem roemischen +Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele zeigen, die +Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen gelaeufig und +von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt waren +^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins +Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung +wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf +schon die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den +Ton gelegt haben, die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und +griechischer Masse in Latium. Wenn "das besiegte Griechenland den rauhen +Sieger durch die Kunst ueberwand", so geschah dies zunaechst dadurch, +dass dem ungefuegen lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene +Dichtersprache abgewonnen ward, dass anstatt der eintoenigen und +gehackten Saturnier der Senar floss und der Hexameter rauschte, dass +die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, die kunstvoll +verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der +Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der +idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen +Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis +tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben nicht innerlich +erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst gedichtet. Man +sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl sich von selber +verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von der Natur in +die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie guenstigen +Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten +latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage +auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen +Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum +ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber +den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur +Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern +einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die +hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser +Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, +den Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter +entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, +ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes +Latium an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten +Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen +Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder +widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre +historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus +laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar nimmermehr +sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen sich +rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen +dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig +vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch +eben formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es +war nicht schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden +von Schulmeistern und Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder +Nachdichtung war; aber wenn die Poesie zunaechst nur eine Bruecke +von Latium nach Hellas schlagen sollte, so waren Livius und +Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und die +Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch +weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die +verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem +Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie der +Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich +betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des +kosmopolitischen Hellenismus wie die 'Ilias' und die 'Odyssee' diejenige +des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die Vertreter +dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen +Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige +Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter +bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten und +den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn +waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen +ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die +Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer +verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des +sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den +sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in +der aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren +reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt, +wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe +man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen +Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als +reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und +sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen +durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. +Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn +es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt +wird, so kann auch den roemischen Dichtern des sechsten Jahrhunderts +Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. Ein frisches und +maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen Weltliteratur, eine +heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu verpflanzen, +durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und flossen in +eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste +dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die +poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; +eher vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei +aller Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der +griechischen Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als +ihre hoeher gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, +in den klingenden Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz +der Poeten dieser Zeit ist mehr als in irgendeiner anderen Epoche der +roemischen Literatur eine imponierende Grandiositaet, und auch wer ueber +die Schwaechen dieser Poesie sich nicht taeuscht, darf das stolze Wort +auf sie anwenden, mit dem sie selber sich gefeiert hat, dass sie +den Sterblichen das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust. +----------------------------------------------------- ^40 Aus dem +troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete Figuren +vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275), +Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum +Beispiel die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von +Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele +(Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. 1247) bekannt gewesen sein. +----------------------------------------------------- Wie die +hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes +ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige +nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger +wollte, als die latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer +lateinisch redenden, aber in Form und Geist hellenischen Poesie +vernichten, so musste eben der beste und reinste Teil der latinischen +Nation mit dem Hellenismus selbst die entsprechende Literatur +gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. Man stand zu Catos +Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr wie in der +Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten den +Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der +Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie +im Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben +Ursachen sind Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum +Gesindel gestellt und die Apostel und Bischoefe von der roemischen +Regierung hingerichtet worden. Natuerlich war es auch hier vor allem +Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die +griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der gefaehrlichste Abschaum +des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit unaussprechlicher +Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man +hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt +und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten +bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer +Erwaegung indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht +geben, sondern auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition +auf diesem Boden mehr als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der +bloss ablehnenden Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer +Zeitgenosse Aulus Postumius Albinus, der durch sein widerliches +Hellenisieren den Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel +schon griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der +Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit +verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht +voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei, Dinge +zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe des +fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und Protektion +singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie es +jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken, +dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen +Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato +selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen +Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen, +die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich elendes +Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der Zeit und +den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition aber gegen +die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato keineswegs sich +schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der Nationalpartei, +dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit begriff, eine +lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die Anregungen des +Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach die +lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht +und der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter +griechischer Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt +werden. Mit einem genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der +einzelnen als von dem Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, +dass fuer Rom bei dem gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung +der einzige Stoff zur Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der +Geschichte lag. Rom war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und +auf dieser gewaltigen Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den +Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und +einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der +lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und +Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem +Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel +zu stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein +antikes Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und +verstaendiger ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar +verloren der Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der +aelteren roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine +didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem +Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen +guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch +die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine +prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies +Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein +Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit +in seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine +'Ursprungsgeschichten', seine aufgezeichneten Staatsreden, seine +fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste +getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts +weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich +in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem +Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes +ist den griechischen "Gruendungsgeschichten" (ktiseis) entlehnt. +Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates +verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. +Seine 'Enzyklopaedie' ist wesentlich das Resultat seines Studiums der +griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische +Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem +Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl +verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er +fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der +wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen, +in ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren +'Ursprungsgeschichten' auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so +ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische +Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der +Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll +sei. ------------------------------------------------ ^41 "Von diesen +Griechen", heisst es bei ihm, "werde ich an seinem Orte sagen, mein Sohn +Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung gebracht habe; und will +es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften einzusehen, nicht sie +durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und unregierliche Rasse - +glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung +herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, wenn es +seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren +umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen, +damit man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen. +Auch uns nennen sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren +Namen der Opiker. Auf die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und +Bann." Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der +im Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz +unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste +Weise dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen. +----------------------------------------------- Werfen wir schliesslich +noch einen Blick auf den Stand der bauenden und bildenden Kuenste, so +macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich weniger in dem +oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den Schluss +dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) +faengt man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine +Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen +gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge +aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem die attischen Gerichts- +und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken nach Rom zu uebertragen. +Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren entsprechende Gebaeude, +die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde von Cato im Jahre 570 (184) +neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch andere sich anschlossen, +bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die Privatlaeden durch +diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. Tiefer aber +griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, welche +spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich +allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und +Gartenhallen (peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere +(tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren +Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im Wohnsaal zur +Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen verwandt +zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert oder doch +benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; "unsere Vorfahren", +sagt Varro, "wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten nur, um die +Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament". Von roemischer +Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die Wachsbossierung der +Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die Rede: Manius +Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im +Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses +abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele +gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was +nicht viel spaeter das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet +der Poesie wurden. Es werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, +der, wie Naevius spottete, verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im +heiligen Raum die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz. +Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem +Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter +griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate +Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel +zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch +eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss +ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern dass +sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie, +den Griechen und Halbgriechen anheimfiel. +------------------------------------------------------ ^42 Plautius +gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die +Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch +nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des +ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg +stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor. +------------------------------------------------------- Dagegen +zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren +dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht +der korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen +Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an; +selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse +als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des Pheidias mit +Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den eroberten +griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten Anfang +Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl +dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel +der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) +die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern +ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen +Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus +(560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des +roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus (587 167) fuellten +sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den Meisterwerken des +griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung auf, dass +das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil der +hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache; +allein waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse +poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen +und Herbeischaffen auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in +Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst +aber nicht einmal ein Versuch gemacht worden. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 3 by +Theodor Mommsen + + diff --git a/old/3momm10.zip b/old/3momm10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..8bf49f0 --- /dev/null +++ b/old/3momm10.zip diff --git a/old/3momm10h.zip b/old/3momm10h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..9a001e9 --- /dev/null +++ b/old/3momm10h.zip diff --git a/old/3momm10u.zip b/old/3momm10u.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c6084d3 --- /dev/null +++ b/old/3momm10u.zip |
